Lynn Walsh: Spanien: Bankenrettung kann Euro-Todesspirale nicht stoppen

[eigene Übersetzung des englischen Textes in The Socialist, Nr. 722, 13. Juni 2012]

Lynn Walsh, Herausgeber von Socialism Today

Wie auf einer wackeligen Achterbahn kann der Euro-Zug jeden Moment aus den Schienen schießen. Wird es durch die hochschnellende Schleife der spanischen Bankenkrise ausgelöst? Oder durch den verrückten Korkenzieher der griechischen Krise, der durch die Wahlen am 17. Juni zweifellos noch verschärft werden wird?

Die Euro-Ingenieur*innen tüfteln an der Struktur. Doch die meiste Zeit verbringen sie damit, sich über den besten Entwurf für ein perfekteres System der Eurozone zu streiten. Die spanische Bankenkrise ist die jüngste Panne – aber sie wird sicher nicht die letzte sein.

Die führenden Vertreter*innen der Eurozone haben in einer kostspieligen Überbrückungsmaßnahme eingegriffen, um einen Zusammenbruch des spanischen Bankensystems zu verhindern. Sie haben bis zu 100 Milliarden Euro versprochen, um eine Reihe von Banken zu stabilisieren, die praktisch bankrott sind.

Die Mächte der Eurozone mögen den unmittelbaren Zusammenbruch einer Reihe spanischer Banken abgewendet und auch große Verluste für deutsche und andere Banken, die ihnen Millionen geliehen haben, verhindert haben. Doch schon jetzt wetten die „Finanzmärkte“ – die großen Finanzspekulant*innen – auf eine Virus-artige Ausbreitung der Bankenkrise, zunächst auf Italien und Zypern.

Mariano Rajoy, der rechte spanische Ministerpräsident, beansprucht einen „Sieg“. Er leugnet, dass es sich um eine weitere Rettungsaktion handelt, ähnlich wie bei den früheren Rettungsaktionen für Griechenland, Irland und Portugal. Auch wenn die Bedingungen nicht so streng sind, ist es in Wirklichkeit eine weitere Rettungsaktion. Die Einzelheiten wurden noch nicht enthüllt. Das Geld soll bezwecken, die Banken zu stützen, aber es wird über die spanische Regierung geleitet, die für die Schulden verantwortlich sein wird.

Letztendlich sind es die spanischen Arbeiter*innen, die gezwungen sein werden, die uneinbringlichen Forderungen der Banken zu begleichen. Wie in Irland haben auch die spanischen Banken enorme uneinbringliche Forderungen aus der Immobilienblase angehäuft, die nach der globalen Finanzkrise 2007-08 geplatzt ist. Niemand kennt den tatsächlichen Betrag, aber es wird geschätzt, dass sich die faulen Kredite auf über 200 Milliarden Euro belaufen.

Verstreut in den spanischen Städten gibt es eine große Anzahl halbfertiger und leerer Wohnblocks, Zeugen der verrückten Immobilienblase. Gleichzeitig droht vielen spanischen Familien die Zwangsräumung ihrer Häuser, weil sie ihre Hypothekenzahlungen nicht mehr aufbringen können.

Die spanische Regierung konnte es sich nicht leisten, das gesamte Bankensystem zu retten. Letzten Monat war sie gezwungen, einzugreifen und die Bankia zu übernehmen, eine Bank, die aus der Verschmelzung von sieben regionalen Sparkassen, den so genannten Cajas, entstanden ist. Diese Banken waren im Mittelpunkt des spekulativen Immobilienbooms. Sie waren stark in Korruption verwickelt: Sie zahlten ihren Spitzenmanager*innen hohe Gehälter und Vergünstigungen und vergaben gleichzeitig „milde“ zinsgünstige Kredite an Lokalpolitiker*innen.

Rajoys Regierung musste Bankia 4,5 Mrd. Euro zuschießen, aber es wird geschätzt, dass die Bank weitere 19 Mrd. Euro benötigt, um sich über Wasser zu halten. Es wird behauptet, dass mindestens drei weitere Banken in einer ähnlichen Lage sind.

Die spanische Regierung konnte nicht genug Geld finden, um die Banken zu stützen. Sie muss derzeit einen Zinssatz von über 6% auf Staatsanleihen zahlen, die zur Beschaffung weiterer Mittel ausgegeben wurden. Zum Vergleich: Deutsche Staatsanleihen liegen bei etwa 1,3%. In jedem Fall werden die meisten neu ausgegebenen Staatsanleihen von den spanischen Banken gekauft. Sie können sich derzeit bei der Europäischen Zentralbank Geld zu einem Zinssatz von etwa ein Prozent leihen. Wenn sie spanische Staatsanleihen kaufen, die mit 6% verzinst werden, können sie natürlich einen großen Gewinn erzielen.

Aber es ist eine absurde Lage, in der eine Regierung, die pleite ist, Kredite von Banken aufnimmt, die größtenteils pleite sind. Wenn die Regierung ihre Schulden nicht mehr bedienen kann, würde das gesamte spanische Bankensystem in den Ruin getrieben.

In dieser Lage ist die Behauptung Rajoys, die spanische Regierung benötige keine Rettungsaktion, unsinnig. In Wirklichkeit hat Rajoy auf günstigere Bedingungen gehofft. Obwohl nicht alle Details klar sind, ist es offensichtlich, dass Spanien ein riesiger Kredit (entweder aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität oder dem Europäischen Stabilitätsmechanismus) zur Stabilisierung der Banken angeboten wurde.

Dieser Kredit wurde nicht von den harten Bedingungen begleitet, die beispielsweise Irland als Preis für die 85 Mrd. € schwere Rettungsaktion für die irischen Banken auferlegt wurden. Anders als Griechenland wird Spanien nicht den vierteljährlichen Inspektionen von der Troika – der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und des Internationalen Währungsfonds – unterworfen sein.

Diese Zugeständnis sind teilweise ein Anerkennen der deutschen Regierung und der anderen führenden Vertreter*innen der Eurozone, dass Spanien, die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, „zu groß zum Scheitern“ ist. Obendrein haben sie Angst, Rajoy zu untergraben, da sie seine Regierung brauchen, um die Massenopposition einzudämmen.

In Brüssel sagte Rajoy voraus, dass die Durchsetzung der Arbeitsmarktreform als Teil des Sparpakets ihn „einen Generalstreik kosten“ werde. Innerhalb von 100 Tagen nach seiner Wahl fand ein Massenstreik statt, und die Streiks und Proteste der Bergarbeiter*innen, Student*innen und anderer Teile der spanischen Gesellschaft dauern an.

Ob mit oder ohne „Bedingungen“ der Troika, Rajoys Regierung hat bereits damit begonnen, brutale Kürzungsmaßnahmen umzusetzen. Gesundheits-, Bildungs- und andere soziale Maßnahmen wurden zusammengestrichen. Der Haushalt 2012 umfasste Kürzungen in Höhe von 27 Mrd. €, auf die im nächsten Jahr noch mehr folgen sollen. Die Regierung erkennt an, dass dies einen weiteren Fall des Bruttoinlandsprodukts, das dritte Jahr der Rezession, bedeuten werde. Dies spiegelt sich in einer Arbeitslosigkeit von rund 25% wider, wobei die Hälfte aller jungen Menschen ohne Arbeit ist.

Dies ist die erste größere Intervention der Troika seit den Anti-Austeritäts-Wahlen in Frankreich und Griechenland im Mai. Hinter dem Beharren darauf, dass es sich nicht um ein Rettungspaket handele, stehen zweifellos politische Ängste der herrschenden Klasse Spaniens.

Im April sagte der Kommentator der „Financial Times“ Martin Wolf: „Der vielleicht wichtigste Punkt, der sich herauskristallisiert hat, ist, dass die Krise wachsenden politischen Risiken ausgesetzt ist. Der Sturz der niederländischen Regierung und der Sieg von François Hollande in der ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen demonstrieren diesen Punkt. Die Straße könnte das Establishment überwältigen“.

Globale Krise

George Osborne, der Schatzkanzler der Konservativ-Liberaldemokratischen Koalition, hat der Krise in der Eurozone vorgeworfen, die Erholung der britischen Wirtschaft zu „töten“. Von außerhalb der Eurozone haben Osborne und Premierminister David Cameron zu einer stärkeren Integration aufgerufen, ohne zu erklären, wie dies erreicht werden soll.

Die langgezogene Stagnation der Wirtschaften der Eurozone ist zweifellos ein Faktor für die fortgesetzte Rezession in Großbritannien. Kontinentaleuropa ist der größte Markt für britische Exporte. Aber unsere heimischen Kürzungen, die von der Konservativ-Liberaldemokratischen Regierung aufgezwungen wurden, sind der größte Faktor für die Double-Dip-Rezession hier. Wie in den Ländern der Eurozone untergräbt die rigorose Kürzungspolitik das Wachstum, was tatsächlich die Schuldenlast erhöht.

Die globalen Aussichten für den Kapitalismus sind düster. Die meisten der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder haben noch nicht wieder das Produktionsniveau von vor 2007 erreicht. Der Lebensstandard der Arbeiter*innen wurde überall drastisch verringert. Die Internationale Arbeitsorganisation schätzt, dass der Weltwirtschaftsabschwung seit 2007 weitere 60 Millionen Arbeiter*innen in die Arbeitslosigkeit getrieben hat.

Das schwache Wachstum in den USA, der größten Wirtschaft der Welt, ist ins Stocken geraten. Zwischen 10 und 15% der Exporteinnahmen der US-Spitzen-Unternehmen kommen aus Europa (50% im Fall von Autos), und diese wurden durch die europäische Rezession untergraben.

Obendrein verlangsamt sich die chinesische Wirtschaft. Die Regierung hat kürzlich die Zinssätze gesenkt und die Kreditbedingungen gelockert, um das Wachstum anzukurbeln. Es gibt einen enormer Schuldenberg, vor allem durch die Immobilienblase, die in den letzten Jahren entstanden ist. Es ist keineswegs sicher, dass das chinesische Regime in der Lage sein wird, die Art von staatlich unterstütztem Konjunkturpaket zu wiederholen, die es nach 2008 umgesetzt hat. Indien verlangsamt sich [wirtschaftlich], und auch Brasilien, das in hohem Maße von Rohstoffexporten nach China abhängig ist, schwächt sich ab.

Das sind alle Zutaten für einen perfekten Sturm in der Weltwirtschaft. Eine Verschärfung der Krise der Eurozone (vielleicht ausgelöst durch das Ergebnis der griechischen Wahlen am 17. Juni), eine neue Rezession in den USA oder ein Abschwung und eine politische Krise in China könnten einen weiteren Abschwung bringen. Dieser könnte noch ernsthafter ausfallen als die „große Rezession“, die auf die Finanzkrise von 2007/08 folgte.

Martin Wolf von der FT schrieb kürzlich: „Der Westen ist in einer eingedämmten Depression; schlimmer noch, die Kräfte für einen weiteren Abschwung bauen sich auf, vor allem in der Eurozone. Währenddessen machen die politischen Entscheidungsträger große Fehler“.

Mit „politischen Fehlern“ meint Wolf die fortgesetzte Umsetzung brutaler Kürzungsmaßnahmen angesichts von Stagnation und sogar Rezession anstelle von Maßnahmen zur Wachstumsförderung. Er sagt zu Recht, dass der Euro in gewisser Weise dem Goldstandard zwischen den beiden Weltkriegen ähnelt: Er erlegt den schwächeren Volkswirtschaften wie Griechenland, Portugal, Spanien usw. die enorme Last einer überbewerteten Währung auf.

Gleichzeitig profitieren die stärkeren Volkswirtschaften, besonders Deutschland, zwar von ihrer Position in der Eurozone, sind aber nicht bereit, ihre Wirtschaft auszudehnen und den Markt für andere Länder der Eurozone anzukurbeln.

Wolf verweist auf die Ungewissheit: „Was würde passieren, wenn ein Land die Eurozone verlässt? Keiner weiß es. Könnte sogar Deutschland einen Austritt erwägen? Keiner weiß es. Was ist die langfristige Strategie für den Ausstieg aus der Krise? Keiner weiß es. Angesichts dieser Ungewissheit ist Panik leider rational … Bis jetzt hatte ich nie wirklich verstanden, wie die 1930er Jahre passieren konnten. Jetzt verstehe ich es.“

Die Zukunft der Eurozone?

Die globalen Aktienmärkte stiegen im Gefolge der Nachricht, dass die Eurozone die spanischen Banken retten werde. Dieser Auftrieb wird nur kurzlebig sein. Wohlhabende Investor*innen ziehen ihre Gelder immer noch aus den Banken in Spanien, Griechenland usw. in „sichere Häfen“ wie die Schweiz, die USA und Großbritannien ab. Es gab einen Preisanstieg für Luxuswohnungen im Zentrum Londons, da die Superreichen aus den Ländern der Eurozone Vermögenswerte in London aufkaufen.

Die Rettungsaktion für die spanischen Banken wird sich als eine weitere vorübergehende Maßnahme erweisen, die die grundlegenden Probleme weder Spaniens noch der Eurozone lösen wird. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert erneut „mehr Europa“, mit „schrittweisen“ Schritten in Richtung einer Fiskal- und politischen Union der Länder, die den Euro nutzen.

Jedoch wenn solche Schritte in der Boomphase vor Ende 2007 nicht möglich waren, wie sollen sie dann in einer Phase der Stagnation oder gar des Wirtschaftseinbruchs umgesetzt werden? Rajoy selbst veranschaulicht die schizophrene Haltung vieler führender Politiker*innen der Eurozone. Er begrüßte die neuen Rettungsfonds und forderte Schritte in Richtung einer politischen und Fiskalunion. Doch noch vor wenigen Wochen lehnte er die Ziele der führenden Vertreter*innen der Eurozone für den Schuldenabbau auf der Grundlage ab, die „nationale Souveränität“ zu verteidigen.

Die Architekt*innen der Europäischen Union hatten die Illusion, dass sie die nationalen Grenzen des Kapitalismus überwinden und eine Integration der europäischen Volkswirtschaften herbeiführen könnten. Doch statt Konvergenz zu erreichen, hat der Euro die Unterschiede zwischen den nationalen Wirtschaften verschärft.

Wut und Unmut über die Kürzungspolitik haben zum Wachstum nationalistischer Kräfte und ultrarechter Trends geführt, wie beispielsweise in Griechenland mit dem Wiedererstarken der neonazistischen Partei Goldene Morgenröte. Der Kapitalismus stützt sich zunehmend auf das Wachstum des Weltmarkts, kann aber gleichzeitig seine nationalen Begrenzungen nicht überwinden. Dies ist ein Grundwiderspruch des kapitalistischen Systems.

Die kapitalistische Krise in Europa hat sich in den massiven Bewegungen der Arbeiter*innenklasse widergespiegelt, die Welle um Welle stattgefunden haben. Es gab massive Streiks im öffentlichen Dienst, Generalstreiks, Massenbesetzungen und Proteste.

Tiefe Wut

Millionen und Abermillionen von Arbeiter*innen lehnen die kapitalistische Kürzungspolitik ab, die Massenarbeitslosigkeit, Armut und die Zerstörung der über Jahrzehnte aufgebauten Sozialleistungen bedeutet. Es gibt tiefe Wut über die Bankenrettung, die bedeutet, dass letztlich die Arbeiter*innenklasse für die Spekulationsverluste der Banken, die durch den Immobilienboom riesige Profite gemacht haben, aufkommt.

Die Arbeiter*innen stellen die Legitimität des kapitalistischen Systems in Frage. Gefragt ist eine klare Alternative. Das bedeutet für den Beginn einmal die Übernahme der Banken, nicht nur um ihre Verluste zu subventionieren, sondern um das Bankensystem im Interesse der Gesellschaft zu reorganisieren. Dies wäre der erste Schritt in Richtung einer sozialistischen Planwirtschaft, die von der Arbeiter*innendemokratie geleitet wird.

An dies sollte man auf der Grundlage einer internationalen Perspektive herantreten, gestützt auf die Zusammenarbeit zwischen den Arbeiter*innen in ganz Europa und mit dem Ziel des Aufbaus einer europäischen und globalen Planwirtschaft.

Kasten: Der Schmerz in Spanien trifft vor allem die Arbeiter*innenklasse

50%

Die Arbeitslosigkeit in Spanien ist auf fast 25% angestiegen – die höchste Quote in der EU – und für junge Menschen unter 25 Jahren ist die Quote über 50%.

17%

Die Kürzungen werden das Einfrieren der Gehälter von Beschäftigten im öffentlichen Sektor und die Reduzierung der Budgets der Abteilungen um 16,9%, einschließlich Budgets für Gesundheit und Bildung um40 %. Trotz des Bankia-Rettungspakets verloren die Menschen 40% ihrer dort angelegten Ersparnisse.

38.000

Kürzungen der Subventionen für den Bergbau werden die Existenzgrundlage von rund 8.000 Bergleuten bedrohen und weitere 30.000 Arbeitsplätze gefährden.

22%

Im vergangenen Jahr gab es in Spanien 58.000 Zwangsräumungen – ein Anstieg um 22%, ein Durchschnitt von 159 Zwangsräumungen pro Tag, wobei vier von fünf Familien mit Kindern betrafen.

4 von 5

Eine kürzliche Umfrage zeigte, dass 78 % der Spanier „wenig oder gar kein“ Vertrauen in Rajoy oder seine regierende Volkspartei haben.


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