Lynn Walsh: Obamas Konjunkturpaket

(eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 125, Februar 2009)

Stoppt es den Wirtschaftseinbruch?

Noch bevor Barack Obama die US-Präsidentschaft übernahm, war er gezwungen, mit der tiefsten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren klarzukommen. Im Januar veröffentlichte schockierende Arbeitslosenzahlen zeigten einen drastischen Rückgang der US-Wirtschaft und den Beginn einer tiefen und höchstwahrscheinlich lang anhaltenden Rezession. Eine Million Arbeitsplätze verschwanden im November und Dezember, was den Gesamtverluste im Jahr 2008 auf 2,6 Millionen brachte.

In einer großen Wirtschaftsrede am 8. Januar skizzierte Obama sein Konjunkturpaket, um drei Millionen Arbeitsplätze zu schaffen und das Wachstum wieder anzukurbeln. Während Millionen Menschen zur Amtseinführung nach Washington DC reisten, stellten die Demokrat*innen im Repräsentant*innenhaus ihr „Gesetz für Wiederbelebung und neue Investitionen“ vor. Was ist der Charakter dieses Pakets, und kann es einen langgezogenen Wirtschaftseinbruch verhindern und das Wachstum wiederbeleben?

Die Demokrat*innen schlagen ein Konjunkturpaket in Höhe von 825 Milliarden Dollar über zwei Jahre vor, wobei allgemein erwartet wird, dass sich die Gesamtsumme Richtung eine Billion Dollar gehen könnte, je weiter das Gesetz den Kongress durchläuft. Etwa 275 Milliarden Dollar (40 %) sind für Steuererleichterungen für Familien und Unternehmen der „Mittelschicht“ vorgesehen. Etwa 550 Milliarden Dollar sind für keynesianische öffentliche Ausgaben vorgesehen. Das wird über 100 Milliarden Dollar für die Bundesstaaten enthalten (die Gouverneur*innen der Bundesstaaten sagen, sie bräuchten 100-150 Milliarden Dollar, um Entlassungen im öffentlichen Dienst und drastische Kürzungen der Sozialausgaben zu vermeiden).

Zusätzliche Mittel werden in die Arbeitslosenversicherung, Lebensmittelmarken, Medicaid usw. gehen. Obama schlägt außerdem vor, Zuschüsse zu den Krankenversicherungsbeiträgen zu finanzieren. Es wird umfangreiche Investitionen in öffentliche Einrichtungen und Infrastruktur geben: Straßen, Brücken, öffentlicher Nahverkehr, Bibliotheken, das Stromnetz, öffentliche Breitbandnetze, Energieeinsparungen, Solar- und Windkraftprojekte usw. Es gibt einen regelrechter Haushaltsrausch, bei dem Gouverneur*innen und Bürgermeister*innen der einzelnen Bundesstaaten schnell „schaufelfertige“ Projekte vorschlagen. Wenn es vollständig umgesetzt wird, wäre dies, abgesehen vom Zweiten Weltkrieg, das größte staatliche Ausgabenpaket seit Roosevelts New Deal in den 1930er Jahren.

Obama hat auch eine Überprüfung des zweiten Teils des Bankenrettungsprogramms, des so genannten Troubled Assets Relief Program [Hilfsprogramm für problembehaftete Vermögenswerte], angekündigt, bei dem 350 Milliarden Dollar der ursprünglichen 700 Milliarden Dollar übrig sind. Obama verspricht, dieses Geld zu nutzen, um arbeitenden Familien zu helfen, Hausbesitzer*innen vor der Zwangsversteigerung zu bewahren und die Last anderer Schulden (Autokredite, Verbraucher*innenschulden, Student*innenkredite usw.) zu verringern. Bislang hat er jedoch noch keine detaillierten Vorschläge zur Streichung oder Änderung räuberischer Hypotheken unterbreitet, obwohl derzeit mehr als zwei Millionen Hausbesitzer*innen von einer Zwangsvollstreckung bedroht sind.

Die Demokrat*innen streben eine Verabschiedung des Gesetzes bis Mitte Februar an und rechnen mit Mehrheiten sowohl im Repräsentant*innenhaus als auch im Senat. Dennoch stößt das Paket in seiner jetzigen Form sowohl bei der Rechten als auch bei der Linken auf Widerstand. Viele Republikaner*innen – und auch konservative „Blue-Dog“-Demokrat*innen – lehnen ein weiteres Konjunkturpaket grundsätzlich ab, insbesondere höhere öffentliche Ausgaben (im Gegensatz zu Steuersenkungen). Dies spiegelt zum Teil wahltaktisches Kalkül wider.

Es gibt eine weitverbreitete Wut auf die 700 Milliarden Dollar an Steuergeldern für die Banken und Finanziers – die profitsuchenden Mogul*innen, die die Krise ausgelöst haben. Zweifellos wird es den Verdacht geben, dass ein großer Teil eines weiteren Rettungspakets seinen Weg in die Hände der Großkonzerne und in die Brieftaschen der Politiker*innen finden wird. Die Opposition der Finanzkonservativen spiegelt auch das doktrinäre Festhalten an der Idee von „freien Markt“-Lösungen wider – trotz der derzeitigen Freien-Markt-Finanzkernschmelze – und Opposition gegen Staatsdefizite.

Angesichts einer tiefen Finanz- und Wirtschaftskrise, die Furcht vor sozialer Unruhe und einer Klassen-Radikalisierung erzeugt, haben die führenden Vertreter des Kapitalismus jedoch die wirtschaftliche Orthodoxie des ultrafreien Marktes aufgegeben, die nach der Präsidentschaft von Ronald Reagan vorherrschte. „In einer schweren Krise“, sagte der Vorsitzende der US-Notenbank, Ben Bernanke, kürzlich, „kann sich Orthodoxie als eine sehr schlechte Strategie erweisen“. („Financial Times“, 4. Januar)

Trotz der Aussicht auf ein riesiges Staatsdefizit und der späteren Gefahr einer explosiven Inflation befürworten die Strateg*innen der herrschenden Klasse in den USA ein massives Konjunkturpaket, um ihr System vor dem Zusammenbruch zu retten. Obama handelt in ihrem Interesse.

Es gibt jedoch linke Demokrat*innen, die das bestehende Paket kritisieren, weil 40% (275 Mrd. $) die Form von Steuersenkungen annehmen werden. Davon werden rund 150 Milliarden Dollar an Steuerzahler*innen der „Mittelschicht“ (500 Dollar pro Person) gehen, während etwa 100 Milliarden Dollar für Unternehmen vorgesehen sind. Die meisten persönlichen Erleichterungen werden auf der Bank gespart oder zur Schuldentilgung verwendet, wie das von George Bush im Februar 2008 verabschiedete Steuererleichterungspaket in Höhe von 168 Mrd. USD gezeigt hat. Im Gegensatz zu öffentlichen Ausgaben sind Steuererleichterungen weit weniger wirksam, um die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen zu steigern oder Arbeitsplätze zu schaffen.

Obama mag durchaus denken, dass Steuersenkungen immer populär sind und das Konjunkturpaket in der öffentlichen Meinung versüßen werden. Abgesehen davon versucht er eindeutig, die republikanischen Kritiker*innen im Kongress zu besänftigen, indem er versucht, eine parteiübergreifende Unterstützung zu erhalten. (Seltsamerweise lehnen Finanzkonservative zwar Defizite ab, wenden sich aber nie gegen Steuersenkungen, die die Staatseinnahmen verringern und die Defizite unweigerlich erhöhen). Zu den von Obama vorgeschlagenen Steuersenkungen für die Mittelschicht und Unternehmen sagte Keith Olbermann (in der MSNBC-Sendung Countdown): „… der gewählte Präsident schlägt Steuersenkungen vor, die George Bush zum Erröten bringen könnten“. („Washington News“, 6. Januar)

Dennoch glauben viele Kommentator*innen, dass der Anteil der Steuersenkungen am Gesetzentwurf noch zunehmen wird, wenn die Demokrat*innen versuchen, mehr republikanische Unterstützung für sich zu gewinnen. Ein anderer prominenter Keynesianer, Joseph Stiglitz, warnt: „Steuererleichterungen für Unternehmen könnten sich als ein ebenso schlimmes Abflussfloch erweisen wie das Hilfsprogramm für problembehaftete Vermögenswerte. Besonders besorgniserregend sind die Gerüchte, dass Unternehmen ihre Verluste mit den Gewinnen der letzten fünf Jahre verrechnen dürfen, um Steuererleichterungen zu erhalten – ein großes Geschenk an diejenigen, die Risiken falsch verwaltet haben, darunter auch Banken wie die Citibank“. („Financial Times“, 15. Januar) Öffentliche Ausgaben für Infrastruktur, Bildung und Technologie, argumentiert Stiglitz, seien eine Investition in Vermögenswerte und stimulierten ebenso wie die Erhöhung der Arbeitslosenunterstützung das Wachstum.

Obwohl es das größte Konjunkturpaket seit dem New Deal ist, bezweifeln einige linke Demokrat*innen, dass es genug sein wird, um das Wirtschaftswachstum wiederzubeleben. Paul Krugman, ein eifriger Unterstützer Obamas, der ihn nachdrücklich gedrängt hat, ein keynesianisches Ausgabenpaket aufzulegen, spricht jetzt von Obamas „etwas enttäuschendem Wirtschaftsplan… der weit hinter dem zurückbleibt, was nötig ist“. („New York Times“, 8. Januar)

„Unsere Wirtschaft könnte [in den Jahren 2009-10] um 1 Billion Dollar hinter ihrer vollen Kapazität zurückbleiben“, erklärte Obama in seiner Rede vom 8. Januar. Wie Krugman hervorhebt, schätzt das Congressional Budget Office den Produktionsverlust jedoch auf 2,1 Billionen Dollar, das Doppelte von Obamas Zahl. Wenn nur etwa 500 Milliarden Dollar des Obama-Pakets für keynesianische öffentliche Ausgaben vorgesehen sind, wird der Plan möglicherweise nicht ausreichen, um „einen langgezogenen Wirtschaftseinbruch“ abzuwenden.

Obama hat ausgesprochen, dass es große – und steigende – Defizite der Bundesregierung geben werde und damit implizit zum Ausdruck gebracht, dass er eine katastrophale Situation geerbt hat. Das Defizit für das Haushaltsjahr 2009 wird wahrscheinlich 1,2 Billionen Dollar (8,3 % des BIP) betragen – ein Rekord in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg – noch bevor Obamas Paket umgesetzt wird.

Ein Staatsdefizit ist an sich ein Anreiz, da die Staatsverschuldung einen Teil der Beschäftigung und der Ausgaben finanziert, die sonst nicht zum Wirtschaftswachstum beitragen würden. Ein anhaltendes Defizit führt jedoch zu einer wachsenden Belastung durch Staatsschulden. Bush hat ein Defizit von 455 Mrd. Dollar hinterlassen, das Ergebnis enormer Steuersenkungen für die Superreichen, eines enormen Anstiegs der Militärausgaben und der Rettungsaktion für bankrotte Banken und Finanzinstitute. „Waffen, Butter und Steuersenkungen“, wie David Walker, ein ehemaliger Rechnungsprüfer der Bundesregierung, es ausdrückt, sind das Ergebnis der Rettung der Banken und Finanzinstitute. („Financial Times“, 14. Januar)

Wenn Obamas Konjunkturpaket in den nächsten zwei Jahren umgesetzt wird, wird es das jährliche Defizit der Bundesregierung auf etwa 10 % des BIP ansteigen lassen. Das Verhältnis der aufgelaufenen Staatsverschuldung zum BIP wird von 36,9 % auf 54,2 % steigen, ein Rekordwert, abgesehen von der Periode des Zweiten Weltkriegs. Nach Ansicht einiger Republikaner*innen ist dies bereits eine fiskalische Katastrophe, und Obama wird sie noch verschlimmern.

Für die Strateg*innen der herrschenden Klasse ist Obamas Plan jedoch ein notwendiges Übel – um ihr taumelndes System zu retten. Sie erkennen, dass die massiven Defizitausgaben künftige Generationen mit kolossalen Schulden belasten werden. Allerdings werden sie die Last später durch neue Steuern und Kürzungen der Sozialausgaben auf die Arbeiter*innenklasse abwälzen.

30 Jahre lang hielten die führenden kapitalistischen Vertreter*innen an der monetaristischen Orthodoxie fest und verdammten die Inflation als Pest. Jetzt, wo ihr System von einer Krise bedroht ist, sind sie bereit, die Regierung dabei zu unterstützen, Geld zu drucken, um die Banken zu retten, der Deflation entgegenzuwirken und (zumindest teilweise) Ausgaben zu finanzieren. Die Rolle des Dollars als De-facto-Weltreservewährung bedeutet, dass der US-Kapitalismus mehr Spielraum als andere große Staaten hat, Geld zu drucken (im Kontrast dazu hat die Aussicht auf ein ausuferndes Staatsdefizit und eine künftige Inflation in Großbritannien zu einem massiven Wertverlust des Pfunds geführt).

Wenn heute Geld gedruckt wird, droht morgen unweigerlich das Gespenst von Inflation. Aber unter der Schlagzeile „The Printing Press Cure“ [Die Notenpresse-Kur] kommt ein Leitartikel der New York Times zu dem Schluss, dass „die Fed [US-Notenbank] das Richtige tut“. (23. Dezember 2008) Später werden sie zu der Art von brutaler monetaristischer Politik zurückkehren, die unter Reagan in den 1980er Jahren angewandt wurde und die öffentlichen Ausgaben einschränkte und die realen Kosten von Schulden für die Arbeiter*innen erhöhte.

Obama selbst hat den Preis angedeutet, den die Arbeiter*innen in Zukunft zahlen werden: „Ich bin nicht darauf aus, das Ausmaß des Regierens langfristig zu erhöhen“, sagte er der „New York Times“ (9. Januar). Obama sagt, dass ein wichtiger Teil seines Haushaltsplans die „Reparatur“ der wichtigsten Anspruchsberechtigungsprogramme, der Sozialversicherung, Medicare (Gesundheitsversorgung für Rentner*innen) und Medicaid (Gesundheitsversorgung für Arme) sein werde. „Reparieren“ bedeutet Kürzungen: höhere Lohnsteuerbeiträge, ein höheres Renteneintrittsalter und geringere Gesundheitsleistungen. Obama hat bereits für Februar einen Gipfel zur „fiskalischen Verantwortung“ angekündigt, um eine „Reform der Ansprüche“ zu diskutieren: „Wir haben das Problem immer wieder auf die lange Bank geschoben und sind jetzt am Ende der Bank angelangt. Wir müssen ein Signal aussenden, dass wir es ernst meinen“. („Financial Times“, 15. Januar) Der Kolumnist David Brooks kommentierte treffend, dass das Konjunkturpaket „kein Versuch ist, die Krise zu nutzen, um einen Sozialstaat im europäischem Stil aufzubauen“. („New York Times“, 9. Januar) Keynesianische Ausgaben sind für den Notfall gedacht, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch und politische Unruhen zu verhindern. Danach werden die führenden kapitalistischen Vertreter*innen versuchen, zum Haushaltskonservatismus zurückzukehren.

Wird Obamas Paket einen anhaltenden Abschwung verhindern und das Wachstum wiederbeleben? Trotz des Umfangs der staatlichen Intervention (konjunkturelles Defizit plus Bankenrettungspaket plus vorgeschlagenes Konjunkturprogramm) ist sie im Vergleich zu den wirtschaftlichen Kräften, die durch den Abschwung in den USA und weltweit entfesselt wurden, immer noch begrenzt. Obama plant, drei Millionen Arbeitsplätze zu schaffen, aber es gibt bereits elf Millionen Arbeitslose, und es wird noch schlimmer werden.

In Wirklichkeit ist das günstigste Szenario für den US-Kapitalismus, dass keynesianische Interventionen die Rezession abfedern und den Ausbruch einer Depression verhindern. Selbst das ist jedoch nicht garantiert. Eine weitere Krise des amerikanischen und des globalen Finanzsystems, ein Zusammenbruch des Dollars und andere Erschütterungen der Weltwirtschaft könnten die Krise des US-Kapitalismus noch verschärfen.

Selbst wenn sie einen längeren Konjunktureinbruch abwenden, werden die keynesianischen Staatsausgaben an sich die Wirtschaft nicht unbedingt ankurbeln und ein sich selbst tragendes Wachstum erzeugen. Das würde erneute, umfangreiche Kapitalinvestitionen der Großunternehmen erfordern – und die Kapitalist*innen werden nur investieren, wenn ihnen ein akzeptables Rentabilitätsniveau zugesichert wird. Ein großer Teil der toxischen Schulden und der industriellen Überkapazitäten muss angesichts des derzeitigen Niveaus der geldgestützten Nachfrage aus dem System herausgepresst werden, bevor es eine Rückkehr zu einem breit angelegten Wachstum geben kann.

Die gegenwärtige Rezession wird in den USA und weltweit wahrscheinlich noch einige Zeit anhalten, und eine Erholung, wenn sie denn einsetzt, wird wahrscheinlich langsam und ungleichmäßig verlaufen. Selbst wenn keynesianische Maßnahmen die Auswirkungen der Rezession abmildern, wird die Arbeiter*innenklasse durch niedrige Löhne, Massenarbeitslosigkeit und Armut einen hohen Preis für die kapitalistische Krise zahlen. Keynesianische Maßnahmen werden nicht die Anarchie der Marktkräfte überwinden oder die Profitgier der Kapitalist*innen heilen.

Gleichzeitig werden Angriffe auf die Arbeiter*innen mächtige Kämpfe, eine Infragestellung des kapitalistischen Systems und die Suche nach einer echten Alternative hervorrufen. Der Keynesianismus bietet bestenfalls ein vorübergehendes Linderungsmittel für die kapitalistische Krise. Die Idee einer demokratisch-sozialistischen Planung auf der anderen Seite wird immer mehr Unterstützung finden als der einzige Weg, Wissenschaft, Technologie und Produktivkräfte einzuspannen, um die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft zu befriedigen.

Lynn Walsh


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