Clara Zetkin: Eine internationale Konferenz sozialistischer Frauen

[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 25. Jahrgang, Nr. 15, 16. April 1915, S. 85-87]

Zum ersten Male seit dem Kriegsausbruch hat eine internationale Konferenz sozialistischer Frauen im März, dem Monat der Frühlingsstürme, zu Bern Angehörige fast sämtlicher kriegführenden Nationen vereinigt. Sie sollte die Genossinnen zum gemeinsamen internationalen Wirken für den baldigen Frieden zusammenfassen. An der Veranstaltung nahmen tätige Genossinnen teil aus: England, Deutschland, Frankreich, Russland, Polen, Holland, Italien und der Schweiz. Einige belgische Sozialistinnen, die ihr Kommen zugesagt hatten, mussten leider fern bleiben, weil sie keinen Pass zur Auslandsreise erhalten konnten. Die Genossinnen Österreichs teilten in einem Telegramm mit, dass zurzeit ihrer Anwesenheit unübersteigliche Schwierigkeiten entgegenständen, dass aber – wenn die jetzige Konferenz nur vorbereitend sei – ihre Beteiligung für eine spätere Tagung sicher erscheine.

Die englische Delegation bestand aus offiziellen Vertreterinnen der „Unabhängigen Arbeiterpartei“ und des „Internationalen Frauenrats sozialistischer und Arbeiterinnenorganisationen“, einer Körperschaft, der alle sozialistischen Fraktionen, die „Liga für Arbeiterfrauen“ und mehrere große Vereinigungen von Frauengewerkschaften usw. angeschlossen sind. Sie konnte stolz versichern, dass auch die sehr große Mehrzahl aller politischen, gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Organisationen von Proletariern – selbst wenn sie keine weiblichen Mitglieder hätten – ihrer Mitwirkung am internationalen Friedenswerk freudig zustimmen würden. Die deutschen Delegierten stellten fest, dass sie keine Vertretung der gesamten sozialdemokratischen Partei seien, sondern unter ihrer persönlichen Verantwortlichkeit sich an der Konferenz beteiligten. Ihrer festen Überzeugung nach würden die weitaus meisten Genossinnen und auch sehr viele Genossen mit ihnen einverstanden sein. Die anwesende französische Genossin erklärte, zu ihrem Bedauern nur eine Minderheit der organisierten Sozialistinnen ihres Heimatlandes zu vertreten. Allein dieser Umstand entmutige sie nicht, der Friedensgedanke sei auch unter den Frauen des arbeitenden Volkes in Frankreich erwacht und erfasse täglich größere Kreise. Die russische Delegation war in zwei Gruppen gespalten: sie setzte sich zusammen aus Vertreterinnen der Frauenorganisationen, die dem „Zentralkomitee der Sozialdemokratie“ angeschlossen sind, und aus Delegierten der Frauenvereinigungen, die dem „Organisationskomitee der sozialdemokratischen Arbeiterpartei“ angehören.

Die Konferenz hatte zunächst schlüssig darüber zu werden, ob sie dem Wunsche der österreichischen Genossinnen entsprechend nur Vorbereitungsarbeit für eine spätere Zusammenkunft leisten oder aber die vorgesehene Tagesordnung erledigen wollte. Die Rednerinnen aller vertretenen Nationen sprachen sich einmütig für das letztere aus, so sehr sie bedauerten, auf die Mitarbeit österreichischer Genossinnen verzichten zu müssen. Bestimmend waren zwei Gründe. Zunächst stößt in der gegenwärtigen Situation eine internationale Veranstaltung auf ganz außerordentliche Schwierigkeiten, so dass es an der Sicherheit fehlt, ob binnen kurzem eine zweite Zusammenkunft der Genossinnen möglich sein würde. Dann aber machen die furchtbaren Zeitereignisse mit ihrer Rückwirkung auf die Gegenwart und Zukunft der arbeitenden Massen, der Menschheit, es zur heiligen Pflicht, mit dem internationalen Friedenswerk zu beginnen, ehe die ringenden Völker erschöpft verbluten. Mit welchem tiefen Ernst und Verantwortlichkeitsgefühl die tagenden Genossinnen sich diesem Friedenswerk hingeben werden, das kam in den einzelnen Begrüßungsreden erhebend zum Ausdruck. Sie erwiesen auch, dass der Krieg das Bewusstsein internationaler Solidarität und die sozialistische Erkenntnis und Überzeugungstreue der sozialistischen Frauen nicht erschüttert, sondern umgekehrt befestigt hat. [ca. fünf Zeilen Zensurstreichung]

Hauptgegenstand der Beratungen war der erste Punkt der Tagesordnung: „Die internationale Friedensaktion der sozialistischen Frauen.“ Über die Notwendigkeit und die Bedeutung einer solchen Friedensaktion war nur eine Meinung. Völlige Übereinstimmung bestand auch darüber, dass die Konferenz in einer „Erklärung“ ihre grundsätzliche Stellung zur Kriegs- und Friedensfrage darlegen und damit feste Richtlinien für die Betätigung der Genossinnen ziehen solle: ferner, dass sie ihrerseits diese Betätigung durch ein Manifest an die Frauen des arbeitenden Volkes einzuleiten habe. Dagegen kam es über die „Erklärung“ zu Auseinandersetzungen zwischen der einen Gruppe der russischen Delegation – sie vertrat die dem „Zentralkomitee der Sozialdemokratie“ angeschlossenen Frauenorganisationen – und den übrigen Delegationen, von der Vertreterin eines Teiles der polnischen sozialistischen Fraktionen abgesehen.

Die holländischen und englischen Genossinnen hatten zusammen mit der Internationalen Sekretärin einen Entwurf zu einer Erklärung vorgelegt, der sich damit begnügte, die grundsätzliche Auffassung der sozialistischen Frauen aufzuzeigen, positiv auszusprechen, weshalb eine sofortige Friedensaktion geboten sei. Aus dieser grundsätzlichen Auffassung zog er Schlussfolgerungen für die Praxis der Friedensarbeit. [ca. zwanzig Zeilen Zensurstreichung]

Ein weitergehender Gegenentwurf der obengenannten einen russischen Gruppe wurde nur von dieser und von der polnischen Delegierten befürwortet. Rednerinnen aller Delegationen wendeten sich entschieden dagegen, darunter auch die Vertreterinnen der zweiten Gruppe russischer sozialdemokratischer Frauenvereinigungen, die dem „Organisationskomitee“ angegliedert sind. Sie alle erklärten übereinstimmend, dass auch ihre persönliche Überzeugung die kritisierten Erscheinungen verurteile, dass jedoch diese Konferenz sozialistischer Frauen nicht der Ort sei, sich darüber auseinanderzusetzen. Die Abrechnung mit der Taktik der sozialistischen Parteien, bzw. ihrer Mehrheit sei zunächst Sache der nationalen sozialdemokratischen Parteitage in den einzelnen Ländern und eines allgemeinen internationalen Sozialistenkongresses. Dem Entwurf der russischen Gruppe beitreten, würde darauf hinauslaufen, die inneren und äußeren Widerstände und Schwierigkeiten gegen das internationale Friedenswerk der Frauen zu vermehren und zu vergrößern und damit dieses selbst zu schwächen. [ca. zwei Zeilen Zensurstreichung] Des weiteren dürfe die Konferenz sich nicht als Tribunal einsetzen, das einseitig Verurteilungen über politische Handlungen ausspreche, deren Begründung und Rechtfertigung hier nicht versucht werden könne, wo niemand sie billige und verteidige. Diese Auffassung bewirkte, dass die Beratungen straff auf die praktische Friedensarbeit der Genossinnen konzentriert blieben und nicht von dem bewusst abgesteckten Boden abirrten.

Das Ergebnis der Abstimmungen entsprach dem vorhandenen Gegensatz. Der Entwurf der einen russischen Delegationsgruppe fiel mit allen Stimmen gegen die der Gruppe selbst und die der polnischen Delegierten. Der zuerst erwähnte Entwurf wurde gegen diese Stimmen von allen Delegationen gutgeheißen Die Vertreterinnen des „Zentralkomitees“ gaben zu ihrem ablehnenden Votum eine „Erklärung“ ab. [ca. sieben Zeilen Zensurstreichung] Mit der Abfassung des Manifestes wurde eine internationale Kommission beauftragt.

In Verbindung mit dem ersten Punkte der Tagesordnung wurde noch eine Resolution der englischen Delegation behandelt und angenommen. Sie wendet sich gegen die Praktiken einzelner Kapitalisten und Kapitalistengruppen, die die durch den Krieg geschaffene Situation ausnutzen, indem sie die Preise der Lebensbedürfnisse und des gesamten Bedarfs für Heer und Marine künstlich in die Höhe treiben, die Löhne drücken, die gesamten Arbeitsbedingungen verschlechtern und namentlich Frauen und Kinder einer verschärften Ausbeutung unterwerfen. Gegen diese Praktiken fordert die Resolution trotz des „Burgfriedens“ energische Gegenwehr. [ca. dreißig Zeilen Zensurstreichung]

Nach Erledigung der Tagesordnung trat die Konferenz einstimmig und debattelos zwei Anträgen der holländischen Delegation bei. Der eine davon richtet die Aufforderung an alle auf der Tagung nicht vertretenen sozialistischen Frauen- und Arbeiterinnenorganisationen wie an alle Genossinnen überhaupt, den gefassten Beschlüssen beizutreten und in ihrem Sinne zu wirken. [ca. vier Zeilen Zensurstreichung] Eine weitere Resolution wurde von der englischen Delegation eingebracht. Sie betont die grundsätzliche Auffassung, auf deren Boden die Friedensarbeit der sozialistischen Frauen steht, und würdigt unbeschadet der prinzipiellen Unterschiede zwischen sozialistischer und bürgerlicher Friedensbewegung den Mut, mit dem jetzt nichtsozialistische Friedensfreunde dem Krieg und Nationalismus weltbürgerliche Ideale entgegenstellen. Sie begrüßt des weiteren insbesondere die internationalen Friedensströmungen in der bürgerlichen Frauenwelt und den im April bevorstehenden Internationalen Friedenskongress der Frauen zu Amsterdam. Auch diese Resolution fand debattelos und fast einmütig Zustimmung, nur die Vertreterinnen des russischen „Zentralkomitees“ stimmten gegen sie. Die Konferenz schloss mit Worten herzlichsten Dankes für Genossin Balabanoff, die unermüdliche, hingebungsvolle Übersetzerin wie für die Gastfreundschaft und Unterstützung der schweizerischen Genossinnen und Genossen, namentlich aber für Genossen Grimm, ohne dessen Tatkraft und Umsicht es nicht möglich gewesen wäre, das Um und Auf der Konferenz in kürzester Frist vorzubereiten. Die Tagung war von seltener Harmonie und Einmütigkeit getragen, von einer Atmosphäre umweht, in der alles Nebensächliche. Kleine, Persönliche ausgelöscht war. Sie hat die Bande internationaler Solidarität zwischen den Sozialistinnen aller Länder gefestigt. Die gemeinsame internationale Friedensarbeit wird sie unlösbar machen, denn eine sozialistische Internationale kann nur wirkend, kämpfend bestehen.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert