Lynn Walsh: US-Wirtschaft: In Richtung Rezession?

(eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 106, Dezember 2006-Januar 2007)

Die US-Wirtschaft hat sich vor den Zwischenwahlen stark verlangsamt. Die Daten für das dritte Quartal 2006 zeigten, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur noch um 1,6% (auf das Jahr hochgerechnet) wuchs, gegenüber 2,6% im Vorquartal. In letzter Zeit hat die Wachstumsrate allerdings stark geschwankt. Die jüngsten Zahlen deuten jedoch auf die Möglichkeit einer Rezession hin.

Die Vertiefung der Rezession auf dem Wohnungsmarkt mit einem Rückgang der Investitionen in Wohnimmobilien um 17% hat alle positiven Auswirkungen des Rückgangs der Energiepreise zunichte gemacht. Die Verbraucher*innenausgaben (insbesondere bei den wohlhabenderen Verbraucher*innen) sind nach wie vor die treibende Kraft des US-Wachstums und blieben mit einer Jahresrate von 3,1% recht kräftig. Arbeitende Familien sind jedoch mehr denn je von Schulden abhängig. Seit 2001 übersteigen die Verbraucher*innenausgaben das Wachstum der Lohn- und Gehaltseinkommen um 270 Milliarden Dollar pro Jahr.

Im Kontrast dazu brüsteten sich die Bush-Propagandisten im Oktober mit Rekordständen an den Aktienmärkten – das Ergebnis ihrer Politik der Steuersenkungen für die Superreichen, wie sie behaupteten. Es stimmt, der Dow Jones übertraf seinen Spekulationsblasen-Höchststand vom Januar 2000. Aber inflationsbereinigt, die einzige seriöse Vergleichsbasis, liegt er immer noch mehr als 15% niedriger. Um einen neuen inflationsbereinigten Rekord aufzustellen, müsste er über 2.300 Punkte steigen. Der S&P 500, der auf einer viel breiteren Palette von Unternehmensaktien basiert, liegt nominal etwa 10% unter seinem Höchststand von 2000 und inflationsbereinigt mehr als 25% darunter.

In jedem Fall werden neue Höchststände an der Börse für die Mehrheit der arbeitenden Familien wenig oder gar keinen Trost bedeuten. Nur ein Drittel der US-Haushalte besitzt Aktien im Wert von mehr als 5.000 Dollar (Daten von 2004). Die wohlhabendsten 10% der Haushalte besitzen 80% aller Aktien, während die unteren 90% nur 20% besitzen (größtenteils über Rentensparpläne).

Bushs Offizielle hoben auch den jüngsten Rückgang der Arbeitslosigkeit hervor, die im Oktober auf ein Fünfjahrestief von 4,4% (6,7 Millionen Menschen) gesunken ist. Dennoch bleibt die Schaffung neuer Arbeitsplätze im Vergleich zu früheren Konjunkturzyklen schwach. Der Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter ist weiter gesunken (jetzt 63,3% gegenüber dem Höchststand von 64,7% im April 2000).

Das Beschäftigungswachstum ist nach wie vor im Dienstleistungssektor am stärksten, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen. Am stärksten war das Beschäftigungswachstum bei älteren Arbeiter*innen und Teilzeitbeschäftigten (von denen viele eigentlich Vollzeitstellen benötigen). Die Bauwirtschaft und verwandte Sektoren haben Arbeitsplätze abgebaut, während die Beschäftigung in der verarbeitenden Industrie weiter zurückgeht (seit September 2003 ist die Zahl der Arbeitsplätze in den Fabriken um 187.000 gesunken), was die fortschreitende Deindustrialisierung widerspiegelt.

Die Hauptursache für die jüngste Verlangsamung ist der sich abzeichnende Zusammenbruch des Immobilienmarktes. Ab Mitte der 1990er Jahre entwickelten die USA eine enorme Immobilienblase, die durch eine Fülle billiger Kredite angeheizt wurde. Auf nationaler Ebene stiegen die Immobilienpreise um 70% stärker als die Preise im Allgemeinen (historisch gesehen stiegen sie in der Regel mit der gleichen Rate), und in „Hot Spots“ wie Boston und San Francisco sogar noch stärker.

Infolge der Blase wurden durch den Immobilienmarkt zusätzliche 5 Billionen Dollar an Papiervermögen in die Wirtschaft gepumpt. Wie die Börsenblase der späten 1990er Jahre steigerte die Immobilienblase das Niveau der Verbraucher*innenausgaben. Sie hatte sogar noch größere Auswirkungen, weil der „Vermögenseffekt“ des Immobilienmarktes viel breitere Bevölkerungsschichten erfasst hat.

Viele Familien haben ihr Haus wie einen Geldautomaten benutzt, indem sie Kredite auf der Basis steigender Werte aufnahmen. In den letzten Jahren haben sie jährlich etwa 700 Milliarden Dollar „abgehoben“. Dieser Prozess neigt sich nun dem Ende zu. Die Zinserhöhungen der US-Notenbank (der Leitzins ist von ein Prozent im Jahr 2003 auf 5,25% in diesem Jahr gestiegen) verteuern die Immobilienkredite und drücken die Immobilienpreise nach unten. Den Schuldner*innen gehen allmählich sowohl das Eigenkapital als auch das Einkommen aus. Immer mehr Familien werden sich in Schwierigkeiten befinden. Die Zahl der Zahlungsrückstände (über 60 Tage) und Zwangsvollstreckungen ist bereits stark angestiegen.

Der Verkauf von neuen Häusern hat sich bereits stark verlangsamt und wurde nur durch große Preisnachlässe und andere Anreize für Käufer*innen aufrechterhalten. Die Verkäufe bestehender Häuser sind ziemlich stark zurückgegangen. Dies wird sich auf die Investitionen und die Beschäftigung auswirken, mit weiteren Folgewirkungen. Zwischen 2001 und 2006 entfielen auf das Baugewerbe und die damit verbundenen Sektoren (Baumaterialien, Möbel, Immobilienfinanzierung usw.) 69% der im Privatsektor geschaffenen Arbeitsplätze.

In den Medien wird viel von einer „Bodenbildung“ auf dem Wohnungsmarkt gesprochen. Dies wird jedoch durch die tatsächlichen Trends widerlegt. Ein Wirtschaftswissenschaftler von der Universität von Maryland, Peter Morici, kommentiert: „Die Spekulationsraserei der letzten Jahre führt zu einer umfassenden Anpassung, und das fröhliche Gerede der Immobilienmakler verlängert den Prozess. Die Abwesenheit einer realistischen Analyse des Ausmaßes der Überbewertung ist bezeichnend für eine Branche, die nichts anderes als einen Aufwärtstrend bei den Werten sieht, aber Häuser können wie jeder andere Vermögenswert überteuert sein… die Dinge werden wahrscheinlich noch schlimmer werden, bevor sie besser werden“. („Record Drop in Home Prices” [Rekordrückgang bei den Immobilienpreisen], „Washington Post“, 26. Oktober)

Der Immobilienmarkt ist anders als der Aktienmarkt. Während Aktien plötzlich abstürzen können, gehen die Preise von Wohnungen in der Regel langsamer zurück. Bestehende Hausbesitzer*innen warten ab und hoffen, dass sich die Preise erholen. Dennoch deuten alle Anzeichen darauf hin, dass der Immobilienmarkt in eine schwere Rezession geraten ist und die Talsohle noch lange nicht erreicht ist. Selbst eine „sanfte Landung“ des Immobilienmarktes wird die Verbraucher*innenausgaben drücken und könnte die gesamte US-Wirtschaft in eine Rezession stürzen. Eine „harte Landung“ könnte jedoch eine Menge Kollateralschäden verursachen, mit Konkursen im Bausektor und Turbulenzen bei überschuldeten Hypothekenkreditgeber*innen.

Konzerne haben Rekordprofite verkündet. Das spiegelt die intensiven Kostensenkungen wider, die die Bosse seit der Rezession von 2001 durchgedrückt haben. Arbeitsplätze wurden abgebaut, Löhne gedrückt und Sozialleistungen gekürzt, während die Produktion von Waren und Dienstleistungen erheblich gestiegen ist.

Ende 2005 erreichten die Unternehmensprofite im Verhältnis zum BIP den bisherigen Höchststand von 1968, dem Höhepunkt des Wirtschaftsaufschwungs der Nachkriegszeit. Seit dem Höhepunkt des letzten Konjunkturzyklus (erstes Quartal 2001) ist der Anteil der Unternehmensprofite am Volksvermögen um 3,9% gestiegen, während der Anteil des Arbeitseinkommen (Löhne und Sozialleistungen) um 1,4 Prozentpunkte gesunken ist.

Kein Wunder, dass arbeitende Familien auf Schulden zurückgreifen, um die sinkenden Einkommen aus Löhnen und Gehältern auszugleichen. Die durchschnittliche Verschuldung der Haushalte beträgt nun 129% des verfügbaren Einkommens (nach Steuern). Da die Zinssätze steigen, wirkt sich die wachsende Schuldenlast unweigerlich auf die Verbraucher*innenausgaben aus.

Von den Produktivitätssteigerungen der letzten fünf Jahre (Anstieg der Produktion pro Arbeiter*innen/Stunde) ist praktisch nichts an die Arbeiter*innen weitergegeben worden. Der durchschnittliche reale (inflationsbereinigte) Wochenverdienst war in diesem Sommer fast genauso hoch wie im März 2001.

Importe in die USA stiegen im dritten Quartal weiterhin schneller (7,8%) als die Exporte (6,5%), so dass das Handelsdefizit mit 810 Mrd. $ (6,1% des BIP) einen weiteren Rekordwert erreichte. Es gab einen leichten Fall im September-Handelsbilanzdefizit (was vor allem den geringeren Wert der Öleinfuhren widerspiegelte). Aber selbst wenn sich diese Verbesserung fortsetzen sollte, würde das jährliche Defizit immer noch 790 Mrd. $ betragen, verglichen mit 717 Mrd. $ im letzten Jahr. Jahr für Jahr wiederkehrende Defizite müssen durch einen massiven Zustrom von Geld ins Land finanziert werden. Dies geschieht in Form von ausländischen Investor*innen, die Immobilien, Unternehmen oder Finanzanlagen in den USA kaufen.

In zunehmendem Maße sind es auch ausländische Regierungen, die US-Staatsanleihen kaufen. Insbesondere China, Japan, Südkorea und andere ostasiatische Exporteur*innen, die Handelsüberschüsse mit den USA haben, sahen sich gezwungen, die US-Wirtschaft als entscheidenden Markt für ihre Exporte zu unterstützen.

Als Ergebnis dieses Prozesses hat der US-Kapitalismus gegenüber dem Rest der Welt eine Verschuldung von 2,69 Billionen Dollar angehäuft. Im zweiten Quartal 2006 zahlten die USA 36 Milliarden Dollar Zinsen an ausländische Inhaber*innen von US-Staatsanleihen (1,1% des BIP auf Jahresbasis).

Diese beispiellose Beziehung zwischen dem US-Kapitalismus und einer mächtigen Gruppe von asiatischen Exporteur*innen hat außergewöhnlich lange Zeit gedauert. Aber sie kann nicht ewig so weitergehen. An irgendeinem Punkt wird ein Abschwung in der US-Wirtschaft – oder eine Finanzkrise – einen starken Wertverlust des Dollars gegenüber den wichtigsten Währungen auslösen. China, Japan usw. haben ein ureigenes Interesse daran, das Wirtschaftswachstum der USA aufrechtzuerhalten. Aber ab einem bestimmten Punkt werden sie trotz ihrer massiven Reserven nicht mehr in der Lage sein, einen halsbrecherischen Verfall des Dollars zu verhindern. Sie werden einige Verluste in Kauf nehmen, um ihre US-Märkte zu stützen, aber sie werden wohl kaum zulassen, dass der Wert ihrer US-Vermögenswerte durch eine massive Abwertung des Dollars zunichte gemacht wird. Früher oder später werden sie, wie private Spekulant*innen, ihre Dollaranlagen verkaufen und damit den Verfall des Greenback beschleunigen.

Seit mehr als 25 Jahren hat die US-Kapitalist*innenklasse die Ausbeutung der US-Arbeiter*innen (und auch der Arbeiter*innen international) immer weiter verschärft. Unter Clinton und vor allem unter Bush haben die Großkonzerne eine unbeschränkte Politik des freien Marktes genossen, die zu einer schamlosen Bonanza der Profite führte. Doch wirtschaftlich ist der US-Kapitalismus nicht in einer starken Position. Seine kurzsichtige Profitorgie hat seine eigenen Grundlagen untergraben, und das System steht vor einer Zukunft mit Wirtschaftskrisen und politischen Umwälzungen.

Lynn Walsh


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