(eigene Übersetzung des englischen Textes in The Socialist, Nr. 277, 15. November 2002)
Bush hat einen überwältigenden politischen Sieg errungen. Noch nie seit Menschengedenken hat ein amtierender Präsident bei Zwischenwahlen die Position seiner Partei sowohl im Senat als auch im Repräsentant*innenhaus gestärkt. Und das trotz der sich verschärfenden wirtschaftlichen Rezession.
Lynn Walsh
Die Republikaner*innen, die von ihrem rechten Flügel dominiert werden, kontrollieren jetzt das Präsident*innenamt, den Senat und das Repräsentant*innenhaus. Selbst bei einer nur knappen Kontrolle über den Senat (51 zu 49) wird Bush wahrscheinlich die Bundesgerichtsbarkeit mit rechten Richter*innen besetzen.
Bushs Wahltaktik ist aufgegangen. In den letzten Wochen tourte er durch 12 Städte und 15 Bundesstaaten, um wichtige republikanische Kandidat*innen zu unterstützen, und appellierte persönlich – als „Oberbefehlshaber des Krieges gegen den Terrorismus“ – um ein Loyalitätsvotum. Das Kriegsfieber lenkte gerade genug von der wirtschaftlichen Talfahrt und der Welle von Konzern-Unternehmensverbrechen ab.
Und es gab zwei weitere wichtige Zutaten: Unmengen von Konzerngeldern [siehe Kasten: Das große Geld kauft Stimmen] und den völligen politischen Bankrott der rivalisierenden Großkonzern-Partei, der Demokrat*innen, die von den führenden Gewerkschafter*innen passiv unterstützt wurden. Aus Angst vor dem Vorwurf der ,Illoyalität‘ ließen sie Bush gewähren.
Der Wahlsieg der Republikaner*innen bei den Zwischenwahlen scheint Bush im Hinblick auf einen möglichen Militärschlag gegen den Irak frischen Wind in die Segel zu geben. Doch Meinungsumfragen zeigten, dass die Unterstützung für die Irak-Politik des Präsidenten während des Wahlkampfes abnahm. Bush hat seine kriegstreiberische Rhetorik merklich abgeschwächt.
Der Gewinn einiger weiterer Sitze im Kongress wird Bush nicht vor einer wachsenden Reaktion gegen die steigenden Kosten militärischer Abenteuer oder einer längeren Verstrickung im Irak schützen.
An der Heimatfront wird Bush die Ergebnisse der Zwischenwahlen zweifellos als Auftrag betrachten, seine großkonzernfreundliche Agenda aggressiv zu verfolgen. Aber in Wirklichkeit gab es keinen republikanischen „Erdrutsch“, keinen „Rechtsruck“. Zwar haben die Republikaner*innen in einigen traditionellen Hochburgen der Demokrat*innen wie Minnesota, Missouri und Georgia Sitze im Senat erobert und ihren politischen Einfluss im Süden generell gestärkt.
Insgesamt waren die Zugewinne der Republikaner*innen jedoch sehr gering. Die an Wahlen teilnehmende Teil der Wähler*innenschaft ist immer noch fast halbe-halbe in der Mitte gespalten.
Die niedrige Wahlbeteiligung zeigt die tiefe Entfremdung vom gesamten politischen System, trotz der einschneidenden Ereignisse des letzten Jahres: Der 11. September, der Zusammenbruch der Börsenblase, Unternehmensskandale und die Aussicht auf einen Krieg gegen den Irak.
Bei den diesjährigen Vorwahlen lag die Wahlbeteiligung bei nur 17 % der wahlberechtigten Bevölkerung, die zweitniedrigste je verzeichnete Wahlbeteiligung. Die gemeldete Wahlbeteiligung am Dienstag, dem 5. November, lag bei 37 %, verglichen mit 35 % bei den Zwischenwahlen 1998, der niedrigsten Wahlbeteiligung seit 56 Jahren.
Klägliche Demokrat*innen
Als Opposition haben die Demokrat*innen völlig versagt – trotz aller zur Verfügung stehender Munition. Sie vermieden es, Bushs Entschlossenheit in Frage zu stellen, die Anschläge vom 11. September mit einem „Regimewechsel“ im Irak zu verbinden. Sie haben es versäumt, die demokratischen Rechte zu verteidigen, die im Namen des „Kriegs gegen den Terrorismus“ drastisch beschnitten wurden.
Sie haben nicht einmal eine Kampagne gegen Bushs Steuersenkungen in Höhe von 1,35 Billionen Dollar über einen Zeitraum von zehn Jahren gemacht, die überwiegend einer Million superreicher Amerikaner*innen zugute kommen werden. Trotz des tiefen Volkszorns über die Skandale der Großkonzerne haben die Demokrat*innen es versäumt, die Verkommenheit des Systems aufzudecken – was nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass viele führende Demokrat*innen Geld von Enron und anderen Konzernen angenommen haben.
Sie haben keine Kampagne für ein staatlich finanziertes Gesundheitssystem gemacht, trotz der Tatsache, dass über 41 Millionen Menschen (14,6 %) keine Krankenversicherung haben und Millionen weitere eine völlig unzureichende Krankenversicherung haben.
Die Demokrat*innen haben den Preis für die politische Feigheit und den Bankrott ihrer führenden Politiker*innen bezahlt. Die einst starke demokratische Parteimaschine ist zerbröselt. Die Zahl der als Unterstützer*innen der Demokrat*innen registrierten Wähler*innen ist seit dem Höchststand der 1960er Jahre um 18 Prozentpunkte zurückgegangen.
Während die führenden Vertreter*innen der meisten Gewerkschaften nach wie vor an den Demokrat*innen kleben und ihnen immer größere Summen an Wahlkampfgeldern zukommen lassen, wendet sich eine wachsende Zahl von führenden Gewerkschafter*innen den republikanischen Amtsinhaber*innen zu. Im Bundesstaat New York beispielsweise unterstützten mehrere Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes den jetzt wiedergewählten republikanischen Gouverneur George Pataki aufgrund kurzsichtiger Lohnabschlüsse, die in Zukunft für ihre Mitglieder nach hinten losgehen werden.
Die Republikaner*innen auf der anderen Seite haben ihre politische Maschine gestärkt, insbesondere im Süden. Mit riesigen Finanzspritzen von den Großkonzernen haben sie ein enormes Netzwerk von Geldbeschaffer*innen, Lobbyist*innen, rechten Denkfabriken, Radio- und TV-Talkshow-Moderator*innen und Basisaktivist*innen geschaffen, die zunehmend Haustürwahlkampf machen.
Während die Wahlbeteiligung insgesamt zurückging, stieg sie in einigen von den Republikaner*innen angestrebten Wahlkreisen (z. B. in New Hampshire und Georgia) recht stark an.
Die Konzern-Agenda
Selbst nach seinem illegitimen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000, den er dem Obersten Gerichtshof zu verdanken hatte, setzte Bush seine rechte, unternehmensfreundliche Agenda rigoros durch. Die führenden Konzernvertreter*innen haben bereits einen neuen Wunschzettel vorgelegt.
Sie wollen erweiterte, dauerhafte Steuersenkungen für Großkonzerne und Superreiche. Sie drängen auf Bundes-Subventionen für die Terrorismusversicherung von Unternehmen. Die Ölgesellschaften drängen auf Bohrungen im Naturschutzgebiet von Alaska und auf eine allgemeine Lockerung des Umweltschutzes.
Die Unternehmen wollen das Recht von Arbeiter*innen und Verbraucher*innen einschränken, Unternehmen wegen Misswirtschaft, Umweltverschmutzung und Verstößen gegen Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften zu verklagen. Derzeit gibt es über 51 offene Stellen in der Bundesgerichtsbarkeit: Wenn Bush diese nun mit rechten Richter*innen mit lebenslanger Amtszeit besetzt, wird dies weitreichende, negative Auswirkungen auf die Frauenrechte, die demokratischen Rechte und eine ganze Reihe von sozialen Fragen haben.
Aber es gibt ein großes Fragezeichen darüber, wie weit Bush gehen kann. „Führende Unternehmensvertreter und ihre Gegner in Washington sind sich einig, dass wenn die Republikaner*innen in ihrem Eifer, eine unternehmensfreundliche Agenda voranzutreiben, zu weit gehen, sie einen starken Protest riskieren“, kommentierte die „New York Times“ (8. November).
Während des Wahlkampfes wurden die Wirtschafts- und Unternehmensskandale vom Kriegsfieber überschattet. Aber es ist die Wirtschaft, an der Bush bei den Präsident*innenschaftswahlen 2004 gemessen werden wird. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass der US-Kapitalismus in eine Periode längerer Stagnation und Krise eingetreten ist, auch wenn der kurzfristige Konjunkturzyklus weitergehen wird. Da Bush die volle Kontrolle über den Kongress hat, wird er niemandem sonst die Schuld geben können.
Die fortgesetzte Talfahrt der Wirtschaft mit steigender Langzeitarbeitslosigkeit und wachsenden Schuldenproblemen wird große Umwälzungen hervorrufen. Die Stadt New York zum Beispiel hat ein Haushaltsdefizit von 5 bis 6 Milliarden Dollar, so dass massive Kürzungen drohen.
Jüngste Arbeitskämpfe von Transportarbeiter*innen, Feuerwehrleuten und anderen Beschäftigten der Stadt sind eine Ouvertüre zu kommenden Kämpfen in den gesamten USA.
Während des Wahlkampfs nutzte Bush das Taft-Hartley-Gesetz, um den Hafenarbeiter*innen, die alle Häfen an der Westküste dichtgemacht haben, eine 90-tägige „Abkühlungs“periode zu verordnen. Bushs ungewöhnlicher Zwischenwahl-Erfolg wird die Republikaner*innen nicht vor einer wachsenden Welle der Opposition, der Protestbewegungen und der Kämpfe der Arbeiter*innen schützen.
Unmittelbar nach der Niederlage der Demokrat*innen trat ihr Vorsitzender im Repräsentant*innenhaus, Dick Gephardt, zurück. Die Favoritin für seine Nachfolge ist Nancy Pelosi, die eine starke Basis im von den Demokrat*innen dominierten Kalifornien hat.
Sie gab zu, dass die Demokrat*innen es völlig versäumt hätten, sich von den Republikaner*innen zu unterscheiden. Wie der ehemalige Vizepräsident Al Gore fordert sie ein Ende der Anbiederung an Bush. Pelosi wurde von einem möglichen Konkurrenten, Martin Frost aus Texas, kritisiert, der behauptet, das Land sei nach rechts gerückt und die Demokrat*innen sollten diesem Trend folgen.
Frost ist Berichten zufolge „sehr beunruhigt darüber, dass sich die Partei stark nach links bewegt“. Nach einer solch beschämenden Niederlage ist es jedoch wahrscheinlich, dass sich der Pelosi-Trend durchsetzen wird.
In Wirklichkeit ist die „Linke“ der Demokratischen Partei jedoch nur geringfügig liberaler als ihr rechter Flügel. Die Demokrat*innen sind durch und durch eine großkonzernfreundliche Partei, auch wenn sie sich traditionell auf die Unterstützung der Gewerkschaften verlassen, die ihnen Geld und eine treue Wähler*innenschaft bringen.
Aber ihre Bilanz unter Bush, der den gierigsten und aggressivsten Teil der US-Kapitalist*innen repräsentiert, zeigt, dass die Demokrat*innen keine Alternative für die arbeitenden Menschen bieten. Ihre Unterstützung für Sozialreformen und Arbeiter*innenrechte ist bestenfalls halbherzig.
Sie haben keine Lösungen für die wachsende Krise des US-Kapitalismus. Letztlich sind sie an ihre Großkonzern-Herren gebunden, die sie zügeln, wenn sie dem Druck der Arbeiter*innenbewegung oder des populistischen Flügels der Partei zu sehr nachgeben.
Neue Massenpartei
Die Zeit ist längst überfällig für eine Partei, die die arbeitenden Menschen politisch vertritt, die Arbeiter*innen, Frauen, Minderheiten und junge Menschen in Kämpfen zur Verteidigung ihrer Interessen und zur Veränderung der Gesellschaft mobilisiert. Das Potenzial ist vorhanden.
Während die Zahl der registrierten Wähler*innen im Allgemeinen zurückgegangen ist, hat sich die Zahl der Wähler*innen, die sich als Unterstützer*innen einer „dritten Partei“ oder als „Unabhängige“ registrieren lassen, seit den 1960er Jahren verachtfacht. Mehr als ein Drittel der jungen Afroamerikaner*innen, traditionell starke Unterstützer*innen der Demokrat*innen, lassen sich jetzt als „unabhängig“ registrieren.
Die kleine (derzeit schrumpfende) Labor Party, die 1996 mit der Unterstützung einer Handvoll Gewerkschaften gegründet wurde, ist nicht in die Gänge gekommen. Die führenden Gewerkschafter*innen legten ihr Veto gegen Wahlantritte ein, die ein wichtiges Instrument für den Aufbau einer neuen Massenpartei ist.
Ralph Naders Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2000 auf dem Ticket der Grünen Partei zeigte trotz seiner gravierenden politischen Mängel das Potenzial für eine neue linke Partei.
Nader, ein radikaler Populist, erhielt 2,7 Millionen Stimmen und hätte noch mehr bekommen, wenn das Rennen nicht so knapp ausgegangen wäre (was viele Nader-Sympathisant*innen dazu veranlasste, die Demokrat*innen zu wählen, um die Republikaner*innen draußen zu halten). Derzeit gewinnen einige grüne Kandidat*innen an Stimmen (z. B. in Minnesota).
Ein politischer Katalysator ist notwendig, um die Kräfte für eine neue Massenpartei zusammenzubringen – Gewerkschafts- und Community-Aktivist*innen, Leute aus Minderheiten- und Umweltkampagnen, Antikriegsaktivist*innen und breitere Schichten, die das korrupte Monopol des Großkonzern-Duos, der Republikaner*innen und Demokrat*innen, satt haben. Ereignisse der nächsten Jahre werden diese dringende Aufgabe unweigerlich in den Vordergrund der US-Politik rücken.
Kasten: Das große Geld kauft Stimmen
Millionen von Großkonzern-Dollar wurden von beiden großen Parteien für ihren Wahlkampf um Stimmen verwendet. Beide vertreten die Großkonzerne. Die Republikaner*innen verfolgen jedoch eine aggressivere großkonzernfreundliche Politik und haben die Demokrat*innen mit 527,4 Millionen Dollar gegenüber 343,7 Millionen Dollar bei den Ausgaben weit übertroffen.
Bush wurde zugeschrieben, dass er persönlich 141 Millionen Dollar für seine Partei aufgebracht habe. Das Geld wurde gezielt für wichtige knappe Staaten eingesetzt, insbesondere durch intensive Fernsehwerbung. Mehr als 95 % der Wahlen zum Repräsentant*innenhaus und 75 % der Wahlen zum Senat wurden von den Kandidat*innen gewonnen, die am meisten Geld ausgaben, so das Center For Responsive Politics [Zentrum für zugängliche Politik].
Ein Kandidat, der trotz höherer Ausgaben seines Gegners gewann, war Bernie Sanders, ein reformorientierter Sozialdemokrat, der als Unabhängiger für Vermont ins Repräsentant*innenhaus zurückkehrte.
Gleichzeitig gaben sogenannte „besondere Interessengruppen“ wie Pharmaunternehmen und die National Rifle Association Millionen für TV-Kampagnen aus, die zwar nicht offen bestimmte Kandidat*innen unterstützten, sich aber gegen die staatliche Finanzierung von verschreibungspflichtigen Medikamenten und gegen Waffenkontrolle wandten.
Andere Konzerninteressen setzten sich für die Privatisierung der Sozialversicherung, dem staatlichen Rentensystem der USA, ein. Insgesamt wurden in diesem Wahlkampf über 1 Milliarde Dollar für Fernsehwerbung ausgegeben.
Allein im Bundesstaat Oregon (3,3 Millionen Einwohner) gab die Pharmaindustrie 2 Millionen Dollar aus, um eine Wahlinitiative (ein Referendum) zu verhindern, die ein umfassendes staatliches Gesundheitssystem nach kanadischem Vorbild vorsah.
Die Konzerninteressen überboten die Ausgaben für die Gesundheitskampagne um das Fünfzigfache und besiegten sie mit 79 % zu 21 %, obwohl 13 % der Bevölkerung des Bundesstaates nicht krankenversichert sind und viele weitere nur eine sehr unzureichende Krankenversicherung haben.
In diesem Jahr haben die Republikaner*innen und die Demokrat*innen alle Rekorde gebrochen, indem sie über 500 Millionen Dollar an „weichen“ Geldern aufbrachten, d.h. an unregulierter Wahlkampffinanzierung, die Schlupflöcher in früheren Gesetzen ausnutzt, die angeblich den Einfluss von „besonderen Interessengruppen“ auf die Parteien begrenzen sollten.
Ab dem Morgen nach dem Wahltag 2002 sollten Spenden von „weichem Geld“ nach dem neuen, im letzten Jahr verabschiedeten Gesetz, dem so genannten McCain-Feingold-Gesetz, illegal sein. Beide Parteien waren jedoch damit beschäftigt, neue Schlupflöcher zu öffnen.
Sie hatten dabei viel Hilfe von der Federal Election Commission (Bundeswahlkommission, FEC), die von den führenden Politiker*innen im Kongress ernannt wurde und die die Regeln bereits zugunsten von Großkonzern-Spenden uminterpretiert hat. „Die Hauptermöglicherin, die dieses schmutzige Spiel zulässt“, kommentiert die „USA Today“ (7. November), „ist genau die Behörde, die mit der Durchsetzung des Gesetzes beauftragt ist.
Anstatt aggressiv gegen die Umgehung des Gesetzes vorzugehen, hat die Federal Election Commission den Weg geebnet, damit die Millionen der Sonderinteressen weiter fließen.“
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