Lynn Walsh: Welche Zukunft für den Sozialismus?

[eigene Übersetzung nach Socialism Today, Nr. 1, September 1995, S. 10-15]

Lynn Walsh, Herausgeber von Socialism Today, vertritt die Ansicht, dass der Sozialismus keineswegs „am Ende“ ist, sondern erneut die Idee sein wird, die Arbeiter*innen und Jugendliche im Kampf für eine neue Gesellschaft leitet.

Was sind heute die Aussichten für den Sozialismus? Viele auf der Linken, darunter auch Persönlichkeiten, die früher mit dem revolutionären Marxismus identifiziert wurden, sind heute äußerst pessimistisch.

1968 zum Beispiel verkörperte Tariq Ali die massenhafte Radikalisierung der Student*innen in Großbritannien. Neulich jedoch kommentierte Tariq, dass die Restauration des Kapitalismus in Russland bedeute, dass „das Spiel für weitere vier oder fünf Jahrzehnte vorbei“ sei… (Guardian, 22. Juli). Mit anderen Worten: Der Kapitalismus hat eine neue Lebenschance bekommen – die Revolution ist für ein halbes Jahrhundert von der Tagesordnung der Geschichte gestrichen!

Heute verkörpert Tariq Ali eine Generation ehemals marxistischer Intellektueller, die von der Aussicht auf eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft in absehbarer Zeit völlig desillusioniert sind. Dieser Gesinnungswandel hat zweifellos eine soziale Grundlage – die 68er-Rebell*innen sind heute Professor*innen, Filmproduzent*innen, Geschäftsleute usw.

Grundlegender spiegelt diese ideologische Verschiebung die folgenschweren Ereignisse der letzten Jahre wider – vor allem den Zusammenbruch der „sozialistischen“ Regime der Sowjetunion und Osteuropas (in Wirklichkeit bürokratisierte stalinistische Staaten) und die internationalen sozialen und wirtschaftlichen Trends, die sich seit dem Fall der Berliner Mauer im Oktober [November] 1989 herauskristallisiert haben. Die Desillusionierung der marxistischen Linken verläuft im Übrigen parallel zum Aufgaben der sozialistischen Ziele und dem offenen Akzeptieren des kapitalistischen Marktes durch alle wichtigen Strömungen der Arbeiter*innenbewegung, von den Rechten bis zu den ehemaligen stalinistischen Reformist*innen.

Niemand kann leugnen, dass 1989 ein Kulminationsjahr war. Der rasche Zerfall der stalinistischen Staaten – nicht-kapitalistische Gesellschaften, die den Weltkapitalismus in Schach hielten – war ein folgenschweres Ereignis. Diese totalitären Regime waren zwar eine groteske Karikatur des Sozialismus, aber die Zerstörung der zentralen Planwirtschaften, auf denen sie beruhten, war trotz der von der Bürokratie aufgezwungenen wirtschaftlichen Verzerrungen objektiv eine Niederlage für die internationale Arbeiter*innenklasse. Obendrein wirkte der Zusammenbruch des Stalinismus wie ein Katalysator, der die sich anhäufende Quantität der Trends aus der Zeit vor 1989 in die Qualität eines neuen Verhältnisses der politischen Kräfte auf internationaler Ebene verwandelte.

Natürlich nutzten die kapitalistischen Anführer*innen die Gelegenheit, um einen „Kulturkampf“ zu starten, eine ideologische Kampagne, um zu beweisen, dass der Sozialismus nicht funktionieren könne und dass der kapitalistische Markt die einzige praktikable Weise zum Managen der Gesellschaft sei. Die Bourgeoisie erlebte ein Wiedererstarken ihres Selbstbewusstseins, als sie sich die Errungenschaften der Arbeiter*innenklasse aus der Nachkriegszeit zurückholte – die traditionellen Anführer*innen der Arbeiter*innenbewegung hatten weder die Politik noch den politischen Willen, sich dem zu widersetzen.

Aber bedeuten diese Veränderungen, dass die Abschaffung des Kapitalismus und der sozialistische Wiederaufbau der Gesellschaft um fünfzig Jahre verschoben werden? Welche Argumente werden angeführt, um die Stimmung des Pessimismus zu rationalisieren? Die Hauptkomponenten scheinen die folgenden zu sein:

* Der Zusammenbruch des „real existierenden“ Modells des „Sozialismus“ in der Sowjetunion, in Osteuropa und anderswo (Angola, Äthiopien usw.) habe die Behauptung zerstört, dass wirtschaftliche Planung den kapitalistischen Markt ersetzen kann. (Ironischerweise wird dieses Argument weithin akzeptiert, obwohl die trotzkistische Linke und offiziell sogar die reformistische Linke die stalinistischen Staaten nie als echte Modelle des Sozialismus akzeptiert haben).

* Der Kapitalismus habe durch die Entwicklung neuer Technologien und die starke Ausweitung der Globalisierung seine Position auf internationaler Ebene erheblich gestärkt, was seine Fähigkeit, Krisen zu überstehen, verbessert und seinen Handlungsspielraum gegen die Arbeiter*innenklasse vergrößert habe.

* Die reformistischen Anführer*innen der traditionellen sozialdemokratischen und Arbeiter*innenparteien sowie der Gewerkschaften haben jegliche Verpflichtung zu fortschrittlichen Reformen zugunsten der Arbeiter*innenklasse aufgegeben und akzeptieren nun die Permanenz des kapitalistischen Marktes. Die Tendenz zur Mutation der traditionellen reformistischen Organisationen in liberal-kapitalistische habe die Glaubwürdigkeit sozialistischer Ideen dramatisch untergraben. (Auch hier ist es ironisch, dass viele ehemalige Marxist*innen von dieser Entwicklung beeinflusst werden, da der Marxismus nie akzeptierte, dass eine schrittweise Reform des Kapitalismus einen Weg zum Sozialismus darstellen könnte).

* Die kombinierten Ergebnisse dieser Trends habe die Arbeiter*innenklasse in gewissem Maße wirtschaftlich, sozial und politisch geschwächt. Technologische Veränderungen, neue Managementmethoden und die Globalisierung haben die Stärke der Gewerkschaften untergraben, insbesondere die „schweren Bataillone“ in Branchen wie Kohlebergbau, Stahlerzeugung, Maschinenbau usw.

* Gleichzeitig habe die offen pro-kapitalistische Ausrichtung der sozialdemokratischen Anführer*innen große Teile der Arbeiter*innenklasse politisch desorientiert, die sich der erneuten kapitalistischen Offensive weitgehend führungslos entgegenstellen. Hinzu komme, dass der Zusammenbruch des Stalinismus, des einzigen existierenden Modells des „Sozialismus“, die politisch aktiven Arbeiter*innen demoralisiert habe.

Es ist klar mehr als nur ein Körnchen Wahrheit in dieser Darstellung der jüngsten Ereignisse, die reale Tendenzen und Prozesse widerspiegelt. Aber daraus zu schließen, dass der Sozialismus um fünfzig Jahre verschoben wurde, ist eine einseitige und völlig falsche Interpretation dieser Entwicklungen. Die wichtigste Aufgabe von „Socialism Today“ wird es sein, dieses Argument zu widerlegen. In unseren künftigen Ausgaben werden wir versuchen, durch faktische und theoretische Analysen die Argumente zu untermauern, die wir in dieser, unserer ersten Ausgabe, nur kühn skizzieren können. Wir werden die Notwendigkeit eines auf den Ideen des Marxismus und der Perspektive einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft beruhenden antikapitalistischen Programms bekräftigen.

1989 war ein historischer Wendepunkt – aus unserer Sicht nicht der Beginn einer neuen Ära florierender kapitalistischer Entwicklung, sondern das Ende eines außergewöhnlichen „goldenen Zeitalters“ für die Bourgeoisie in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und der Beginn einer langwierigen wirtschaftlichen Depression, sozialer Polarisierung und politischer Umwälzungen, in denen die Arbeiter*innenklasse ihre Rolle als entscheidende Kraft für den sozialen Fortschritt wieder geltend machen wird. Die Arbeiter*innenklasse ist weit davon entfernt, fünfzig Jahre lang „erledigt“ (oder auch nur an den Rand gedrängt) zu sein, und wird in der nächsten Periode beispiellose Kämpfe gegen die kapitalistische Unterdrückung führen – und die Ziele der Arbeiter*innen werden wieder in der Sprache des Sozialismus ausgedrückt werden.

Der Zusammenbruch des Stalinismus

Der Zusammenbruch der stalinistischen Staaten beweist nicht die Überlegenheit des Kapitalismus, dass Wirtschaftsplanung nicht gangbar sei oder dass der Markt das einzige wirksame Mittel zur Leitung von Volkswirtschaften sei. Vielmehr bestätigt er die Warnungen Lenins und Trotzkis von 1917: Die [russische] Arbeiter*innenklasse könne zwar mit der Aufgabe der sozialistischen Revolution beginnen, aber eine sozialistische Gesellschaft könne nicht innerhalb der Grenzen einer wirtschaftlich und kulturell rückständigen Gesellschaft aufgebaut werden. Der Sozialismus müsse einen höheren Organisationsgrad erreichen als der Kapitalismus, der bereits einen Weltmarkt geschaffen hat. Erfolgreiche Wirtschaftsplanung und Arbeiter*innendemokratie hing daher von der Ausbreitung der Revolution auf eine Reihe von wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern mit starken Proletariaten ab.

Der Zusammenbruch der stalinistischen Regime bestätigte darüber hinaus die von Trotzki in den 1930er Jahren geäußerte Kritik am Stalinismus. Trotzki argumentierte, dass die Entwicklung einer privilegierten Bürokratie, die unter Stalins diktatorischer Herrschaft die Kontrolle der Gesellschaft durch die Arbeiter*innenvertreter*innen an sich riss, die Errungenschaften der Planwirtschaft stark einschränken und schließlich untergraben würde. Trotzki warnte, dass in der Gier der Bürokrat*innen nach Privilegien und persönlicher Macht die Saat für eine künftige kapitalistische Restauration liege. Der Ausweg lag in einer politischen Revolution, in der die Arbeiter*innen die herrschende Elite stürzen, die Arbeiter*innendemokratie wiederbeleben und Wirtschaftsplanung entwickeln würden – auf der Grundlage internationalistischer Verbindungen mit den Arbeiter*innen anderer Länder.

In der Folgezeit gab es zwar Schritte zu einer politischen Revolution, zum Beispiel 1956 in Ungarn, doch gelang es der Bürokratie, sich in größerem Umfang zu konsolidieren als von Trotzki vorhergesehen. Das lag vor allem an der Schwäche der großen kapitalistischen Staaten in der Krisenzeit der 1930er Jahre und den innerkapitalistischen Konflikten des Zweiten Weltkriegs, als die Westmächte gezwungen waren, sich gegen ihre faschistischen Rivalen auf die Sowjetunion zu stützen. Angesichts des neuen Kräfteverhältnisses nach dem Krieg war der Kapitalismus gezwungen, sich zurückzuziehen und Osteuropa (und später China) einem erstarkten Stalinismus zu überlassen.

Die Wirtschaftsplanung bewies trotz der enormen menschlichen Kosten unter totalitärer Kontrolle einiges von ihrem Potenzial. Die Sowjetunion wurde in eine mächtige Industriemacht und später in eine nukleare Supermacht verwandelt, die eine Zeit lang mit dem US-Imperialismus konkurrierte. Zwar mangelte es den Arbeiter*innen notorisch an qualitativ hochwertigen Konsumgütern, doch wurde der Lebensstandard in anderer Hinsicht unermesslich gesteigert, mit Vollbeschäftigung, billigen Wohnungen, guten Bildungs- und Gesundheitsdiensten usw.

Dennoch waren, wie Trotzki vorausgesagt hatte, die Fortschritte, die unter einer Bürokratie erzielt werden konnten, streng begrenzt. Die Bürokratie unterdrückte jedes demokratische Element und errichtete eine starre Kommandostruktur, die die Bedingungen widerspiegelte, unter denen sie entstanden war: die politischen Säuberungen der 1930er Jahre und die technisch-industrielle Struktur der grundlegenden Schwerindustrien, klassisch in den 1940er Jahren.

Die nachfolgenden Reformer, von Chruschtschow bis Gorbatschow, bastelten zwar an dem System herum und erzielten vorübergehende Verbesserungen, aber der bürokratische Apparat war letztlich nicht in der Lage, sich an die neuen Technologien und die veränderten sozialen Bedingungen einer modernen Industriegesellschaft anzupassen. Ohne die Einbeziehung der Initiative der Arbeiter*innen wurde die Planung mehr und mehr ausgehöhlt, und der Markt tauchte durch die Hintertür wieder auf – durch inoffiziellen Tauschhandel zwischen Unternehmen und einen Schwarzmarkt für Lebensmittel und Konsumgüter, um die enormen Lücken im Plan zu füllen.

Die Massenbewegung von Solidarność in Polen Anfang der 1980er Jahre signalisierte, dass für den Stalinismus „das Spiel vorbei war“. Der erschütterte „liberale“ Flügel der Bürokratie unter Gorbatschow versuchte verzweifelt, das System zu reformieren – nur um den Zerfall der zentralen Planung und den Zusammenbruch in die Marktanarchie auszulösen.

Der Zusammenbruch der Wirtschaftsplanung ergab sich aus den inneren Widersprüchen des Stalinismus, nicht aus der Überlegenheit des Marktes. Im Gegenteil, die Rückkehr zum Markt stellt einen konterrevolutionären Rückfall in privates Profitstreben und Anarchie dar, was durch das Hervortreten von Mafia-Elemente in der Wirtschaft der ehemaligen Sowjetunion deutlich wird. Weit davon entfernt, seine Überlegenheit zu beweisen, brachte die Einführung des Marktes die tiefste Wirtschaftskrise der Neuzeit.

Der Stalinismus war kein gesundes Experiment des sozialistischen Aufbaus – er war ein äußerst widersprüchlicher Umweg, der in eine Sackgasse führte. Aber wir können nicht zulassen, dass diese historische Erfahrung durch die kapitalistische Propaganda begraben wird, dass der Sozialismus tot sei und nur der Kapitalismus funktioniere. Wir müssen die konkreten historischen Umstände erklären, die für die Degeneration des ersten Arbeiter*innenstaates ausschlaggebend waren, das Fortschrittliche vom Reaktionären trennen und die Lehren daraus auf die Formulierung eines sozialistischen Programms für die Zukunft anwenden.

Eine kapitalistische Renaissance?

Der „Tod des Kommunismus“ nach 1989 hat eine Orgie des kapitalistischen Triumphalismus inspiriert. Nach vier Jahrzehnten der Rivalität zwischen dem US-Imperialismus und der sowjetischen Supermacht im „Kalten Krieg“ erschien die Implosion des Stalinismus zweifellos als ein Sieg für „den Westen“. Die von den USA angeführte Intervention gegen den Irak im Golfkrieg, die unter außergewöhnlich günstigen Bedingungen für den Imperialismus stattfand, verstärkte den Eindruck, dass der Westen gestärkt wurde.

In der wirtschaftlichen Sphäre kam der Fall der Berliner Mauer, als die internationalen Kapitalist*innen als Ergebnis der Superprofite (und der gesenkten Steuern) aus dem Spekulationsboom der späten 1980er Jahre voller Zuversicht waren. Dieser Trip der Profitekstase setzte sich 1990/91 fort, obwohl die Weltwirtschaft in eine anhaltende Stagnation zurückfiel. Die Kapitalist*innen trösteten sich mit dem bemerkenswerten Wachstumsschub, der in China, in einigen Regionen Asiens und in einigen lateinamerikanischen Ländern stattfand, wo das Aufzwingen von „Strukturreformprogrammen“ nach der Schuldenkrise der 1980er Jahre hochprofitable Felder für spekulative Investitionen eröffnete.

Aber waren die Voraussetzungen für eine globale kapitalistische Renaissance geschaffen worden? Die Antwort muss bei jeder nüchternen Betrachtung eindeutig nein lauten. Die Profite der Großkonzerne und insbesondere der großkapitalistischen Spekulanten haben wieder das hohe Niveau der Nachkriegsaufschwungperiode (1950-73) erreicht. Dies wurde jedoch vor allem durch eine verstärkte Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse erreicht – durch niedrigere Löhne, geringere Sozialausgaben und härtere Managementregime am Arbeitsplatz. Außerhalb der fortgeschrittenen Hochtechnologiesektoren der Wirtschaft (Mikroelektronik, Kommunikationstechnologie, Biotechnologie, Pharmazie usw.) ist das Produktions- und Produktivitätswachstum geringer als in der Aufschwungsperiode. In den großen Industrieländern, vor allem in den USA und in Japan, ist es zu einer „Aushöhlung“ der Industrie gekommen, mit dem beschleunigten Verdrängen der verarbeitenden Industrie durch den Dienstleistungssektor.

Der Kapitalismus ist weit von einer Periode der Renaissance entfernt, sondern ist in eine Periode chronischer Depression eingetreten. Der Zyklus von Booms und schweren Krisen wird sich fortsetzen (wie wir bereits seit 1990 gesehen haben), aber aufeinanderfolgende Erholungsperioden werden die dem langfristigen Niedergang zugrunde liegenden Ursachen nicht beseitigen – im Gegenteil, sie werden sich noch verstärken. Der Boom der 80er Jahre in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, die Welle spekulativer Investitionen in bestimmten Ländern der Dritten Welt und die eher schwache Erholung der großen Volkswirtschaften in den letzten zwei oder drei Jahren haben die Erosion der Bedingungen für langfristiges Wachstum, die in der Nachkriegszeit geschaffen wurden, in keiner Weise aufgehalten.

In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern haben die Kapitalist*innen die Rentabilität wiederhergestellt, indem sie die Zugeständnisse, die sie der Arbeiter*innenklasse während des Nachkriegsaufschwungs machen mussten, wieder einkassiert haben: Vollbeschäftigung, relativ hohes Lohnniveau, Sozialstaat usw. Angesichts des Rückgangs der Rentabilität ab Ende der 1960er Jahre kam die Kapitalist*innenklasse zu dem Schluss, dass sie sich die Gemeinkosten des „Wohlfahrtsstaates“ nicht mehr leisten konnte. In den 1980er Jahren k amen der Thatcherismus oder die Reaganomics mit der Privatisierung staatlicher Industrien, der Kürzung staatlicher Sozialausgaben und einem Angriff auf die etablierte Stärke der Gewerkschaften auf die Tagesordnung. Das Ergebnis war jedoch eine drastische Aushöhlung des Marktes, der die Grundlage für die hohen Investitionen und die anhaltende Rentabilität in der Aufschwungphase bildete. Die Kapitalist*innen sind in einem Widerspruch gefangen.

International führte das Ende des Aufschwungs zum Zeitpunkt der Ölpreiskrise 1973/74 zu einem Zusammenbruch des relativ stabilen Rahmens der kapitalistischen Weltwirtschaft, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit geschaffen worden war. Es ist wahr, dass es eine Beschleunigung des Wachstum des Welthandels in den 80er und frühen 90er Jahren gab, doch hat dies zu verstärkten Spannungen zwischen den großen Exporteuren geführt. Dies spiegelt sich in der Bildung großer Handelsblöcke wider, der Europäischen Union und der NAFTA, mit einem lockeren asiatischen Block um Japan.

Vor allem spiegelt sich der Zusammenbruch der Weltwirtschaftsbeziehungen jedoch im Zusammenbruch des relativ stabilen Bretton-Woods-Geldsystems nach 1973 und in der Einführung flexibler Wechselkurse wider. Zusammen mit der Deregulierung der Finanzmärkte und dem Anstieg der weltweiten spekulativen Investitionen (die ihrerseits ein Zeichen für die Abkehr der Kapitalist*innen von der Entwicklung der Produktivkräfte sind) hat dies ein erheblichen Element der Instabilität in die Weltwirtschaft eingeführt.

Die „Globalisierung“ bedeutet in Wirklichkeit eine Rückkehr zur Lage vor 1913, als der Kapitalverkehr auf dem Weltmarkt noch ungehindert war. Jedoch ist die Lage für den Kapitalismus jetzt weniger günstig. Damals herrschte der Goldstandard vor, der rein auf Wechselkurs- und Zinsänderungen basierende Spekulationsströme weitgehend ausschloss. Außerdem gab es eine größere Freizügigkeit der Arbeitskräfte, was bedeutete, dass die Arbeiter*innen aus Gebieten mit Massenarbeitslosigkeit (wie den ärmeren Ländern Süd- und Osteuropas) in expandierende Volkswirtschaften (wie die USA, Lateinamerika, Australasien usw.) abwandern konnten. Auch die Staatsverschuldung war damals viel niedriger als die heutigen historisch beispielloses Niveaus.

Es sind die Bedingungen einer tiefen Krise, nicht eines anhaltenden Aufschwungs, die jetzt in der Weltwirtschaft zusammenkommen. Auch wenn es keine mechanische, lineare Verbindung zwischen Wirtschaftskrise und politischem Kampf gibt, wird die Wirtschaftskrise, die sich in den kommenden Jahren entfalten wird, unweigerlich Massenkämpfe sowohl in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern als auch in den halb- und unterentwickelten Ländern auslösen.

Der Zusammenbruch des reformistischen Sozialismus

Die Idee, dass der Sozialismus endgültig in den Hintergrund getreten sei, wurde durch den dramatischen Rechtsruck der Anführer*innen der Sozialdemokratischen und Labour-Parteien samt ihren Verbündeten in den Gewerkschaften noch verstärkt. Seit den frühen 1980er Jahren haben die Anführer*innen des reformistischen Sozialismus ihr früheres formales Engagement für eine alternative sozialistische Gesellschaft aufgegeben und sogar ihr politisches Engagement für fortschrittliche Reformen zugunsten der Arbeiter*innenklasse aufgegeben.

Viele Beispiele ließen sich anführen. Noch vor der schweren Wirtschaftskrise von 1979-81, der die Hinwendung der großen kapitalistischen Regierungen zur Politik des „freien Marktes“ markierte, verfolgte die britische Labour-Regierung von 1974-79 eine deflationäre, monetaristische Politik. Dies bedeutete das Ende des auf dem Keynesianismus basierenden Reformismus in Großbritannien und eröffnete die Ära des Reformismus-ohne-Reformen.

In den 1980er Jahren folgten diesem gegenreformerischen Trend die sozialdemokratischen Anführer*innen in anderen europäischen Ländern – Gonzalez in Spanien, Papandreou in Griechenland und Mitterrand in Frankreich, die nach dem Sieg der Sozialistischen Partei 1981 zunächst eine reformistische Politik verfolgten, um sie dann innerhalb eines Jahres wieder aufzugeben.

Der Zusammenbruch der stalinistischen Regime beschleunigte diese Entwicklung enorm. Grundlegend war der Prozess der politischen Degeneration der Labour-Führer*innen jedoch in den gesellschaftlichen Trends der vorangegangenen Periode verwurzelt.

Die Stärke der sozialdemokratischen Arbeiter*innenorganisationen beruhte auf dem langen Nachkriegsaufschwung. Angesichts des Kräfteverhältnisses zwischen dem Erstarken der Arbeiter*innenklasse in der Zeit der Vollbeschäftigung und den damaligen wirtschaftlichen Bedürfnissen der Kapitalist*innenklasse lag es im Interesse der Großkonzerne, höhere Löhne und höhere Sozialausgaben zuzulassen und die Vollbeschäftigung zu fördern. Der Wahlerfolg der sozialdemokratischen Anführer*innen (der im Übrigen äußerst uneinheitlich war) beruhte nicht auf der Anziehungskraft ihrer Ideen, sondern auf diesen gesellschaftlichen Bedingungen. Wenn sie an der Macht waren, konnten die reformistischen Parteien Reformen durchführen und sich so die Unterstützung der Arbeiter*innenklasse sichern. Als diese sozioökonomischen Bedingungen erodierten, wurde auch die Wahlbasis der reformistischen Parteien generell untergraben.

Nach 1973 waren die Kapitalist*innen in vielen Ländern immer noch gezwungen, Zugeständnisse an die Arbeiter*innen zu machen, die zu diesem Zeitpunkt noch die während des Aufschwungs aufgebaute gewerkschaftliche Stärke besaßen. Reformistische Regierungen waren anfangs noch in der Lage, einige begrenzte Reformen einzuführen – die dann durch die sich beschleunigende Inflation und die eskalierende Arbeitslosigkeit schnell wieder zunichte gemacht wurden, was dazu beitrug, diese Parteien bei den Wahlen zu diskreditieren.

Paradoxerweise sind viele in der marxistischen Linken international durch den Zusammenbruch der reformistischen Linken völlig demoralisiert worden. Das ist widersprüchlich, denn der Marxismus hat nie akzeptiert, dass schrittweise Reformen im Rahmen des Kapitalismus eine sozialistische Gesellschaft hervorbringen könnten. Was wahr ist, ist, dass die Reformist*innen durch ihre Vorherrschaft in den traditionellen Arbeiter*innenmassenparteien und den Gewerkschaften ein enormes politisches und organisatorisches Hindernis für die Verteidigung der Arbeiter*inneninteressen gegen einen kapitalistischen Angriff dargestellt haben.

Es gibt jedoch nicht eine der traditionellen Arbeiter*innenorganisationen, die sich derzeit nicht in einer Krise befindet. Die reformistischen Anführer*innen haben keine Massenbasis mehr, die sie als selbstverständlich betrachten können. Dies ist ein weiterer Aspekt der Prüfung und Erosion der Ideen und Institutionen, die während des Nachkriegsaufschwungs gestärkt wurden. Die Schwächung der Sozialdemokratie bedeutet eine Schwächung einer der Stützen, auf denen die kapitalistische Stabilität während der Aufschwungphase ruhte. In der kommenden Periode der Massenkämpfe der Arbeiter*innenklasse wird das, was von diesen Organisationen übrig geblieben ist, auf den Prüfstand gestellt werden. Teile von ihnen werden entweder demokratisiert und in Kampfwerkzeuge umgewandelt, oder sie werden beiseite gefegt, um Platz für neue Massenorganisationen und -bewegungen der Arbeiter*innen zu machen.

Die Rolle der Arbeiter*innenklasse

Aber beruht der ideologische Rechtsruck nicht auf der Niederlage der Arbeiter*innenklasse? Hat sich das Kräfteverhältnis der Klassen innerhalb der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder und international in den letzten 10 bis 20 Jahren nicht entscheidend zugunsten des Kapitalismus verschoben?

Schließlich, kann man argumentieren, hat Massenarbeitslosigkeit in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern die Stärke der organisierten Arbeiter*innen untergraben. Der Staat, vor allem in Großbritannien, aber auch in anderen Ländern, war in der Lage, in der Vergangenheit zugestandene Gewerkschaftsrechte zurückzudrehen. Die „großen Bataillone“ der organisierten Arbeiter*innen sind durch Deindustrialisierung und Standortverlagerung ernsthaft geschwächt worden. Ein immer größerer Teil der Arbeiter*innen ist heute gezwungen, Zeitarbeit, Teilzeitarbeit und Gelegenheitsjobs verschiedenster Art zu akzeptieren, die schlecht bezahlt sind und nur sehr wenige Rechte haben.

Diese Tendenzen (zusammen mit der Untergrabung der Loyalität der Arbeiter*innenklasse gegenüber den traditionellen Arbeiter*innenparteien) müssen anerkannt werden. Es gibt jedoch keine Rechtfertigung, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Arbeiter*innenklasse als eine Kraft, die zu einem historischen Kampf gegen das kapitalistische System und für eine neue sozialistische Gesellschaftsordnung fähig ist, am Ende sei. Es gab in den letzten zwei Jahrzehnten keine Niederlage von der Größenordnung der faschistischen Konterrevolution in den 1930er Jahren.

Was wir in der letzten Zeit erlebt haben, ist keine Zerschlagung der Macht der organisierten Arbeiter*innenbewegung, sondern ein Zurückdrehen eines Teils (und in einigen Ländern eines beträchtlichen Teils) der außergewöhnlichen Errungenschaften, die die Arbeiter*innenklasse in der Zeit des Nachkriegsaufschwungs erzielt hatte. Nach der schweren Wirtschaftskrise von 1974-75 gaben die Kapitalist*innen den Keynesianismus auf und wandten sich dem Neoliberalismus zu – und einer langfristigen Politik der Untergrabung der Macht der organisierten Arbeiter*innenklasse. International gab es massive Kämpfe gegen diese kapitalistische Offensive, die in vielen Fällen die Kürzungen einschränkten oder verzögerten. Der subjektive Faktor, das Fehlen von Anführer*innen mit der notwendigen Strategie und Taktik, war jedoch entscheidend. Der allgemeinen kapitalistischen Offensive, die auf Veränderungen der Produktionsmethoden und der weltweiten Arbeitsteilung beruht, konnte nur auf der Grundlage eines kühnen antikapitalistischen Programms erfolgreich widerstanden werden, das die Tagesforderungen mit der Perspektive sozialistischer Veränderungen verband. Doch die Gewerkschaftsführungen, die den sozialdemokratischen Führungen folgten, akzeptierten in den meisten Fällen die Logik des Marktes.

In der ehemaligen Sowjetunion und in Osteuropa gab es für die Arbeiter*innenklasse eindeutig eine verheerende Niederlage. Das Erbe des totalitären Stalinismus, der kein Element einer unabhängigen Arbeiter*innendemokratie zuließ, ist die Atomisierung der Arbeiter*innenklasse. Die Erholung der Kräfte der Arbeiter*innenklasse wird einige Zeit in Anspruch nehmen, insbesondere in der ehemaligen Sowjetunion. Dennoch können wir Anzeichen für eine Erneuerung der Arbeiter*innenklasse bereits in den jüngsten industriellen Kämpfen in Polen, der Tschechoslowakei und anderen osteuropäischen Ländern erkennen.

In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern hingegen gab es in der letzten Zeit eine fast ununterbrochene Welle des Kampfes gegen die kapitalistische Offensive auf den Lebensstandard und die demokratischen Rechte. Sowohl in Italien als auch in Frankreich besteht beispielsweise ein eklatanter Widerspruch zwischen dem politischen Kräfteverhältnis, wo rechte Parteien gegen die ideologisch bankrotten Parteien der Linken triumphiert haben, und dem gesellschaftlichen Kräfteverhältnis wo die Massenkämpfe der Arbeiter*innen den Angriffen der Großkonzerne und des Staates erfolgreich widerstanden haben.

In Mexiko löste der Aufstand der Zapatist*innen, der eine tiefe Unzufriedenheit der Mehrheit des städtischen und ländlichen Proletariats widerspiegelt, den Zusammenbruch des mexikanischen „Wirtschaftswunders“ aus, was wiederum Schockwellen in der Weltwirtschaft auslöste.

Die Arbeiter*innenklasse bleibt die entscheidende Kraft für den Wandel. Sie wird eine Verschlechterung der Bedingungen, Massenarbeitslosigkeit und Verarmung, die in der nächsten Periode eindeutig auf der Tagesordnung der Kapitalist*innen stehen, nicht tatenlos hinnehmen. Obendrein können die Arbeiter*innen diesen barbarischen Bedingungen nicht widerstehen, ohne das gesamte System in Frage zu stellen. Weit davon entfernt, das Ende der Arbeiter*innenklasse als fortschrittliche Kraft zu sehen, erfahren wir den Beginn einer neuen Phase des Kampfes. Die Krise innerhalb der traditionellen Arbeiter*innenparteien macht den Weg frei für eine Erneuerung des antikapitalistischen, sozialistischen Kampfes. Einen Prozess der Demokratisierung und Erneuerung wird es auch innerhalb der Gewerkschaften geben. Die Arbeiter*innenklasse, weit davon entfernt, von der „neuen Mittelschicht“ verdrängt zu werden, wird zunehmend weite Teile der Mittelschichten hinter sich bringen, die ihrerseits durch die kapitalistische Krise unter Druck gesetzt und in Wirklichkeit proletarisiert werden.

Das Programm des Sozialismus

Die Anziehungskraft der sozialistischen Ideen wurde in den letzten Jahren aus den genannten Gründen zweifellos geschwächt. Aber das ist nur die vorübergehende Auswirkung einer vorübergehenden Konstellation. Das Bewusstsein, insbesondere der jüngeren Generation von Arbeiter*innen und Jugendlichen, wird von den gegenwärtigen Bedingungen und von den Ereignissen bestimmt werden, die sich entfalten werden.

In dem Maße, wie sich die Kämpfe entwickeln, werden die aktiveren Arbeiter*innen und Jugendlichen gezwungen sein, nach einem antikapitalistischen Programm zu suchen, das nur in sozialistischen Begriffen formuliert werden kann. Paradoxerweise gibt es heute ein Niveau von sozialen Spannungen, politischen Protesten und Jugendrebellionen, das in der Nachkriegszeit beispiellos ist. Der zersplitterte Charakter der Bewegungen, zu denen das führt, liegt vor allem an den politischen Bankrott der traditionellen Massenorganisationen. Aber die Kämpfe der verschiedenen Arbeiter*innenschichten und die Phänomene der „neuen sozialen Bewegungen“ sind eine Antwort auf die verschiedenen Symptome des kapitalistischen Niedergangs. Es ist unmöglich, den Lebensstandard und die demokratischen Rechte zu verteidigen, der Zerstörung der Umwelt Einhalt zu gebieten, geschweige denn die verschiedenen blutigen Konflikte international zu beenden, ohne der Macht der Kapitalist*innenklasse entgegenzutreten.

Diejenigen, die den Markt als ewige Form der sozialen Organisation akzeptieren, verurteilen in Wirklichkeit die Mehrheit der Gesellschaft zu einer Zukunft mit zunehmender sozialer Polarisierung, Massenverarmung und dem Wiederauftreten barbarischer Bedingungen von Unterdrückung und Konflikten.

Das Akzeptieren des „Marktes“ bedeutet das Akzeptieren der Beherrschung der Weltproduktion und des Welthandels durch eine kleine Handvoll großer kapitalistischer Monopole, die Festlegung der sozialen Prioritäten durch ihr Profitstreben und das „Organisieren“ des Wirtschaftslebens durch den anarchischen Markt des Kapitalismus. Die einzig gangbare Alternative dazu bleibt die sozialistische Planwirtschaft, nicht nach dem stalinistischen Modell, sondern auf der Grundlage internationaler Planung und demokratischer Arbeiter*innenverwaltung und -kontrolle. Auf einer solchen Grundlage könnten Wissenschaft und Technologie in ausgewogener Weise auf die Produktion angewandt werden, um die menschlichen Bedürfnisse zu befriedigen und für eine harmonische Entwicklung der Gesellschaft im Interesse der Mehrheit.

Nur auf dieser Grundlage können die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus – das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Aufteilung der Weltwirtschaft in letztlich antagonistische nationale Wirtschaften – überwunden und damit die grundlegenden Wurzeln von Unterdrückung und Konflikt beseitigt werden.

Unsere Aufgabe ist es, durch die Intervention in den Kampf und durch den Dialog mit den Arbeiter*innen und Jugendlichen ein sozialistisches Programm zu erarbeiten, das eine wirksame Anleitung zum Handeln bietet und die Autorität des echten Marxismus wiederherstellt. Wenn wir nicht vor einem barbarischen Kapitalismus kapitulieren wollen, müssen wir für eine sozialistische Zukunft kämpfen.


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