Alexandra Kollontai: Auszüge aus dem Tagebuch von 1914

[Zum ersten Mal veröffentlicht 1924 in der Zeitschrift „Swesda“ (Der Stern), Nr. 4. Im Jahre 1925 erschienen die „Auszüge aus dem Tagebuch von 1914″ als selbständige Ausgabe. Der vorliegende Abdruck ist die gekürzte Fassung der Ausgabe von 1925. Nach „Ich habe viele Leben gelebt“. Berlin 1980, S. 166-209]

30. Juli. Abend. (Bad Kohlgrub.)

Der Krieg ist Tatsache, ist Realität. Das habe ich erst heute so richtig gespürt, als ich vom Tod von Flüchtlingen aus Belgrad las. Opfer des Krieges, Schrecken des Krieges … Deutlich kommen mir die Erzählungen B. S. Stomonjakows über die Schrecken des Krieges auf dem Balkan vor zwei Jahren wieder in Erinnerung. „Welches auch immer das Ziel eines Krieges sein mag, die Schrecken sind so unbeschreiblich groß, dass es keinerlei Rechtfertigung für ihn geben kann“ – so lautete die Schlussfolgerung aus seinen Schilderungen. Gestern noch schien der Krieg ein Alptraum, heute fühle ich seine Wirklichkeit. Und dennoch glaube ich es nicht, kann es nicht fassen, nicht begreifen …

Am Abend sind alle in Kohlgrub nervös, in gespannter Stimmung. Die bedrückende Unruhe weicht nicht. Man hat ein sonderbares, unbekanntes Gefühl der Hilflosigkeit, wie angesichts der Gewalt einer Naturkatastrophe.

Ich begreife nicht, wieso die Sozialdemokraten bisher nicht einen einzigen Aufruf erlassen haben. Warum hört man nichts von Arbeiterdemonstrationen in Deutschland? In Paris regt man sich doch, kämpft!1

31. Juli, im Zug – München.

Wir fahren nach Berlin. Weiter auf Nachrichten zu warten ist unmöglich. Man möchte der Zentrale näher sein. Möchte an Ort und Stelle klären, was die Partei unternimmt. Welche Schritte wird es geben? Die Isolation ist unerträglich.

Ich habe einen „Vorwärts“2 gekauft. Wieder dieser viel zu „abstrakte“ Ton. Es hat eine Straßendemonstration gegeben, am 28., Unter den Linden. Doch offenbar ohne Erfolg. In Berlin finden die üblichen Arbeiterversammlungen statt. Häufiger als sonst sind die Proteste gegen steigende Preise für Schweinefleisch. Aber kein einziger Aufruf, kein einziger Appell der Partei, nicht ein lebendiges Wort, das die Arbeiter aufriefe, Widerstand zu leisten. Wann werden sie denn anfangen zu handeln? Schließlich ist der Krieg doch da! Man muss alle diese Einberufenen einspannen, muss jetzt einen Aufruf ergehen lassen, gerade jetzt, solange die Gefahr erst im Anzug ist.

Für das Zögern des Parteivorstandes gibt es jetzt keine Rechtfertigung. Hier darf man nicht „beratschlagen“, hier muss man handeln.

Der „Vorwärts“ stellt fest, dass „unser Land“ keinen Krieg will. Was heißt hier „Land“? Warum nicht einfach: „Die Arbeiter lassen den Krieg nicht zu“? Weiter heißt es, dass Russland dem Krieg aus dem Wege gehen werde, da es seine unvermeidliche Folge, die Revolution, fürchte. Doch im gleichen Atemzug jagt der „Vorwärts“ Deutschland Angst ein: Möge unser Land nicht vergessen, dass Krieg noch nicht das Ende des Zarismus bedeutet, und möge Deutschland angesichts der Gefahr einer Invasion des „finsteren“ Russland auf der Hut sein. Wozu das? Das riecht nach Chauvinismus …

1. August. Grunewald, Stadtteil von Berlin.

Es ist Nacht, die erste Nacht des unabwendbaren Ereignisses – der „Kriegserklärung“.

Der Krieg ist erklärt. Ein Tag, angefüllt mit einer Menge Erlebnissen. An Schlaf ist da nicht zu denken. Morgens, als wir aus München kamen, sträubte sich Berlin noch aus Leibeskräften gegen den Krieg, protestierte es im Innersten, hoffte es. Mit jeder Stunde wurde die Hoffnung schwächer. Gegen Abend, mit Einbruch der Dämmerung, brach plötzlicher hysterischer Patriotismus aus. „Das Volk fordert den Krieg!“

Das Volk? Jenes Volk, das sich noch gestern mit allen Fasern seines Herzens gegen den Krieg sträubte? Das Volk, das finsteren Blickes dem Gestellungsbefehl nachkam, voller Sorge und unter offenkundiger Verurteilung der Politik des Kaisers?

Ein graues Auto rast durch den Grunewald, in den Alleen werden Flugblätter abgeworfen.

Russland ist der Krieg erklärt worden. Mein Herz krampft sich schmerzhaft zusammen, mir ist, als würde ringsum alles finster. Nun ist es da, dieses Grauen, das sich all diese Tage wie ein drückender Alptraum auf uns zubewegte. Der Weltkrieg! Das ist keine Gefahr mehr, sondern Tatsache, Wirklichkeit …

Ich erkundige mich bei Haase, wann und wo der Internationale Kongress stattfinden werde.

„Kongress? Sie scherzen wohl! Sehen Sie denn nicht, was los ist? Die Leute sind von Sinnen. Der Krieg ist unvermeidlich. Der Chauvinismus hat die Köpfe verwirrt. Da lässt sich nichts mehr tun.“

Ich glaube seinem Pessimismus nicht, glaube nicht an seine merkwürdige Schicksalsergebenheit. Ich fahre in die Lindenstraße, ins Frauenbüro, will etwas über die Pläne der Partei erfahren. Dort treffe ich lediglich Luise Zietz an. Sie sieht besorgt aus, und wie es scheint, ist es ihr unangenehm, dass ich gekommen bin. Sie ist kurz angebunden und sehr förmlich. Sie erzählt, dass Clara Zetkin sehr erregt sei angesichts der Ereignisse, dass sie eine Sondernummer der „Gleichheit“ herausbringen wolle – doch von Plänen oder Maßnahmen der Partei kein Wort.

„Wir haben protestiert, haben unserer Pflicht Genüge getan; doch wenn das Vaterland in Gefahr ist, muss man auch da seine Pflicht erfüllen können.“

Ich blicke die Zietz nur groß an und begreife, dass wir uns nicht einig werden. Als ich noch versuche, zu erfahren, ob es Direktiven des Internationalen Büros3 gibt, bekomme ich eine ausweichende Antwort. Ich habe den Eindruck, dass ich für Luise Zietz schon nicht mehr Genossin, sondern „Russin“ bin.

Um eins haben wir erfahren, dass Jaurès4 tot ist. Die Nachricht war wie ein Messerstich mitten ins Herz. Kein Zweifel, wenn das möglich ist, dann ist alles möglich! Seit dieser Stunde glaube ich an den Weltkrieg. Als habe sich das Rad der Geschichte von seiner Kette gelöst und reiße uns mit in den Abgrund …

Jaurès ist nicht mehr. Seine mächtige Gestalt, die das Proletariat vor dem blutigen Alptraum schützte, ist nicht mehr da. Doch direkt beängstigend ist, dass ich zwar das ganze Ausmaß des Verlustes erkenne, den der Tod dieses großen Mannes bedeutet, dass sich dieses Ereignis aber vor dem Hintergrund des Alptraums des Krieges irgendwie unbedeutend, geringfügig und blass ausnimmt. Immer dichter ziehen sich die Wolken zusammen, immer gespannter sind die Nerven.

Mit jeder Stunde sinkt die Hoffnung, dass der Krieg noch abgewendet wird. Innerlich bebt alles. Man quält sich, wie in den Stunden, da ein nahestehender Mensch mit dem Tode ringt. Da ist er also, der Krieg! Als wir ihn uns vorzustellen versuchten, schien es uns, als werde hinter seinem Rücken unverzüglich als roter Schatten das „rote Gespenst“ auftauchen. Doch dieses Stillschweigen der Partei, diese Fassungslosigkeit und Demut! Das kann einem den Verstand rauben …

„Warum finden keine Versammlungen statt, keine Demonstrationen?“ habe ich Luise Zietz am Morgen eindringlich gefragt.

„Aber so verstehen Sie doch – der Kriegszustand.“ „Gerade deshalb brauchen wir ja Demonstrationen. In Paris wird gekämpft, werden Barrikaden gebaut. Hier dagegen nichts als Ergebenheit, Stillschweigen und Fassungslosigkeit.“

Dafür sind die Chauvinisten aktiv. Unter den Linden singt die Menge „nationale“ Lieder. Dem Kaiser werden auf der Straße Ovationen entgegengebracht. Reden vom Balkon des Schlosses. In den Kirchen Bittgottesdienste. Regierungsbeauftragte fahren mit Autos umher und verteilen Aufrufe an das Volk …

2. August. Nachts halb eins.

Die Ereignisse überstürzen sich. Man will es nicht glauben, dass dies erst der zweite Tag des Krieges ist. Am Morgen eile ich nach einer fast schlaflosen Nacht zu Liebknecht. Der schöne ruhige Grunewald liegt jetzt unheildrohend verlassen da. Doch graue Militärfahrzeuge rasen vorüber. Überall Stahlhelme, Gruppen von Soldaten. Viel Polizei. Es ist Sonntag, aber Spaziergänger sieht man nicht.

Liebknecht treffe ich zu Hause an. Er hat es eilig, will in die Stadt. Sofja Borissowna (Liebknechts Frau) ist niedergeschlagen. Nein, auch sie „akzeptiert“ den Krieg nicht. Zusammen mit Liebknecht fahre ich zurück in die Stadt. Karl spottet bitter über die „Leichtgläubigkeit“ so vieler Menschen:

„Ein geschicktes, durchtriebenes Spiel unserer Regierung. Wir selbst haben den Brand vorbereitet und ausgelöst, aber wenn nun die Flamme auflodert, tun wir großmütig und versichern, dass wir den Frieden wollen, dass Russland als erstes das Schwert geschärft habe, dass wir gezwungen seien, uns zu verteidigen. ,Eure‘ und ,Unsere‘ stehen sich bei diesem Spiel in nichts nach. Nur spielen ,Unsere‘ gerissener. Schauen Sie doch, was das für eine großartige Geste ist für die Leichtgläubigen: An Russland wurde eine Note gesandt, die Aufforderung, zu demobilisieren. Eine Ohrfeige für die Großmacht! Wir aber, wir sind großmütig! Wir geben für die Antwort zwölf Stunden Zeit. Weshalb ziehen wir das ganze noch zwölf Stunden hin? Wundervoll ausgeheckt! Eine Inszenierung, wie sie Reinhardt zur Ehre gereichen würde.“

Liebknecht ist gerade aus Nordfrankreich zurückgekehrt. Er versichert, dass das französische Proletariat ganz entschieden gegen den Krieg ist. Der Mord an Jaurès sei von den Chauvinisten bewusst inszeniert worden. Damit haben sie den Menschen aus dem Weg geräumt, dessen Stimme „in dieser entscheidenden Stunde“ das Weltproletariat hätte einigen können. Die Taktik der Partei stehe noch nicht fest. Man streite sich heftig. Er fahre jetzt zur Sitzung der Parlamentsfraktion …

4. August.

Wir sind „Gefangene“. Meinen Sohn hat man verhaftet und an einen unbekannten Ort gebracht. Und gestern haben die Sozialdemokraten faktisch bereits für die Kredite gestimmt. Ja, ja, sie haben für den Krieg gestimmt!5

Ich weiß nicht, was schlimmer ist: die Angst um meinen Sohn oder die Verzweiflung über ihre Entscheidung.

Zwei schreckliche Tage. Der Strudel des Krieges reißt uns mit wie winzige Staubkörnchen …

Das ging Montag früh um sechs los. Verhör auf dem Polizeirevier. Grober Ton des ranghöchsten Polizisten und ein Entscheid, der uns beide, meinen Sohn und mich, betrifft: „Sie sind verhaftet.“

Wir werden in ein großes leeres Zimmer gesperrt. Vor der Tür ein Polizist. Ich höre, wie angeordnet wird, mein Zimmer zu durchsuchen. Sogleich fällt mir mein Mandat für Wien mit dem Stempel der russischen Partei ein6 Wie ärgerlich, dass ich gestern vergessen habe, ein mich derart kompromittierendes Dokument zu vernichten!

Am Morgen des 4. August taucht in der Tür meiner Zelle unvermittelt ein dicker Polizist auf, gefolgt von noch einem, mit einem Karton unterm Arm, in dem sich meine Papiere befinden. „Sie sind die bekannte Agitatorin soundso?“ „Ja, das bin ich.“ Und im Stillen denke ich: Also doch! Sie haben das Mandat gefunden.

„Warum haben Sie das denn nicht gleich gesagt? Eine russische Sozialistin kann dem russischen Zaren nicht wohlgesinnt sein. Und wird natürlich schon gar nicht für den Sieg dieser Barbaren Spionage betreiben. Sie sind frei.“

Eine unerwartete Wende. Das gleiche Dokument, das noch vor einer Woche Anlass gewesen wäre, mich aus Preußen auszuweisen, öffnet mir nun die Türen des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz.

Man gibt mir den Karton mit meinen Papieren und setzt mich auf freien Fuß. Doch wohin soll ich gehen? Zunächst einmal muss ich natürlich in Erfahrung bringen, was mit meinem Sohn ist. Man empfiehlt mir, mich an das Oberkommando und an die Kommandantur zu wenden.

Ich beschließe, zum Reichstag zu fahren. Dort werde ich die Unsrigen finden, sicherlich ist Haase dort und Liebknecht.

Ich gehe durch den vertrauten Abgeordneteneingang. Der Pförtner kennt mich, er verbeugt sich liebenswürdig und erkundigt sich nach einem Blick auf den Karton:

„Sie kommen wohl von draußen, vom Sommerhaus?“

„Von wegen draußen!“

In den Wandelgängen des Reichstages ist es leer. Mir entgegen kommt Kautsky. Ganz tapprig und konfus ist er! Beide Söhne sind zur österreichischen Armee eingezogen, seine Frau ist in Italien. Ich frage ihn nach seiner Meinung zu den Ereignissen: „Was wird denn nun weiter?“

Und auf einmal seine völlig überraschende Antwort: „In so einer schlimmen Zeit muss eben jeder sein Kreuz zu tragen wissen.“

„Sein Kreuz“? Ist der alte Mann etwa nicht ganz bei Tröste?

Göhre setzt sich zu uns. Er ist durch und durch naiv patriotisch. Wenn man ihnen so zuhört, begreift man gar nichts mehr: Entweder haben sie alle den Verstand verloren, oder ich bin nicht mehr normal. Doch die Wand des Nichtverstehens wird immer dicker.

„Denken Sie nur, wer hätte das geglaubt, dass es unter unseren Sozialisten soviel Patriotismus, soviel Begeisterung geben würde! Viele ziehen als Freiwillige in den Krieg. Ja, ja, Deutschland ist uns allen teuer. Man hat uns überfallen, nun werden wir das Land verteidigen! Wir werden zeigen, dass auch die Sozialisten für das Vaterland zu sterben wissen.“

Göhres Töchter brennen darauf, zu den Krankenschwestern zu kommen. Von Gewalttätigkeiten gegenüber Russen hat er nichts gehört. Er glaubt nicht daran. Und schließlich, ist es in Russland etwa besser?

„Schrecklich, wenn man an das Los unserer armen Landsleute in Russland denkt.“

Landsleute? Wer ist das denn? Alle möglichen Kaufleute, Handlungsreisenden, Unternehmer. Und um die grämt sich der Patriot Göhre?

„Wir werden gegen den Zarismus kämpfen. Wir werden euch Russen helfen, das Joch der Gewalt und Unterdrückung abzuschütteln.“

Mit Hilfe des Schwertes und des Oberkommandos? Stadthagen ist nervös. Er ruft mich beiseite. Vertraulich informiert er mich über „ungeheuerliche, beispiellose Meinungsverschiedenheiten“ in der Reichstagsfraktion. Auf der gestrigen Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion sei es beinahe zum Handgemenge gekommen. Eine Minderheit habe sich herausgebildet, vierzehn Leute, unter ihnen Haase und Liebknecht. Sie haben den Beschluss der Mehrheit angefochten, für den Etat zu stimmen.

„Wie bitte? Für den Etat zu stimmen?“ Ich traue meinen Ohren nicht.

„Selbstverständlich. Aber darum geht es gar nicht. Die Sache ist vielmehr die, dass wir uns über die Formulierung nicht einig werden konnten. Die Begründung ist nicht richtig, ist inakzeptabel.“

Mit der Ausarbeitung der Begründung für die Erklärung der Fraktion sei eine Kommission, bestehend aus Kautsky, David und noch jemandem, beauftragt worden. Kautsky habe das eine, David etwas anderes vorgeschlagen. Die Begründung Kautskys sei verworfen worden, und der alte Kautsky habe die Begründung Davids korrigieren und verbessern müssen.

Bei der Fraktionssitzung sei man nicht vollzählig gewesen. Nach Meinung Stadthagens ist die Auffassung der Minderheit angesichts der jetzigen Situation einfach eine „Kinderei“. Der Krieg sei eine Tatsache. Durch Stimmenthaltung könnten die Sozialisten ihre ganze Beliebtheit bei den Massen einbüßen. Man würde sie als „Feinde des Vaterlandes“ ansehen, und das wiederum würde sich auf die Zukunft der Partei auswirken. Die Arbeitermassen seien für den Krieg. Deutschland müsse sich „verteidigen“. Stadthagen meint, Deutschland werde inzwischen nicht nur von Russland und Frankreich, sondern auch von England bedroht.

„Wenn mein Haus von Räubern überfallen wird, wäre ich schön dumm, Überlegungen über ,Humanität‘ anzustellen, statt auf sie zu schießen!“

„Und die weltweite Solidarität der Arbeiter?“

„Was soll’s! Sie ist vorerst noch zu schwach, um einen Krieg zu verhindern.“

Dieses Gefühl unbeschreiblicher Bitterkeit und Fremdheit …

In den Gängen ist es immer noch leer. Kein bekanntes Gesicht unter dem Personal, sie sind alle eingezogen. Nur die Alten sind geblieben.

Frank, David und Wendel kommen herein. Ich höre, wie Wendel sagt:

„Wenn man in der Redaktion des ,Vorwärts‘ immer noch nicht begriffen hat, worin unsere Pflicht besteht, sollte man die Redaktion ins Irrenhaus schicken! In solchen Augenblicken, da sich Ereignisse von Weltbedeutung abspielen, käuen sie ihre Bücherweisheit wieder. Bei diesen Leuten sind Argumente wohl fehl am Platze. Da sollte man daran denken, dass jetzt alles mit der Kugel entschieden wird!“

Wendel, der jüngste Reichstagsabgeordnete. Der so begabte Wendel ein „Patriot“?

„Ich gehe an die Front. Dort werde ich nötiger gebraucht als in der Redaktion des ,Vorwärts‘.“

Auch Frank hat sich als Freiwilliger gemeldet. Er wird umringt, man drückt ihm die Hand. „Ich melde mich nach vorn. Unbegreiflich, wie man im Trockenen sitzen kann, während die Genossen im Kugelregen stehen!“

Ja, warum, warum nur lässt man sie denn „in den Kugelregen?“

Die Begeisterung Franks scheint mir gespielt. Doch gibt es auch aufrichtige, entsetzlich aufrichtige „Patrioten“.

Ich passe Haase ab. Es ist mir peinlich, ihn in solchen Augenblicken mit meinen privaten Sorgen belästigen zu müssen, denn schließlich entscheidet sich jetzt nicht nur das Schicksal der Völker, sondern auch das der Sozialdemokratie. Doch Haase ist aufgeräumt und liebenswürdig. „Heute nach der Sitzung spreche ich mit Bethmann über die verhafteten Russen. O ja, wir sind jetzt bei der Regierung Persona grata!“ (In Gunst stehende Person. Die Red) Was soll das heißen? Ist Haase etwa nicht gegen die Kriegskredite? Was hat sich geändert?

Ich komme nicht mehr dazu, mich danach zu erkundigen. Die Sitzung fängt an. Mit einer Eintrittskarte für die Publikumsempore gelange ich in den Saal.

Die Sitzung wird von der Rede des Kanzlers ausgefüllt. Im Saal ist die Atmosphäre gespannt. Alle Abgeordneten sind zugegen. Das Publikum lauscht wie gebannt. Die Kanzlerrede ist sachlich und bestimmt, wohlüberlegt. Der Vorwurf an Russland, es habe die Fackel des Krieges geschleudert. An dieser Stelle stimmen Saal und Publikum auf der Empore hysterisch zu. Auch die linken Bänke spenden Beifall. Die Rede des Kanzlers wird wiederholt von Applaus unterbrochen. Als Bethmann Hollweg dann aber eine Erklärung über den möglichen beziehungsweise bereits erfolgten Einmarsch in Belgien (was schon gestern vollendete Tatsache war!) abgibt, herrscht Stille im Saal. Eine kaum wahrnehmbare Bewegung auf den linken Bänken und erneut gespannte Aufmerksamkeit.

Pause. In einer Stunde geht die Sitzung weiter. Ich eile in die unteren Wandelgänge. Im Saal sind eine Menge Militärs. Etliche Abgeordnete sind bereits in Uniform erschienen. Ich sehe Liebknecht und frage ihn nach der gestrigen Sitzung.

„Sie sind hoffnungslos verloren. Der Rausch der ,Vaterlandsliebe‘ hat ihnen die Sinne verwirrt. Da kann man nichts machen. Heute wird die ,Erklärung‘ der Fraktion abgegeben.“7

Und die Minderheit?

Der Minderheit bleibe nichts weiter übrig, als sich der „Parteidisziplin“ zu fügen. Das ungeheuerliche sei jedoch, dass die „Erklärung“ der Fraktion von Haase verlesen werden wird, von jenem Haase, der selbst Gegner der Kriegskredite ist.

Liebknecht missbilligt entschieden, dass sich Genossen als Freiwillige melden. Dafür gebe es keine Rechtfertigung.

Bei seiner ganzen Sorge um das Große, um das Wichtigste, geht Liebknecht dennoch wie immer teilnahmsvoll auf meinen persönlichen Kummer wegen meines Sohnes ein. Ihm selbst lässt das Schicksal der verhafteten Genossen auch keine Ruhe. Er schlägt vor, die Pause zu benutzen, um im Oberkommando Auskunft einzuholen.

Ich habe den Eindruck, dass ihm der Aufenthalt in den Wandelgängen des Reichstages, wo ihn die eigenen Genossen wegen seiner heftigen Verurteilung des Krieges und seiner Kritik an der „Erklärung“ scheel ansehen, schwerfällt.

Wir fahren in einem überfüllten Omnibus. Im Oberkommando lässt man uns lange bei der Anmeldung warten. Liebknecht ist nervös. Der ansonsten magische Titel „Mitglied des Reichstages“ wirkt heute nicht. Was ist schon ein Mitglied des Reichstages für diese stumpfsinnigen Typen in Uniform, die wie eine Maschine, exakt, ohne nachzudenken, die Anweisungen von oben ausführen?

„Sehen Sie, dort rechts wird die öffentliche Meinung gemacht, werden Legenden geschaffen darüber, dass Deutschland überfallen worden ist“, macht mich Liebknecht auf eine Tür mit der Aufschrift „Presseabteilung“ aufmerksam. „Da werden Telegramme über unsere Siege und Meldungen über Spione fabriziert. Morgen kommt dann ein Dementi, doch die Dementis werden klein gedruckt, so dass sie niemand liest.“

Liebknecht geht ein paar Schritte auf einen Tisch zu, an dem Offiziere eine Besprechung abhalten. Er will einen Stuhl holen.

„Keinen Schritt weiter“, fährt ihn der Posten an. Dann endlich wird Liebknecht zum Adjutanten von Kessel gerufen. Neues kann er dort nicht erfahren: Man müsse warten, bis die Listen fertig sind. Das dauere vielleicht ein paar Tage, vielleicht aber auch zwei bis drei Wochen. Um die Sache zu beschleunigen, könne man um eine Zusammenkunft mit dem Sohn nachsuchen, könne man ein Gesuch einreichen, ihm Sachen bringen zu dürfen usw.

Wir gehen noch zur Kommandantur, doch auch dort weiß man nichts.

Als wir dann wieder Unter den Linden sind, sehe ich, dass Liebknecht seine frühere Energie zurückgewonnen hat. Er macht sich schon eifrig Gedanken über einen Plan, wie man die russischen Genossen aus dem Gefängnis herausholen und wie man ihnen helfen kann, solange sie noch eingesperrt sind.

Wir begeben uns rasch zum Reichstag. Der entscheidende Augenblick ist gekommen. Ich glaube noch nicht an die Stimmabgabe. Mir will immer noch scheinen, dass sich die Fraktion in letzter Minute anders besinnt.

Die zweite Hälfte der Sitzung beginnt um fünf Uhr. Erneut strömt das Publikum auf die Empore. Doch die Spannung ist nicht mehr so groß wie vormittags. Im Gegenteil. Die Mienen sind irgendwie besänftigt, fast zufrieden. Es wird sogar gescherzt.

Haase verliest die „Erklärung“ der Fraktion. Er wird von allgemeinem Beifall unterbrochen. Auch die extreme Rechte applaudiert. Stürmische Begeisterung bewirken die Worte, die Sozialdemokratie lasse in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich.

Mir ist, als stürzte ich in einen Abgrund. „Ausgehend von allen genannten Gründen, spricht sich die sozialdemokratische Fraktion für den Kredit aus … „

Was nun kommt, haben die Mauern des Reichstages noch nicht erlebt! Das Publikum springt auf die Stühle, schreit, fuchtelt mit den Armen. Vizepräsident Paasche erklärt, der Kredit sei „einmütig votiert“ worden. Daraufhin erneut großes Geschrei. Ein neuerlicher Sturm „patriotischer“ Hysterie. Ich bemerke, dass man auch auf den linken Bänken in einem Anfall von „Patriotismus“ tobt.

Es ist geschehen. Und doch will ich es nicht glauben. Ich laufe in die Wandelgänge. Vielleicht ist das noch nicht endgültig?

Ich stoße auf Wurm.

„Wie sind Sie denn hierhergekommen? Sie sind doch gar nicht berechtigt, einer solchen Sitzung des Reichstages beizuwohnen – schließlich sind Sie Russin!“

Nein, wirklich, daran habe ich „noch gar nicht gedacht“! Ich bin hierher zu den „Meinigen“, zu meinen Genossen, gekommen, jetzt weiß ich, dass ich mich geirrt habe!

Bei Liebknecht steht ein Grüppchen; man streitet heftig mit ihm. Wendel blickt böse zu Liebknecht hin.

„Ein Verrückter, ein Wahnsinniger! So einer gehört hinter Gitter. Jetzt sind jegliche Sentimentalitäten fehl am Platz.“

Offenbar sieht er in Liebknecht einen wirklichen „Verräter“ seines lieben, militaristischen Vaterlandes.

Zu mir treten Frauen von Abgeordneten. Wir kennen uns. Sie sind sehr zufrieden mit dem Ausgang der Sitzung. Sie fürchteten den Einfluss der „Vierzehn“8. „Wenn sie nämlich die Oberhand gewonnen hätten, wäre mein Mann einfach als Verräter erschossen worden!“

Na herrlich! – möchte ich ihr als Antwort ins Gesicht schreien.

„Ja, wir Deutschen verstehen es, einig zu sein. Welch großer feierlicher Augenblick der Einigkeit!“ höre ich jemand sagen.

„Einigkeit“ mit wem? Mit General Kessel? Mit den Dummköpfen aus dem Oberkommando? Mit den „rechten Bänken“? Ich glaube, vor ohnmächtiger Wut, vor Verzweiflung ersticken zu müssen …

Der Reichstag ist aufgelöst. Ausgelöscht das letzte Fünkchen von Volkskontrolle über die Handlungen einer Regierung, die sich auf Bajonette stützt.

Ich verlasse den Reichstag zusammen mit Liebknecht, wir gehen lange durch den Tiergarten. Straßenbahnen sind selten, die Omnibusse mobilgemacht.

„Was wird aus der Internationale? Der heutige Tag hat sie vernichtet. Es muss eine neue, eine andere Generation heranwachsen, um sie zu neuem Leben zu erwecken. Uns deutschen Sozialdemokraten wird die Arbeiterklasse der Welt unser heutiges Handeln niemals verzeihen.“

Auch mir ist, als hätte ich einer Hinrichtung beigewohnt.

Erneut vernehme ich die Stimme Liebknechts, der zu Aktivität aufruft:

„Aber wir lassen es nicht dabei bewenden! Wir müssen sofort zu handeln beginnen. Müssen für sofortigen Frieden kämpfen, die Heuchelei der Regierung bloßstellen! Wir müssen ihnen die Maske vom Gesicht reißen.“

Sogleich wird mir leichter ums Herz, ist alles nicht mehr ganz so hoffnungslos …

5. August. Nachts.

Noch ein bleigrauer Tag.

England hat Deutschland den Krieg erklärt.

Gestern Abend hat uns diese Neuigkeit erreicht. Die müden Nerven weigern sich jedoch, neue Ereignisse zu erfassen. Wahrscheinlich ein Gerücht, möchte man am liebsten glauben …

Ich fahre zu Liebknecht. In Liebknechts Anwaltsbüro ist nur sein Bruder Theodor. Er entschuldigt sich, dass Karl nicht da ist. Ein unangenehmer Zwischenfall: Er sei noch gar nicht im Büro gewesen, da sei ein Anruf gekommen, bei ihm wäre Haussuchung.

Wie? Eine Haussuchung? Bei einem Reichstagsabgeordneten?

Es ist alles so beklemmend und abscheulich.

Dann kommt Liebknecht. An seinem Gesicht sehe ich, er ist besorgt. Das ist auch nicht verwunderlich! In seiner Abwesenheit hat man bei ihm eine Haussuchung vorgenommen, hat zwei Stunden lang herum gewühlt Auf Sofja Borissowna war die ganze Zeit ein Revolverlauf gerichtet. Warum? Wo ist die Logik? Wo der Sinn?

Von der Haussuchung wusste Liebknecht durch die Wohnungsnachbarin. Als er nach Hause kam, war schon alles vorüber. Selbstverständlich hatte man nichts gefunden. Doch was hatten sie eigentlich gesucht?

„Der Grund sind natürlich meine kürzliche Reise nach Frankreich und meine Verbindungen zu ausländischen Genossen. „

Und wieder höre ich Liebknechts knappe Schilderung, nichts als Fakten, ohne Kommentar, und mich beschleicht ein Gefühl des Abscheus, drückender Angst. Als ob ich mit gebundenen Händen mitten auf der Straße liege und Pferde in rasendem Galopp nahen. Gleich werden sie mich zertreten. Und man wird es nicht merken. Niemand wird es merken. Was ist der Mensch jetzt schon wert!

Ich erkundige mich nach Sofja Borissowna, doch Liebknecht unterbricht mich. Wir müssten zur Sache kommen. Vor allem die Genossen herausholen. Und Liebknecht setzt ein Gesuch auf, mit dessen Hilfe es den Frauen und Müttern der Festgenommenen vielleicht gelingen wird, ihre Angehörigen zu sehen.

„Könnte man ihre Freilassung nicht bewirken, indem man Druck auf Bethmann ausübt? Gestern hat mir Haase gesagt, dass die Sozialdemokraten jetzt Persona grata bei der Regierung sind.“

„Aha! Sogar das hat er Ihnen gesagt? Phantastisch! Wir gehen der Selbstvernichtung mit vollen Segeln entgegen.“

Liebknecht springt auf und geht nervös im Zimmer umher.

„Nein, wir müssen handeln. Wenn es so weitergeht, bleibt von der Internationale keine Spur übrig. Wir müssen den Schleier der nationalen Hypnose zerreißen. Das Proletariat muss doch schließlich die Lüge, den Betrug dieser ganzen militärischen Machenschaften begreifen. Entlarven müssen wir! Entlarven! Das ist jetzt unsere Pflicht.“

Liebknecht war gerade erst in Nordfrankreich gewesen. In Roubaix hatte er auf großartigen Kundgebungen gesprochen, zu denen Tausende gekommen waren. Seiner Überzeugung nach ist das französische Proletariat entschieden gegen den Krieg. Sie werden gegen die Mobilmachung kämpfen und dem Chauvinismus nicht wie eine Hammelherde in die Falle gehen. Allerdings hat natürlich die Stimmabgabe der deutschen Genossen die Solidarität zunichte gemacht. Die französischen Arbeiter werden es zunächst nicht glauben, dann aber in Wut geraten. Jetzt gibt es keine Rettung mehr für die Internationale. Und wie wundervoll war doch die Stimmung im Departement Nord gewesen!

Liebknecht zeichnet mir in lebhaften Farben ein Bild von der Stimmung der Arbeiter Frankreichs. Die Kundgebungen standen alle im Zeichen des Kampfes gegen den Krieg. Ich vergesse über seiner plastischen Schilderung beinahe, weshalb ich gekommen bin. Doch da wird Liebknecht ans Telefon gerufen, und er kehrt zu seinem sachlichen Ton zurück.

Ich erzähle ihm von unserem Missgeschick in der Pension und bitte ihn um Rat. Liebknecht ruft jemanden von der Stadtverwaltung an. Der verspricht, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um unsere Exmittierung aus der Pension hinauszuschieben.

Was meinen Sohn und die Verhafteten betrifft, so verspricht Liebknecht, noch heute über sie Erkundigungen einzuziehen und sich für ihre Freilassung einzusetzen. Er notiert sich die Namen, die mir einfallen, und bittet mich, ihm noch ein ergänztes Verzeichnis zuzuschicken.

Wir verabschieden uns.

Wieder zu Hause, in der Pension. Unsere Exmittierung ist vierundzwanzig Stunden aufgeschoben worden.

Doch es ist Krieg – daran ist nicht zu rütteln.

Mein Sohn und die Genossen befinden sich in ihren Händen.

Dunkel ist es, erdrückend, entsetzlich.

6. August.

Der Tag hat heute zeitig begonnen. Um sechs Uhr klopft es an die Tür. „Wer ist da?“

Ach ja, natürlich, der Rundgang der Polizei. Ausweiskontrolle. Lange sehen sie sich meine Papiere an, beraten sich. Sie scheinen ihnen ungenügend und nicht überzeugend.

Mir fällt mein Talisman ein – das Mandat für den Internationalen Kongress. „Aha, wir haben Sie also schon einmal verhaftet?“ Und sie gehen weiter.

Doch nach einer halben Stunde kommen sie wieder, um mir zu verkünden: „Ziehen Sie bitte noch heute aus. Weiterer Aufschub wird Ihnen nicht gewährt.“

Nochmals zu Liebknecht.

Wir begegnen uns auf der Treppe. Er hat es eilig. Ich bringe ihn zur Straßenbahn.

Der Chauvinismus rafft wie eine Seuche auch die bisher Standhaftesten dahin. Lensch, der noch gestern für eine Verweigerung der Kredite eintrat, ist jetzt schon bereit, auf die Seite der Wendel und Frank überzugehen. Haase dreht und wendet sich. Er begreift den ganzen Wahnwitz der gewählten Taktik, fühlt sich jedoch nach Verlesung der Erklärung gebunden. In den Reihen der Partei herrscht der reinste Wahnsinn. Alle sind „Patrioten“ geworden, bereit, dem Kaiser ihr „Vivat!“ zuzurufen. Und die Massen? Wie denkt das Proletariat? Die Massen? Alle diese Tage warteten sie auf eine Losung der Partei. Die Stimmung war voller gespannter Erwartung, doch auch voller Entschlossenheit. Nach der Abstimmung über die Kriegskredite schlug die Stimmung dann jäh um. Die Spannung wich, doch die Energie mündete in wüsten Chauvinismus. Die Partei hatte es nicht fertiggebracht, die Schleusen rechtzeitig zu öffnen und die Stimmung in andere Bahnen zu lenken. Nun ist es zu spät. Die Massen sind von der Losung „Rettung des Vaterlandes“ berauscht.

Karl selbst hat viele Unannehmlichkeiten mit den Parteizentren. Dennoch hat er sein Versprechen nicht vergessen. Er bittet mich, den russischen Genossen auszurichten, dass den Verhafteten morgen Sachen gebracht werden können. Ich notiere mir Uhrzeit und Adresse. Nach Liebknechts Ansicht wird man die russischen Emigranten nicht lange gefangen halten Er rät mir, selbst ins Polizeirevier zu fahren, um einen weiteren Aufschub der Exmittierung zu erbitten.

7. August.

Um sechs Uhr morgens klopft es an die Tür. Die Polizei?

Nein, es ist mein Sohn. Er ist zu Fuß aus Döberitz gekommen. Man hat ihn als ersten entlassen. Die Gefangenen wurden zunächst von einem Gefängnis ins andere gebracht. Geschlafen haben sie auf dem feuchten Fußboden. Einige sind geschlagen worden. Weshalb, weiß keiner. Dann sind sie in ein Lager getrieben worden. Dort war es besser. Sie waren tagsüber wenigstens an der frischen Luft.

Kaum ist mir wegen meines Sohnes ein Stein vom Herzen gefallen, wiederholt sich die gestrige Schererei: Die Polizei überprüft die Papiere. Und verlangt erneut, dass ich ausziehe …

8. August.

Bin gerade in der Redaktion des „Vorwärts“ und im Vorstand gewesen, habe mich dort für die verhafteten Genossen eingesetzt. An den Fenstern der Geschäftsräume vom „Vorwärts“ hängt ein großes Plakat: „Fangt die russischen Spione!“

So weit hat der Chauvinismus die deutschen Genossen also gebracht!

In der Redaktion hat man mir begeistert erzählt, wie viel Sozialisten sich als Freiwillige gemeldet haben. Doch damit nicht genug. Naiv, mit dümmlicher Selbstzufriedenheit sagte man mir: „Wir melden uns an die Ostfront. Wir wollen für die Befreiung Russlands vom Zarismus kämpfen.“ Und war sehr verwundert, dass mich ihre Mitteilung nicht in Begeisterung versetzte.

Habe bei Ebert im Vorstand vorbeigeschaut. Er empfing mich mehr als zurückhaltend und – schickte mich in den Stab des Oberkommandos; dort solle ich mich erkundigen.

„Die Verhaftungen sind im Interesse der Sicherheit vorgenommen worden. Wir können uns nicht in die Handlungen der Militärbehörden einmischen.“

So musste ich mit leeren Händen wieder gehen.

Henriette Derman sagte mir, dass sie genau den gleichen Eindruck vom Vorstand gewonnen habe, als sie sich um die Freilassung ihres Mannes bemühte.

Das ist also bei ihnen „Prinzip“? Sich nicht einzumischen und nicht im Wege zu stehen? Wo soll das hinführen? Wo nur ist die „weltweite Solidarität“ geblieben?

10. August.

Als ich auf schnellstem Wege von Bad Kohlgrub nach Berlin fuhr, hatte ich naiverweise geglaubt, an Ort und Stelle sein zu müssen, um an den Aktionen der deutschen Sozialdemokratie gegen den Krieg teilnehmen zu können.

Inzwischen ist mir klar, dass es weder jetzt noch später irgendwelche Aktionen geben wird. Eine elementare Hypnose. „Vaterland“. „Unser Deutschland“. „Verfluchte Engländer“. „Russische Barbaren“. „Es lebe der Sieg des Kulturlandes Deutschland!“ Dies ist die Sprache der deutschen Sozialisten.

Ich habe Mathilde W. und Luise Zietz getroffen. Beide haben „schrecklich viel zu tun“. Was eigentlich? Sie organisieren gemeinsam mit Damen aus der „guten Gesellschaft“ (genauso haben sie es gesagt!) Speisungen aus öffentlichen Mitteln für Kinder, deren Väter eingezogen worden sind. Sie arbeiten also für den Krieg?

Sie erzählten, dass sich viele Arbeiterinnen als Krankenschwestern melden. Nach Mathildes Meinung erfüllen sie damit ihre „sozialistische Pflicht“.

Ich verließ sie mit einem Gefühl unbeschreiblicher Trauer und moralischer Einsamkeit.

Am schlimmsten ist, dass ich auch in der Pension keine Ruhe vor der chauvinistischen Hysterie finde …

11. August, abends.

Genosse Larin ist aus Döberitz freigelassen worden. Auch andere hat man entlassen. Doch viele sitzen noch. Ich war bei Larin in der Wohnung. Sie werden offen bespitzelt. Es heißt, es sei nicht ungefährlich, miteinander zu verkehren. Nach und nach hatte sich fast die gesamte aktive Kolonie eingefunden. Wir besprachen, was zu tun sei, um die Genossen vor Verhöhnungen zu schützen und um die Verhafteten freizubekommen. Wie sollen wir unser aktuellstes Problem – das Geld – lösen? Viele hungern bereits. Keiner von uns kann seine Zimmermiete bezahlen. Die Wirtinnen drohen, uns hinaus zusetzen

Die Alltagssorgen verdrängen irgendwie das Weltgeschehen aus unserem Bewusstsein. Die Stimmung ist bei allen unausgeglichen, nervös. Man erschreckt sich selbst und die anderen mit Gerüchten. Bei allem, was erzählt wird, merkt man, dass Wahrheit mit Unwahrheit vermengt wird. Als wollten die Menschen jetzt von sich aus das „Gruseln“ lernen und übertrieben immerzu, damit es noch schrecklicher, noch abscheulicher klingt.

Den meisten Lebensmut hat Larin. Von ihm stammt der Vorschlag, dass wir den Vorstand bitten sollten, die „Schutzherrschaft“ über die russischen Genossen zu übernehmen und eine amtliche Untersuchung der Gewalttätigkeiten und Beleidigungen, zu denen es immer wieder kommt, zu verlangen.

Doch ich spüre, dass wir bei den Deutschen im Augenblick gar nichts erreichen werden. Höchstens mit Hilfe von Liebknecht. Doch auch er ist ja jetzt nicht gerade gut angeschrieben!

12. August.

Wir waren bei Haase in dessen Privatwohnung. Haase hatte es wie üblich sehr eilig. „Die Zeiten sind eben jetzt nicht anders!“ Er hörte uns mit offensichtlicher Ungeduld an. Für die Verhafteten versprach er bei Bethmann „ein gutes Wort einzulegen“, sobald er diesen sähe. Was die Gewalttätigkeiten gegenüber den Russen, die Verprügelungen, die Exmittierungen usw. anging, so hob er hilflos die Hände.

„Was soll man da machen? Der Krieg! Ein Überschwang an Patriotismus! Spontane Regungen! Gewiss ist das alles sehr betrüblich, doch die Partei ist da machtlos.“

Wir brachten das Geld zur Sprache.

„Geld? Das ist das Problem, das jetzt am schlechtesten zu lösen ist. In der einen Woche Krieg hat die Partei bereits Millionenverluste hinnehmen müssen. Es gehen automatisch immer weniger Mitgliedsbeiträge ein. Vielen Lokalblättern droht die Schließung. Die Abonnenten zahlen nicht mehr. Die Arbeitslosigkeit nimmt zu. Die Genossen leiden Not. Nein, auf finanzielle Hilfe dürfen Sie nicht rechnen, das müssen Sie verstehen.“

Wir versuchten, Haase klarzumachen, dass eine Hilfe für die notleidenden russischen Genossen in diesem Augenblick von grundsätzlicher Bedeutung sei. Auch wenn sie noch so gering wäre, ein paar hundert Mark wenigstens, würde sie doch beweisen, dass es eine Arbeitersolidarität gibt. Das müsste als politischer Akt, als Demonstration getan werden.

Haase widersprach nicht. Er stimmte uns hinsichtlich der grundsätzlichen Bedeutung eines solchen Aktes zu. Doch ich bin überzeugt, dass die Partei diese Hilfe nicht bewilligen wird.

Beim Abschied bot uns Haase übrigens an, dass wir uns jederzeit an ihn wenden und ihn in seiner Privatwohnung aufsuchen könnten. Andere Genossen fürchten sich selbst davor. Die Russen werden bespitzelt. Da hat man Angst, der Verschwörung verdächtigt zu werden.

Abends ist es in der Pension besonders ungemütlich. Den Russen wird mit Pogromen gedroht. Bei unseren Zimmernachbarinnen, Deutschen, war heute Haussuchung – auf eine Denunziation hin. Denunziationen sind an der Tagesordnung. Auch das ist „patriotischer“ Heldenmut.

Liebknecht hat uns telefonisch mitgeteilt, dass Clara Zetkin zu Hause in Stuttgart sei, dass sie jedoch sehr große „persönliche“ Unannehmlichkeiten habe. Was für welche? Offenbar wollte er am Telefon nicht darüber sprechen. Ob ihre Söhne einberufen worden sind? Ob ihr Mann Chauvinist geworden ist? Wird die Nummer der „Gleichheit“ gegen den Krieg wohl erscheinen?9 Ich habe Luise Zietz einen Artikel gegeben, doch sie hat Bedenken, ihn abzuschicken.

13. August. Nachts.

Wir waren bei Liebknechts; mein Sohn wollte „dem Helden die Hand drücken“. Ja, Liebknecht ist eine Ausnahme. Gegen ihn wird gehetzt, man nennt ihn einen „Verräter“ und hält ihn für „verrückt“. Er jedoch verficht seine Linie weiter.

Liebknecht hat diejenigen Sozialisten versammelt, die den Krieg „nicht akzeptieren“ und in der Arbeiterklasse den erlöschenden Geist der Solidarität aufrechterhalten wollen. Ihm zur Seite stehen Georg Ledebour, Otto Rühle, Thalheimer sowie auch Luise Zietz. Das wundert mich sehr. Liebknecht sagt, sie habe das „richtige Gespür“ und spiegele die Stimmung der Massen wider.

Worin nun der Protest der Genossen gegen den Krieg besteht und wie er sich äußern wird, ist noch nicht ganz klar, doch Liebknecht meint, zunächst einmal müsse man die „Gesinnungsgenossen“ versammeln, dann könne man beginnen, die wahre Politik Deutschlands zu entlarven, die Beweggründe dafür, dass Deutschland Krieg führt, zu enthüllen und der Regierung die Maske vom Gesicht zu reißen. Die Losung von der „Verteidigung des Vaterlandes“ habe die Köpfe vernebelt. Liebknecht meint, es müsse vor allem gezeigt werden, dass Deutschland die Schuld am Krieg trägt, das heißt, jetzt müsse laut wiederholt werden, was die Partei vor dem Krieg immer wieder gesagt hat und worüber sie sich jetzt hartnäckig ausschweigt.

Das Proletariat ist keineswegs vom Krieg begeistert. Bei Liebknecht wurde erzählt, wie die Arbeiter in den ersten Tagen die Ortsvorstände belagerten und auf eine „Parole“, eine Losung, gewartet haben. Alle glaubten, die Partei bereite den Widerstand vor. Inzwischen habe sich die Stimmung stark gewandelt. Doch wenn man unter vier Augen mit einem Arbeiter spricht, heißt er den Krieg gewöhnlich nicht gut und empfindet keinerlei „Befriedigung“ dabei, seinen Kopf für das Vaterland hinzuhalten …

Ein merkwürdiger Abend war das heute bei Liebknechts. So ganz anders als die Abende, die wir in dieser Woche erlebt haben. Liebknechts hatten Gäste, welche von uns, aber eben Gäste. Es war hell, wir aßen zu Abend, die Kinder waren da. Und man hatte nicht dieses Gefühl, dass man von allen als Feind angesehen wird. Und wartete auch nicht auf einen „Pogrom“ …

Ein interessanter, origineller Mann ist Eduard Fuchs Verfasser des mehrbändigen Kunstbuches „Die Frau in der Karikatur“. Ich hatte ihn mir immer als trockenen Menschen vorgestellt, so dick und gründlich sind alle seine Arbeiten über die Geschichte der Malerei, der Kultur usw. Nun stellte sich heraus, dass er mehr dem Typ eines Bohemien glich. Er war voller Eindrücke von seiner jüngsten Ägyptenreise, sprach von den Farben, von der Luft, von den besonderen Farbtönen der ägyptischen Sonne. Wie ich ihm so zuhörte, vergaß ich den Krieg, die Angriffe, Liège …10

„Um zu begreifen, was Sonne ist, muss man in Ägypten gewesen sein. Erst dann beginnt man, die Lichteffekte im Norden richtig zu sehen … „

Sofja Borissowna und Fuchs stritten heftig über die verschiedenen Schulen der Malerei – der Krieg schien nur mehr ein Traum zu sein.

Doch als wir dann am S-Bahnhof ankamen, war wieder der eisige Hauch der grausamen Wirklichkeit zu spüren.

Da ging ein Güterzug nach dem anderen ab, mit frischem „Kanonenfutter“. Alles gesunde, junge Menschen – Deutschlands Blüte. Sie sitzen auf den Trittbrettern, drängen sich an den offenen Türen. Sie singen, schwenken die Mützen, grölen. Viele Wagen sind mit Girlanden geschmückt, als führen sie zu einem Fest. Doch wie mag es in ihnen aussehen? Woran mögen sie in der nächtlichen Stille denken, wenn diejenigen, die sie zum Zug begleitet haben, fern sind, wenn sie keine „Helden“ mehr sind, sondern nur noch „frisches Kanonenfutter“?

In Berlin sind Züge mit Verwundeten eingetroffen. In den Straßen viele Rote-Kreuz-Schwestern. Es scheint, als wäre der Krieg ganz nah, als führte der Stucksche Reiter seine Kunststücke mitten in Berlin vor.11

Mit jedem Tag wird es schwieriger, auch nur Markstücke zu wechseln. Das Silbergeld ist verschwunden. Wir sitzen völlig ohne Geld da. Dies wird für uns alle zum überaus ernsten Problem.

Inzwischen liegt auf der Hand, dass auch die Franzosen für den Krieg gestimmt haben.12 Die deutsche Partei sieht darin eine Rechtfertigung ihres eigenen Verhaltens. Müller ist aber doch vor der Abstimmung aus Paris abgereist! Damals war die Stimmung in Frankreich noch entschieden kriegsfeindlich. Von der Stimmabgabe der deutschen Sozialdemokraten war den Franzosen auch nichts bekannt. Folglich handelten beide Parteien unabhängig voneinander.

Hier verurteilt alle Welt Weill13. Er ist zum glühenden französischen Patrioten geworden. Und dabei war er immer so „gesetzestreu“, schätzte man ihn im Vorstand wegen seiner „Diszipliniertheit“! Liebknecht versichert, dass er Weill noch eher verstehe als Frank und Konsorten.

Die Genossen meinen, dass Frankreich kaum in der Lage sein dürfte, Deutschland ernsthaften Widerstand entgegenzusetzen. In Deutschland sei es um die Truppen bestens bestellt. Große Hoffnungen setze man auf Generale wie Kessel. Der Krieg werde sich wohl kaum in die Länge ziehen.

Rosa Luxemburg missbilligt die Stimmabgabe. Auf der von Liebknecht einberufenen Versammlung war sie jedoch nicht zugegen.

Sofja Borissowna macht sich große Sorgen um ihren Bruder. Er ist Student in Liège. Es heißt, alle russischen Studenten in Liege, sogar die Sozialisten, seien als Freiwillige zur belgischen Armee gegangen. Kaum zu glauben!

Die französischen Truppen sind im Elsass zurückgeschlagen worden. Ein neuer Sieg der Deutschen.

Montenegro hat Deutschland den Krieg erklärt, das ist die achtzehnte Kriegserklärung.

Und nirgends leisten die Arbeiter Widerstand …

15. August.

Wie ich mir gedacht habe, kommt und kommt keine Hilfe von der deutschen Partei. Der „Vorwärts“ brachte am 6. und 7. eine Notiz, dass die schändliche Hetze gegen Ausländer aufhören müsse, dass unter ihnen Genossen, besonders russische, seien. Das ist alles, was im „Vorwärts“ zu finden war.

Wir – Buchholz, Tschchenkeli und ich – entschließen uns, zu dritt zu Haase zu fahren, um uns in drei Punkten mit ihm einig zu werden. Erstens: Besteht Hoffnung, dass die Russen aus Deutschland herausgelassen werden? Wenn nicht, was kann die Partei tun, um den Genossen zu ermöglichen, nach Russland zu gelangen? Zweitens: Was unternimmt die Partei, um die russischen Sozialisten vor Pogromen zu bewahren? Drittens – abermals das Geldproblem.

Haase war diesmal richtig im Zuge, als er uns empfing. Er war guter Dinge und sagte wiederum mit verschmitzt-selbstzufriedenem Lächeln: „Oh, jetzt rechnet man mit uns! Jetzt kommen Sie ohne uns nicht aus!“

„Doch im ,Vorwärts‘ hat bis jetzt noch keine Notiz über die Repressalien gegen die russischen Sozialdemokraten gestanden“, gemahne ich Haase.

„Was soll man da machen! Die Militärzensur! Die Redaktion wartet auf eine günstige Gelegenheit.“

Auf Tschchenkelis Frage nach der Möglichkeit, nach Russland auszureisen, gab Haase eine unerfreuliche Antwort. Man werde wohl kaum Männer im wehrfähigen Alter vor Kriegsende hinauslassen. Doch was hätten die Russen eigentlich zu befürchten? Schließlich seien die Deutschen doch keine Barbaren.

Tschchenkeli versuchte, Haase klarzumachen, warum es ihn eigentlich so sehr nach Russland zieht. Haase war auf einmal ganz Ohr.

„Glauben Sie, dass die Sozialisten den Augenblick nutzen und in Russland einen Protest gegen den Krieg auslösen könnten? Halten Sie Aufstände für möglich?“

Mir behagte dieses plötzliche Interesse nicht, mit dem er uns derartige Fragen stellte. Vielleicht nimmt er an, dass die russischen Sozialisten vorhaben, den Kaiser zu unterstützen?

Tschchenkeli erklärte, wie er sich die Arbeit in Russland vorstelle – Sammlung der gesellschaftlichen Kräfte um die Aufgaben des Krieges und Ausnutzung des Patriotismus für den Kampf gegen die Selbstherrschaft.

Haase hörte Tschchenkeli zu und wurde merklich kühler. Am Ende entbrannte ein Streit über Belgien und Frankreich. Haase suchte zu beweisen, dass die Ursachen des Krieges in der widernatürlichen Allianz des republikanischen Frankreich mit dem monarchistisch-autokratischen Russland liege und Frankreich nun die Früchte seiner grundfalschen Politik ernte.

Als ich versuchte, Haase an die französischen Arbeiter zu erinnern, machte er ein betrübtes Gesicht, wehklagte über die Schwäche der Internationale und erwähnte, dass die französischen Sozialisten für die Kriegskredite gestimmt haben. Die Wand zwischen uns wächst immer mehr in die Höhe …

Wir berichteten Haase, dass die russischen Genossen in unerträglicher Nervenanspannung leben und jederzeit Pogrome erwarten. Da kam wieder Leben in Haase.

„Ja, ja, das wissen wir. Glauben Sie nur nicht, der Vorstand hätte die russischen Genossen vergessen. Obwohl wir mit Arbeit überhäuft sind, haben wir gestern diese Frage erörtert. Und der Vorstand hat beschlossen, im Parteigebäude in der Lindenstraße in zwei leeren Büroräumen Betten aufstellen zu lassen und diese Räume bereitzuhalten. Im Falle eines Pogroms können die russischen Genossen dort sichere Zuflucht finden. Das Haus der Sozialdemokratischen Partei zu demolieren werden die besessenen Patrioten niemals wagen. Die Behörden wollen uns auch keine Unannehmlichkeiten bereiten, folglich werden Sie dort in Sicherheit sein. Der Vorstand hat schon die Mittel für den Kauf von vierzig Betten sowie von Waschbecken bewilligt. Wie Sie sehen, vergessen wir unsere internationalistische Pflicht nicht.“

Tschchenkeli und Buchholz waren mit diesem Beschluss vollauf zufrieden, doch mir schien er utopisch zu sein. Wenn tatsächlich Pogrome begännen, wie sollten die Genossen dann die vorgesehene Zufluchtsstätte erreichen? Und war es zudem so wichtig, einen Unterschlupf zu finden? Meiner Meinung nach ging es um etwas ganz anderes: Wir hatten einen offenen Protest der deutschen Partei gegen Pogrome erwartet. Tschchenkeli fand, dass man das jetzt nicht verlangen könne und dass ich „in höheren Regionen schwebe“.

17. August.

Sofja Borissowna Liebknecht ist furchtbar niedergeschlagen. Die Zeitung hat ein Bild von Karl gebracht, wobei man allerdings zu dem echten Foto eine Uniform dazu montiert hat. In einer Notiz dazu heißt es, Liebknecht habe sich als Freiwilliger an die Front gemeldet. Welche Niederträchtigkeit! Und vor allem, man kann es nicht dementieren.

Liebknecht rechnet damit, dass er eingezogen wird. „Sollte das geschehen, werde ich mich zu den Sanitätern melden“, sagt er.

Er hat einen geradezu körperlichen Widerwillen dagegen, die Rolle eines Kämpfers gegen seine Genossen, französische oder russische Proletarier, spielen zu sollen.

Die deutsche Partei aber gleitet immer tiefer in den Chauvinismus ab. Gibt es die Partei eigentlich noch? Es gibt ein „einiges Deutschland“ …

Dunkle Gerüchte darüber, was in Belgien geschieht, dringen zu uns durch. Die Zeitungen sind eine einzige Prahlerei, ein Sieg nach dem anderen.

„Erinnern Sie unsere Zeitungen nicht auch an Zirkusplakate? Kein Tag ohne neuen Sieg, und nicht einfach ein Sieg, sondern ein ,überwältigender, grandioser‘, beispielloser Sieg. Haargenau wie auf einem Zirkusplakat für eine Galavorstellung“, bemerkt Liebknecht bitter.

Nur mit ihm ist mir noch leicht zumute. Steht doch auch bei den Unsrigen (in der Kolonie) der „Patriotismus“ auf der Tagesordnung, und zwar mit jedem Tag deutlicher und heftiger.

23. August.

In den ersten Tagen quälte mich das Bewusstsein, dass die deutsche Partei zerschlagen ist, dass ihr Ansehen nach einem solchen Verhalten für immer ruiniert sein wird.

Jetzt sehe ich das anders. Mir scheint, dass es so eigentlich besser ist – historisch gesehen. Die Sozialdemokratie war in eine Sackgasse geraten, sie ist nicht mehr schöpferisch gewesen. Alle ihre Aktionen waren schablonenhafte Wiederholungen. Sie war in festgefahrenen Formen erstarrt, ihr fehlte der „lebendige Geist“, es gab keine Weiterentwicklung mehr. Die Macht der Tradition, der Routine hatte begonnen.

Mich hat die ganze Zeit über verblüfft, dass in der Partei keine neuen großen Führerpersönlichkeiten in Erscheinung treten. Das ist ein Zeichen von Stillstand. Die Zeit des Schöpfertums, des Suchens bringt stets markante Persönlichkeiten hervor. Vor zwanzig, dreißig Jahren machte die Sozialdemokratische Partei ihre eigene Politik, und wie viel große Führer gingen damals aus ihr hervor! In den letzten Jahren hingegen niemand. Eine schöpferische Persönlichkeit tritt dann in Erscheinung, wenn es ein Betätigungsfeld für schöpferisches Wirken, wenn es Raum für den „Geist“ gibt. In diesem so bürokratisch gewordenen Milieu jedoch fürchtet man sich inzwischen sogar vor unverbrauchten Gedanken. Gott behüte, nur keine „Kritik“. Was der Vorstand beschlossen hat, ist geheiligt.

Es war nur natürlich, dass die Massen, nicht mehr gewohnt, selbständig zu denken, abzuwägen und sich ein Urteil zu bilden, nach Ausbruch des Krieges treu und brav auf die „Parole“ warteten! Sie belagerten die Ortsvereine – was war zu tun? In den Ortsvereinen wartete man indessen ebenfalls – darauf, was der Vorstand sagen würde. Der Vorstand selbst aber hatte den Kopf verloren. Auch er war „Überraschungen“ nicht gewöhnt.

Ich erinnere mich an die Abende im Café Josty, in Gesellschaft von Heine, Frank und Stampfer – des vielversprechenden „Nachwuchses“. In Wirklichkeit waren sie unglaublich fad und gesetzesfürchtig, folgten sie in allem dem Vorstand. Ohne diesen Gehorsam, ohne diese „Rechtschaffenheit“ konnte man in der Partei keine Karriere mehr machen.

Liebknecht wurde umgangen. Und Rosa? Vor ihr hat der Vorstand ein bisschen Angst gehabt und sie deshalb, wo immer es nur ging, ferngehalten. Jene „Vertreter des Proletariats“ hingegen, die Karrieristen, die für die Klasse niemals auch nur das geringste geopfert haben, hätschelte der Vorstand. Sie wurden als Kandidaten für den Reichstag aufgestellt, als Delegierte zu den Parteitagen gewählt.

Mich erinnern diese „vielversprechenden“ Frank und Stampfer an die „Opferpriester“ aus der Zeit des Niedergangs des Heidentums. Da sitzen sie des Abends im Café Josty und lästern … Diese „Vielversprechenden“ brauchten die Partei als Sprungbrett für einen Abgeordnetensitz. Die Arbeiterbewegung? Sie „macht einen revolutionären Prozess durch“, und die Politik ist im Grunde nichts weiter als ein Spiel. „Alles für die Menge … Wir sind klüger. Und deshalb nehmen wir vor allem unsere persönlichen Interessen wahr.“ So mögen diese kläglichen Karrieristen des Sozialismus gedacht haben. Und davon gab es immer mehr. Keine Selbstlosigkeit, kein qualvolles Suchen nach neuen Wegen, kein ungeduldiges Vorwärtsdrängen der Parteiführer, sondern eine bürokratische Maschinerie, die Vorsicht, Disziplin und schematische Organisation predigte. Wie hätte eine solche Partei dem Krieg Widerstand entgegensetzen können? Wie hätte sie angesichts der Gegenmacht des „patriotischen“ Begeisterungsrausches die Flinte nicht ins Korn werfen sollen?

Der Krieg hat die Partei restlos in eine Sackgasse getrieben, auf dem Wege dorthin war sie allerdings schon vor dem Krieg.

Doch vielleicht kommt es gerade jetzt zur Überprüfung, setzt gerade jetzt Kritik ein und mit ihr Schöpfertum?

Schmerzlich und ärgerlich waren die ersten Tage. Inzwischen fühle ich, dass es so kommen musste. Und dass es besser so ist. Etwas Neues muss her. Eine Neubewertung aller Werte! Dann wird die deutsche Sozialdemokratie nicht mehr mit ihrem unwahrscheinlich schwerfälligen bürokratischen Apparat und ihrer „Mustergültigkeit“, an der wir langsam erstickt sind, auf der Arbeiterbewegung der ganzen Welt lasten …

24. August.

Frau Stube war bei mir, still und traurig. Ich wollte sie nach dem Grund fragen, traute mich aber nicht. Sie fing von selber an:

„Gestern habe ich einen Brief von meinem Sohn bekommen. Er ist verwundet, schreibt aus dem Lazarett. ,Mutter, mach Dir keine Sorgen, die Wunde ist nicht gefährlich … ‚ Den Brief hat aber jemand anders geschrieben. Er bittet um Geld.“

Sie weinte nicht. Der Gram hat die Qualen des Wartens abgelöst. Nun ist es also geschehen. Doch von der Demonstration der Mütter sprach sie nicht mehr.

Als sie weg war, bin ich zu Genossin B. gefahren, einer echten Proletarierin. Sie hat sich immer durch gesunden Menschenverstand ausgezeichnet. Wird etwa auch sie kein Verständnis aufbringen?

Bei B. waren einige andere Genossinnen. Sie alle wollten schnellstens dem „Aufruf“ folgen, Hilfe für die vom Krieg betroffene Bevölkerung zu organisieren.

Ich brachte die Sprache auf die Notwendigkeit einer Arbeiterinnendemonstration. Mögen die Männer ihre Stimme abgegeben haben, die Mütter sollen auch ein Wort mitreden!

„Eine Demonstration? Jetzt? Gegen den Krieg?“ Verwunderte, misstrauische Blicke.

„Das ist unmöglich … Wo doch der Kriegszustand herrscht … Die Massen werden es nicht begreifen … „

Mich bedrückt das Bewusstsein, dass die internationale proletarische Solidarität zerbrochen ist. Was soll nun werden?

„Wir könnten wenigstens ein Manifest herausbringen, unsere ablehnende Haltung zum Krieg darin bekunden und an die Solidarität erinnern; wir könnten gegen die Pogrome protestieren, gegen die Gräueltaten, gegen das Wüten des Chauvinismus, könnten nach Frieden rufen.“

„Das geht nicht. ,Die Gleichheit‘ ist beschlagnahmt. Bei Clara Zetkin hat eine Haussuchung stattgefunden. Der Krieg ist eine Tatsache. Daran ändern auch keinerlei Manifeste oder Aufrufe etwas. Alles, was die Frauen jetzt tun können, ist, die Lage der vom Krieg betroffenen Bevölkerung zu erleichtern, Verpflegungsstellen und Lazarette einzurichten, in Hilfsgemeinschaften mitzuarbeiten.“

„Das ist aber doch gerade das, was die Bourgeoisie predigt. Sie haben vor, in der Richtung tätig zu sein, wie sie das Rote Kreuz anstrebt.“

„Das Rote Kreuz tut jetzt nützliche Dinge“, mischte sich B. belehrend in das Gespräch ein. „Jetzt ist nicht die rechte Zeit, um politische Rechnungen zu begleichen. Deutschland muss gerettet werden. Es hat zu viele Feinde und Neider. Sie können Deutschland seine zu raschen wirtschaftlichen Erfolge nicht verzeihen. Wir schließen bewusst vorübergehend einen Waffenstillstand mit der Bourgeoisie. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir uns von unseren Idealen losgesagt hätten. Sie haben ja gesehen, wie wir den Metallarbeiterstreik durchgeführt und gewonnen haben. Mit einzelnen Unternehmern schließen wir keinen Frieden. Doch vor dem Feind muss Deutschland einig sein.“

Mathilde W., die noch unlängst zu den Radikalen gehört hatte, suchte mir die „Nützlichkeit“ der Arbeit in den sogenannten Damenkomitees mit allen möglichen „Prinzessinnen“ und „Gräfinnen“ zu beweisen. Die „Prinzessinnen“ bekämen dort „Respekt“ vor den Arbeiterinnen. Und die Arbeiterinnen lernten in diesen wohltätigen Organisationen, „Eigeninitiative“ an den Tag zu legen – was könnte es wohl Besseres geben?! Zugegeben, die Not der Proletarier wachse mit jedem Tag, der Hunger werde täglich schlimmer. Doch die Stadtverwaltung habe bereits ein Hilfsprogramm aufgestellt. Die Soldatenfrauen bekämen mehr Unterstützung, den Familien der Einberufenen seien ihre Wohnungen sicher. Mit einem Wort, das kämpfende Deutschland schaffe sich beinahe ein „sozialistisches Paradies“.

„Doch die Arbeiterinnen verlangen schon jetzt Frieden!“

„Ja, sie haben mit dem Krieg nichts im Sinn, doch das kommt daher, weil sie ihn noch nicht begriffen haben. Für den Frieden können wir kämpfen, wenn wir uns gegen einen Einfall der russischen Truppen gesichert haben. Sie dürfen eines nicht vergessen – ein Sieg des Zarismus würde die Zerschlagung der Sozialdemokratie bedeuten.“ Als ob sie nicht ohnehin schon zerschlagen wäre! So trennten wir uns denn – kühl, ohne einander verstanden zu haben.

Ich will keinen Sieg Russlands! Warum wollen sie eigentlich den Sieg des Kaisers?

Liebknecht machte sich über mich lustig: „Wenn Sie die Niederlage Russlands wünschen, sind Sie eine schlechte Internationalistin! Nicht minder wünschenswert ist eine Niederlage Deutschlands.“

Also soll man sich die Niederlage beider wünschen? Nur, wie soll das möglich sein?

31. August. Abends.

Ich bin spät nach Hause gekommen. musste mich für einen Verhafteten einsetzen und habe dann noch einen kranken Genossen besucht.

Ich bin durch den Grunewald gegangen. Er ist jetzt ganz verlassen, wie ausgestorben. Dabei war es ein wundervoller Sommerabend, lau, voller Wohlgerüche.

Ich traf Sofja Borissowna und Karl Liebknecht an. Sofja kommt jetzt oft auf einen Sprung zu uns. Sie sucht gewissermaßen unsere Nähe. Zu den „Patrioten“ haben sie keinen Kontakt. Liebknecht sieht erschöpft aus, überanstrengt. Ihm droht die Einberufung.

Unter den Genossen gibt es bereits Gefallene.

Wir sprechen darüber, in welcher Form die Internationale wiedererstehen soll, sprechen von der Zukunft des Antimilitarismus. Mit Kautsky ist es hoffnungslos. Wurm ist „Patriot“. Ledebour hält sich vorerst noch. Aber Karl meint, je länger der Krieg dauere, um so weniger nüchterne Köpfe würde es geben.

3. September.

Ich muss immerzu an das Schicksal der Sozialdemokratie denken. Da ist es nun zum großen „Sündenfall“ der bedeutendsten Arbeiterpartei gekommen. Und das Ergebnis? In der Politik spielt sie keine Rolle mehr. Man hört nichts von ihr. Die Ereignisse gehen über ihren Kopf hinweg.

Der Vorstand hatte geglaubt – zumindest hat er uns das versichert –, dass sich die Partei durch einen „Burgfrieden“ mit der kaiserlichen Regierung enormen Einfluss auf das weitere Geschehen verschaffen würde. Doch da hatte er sich verkalkuliert.

Die Phrase vom „einigen Deutschland“ ist eben doch kein leeres Geschwätz. Niemand bemüht sich so sehr wie die Sozialdemokratie, die Illusion eines völligen Aufgehens aller Parteien in der chauvinistischen Ekstase zu schaffen.

Auf Versammlungen in den Ortsvereinen finden sich auch jetzt noch einige Wagemutige, die die Haltung der Partei tadeln und an die in Vergessenheit geratenen Losungen der Klassenpolitik erinnern. Sie drohen, nach dem Krieg „Abrechnung zu halten“. Doch sie werden zum Schweigen gebracht. Und nicht einmal von der Parteiführung, nein, von den Arbeitern selbst, die mit dem gerissenen Spiel von der „Einigkeit“ übertölpelt worden sind.

Liebknecht war dieser Tage in Döberitz, um dort die Grausamkeiten zu untersuchen, die Wachmannschaft und Soldaten an den Gefangenen verübt haben. Er wurde mit freudigen Rufen begrüßt: „Es lebe Genosse Liebknecht!“ Wie sich herausstellte, war er von den Arbeitern des Wahlkreises Potsdam gewählt worden.

Was tun die Gewerkschaften? Sie sind damit beschäftigt, ihre Kampffonds für die Unterstützung von „Kriegsopfern“ zu verwenden.

Streiks? Ja, es gibt auch Streiks – ökonomische. Aber ganz streng örtlich begrenzt, kraftlos, gleichsam „verlegen“ darüber, dass es sie trotz allem überhaupt gibt.

Die Gewerkschaften sind gemeinsam mit der Partei bemüht, die Löcher, die der Krieg in sozialer und materieller Hinsicht mit jedem Tag mehr in den gesellschaftlichen Organismus reißt, zu stopfen.

In der russischen Kolonie wird bewundert, wie es die Sozialdemokraten immer wieder fertigbringen, in jeder Situation den „springenden Punkt“ für die Arbeit zu finden. Man begeistert sich für den Kampf um die Erhöhung der Unterstützungen für die Familien, deren Männer eingezogen sind, für die Einrichtung von Garküchen, für die Sorge um die Kinder. Der reinste Opportunismus! Die Unsrigen14 nennen dies indessen „vernünftiges Anpassungsvermögen“.

Von der Partei als einem politischen Ganzen, das eine bestimmte Politik betreibt, hört man kein Wort. Der „Vorwärts“ druckt die bürgerlichen Zeitungen nach. Der einzige Unterschied ist, dass die Meldungen mit einem Tag Verspätung kommen.

Kein einziger Protest. Es herrscht Ruhe und Eintracht! Weder spontane Ausbrüche bei der Einberufung noch Verweigerung derselben.

Über dieses Thema habe ich gestern lange mit Liebknecht gesprochen. Auch er leidet unter diesem allgemeinen abgestumpften Denkvermögen, unter diesem frevelhaften Übermaß an Disziplin.

Der Krieg wird populär. Dabei ist es in den ersten Tagen nicht so gewesen. Wer trägt die Schuld?

Die deutsche Partei hat schwer gesündigt, als sie zuließ, dass der Krieg populär wurde. Hätte sie vom ersten Tage an eine kritische Haltung eingenommen, wäre sie nicht vom internationalistischen Kurs abgewichen, wäre es niemals dazu gekommen.

Der „Vorwärts“ ist unglaublich tief gesunken. Bringt er doch von einem gewissen Schagrin (offenbar ein Pseudonym) eine Reihe unerhörter, verlogener Artikel über Russland! Die russischen Arbeiter werden bezichtigt, Gräueltaten zu verüben. Wir haben die Redaktion unverzüglich auf die Unzulässigkeit solcher Artikel hingewiesen. Die Redaktion gab uns zur Antwort: „Der Abdruck war ein Versehen.“

Ein „Versehen“ – trotz Militärzensur? Und die chauvinistischen Artikel Bernsteins – sind die auch ein „Versehen“?

Sie prahlten: „Dafür darf der Vorwärts‘ jetzt auch auf Bahnhöfen verkauft werden.“

„Hätte man schon vor dem Krieg in diesem Ton geschrieben, wäre der ,Vorwärts‘ längst an Bahnhofskiosken verkauft worden“, erwiderte ein Genosse treffend.

Sie brüsten sich damit, dass Mitglieder der Partei ebenso wie die Ultrarechten in alle möglichen Ausschüsse und Kommissionen gewählt werden. Sie sehen das als einen „Sieg“ an.

„Das ist ein Sieg, der die Partei bereits jetzt die faktische Zerschlagung der Organisationen und den Verlust ihres Ansehens in der Internationale kostet“, stellen die wenigen internationalistisch gesinnten Oppositionellen voller Bitterkeit fest.

Wenn doch nur jemand auf den Gedanken käme, eine illegale Zeitung herauszugeben oder auch nur ein Flugblatt! Liebknecht meint, dass das keinen Sinn habe, dass für Deutschland offenes Auftreten wichtiger sei.

Es ist bezeichnend, dass die Deutschen die Franzosen wegen deren Stimmabgabe nicht verurteilen. Sie verwundert und empört auch nicht der Eintritt von Guesde und Sembat15 ins Ministerium oder die Beteiligung Vanderveldes an der Regierung16. Uns hat die Sache mit Guesde schmerzlich berührt. Wir wollten es lange nicht glauben. Die deutschen Sozialdemokraten dagegen halten das für „natürlich“. Vielleicht liebäugelt auch Haase mit einem Ministerposten? Suchen sie womöglich im Verhalten der romanischen Sozialisten eine indirekte Rechtfertigung für sich selbst? Bereiten sie für sich eine „Amnestie“ in der Internationale nach dem Krieg vor?

Nur einzelne Stimmen, aber beileibe keine Internationalisten, sondern ausgerechnet die eingefleischtesten „Patrioten“ bezichtigen Guesde des Verrats. Des Verrats woran? „An der Solidarität mit Deutschland“, mit dem „armen Deutschland“, das so heimtückisch überfallen wurde.

Ein merkwürdiges Durcheinander herrscht in den Köpfen. Von der Französischen Republik heißt es verächtlich, sie sei „durch und durch verrottet“. Russland will man vom Joch des Zarismus „befreien“ – mit Kanonenschüssen, mit Massenmord an russischen Arbeitern und Bauern.

Und das passiert in einer Partei, die in all diesen Jahren unwahrscheinlich viel Energie darauf verwendet hat, in ihren Reihen die „Reinheit der Prinzipien“ zu erreichen. In einer Partei, die Mitglieder, deren Ansichten „nicht rein“ genug waren, hinaus feuerte (was war doch der arme Hildebrand für ein zahmer „Patriot“ – verglichen mit Scheidemann, mit Wendel oder mit Ebert). In einer Partei, die sowohl nach rechts, aber vor allem nach links schlug, um ein „prinzipielles Gleichgewicht“ zu finden und die „Reinheit“ der Weltanschauung zu bewahren.

Mit dem der Regierung entgegengebrachten „Vertrauen“ hat sich die Partei Hände und Füße gebunden. Jetzt bleibt ihr nur noch die Talfahrt.

5. September.

Ich habe Rosa Luxemburg getroffen. Obwohl es ein kurzes Wiedersehen war, hat es mir neue Kraft gegeben. Rosa hat einen klaren Kopf behalten. Ihr erbarmungsloser Sarkasmus rückt vieles ins rechte Licht.

Illegale Arbeit hält sie für verfrüht. Beratungen im kleinen Kreis gebe es schon. Die Verbindungen zu den Massen halte sie weiter aufrecht. In Einzelgesprächen zeigten sich die Arbeiter auch jetzt keineswegs vom Krieg begeistert.

Ich verweise auf die Rolle, die die Frauen angesichts der zunehmenden Teuerung spielen können. Rosa stimmt mir zu. Sie erzählt von Clara. Guesde verurteilt sie. Von Vandervelde habe sie nichts anderes erwartet.

12. September.

Es ist beschlossene Sache: Morgen in aller Frühe werden wir Berlin verlassen. Das kam ganz unerwartet. Plötzlich stürmte Henriette Derman mit der Nachricht herein, in der Kommandantur hätten sich die Russen versammelt, die ausreisen würden. Es sei die Anordnung gekommen, Frauen, Kinder und Kranke mit der Staatsangehörigkeit der Entente-Mächte in Sonderzügen aus Deutschland hinauszubringen. Doch offenbar würden nicht nur Kranke und Frauen herausgelassen. Henriette war in der Kommandantur Tschchenkeli und Sasonow begegnet, die ihr ihre Passierscheine und Fahrkarten gezeigt hatten. Der erste Zug gehe morgen. Henriette war empört über die Desorganisation der Kolonie, über das „unkameradschaftliche“ Verhalten.

Wir gingen sofort ans Werk. Sind zu Larin in die Wohnung gefahren und haben alle, die wir erreichen konnten, benachrichtigt. Wir haben noch andere mobilisiert, damit die Abreise „planmäßig“ erfolgt. Auch die Ausreisebedingungen haben wir geklärt: Man braucht ein ärztliches Attest darüber, dass man krank und für den Militärdienst völlig untauglich ist.

Gleich am Morgen gingen wir in die Kommandantur. Am Tor drängten sich eine Menge Russen – nicht Hunderte, sondern Tausende. Die Polizei versuchte vergebens, Ordnung zu schaffen. Es gab fürchterliches Gedränge, Tränen, Ohnmächten.

Ein Schreiben von Fuchs, diesem Hansdampf in allen Gassen, öffnete das ersehnte Tor.

Ein Spalier von Wartenden. Fuchs war da. Er erteilte Anordnungen. Auch Heine und Witt waren zugegen.

Ich habe zwei ärztliche Atteste. Nun bekomme ich zwar zwei Passierscheine, doch nur eine Fahrkarte. Die Züge sind überfüllt. Ich treffe Genossen, sie murren: „Warum bekommen die einen Fahrkarten, andere dagegen nicht?“ Sie sind mit dem „Ausschuss“ unzufrieden, erheben Vorwürfe.

Henriette legt Fürsprache ein, schlichtet.

Der erste Zug fährt morgen. Mein Sohn und ich haben eine Fahrkarte für Montag.

Wahrscheinlich werden wir auf den nächsten Schub warten müssen. Man munkelt, dass die Züge nur an den nächsten drei Tagen fahren werden, dann sei erst einmal Schluss damit. Keine besonders schöne Aussicht. Vor allem jetzt nicht, da die Genossen wegfahren.

In diesem Bewusstsein habe ich eine lange, schlimme Nacht verbringen müssen. Früh kam Henriette mit zwei Fahrkarten für den morgigen Zug. Sie war empört: Wieso sollte ich dableiben? Das komme gar nicht in Frage! Und sie hat es geschafft! Wie stets ist Henriette eine echte Kameradin!

Gestern Abend haben wir bei Larin beschlossen, vor der Abreise noch einmal mit den Mitgliedern des Vorstands zusammenzukommen, um etliches mit ihnen zu besprechen: Wie wird die weitere Politik der Partei aussehen? Welche Einstellung hat man zu Annexionen? Welche Perspektiven gibt es im Hinblick auf die Internationale? Beabsichtigt man, Verbindungen zu den Parteien der Entente-Mächte anzuknüpfen? Ist man gewillt, Kontakte zur russischen Partei zu unterhalten?

Es wurde beschlossen, mit aller Entschiedenheit zu fragen, wie die beiden entgegengesetzten Taktiken in Bezug auf den Krieg, die deutsch-französische (die Kriegskreditbewilligung) und die russische, miteinander in Einklang zu bringen seien.17 Wir trugen die Resolutionen von internationalen Kongressen und nationalen Parteitagen zu der Haltung, die die Sozialisten angesichts drohender Kriegsgefahr einnehmen sollten, zusammen und entschieden, dass wir uns auf die Basler Resolution18 stützen wollten.

Die Zusammenkunft hat heute Vormittag stattgefunden. Eigentlich wollten wir den Ton sachlicher Information anschlagen. Doch dann konnten wir nicht an uns halten, so dass die Leidenschaften entbrannten. Eröffnet wurde die „Attacke“ von Larin. Tschchenkeli fragte unverblümt:

„Also gut! Sie kämpfen gegenwärtig Ihrer Überzeugung nach ,im Interesse der Demokratie und der russischen Arbeiter‘ gegen die russische Selbstherrschaft. Na schön! Doch stellen Sie sich einmal vor, in Russland bricht eine Revolution aus. Unter dem Einfluss des Krieges ist das nicht ausgeschlossen. Finanzkrise, Teuerung, Unzufriedenheit der Bauern … Mit einem Wort, in Russland kommt es zum Umsturz. Russland wird Republik. Die Selbstherrschaft ist abgeschafft. Alle Freiheiten sind eingeführt. Was würden Sie dann tun? Wie würde Ihre Antwort ausfallen, wenn wir Sie aufforderten, unser Territorium zu verlassen?“

Die Antwort des Vorstands ist ausweichend. Haase versichert, dass die Partei ihre „internationalistische Position“ nicht aufgeben werde. Er begrüßt im Namen des Vorstands den Vorschlag der russischen Genossen, „Kontakte“ zwischen den Parteien herzustellen. Die übrigen Mitglieder des Vorstands schweigen sich aus.

Wir erfahren, dass ein Manifest der Partei vorliege, in dem gegen die Annexion Belgiens protestiert und ganz generell eine Trennungslinie zwischen dem Standpunkt der Sozialisten und dem der bürgerlichen Parteien gezogen werde: Die Sozialisten seien für den Krieg, wenn es um die Verteidigung des Landes gehe, die Sozialisten seien gegen den Krieg, wenn dieser zum Eroberungskrieg werde.

Doch wo verläuft sie, diese Grenze?

Wir debattieren heftig, ohne zu einem Ergebnis zu gelangen.

Der Abschied fällt recht förmlich aus. Allerdings sind wir entschlossen, uns über neutrale Länder gegenseitig zu informieren und nach Möglichkeit die Kontakte aufrechtzuerhalten …

Heute sind alle guter Dinge. Kein Wunder. Schließlich geht die Gefangenschaft ihrem Ende entgegen. Schluss mit der quälenden Untätigkeit.

„Sobald ich wieder in Russland bin, gehe ich zu den Krankenschwestern“, erklärt die Frau von Gordon. Wie? Ich höre wohl nicht richtig!

„Sie, eine Bolschewikin, wollen zu den Krankenschwestern?“

Sasonow unterstützt sie. Im Augenblick sei reale Arbeit vonnöten.

„Für den Krieg?“

„Was heißt hier – für den Krieg? Wir müssen die Stimmung nutzen und die gesellschaftlichen Kräfte um ein lebendiges Werk scharen, als Gegengewicht zur Beamtenherrschaft.“

„Das heißt, die Fehler der deutschen Sozialisten wiederholen!“

Und wieder streiten wir uns. In der Kolonie stimmen mir nur die Dermans zu. Die übrigen sind fast alle insgeheim russische „Patrioten“, mit welchen Phrasen sie dies auch immer zu verbergen suchen. U. hat sich eine Karte besorgt, auf der er mit Fähnchen den jeweiligen Verlauf der Kriegshandlungen absteckt.

Die Kommandantur hat strikten Befehl erlassen, weder Manuskripte noch Bücher oder Briefe aus Deutschland mitzunehmen.

Was soll ich nur ohne „Produktionsinstrumente“ anfangen?

Auf jeden Fall werde ich meine mir ans Herz gewachsenen Tagebücher mitnehmen. Wenn es mir hier gelungen ist, sie so zu verstecken, dass sie der Polizei nicht in die Hände gefallen sind, werde ich sie wohl auch noch über die Grenze schmuggeln können!

16. September. Morgens.

Eben habe ich die Liebknechts angerufen, um diesen guten Freunden noch schnell Lebewohl zu sagen. Ob wir uns wohl wiedersehen? Und wann? Unter welchen Umständen? Ich kann es gar nicht fassen, dass die Gefangenschaft in Untätigkeit ein Ende hat. Morgen schon werden wir auf neutralem Boden sein. Morgen werde ich endlich erfahren, was unsere Parteizentren denken und unternehmen. Morgen werde ich Nachrichten aus Russland lesen, die nicht durch die Zensur der Generäle vom Schlage eines Kessel gegangen sind.

Meine Arbeit wird es sein, Kräfte zu sammeln. Die Losung lautet: Krieg dem Kriege! Ich bin überzeugt, dass man mit Unterstützung der „neutralen“ Genossen noch vieles tun kann. Wie in der Kindheit vor einem Fest kann ich es kaum erwarten: Wenn doch schon morgen wäre!

Ein sonniger, doch schon herbstlicher Morgen. Meine geliebten Kastanien vorm Fenster bekommen schon gelbe Blätter. Der Himmel ist hoch, von herbstlich klarer Bläue.

In zwei Stunden wird uns der Zug aus Berlin, aus Deutschland wegbringen …

Ich blicke aus dem Fenster. Ich nehme nicht nur von einer ganzen Etappe meines eigenen Lebens, sondern von etwas Größerem, viel Größerem, etwas Wichtigerem Abschied.

Wird die Welt wohl nach dem Krieg anders sein? Und wie wird sie sein? Blumen. Von der Pensionswirtin.

Leb wohl, Berlin! Leb wohl, du einst so heiß geliebte Partei, die du mir nun so fremd geworden bist. Mein Blick löst sich ohne Tränen von der Vergangenheit. Ich blicke vorwärts, in die Zukunft …

1 Am 27. und 28. Juni 1914, unmittelbar vor Kriegsbeginn, hatte es in Paris und Umgebung wie auch in den großen Industriezentren und anderen Gegenden Frankreichs Protestkundgebungen gegen den Krieg gegeben.

2 „Vorwärts“ – Tageszeitung, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands; erschien von 1890 bis 1933.

3 Gemeint ist das Internationale Sozialistische Büro (ISB), das ständige Exekutiv- und Informationsorgan der II. Internationale, das 1900 gebildet worden war. Mit Kriegsbeginn wurde es zu einem willigen Werkzeug der Sozialchauvinisten.

4 Jean Jaurès – einer der Begründer der Sozialistischen Partei Frankreichs; er wurde am 31. Juli 1914 von Villain, eine in Handlanger der Reaktion, wegen seines Aufrufs, gegen den Krieg zu kämpfen, ermordet.

5 Am 3. August 1914 fand eine Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion des Reichstags statt, auf der folgender Beschluss gefasst wurde: „Für die von der Regierung geforderten Kredite stimmen und diesen Beschluss mit der Verlesung einer Erklärung zu motivieren.“ Trotz der Meinungsverschiedenheiten, die es innerhalb der Fraktion zu dieser Frage gab, wurde beschlossen, im Reichstag geschlossen abzustimmen. Am 4. August stimmte die sozialdemokratische Fraktion des Reichstags zusammen mit den bürgerlichen Parteien Deutschlands dafür, der kaiserlichen Regierung fünf Milliarden Mark für Rüstungsausgaben zu bewilligen. Damit verriet die deutsche Sozialdemokratie, die führende Partei der II. Internationale, im Augenblick des Kriegszustandes die Interessen des Proletariats, denn sie machte sich zum Verteidiger ihrer imperialistischen Regierung.

6 Gemeint ist die Delegierung Alexandra Kollontais zum Internationalen Frauenkongress, der im Sommer 1914 in Wien in Zusammenhang mit der geplanten Einberufung des nächsten Kongresses der II. Internationale stattfinden sollte.

7 Gemeint ist die Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion, die auf der Abendsitzung des Reichstags am 4. August 1914 von Hugo Haase, dem Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, verlesen wurde.

8 Gemeint sind die 14 Mitglieder der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, die sich in der Sitzung am 3. August gegen die Bewilligung der Kredite ausgesprochen hatten. Mit 97 Mitgliedern hatte sich die Mehrheit der Fraktion dafür ausgesprochen, der Regierung einen ersten Kriegskredit in Höhe von fünf Milliarden Mark zu bewilligen.

9 „Die Gleichheit“, das Organ der deutschen Linken, stellte auch während des Krieges ihr Erscheinen nicht ein. Bereits am 5. August 1914 rief sie in ihrem Leitartikel die Arbeiterklasse Deutschlands zum Massenprotest gegen den Krieg und zur Solidarität mit den Proletariern aller Länder auf. Sie forderte die Arbeiter auf, es den russischen Genossen gleichzutun.

10 Am 4. August überschritten deutsche Truppen die belgische Grenze und rückten auf die Festung Liège vor. Durch den heldenhaften Widerstand, den die verhältnismäßig kleine Garnison der Festung, insbesondere ihrer Forts, elf Tage lang leistete, konnte der Vormarsch der um ein Vielfaches überlegenen Kräfte des Gegners jedoch aufgehalten werden, wodurch das französische Oberkommando die erforderliche Umgruppierung der Kräfte für die weitere Kriegführung vornehmen konnte.

11 Als „Stuckschen Reiter“ bezeichnet Alexandra Kollontai offensichtlich ein bekanntes Werk des deutschen Malers Franz von Stuck (1894). Das Gemälde zeigt einen Reiter, der auf einem riesigen Pferd unter unheilschwangerem Himmel imposant dahin jagt. Das Ross stampft über nackte menschliche Leiber hinweg, mit denen die Erde übersät ist.

12 Die opportunistischen Führer der Französischen Sozialistischen Partei stimmten am 4. August 1914 im Parlament einmütig für die Kriegskredite, für die Verhängung des Kriegszustandes und die Einführung der Militärzensur, für das Verbot von Streiks, Versammlungen usw.

13 Deutscher Sozialdemokrat, Elsässer, der sich bei Kriegsbeginn in Paris aufhielt.

14 Gemeint sind die Menschewiki A. I. Tschchenkeli, J. Larin (M. A. Lurje) und andere, mit denen Alexandra Kollontai zusammen war.

15 Ende August gingen die französischen Sozialisten Jules Guesde und Marcel Sembat, etwas später auch Albert Thomas, in die imperialistische Regierung Frankreichs (Ministerium für „nationale Verteidigung“). In den Ministerien und den städtischen Selbstverwaltungsorganen begannen Sozialisten und führende Gewerkschaftsfunktionäre ebenfalls, der Bourgeoisie aktiv bei der Kriegführung zu helfen.

16 Emile Vandervelde, der Führer der belgischen Sozialisten und Vorsitzende des Internationalen Sozialistischen Büros der II. Internationale, trat zu Beginn des Krieges der belgischen Regierung bei und übernahm das Amt des Justizministers.

17 Die Partei der Bolschewiki war die einzige sozialdemokratische Partei, die von den ersten Tagen an aktiv gegen den imperialistischen Krieg protestierte. Im Ausland formulierte W. I. Lenin präzis die Losungen der revolutionären Sozialdemokratie, während in Russland selbst die Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion in der Reichsduma eine gegen den Krieg gerichtete Deklaration verlasen und den Vorschlag Vanderveldes, sich am Burgfrieden zu beteiligen, mit einer Absage beantworteten. Im Zentrum und auf örtlicher Ebene wurden viele gegen den Krieg gerichtete Flugblätter herausgegeben.

18 Gemeint ist das Manifest gegen den Krieg, das 1912 auf dem Außerordentlichen Sozialistenkongress der II. Internationale in Basel angenommen wurde.

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