[eigene Übersetzung des englischen Textes, veröffentlicht in Socialism Today, Nr. 37, April 1999 also etwa ein Jahr vor dem Platzen der Dot.com-Blase]
Die USA scheinen eine „Oase des Wohlstands“ zu sein, die immer noch gut schwimmt, während ein Großteil der Welt versinkt. Trotz der Turbulenzen des letzten Jahres nähert sich der Dow-Jones-Index der Wall Street der 10.000er-Marke. Die jüngsten US-Zahlen zeigen ein rasches Wachstum, eine verringerte Arbeitslosigkeit und eine Inflation nahe Null. Die US-Nachfrage nach Importen polstert weiterhin die schwächelnden Volkswirtschaften Asiens, Lateinamerikas und sogar Europas ab. Ist die neue Ära der kapitalistischen Wirtschaft wirklich angebrochen? Ganz im Gegenteil, meint Lynn Walsh, der jüngste Wachstumsschub wurde durch einen höchst instabilen Zyklus von Verbraucher*innenausgaben und Unternehmensinvestitionen angetrieben – angefacht durch eine verrückte Börsenblase. Die sich verschärfenden Trends innerhalb der US-Wirtschaft und der sich immer noch ausbreitende weltweite Konjunktureinbruch bedeuten, dass die Tage des US-Booms gezählt sind.
„Joy to the world“ [Freue dich, Welt], verkündete das „Wall Street Journal“ (22. Dezember) kurz vor Weihnachten: „Trotz allem herrscht in Amerika immer noch eine Kultur des Optimismus; Amtsenthebungsverfahren? Irak-Spannungen? Humbug! Die Märkte gehen nach oben, die Umfragen steigen, die Massen geben Geld aus“. Die US-Wirtschaft, so die „New York Times“ (18. Dezember), sei eine „Brutstätte der Ruhe in einem Meer von Krise und Verwirrung“.
„Auf den ersten Blick“, so kommentierte der „Boston Globe“ (3. Januar 1999) in seinem Geschäftsausblick ’99, ‚scheint die Lehre von 1998 zu sein, dass die US-Wirtschaft einen Schlag einstecken kann und trotzdem weiterläuft – vielleicht auf unbestimmte Zeit“. Dies ist auch die Stimmung der meisten wohlhabenden Finanzinvestor*innen und Wirtschaftsexpert*innen. Der gegenwärtige Wachstumszyklus, über sieben Jahre lang, ist die längste Erholung in Friedenszeiten in der US-Geschichte. Am 14. März durchbrach der Dow Jones (der Leitindex der New Yorker Börse) zum ersten Mal die mystische Marke von 10.000 Punkten – und viele Spekulant*innen, berauscht von ihrer unglaublichen Glückssträhne beim Profitmachen, freuen sich sogar auf die 15.000er Marke.
Weil sie die Asienkrise, den Zusammenbruch Russlands und die Beinahe-Kernschmelze von Long Term Capital Management überstanden haben und die Wall Street wieder auf die Beine gekommen ist, glauben die meisten großen und kleinen Investor*innen, dass die USA gegen die wirtschaftlichen Gesetze, die für den Rest der Welt gelten, immun seien. Trotz der Warnungen der Federal Reserve und des US-Finanzministeriums glauben sie an das „neue Wirtschaftsparadigma“ (unbegrenztes kapitalistisches Wachstum, ohne Inflation und periodische Abschwünge) – und sie glauben, dass dieses Paradigma von Dauer sei. Sie sehen nicht, dass der jüngste Aufschwung der US-Finanzmärkte auf vorübergehende, äußerst widersprüchliche konjunkturelle Faktoren zurückzuführen ist, die nicht viel länger anhalten werden.
Das Wachstum (das im letzten Quartal 1998 eine Jahresrate von 5,6% erreichte) wurde durch den anhaltenden Anstieg der Aktienkurse angeheizt, der wiederum durch die Flut von relativ billigem Kapital in die US-Finanzmärkte begünstigt wurde. Während die Asienkrise die US-Ausfuhren traf, lenkte sie gleichzeitig zu einer Flut ausländischen Kapitals in die USA, was half, die Zinssätze zu senken und die Verbraucher*innenausgaben auf ein noch höheres Niveau zu bringen. 1998 flossen 218 Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen in die USA, ein Großteil davon von Konzernen aus Übersee, die Dollar aus dem US-Handelsdefizit nutzten, um ihre Geschäftstätigkeit in den USA auszuweiten.
Der Kapitalzufluss in Aktien – unterbrochen durch die Turbulenzen an den großen Aktienmärkten im August letzten Jahres – wurde durch die Maßnahmen der US-Notenbank zur Abwendung einer Kernschmelze der Weltfinanzmärkte nach dem Zusammenbruch Russlands und der LTCM-Krise weiter angeregt. Dies gab dem börsengetriebenen Konsumboom einen neuen Auftrieb und verstärkte den wirtschaftlichen Wohlfühlfaktor trotz der Ausbreitung der Krise auf Lateinamerika Anfang dieses Jahres.
Eine wachsende Anzahl von Kommentator*innen sagen jedoch nicht nur ein geringeres Wachstum für die USA in diesem Jahr voraus (2% oder weniger), sondern warnen auch vor drohenden Gefahren. „Es gibt großes Potenzial, doppelten Verlust zu erleiden“, kommentierte ein Investmentökonom. Ein anderer sagte: „Wenn man sich die Top-Zahlen der Wirtschaft ansieht, sehen sie spektakulär aus; erst wenn man unter die Oberfläche schaut, beginnt man die Risse zu sehen“. („Boston Globe“ – Ausblick ’99, 3. Januar 1999)
In Wirklichkeit gibt es viele sehr tiefe Risse, die sich immer weiter verbreitern. Das Profitwachstum der Konzerne verlangsamt sich, und ihre Investitionen werden in zunehmendem Maße durch Schulden finanziert (ein Großteil davon in Form von Auslandsschulden). Es gibt bereits einen deutlichen Rückgang bei den US-Hersteller*innen (272.000 Arbeitsplätze gingen zwischen März und Dezember 1998 verloren), die in Asien und anderswo Absatzeinbußen hinnehmen mussten und gleichzeitig durch billigere Importe auf dem heimischen Markt untergraben werden. Die Verbraucher*innenausgaben (1998 um 4,8% gestiegen) sind weiterhin hoch, übersteigen jedoch zunehmend das Einkommen und stützen sich auf die wachsende Verschuldung der Verbraucher*innen. Das US-Handelsdefizit wächst weiter (von 110 Mrd. $ im Jahr 1997 auf schätzungsweise 164 Mrd. $ im Jahr 1998). Trotz einiger Behauptungen, die Asienkrise habe sich stabilisiert und die Weltwirtschaftskrise habe die Talsohle erreicht, breitet sich der Konjunktureinbruch weiter aus. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Risse die Entwertung der US-Blasenwirtschaft herbeiführen.
Angetrieben durch die Börsenblase
An erster Stelle waren es das hohe Niveau der Unternehmensprofite (von 5,5% des BIP in den frühen 80er Jahren auf jetzt 10%), die die Spitzenwerte der Nachkriegszeit wiederherstellten, die wachsende Zahlen von Investor*innen an die Börse lockten. Die Superprofite (zusammen mit niedrigeren Unternehmens- und persönlichen Steuern für die Reichen) hatten ihre Wurzeln in der enorm gestiegenen Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse, seit der US-Kapitalismus unter Reagan zu einer neoliberalen Politik überging. Löhne und Sozialleistungen wurden nach unten getrieben, die Arbeitszeit enorm verlängert und die Rechte am Arbeitsplatz ausgehöhlt. Die verschärfte Polarisierung zwischen Reich und Arm erzeugte eine wohlhabende Schicht mit reichlichem überschüssiges Einkommen, um es an der Börse zu investieren. Neben ausländischen Investor*innen und den Konzernen selbst halfen die bürgerlichen und Obere-Mittelschicht-Investor*innen, die Liquidität – die „Bargeldfässer“ – zu liefern, die an die Börse rollten. Die Investmentfonds, die vielen Investor*innen als Vehikel dienten, wuchsen zwischen 1990 und 1998 um das Zehnfache und erreichten ein Gesamtvolumen von 5,4 Billionen Dollar. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der in Unternehmensaktien investierten Gelder von 25% auf 56% (während der Anteil der in Unternehmensanleihen und vor allem in den Geldmarkt investierten Gelder im gleichen Maße zurückging). („New York Times“, 4. Januar 1998)
Die ständig steigende Nachfrage nach Aktien trieb deren Preise weiter in die Höhe. Im Gegenzug zogen die Kapitalprofite, die den Aktionär*innen durch den Handel zuflossen (und die von der Regierung nicht gezählt oder als Einkommen besteuert wurden), noch mehr Investor*innen an.
Die Börsenkapitalisierung (der Gesamtwert der ausgegebenen Aktien) stieg von 65% Ende 1989 auf 150% des amerikanischen BIP. Dies bedeutete eine Ankurbelung der Wirtschaft um etwa 11 Billionen Dollar, von denen ihr 5 Billionen Dollar in den Jahren 1996-97 zugeführt wurden. Dies glich den starken Rückgang der Staatsausgaben infolge der Kürzungen unter Bush und besonders unter Clinton weitgehend aus und wirkte auch der Einkommensstagnation entgegen, die die Mehrheit der Arbeiter*innen bis in die letzten Jahre hinein erlebte. Ein Kommentator, Dean Baker, hat dies ironisch als „Bullenmarkt-Keynesianismus“ bezeichnet, eine Stimulierung der Nachfrage durch Börsenspekulationen zum Nutzen der Reichen („The American Prospect“ – Januar/Februar 1999).
Der langgezogende Aufschwung der Börse, der so genannte „Bullenmarkt“, hat auch eine ideologische Dimension, die mit dem kapitalistischen Triumphalismus der Periode nach 1989 verbunden ist. Als Ausdruck des Wiederauflebens der Konzernprofite und der fabelhaften Spekulationsgewinne hat der Bullenmarkt die Renaissance der wirtschaftlichen Macht und des Selbstvertrauens des US-Kapitalismus widergespiegelt – und es gleichzeitig verstärkt. Obwohl es langfristig kein unabhängiger Faktor ist, trug in den 1990er Jahren allein die Existenz der galoppierenden Hausse zur Stärke der Wirtschaft bei, indem sie eine optimistische, spekulative Mentalität unter den wohlhabenden Amerikaner*innen förderte und eine Flut von Investitionen aus dem Ausland anlockte. Die geballte Infusion von Profiten aus den Finanzmärkten hatte obendrein eine berauschende Wirkung auf viele führende Vertreter*innen der Großkonzerne, Spekulant*innen und Marktexpert*innen – und machte sie blind für die zugrunde liegenden sozialen und wirtschaftlichen Realitäten.
Während der Einfluss der Börse zugenommen hat und den Konzernen kurzfristige Profitziele auferlegt, spielt sie eine immer parasitärere Rolle. Während des Nachkriegsaufschwungs finanzierten Aktien etwa 5% der realen Investitionen. Doch zwischen 1980 und 1996 wurden weit mehr Aktien zurückgezogen (von den emittierenden Unternehmen zurückgekauft) als neue Aktien an Investoren ausgegeben, was den Aktienmarkt zu einer negativen Geldquelle machte, die etwa minus elf Prozent der Gesamtinvestitionen entspricht. (Siehe Doug Henwood, Wall Street, S. 72). 1997 brachten US-Unternehmen 41,2 Mrd. Dollar mehr an Aktien ein, als sie ausgaben (Konzerne kaufen ihre eigenen Aktien zurück, um den Preis der verbleibenden Aktien hochzuhalten, oder im Zuge der Übernahme anderer Unternehmen).
In der Anfangsphase der Expansion waren die Konzernprofite so hoch, dass die Unternehmen genug Bargeld hatten, um sowohl die Investitionen zu erhöhen als auch die Dividendenzahlungen an die Aktionär*innen zu decken – und in vielen Fällen hatten sie auch noch Bargeld für ihre eigenen spekulativen Aktivitäten übrig.
Die Börse fungiert also nicht als Quelle für Investitionsmittel, sondern als Mechanismus zur Ausschüttung von Profiten an eine wohlhabende Schicht von Aktionär*innen, so genannten „Investor*innen“. Mit anderen Worten: Ein Teil der Unternehmensprofite wird in Aktienwerten kapitalisiert – und der persönliche Reichtum der Aktionär*innen wird dadurch erhöht. Ein Schlüsselfaktor, der das Wachstum während des US-Wachstumsschubs seit 1996 begünstigt hat, ist die Tatsache, dass ein großer Teil der Aktionär*innen ihren persönlichen Konsum im Verhältnis zum Anstieg ihres persönlichen Vermögens erhöht hat. Der Anstieg der Immobilienpreise hatte ebenfalls einen ähnlichen „Vermögenseffekt“, da sich die gestiegenen Immobilienwerte in einen vergrößerten Konsum verwandelten.
Dieser Boom ruht vor allem auf den Schultern der reichen Verbraucher*innen. Aktieneigentum, das ist wahr, hat sich stark verbreitet (durch Investmentfonds usw.), und mehr als die Hälfte der Bevölkerung besitzt heute Aktien. Aber Aktieneigentum ist stark konzentriert: 10% der reichsten Haushalte gehören 89% der Aktien. Die Ausgabenfreudigkeit der Reichen und Superreichen war ein wichtiger Faktor für den Anstieg des privaten Verbrauchs, der 1997 rund 65% des Wachstums ausmachte (während die privaten Investitionen rund 38% und die Ausgaben der Bundesstaaten und Kommunen nur 6% ausmachten). Das Wachstum des Konsums stimulierte natürlich höhere Unternehmensinvestitionen, die wiederum mehr Arbeitsplätze schufen und in den letzten zwei oder drei Jahren die durchschnittliche Haushaltseinkommen gerade so über das frühere Spitzenniveau der 80er Jahre hievten.
Die Dynamik dieser Wachstumsphase erzeugte eine enormen Überbewertung der Aktienkurse. Die Aktien aller US-Unternehmen sind etwa das 26-fache ihrer kollektiven Profite wert – das höchste Niveau seit 1945 und das Doppelte des historischen Durchschnitts, was bedeutet, dass ihre Aktien nach historischen Standards jetzt extrem teuer sind. (Henwood, „Left Business Observer“, Nr. 87, Dezember 1998) Wären die Aktienbewertungen (im Verhältnis zu den Unternehmensprofiten) so hoch wie auf dem Höhepunkt des Booms in den 80er Jahren, kurz vor dem Crash von 1987, würde der Dow-Jones-Index irgendwo zwischen 5.000 und 7.000 liegen – und nicht bei 10.000. („International Herald Tribune“, 16. März 1999)
Eine Überbewertung dieses Ausmaßes kann nicht ewig aufrechterhalten werden. Tatsächlich gab es im vergangenen August-Oktober eine „Korrektur“, die jedoch durch die anschließende Erholung an der Wall Street und den Weltbörsen wieder wettgemacht wurde, was bei vielen Kapitalist*innen die Illusion aufkommen ließ, dass der Bullenmarkt ewig andauern könne.
Erholung von der „Korrektur“ von 1998
Schon 1996 warnte Greenspan, der Vorsitzende der Federal Reserve Bank, vor den Gefahren einer „Überhitzung“ (Inflation) und „irrationalem Überschwang“ an der Börse. Nach der orthodoxen Wirtschaftsdoktrin würde schnelles Wachstum in Verbindung mit niedriger Arbeitslosigkeit unweigerlich zu Inflation führen. Die Arbeitslosigkeit in den USA lag vier Jahre lang unter 6% und sank in den Jahren 1997-1998 auf etwa 4,5%. Greenspans Befürchtungen in dieser Richtung haben sich jedoch nicht bewahrheitet – bisher. Die Schwäche der US-Gewerkschaften und die zunehmende Arbeitsplatzunsicherheit hielten die Löhne niedrig, und nach dem Ausbruch der Asienkrise im Juli 1997 halfen auch die sinkenden Import- und Rohstoffpreise, die Inflation in den USA auf ein fast vernachlässigbares Niveau verringern.
Die US-Notenbank hatte jedoch seit Anfang 1994 ihre Geldpolitik gestrafft mit einer Anhebung der Zinssätze zwischen Februar 1994 und Februar 1995 von 3% auf 6%. Da die Inflation fiel, wurden die realen Zinssätze (die nominalen Zinsen abzüglich der aktuellen Inflation) auf etwa 4% angehoben, ein historisch hohes Niveau. Dies schien jedoch keine Auswirkungen auf den US-Boom zu haben. Tatsächlich beschleunigte sich das Wachstum in den Jahren 1997-1998, als die Asienkrise eine erneute Kapitalflut in die US-Wirtschaft brachte.
Die Lage änderte sich dramatisch mit dem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft im August 1998. Obwohl Russland, gemessen am BIP, nur etwa so groß ist wie die Niederlande, hatte die Zahlungsunfähigkeit bei seinen Auslandsschulden erhebliche Auswirkungen auf die US- und europäischen Banken. Zu diesem Zeitpunkt war eine Reihe von Großbanken und Finanzinstituten eindeutig vom Zusammenbruch bedroht, was eine weltweite Finanzkatastrophe hätte auslösen können. Dies zeigte der Konkurs des Hedgefonds Long Term Capital Management, dessen völliger Zusammenbruch nur knapp durch eine von der Federal Reserve organisierte Rettungsaktion abgewendet werden konnte. Zwischen August und Oktober 1998 gab es an den US- (und anderen) Börsen Erschütterungen mit einem Rückgang der US-Aktienwerte um 20 bis 25%.
Das globale Finanzsystem war nur einen Herzschlag vom System-Zusammenbruch entfernt, eine erschreckende Erfahrung für die führenden Vertreter*innen der Federal Reserve und des US-Finanzministeriums. Als Reaktion darauf führten sie in aller Eile eine expansive Politik mit drei Zinssenkungen (bis auf 4,75%) innerhalb von sieben Wochen ein. Die USA übten auch enormen Druck auf die Europäische Zentralbank aus, die Zinssätze in Europa (Wirtschafts- und Währungsunion) zu senken.
Aus einem innenpolitischen Blickwinkel war die Federal Reserve geneigt, die Geldpolitik zu straffen, um der „irrationalen Überschwang“ in den USA entgegenzuwirken. Aber sie sah sich gezwungen, die Zinsen zu senken, um den Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise entgegenzuwirken. Laut dem Protokoll ihrer Sitzung vom 17. November erkannten die Entscheidungsträger*innen der Federal Reserve, dass ihre dritte Zinssenkung „einen weiteren starken Anstieg der Börsenkurse auslösen könnte, der auf der Grundlage der voraussichtlichen künftigen Erträge nicht gerechtfertigt wäre und daher später zu einer relativ scharfen und störenden Marktanpassung führen könnte“. („International Herald Tribune“, 11. Januar 1999)
Die Zinssenkungen der Fed gaben den Aktienkursen, die bereits um mindestens 30% überbewertet waren, jedoch einen weiteren Auftrieb. Wohlhabende US-Investor*innen, die von den Turbulenzen im August und Oktober kaum betroffen waren, steckten ihr Geld weiterhin in Aktien. Angesichts der niedrigen Zinssätze boten Aktien viel höhere Erträge (selbst wenn sie auf der Grundlage von Krediten erworben wurden). Auch Investor*innen aus Übersee, die aus den „abtauchenden Märkten“ Asiens, Osteuropas und Lateinamerikas flohen, steckten mehr Geld hinein. Zusätzlichen Auftrieb erhielten die Aktienkurse durch die Hauptkäufer*innen von Aktien, die großen Konzerne selbst, die ihre eigenen Aktien aufkauften (um ihre Aktienkurse zu halten) oder in massive Übernahmeaktionen verwickelt waren (die sich 1998 auf über 2,5 Mrd. $ beliefen).
Der irrationale Überschwang ist noch irrationaler geworden. „Dieser verrückte Aktienmarkt“, sagte der Chef einer großen Wall Street Investmentbank: „die Leute werden dadurch getäuscht“. Aber, kommentiert der Interviewer, „da der Dow sich der magischen fünfstelligen Grenze nähert, ist es sinnvoll, nicht mehr mit diesem Markt zu streiten, sondern ihn zu seinen eigenen Bedingungen zu akzeptieren“. („International Herald Tribune“, 16. März 1999) Weniger berauschte Strateg*innen und Kommentator*innen wissen jedoch sehr wohl, dass „eine relativ scharfe und zerrüttende Marktkorrektur“ kommt.
Aber die Entscheidungsträger*innen der Federal Reserve (und des US-Finanzministerium) sind in der Blase der Aktienmärkte gefangen. In seiner Aussage vor dem Kongress im Juni letzten Jahres lobte Greenspan den „positiven Kreislauf“ steigender Aktienwerte, der die Ausgaben und damit die Produktion, die Beschäftigung und produktivitätssteigernde Kapitalinvestitionen ankurbelt. Gleichzeitig warnte er, dass „steigende Erwartungen“ in Bezug auf künftige Unternehmensprofite und steigende Aktienwerte „die Aktienkurse stark in die Höhe getrieben haben … vielleicht auf ein Niveau, das nur schwer zu halten sein wird, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen nicht außergewöhnlich günstig bleiben – und zwar mehr, als es die historischen Beziehungen vermuten lassen“. („The Independent“, 12. Juni 1998)
Nach dem Spurt im vierten Quartal und dem Wiederaufschwung des Aktienmarktes ist Greenspans Dilemma noch akuter. Wie es ein Kommentator formulierte, „ist der Aktienmarkt ganz von selbst nach oben geschossen. Anstatt den Markt anzuführen, folgt ihm jetzt die Realwirtschaft“. („International Herald Tribune“, 11. Januar 1999)
In der gegenwärtigen Lage ist es für die US-Notenbank fast unmöglich, eine weitere Zinssenkung vorzunehmen (um weitere internationale Turbulenzen zu verhindern), denn dies würde die ohnehin schon vorhandene Beinahe-Raserei an den US-Börsen noch weiter anheizen. Auf der anderen Seite ist eine Anhebung der Zinsen zur Dämpfung des „irrationalen Überschwangs“ ebenso schwierig – sie würde fast gewiss die Spekulationsblase platzen lassen und die US-Wirtschaft in eine scharfe Rezession stürzen. Es wird geschätzt, dass beispielsweise ein Fall der Aktienkurse um 30% innerhalb von 12 Wochen das Wirtschaftswachstum um etwa 2,3 Prozentpunkte verringern würde, was an sich schon eine schmerzhafte Verlangsamung darstellt. Aber diese Computermodell-Schätzung berücksichtigt nicht den dynamischen Schockeffekt eines Kurseinbruchs an der Börse, der durchaus weit über 30% liegen könnte. Angesichts der Schlüsselrolle, die steigende Aktienkurse bei der Ankurbelung von Verbraucher*innenausgaben und Unternehmensinvestitionen gespielt haben, könnte ein starker Rückgang einen sehr starken Abschwung in der US-Wirtschaft auslösen.
Ein Börsenkrach, der wahrscheinlich eher durch eine Reihe von Kursturbulenzen als durch einen einzigen Krach ausgelöst wird, wird das Vertrauen und die erstaunliche Selbstgefälligkeit des US-Kapitalismus erschüttern. „Wenn der Bullenmarkt endet“, schreibt ein Kolumnist, ‚werden die Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft und Psyche viel größer sein, als sie es gewesen wären, bevor so viele Amerikaner ihre Hoffnungen für die Zukunft auf den Aufstieg der Wall Street setzten‘. („International Herald Tribune“, 16. März 1999) Ganz zu schweigen davon, dass viele Menschen – insbesondere die Kleininvestor*innen – völlig ruiniert sein werden.
Eine Wirtschaft der neuen Ära?
Aber sind die immer höheren Aktienbewertungen nicht durch den Boom in den High-Tech-Branchen gerechtfertigt, die ein langfristiges, nicht-inflationäres Wachstum anheizen? Unter der Überschrift „The Bubble Won’t Burst“ [Die Blase wird nicht platzen] behauptet ein ehemaliger Gouverneur der US-Notenbank (Wayne Angell), dass die gegenwärtigen wirtschaftlichen Belege „darauf hindeuten, dass Amerika schließlich in einer Wirtschaft der neuen Ära angekommen ist… in der die High-Tech-Branchen Einkommenssteigerungen erzielen, die immer höhere Bewertungen rechtfertigen“. („Wall Street Journal“, 4. Februar 1999)
Die Optimist*innen der neuen Ära verweisen insbesondere auf den Spurt des Produktivitätswachstums (die Menge, die Arbeiter*innen in einer Stunde produzieren) Ende letzten Jahres. Im vierten Quartal 1998 stieg die Produktivität mit einer jährlichen Rate von 3,7%. Einen ähnlichen Spurt gab es im vierten Quartal 1996, als die Produktivität um 4,2% stieg. Für das Jahr 1998 insgesamt stieg die Arbeitsproduktivität um 2,2%, darunter die Produktivität der verarbeitenden Industrie um 4,3%.
Die meisten Kommentator*innen sind jedoch skeptisch bezüglich der Behauptung, dass die Computer endlich die versprochenen Effizienzgewinne erzeugen. „Die meisten Experten sagen, dass eine robuste Wirtschaft und eine starke Nachfrage die Unternehmen dazu gezwungen haben, mehr Produktion aus ihren Mitarbeitern herauszuholen, oft indem sie die Anlagen mit voller Kapazität laufen lassen“. („International Herald Tribune“, 11. Februar 1999)
Die jüngsten Zahlen geben die jährliche Produktivitätssteigerung seit Juli 1990 mit 1,4% an. Dies ist nur geringfügig höher als der durchschnittliche Anstieg von 1,1% pro Jahr während des gesamten Zyklus der 1980er Jahre. Er liegt immer noch weit unter dem Durchschnitt des „goldenen Zeitalters“ von 2,9% pro Jahr zwischen 1959 und 1973.
„Der späte zyklische Produktivitätsanstieg“, schreibt Jeff Madrick, „lässt sich durch die Tatsache erklären, dass, wenn die Rate des BIP-Wachstums plötzlichen ansteigt, die Produktivität in der Regel ebenfalls überdurchschnittlich ansteigt. Die Unternehmen strapazieren all ihre Ressourcen, um die plötzlich steigende Nachfrage zu befriedigen. Die Arbeiter arbeiten härter, da die Unternehmen nicht schnell genug neue Mitarbeiter einstellen können… In solchen ein- oder zweijährigen Lagen ist es in der Regel nicht die Produktivität, die die Wirtschaft schneller vorantreibt, sondern die Nachfrage, die mehr Produktivität aus den Unternehmen des Landes herauszieht. (,The Treadmill Economy‘ [Die Tretmühlenwirtschaft], „The American Prospect“, November/Dezember 1998)
In der ersten Hälfte des Jahres 1998 machten Produktivitätssteigerungen nur 40% des Wachstums der Unternehmensleistung aus, während Zuwächse bei den Arbeitsstunden 60% ausmachten. Während des raschen Wachstums in der Nachkriegsaufschwungperiode machte die Produktivität gegen 70% des Produktionszuwachses aus, während der Anstieg der geleisteten Arbeitsstunden etwa 30% ausmachte.
Der US-Wachstumsspurt der letzten zweieinhalb Jahre beruhte darauf, dass mehr Arbeiter*innen mehr Stunden arbeiteten. Dies spiegelt die Probleme der Mehrheit der Arbeiter*innen nach Jahren stagnierender oder sinkender Löhne wider, über die Runden zu kommen. Andererseits konnten die Boss*innen mehr Arbeiter*innen einstellen, ohne die Lohnniveaus nennenswert anzuheben, zumindest bis in die allerjüngste Zeit. Mit anderen Worten: Der jüngste Boom beruhte nicht auf neuen Technologien und Produktivitätswachstum, sondern überwiegend auf der intensivierten Ausbeutung der Arbeiter*innen.
Trotz des Booms der Konzernprofite betrug das durchschnittliche reale Wachstum des BIP während des Konjunkturzyklus 1990-1998 nur 2,43% – verglichen mit 2,75% im Zyklus 1980-1990. Beide diese Zahlen liegen weit unter den Werten des Nachkriegsaufschwungs (5,38% im Zeitraum 1948-1953 und 4,33% im Zeitraum 1960-1969). Selbst das „Wall Street Journal“ sah sich in einem seiner vernünftigeren Leitartikel gezwungen, zuzugeben, dass „Amerika nicht in der Lage war, ein neues goldenes Zeitalter zu schaffen“. (30. März 1998)
Seit 1997 gab es einige bescheidene Einkommenszuwächse für eine breite Schicht von Arbeiter*innen, einschließlich ungelernter Arbeiter*innen und Minderheiten. Die Nachfrage nach Arbeitskräften hat die Boss*innen gezwungen, eine gewisse Erhöhung der Nominallöhne zuzulassen, während niedrigere Preise den realen Wert der Löhne der Arbeiter*innen erhöht haben. Dies hat jedoch nichts dazu beigetragen, die immer größer werdende Kluft der Ungleichheit zu schließen, die sich in den USA seit den frühen 1980er Jahren aufgetan hat.
Auf der Grundlage einer Analyse von Edward Wolff von der New York University „kontrollieren die reichsten 1% der Haushalte inzwischen fast 40% des Gesamtvermögens. Im Unterschied dazu verfügen die unteren 40% der Haushalte nur über zwei Zehntel Prozent des Gesamtvermögens. Zieht man die Wohnung (die eher eine Notwendigkeit als ein liquider Vermögenswert ist) von den Berechnungen ab, haben die unteren 40% der Familien mehr Schulden als Vermögen. Obendrein haben zwischen 1983 und 1995 die ärmsten 40% der Haushalte 80% ihres Vermögens verloren, während das wohlhabendste 1% der Haushalte 17% hinzugewonnen haben“. („New York Times“, 4. Januar 1999)
„Die Kehrseite der amerikanischen (Arbeits-)Flexibilität“, schreibt ein Kommentator, „ist wachsende Einkommensungleichheit und das Ausfransen des Sicherheitsnetzes, Faktoren, die die Gesellschaft auseinanderreißen könnten, wenn die Welle endet. Was höher steigt, fällt tiefer“. (Robert Levine, „International Herald Tribune“, 17. März 1999)
Der kommende Krach
Es gibt mehrere Trends, innerhalb der USA und international, die den derzeitigen Boom in den kommenden Monaten untergraben werden.
Die Konzernprofite in den USA fallen (1998 um 3%), da die Umsätze durch rückläufige Verkäufe oder geringere Profitspannen (aufgrund von Überkapazitäten und verstärkter Konkurrenz durch Billigimporte) geschmälert werden. Die großen Konzerne zahlen immer noch hohe Dividenden an die Aktionär*innen, müssen sich aber zunehmend Geld leihen (indem sie Unternehmensanleihen auf dem Geldmarkt ausgeben), um neue Investitionen zu finanzieren.
„Während eines Großteils der jüngsten Expansion“, kommentiert Charles Clough (Chefinvestmentstratege bei Merrill Lynch), „konnten die Unternehmen Kapitalerweiterungen finanzieren, die Dividenden decken und hatten noch Bargeld übrig. Unheilvollerweise begann sich dies 1997 zu ändern – die Unternehmen, die sich stark zu Investitionen verpflichtet hatten, begannen, Barmittel zu verlieren, und viele müssen nun in großem Umfang Kredite aufnehmen, um das Defizit zu decken. Seit 1996 haben die Unternehmen außerhalb des Finanzsektors den Betrag der neuen Anleihen, die sie ausgeben, auf 36 Mrd. Dollar jährlich verdoppelt“. („New York Times“, 17. November 1998) Viel des geliehenen Geldes stammt von ausländischen Gläubiger*innen, was einen großen Teil des 220 Milliarden Dollar schweren „Leistungsbilanzdefizits“ der USA ausmacht.
Trotz des jüngsten Spurts im Produktivitätswachstum kam der größte Teil des Wachstums während der jüngsten Expansion vom Wachstum von Beschäftigung und Arbeitsstunden. Die Ausweitung der Erwerbsbevölkerung und des Arbeitsjahres stößt mit Sicherheit an ihre Grenzen. Abgesehen von allem anderen gibt es ein demografisches Problem: Die Beschäftigung wächst annähernd doppelt so schnell wie die Zahl der Erwerbspersonen. Es gibt bereits Anzeichen dafür, dass dieser Effekt in den letzten Jahren zu einem Anstieg des Lohnniveaus geführt hat. Da es für die Unternehmen äußerst schwierig ist, die Preise zu erhöhen (aufgrund der intensiven Konkurrenz), dürfte dies ihre Profite schmälern.
Obwohl viele Haushalte ihre Vermögenswerte durch den Anstieg des Aktienmarktes vermehrt haben, sind sie dennoch auf ein Rekordniveau an Krediten angewiesen, um ihren Lebensstandard aufrechtzuerhalten. Das Verhältnis zwischen Gesamtverschuldung und verfügbarem Einkommen stieg von 77% im Jahr 1986 auf 92% im Jahr 1997 und liegt jetzt bei etwa 100%. Eigenheimkredite machen den Hauptteil dieser Verschuldung aus, aber einige dieser Kredite (die billiger sind als Verbraucher*innenkredite und steuerlich absetzbare Zinszahlungen ermöglichen) wurden zur Finanzierung anderer Anschaffungen (z. B. Kraftfahrzeuge) verwendet. Viele der oberen 20% der Haushalte haben auf der Grundlage von Krediten Aktien gekauft (da die Zinssätze viel niedriger sind als die Dividende aus dem Aktienbesitz). Kreditkartenverschuldung hat auch zugenommen, wobei etwa 12% der Haushalte eine Schulden-/Zinslast von über 30% ihres Jahreseinkommens haben. Diese Verschuldung mag in einem Aufschwung tragbar sein, aber (wie nach dem schuldengetriebenen Boom der 1980er Jahre) wird sie den kommenden Abschwung vertiefen und verlängern.
Der Konsumboom der 1990er Jahre hat die Sparquote der US-Haushalte von rund 6% im Jahr 1993 (ebenfalls ein historisch niedriger Wert) auf nahezu Null gesenkt. Dies sei kein Grund zur Beunruhigung, meinen viele Kommentator*innen, denn gleichzeitig hat die Verteilung der Kapitalprofite aus dem Aktienhandel das durchschnittliche „Nettovermögen“ der Haushalte auf ein Rekordniveau des Sechsfachen des verfügbaren Einkommens angehoben (obwohl dies natürlich extrem ungleich verteilt ist und sich auf die wohlhabenderen Haushalte konzentriert). Sobald jedoch der Aktienmarkt fällt – oder die Befürchtung verbreitet ist, dass er fallen wird – werden die wohlhabenderen Verbraucher*innen ihre Ausgaben einstellen und ihre Sparkonten wieder auffüllen. Eine Verlagerung vom Konsum zum Sparen wird die allgemeinen Auswirkungen eines Börsenabschwungs verstärken.
Sowohl das Handelsdefizit als auch das Leistungsbilanzdefizit sind während dieses Aufschwungs deutlich gestiegen. Das Handelsbilanzdefizit (164 Mrd. $) ist an sich nicht untragbar, da es etwa 2,5% des BIP beträgt. Das Defizit zeigt die wichtige Rolle an, die die USA als Markt für die exportierenden Volkswirtschaften spielen: Ohne es wäre die Krise in Asien, Lateinamerika und sogar Europa viel tiefer. Das Leistungsbilanzdefizit von 220 Mrd. $ (die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben im Handel, der Rückführung von Profiten und anderen Finanztransaktionen) ist jedoch problematischer. Das Zahlungsbilanzdefizit wird durch die massiven Kapitalzuflüsse in die USA aufrechterhalten, die nach wie vor als profitabler „sicherer Hafen“ für Kapital gelten. Dieser Zustrom hat nicht nur das Handelsdefizit finanziert, sondern auch das Kapital für Finanzinvestitionen und Konsumausgaben bereitgestellt.
In der Vergangenheit steckten ausländische Investor*innen ihr Geld jedoch hauptsächlich in US-Staatsanleihen, die als grundsolide Anlage galten. Jetzt fließt das meiste Geld in Konzernanleihen und Aktien, die potenziell viel risikoreicher sind. Jede Verlangsamung der US-Wirtschaft (mit einem Rückgang der Profite), insbesondere wenn sie (wie wahrscheinlich) von einem Wertverlust des Dollars begleitet wird, könnte den Geldfluss umkehren – mit tiefgreifenden Folgen für die US-Wirtschaft. Ohne die Mittelzuflüsse aus dem Ausland müsste die Lücke zwischen den Einnahmen und Ausgaben der USA durch inländische Kredite (was sehr viel höhere Zinssätze bedeuten würde) und brutale Kürzungen bei Investitionen, Staatsausgaben usw. geschlossen werden.
Als Ergebnis der riesige Handelsdefizite über einen langen Zeitraum hinweg, sind die USA international immer tiefer in Schulden versunken. Seit den frühen 1980er Jahren haben die Auslandsverbindlichkeiten der USA – Forderungen privater Investor*innen und der Zentralbanken (die Reserven in US-Staatsanleihen halten) – die US-Vermögenswerte im Ausland stark überstiegen. Im Jahr 1980 waren die USA noch ein Nettogläubiger mit Nettoforderungen an den Rest der Welt in Höhe von rund 7% des BIP, einem Höchststand der Nachkriegszeit. Im vergangenen Jahr betrugen die Nettoschulden der USA 29% des BIP: Die USA schuldeten dem Rest der Welt 2,3 Billionen Dollar mehr als der Rest der Welt den US-Kapitalist*innen schuldete („Left Business Observer“ Nr. 88, 25. Februar 1999).
Wie lange wird diese Situation noch aufrecht erhalten werden können? Die internationalen Trends werden die US-Wirtschaft zunehmend unter Druck setzen. Die Weltfinanzmärkte scheinen sich in den letzten paar Monaten stabilisiert zu haben, und es hat nicht an Behauptungen gefehlt, dass „das Schlimmste vorbei ist“. In Wirklichkeit breitet sich der Konjunktureinbruch (der bereits über 40% der Welt erfasst hat) weiter aus. Japan, die zweite kapitalistische Macht, befindet sich nun im achten Jahr des Null- oder Beinahe-Null-Wachstums, und es gibt keine wirklichen Anzeichen einer Belebung. Gleichzeitig steuert China eindeutig auf eine Krise zu, die eine neue Phase der allgemeinen Asienkrise auslösen könnte (Asien macht 30% der US-Exporte aus). Eine Abwertung der chinesischen Währung, des Renminbi, unter dem Druck der billigeren japanischen Exporte nach der Abwertung des Yen im letzten Jahr könnte einen weiteren Abwertungswettlauf auslösen. Selbst billigere asiatische Exporte würden obendrein das US-Handelsdefizit weiter ausweiten.
In Lateinamerika (auf das 20% der US-Exporte entfallen) fängt die Krise in Brasilien gerade erst an. Das IWF-Paket mit Krediten in Höhe von 41,5 Mrd. USD für Brasilien war keineswegs eine „Rettung“, sondern ermöglichte es ausländischen Investoren lediglich, ihr Geld aus dem Land abzuziehen, bevor der Konjunktureinbruch einsetzt. Die Kapitalflucht wird zusammen mit den von der Regierung Cardoso vorgenommenen Kürzungen in Höhe von 20 Mrd. Dollar Brasilien in einen tiefen Abschwung stürzen. Dies wird unweigerlich auch andere lateinamerikanische Länder herunterziehen, darunter die zweitgrößte Volkswirtschaft des Kontinents, Argentinien.
Seit die Asienkrise 1997 ausbrach haben die USA als „Markt der letzten Rettung“ fungiert und einen wachsenden Betrag an Waren aus Asien, Lateinamerika und Europa gekauft – was sie gegen die Auswirkungen der Krise abgefedert hat. Das kann nicht unbegrenzt so weitergehen.
Sowohl die internen Widersprüche als auch der wachsende Druck der sich ausbreitenden Weltkrise werden das US-Wachstum untergraben – die letzte verbleibende Säule, die die Weltwirtschaft trägt. Der galoppierende Bullenmarkt wird zu Ende gehen. Das Weltfinanzsystem wird zusammen mit Produktion und Handel in eine tiefe Krise gestürzt werden. Wie lange dies dauern wird, lässt sich nicht genau vorhersagen, aber es besteht kein Zweifel daran, dass die US-Wirtschaft in den kommenden Monaten in einen schweren Abschwung eintreten wird, der die Weltwirtschaft in eine neue Phase der Krise stürzen wird.
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