[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 51, Oktober 2000]
Durch eine Steigerung der Rohölpreise um das Dreifache innerhalb von 18 Monaten, von etwa 10 Dollar auf über 35 Dollar pro Barrel tauchte das Phantom des Ölpreisschocks vor den kapitalistischen Mächten erneut auf. Das Ausmaß des Schocks kann nicht im Voraus gemessen werden. Aber wirtschaftlich werden die höheren Ölpreise die Tendenzen verstärken, die die USA und die Weltwirtschaft in einen Abschwung treiben. Politisch sind die Ölsteuerproteste, die über Europa hinweggefegt sind, die Vorboten bevorstehenden Erschütterungen. Die Vereinbarung der OPEC vom 11. September, die Fördermenge zu erhöhen, wird die Lage wahrscheinlich nicht stabilisieren. Lynn Walsh schreibt.
Die Benzinpreise sind in die Höhe geschnellt, was eine Welle von Protesten in Europa ausgelöst und in den USA große Unzufriedenheit hervorgerufen hat. Eine Gallone Benzin kostet in Europa jetzt zwischen 4 und 5 Dollar, während in den USA Benzin (unverbleit) von etwa 1 Dollar Ende letzten Jahres auf derzeit über 1,50 Dollar gestiegen ist. Der größte Teil des Preises an der Zapfsäule entfällt auf Steuern (Zoll und Mehrwertsteuer), aber der aktuelle Preisanstieg ist auf den Anstieg des Weltmarktpreises für Rohöl zurückzuführen.
Führende europäische Politiker*innen wie Blair und Schröder haben ihr Feuer auf die OPEC-Ölproduzent*innen und in jüngster Zeit auch die großen Ölkonzerne gerichtet und sie beschuldigt, Abzocke zu betreiben. Aber sie bieten keine Erklärung für die Turbulenzen auf dem Weltölmarkt. Was steckt hinter dem Preisanstieg? Wie hängt die Entwicklung des Ölpreises mit der Weltwirtschaft im Allgemeinen zusammen?
Die Achterbahnfahrt
Der Weltölmarkt hat in den letzten anderthalb Jahren wie eine Achterbahnfahrt gewirkt. Das Mengenverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ist äußerst instabil. Das Angebot wird durch Faktoren wie die Politik der Ölproduzent*innen, die Bereitschaft der Ölkonzerne, in Erschließung und die Raffineriekapazität zu investieren, usw. bestimmt. Die Nachfrage wird durch das Wachstum der Weltwirtschaft bestimmt, insbesondere durch das Wachstum der Treibstoff verschlingenden US-Wirtschaft, die ein Viertel der Weltproduktion verbraucht. Der „Markt“ kann jedoch nicht losgelöst von internationalen politischen und strategischen Faktoren betrachtet werden. Dies gilt besonders, weil der krisengeschüttelte Nahe Osten nach wie vor die entscheidende Ölförderregion ist. Die Intervention der imperialistischen Mächte, insbesondere der dominierenden US-Supermacht, ist auch ein Hauptfaktor. Die jüngste Rückkehr der Ölpreisinstabilität spiegelt klar die sich verschärfenden Widersprüche in der kapitalistischen Weltwirtschaft und die wachsenden strategischen Probleme des Imperialismus wider.
Von den späten 1980er bis zu den späten 1990er Jahren gab es eine außergewöhnliche Periode der relativen Stabilität. Gegen Ende des Wachstumszyklus der 1980er Jahre stieg der Rohölpreis auf etwa 30 $, was erhöhte Nachfrage widerspiegelte. In den Jahren 1986-87 vergrößerte Saudi-Arabien unter dem Druck der westlichen Mächte seine Produktion. Wie in der Vergangenheit konnte das saudische Regime die niedrigeren Preise durch eine Erhöhung seines Marktanteils kompensieren. Der Rohölpreis fiel auf etwa 12 bis 15 $ pro Barrel.
Nach einem scharfen, aber kurzzeitigen Anstieg während des Golfkriegs 1990/91 bewegte sich der Preis zwischen 18 und 22 Dollar. Das beschleunigte Wachstum der Weltwirtschaft, insbesondere in den USA, trieb die Preise in den Jahren 1995-97 erneut in die Höhe, auf etwa 25 $ pro Barrel. Nach 1997 gab es jedoch einem scharfen Rückgang der Rohölpreise. Dies resultierte aus zwei Hauptfaktoren. Zum einen nahm der Irak seine Ölexporte im Rahmen des Programms „Öl für Lebensmittel“ wieder auf (das von den USA akzeptiert wurde, um Kritik an den schrecklichen Auswirkungen der Sanktionen auf die irakische Zivilbevölkerung abzulenken). Die Konkurrenz zwischen Saudi-Arabien und Venezuela um größere Marktanteile, insbesondere in den USA, erhöhte ebenfalls das Ölangebot. Auf der anderen Seite verringerte der Einbruch der asiatischen Volkswirtschaften infolge der regionalen Währungskrise drastischen die Ölnachfrage in dieser Region. Im Februar 1999 fiel der Basis-Rohölpreis auf etwa 10 bis 12 $ pro Barrel, während Öl teilweise für nur 8 $ pro Barrel gehandelt wurde.
Dies hatte widersprüchliche Auswirkungen auf verschiedene Sektoren der Weltwirtschaft. Billiges Benzin war eine gute Nachricht für die Verbraucher*innen in den USA, Europa und Japan (obwohl die meisten EU-Regierungen die Benzinsteuern massiv erhöhten). Gleichzeitig pressten die niedrigen Rohölpreise die Profite der großen Ölfirmen zusammen, deren prozentualer Anteil vom Rohölpreis abhängt. Als Reaktion darauf schränkten die Ölfirmen ihre Ausgaben für die Erkundung und Erschließung neuer Ölfelder, Investitionen in Transport- und Raffineriekapazitäten usw. noch stärker ein. Die Infrastrukturinvestitionen fielen auf den niedrigsten Stand der Nachkriegszeit, obwohl die Erschöpfung einiger der vorhandenen Ölfelder herannahte.
Die niedrigeren Ölpreise milderten den Druck auf viele halb entwickelte und arme Länder etwas. Gleichzeitig verstärkte sich jedoch der Druck auf die meisten der großen Ölproduzent*innen, die vor wachsenden wirtschaftlichen Problemen stehen und auf die Öleinnahmen angewiesen sind, um ihre massiven internationalen Schulden zu begleichen. Die niedrigen Ölpreise vertiefen auch die wirtschaftliche und politische Unruhe in Russland, das zwar kein OPEC-Mitglied, aber der zweitgrößte Ölproduzent der Welt ist.
Die Strateg*innen des US-Imperialismus, die aus offensichtlichen Gründen normalerweise niedrige Ölpreise bevorzugen, wurden durch die möglichen Auswirkungen eines anhaltenden Ölpreiseinbruchs alarmiert. Sie waren besonders besorgt über die Spannungen im Nahen Osten, die wachsende Krise in Mexiko und den Aufruhr in Russland, wo sie sich verpflichtet hatten, das Jelzin-Regime zu unterstützen. Russland exportiert jährlich über eine Milliarde Barrel Öl, was 20% seiner Deviseneinnahmen ausmacht (1996). Das Drängen auf einen Anstieg der Rohölpreise war praktisch die einzige Möglichkeit für die USA, Jelzins Position zu stärken, nachdem die internationale Hilfe für Russland 1998 nach der katastrophalen internen Finanzkrise eingestellt worden war.
An diesem Punkt intervenierte die Clinton-Regierung aktiv, um den Ölpreis wieder auf ein höheres Niveau zu bringen (wobei sie auf 18 $ pro Barrel anstrebte). Clinton kommentierte, dass die Ölpreise „viel zu niedrig“ seien, und der US-Energieminister Bill Richardson flog im Februar 1999 nach Riad, um das saudische Regime davon zu überzeugen, die Produktion zu beschränken und den Preis zu erhöhen.
„Es ist klar, dass Richardsons Besuch in Riad im Februar 1999 mit einer neuen Entschlossenheit im saudischen Denken zusammenfiel. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem US-Energieminister erklärte [der saudische Ölminister] Naimi, dass die Ölmärkte überversorgt seien, und versprach, Maßnahmen zu ergreifen, um Schaden für die Weltwirtschaft zu vermeiden, was darauf hindeutet, dass Saudi-Arabien beschlossen hat, Preisbedenken [d.h. einen höheren Preis] über Marktanteil [d.h. Versuche zu dessen Erhöhung] zu stellen. (Landesweite Wochenausgabe der „Washington Post“, 8. Mai 2000)
Am 16. März 1999 kündigte Saudi-Arabien an, seine Fördermenge von über 8 mb/Tag auf 7,4 mb/Tag zu senken, während die OPEC als Ganzes ihre Fördermenge um mehr als 2 mb/Tag senken würde, was in etwa dem Öl entspricht, die der Irak jetzt auf dem Weltmarkt liefert. Richardson erklärte vor einem US-Kongressausschuss, dass eine weitere Ausweitung der irakischen Ölexporte „keine nennenswerten Auswirkungen auf den Preis haben wird“.
Nach der Vereinbarung erholte sich der Ölpreis stetig und erreichte im Mai 18 $. Der gestiegene Preis hatte eine Reihe von Auswirkungen. Er kam vor allem dem Jelzin-Regime in Russland zugute, das seine Ausfuhren in den Irak steigern konnte (der sie nun mit den neuen Öleinnahmen bezahlen konnte). Das Ölpreisabkommen zementierte Jelzins effektive Unterstützung für die US-Intervention auf dem Balkan: die Bombardierung Serbiens begann am 24. März.
Die USA bekamen jedoch mehr, als sie eingehandelt hatten. Der Ölpreis schoss im Laufe des Jahres 1999 in die Höhe und stieg im März 2000 auf über 30 Dollar pro Barrel. Ein Faktor dahinter war die Rolle des irakischen Regimes. Als das irakische Regime erkannte, dass die weltweiten Ölvorräte zur Neige gingen, unternahm es Schritte, den Weltmarktpreis in die Höhe zu treiben. Von September bis November 1999 verringerte der Irak seine Ausfuhren um 1,2 mb/Tag und schockierte am 22. November die internationalen Ölmärkte, indem er seine Öl-für-Lebensmittel-Verkäufe einstellte. Als der Preis auf etwa 30 $ pro Barrel anstieg, nahm der Irak die offiziellen „Öl-für-Lebensmittel“-Verkäufe wieder auf und weitete gleichzeitig seine Ölschmuggeloperationen aus.
Die Manöver des irakischen Regimes fielen jedoch zeitlich mit der Hinwendung Venezuelas, des Irans und sogar Saudi-Arabiens zu einer Politik höherer Ölpreise zusammen, mit der sie versuchten, ihre schweren Verluste während des „Gegenschocks“ von 1997-99 auszugleichen und ihre lähmenden wirtschaftlichen Probleme zu lindern.
Im Februar/März 2000 änderte die US-Regierung ihre Haltung und übte erneut Druck auf Saudi-Arabien und die OPEC aus, die Ölförderung zu erhöhen, um den Preis zu senken. Clinton drohte damit, auf die strategischen Ölreserven der USA (die nach den „Schocks“ von 1973 und 1979 angelegt worden waren) zurückzugreifen, um den Markt zu überfluten, falls die OPEC den Forderungen der USA nicht nachkäme.
Die OPEC hat einer bescheidenen Erhöhung der Fördermenge zugestimmt. Angesichts ihrer eigenen wachsenden Probleme sind sie jedoch keineswegs bereit, den Markt zu überschwemmen und einen weiteren massiven Rückgang des Ölpreises hinzunehmen. Selbst wenn die Ölproduzent*innen bereit sind, weitere Förderungssteigerungen zuzulassen, ist es obendrein keineswegs sicher, dass dies für sich zu einer nachhaltigen Senkung des Ölpreises führen wird. Es gibt viele komplexe, unkontrollierbare Faktoren in der Lage. Engpässe bei den Transport- und Raffineriekapazitäten und vor allem die Finanzspekulationen auf dem Ölterminmarkt sind inzwischen wichtige Faktoren der Lage.
Ölpolitik in der neuen Weltordnung
Die radikale populistische Regierung von Hugo Chávez in Venezuela hat eine Schlüsselrolle bei der Mobilisierung der Ölproduzent*innen für die Bemühungen gespielt, eine deutliche Preiserhöhung zu erzielen. Dies ist eine scharfe Veränderung gegenüber der Vergangenheit, als Venezuela häufig die OPEC-Vereinbarungen sabotierte, indem es über seine vereinbarte Quote hinaus produzierte und so den Weltölpreis untergrub. Chávez‘ Position spiegelt die tiefe wirtschaftliche und soziale Krise in Venezuela wider, die durch den Konjunktureinbruch, der die Entwicklungsländer nach der asiatischen Währungskrise von 1997 traf, noch verschärft wurde. Öl macht 70% der venezolanischen Exporte und 60% der Steuereinnahmen der Regierung aus. Für jeden Dollar, den der Preis pro Barrel fällt, verliert das Land jährlich 1 Milliarde Dollar (700 Millionen Pfund). „Wir wollen nicht, dass die Preise unter ihr derzeitiges Niveau fallen“, sagte Chávez im August: „Niedrigere Preise wären wie ein Todesurteil für uns und unser Volk zu fällen“.
Zu den Protesten gegen die Benzinsteuer in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern kommentierte Chávez auch: „Wir verstehen, dass sie [die Verbraucher*innen] sich unwohl fühlen, wenn der Rohölpreis 30 Dollar pro Barrel erreicht, aber sie können sich vorstellen, wie es für uns gewesen sein muss, als er auf 8 Dollar fiel“.
Venezuela hat derzeit den Vorsitz der OPEC inne, und Anfang dieses Jahres besuchte Chávez Mexiko und die zehn anderen OPEC-Mitglieder, darunter (sehr zum Ärger der USA) auch den Irak. In Ländern wie Algerien, dem Iran, Libyen und Nigeria fand Chávez starke staatliche Unterstützung für höhere Preise. Wie Venezuela produzieren die meisten dieser Produzent*innen mit voller Kapazität und können die niedrigen Preise nicht durch eine Erhöhung ihrer Produktion ausgleichen.
Diesmal hat sich sogar das reaktionäre Regime Saudi-Arabiens hinter die Bemühungen um ein Hochtreiben des Ölpreises gestellt. Saudi-Arabien ist immer noch das wichtigste OPEC-Land und produziert etwa ein Drittel (7,4 mb/Tag) der OPEC-Förderung. Seine Position ist entscheidend, da es das einzige OPEC-Land ist, das über beträchtliche freie Produktionskapazitäten verfügt (etwa 2 mb/Tag von den geschätzten OPEC-Gesamtreserven von 3 mb/Tag).
Als enger Verbündeter des US-Imperialismus hat sich das saudische Regime traditionell gegen Maßnahmen zur Erhöhung des Ölpreises gewehrt. Der Einbruch auf unter 10 Dollar pro Barrel scheint jedoch bei der saudischen herrschenden Klasse Panik ausgelöst zu haben. Während die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder einen Aufschwung erlebten, der durch billiges Öl und Gas angeheizt wurde, stand Saudi-Arabien vor wachsenden wirtschaftlichen Problemen. Im Jahr 1998 erreichte das Haushaltsdefizit 10% des BIP, während die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen auf 15 bis 20% anstieg. Für die großen Infrastrukturprojekte der Vergangenheit fehlte das Geld, und die Saudis mussten sogar Kredite bei den Herrscher*innen von Abu Dhabi aufnehmen, um die Krise abzuwenden. Eine langgezogene Rezession ließ das Schreckgespenst sozialer Unruhen in großem Ausmaß aufkommen. Jeder Rückgang des Ölpreises um 1 $ kostet das saudische Regime rund 2,5 Mrd. $ pro Jahr.
Das saudische Regime stimmte zu, Produktionsquoten zu erzwingen. Als der Preis jedoch auf 35 $ pro Barrel stieg, kamen die Saudis unter extremen Druck durch die USA, die Produktion zu erhöhen, um den Preisanstieg zu bremsen. Auf der OPEC-Sitzung am 12. September stimmten die Saudis zu, ihre Produktion zu erhöhen (um bescheidene 800.000 b/Tag – in Wirklichkeit wahrscheinlich weniger als 300.000 b/Tag).
Das saudische Regime hat zwar den westlichen Forderungen nach einer Preissenkung teilweise zugestimmt, befürwortet aber keineswegs einen massiven Fall. Wie andere Ölproduzent*innen wollen sie einen Teil der Verluste aus der früheren Periode wieder wettmachen und befürworten Berichten zufolge eine Stabilisierung des Preises bei 22 bis 28 $.
Der saudische Ölminister Ali al-Naimi wies westliche Behauptungen zurück, wonach die Ölproduzent*innen für die Benzinproteste in Europa verantwortlich seien. Unter Hinweis auf die Tatsache, dass Steuern zwischen 60 und 80% der Preise an den Zapfsäulen ausmachen, während die Erzeuger*innen nur etwa 12% erhalten, forderte al-Naimi die westlichen Regierungen auf, die Verbrauchssteuern zu senken: „Wir hoffen, dass die Verbraucherländer ihren Teil dazu beitragen werden, die Produktpreise zu senken und die Belastung der Verbraucher*innen zu verringern“. („Financial Times“, 9. September)
Hinter dem diplomatischen Schlagabtausch entwickelt sich ein intensiver Kampf zwischen den Ölproduzent*innen und den fortgeschrittenen kapitalistischen Verbraucher*innenländern über die Verteilung der Erlöse aus dem Öl, einer immens wertvollen aus einer natürlichen Ressource abgeleitete „Rente“. Die EU-Regierungen fordern von den Produzent*innen, den Rohölpreis zu senken. Öl, so argumentieren sie, kostet Saudi-Arabien nur 2,50 $ und Dubai 6 $ pro Barrel, um es aus dem Boden zu pumpen: warum sollten die gierigen Produzent*innen 30 $ bekommen? Aber, so antworten die Produzent*innen, wir nehmen nur 16% des Preises ein, der den Verbraucher*innen in Rechnung gestellt wird, während gierige westliche Regierungen Benzin als lukratives Steuermittel nutzen und 70-80% des Tankstellenpreises einnehmen.
Das saudische Regime widersetzt sich dem Druck der USA, die OPEC-Front zu durchbrechen. „Herr Naimi betonte, sein Land werde keine einseitigen Maßnahmen ergreifen, die den hart erkämpften Konsens der OPEC untergraben und möglicherweise die jüngste politische Annäherung Saudi-Arabiens an seinen Rivalen am Golf, den Iran, beschädigen könnten. („International Herald Tribune“, 11. September) Der Iran ist einer der führenden „Preisfalken“ innerhalb der OPEC und argumentiert, dass die Erzeuger*innen es verdienen, jetzt Profite zu erzielen, nachdem sie durch den Rückgang der Rohölpreise auf unter 10 Dollar pro Barrel in große Schwierigkeiten geraten sind. Al-Naimi sagte: „Wir haben die letzten zwei Jahre damit verbracht, innerhalb der OPEC einen kooperativeren Geist zu entwickeln. Erwarten Sie jetzt, dass wir das wegwerfen?“
Als das saudische Regime versuchte, seinen Weltmarktanteil zu erhöhen, war es bereit, die Quoten aufzugeben und seine Produktion zu steigern. Wirtschaftliche Probleme und strategischer Druck haben jedoch eine Änderung der Politik herbeigeführt. Das saudische Regime braucht jetzt einen höheren Rohölpreis, der von der Durchsetzung der Quoten abhängt. Dazu ist es auf die Zusammenarbeit mit den anderen OPEC-Produzent*innen angewiesen. Im Moment liegt es nicht mehr in ihrem Interesse, als Handlanger*innen des US-Imperialismus aufzutreten.
Gibt es wirklich eine Knappheit?
Es gibt überhaupt keine Gewissheit dafür, dass die auf der OPEC-Jahrestagung am 11. September erzielte Einigung zu einem anhaltenden Preisrückgang führen wird. Zum Zeitpunkt des Schreibens (22. September) steigt der Preis weiter an (über 35 bis 37 $ pro Barrel). Die OPEC hat sich darauf geeinigt, die Produktion um 800.000 b/d zu erhöhen, was jedoch wahrscheinlich weniger als 300.000 b/Tag „neues Öl“ über die bereits von den OPEC-Mitgliedern betrogenen Quoten hinaus bedeutet. Viele Kommentator*innen argumentieren, dass dies nicht ausreiche, um eine stetige Preissenkung zu gewährleisten.
Manche OPEC-Vertreter*innen und Expert*innen aus der Ölindustrie bestreiten sogar, dass es überhaupt einen Knappheit des Rohöls gegeben habe. Sie geben für den Preisanstieg dem chaotischen internationalen Ölmarkt, der unzureichende Infrastruktur der Ölindustrie und der ausufernde Finanzspekulation auf den Ölmärkten die Schuld. Beunruhigende Trends, so die „Financial Times“ (28. Juli), provozieren Aufruhr auf „einem Rohstoffmarkt, auf dem die Kenntnis des wahren Verhältnisses zwischen Angebot und Nachfrage lückenhaft ist, wenn nicht sogar von den Teilnehmern absichtlich verschleiert wird“.
Ein Faktor, der klar die Preise in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in die Höhe getrieben hat, ist die unzureichende Infrastruktur. Angesichts der niedrigen Rohölpreise, die ihre Gewinnspannen zusammendrückte, waren die großen Ölfirmen sehr zurückhaltend, in neue Raffineriekapazitäten und Transportanlagen zu investieren. „Es gibt keine große Knappheit an Rohöl“, sagte gestern ein führender europäischer Händler. „Es gibt ein Problem mit den Raffineriekapazitäten, vor allem in den USA, und es gibt ein logistisches Problem. („Financial Times“, 11. September)
Die Welt-Tankerflotte war zum ersten Mal seit 1973 zu 97% ausgelastet. Die Ölraffinerien in den USA sind voll ausgelastet, was nicht auf einen Mangel an Rohöl hindeutet. „Die Fähigkeit der globalen Erdölindustrie, plötzliche Engpässe, die durch Infrastrukturprobleme [wie Raffinerie- oder Pipelineausfälle] auf großen Märkten wie den USA ausgelöst werden, aufzufangen, nimmt ab“. („Financial Times“, 28. Juli) Die Raffinierung „war unrentabel, da die Gewinnspannen zusammengedrückt wurden und das Bauen in den USA und Europa zum Stillstand kam. Die USA haben seit mehreren Jahren ein strukturelles Defizit bei Erdöl“. („Financial Times“, 1. September)
Mit anderen Worten: Weil die Profite der Ölgesellschaften in der Zeit der niedrigen Ölpreise zusammengedrückt wurden, waren sie nicht bereit, in höhere Kapazitäten zu investieren, um mit der steigenden Nachfrage in der letzten Phase des Konjunkturzyklus Schritt zu halten. Obendrein betrachten die Ölbosse den jüngsten Preisanstieg als einen kurzfristigen Trend und gehen davon aus, dass die langfristigen Preise sinken werden. Warum sollte man sich jetzt eindecken, wenn man später billiger einkaufen kann? Als Ergebnis sind die Lagerbestände in den USA auf den niedrigsten Stand seit 24 Jahren gesunken, was zu einer Verknappung von Benzin und vor allem Heizöl führt, was zu einem akuten Problem wird, wenn es zu einem strengen Winter kommt.
Diese Lage hat zu verstärkten Finanzspekulationen auf den Ölwarenmärkten geführt, ein weiterer Hauptfaktor bei dem jüngsten Preisanstieg. „Der Ölpreis ist von 10 auf 35 Dollar pro Barrel gestiegen, aber die Produktion hat sich nur um etwa 3% verändert“, sagt ein Londoner Ölhändler. „Der Markt funktioniert nicht richtig…“ („Daily Telegraph“, 14. September)
„Die Papiermärkte haben den Preis in die Höhe getrieben“, kommentierte ein anderer Händler. („Financial Times“, 12. September). „Papiermarkt“ bezieht sich auf den Handel mit Termingeschäften (Verträge über den Kauf noch zu produzierender Lieferungen), die auch die Grundlage für verschiedene „Derivate“ bilden können. Wie andere „Papiermärkte“ dient auch der Ölterminmarkt der „Absicherung“ gegen künftige Ölpreissteigerungen bzw. -senkungen, d.h. der Risikostreuung für Produzent*innen, Händler und Verbraucher*innen. Aber wie andere „Absicherungs“-Märkte sind sie selbst zu einem Vehikel für Spekulationen geworden, die Volatilität und zusätzlichen Risiken erzeugen. Ein Großteil des Handels auf den Ölmärkten erfolgt zudem auf der Grundlage von geliehenem Geld, und durch diese Verschuldung wird der Ölmarkt mit anderen, hochspekulativen Finanzmärkten verflochten.
„Die Stimmung unter den Händlern an der New York Mercantile Exchange (Nimex [New Yorker Handelsbörse]) und der International Petroleum Exchange hat wild geschwankt. Der Erwartungsfaktor an der Nimex dominiert die Fundamentaldaten in einer sehr ungesunden Weise“, sagt Robert Mabro, der Direktor des Oxford Centre for Energy Studies. „Dreißig-Dollar-Öl macht genauso viel Sinn wie Zehn-Dollar-Öl, nämlich überhaupt keinen Sinn.“ („Financial Times“, 28. Juli)
„Es finden alle Arten von Ölgeschäften statt, und es ist nicht nur der Ölmarkt“, sagt ein Londoner Händler. „Eine ganze Reihe von Finanzmärkten setzen einheitlich auf einen steigenden Ölpreis“. („Financial Times“, 7. September)
Einen Eindruck von der stattfindenden Art der Spekulationen vermittelte die Klage, die der riesige US-amerikanische Raffinerie- und Vertriebskonzern Tosco Corporation kürzlich gegen die in London ansässige Ölhandelsfirma Arcadia Petroleum angestrengt hat. Tosco behauptet, dass Arcadia in Absprache mit „anderen ungenannten Verschwörern“ Terminkontrakte verwendet habe, um die gesamte September-2000-Produktion des britischen Brent-Rohöls (aus dem Nordseefeld) im Voraus aufzukaufen, wodurch der Preis für Brent-Rohöl zwischen dem 21. August und dem 5. September um 2,33 Dollar pro Barrel (das entspricht etwa 2 Pence pro Liter) in die Höhe getrieben wurde. Da Brent-Rohöl als Preis-Bezugsgröße für das gesamte atlantische Becken dient, trieb das Vorgehen von Arcadia den Preis der Rohölversorgung für ganz Europa, Afrika und die US-Ostküste in die Höhe.
Arcadia bestreitet jedoch, irgendetwas falsch gemacht zu haben. „Quellen aus der Industrie“, kommentierte der „Daily Telegraph“ (14. September), „sagten, es sei nur ein sehr schmaler Grat zwischen der Schaffung eines illegalen Monopols und der Nutzung der Erfahrung, um eine clevere Handelsposition zu schaffen und die Profite legitim zu steigern“.
Ein weiterer „Ölschock“
Als der Ölpreis zu Beginn dieses Jahres zu steigen begann, taten die meisten Kommentator*innen dies als einen Faktor von geringer Bedeutung ab. Öl, sagten sie, sei für die fortgeschrittenen kapitalistischen Volkswirtschaften nicht mehr so wichtig, wie es in den 1970er Jahren war. Selbst ein erheblicher Anstieg würde das Wachstum der neuen Wirtschaft, insbesondere in den USA, nicht unterbrechen. Auf jeden Fall seien die Ölproduzent*innen in dieser Zeit des Neoliberalismus nicht fähig, ihre Kräfte wirksam zu bündeln, um dem Westen einen weiteren Ölschock aufzuerlegen.
Die Ereignisse haben diese selbstgefällige Sichtweise erschüttert. Öl ist immer noch ein strategischer Rohstoff, und das wird auch in absehbarer Zukunft so bleiben. Unvorhersehbare Angebotsmengen und Preisschwankungen bei Rohöl und raffiniertem Öl werden die systemische Instabilität in der Weltwirtschaft verstärken. In diesem Stadium des Konjunkturzyklus wird selbst eine Stabilisierung der Rohölpreise um die 30 Dollar pro Barrel in Verbindung mit anderen sich herausbildenden Wirtschaftstrends dazu beitragen, die US- und die Weltwirtschaft in einen neuen Abschwung zu stoßen.
Der Rohölpreis könnte für eine gewisse Zeit auf über 35 $ (einige Kommentator*innen sagen 40 $) steigen, was einen ernsthaften „Ölschock“ darstellen würde. Die meisten führenden kapitalistischen Vertreter*innen und Kommentator*innen versuchen verzweifelt, die Auswirkungen eines höheren Ölpreises kleinzureden. „Die realen Ölpreise sind immer noch recht niedrig“, schreibt Martin Wolf. „Selbst heute liegt der reale Preis bei weniger als einem Drittel des Höchststandes von 1979 und nur etwa 50% höher als während des größten Teils des letzten Jahrzehnts“. („Financial Times“, 20. September) In der gegenwärtigen Konstellation wird jedoch selbst ein Anstieg um 50% ernsthafte negative Auswirkungen haben.
Der Präsident der Weltbank, James Wolfensohn, warnt, dass „eine Veränderung der Ölpreise um 10 Dollar einen Unterschied ausmachen und zu einem um einen halben Prozentpunkt niedrigeren Wachstum auf Weltebene führen kann. Für die Entwicklungsländer als Gruppe deutet der höhere Preis auf ein um einen dreiviertel Prozentpunkt geringeres Wachstum hin“. („International Herald Tribune“, 15. September) Dies ist eine Mindestschätzung der Auswirkungen. Es gibt keinen Zweifel, dass die höheren Preise das sich erholende Wachstum in Südostasien untergraben und ein weiteres Hindernis für eine Erholung in Japan, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, darstellen werden. Ein anderer in der „Washington Post“ schreibender Kommentator verweist auf ein Gespräch mit „einem von Europas führenden Zentralbankern“, der „voraussagte, dass der Ölschock vom erwarteten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts in der ganzen Welt im Verlauf des nächsten Jahres um bis zu einem vollen Prozentpunkt abschneiden könnte“.
Warum ist ein Ölpreisanstieg so schädlich? Zunächst einmal, weil er eine der Schlüsselbedingungen des Wirtschaftszyklus der 1990er Jahre aushebelt – billiges Öl (in Verbindung mit billigen Rohstoffen allgemein). Anfang 1999, als der Rohölpreis unter 10 Dollar fiel, war Öl real nur noch halb so teuer wie in den 1950er Jahren und ein Fünftel des Preises der frühen 1980er Jahre. Billige Inputpreise bedeuteten für die großen Konzerne Superprofite. Indem sie die Rolle des Öls in den 1990er Jahren abtaten, ignorierten viele Kommentator*innen diesen entscheidenden Faktor.
Andrew Oswald von der Universität Warwick argumentierte jedoch seit langem, dass der „günstige Angebotsschock“ (billige Energie) viel wichtiger als das „neue Wirtschaftsparadigma“ bei der Erklärung der Wirtschaft der 1990er Jahre war. „Historisch“, argumentiert er, ‚war ein starker Anstieg der Energiepreise immer der beste Indikator für einen bevorstehenden Konjunktureinbruch‘. („Observer“, 3. September)
Verglichen mit 1980 erhalten die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder 25% mehr Output für jede Energieeinheit, und einige Ökonomen behaupten sogar noch mehr. Wenn die Weltwirtschaft von 70 mb/Tag Öl abhängt, „ist diese [Einsparung] nützlich“, sagt Oswald, „aber es ist ein relativ kleiner Gewinn angesichts einer Verdreifachung des Erdölpreises“.
Höhere Ölpreise werden die Inputkosten erhöhen und die Profite der großen Konzerne schmälern, vor allem, wenn die intensive internationale Konkurrenz es ihnen erschwert, die höheren Kosten an die Verbraucher*innen weiterzugeben. Der größte Teil der Kosten wird jedoch unweigerlich weitergegeben werden. Wenn die Verbraucher*innen gezwungen sind, mehr für Benzin, Heizöl, Fahrkarten für öffentliche Verkehrsmittel usw. auszugeben, haben sie weniger für andere Waren und Dienstleistungen zur Verfügung. In den USA waren die Verbraucher*innenausgaben die Hauptlokomotive des Wachstums in der zweiten Hälfte der 90er Jahre. Jeder Rückgang der Verbraucher*innenausgaben wird zu einem allgemeinen Abschwung der Wirtschaft führen.
Auch wenn die organisierte Arbeiter*innenklasse in Europa und Nordamerika nicht mehr in einer so starken Position ist wie in den frühen 70er Jahren, die auf den Höhepunkt des Nachkriegsaufschwungs folgten, werden die höheren Verbraucher*innenpreise dennoch zu verstärkten Forderungen nach Lohnerhöhungen führen. Die Furcht vor einem Wiederaufleben der Inflation wird Regierungen und Zentralbanken mit ziemlicher Sicherheit dazu veranlassen, das Wachstum durch höhere Zinssätze und eine straffere Geldpolitik zu bremsen. Eine Straffung der Geldpolitik durch die US-Notenbank ging dem Konjunktureinbruch von 1979-81 und der lang anhaltenden Rezession nach 1990 voraus. Die erhöhte Volatilität auf den Ölhandelsmärkten wird sich auf die Volatilität der Finanzmärkte im Allgemeinen auswirken.
Die Entwicklungsrichtung der Ölpreise in den kommenden Monaten kann nicht genau vorhergesagt werden. Es könnte eher extreme Preisinstabilität als einen anhaltenden Anstieg geben. Die US-Regierung könnte sogar auf ihre strategischen Ölreserven zurückgreifen, was die Knappheit zeitweise lindern und die Preise dämpfen könnte. Unabhängig vom Zeitrahmen ist jedoch klar, dass die gegenwärtigen Ölturbulenzen der Vorbote einer massiven Umwälzung der Weltwirtschaft sind.
Schreibe einen Kommentar