[Eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 146, März 2011]
Die britische Wirtschaft ist in einem zerbrechlichen Zustand, weit von einer Erholung von der Rezession entfernt. Jegliche Hoffnung auf ein exportgestütztes Wachstum ist weit gefehlt. Tatsächlich riskieren die brutalen Kürzungen im öffentlichen Sektor durch die Konservativ-Liberaldemokratische Koalition das Land in eine W-förmige Rezession [„double dip“] zu stürzen. Lynn Walsh berichtet.
Eine „holprige, zerbrechliche Erholung unter Wert“ – so beschreibt das Bankhaus Morgan Stanley den erbärmlichen Zustand der britischen Wirtschaft. Im Jahr 2010 war das reale (inflationsbereinigte) Wachstum des BIP (Bruttoinlandsprodukts) bei 1,4%, durch den Rückgang von 0,5% im letzten Quartal heruntergezogen. Das bedeutet, dass der britische Kapitalismus nur etwa ein Drittel des Produktionsverlustes während der Rezession (6,4%) wieder wettmachte. Obendrein sind die Aussichten für 2011 alles andere als erfreulich. Das Office for Budget Responsibility ([Büro für Haushaltsverantwortung] OBR) sagt optimistisch ein BIP-Wachstum von 2,6% voraus. Die Confederation of British Industry (CBI) erwartet jedoch ein „blutarmes und schleppendes“ Wachstum von 1,8%. Morgan Stanley erwartet nur 1,4% Wachstum. Und das, obendrein, bevor das Defizitreduzierungsprogramm der Konservativ-Liberaldemokratischen Regierung (81 Mrd. Euro Ausgabenkürzungen und 33 Mrd. Euro Steuererhöhungen) wirklich zuzubeißen beginnt.
Die Arbeitslosigkeit erreichte im vergangenen November 2,5 Millionen, einschließlich fast einer Million junger Leute. Laut CBI „wird die Arbeitslosigkeit im Laufe des Jahres 2011 voraussichtlich weiter ansteigen und Ende des Jahres mit 2,7 Millionen einen höheren Stand erreichen als bisher angenommen. Sie wird 2012 hartnäckig hoch bleiben und im vierten Quartal 2012 bei 2,64 Millionen liegen“. Dies könnte sich angesichts der umfangreichen Arbeitsplatzverluste, die den öffentlichen Sektor treffen werden (schätzungsweise 500.000) und der Auswirkungen auf den privaten Sektor als zu niedrig erweisen.
Die Verbraucher*innenausgaben, die zwei Drittel der Wirtschaft ausmachen, sind schwach und liegen nur bei der Hälfte ihres historischen Trends. Die CBI sagt voraus, dass die Ausgaben der Haushalte 2011 nur um 0,7% steigen werden. Die Haushalte werden von einer ganzen Reihe von Preis- und Steuererhöhungen, Arbeitsplatzverlusten und Kürzungen im öffentlichen Dienst betroffen sein. Die Mehrwertsteuer (Verkaufssteuer) wurde im Januar auf 20% erhöht, und die Sozialversicherungsbeiträge der Arbeiter*innen sollen um ein Prozent angehoben werden. Die Rentenbeiträge der Arbeiter*innen werden angehoben, und es besteht die Möglichkeit einer Erhöhung der Zinssätze noch in diesem Jahr, was die Kosten für die Rückzahlung von Hypotheken und anderen Krediten erhöhen wird.
Die Verdienste der Arbeiter*innen bleiben weit hinter den Preissteigerungen zurück. Im vierten Quartal 2010 wuchsen die Durchschnittsverdienste nur um 2,1%, während die Preise, gemessen am Verbraucher*innenpreisindex (CPI), um 3,7% stiegen. Der am realistischeren Einzelhandelspreisindex (RPI) gemessene Anstieg, der auch die Wohnkosten und andere wichtige Posten umfasst, liegt bei fast 5%. Mit anderen Worten: Die realen, inflationsbereinigten Löhne fallen. Mervyn King, Gouverneur der Bank of England, warnte kürzlich, dass die Reallöhne weiter fallen werden: „Im Jahr 2011 werden die Reallöhne wahrscheinlich nicht höher sein als sie 2005 waren. Man muss bis in die 1920er Jahre zurückgehen, um eine Zeit zu finden, in der die Reallöhne über einen Zeitraum von sechs Jahren fielen.“. Ganz abgesehen vom Konservativ-Liberaldemokratischen Kürzungspaket wird dieser anhaltende Rückgang der Reallöhne eine drastische Senkung des Lebensstandards für die arbeitende Bevölkerung bedeuten.
Es scheint, dass die Konservativ-Liberaldemokratische Wirtschaftspolitik – dominiert von ihrem Defizitabbaupaket – ein Rezept für Stagnation oder sogar einen weiteren Abschwung, eine W-förmige Rezession, ist. Ein anhaltender Einbruch der Verbraucher*innenausgaben wird den Gesamtmarkt für Waren und Dienstleistungen stark einschränken. Es wird keine Grundlage für neue Investitionen und die Ausweitung der Produktionskapazitäten geben. David Cameron und George Osborne haben jedoch einen fast mystischen Glauben an eine Renaissance des Privatsektors (der anscheinend von Nick Clegg, Vince Cable und Co. geteilt wird). Sie glauben, dass ein Brandrodungsangriff auf den öffentlichen Sektor neue Möglichkeiten für das Profitmachen durch private Firmen schaffen und damit das Wachstum des privaten Unternehmenssektors ankurbeln werde. Sie behaupten, dass es eine „Neugewichtung“ der britischen Wirtschaft geben werde, mit einer geringeren Abhängigkeit von den Verbraucher*innenausgaben, einem Wachstum des verarbeitenden Sektors und der Exporte. Dieser Herangehensweise wurde treffend als „jetzt kürzen und hoffen“ beschrieben.
Haushaltskrise?
Brutale Senkung des Defizits ist das Kernstück der Wirtschaftspolitik der Konservativ-Liberaldemokratischen Regierung. Alles andere ist Augenwischerei. Laut Osborne und Co. steht der britische Staat vor einer schweren Haushaltskrise. Ohne eine drastische Defizitverringerung, behaupten sie, wäre Großbritannien der Gnade der internationalen Anleihemärkten ausgeliefert. Anleihehändler*innen (die Spekulant*innen und Finanzinstituten vertreten) könnten die Anleiherenditen in die Höhe treiben und damit die Kosten für die Finanzierung der britischen Schulden erheblich steigern. Im schlimmsten Fall könnten sie britische Anleihen boykottieren, was die Regierung zwingen würde, mit der Mütze in der Hand zu EZB und IWF zu gehen und um ein Rettungspaket zu bitten.
Trotz seiner organischen Schwäche steht der britische Kapitalismus derzeit jedoch nicht vor dem Bankrott – oder auch nur vor einer Finanzierungskrise auf den Anleihemärkten. Großbritannien ist zum Beispiel nicht in der Lage Griechenlands. Die aufeinanderfolgenden griechischen Regierungen fälschten die Bücher und verschleierten systematisch das wahre Ausmaß der Staatsverschuldung. Auf der anderen Seite hat Griechenland eine sehr schwache Steuerbasis, wegen weit verbreiteter Steuerhinterziehung in großem Stil. Obendrein finanzierte Griechenland sein Defizit durch kurzfristige Kredite (durchschnittliche Laufzeit von 7,7 Jahren), während Großbritannien eine eher langfristige Finanzierung hat (durchschnittliche Laufzeit von 13,7 Jahren). Martin Wolf kommentiert: „Das Vereinigte Königreich hat keine Haushaltskrise. Das macht seine Kürzungspolitik bemerkenswert“. („Financial Times“, 8. Februar)
Die Haushaltstrends, die sich während des Konjunktureinbruchs 2008-09 entwickelten, waren mittel- bis langfristig nicht tragbar. Die Finanzkrise löste einen Wirtschaftseinbruch aus, der die Ausgaben in die Höhe trieb (besonders durch gestiegene Arbeitslosigkeit) und die Steuereinnahmen drastisch aushöhlte. Die Staatsausgaben in Prozent des BIP stiegen von 41% im Jahr 2007/08 auf 47,6% im Jahr 2009/10. Gleichzeitig fielen die Steuereinnahmen von 38,6% des BIP auf 37,2% – ein Haushaltsloch in Höhe von 10,4% des BIP. Im gleichen Zeitraum fiel das BIP um 20,6 Milliarden £ (1,4% des BIP). Das Haushaltsdefizit der Regierung stieg von unter 3% (der Maastricht-„Grenze“) im Haushaltsjahr 2007/08 auf 11% des BIP im Haushaltsjahr 2009/10. Die Staatsverschuldung stieg von knapp über 40% des BIP auf rund 70%.
Klar müsste jede Regierung auf der Grundlage des kapitalistischen Marktes Maßnahmen ergreifen, um das Auseinanderklaffen von Einnahmen und Ausgaben einzudämmen. Dennoch ist anzumerken, dass die USA und mindestens sieben EU-Länder derzeit einen höheren Schuldenstand – in Prozent des BIP – aufweisen als Großbritannien.
Die Konservativ-Liberaldemokratische Regierung geht viel weiter als nötig, um die Ausgaben und den Schuldenstand auf ein nachhaltiges Niveau zu senken. Der größte Teil der Last des Defizitabbaus wird auf die Arbeiter*innenklasse und die Mittelschicht abgewälzt, durch Kürzungen bei den Dienstleistungen und erhöhte Steuern. Trotz des Gejammers der Wohlhabenden werden Großkonzerne und Superreiche praktisch ungeschoren davonkommen.
Vom Standpunkt der Förderung des Wirtschaftswachstums wäre es effektiver, das Ungleichgewicht zwischen öffentlichen Ausgaben und Staatseinnahmen – und die Verschuldung – über einen viel längeren Zeitraum zu verringern, als es die Regierung Cameron-Clegg beabsichtigt. Nachhaltiges Wachstum ist der Schlüssel zu einer nachhaltigen Verbesserung der Staatsfinanzen. Doch die immense Macht der globalen Finanzmärkte – des Vehikels des Finanzkapitals – übt unerbittlichen Druck auf die Regierungen aus, kurzfristige Maßnahmen zum Abbau ihrer Schulden zu ergreifen. Angesichts seiner schwachen Produktionsbasis und seines überwucherten Finanzsektors ist der britische Kapitalismus für diesen Druck besonders anfällig.
Gleichzeitig wird die Konservativ-Liberaldemokratische Regierung von einer Feindseligkeit gegenüber dem öffentlichen Sektor, gegenüber staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft und gegenüber öffentlichen Dienstleistungen, besonders Sozialleistungen, die vor allem den ärmeren Schichten zugute kommt, angetrieben. Cameron und Clegg sind auch eifrig bestrebt, durch Privatisierung noch weitere Bereiche der Gesellschaft für profitbringende Tätigkeiten zu öffnen. Die „große Gesellschaft“ ist ein fadenscheiniger Deckmantel. Diese ideologische Feindseligkeit gegenüber dem öffentlichen Sektor spiegelt vor allem die Interessen des Finanzkapitals wider, das jetzt den britischen Kapitalismus beherrscht. Die verarbeitende Industrie ist der arme Verwandte.
Aus wahltaktischen Gründen packen die führenden Konservativ-Liberaldemokratischen Vertreter*innen die Kürzungen obendrein an den Anfang, indem sie die größte Tranche in den ersten ein bis drei Jahren dieser Regierung durchführen, in der Hoffnung, dass es im Vorfeld der nächsten Parlamentswahlen zu einer Wiederbelebung des Wirtschaftswachstums und einem Nachlassen des Schmerzes durch die Kürzungen kommen werde. In Wirklichkeit wird ihre Politik viel wahrscheinlicher einen weiteren Abschwung der britischen Wirtschaft und eine echte Haushaltskrise herbeiführen. Laut dem Institut für Finanzstudien (IFS): „Die fünf Jahre ab April 2011 werden die knappste Fünfjahresperiode für öffentliche Ausgaben seit mindestens dem Zweiten Weltkrieg sein. Von 29 führenden Industrieländern sagt der IWF nur für Irland und Island einen noch stärkeren Rückgang der Ausgaben voraus“.
Die Konservativ-Liberaldemokratische Regierung strebt an, das derzeitige Haushaltsdefizit von -7,2% des BIP über einen Zeitraum von sechs Jahren in einen Überschuss von 0,3% des BIP zu verwandeln. Die jährliche Kreditaufnahme des Staates würde scharf fallen (von 10% des BIP auf etwa ein Prozent des BIP, laut OBR). Die Staatsverschuldung würde jedoch bei etwa 70% des BIP bleiben.
Das „unabhängige“ OBR nimmt ein durchschnittliches Wachstum über die sechs Jahre von 2,6% an. Aber dies ist sehr optimistisch, besonders angesichts der neuen Turbulenzen in der Weltwirtschaft. Das IFS Green Budget enthält ein „pessimistisches“ Szenario von Barclay’s Bank. Dieses nimmt ein durchschnittliches Wachstum von nur 1,43% pro Jahr an. Auf dieser Grundlage würde das derzeitige Haushaltsdefizit nur auf -4,5% im Jahr 2015/16 sinken, während die Nettoverschuldung des Staates auf 90,5% des BIP ansteigen würde. Auf der Grundlage dieser Möglichkeit warnte das IFS Osborne, dass die Regierung die Steuern noch weiter erhöhen müsste!
Der Financier George Soros kommentierte: „Ich glaube nicht, dass sie [die Konservativ-Liberaldemokratische Regierung] es [die Defizitabbaustrategie] umsetzen können, ohne die Wirtschaft in eine Rezession zu stürzen. Meine Erwartung ist, dass es sich als nicht nachhaltig erweisen wird“. („The Times“, 27. Januar)
Die Kürzung der öffentlichen Ausgaben und das Hochfahren der Steuern werden das Ungleichgewicht in den öffentlichen Finanzen nicht korrigieren. Dies würde ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum erforderlich. Doch das Sich-Stützen der Konservativ-Liberaldemokratischen Regierung auf eine Wiederbelebung der britischen verarbeitenden Industrie und ein Wachstum der Exporte bleibt ein frommer Traum. Kürzlich kritisierte der scheidende Generaldirektor der CBI, Sir Richard Lambert, die Regierung dafür, dass sie keine plausible Industriepolitik zur Förderung des Wachstums habe: „Es ist nicht genug, auf die Ausgabenbremse zu treten. Maßnahmen, die die Ausgaben kürzen, aber die Nachfrage töten, würden die Lage tatsächlich verschlimmern… Die Frage ist also, woher das Wachstum kommen wird“ („Independent“, 25. Januar).
Wiederbelebung der verarbeitenden Industrie?
Die Konservativ-Liberaldemokratische Regierung und ihre Unterstützer*innen behaupten, dass es in Großbritannien den Beginn einer Wiederbelebung der verarbeitenden Industrie gebe. „Ein positiver Aspekt ist die anhaltende Vitalität der verarbeitenden Industrie. Dies deutet darauf hin, dass die längst überfällige Neuausrichtung der Wirtschaft auf den Export und weg vom Konsum stattzufinden beginnt.“ (Leitartikel des „Daily Telegraph“, 26. Januar) Die verarbeitende Industrie schnitt im letzten Jahr oder so zweifellos besser ab als der Dienstleistungssektor. Im letzten Quartal 2010 zum Beispiel, als der Dienstleistungssektor um -0,5% zurückging, wuchs die verarbeitende Industrie um 1,4%. Nichtsdestotrotz liegt die Produktion der verarbeitenden Industrie immer noch etwa 9% unter ihrem Höchststand von Anfang 2008.
Die Abwertung des Pfunds (25% seit 2008) half den Exporten ein bisschen. Aber die verarbeitende Industrie macht nur 12% der Produktion (zurückgegangen von 25% im Jahr 1980) und etwa 10% der Beschäftigten aus (etwa drei Millionen Arbeiter*innen). Dieser Sektor ist nicht gewichtig genug, um die gesamte Wirtschaft zu tragen.
Obendrein gibt es keine Anzeichen für eine Wiederbelebung umfangreicher Investitionen in der verarbeitenden Industrie, die für ein nachhaltiges Wachstum in diesem Sektor unerlässlich sind. Die Investitionen der verarbeitenden Industrie sind in der Rezession eingebrochen (-28%), und viele große Unternehmen stapelten Bargeld in der Bank auf. Der finanzielle Überschuss des nicht-finanziellen Unternehmenssektors war Ende 2010 enorm, rund 5% des BIP. (Martin Wolf, „Financial Times“, 27. Januar) Sie haben es nicht eilig, in neue Anlagen und Ausrüstungen zu investieren.
In einem Bericht vom letzten Jahr warnte Oxford Economics („Rusting Britain“ [Rostendes Britannien]): „Es gibt eine Gefahr, dass die britischen Hersteller nicht über eine angemessene Kapitalausstattung verfügen, um die anziehende Nachfrage zu befriedigen, wenn der Aufschwung stärker wird. Dies wird negative Auswirkungen auf die Konkurrenzfähigkeit britischer Handelsgüter sowohl auf dem Inlands- als auch auf dem Exportmarkt haben.
Es besteht eine Polarisierung zwischen den großen Unternehmen auf der einen Seite, die über große Bargeldbestände verfügen, und den kleinen und mittleren Unternehmen auf der anderen Seite, die trotz der Erholung der Banken und der vermeintlich niedrigen Zinssätze immer noch Schwierigkeiten haben, Kredite zu erhalten. Eine Wiederbelebung der verarbeitenden Industrie, kommentiert die „Financial Times“ (Leitartikel, 25. Januar), „hängt von der Entschlossenheit der Bargeld-reichen Unternehmen ab – die Profitabilität der Unternehmen hielt sich gut –, die Mittel zu investieren, auf denen sie sitzen“. Die meisten großen Unternehmen leihen ihre Barreserven auf dem Geldmarkt aus, anstatt in neue Anlagen und Maschinen zu investieren. „Unternehmensumfragen berichten die ,Unsicherheit über die künftige Nachfrage‘ als Schlüsselfaktor für die Einschränkung von Investitionen neben den bestehenden Überkapazitäten. Kurz gesagt, die Unternehmen blicken nicht zuversichtlich genug in die Zukunft, um derzeitig einen Anstieg der Produktionskapazitäten zu rechtfertigen“. (Office of National Statistics, Wirtschaftsbericht, Januar 2011)
Der verringerte verarbeitende Sektor Großbritanniens wird heute von High-Tech-Konzernen dominiert, besonders in den Bereichen Pharmazeutik, Luft- und Raumfahrt, Rüstung und High-Tech-Ausrüstung. Viele dieser Branchen werden jedoch von multinationalen Konzernen mit Sitz außerhalb Großbritanniens dominiert.
Die Zerbrechlichkeit dieses Sektors wurde kürzlich durch die Entscheidung der US-Pharmafirma Pfizer unterstrichen, sein Forschungszentrum in Kent zu schließen, mit dem Verlust von 2 400 Arbeitsplätzen. „Die Klagen über die Schließung … verrieten die tiefe Besorgnis über die Manneskraft der britischen Industrie“ (Pfizer entwickelte Viagra). (Leitartikel der „Financial Times“, 2. Februar)
Ein exportgetriebener Boom?
Der verarbeitende Sektor wurde durch einen kleinen Anstieg der Exporte angekurbelt, vor allem Mitte 2010, als international ein Wiederauffüllungszyklus der Lagerbestände stattfand (als die Unternehmen ihre Vorräte und Warenbestände wieder aufbauten). Die tatsächlichen Zahlen rechtfertigen jedoch nicht die übertriebenen Behauptungen über einen exportgetriebenen Boom.
Der britische Kapitalismus weist nach wie vor ein chronisches Handelsdefizit bei Waren und Dienstleistungen auf. Es gab eine kurze Ausnahme im zweiten Quartal 2010, als das Exportwachstum von einem schwachen Importwachstum begleitet wurde, wegen des schwachen Wachstums im Inland. Laut dem ONS Economic Review (Januar 2011): „In der Anfangsphase der globalen Rezession (2. Quartal 2008 bis 2. Quartal 2009) machte der Nettohandel einen positiven Beitrag zum BIP-Wachstum, da die Importe schneller fielen als die Exporte. Doch seit sich die Weltwirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2009 zu erholen begann, übertraf das Wachstum der Importe im Allgemeinen das Wachstum der Exporte im Vereinigten Königreich. Die anhaltende Schwäche der Nettohandelsposition des Vereinigten Königreichs überraschte die Kommentator*innen. Man hatte gehofft, dass der Handel ein unterstützender Faktor bei der Erholung von der Rezession sein werde. Und es wurde auch als eine notwendige und vorteilhafte Neuausrichtung der Nachfrage weg vom Inlandsverbrauch hin zu den Exporten angepriesen“.
Das ONS kommentiert das dritte Quartal 2010, indem es sagt: „Das bescheidene Wachstum der Waren- und Dienstleistungsexporte wurde durch das stärkere Wachstum der Warenimporte mehr als aufgewogen“. Die Zahlen für das vierte Quartal sind noch schlechter und weisen das größte Defizit im Warenhandel in der Geschichte des Landes auf.
Die Exporteur*innen profitierten von der Abwertung des Pfunds, die britische Waren auf den Weltmärkten billiger macht. Der Aufschwung war jedoch nicht annähernd so bedeutsam wie der Exportschub nach der Abwertung des Pfunds nach dem Austritt Großbritanniens aus dem Europäischen Wechselkursmechanismus 1992. Der Fall des Pfunds „lieferte dieses Mal keinen Katalysator für das Wachstum“. (ONS Economic Review)
Es gibt es eine Reihe von Gründen dafür. Die Exporteur*innen „nutzten das schwache Pfund, um ihre Profitspannen zu erhöhen und nicht, um ihre ins Ausland gesandten Gesamtvolumen zu steigern“. (Stuart Green, HSBC, 9. Februar) Anstatt die Dollar- oder Euro-Preise ihrer Produkte entsprechend der Abwertung des Pfunds zu senken – und damit möglicherweise das Verkaufsvolumen zu erhöhen –, behalten viele Exporteur*innen die alten Fremdwährungspreise bei und erhöhen ihren Ertrag in Pfund. Gleichzeitig wurde der Vorteil eines schwächeren Pfunds für die Exportverkäufe durch den Anstieg der Preise für importierte Brennstoffe, Rohstoffe und Zwischenprodukte, die für die Produktionsprozesse benötigt werden, teilweise wieder wettgemacht.
Zweifellos wäre die Stellung der britischen Exporteur*innen ohne die Abwertung des Pfunds noch schlechter. Aber die Abwertung bot dem britischen Kapitalismus keinen Ausweg und wird ihn auch in den kommenden Jahren nicht retten. Die Hauptnachfrage in der Weltwirtschaft kam aus den halb entwickelten Wirtschaften wie China, Indien, Brasilien usw., und die Hauptnachfrage nach den Exporten der fortgeschrittenen Wirtschaften ist die nach Produkten der verarbeitenden Industrie. Der Umstand, dass die verarbeitende Industrie an der britischen Wirtschaft heute einen so kleinen Teil ausmacht, bedeutet, dass die Exporte des verarbeitenden Industrie allein die britische Handelsbilanz nicht dramatisch verändern können.
Geldpolitik
Auf seiner letzten Sitzung beließ der Geldpolitische Ausschuss der Bank of England (MPC) den Leitzins bei 0,5% – trotz des zunehmenden Drucks von Teilen der Großkonzerne, besonders des Finanzsektors, mit dem Anheben der Zinsen zu beginnen. Das Geschrei nach einer Erhöhung wurde durch die Ankündigung (15. Februar) einer höheren Inflation noch verstärkt. Im Januar stieg der Verbraucher*innenpreisindex von 3,7% auf 4%, während der Einzelhandelspreisindex, der Hypothekenzinsen enthält, von 4,8% auf 5,1% anstieg. Der Leitzins, der der Richtwert für andere Zinssätze ist, liegt seit März 2009 bei 0,5% nahe der Null Prozent. In letzter Zeit begann die Inflation jedoch zu steigen und liegt weit über dem von der Bank of England angestrebten Wert von 2% gemessen am Verbraucher*innenpreisindex.
King und die Mehrheit des MPC verteidigen ihre Politik der Beibehaltung eines niedrigen Leitzinses mit der Begründung, dass die Inflation nicht im Inland verursacht sei (abgesehen von den Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung). Die Preissteigerungen sind hauptsächlich wegen der höheren Einfuhrpreise für Brennstoffe, Rohstoffe und Lebensmittel, die durch die Abwertung des Pfunds noch verstärkt werden. King behauptet, dass die im Inland erzeugte Inflation nur etwa 2% betrage. Außerdem weist er darauf hin, dass das Geldmengenwachstum (Bargeld und Kredite) schwach sei, mit einer Jahresrate von etwa 2%.
Die im Rahmen des Quantitative-Lockerung-Programms der Bank of England über die Banken in die Wirtschaft gepumpte riesige Menge an Krediten floss hauptsächlich ins Ausland und heizte das schnelle Wachstum in den halb entwickelten Wirtschaften an. Auf diese Weise exportierte der britische Kapitalismus die Inflation, da das schnelle Wachstum das Preisniveau in den Entwicklungsländern in die Höhe trieb. Durch höhere Rohstoffpreise wurde die Inflation dann zurück nach Großbritannien importiert.
Die Mehrheit des MPC, unterstützt von vielen Kommentator*innen in der City und in den Medien, befürchtet, dass eine Anhebung der Leitzinsen (die die Zinssätze generell erhöhen würde) die Wirtschaft zusammenpressen und die derzeitige schwache Erholung abwürgen würde. Zwei Mitglieder des MPC, darunter Andrew Sentance, plädieren jedoch für höhere Zinssätze und eine Verringerung der quantitativen Lockerung (die sich derzeit auf 200 Mrd. £ beläuft). Sentance argumentiert, dass die Erholung der britischen und der Weltwirtschaft zu einer höheren Inflation führen werde, wenn die Zinssätze nicht angehoben und die Geldpolitik nicht gestrafft werde, was die Kreditvergabe beschränken würde. Er befürchtet, dass die Arbeiter*innen auf höhere Löhne drängen werden, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu kompensieren. Obendrein weist die Beibehaltung des Leitzinses von 0,5%, während die Inflation weit über dem Ziel von 2% liegt, seiner Ansicht nach darauf hin, dass die Bank of England das Inflationsziel nicht ernst nehme. Die Gefahr ist nach dieser Argumentationslinie, dass es in Großbritannien irgendwann zu einer Explosion der Inflation kommen könnte.
Diese Ansicht spiegelt besonders die Interessen des Finanzkapitals wider. Die Inflation begünstigt die Schuldner*innen, da sie den realen (inflationsbereinigten) Wert der ausstehenden Schulden senkt – und damit den Interessen der Gläubiger*innen schadet. Einige Teile des Finanzkapitals akzeptieren, dass sie mit etwas Inflation leben müssen, bis es einen nachhaltiger Aufschwung gibt. Aber andere Teile befürchten, dass die niedrigen Zinssätze und die quantitative Lockerung den Weg für eine Explosion der Inflation oder sogar eine Hyperinflation bereiten würden.
In Wirklichkeit ist dies in naher Zukunft nicht wahrscheinlich. Der Großteil der von der Bank of England im Rahmen des Programms zur quantitativen Lockerung ausgegebenen Kredite wurde ins Ausland in die hochprofitablen „Schwellenländer“ (China, Indien, Brasilien usw.) geleitet. In Großbritannien bleibt die Kreditvergabe trotz des niedrigen Leitzinses sehr eingeschränkt. Egal ob Hauskäufer*innen eine Hypothek aufnehmen wollen oder kleine und mittlere Unternehmen sich um Geschäftskredite bemühen, sie stehen untragbaren Bedingungen, hohen Gebühren und Zinssätzen gegenüber, die weit über den Leitzinsen liegen.
Andere kapitalistische Ökonom*innen halten Schulden und Deflation immer noch für die Hauptprobleme, vor denen die britische und globale Wirtschaft stehen. Das Argument wurde kürzlich von Anthony Hilton im London „Evening Standard“ (18. Januar) zusammengefasst: „Wenn Schulden das Problem sind, kann Inflation die am wenigsten schmerzhafte Lösung sein … Deflation beinhaltet das massive Enger-Schnallen des Gürtels und bedeutet, dass Geld auf Kosten aller anderen Dinge in die Schuldentilgung gelenkt wird, damit die Schuldenlast verringert wird… Das geht nach hinten los, wenn der Druck für das Land zu groß zum Ertragen wird und die gesamte Wirtschaftstätigkeit schneller sinkt, als die Schulden zurückgezahlt werden. Dann brechen soziale Unruhen aus“.
Obwohl der britische Kapitalismus derzeit keine Preisdeflation erlebt, wird er durch einen riesigen Schuldenberg, sowohl im öffentlichen Sektor als auch bei den privaten Haushalten, herabgedrückt. Der Abbau des öffentlichen Defizits und die Rückzahlung der Schulden der privaten Haushalte drohen die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen zu ersticken und das Wachstum zu untergraben.
„Die Inflation auf der anderen Seite macht diese Anpassungen [Schuldenrückzahlung] sanfter und gleichmäßiger. Die Steuereinnahmen steigen, da die Menschen in höhere Einkommensbereiche aufsteigen, die Unternehmen können die Lohnkosten senken, indem sie die Lohnerhöhungen unter dem Inflationsniveau ansetzen, und diese Maßnahmen verringern die Nachfrage ohne die zusätzliche Qual der Arbeitslosigkeit. Und die ganze Zeit über verringert sich der reale Wert der Schuldenlast … Eine Inflation von 4% verringert die Gesamtschuldenlast in fünf Jahren um fast 25% und halbiert sie in neun Jahren praktisch. Wer braucht George Osborne? Lassen Sie den MPC in Ruhe, und er wird das Problem lösen“.
In der gegenwärtigen Lage wäre es für die Bank of England kontraproduktiv, die Zinsen anzuheben und die quantitative Lockerung zurückzufahren. Angesichts der Schwäche des Aufschwungs würde eine solche Maßnahme fast sicher einen neuen Abschwung auslösen. Eine milde Inflation von etwa 4% wäre für das Wirtschaftswachstum günstig. Es scheint jedoch immer wahrscheinlicher zu werden, dass der MPC dem Druck nachgeben und in den nächsten Monaten beginnen wird, die Zinsen zu erhöhen.
Hilton gibt zu, dass die Inflation „nicht zum Nulltarif zu haben ist“. In der Praxis ist es für Regierungen oder Zentralbanken unmöglich, die Inflation sorgfältig zu kontrollieren und sie auf, sagen wir, 4% zu beschränken. Eine Flut von Krediten kann zu einer Inflationsspirale führen, die den Lebensstandard untergräbt und die Wirtschaft destabilisiert. Die Inflation ist bestenfalls ein vorübergehendes Mittel des Kapitalismus und kann keinen Ausweg aus der Krise bieten.
Politische und wirtschaftliche Kernschmelze
Die Erholung des britischen Kapitalismus ist so schwach, dass die Angst vor einer W-förmigen Rezession ständig in den Medien geäußert wird. Abgesehen von den hausgemachten Problemen hängt jede Erholung vom fortgesetzten Wachstum der Weltwirtschaft ab. Dieses könnte durch eine neue Phase der europäischen Finanzkrise, einen Zusammenbruch der Investitionsblasen in den halb entwickelten Wirtschaften oder weitere geopolitische Schocks wie die revolutionären Entwicklungen in Nordafrika und im Nahen Osten (die den Ölpreis kürzlich auf über 100 Dollar pro Barrel getrieben haben) durchkreuzt werden.
Cameron und Osborne, Clegg und Cable behaupten, ihr Kürzungspaket sei der Weg zur Rettung. Sie sagen, es werde die Anleihemärkte beruhigen und zu einem verstärkten Wachstum des Privatsektors führen. Wahrscheinlicher führt es jedoch zu einer Periode der Stagnation, wenn es nicht sogar einen neuen Abschwung der Wirtschaft auslöst. Immer mehr Stimmen werden aus den Reihen der Kapitalist*innenklasse laut, die einen „Plan B“, eine Alternative zum Kürzungspaket, fordern.
Plan B würde laut Paul Collier, Wirtschaftsprofessor in Oxford, „auf eine grundlegende Umkehrung der Politik hinauslaufen, sie würde nur im Falle einer politischen und wirtschaftlichen Kernschmelze erfolgen“. Sein schwächlicher Vorschlag ist ein heimliches Konjunkturpaket, das die Finanzmärkte nicht alarmieren würde, ein „Plan A+“. („Financial Times“, 3. Februar)
Der britische Kapitalismus steuert auf eine politische und wirtschaftliche Kernschmelze zu. Das Ausmaß der Kürzungen wird, sobald sie in Kraft treten, eine tiefere Wirtschaftskrise auslösen. Weit davon entfernt, die Anleihemärkte zu beruhigen, werden die Kürzungsmaßnahmen zu neuen „finanziellen Turbulenzen“ führen. Die Kapitalist*innen und ihre Führungselite werden in alle Richtungen gespalten sein.
Vor allem der wachsende Widerstand der Arbeiter*innenklasse gegen die drakonischen Kürzungen, die Massenarbeitslosigkeit und die allgemeine Senkung des Lebensstandards wird eine „politische Kernschmelze“ auslösen. Beispiellose Kürzungsmaßnahmen werden eine beispiellose Bewegung der Arbeiter*innenklasse auslösen. Der Kampf der Massen gegen die Kürzungen wird zunehmend mit einem Kampf für die Übernahme der Wirtschaft und deren Leitung entlang demokratischer, sozialistischer Linien verbunden sein.
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