Lynn Walsh: Wohin geht die Weltwirtschaft?

[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today Nr. 134, Dezember 2009 – Januar 2010]

Geht der schlimmste wirtschaftliche Abschwung der Nachkriegszeit zu Ende? Sind die ersten grünen Triebe einer Erholung wirklich sichtbar, wie uns viele Politiker*innen glauben machen wollen? Die Meinungen gehen auseinander, einige Kommentator*innen machen bereits den Countdown für die nächste Krise. Klar ist, dass dies eine Zeit akuter wirtschaftlicher Instabilität ist. Jegliches Wachstum wird wahrscheinlich langsam sein, wobei Regierungen und Großunternehmen versuchen werden, die Kosten auf die Arbeiter*innenklasse abzuwälzen. Lynn Walsh berichtet.

Der Weltkapitalismus wurde durch die sich seit Ende 2007 entfaltende Wirtschaftskrise in seinen Grundfesten erschüttert. Niemand bestreitet, dass es die schlimmste Krise seit den 1930er Jahren ist. „Der Abschwung war in den Ausmaßen global“, kommentiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), ein Zusammenschluss von 30 fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, „auch wenn sein finanzielles Epizentrum im OECD-Raum war. Tatsächlich führten Handels- und Finanzverbindungen zu einem synchronisierten Zusammenbruch von Wirtschaftstätigkeit und Handel, nachdem die Finanzmärkte in der zweiten Hälfte des Jahres 2008 einfroren.“ (OECD-Pressemitteilung, 24. Juni 2009)

Der Welthandel, der Motor der Globalisierung, brach zusammen, und für 2009 wird ein Rückgang von 16% erwartet. Die kumulierten Produktionsverluste seit Anfang 2008 waren erheblich: minus 5,14% für die OECD-Länder in Europa, minus 8,4% für Japan, minus 3,55% für die USA, mit einem OECD-Durchschnitt von minus 4,7%. In Großbritannien betrug der kumulierte Verlust minus 5,54%, und die Rezession könnte länger andauern als in den meisten anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Irland und Island haben kumulierte Verluste von etwa minus 9% der Produktion erlitten, während die Türkei um minus 13,92% gefallen ist. (Quelle: Amt für nationale Statistik, Wirtschafts- und Arbeitsmarktbericht [Office for National Statistics, Economic and Labour Market Review], Oktober 2009) In einigen mittel- und osteuropäischen Ländern gab es einen noch tieferen Fall: 18,4% in Litauen, 16% in Lettland, 14% in der Ukraine und 13,2% in Estland.

Die Wirtschaftskrise ist auch ein schwerer politischer Schlag für den Kapitalismus, besonders für das Ansehen der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder. „Der Finanz- und Wirtschaftskrach von 2008, der schlimmste seit über 75 Jahren, ist ein großer geopolitischer Rückschlag für die Vereinigten Staaten und Europa.“ (Roger Altman, The Great Crash 2008, Foreign Affairs, Jan./Feb. 2009)

Die führenden Vertreter*innen des Weltkapitalismus trösten sich damit, dass sie eine „Nahtoderfahrung“ überstanden haben und „nur“ eine „große Rezession“ statt einer „großen Depression“ – einen katastrophalen Wirtschaftseinbruch und eine lang anhaltende Depression – durchleben. Sie wurden durch das Wiederaufleben des Wachstums in den USA (3,5% im dritten Quartal) und die Erholung an den Weltbörsen ermutigt. Ihr Optimismus ist jedoch verfrüht. Die Einschätzungen der wichtigsten Wirtschaftsinstitute wie der OECD, des IWF usw., dass die Erholung „langsam und fragil” verlaufen wird, bleiben gültig.

Die Rückkehr zum BIP-Wachstum, das in diesem Jahr in Europa und Japan wahrscheinlich sehr begrenzt sein wird, hängt stark von staatlichen Interventionen durch Unterstützung für das Bankensystem und fiskalischen Konjunkturprogrammen ab. Viele kapitalistische Kommentator*innen befürchten, dass, wenn die Programme ausgelaufen sind (und wenn es keine weiteren Konjunkturprogramme gibt) die Weltwirtschaft erneut in eine Rezession zurückgleiten und es zu einer sogenannten Double-Dip-Rezession kommen wird.

Ungeachtet der Rückkehr zu positiven Wachstumszahlen wird die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr oder so weiter stark ansteigen. Selbst nach offiziellen Zahlen, die die tatsächliche Lage unterschätzen, wird es einen Anstieg von über 25 Millionen Arbeitslosen gegenüber dem Tiefpunkt Ende 2007 geben. Obendrein wird jede Erholung durch die enorme Schuldenlast gebremst, die auf der Weltwirtschaft lastet. Die von den Banken und Finanzhäuser gemachten riesigen privaten Verluste wurden auf den Staat übertragen, während die allgemeine Zuführung zusätzlicher Kredite in das System durch die Zentralbanken auch Staatsdefizite erhöhen wird. Die fiskalischen Konjunkturprogramme werden auch die Staatsverschuldung enormen erhöhen, was als Bremse für künftiges Wachstum wirken wird. Die von vielen führenden kapitalistischen Vertreter*innen gepriesenen „grünen Triebe” der Erholung sind in den meisten Fällen kränkliche Unkräuter, die auf kargem Boden wachsen.

Können die Konjunkturpakete funktionieren?

Massives staatliches Intervenieren hat bisher einen katastrophalen Zusammenbruch und einen lang anhaltenden Wirtschaftseinbruch verhindert. Die führenden Vertreter*innen der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder vermieden die Fehler, die ihre Gegenstücke nach dem Crash von 1929 begangen hatten, als sie daneben standen und das System zusammenbrechen ließen. Bei dieser Gelegenheit griffen sie in beispiellosem Ausmaß ein. Die Vereinten Nationen (World Economic Situation and Prospects [Weltwirtschaftslage und Aussichten] 2009) schätzen, dass Regierungen weltweit rund 18 Billionen Dollar (oder etwa 30% des Weltbruttoprodukts) aufgewendet haben, um die Banken zu retten und das Finanzsystem zu stützen. Gleichzeitig haben die großen kapitalistischen Länder Konjunkturprogramme in Höhe von insgesamt etwa 2,6 Billionen Dollar (etwa 4% der weltweiten Produktion) aufgelegt, die im Zeitraum 2009-11 ausgegeben werden sollen. Der UN-Bericht kommentiert jedoch, dass es in Wirklichkeit ein Konjunkturpaket in Höhe von 2-3% des weltweiten Bruttosozialprodukts pro Jahr erfordern würde, um den geschätzten Rückgang der globalen Gesamtnachfrage auszugleichen.

Es ist wahrscheinlich, dass es für die großen Wirtschaften günstigstenfalls fünf Jahre oder länger brauchen werden, um die Verluste von 2008-09 auszugleichen. Die OECD erkennt an, dass es ein Wachstum der strukturellen Langzeitarbeitslosigkeit geben werde und dass der Kapitalstock langfristig wahrscheinlich zurückgehen werde, was die Produktionskapazität der großen Wirtschaften verringern werde.

Die Rückkehr zu positivem Wachstum in den USA, der größten Wirtschaft der Welt, und das anhaltende Wachstum in China (das in diesem Jahr voraussichtlich bei etwa 9% sein wird) waren wichtige Faktoren für die begrenzte Erholung der Weltwirtschaft (siehe Kasten). Die Rückkehr zum Wachstum in den USA liegt fast ausschließlich am Konjunkturpaket (siehe Kasten). Angesichts des anhaltenden Anstiegs der Arbeitslosigkeit und der wachsenden Schuldenlast, vor der die Mehrheit der Erwerbstätigen steht, wird die Wirtschaft ohne ein neues Konjunkturpaket zurückrutschen. Barak Obama betont jedoch derzeit eher die Notwendigkeit, das Defizit der Bundesregierung zu reduzieren, als auf ein neues Konjunkturpaket zu drängen. Die US-Verbraucher*innennachfrage nach Industrieprodukten (die über 70% der US-Wirtschaft ausmachen) ist immer noch ein entscheidender Faktor für die weltweite Produktion und den Handel. Ein schwaches oder negatives Wachstum in den USA bedeutet Krise für große Exporteur*innen wie China, Japan und wichtige europäische Hersteller*innen wie Deutschland.

Das Wachstum in China wurde auf der Grundlage einer massiven Staatsinterventionen mit einem Paket von Ausgaben und Krediten in Höhe von 585 Milliarden Dollar aufrechterhalten. Dies spiegelt die wichtige Rolle wider, die der Staat trotz des jüngsten Wachstums des privaten Kapitalismus nach wie vor in der chinesischen Wirtschaft spielt. Der Großteil der Ausgaben ist jedoch in Infrastrukturprojekten und nicht in der Erhöhung der Löhne und des Lebensstandards der breiten Masse der Arbeiter*innen und Bäuer*innen konzentriert. Das chinesische Regime rechnet weiterhin auf eine Belebung seiner Exportmärkte in den USA und Europa.

Eine neue Blase?

Ein Großteil des Optimismus unter Investmentbanker*innen und Wirtschaftskommentator*innen wegen der „grünen Triebe einer Erholung” kommt von der Erholung der Aktienkurse seit März 2009 (ein Anstieg um rund 60% gegenüber dem Tiefpunkt, wenn auch immer noch rund 25% unter dem vorherigen Höchststand). Es gibt einen besonderen Enthusiasmus unter Spekulant*innen im Bezug auf Finanzanlagen (Aktien, Anleihen, Immobilien, Rohstoffe usw.) und Investitionen in sogenannte „Schwellenländer”, d.h. Wirtschaften wie China, Südostasien, Brasilien usw.

Der Abschwung war in diesen Wirtschaften nicht so schwer wie in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Aber der Hauptgrund für den Investitionsboom sind die phänomenalen Profite, die auf der Grundlage billiger Kredite erzielt werden können. Banken, Hedgefonds und andere Finanzinstitute schwimmen als Ergebnis der staatlichen Rettungsmaßnahmen in den USA, Großbritannien und Europa im Geld. Obendrein können sie auf der Grundlage staatlicher Garantien für ihre Vermögenswerte Geld zu sehr niedrigen Zinssätzen aufnehmen. Im Allgemeinen sind sie nicht zu einem normalen Niveau der Kreditvergabe an Unternehmen zurückgekehrt, sodass das Geld in spekulative Aktivitäten gelenkt wurde.

Die quantitative Lockerung der Federal Reserve Bank und anderer Zentralbanken hat die Liquidität der Finanzinstitute gewaltig erhöht. Vor allem auf der Grundlage des Gelddruckens (statt des Ausgebens von Staatsanleihen, das eine Form von Kreditaufnahme ist) kauft die US-Notenbank US-Staatsanleihen, hypothekenbesicherte Wertpapiere und verschiedene andere Formen verbriefter Schulden für bis zu 1.800 Milliarden US-Dollar. Dies stellt eine massive Liquiditätsspritze in den Finanzsektor dar. Angesichts der relativ niedrigen Zinsen, die mit Staatsanleihen erzielt werden können, nutzen die Finanzhäuser ihre Kredite, um in Aktien, Rohstoffe und andere rentablere Vermögenswerte zu investieren.

Zu dieser Liquiditätsspritze kommt noch der Wertverlust des US-Dollars hinzu. Paradoxerweise stieg der Dollar trotz des Abschwungs in den USA im Jahr 2008 im Wert, vor allem weil Regierungen und Spekulant*innen international US-Staatsanleihen als „sicheren Hafen” für ihr Geld betrachteten. Aber seit März ist der Dollar recht schnell gefallen. Durch „Leerverkäufe” des Dollars (eine Möglichkeit, vom Wertverlust des Dollars zu profitieren) konnten Spekulant*innen effektiv Dollar zu negativen Zinssätzen (bis zu 10% oder 20% negativ auf Jahresbasis) leihen. Sie nutzen dann das Geld, um Aktien, Anleihen, Rohstoffe, Devisen usw. sowohl in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern als auch in den halb entwickelten Ländern (Schwellenländern) zu kaufen. Spekulant*innen in diesen Märkten konnten mit diesen kurzfristigen, spekulativen Investitionen Profite zwischen 50 und 70% erzielen.

Diese leichten Profite stellen zweifellos eine „Erholung” für Spekulant*innen dar. Aber diese neue Blase stellt keineswegs eine echte Erholung der US- oder der Weltwirtschaft dar.

„Eines Tages”, warnt Nouriel Roubini, „wird diese Blase platzen und zum größten koordinierten Vermögenswertverfall aller Zeiten führen”. (Mother of All Carry Trades Faces an Inevitable Bust [Die Mutter aller Carry-Trades steht vor einer unvermeidlichen Pleite], „Financial Times“, 1. November) Früher oder später wird der Dollar aufhören zu fallen, und Spekulant*innen werden nicht mehr in der Lage sein, Kredite zu so hohen Negativzinsen aufzunehmen. Obendrein soll das quantitative-Lockerung-Programm der Federal Reserve im Frühjahr 2010 auslaufen. Jeder Anstieg der US-Zinsen, der bei anhaltendem BIP-Wachstum eintreten könnte, würde diese Spekulationstätigkeit auch untergraben. Eine solche „Entwirrung dürfte noch eine Weile nicht stattfinden, da billiges Geld und eine übermäßige globale Liquidität die Vermögenspreise für eine Weile in die Höhe treiben können. Aber je länger und größer die Carry Trades und je größer die Vermögenswertblase sind, desto größer wird der darauf folgende Zusammenbruch der Vermögenswertblase sein. Die Fed und andere politische Entscheidungsträger*innen scheinen sich der Monsterblase, die sie schaffen, nicht bewusst zu sein. Je länger sie blind bleiben, desto härter werden die Märkte fallen.” (Roubini) Ein Krach dieser hochspekulativen Finanzmärkte würde zweifellos jede Wiederbelebung des globalen Wachstums zunichte machen.

Gefahren für den Kapitalismus

Was sind die Aussichten für die globale kapitalistische Wirtschaft? Es gibt wahrscheinlich eine schwache, fragile Erholung, die ein paar Jahre andauern könnte, aber ebenso gut durch einen neuen Abschwung unterbrochen werden könnte, sobald die staatlichen Konjunkturpakete auslaufen. Die führenden kapitalistischen Vertreter*innen sind selbst unsicher, ob es eine Wiederbelebung des selbsttragenden kapitalistischen Wachstums geben wird. Kurzfristige Schwankungen werden weiter gehen, wie immer im Kapitalismus. Aber es wird wahrscheinlich eine längere Periode von schwächlichem Wachstum oder Stagnation mit depressiven Zügen geben. Es wird zweifellos eine Phase struktureller Arbeitslosigkeit geben, die zusammen mit zusammengedrückten Löhnen und Kürzungen der Sozialausgaben die kapitalistischen Märkte untergraben wird.

Das Eingreifen der großen kapitalistischen Mächte hat bisher eine Kernschmelze des Banken- und Finanzsystems verhindert. Dennoch sind nach wie vor enorme Mengen an faulen Krediten im System versteckt, die in den nächsten Jahren zu einer erneuten Krise im Bankensystem führen könnten. Banker*innen und Spekulant*innen wehren sich energisch gegen Versuche, dem Finanzsektor strengere Regulierungen aufzuzwingen. Die derzeitige Spekulationsblase an den Börsen, besonders in den Schwellenländern, zeigt, dass die Stabilität der globalen Wirtschaft weiterhin durch spekulative Exzesse bedroht sein wird. Viele ernsthafte kapitalistische Kommentator*innen halten es für selbstverständlich, dass es bis zur nächsten Krise nur eine Frage der Zeit ist. „Die Uhr tickt unaufhaltsam auf eine weitere Katastrophe zu…“, schreibt Francesco Guerrera. (Countdown to Next Crisis [Countdown zur nächsten Krise], „Financial Times“, 16. Oktober)

Einige befürchten aus gutem Grund auch eine politische Gegenreaktion gegen das System: „Wenn die nächste Krise zuschlägt, und sie wird es, wird sich die frustrierte Öffentlichkeit wahrscheinlich nicht nur gegen Politiker wenden, die mit öffentlichen Geldern fahrlässig verschwenderisch umgegangen sind, oder gegen Banker, sondern gegen das Marktsystem. Was jetzt auf dem Spiel steht, ist möglicherweise nicht nur die Zukunft des Finanzwesens, sondern die Zukunft des Kapitalismus.“ (John Kay, ‘Too Big to Fail’ is Too Dumb an Idea to Keep [„Zu groß, um zu scheitern“ ist eine zu dumme Idee, um sie beizubehalten], „Financial Times“, 27. Oktober)

Obendrein ist das Finden eines Auswegs aus der Politik der ultraniedrigen Zinsen, der superlockeren Geldpolitik und der quantitativen Lockerung (des Gelddruckens) für die Kapitalist*innen voller Gefahren. Im Moment hat die quantitative Lockerung keine inflationäre Wirkung. Dies liegt an den starken deflationären Tendenzen in der Weltwirtschaft, wobei die fallende Nachfrage und die globalen Überkapazitäten einem allgemeinen Preisverfall bei Industriewaren zugrunde liegen. Gleichzeitig horten Banken einen Großteil der Kredite, die sie im Rahmen der Quantitativen-Lockerung-Programme angesammelt haben. Sobald jedoch das Wachstum wieder anzieht und die Banken beginnen, einen größeren Teil ihrer Reserven durch Kredite an Unternehmen in Umlauf zu bringen, wird es zweifellos die ernsthafte Gefahr geben, dass die Deflation durch Inflation abgelöst wird. Eine vorzeitige Rücknahme der geldpolitischen Stimulierungsmaßnahmen könnte einen weiteren Abschwung auslösen. Andererseits könnte eine Verzögerung bei der Eindämmung der überschüssigen Liquidität zu einer Explosion der Inflation führen. „Es gibt Gefahr, egal wie die Zentralbanken reagieren. Eine erfolgreiche Geldpolitik könnte wie ein Gehen auf einem gefährlichen Grat sein, auf dessen beiden Seiten ein Abgrund der Instabilität liegt. Nach allem, was wir wissen, gibt es möglicherweise keinen sicheren Weg nach unten.“ (Wolfgang Münchau, Countdown to the Next Crisis is Already Under Way [Der Countdown für die nächste Krise läuft schon], „Financial Times“, 18. Oktober)

Zusammen mit der Unterstützung für den Finanzsektor haben staatliche Konjunkturprogramme die Staatsdefizite enorm in die Höhe getrieben. Viele der aktuellen Defizite der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder wurden auf über 10% getrieben. Angesichts der Zurückhaltung kapitalistischer Regierungen, die Besteuerung für Großunternehmen und Superreiche zu erhöhen, werden diese Defizite noch lange Zeit auf der Wirtschaft lasten. Regierungen werden versuchen, die Defizite durch Kürzungen der Staatsausgaben zu reduzieren, was einen weiteren Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse bedeuten wird. Gleichzeitig wird die Finanzierung der Staatsdefizite einen wachsenden Anteil der weltweiten Ersparnisse beanspruchen (schätzungsweise 25% in den OECD-Ländern). Dies wird das für öffentliche und private Investitionen verfügbare Kapital verringern.

Wachsende zwischenkapitalistische Spannungen

Eine Periode schwachen Wachstums wird alle zwischenkapitalistischenSpannungen in der Weltwirtschaft verschärfen. Laut Pascal Lamy, dem Chef der Welthandelsorganisation, gibt es bereits einen protektionistischen Krieg „geringerer Intensität”. Dieser wird sich in den kommenden Jahren wahrscheinlich intensivieren.

Vor allem die Rolle des US-Dollars wird bedroht werden. Die Möglichkeit, seine Schulden in der eigenen Währung zu bezahlen, war für den US-Imperialismus ein enormer Vorteil. Aber der Preis ist die riesige Akkumulation von Schulden gegenüber dem Rest der Welt. An einem bestimmten Punkt werden diese Schulden absolut untragbar werden, was zu einem Zusammenbruch des US-Anleihemarktes und des Dollarwerts führen wird. Die führenden kapitalistischen Vertreter*innen weltweit sind sich dieses Problems durchaus bewusst, aber völlig unfähig, einen geordneten Übergang zu einem alternativen System von Reservewährungen zu steuern (entweder durch ein gemeinsames System auf der Grundlage von Hauptwährungen wie Euro, Yen und Yuan oder durch vom IWF verwaltete Sonderziehungsrechte [SZR]). Ein Zusammenbruch des Dollars würde globales Währungschaos bedeuten und könnte selbst einen neuen, noch tieferen Abschwung der Weltwirtschaft hervorrufen.

Einige der halb entwickelten Länder wie Brasilien, Indien und die südostasiatischen Länder scheinen den schlimmsten Auswirkungen der aktuellen Krise entgangen zu sein. Insbesondere der Anstieg der Rohstoffpreise (durch die anhaltende Nachfrage aus China und spekulative Geschäfte mit Rohstoff-Futures) scheint den Rohstoffproduzent*innen zugute gekommen zu sein. Aber diese geschützte Position wird nur von kurzer Dauer sein. Die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Widersprüche in diesen Ländern werden jeden Tag schärfer.

Seit 1980 hat es der Weltkapitalismus geschafft, durch eine Reihe von Finanzblasen – bei Finanzanlagen, Wohnungen, Gewerbeimmobilien und Rohstoffen – einen Ausweg aus aufeinanderfolgenden Krisen zu finden. Aber die seit 2007 andauernde Krise markiert das Ende dieses Weges. Es mag durchaus neue Blasen und spekulative Exzesse geben. Aber sie werden nicht mehr das riesige, aufgeblähte Polster auf einer vergleichbaren Basis bieten wie in den letzten 20 bis 30 Jahren. Der Weltkapitalismus ist in eine neue, noch akutere Krisenperiode eingetreten.

Kasten: US-Erholung: Wie hoch, wie lange?

Die US-Wirtschaft schien Mitte des Jahres die Talsohle der Rezession erreicht zu haben und scheint sich nun am Beginn einer Erholung zu befinden, zumindest was das BIP-Wachstum betrifft. Für die Arbeiter*innen wird die Rezession jedoch weitergehen und sich möglicherweise sogar intensivieren. Die Arbeitslosigkeit wird weiter steigen, während die Löhne zusammengedrückt werden. Für den US-Kapitalismus war dies die längste Rezession seit den 1930er Jahren (von Dezember 2007 bis Juli 2009, über 18 Monate). Der kumulierte Produktionsrückgang seit Anfang 2008 ist minus 3,55% (im Vergleich der OECD-Durchschnitt, minus 4,7%).

Vorläufige Zahlen für das dritte Quartal 2009 zeigen ein BIP-Wachstum von 3,4% an. Es gab auch an der US-Börse eine Erholung, und einige der großen Banken haben kürzlich eine Rückkehr zur Profitabilität angekündigt. Viele werden ihren Boss*innen riesige Jahresendboni zahlen – Goldman Sachs zum Beispiel plant, dieses Jahr Boni in Höhe von 21 Milliarden Dollar auszuschütten. Dies wird die weit verbreitete Wut auf die Banker, denen die meisten Menschen die Schuld für die Krise geben, verstärken.

Als die Wachstumszahlen für das dritte Quartal bekannt gegeben wurden, gab es im Weißen Haus keine Feierlichkeiten. „Das Weiße Haus war eher in Beerdigungs- als in Feierstimmung, was der Meinung der meisten Wähler entsprach“, kommentierte Edward Luce (Angry Americans Feel They Are Still in Slump [Wütende Amerikaner haben das Gefühl, sie seien immer noch im Konjunktureinbruch], „Financial Times“, 29. Oktober).

Tatsächlich stieg die Arbeitslosenquote auf über 10% (über 16 Millionen). Wenn jedoch andere arbeitslose Arbeiter*innen wie unfreiwillig Teilzeitbeschäftigte, entmutigte Arbeiter*innen und Neueinsteiger*innen auf dem Arbeitsmarkt mit einbezogen werden, ist die tatsächliche Zahl bei etwa 17%. Über acht Millionen Arbeitsplätze gingen während dieser Rezession verloren, der ersten seit der Großen Depression der 1930er Jahre, die das gesamte Beschäftigungswachstum des vorangegangenen Konjunkturzyklus zunichte gemacht hat. Nach alles Anzeichen wird die Arbeitslosigkeit trotz anhaltenden Wachstums noch mehrere Jahre lang weiter ansteigen.

Der Anteil der Langzeitarbeitslosen steigt, die Jugendarbeitslosigkeit ist über 50%. Eine*r von neun Arbeiter*innen hängt jetzt von Lebensmittelmarken ab.

Während das BIP im dritten Quartal zu positivem Wachstum zurückkehrte, fiel das reale verfügbare Einkommen um minus 3,4%. Sowohl die Produktivität als auch die Konzernprofitabilität wurden durch „ungewöhnlich aggressive Kostenkontrolle” angekurbelt. („New York Times“-Leitartikel, 27. Oktober) Kostenkontrolle bedeutet weniger Arbeitsplätze, niedrigere Löhne und intensiveren Arbeitseinsatz.

Der Hauptfaktor für die Rückkehr zum Wachstum war zweifellos die Intervention der Regierung durch das Konjunkturpaket der Bundesregierung und die finanzielle Unterstützung für den Wohnungsbau durch die Bundesregierung und die Federal Reserve Bank. Das Programm „Cash for Clunkers” [Geld für Klapperkisten, Abwrackprämie] (Fahrzeugersatz) hat die Autoverkäufe um über 20% in die Höhe getrieben (obwohl dies massive Entlassungen und Lohnkürzungen in der US-Autoindustrie nicht verhinderte). Dieses Programm allein machte etwa 1,9% des Wachstums von 3,4% im dritten Quartal aus. Ein Großteil des Rests lag daran, dass Unternehmen Lagerbestände wieder aufbauten, die auf ein sehr niedriges Niveau abgebaut waren. Die Obama-Regierung behauptet, dass das Konjunkturpaket das BIP um 3% bis 4% gesteigert habe – mit anderen Worten, ohne es hätte es weiterhin ein negatives Wachstum gegeben. Aber das Konjunkturpaket hat wahrscheinlich weniger als eine Million Arbeitsplätze geschaffen oder gerettet.

Es gab etwas Erholung auf dem Immobilienmarkt, obwohl die Wohnungen jetzt 2,4% des BIP ausmachen, verglichen mit 6,3% Ende 2005. Die Immobilienverkäufe wurden zumindest vorübergehend durch Steuergutschriften in Höhe von 8.000 Dollar für Erstkäufer*innen sowie durch die Unterstützung des Hypothekenmarktes durch die Federal Reserve (durch den Kauf von forderungsbesicherten Wertpapieren, sie hat die Rolle der Banken übernommen) angekurbelt.

Das zweijährige Konjunkturpaket ist etwa zur Hälfte ausgeschöpft. Schätzungsweise 291 Milliarden Dollar werden noch für Infrastruktur und Hilfen für die Bundesstaaten ausgegeben werden, weitere 150 Milliarden Dollar für zusätzliche Steuersenkungen werden kommen. Die große Frage ist, ob das Wachstum anhalten wird, wenn die Konjunkturmaßnahmen auslaufen. Viele kapitalistische Kommentator*innen sind skeptisch. In einem Leitartikel, „The Case for More Stimulus” [Plädoyer für weitere Konjunkturmaßnahmen], kommentierte die „Financial Times“: „Ohne eine weitere Runde wirksamer Konjunkturmaßnahmen wird die schlimmste Rezession der jüngeren Geschichte wahrscheinlich – im besten Fall – zur schwächsten Erholung der jüngeren Geschichte werden”. (27. Oktober) Sie forderte eine weitere Runde von Konjunkturmaßnahmen.

Die Erholung der Aktienmärkte seit Jahresbeginn zeigt eine gesunde Wirtschaft an. Die großen Banken und Finanzinstitute schwimmen dank der quantitativen-Lockerung-Politik der Federal Reserve (im Grunde genommen das Drucken von Geld, um die für Banken verfügbaren Kredite anzukurbeln) im Geld. Dennoch sind die Banken nach wie vor sehr zögerlich, an Unternehmen Geld zu verleihen, besonders an kleine und mittlere Unternehmen. Immer mehr ihrer Barmittel fließen in den Aktienmarkt, wo sie höhere Erträge erzielen können als mit Bankeinlagen oder Staatsanleihen. Dies ist eine weitere Blase, und sie wird wahrscheinlich nicht lange andauern.

Keines der zugrunde liegenden Probleme des US-Kapitalismus wurde gelöst. Ein nachhaltiges Wachstum wird von einer Belebung der Konsumausgaben abhängen, die mehr als 70% des BIP in den USA ausmachen. Steigende Arbeitslosigkeit, zusammengepresste Einkommen und eine riesige Schuldenlast aus den letzten Jahren werden die Konsumausgaben einschränken. Steigende Immobilienpreise werden diesmal kein Ausweg sein.

Der Fall des Dollars macht US-Exportpreise auf den Weltmärkten billiger. Doch die brutale Deindustrialisierung der letzten Periode hat die Fähigkeit des US-Kapitalismus untergraben, seinen Marktanteil bei Industriewaren zu erhöhen. Eine Rückkehr zum Wachstum, wenn sie nachhaltig ist, wird ein erneutes Anwachsen des US-Handelsdefizits und eine Zunahme der Verschuldung gegenüber dem Rest der Welt bedeuten.

Kasten: China: billige Waren und billige Kredite

Ende 2008, als sich die Kreditklemme in der Weltwirtschaft ausbreitete, wurde China von einem massiven Einbruch in den Exporten (minus 15-20%) getroffen. Dies war das Ergebnis eines Einbruchs der Verbraucher*innennachfrage in den USA und den europäischen Ländern. Dies war ein ernsthafter Schlag für Chinas exportorientierte Wirtschaft.

Ein Jahr später hat sich die chinesische Wirtschaft wieder erholt, mit einem Wachstum von 8,9% im dritten Quartal und der Wahrscheinlichkeit, dass das Gesamtwachstum für 2009 mindestens 8% sein wird. Dies ist im Kontrast zu den meisten großen Wirtschaften, die trotz des jüngsten Wachstums 2009 einen Gesamtrückgang des BIP verzeichnen werden.

Dieses Wachstum ist das Ergebnis einer massiven Intervention des Staates, der immer noch eine entscheidende Rolle in Chinas Wirtschaft spielt. Im November 2008 kündigte die Regierung ein riesiges Konjunkturpaket in Höhe von vier Billionen Yuan oder 585 Milliarden Dollar an. Dies waren teilweise Staatsausgaben und teilweise eine riesige Erhöhung der Kredite durch den staatlich kontrollierten Bankensektor. Über drei Fünftel der Konjunkturausgaben waren für Infrastrukturprojekte: Straßen, Brücken, Kraftwerke und einen massiven Ausbau des chinesischen Hochgeschwindigkeitseisenbahnnetzes. Gleichzeitig hat die Regierung eine superlockere Geldpolitik mit niedrigen Zinsen und einer riesigen Erhöhung der Geldmenge beibehalten. Sie hat auch den Exportunternehmen günstige Exportkredite gewährt.

Als Ergebnis der Konjunkturmaßnahmen stiegen die bereits hohen Anlageinvestitionen im letzten Jahr um mehr als 30%. Das Investitionswachstum ist die wirkliche Lokomotive von Chinas Wirtschaft.

Profite der produzierenden Unternehmen haben sich zu erholen begonnen, während es einen starken Anstieg von privaten Investitionen (bis August um 30% gestiegen) vor allem im Wohnungs- und Gewerbeimmobilienbau gab. Es gibt wenig Zweifel daran, dass ein Teil der Konjunkturhilfen in den Wohnungssektor gepumpt wird, wo Blasensymptome auftreten. Der spekulative Wohnungsmarkt zieht auch Kapital aus Übersee an, das von den Profitaussichten und der möglichen Neubewertung der chinesischen Währung, des Yuan (oder Renminbi – RMB), angezogen wird.

Auch in der verarbeitende Industrie gibt es eine Wiederbelebung mit der Wiederbelebung der Exporte von Industriegütern. In vielen Bereichen der verarbeitenden Industrie gibt es massive Überkapazitäten, was rücksichtslose Preissenkungen durch Exporteure angestachelt hat. Exporteur*innen nutzte auch der Umstand, dass der Yuan an den Dollar gekoppelt ist, der in den letzten Monaten fiel, was die Preise für chinesische Exporte auf den Weltmärkten verringerte. Chinesische Exporteur*innen gewinnen Marktanteile auf Kosten anderer Exporteur*innen (wie Japan, Italien, Kanada und Mexiko). Anstatt zu versuchen, mit Chinas kostengünstiger Produktion zu konkurrieren, konzentrieren sich Länder wie Japan zunehmend auf den Export von Investitionsgütern (Produktionsanlagen, Komponenten usw.) nach China. Eine Belebung in Chinas Wirtschaft wird daher eine gewisse stimulierende Wirkung auf Japan und andere südostasiatische Länder haben.

Obwohl das staatliche Konjunkturpaket ein beträchtliches Wachstum im BIP aufrechterhalten hat, ist es eine Notfallmaßnahme, eine Schnellreparatur, die die tiefen Ungleichgewichte in Chinas Wirtschaft nicht beseitigen wird. Auch wird es die sozialen Spannungen nicht überwinden. Es wird das riesige und wachsende Missverhältnis zwischen den ländlichen und städtischen Einkommen nicht verringern. Die Nachfrage, die jetzt die Wirtschaft stützt, wird hauptsächlich durch Infrastrukturausgaben und nicht durch die Entwicklung des Binnenmarktes geschaffen.

Es wird behauptet, dass die Sozialausgaben erheblich erhöht wurden, aber ausgehend von einem sehr niedrigen Niveau. Und sie machen weniger als 20% des Konjunkturpakets aus. Aus Angst vor sozialen Unruhen auf dem Land hat die Regierung die Getreidepreise über dem internationalen Niveau gehalten, um die Einkommen der Bäuer*innen zu stützen. Jedoch der Anstieg der Arbeitslosigkeit als Ergebnis des Abschwungs Ende 2008 hatte eine verheerende Auswirkung auf das Land. Anfang dieses Jahres wurde geschätzt, dass 45 Millionen ländliche Bewohner*innen ihren Arbeitsplatz verloren oder ihren Ausstieg aus der Landwirtschaft verschoben hatten. Bis August dieses Jahres hatten 32 Millionen einen Arbeitsplatz gefunden, allerdings meist zu niedrigeren Lohnsätzen als zuvor (mindestens 10% niedriger).

Die riesigen Beträge an Mitteln und billige Kredite im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket nähren die enorme Korruption und Verschwendung, die in China bestehen. Sie befeuern auch spekulative Investitionen, besonders in Immobilien.

Die Infrastrukturausgaben werden obendrein das Problem des internationalen Ungleichgewichts zwischen China und den USA in keiner Weise lösen. Chinas Anteil an den US-Importen ist weiter gewachsen (China macht mittlerweile 19% der US-Importe aus). Sein Handelsüberschuss gegenüber den USA ist auch gewachsen. Dieses Jahr hat China bisher weitere 741 Milliarden Dollar an Devisenreserven akkumuliert, was seine gesamten Devisenreserven auf 2,27 Billionen Dollar gebracht hat (die meisten werden in Dollar-Anlagen gehalten). Mit anderen Worten: China versorgt die USA weiterhin mit billigen Waren und billigen Krediten und subventioniert den US-Konsum auf Kosten der chinesischen Arbeiter*innenklasse.


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