Lynn Walsh: Die Rettungsaktion für Bear Stearns

Eine neue Stufe der Krise

[Eigene Übersetzung des englischen Artikels in Socialism Today, Nr. 117, April 2008]

Der Zusammenbruch der Investmentbank Bear Stearns markiert eine neue Phase der Bankenkrise, während sich die Spirale aus Liquiditäts- und Solvenzproblemen weiter nach unten dreht. Gleichzeitig löst die von der Fed finanzierte Rettungsaktion zusammen mit Forderungen nach einer umfassenderen staatlichen Rettung insolventer Banken eine ideologische Krise für den Kapitalismus des ultrafreien Marktes aus. Lynn Walsh berichtet.

Die Rettungsaktion für die große Investmentbank Bear Stearns durch die US-Notenbank markiert eine neue Stufe in der Entwicklung der US- und globalen Finanzkrise. Die fünftgrößte Investmentbank, das schwächste Glied in der Kette, wurde durch einen Ansturm nicht von Einleger*innen, sondern von Gläubiger*innen – anderen Investmentbanken – zu Fall gebracht, die selbst mit Anstürmen konfrontiert sind, da ihre Gläubiger*innen wiederum zusätzliche Sicherheiten oder die Rückzahlung von Krediten verlangen. Bear Stearns war „zu groß zum Scheitern”, also hat die Fed 30 Milliarden Dollar in die Bank gepumpt, um einen kompletten Schiffbruch zu verhindern – eine staatlich finanzierte Rettung unter dem Deckmantel von JP Morgan Chase, die Bear Stearns zu einem Schleuderpreis aufkauft.

Der Kolumnist der „Financial Times“, Martin Wolf, bezeichnete den 14. März als „den Tag, an dem der Traum vom globalen Kapitalismus des freien Marktes starb … Mit ihrer Entscheidung, Bear Stearns zu retten, erklärte die Federal Reserve, die für die Geldpolitik in den USA zuständige Institution und Hauptakteurin des freien Marktkapitalismus, diese Ära für beendet”. („The Rescue of Bear Stearns Marks Liberalisation’s Limit [Die Rettung von Bear Stearns markiert die Grenze der Liberalisierung], 25. März). Zur gleichen Zeit war eine Staatsbank in Deutschland gezwungen, eine zweite Rettungsaktion durchzuführen, um den Zusammenbruch der IKB Deutsche Industriebank zu verhindern. Dies veranlasste den Vorstandschef der Deutschen Bank zu der Aussage: „Ich glaube nicht mehr an die Selbstheilungskräfte des Marktes“.

Ob die Maßnahme der Fed ausreicht, um die Abwärtsspirale von Liquidität und Solvenz zu stoppen, die derzeit den Finanzsektor erfasst hat, bleibt abzuwarten. Die US-Rezession vertieft sich, besonders im Immobiliensektor, und dies wird den Finanzsektor weiter untergraben und sich auf die globale Wirtschaft auswirken. Diejenigen Vertreter*innen der Kapitalist*innenklasse, die überhaupt einen Einblick haben, bereiten sich nun auf eine große Wirtschaftskrise vor, schwerwiegender als 1973-74 und höchstwahrscheinlich die schlimmste seit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre.

Ein raubgieriger Bär

Bear Stearns hatte schon immer den Ruf, eine der raubgierigsten Investmentbanken zu sein, die große Risiken einging, um große Profite zu erzielen. Die Firma profitierte während der Depression der 1930er Jahre und profitierte vom Handel mit New Yorker Anleihen, nachdem die City in den 1970er Jahren bankrott gegangen war. Der Vorstandsvorsitzende von Bear, James Cayne, galt als arroganter Einzelgänger: Bear weigerte sich 1998, sich an der von der Fed angeführten Rettung des Hedgefonds Long Term Capital Management zu beteiligen.

In letzter Zeit war die Haupttätigkeit von Bear der Handel mit Anleihen, besonders mit komplexen, hypothekengebundenen Anleihen, die das Finanzsystem vergifteten. Wie andere Investmentbanken auch war die Tätigkeit von Bear stark fremdfinanziert, d.h. durch enorme Kreditaufnahmen finanziert. Mit einem Aktionär*innenkapital von 11,8 Milliarden Dollar verfügte die Bank über eine Bilanzsumme von 395 Milliarden Dollar.

Im Juli letzten Jahres gingen zwei der von Bear Stearns verwalteten Hedgefonds mit Verlusten in Höhe von 2,6 Milliarden Dollar in Konkurs. Während der Krise spielte Cayne weiterhin Golf und nahm an Bridge-Turnieren teil. Er handelte auch eine Investition in Höhe von einer Milliarde Dollar von der staatlichen chinesischen Bank Citic Securities aus – die den Niedergang von Bear Stearns jedoch nicht aufhalten konnte (Citic zieht sich nun aus dem Geschäft zurück).

Bear Stearns‘ Aktivitäten sind überhaupt nicht untypisch für Investmentbanken an der Wall Street: Bear war einfach nur das schwächste Glied in der Kette. Als die Bank am Rande des Zusammenbruch stand, beschrieb die „Financial Times“ klar den Teufelskreis, der sie herabzog: „Um diese Bilanzsumme [395 Milliarden Dollar] zu finanzieren, stützt sich Bear auf kurzfristige Kredite, die durch sein Anleihenportfolio besichert sind. Diese Woche versiegten diese Kredite; Bear hatte kaum eine Chance. Ein Teufelskreis hat sich festgesetzt. Da hypothekenbesicherte Anleihen an Wert verlieren – selbst solche, die von quasi-staatlichen Einrichtungen wie Fannie Mae und Freddie Mac besichert sind –, verlangen die Banken mehr Sicherheiten für Kredite. Das zwingt viel Fremdkapital einsetzende Investor*innen Anleihen zu verkaufen, was die Preise weiter drückt, was weitere Margin Calls [Nachschussaufforderungen, Forderungen der Gläubiger*innen nach mehr Sicherheiten] und den Zusammenbruch einiger Fonds wie Peloton und Carlyle Corporation verursacht. Bear Stearns ist nicht einfach stark verschuldet, sondern war auch Gläubigerin für CCC [Carlyle]”. (Leitartikel: Exit Bear, 15. März)

Wie der Leitartikel der FT bemerkte, „gibt es bei all dem einen Hauch von 1929”. Damals waren die Banken gezwungen, Vermögenswerte zu verkaufen, um ihren Gläubiger*innen mehr Sicherheiten zu bieten, was eine Welle von Liquidationen nach der anderen auslöste. Die Fed griff damals nicht ein und stand daneben, wie eine Reihe von Banken zusammenbrach.

Dieses Mal hat die Fed energisch eingegriffen und den Märkten Liquidität zur Verfügung gestellt (beginnend mit 38 Milliarden Dollar im August letzten Jahres nach dem Zusammenbruch des Bear Stearns-Hedgefonds). Die zusätzlichen Kreditlinien in Höhe von 100 Milliarden und 200 Milliarden Dollar, die die Federal Reserve am 7. und 11. März bereitstellte, kamen jedoch zu spät, um Bear Stearns zu retten. Am Wochenende vom 15. bis 16. März stand die Bank klar am Rand des Zusammenbruchs, und die Federal Reserve und das US-Finanzministerium beriefen dringend eine Sitzung mit Banker*innen ein, um ein Rettungspaket zu diskutieren. Ben Bernanke und Hank Paulson (US-Finanzminister) waren verzweifelt bemüht, Bear Stearns zu retten, noch bevor die asiatischen Finanzmärkte am Montagmorgen öffneten. Klar hätte die Nachricht vom Zusammenbruch einer großen New Yorker Investmentbank einen massiven Einbruch an den Börsen in Japan, China und anderswo auslösen und einen weltweiten Finanzkollaps herbeiführen könnte.

JP Morgan Chase, eine der größten (regulierten) Geschäftsbanken der USA, erwies sich als einzige wahrscheinliche Käuferin. Auf der Grundlage einer 30-Milliarden-Dollar-Garantie der Federal Reserve zur Deckung der „weniger liquiden Vermögenswerte” von Bear (d.h. zur Absicherung JP Morgans gegen Bears toxischste Anleihen) erklärte sich JP Morgan bereit, Bear Stearns für 270 Millionen Dollar zu kaufen – das sind 2 Dollar pro Aktie, verglichen mit einem Aktienwert von 170 Dollar vor einem Jahr. Später war JP Morgan gezwungen, sein Angebot auf 10 Dollar pro Aktie zu erhöhen. Viele der 14.000 Mitarbeiter*innen Bears werden ihren Arbeitsplatz verlieren. Cayne hat nun seine Aktien im Wert von 6 Millionen Dollar verkauft – und geht mit „nur” 61 Millionen Dollar davon (dieselben Aktien wären im Januar 2007 etwa 1,2 Milliarden Dollar wert gewesen).

Die Rolle der Federal Reserve

In den letzten Wochen hat die Federal Reserve mit Unterstützung des US-Finanzministeriums entschlossen eingegriffen, um die Welle von Subprime-Abschreibungen und Zahlungsausfällen bei Margin Calls (Forderungen nach zusätzlichen Sicherheiten für ausstehende Kredite) zu stoppen. Die Handlungen der Federal Reserve wurden als „dramatisch” und „beispiellos” bezeichnet. Ein Ökonom von Morgan Stanley spricht von der „hyper-proaktiven” Rolle der Fed. Seit letztem August hat die Fed drei große Liquiditätspakete in das Bankensystem gepumpt. Obendrein hat die Fed im letzten August die Citigroup, die größte Geschäftsbank der USA und eine regulierte Bank, die berechtigt ist, Kredite von der Fed aufzunehmen, effektiv gerettet, indem sie ihr ermöglichte, 25 Millionen Dollar aufzunehmen und diese an zwei ihrer insolventen Broker-Tochtergesellschaften weiterzugeben, nicht regulierten Investmentfirmen, die nicht berechtigt waren, direkt Kredite von der Fed aufzunehmen.

Die Liquiditätsspritzen der Fed erreichten in der Woche vor dem Zusammenbruch von Bear Stearns ein neues Ausmaß. Am 7. März stellte die Fed den Geschäftsbanken (Einlageninstituten), die Zugang zur Federal Reserve als Gläubiger*in der letzten Instanz hatten, weitere 100 Milliarden Dollar zur Verfügung. Jedoch war die Fed nun bereit, „ein breiteres Spektrum an Sicherheiten” zu akzeptieren, d.h. auch einige der potenziell zweifelhaften (wenn nicht wertlosen) Wertpapiere, die den Kern der Kreditkrise bildeten. Die Fed verlängerte auch die Laufzeit für Geldkredite. Einige Tage später, in einem noch dramatischeren Schritt, stellte die Fed (am 11. März) 200 Milliarden Dollar für Investmentbanken bereit (die auf eigene Rechnung und im Auftrag von Hedgefonds und anderen Kund*innen mit Anleihen, Aktien und anderen Wertpapieren handeln). Zuvor hatten diese Banken keinen Zugang zu den Reserven der Fed. Nun durften sie erneut Kredite auf der Grundlage potenziell zweifelhafter Sicherheiten aufnehmen.

Neben der Bereitstellung massiver zusätzlicher Liquidität senkte die Federal Reserve ihren Leitzins drastisch. In fünf Schritten nach September senkte sie den Tagesgeldsatz von 5,25% auf 3%. Nach der Rettung von Bear Stearns folgte am 17. März eine weitere Senkung um 0,75%, die den Nominalzinssatz auf 2,25% brachte. Angesichts der aktuellen Inflationsrate (offiziell 4% „Gesamtinflation”, 2,3% „Kerninflation” ohne Lebensmittel und Kraftstoffe) ist dies ein negativer Realzinssatz.

Diese Vorgehensweise stellte eine dramatische Kehrtwende in der Politik der Fed dar. In seiner ersten Amtszeit nach Februar 2006 befürwortete Bernanke „orthodoxe Bankprinzipien”. Bernanke hob die Gefahren der Inflation hervor und erklärte, dass es keine Zinssenkungen geben werde, um einer Konjunkturabschwächung zuvorzukommen (der US-Immobilienmarkt schwächte sich bereits Anfang 2007 ab), und dass es keine Ad-hoc-Ausnahmen von den Regeln geben werde, um Finanzinstituten zu helfen, die aufgrund ihrer rücksichtslosen Aktivitäten in Schwierigkeiten geraten waren. Es würde keine Rettungsaktionen geben, da diese zu einem „moralischen Hasard” führen, d.h. sie ermöglichen es unverantwortlichen Banken, den Konsequenzen ihres Handelns zu entgehen. Dieser Ansatz basierte auf Bernankes selbstgefälliger Sicht der US-Wirtschaft. Im Februar 2007 beschrieb Bernanke (mit den Worten der „New York Times“) „eine Goldlöckchen-Wirtschaft, die weder zu heiß ist, mit Inflation, noch zu kalt, mit steigender Arbeitslosigkeit”. Selbst nach dem Zusammenbruch von zwei Hedgefonds von Bear Stearns im August 2007 spielte Bernanke die Auswirkungen herunter, die dies auf die Gesamtwirtschaft haben würde.

Als sich jedoch im August die Subprime-Krise ausweitete, war Bernanke wie viele andere gezwungen, seine optimistische Sicht aufzugeben und sich der wachsenden Wahrscheinlichkeit eines Finanzkollapses zu stellen. Nachdem die Fed Anfang August die Idee einer Zinssenkung noch abgelehnt hatte, hielt sie eine Dringlichkeitssitzung ab und senkte den Diskontsatz um 0,5% (auf 5,75%) am 18. August. Gleichzeitig legte Bush dem Kongress ein Konjunkturpaket in Höhe von 168 Milliarden Dollar (etwa 1% des BIP) vor. Und wie wir gesehen haben, war die Fed gezwungen, immer größere Liquiditätsspritzen in das Bankensystem zu geben, um die sich verschärfende Kreditklemme zu mildern.

Jedoch selbst die in der ersten Märzwoche angekündigten Maßnahmen waren nicht genug. Am 13. März wurde angekündigt, dass die Carlyle Group mit Krediten in Höhe von 16,6 Milliarden Dollar in Verzug geraten war (sie konnte einen „Margin Call” für zusätzliche Sicherheiten in Höhe von nur 400 Millionen Dollar nicht erfüllen). Gleichzeitig konnte auch der Hypothekenverleiher Thornburg den Margin Call nicht erfüllen.

Dann spitzte sich die Bear-Stearns-Krise zu, die seit vorigen August schwelte. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Fed „hyper-proaktiv”. Bernanke, Tim Geithner (Präsident der New Yorker Federal Reserve) und Paulson (Finanzminister) erkannten, dass sie am Rande einer Katastrophe standen. Bear Stearns ist nur die fünftgrößte Investmentbank, aber sie ist stark „vernetzt” und hat Tentakel zu einer Vielzahl von Banken und Finanzinstituten. So war Bear Stearns beispielsweise einer der größten Händler von Credit Default Swaps [Kreditausfallversicherungen] (eine Art Derivat, verwendet zur Absicherung anderer Wertpapiere), einem Sektor des Derivatemarktes, der sich zu einem kolossalen Gesamtnennwert von 45 Billionen Dollar aufgebläht hat! Ein vollständiger Zusammenbruch von Bear Stearns hätte eine Finanzkrise ausgelöst, möglicherweise weitaus schwerwiegender als der Zusammenbruch des Hedgefonds Long Term Capital Management im Jahr 1998. Das Handeln der Fed waren „dramatisch” und „weitreichend”. „The Economist“ erkannte an, dass die Fed „außergewöhnliche Manöver” unternommen habe, um der „drohenden Katastrophe” zu begegnen. (The $2 Trillion Bail-Out [Die Zwei-Billionen-Rettungsaktion], 19. März) Ohne das Handeln der Fed, so kommentierte die „New York Times“, hätte die Bear-Stearns-Krise „möglicherweise einen Zusammenbruch des Finanzsystems ausgelöst”.

Es gab keinen Versuch, ein Konsortium von Banken zu organisieren, um Bear Stearns zu retten. Stattdessen hat die Fed praktisch eine direkte Rettungsaktion über die große Geschäftsbank JP Morgan Chase gestartet. Die Fed agiert als „Strippenzieherin“ für JP Morgan, die Bear Stearns praktisch zu einem Schleuderpreis kaufen wird. Gleichzeitig gründet die Fed eine neue „Schattenbank“, die unter Verwendung von 30 Milliarden Dollar aus Fed-Mitteln die risikoreichsten, illiquiden Wertpapiere (hauptsächlich Subprime-Wertpapiere) erwerben wird. Wenn sich diese zweifelhaften Vermögenswerte als wertlos erweisen, wird JP Morgan 1 Milliarde Dollar verlieren, während die Fed 29 Milliarden Dollar verlieren wird. Wenn sich jedoch das neue Unternehmen (das von Blackrock, einer Investment-Management-Firma, verwaltet werden soll) als profitabel erweist, könnte JP Morgan in Zukunft Profite machen, sobald die 30 Milliarden Dollar an die Fed zurückgezahlt sind. JP Morgans Hauptmotiv scheint jedoch der Wunsch zu sein, eine primäre Anleihehändlerin zu erwerben, die Wertpapiere direkt im Namen von JP Morgan und ihren Kunden handeln kann. JP Morgan ist im Vergleich zu vielen anderen Banken in einer relativ starken Position (mit deutlich geringeren Abschreibungen auf Subprime-Hypothekendarlehen).

Es wurde klar, dass die Fed, unterstützt von Paulson, ursprünglich diktiert hatte, dass JP Morgan nur 2 Dollar pro Aktie für das Aufkaufen von Bear Stearns zahlen sollte. Bernanke und die Regierung wollten unbedingt Anschuldigungen vermeiden, dass sie durch die Rettung rücksichtsloser Spekulant*innen „moralischen Hasard” geschaffen hätten. Nachdem die ursprüngliche Vereinbarung getroffen worden war, kam es jedoch zu einer Rebellion der Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter*innen von Bear Stearns (die zu diesem Zeitpunkt 30% der Bear-Stearns-Aktien besaßen). JP Morgan stand vor der Aussicht, eine leere Hülle zu übernehmen – die Führungskräfte von Bear Stearns suchten verzweifelt nach anderen Jobs, was zu einer Massenflucht von Schlüsselpersonal hätte führen können. Obendrein drohten die Aktionär*innen von Bear Stearns, darunter die Mitarbeiter*innen und der Hedgefonds-Finanzier Joe Lewis (der einen großen Teil der Bear-Stearns-Aktien besitzt), die von der Fed geförderte Vereinbarung mit rechtlichen Schritten zu blockieren. Eine Verzögerung bei der Lösung der Bear-Stearns-Krise hätte den gesamten Sinn der Rettungsaktion untergraben können. Die Fed war daher gezwungen, den Deal neu zu verhandeln und bot 10 Dollar für Bear-Stearns-Aktien. Diesmal stellte die Fed sicher, dass der überarbeitete Deal zustande kommen würde, indem sie die Börsenregeln beugte, um JP Morgan den sofortigen Kauf von fast 40% der Bear-Stearns-Aktien zu ermöglichen – was JP Morgan eine entscheidende Stimme verschaffte. (A Change of Heart at JP Morgan [Ein Sinneswandel bei JP Morgan], „International Herald Tribune“, 26. März)

Inflation oder Deflation?

Wird die Rettungsaktion von Fed und JP Morgan den Zweck erfüllen? Die führenden Vertreter*innen des US-Kapitalismus hoffen verzweifelt, dass sie das wird. Bislang hat der Bankensektor etwa 150 bis 200 Milliarden Dollar an notleidenden Subprime-Vermögenswerten abgeschrieben, und die Ratingagentur Standard & Poors schätzt, dass sich die Abschreibungen insgesamt auf etwa 285 Milliarden Dollar belaufen werden. Aber das ist optimistisch. Der anhaltende Rückgang des Immobilienmarktes wird wahrscheinlich zu einer Lawine neuer Zahlungsausfälle sowohl auf dem Subprime- als auch auf dem Prime-Hypothekenmarkt führen. Diese könnten den Wert von hypothekenbesicherten Wertpapieren weiter untergraben. Es gibt auch die Möglichkeit, dass riesige Verluste durch den Handel mit Derivaten, Credit Default Swaps usw. entstehen. Manche Kommentator*innen schätzen, dass die Gesamtverluste für den Finanzsektor in der Region von einer Billion Dollar sein könnten – andere gehen jedoch von einem Worst-Case-Szenario von ganzen 3 Billionen Dollar aus – eine absolute Katastrophe.

Vertreter*innen der Großunternehmen diskutieren jetzt, welche Maßnahmen die Regierung und die Federal Reserve ergreifen sollten. Mehr Stimmen befürworten jetzt eine groß Rettungsaktion bankrotter Banken und Finanzhäuser, mit der pauschalen Übernahme riskante, illiquide Finanzanlagen.

Paul De Grauwe (Wirtschaftsprofessor an der Universität Leuven) argumentiert beispielsweise, dass Kapitalspritzen durch die Federal Reserve (oder andere Zentralbanken) die Abwärtsspirale der Liquiditäts- und Solvenzprobleme für Banken und Finanzinstituten nicht aufhalten würden. De Grauwe erklärt, dass, wenn eine Investmentbank oder ein Hedgefonds „von einem Abzug (einem Liquiditätsproblem) betroffen ist und gezwungen ist, Vermögenswerte zu verkaufen, der Preis ihrer Vermögenswerte sinkt und ein Solvenzproblem geschaffen wird”. (Act Now to Stop the Markets’ Vicious Circle [Handeln Sie jetzt, um den Teufelskreis der Märkte zu stoppen], „Financial Times“, 19. März) Liquiditätsspritzen werden für sich genommen die Abwärtsspirale nicht stoppen: Es muss eine Liquidation wertloser oder unverkäuflicher Vermögenswerte geben. „Die US-Federal Reserve …”, schreibt De Grauwe, „hat keine andere Option, als notleidende Vermögenswerte aufzukaufen, um zu versuchen, für die Abwärtsspirale der Vermögensbewertungen, die außer Kontrolle zu geraten droht, eine Untergrenze zu schaffen”.

Ebenfalls in der „Financial Times“ schreibt Mohammad El-Erian, ein prominenter US-Fondsmanager (Pimco), dass „winzige Schritte unter Verwendung traditioneller politischer Instrumente [d.h. Zinssenkungen, Liquiditätsspritzen] unwirksam sind”. (Why the Fed must Act in Unfamiliar Ways [Warum die Fed auf ungewohnte Weise handeln muss], 17. März) Er warnt, Regierungen müssten bereit sein, die Regeln zu brechen. El-Erian argumentiert, dass Regierungen erwägen müssen, „Verträge so zu ändern, dass gestresste Hypothekengläubiger Zahlungsausfälle und Zwangsvollstreckungen vermeiden können, und/oder die Bilanz der Regierung ausdrücklich zur Stützung des Immobilienmarktes einzusetzen“. Dies würde die Verwendung staatlicher Mittel beinhalten, um nicht rückzahlbare Hypotheken zu tilgen und unverkäufliche Vermögenswerte von verschiedenen Gläubiger*innen aufzukaufen. El-Erian räumt ein, dass solche Maßnahmen die „Heiligkeit von Verträgen“ untergraben und „die Integrität des Marktsystems unterhöhlen“ würden. Diese Risiken seien jedoch „in diesem fortgeschrittenen Stadium der Krise unvermeidlich. In der Tat ist die Frage jetzt nicht einfach, was mit unverantwortlichen Gläubigern und unvorsichtigen Schuldnern geschieht. Es geht auch um den Schaden, der anderen zugefügt wird, wenn das Finanzsystem einfriert“. Mit anderen Worten: Angesichts des Überlebens ihres Systems sind die Vertreter*innen des Kapitalismus bereit, ihre Prinzipien des moralischen Hasards und der Heiligkeit von Verträgen über Bord zu werfen und öffentliche Mittel (Steuerzahler*innengelder) zur Rettung des Systems in Anspruch zu nehmen.

Zur gleichen Zeit haben jedoch andere Kommentator*innen auf die Probleme hingewiesen, die solche Maßnahmen für den Kapitalismus schaffen könnten. Die offensichtliche Frage ist: Woher würde das Geld für eine massive Rettungsaktion kommen? Ein Finanzanalyst, Steve Randy Waldman (James Saft, Fed Move Won’t Halt the Slide [Die Schritte der Fed werden das Rutschen nicht aufhalten], „International Herald Tribune“, 14. März) rechnet vor, dass die Federal Reserve nach den 200 Milliarden Dollar, die den Banken am 11. März zur Verfügung gestellt wurden, noch über weitere 300 bis 400 Milliarden Dollar verfügt. Um also selbst nur 1.000 Milliarden Dollar an unverkäuflichen Wertpapieren aufzukaufen, würde die Fed – oder die US-Regierung – offensichtlich zusätzliche Mittel benötigen. Diese könnten aufgebracht werden entweder durch (1) zusätzliches Kapital von der Regierung (das entweder durch zusätzliche Staatsverschuldung oder höhere Steuern finanziert werden müsste) oder (2) durch Gelddrucken (was die sehr reale Gefahr einer Inflation mit sich bringen würde).

„Wenn es zu groß ist, muss es ein Element der Monetisierung geben, das die Fed finanziert”, sagt Tim Drayson, Ökonom bei ABN AMRO in London. „Die Monetisierung steigt von etwas, was eine geringe Wahrscheinlichkeit war, zu etwas, was ein zunehmendes Risiko ist.” (Zitiert in Saft, A Wider US Financial Bail-out Could Fuel Inflation [Eine größere US-Finanzrettungsaktion könnte die Inflation anheizen], „International Herald Tribune“, 20. März) Monetisierung ist eine höfliche Umschreibung für das Drucken von Geld, um Schulden zu begleichen.

Saft schreibt: „Stimmen nehmen zu, dass die Bundesregierung entweder direkt oder über die Federal Reserve den Knoten der Kreditklemme mit einem Schlag durchhauen soll, indem sie Hypotheken aufkauft, die für Banken und Investmentbanken schwer zu finanzieren sind. Wenn die Regierung Hypothekenschulden zu oder nahe 100 Cent pro Dollar kaufen würde, obwohl ein Großteil davon weit unter diesem Betrag gehandelt wird, könnten die Banken die zur Finanzierung dieser Bestände verwendeten Kredite zurückzahlen. Wenn dies in ausreichendem Umfang geschehen würde, beispielsweise mit 800 Milliarden oder 1 Billion Dollar, würde dies den enormen Druck auf die Bankbilanzen verringern und anderen Kreditmärkten, wie denen für Unternehmenskredite, ermöglichen, wieder zu einem annähernden Gleichgewicht zurückzukehren.“

Eine der Stimmen, die vor anhaltend negativen Realzinsen warnen, ist Paul Volcker, der ehemalige Vorsitzende der US-Notenbank, der nach 1979 durch „monetaristische“ Politik – hohe Zinsen und eine restriktive Geldpolitik – die Inflation aus der US- und Weltwirtschaft gnadenlos herausdrückte. Volcker warnt davor, die Zinssätze zu weit zu senken. Die Gefahr einer wiederauflebenden Inflation „lauert nicht weit im Hintergrund“, warnt er. Das wäre „das ultimative destruktive Ergebnis davon“. (Krishna Guha, Administration Urged to Share Credit Burden [Regierung gedrängt, die Kreditlast zu teilen], „Financial Times“, 19. März)

Dies stellt für den US-Kapitalismus ein Dilemma dar. Angesichts eines katastrophalen Zusammenbruchs werden sie zweifellos bereit sein, Geld zu drucken, um ein untragbares Niveau an notleidenden Krediten auszulöschen. In diesem Fall würden sie jedoch sicherlich der Gefahr einer Inflation gegenüber stehen. Andererseits könnte die Verschärfung der Kreditklemme, bei der Berge von uneinbringlichen Schulden immer mehr Sektoren der US-Wirtschaft belasten, die USA in eine Deflationsspirale treiben, vielleicht ähnlich wie die Lage in Japan in den 1990er Jahren. Dies würde massive Überkapazitäten, fallende Preise, einen Investitionseinbruch und steigende Arbeitslosigkeit bedeuten – mit der Aussicht auf eine lange Phase der Stagnation, wie in Japan. Es gibt keinen einfachen Ausweg für den Kapitalismus: Sowohl Inflation als auch Deflation bergen auf ihre unterschiedliche Weise wirtschaftliche und politische Gefahren für das System.

Historisch hat die herrschende Klasse der USA eine Depression mehr gefürchtet als die Inflation, da sie in den 1930er Jahren den größten Wirtschaftseinbruch des Kapitalismus erlebt hat, im Unterschied zur europäischen Bourgeoisie, die die Periode der Hyperinflation der Zwischenkriegszeit nicht vergessen hat (was sich in der aktuellen Weigerung der Europäischen Zentralbank widerspiegelt, die Zinsen in der Eurozone zu senken). In der Vergangenheit neigten führende US-Vertreter*innen immer dazu, Dollar zu drucken, um sich aus der Krise zu inflationieren. Dies wurde in der Nachkriegsperiode durch die Rolle des US-Dollars als Reservewährung erleichtert. Heute hat sich die Lage jedoch geändert: Ein Zusammenbruch des Dollars (in Verbindung mit negativen Realzinsen) könnte eine Kapitalflucht aus den USA (in Euro-Anlagen und andere stärkere Währungen wie den Schweizer Franken) auslösen und es den USA noch schwerer machen, ihr Haushaltsdefizit und ihr Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren (die überwiegend durch Kapitalzuflüsse aus dem Ausland finanziert werden).

Politische Reaktion gegen den „Günstlingskapitalismus“

Eines ist auffällig, wenn Vertreter*innen des Kapitalismus „unkonventionelle Instrumente“ zur Behebung der Kreditklemme fordern. Die verschiedenen Maßnahmen, die sie in der einen oder anderen Form als staatliche Finanzhilfen für den Finanzsektor fordern, sind in der einen oder anderen Form staatlich finanzierte Rettungsaktionen für die Banken und andere Finanzinstitute. Mit anderen Worten, es würde die staatlich unterstützte Rettung der superreichen Finanziers und Spekulant*innen bedeuten, die für die Krise verantwortlich sind. Auf der anderen Seite sind die bisher vorgeschlagenen Hilfen für Millionen von Eigenheimbesitzer*innen, die von profitgierigen Geldverleihern in die Finanzkrise hineingezogen wurden, minimal, ja sogar nur symbolische Maßnahmen. Diese eklatante Ungleichheit wird in der nächsten Zeit unweigerlich politische Auswirkungen haben.

Bezeichnenderweise wurde dieses Thema vom Kolumnisten der „Financial Times“, Martin Wolf, aufgeworfen, der feststellt, dass es offenbar ein Finanzsystem gibt, „in dem in guten Zeiten die Profite privatisiert und in schlechten Zeiten die Verluste sozialisiert werden”. Bear Stearns‘ Rettung ist eine staatlich finanzierte Rettungsaktion durch die Hintertür durch die Vermittlung einer großen Privatbank, JP Morgan Chase. Eine groß angelegte Rettungsaktion in dem Umfang, der zur Rettung des Bankensektors insgesamt erforderlich wäre, würde jedoch entweder eine direkte Verstaatlichung oder, wahrscheinlicher, eine indirekte Verstaatlichung durch eine los getrennte Einrichtung wie die Resolution Trust Corporation erfordern, die Anfang der 1990er Jahre zur Rettung der bankrotten Sparkassen gegründet wurde. Die Sparkassenkrise kostete die US-Steuerzahler*innen letztlich umgerechnet 450 Milliarden Dollar nach heutigem Wert oder 3,2% des BIP. Im Unterschied dazu schätzt Wolf, der eine relativ konservative Sichtweise einnimmt, die Kosten der aktuellen Finanzkrise auf 7% des BIP. Nouriel Roubini von RGE Monitor schätzt hingegen, dass die Kosten für die Rettung des Banken- und Finanzsystems im Falle einer systemischen Krise mindestens 12% des BIP betragen würden und bis zu 19% erreichen könnten (was die Staatsverschuldung um weitere 2,7 Billionen Dollar erhöhen würde). Wie Roubini sagt, würde dies bedeuten, „jeden US-Haushalt mit zusätzlichen 30.000 Dollar Schulden auf Dauer zu belasten …“. Zusätzlich könnte es, wie er schätzt, weitere Verlusten in Höhe von 10 Billionen Dollar im privaten Sektor der USA geben, als Ergebnis von fallenden Werten bei Wohn- und Gewerbeimmobilien im Inland zusammen mit Verlusten an den Börsen.

Wolf warnt vor den politischen Auswirkungen der Krise und schreibt: „Dies ist keine Krise des ‚Günstlingskapitalismus‘ in Schwellenländern, sondern des hochentwickelten, regelbasierten Kapitalismus in der fortschrittlichsten Volkswirtschaft der Welt. Der Instinkt der Verantwortlichen wird sein, eine Rettungsaktion zu starten und so zu tun, als wäre nichts geschehen … Schlimmer noch, die Institutionen, die vom Aufschwung profitiert haben, erwarten nun eine Rettung im Abschwung. Sie haben Recht, dies zu erwarten. Aber dies kann kaum ein akzeptabler Kompromiss zwischen Finanzinsidern und der breiteren Gesellschaft sein. Ist ein solches Chaos das Beste, was wir erwarten können? Wenn es so ist, wie kann man dann eine breite Unterstützung für etwas aufrechterhalten, das als so einseitiges Spiel erscheint? („Financial Times“, Economists’ Forum, 27. Februar)

Roubini antwortet darauf, indem er schreibt: „Dies ist in der Tat ein einseitiges Spiel, bei dem Finanzinsider Profite privatisieren, während die massiven Verluste ihres rücksichtslosen Verhaltens – der gefährliche Suche nach Rendite, das Zocken um die Rückzahlung, die verzerrten Anreize, ihre Kreditvergabe und risikoreichen Investitionen nicht zu überwachen – während einer Krise systematisch sozialisiert werden. Dies ist tatsächlich „Günstlingskapitalismus“ der schlimmsten Art, genauso schlimm wie der, der die Schwellenländer heimgesucht und in den letzten zehn Jahren zu ihren schweren Finanzkrisen geführt hat.“

Die Krise des Finanzsektors hat bereits verheerende Auswirkungen auf Millionen von hoch verschuldeten Hauskäufer*innen gehabt, aber ihre volle Wirkung auf die breitere Wirtschaft in den USA und international muss erst noch spürbar werden. Der schwere Wirtschaftsabschwung, der jetzt sehr wahrscheinlich ist, wird viele Millionen Arbeiter*innen in Arbeitslosigkeit und Armut stürzen. Es wird eine massive weltweite politische Reaktion gegen den Kapitalismus des „freien Marktes“ und die parasitäre herrschende Klasse geben, die ihre Profite auf Kosten der Gesellschaft einstreicht. Die Wirtschaftskrise wird unweigerlich eine ideologische und politische Krise mit sich bringen – und die Suche nach einem alternativen System, das den Bedürfnissen der Mehrheit entspricht, die arbeitet, um den Reichtum zu produzieren.


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