(eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant Nr. 884, 19. Februar 1988, S. 6)
Eine der berühmtesten „Unpersonen“ der russischen Revolution wurde offiziell wieder in die Geschichte der Sowjetunion aufgenommen.
Von Lynn Walsh
Nikolai Bucharin, prominenter führender Bolschewik und Freund Lenins, war kein Verräter, Spion oder faschistischer Agent. Wie zwanzig andere Angeklagte war er das unschuldige Opfer des dritten Moskauer Schauprozesses, 1938 von Stalin inszeniert, um die Massenvernichtung aller verbliebenen Gegner*innen und potenziellen Rival*innen zu rechtfertigen. (Jagoda, der einundzwanzigste, war selbst ein ehemaliger Hexenjäger.)
Fünfzig Jahre nach diesen politischen Morden hat das Politbüro mit der Ratifizierung der Aufhebung der Urteile durch das Oberste Gericht schließlich die Wahrheit zugegeben.
Der Prozess von 1938, sagten sie im Fernsehen und in der „Prawda“, sei von „groben Verstößen gegen die sowjetische Justiz“, „Fälschungen“ und „mit illegalen Mitteln“ (d. h. Folter) „erzwungenen Geständnissen“ begleitet gewesen,
Posthume Freisprüche machen Hinrichtungen nicht ungeschehen. Nichtsdestotrotz ist die Entlastung engagierter Revolutionär*innen wie Bucharin, Rykow und Rakowski zu begrüßen, und Bucharins Witwe Anna Larina, die selbst zwanzig Jahre im Gulag überlebt hat, hat einen mutigen und hartnäckigen Kampf für diese Rechtfertigung geführt.
Doch wie sehr fürchten sich die Bürokrat*innen davor, die Wahrheit auszugraben! Schon 1957 schlug Chruschtschow Rehabilitierung vor, wurde aber von seinen Mitstreiter*innen, die die Auswirkungen fürchteten, zurückgehalten.
Gorbatschow befürwortet nun das „Auffüllen der weißen Flecken“. Aber auch für Gorbatschow ist die Entflechtung des „monströsen Knäuels von Verbrechen“ (Bucharins Worte) zweischneidig.
Die Freisprechung von Stalins Opfern hilft, die heutige Führung von der brutalen Vergangenheit des Regimes zu distanzieren. Es stärkt den Drang, die übergewichtige Bürokratie aufzurütteln und den Apparat zu erneuern. Aber wie lange können die gewalttätigen „Exzesse“ von dem Prozess der politischen Konterrevolution getrennt werden, durch den die Bürokratie die Macht von der Arbeiter*innenklasse an sich gerissen hat?
Das Politbüro hat sich auf den dritten Prozess konzentriert. Der zweite Prozess von 1937, der sich auf die Verurteilung ehemaliger Mitglieder der Linken Opposition stützt, würde viel kniffligere Probleme aufwerfen.
Unbeständiger Kurs
Der besondere Fokus auf Bucharin ist ebenfalls bezeichnend. Im reformistischen Flügel der Bürokratie gibt es seit langem einen Bucharin-Kult. Wie die meisten Kulte beruht er auf einer Idealisierung des Propheten.
Bucharin wird als einer von Stalins herausragenden Gegner*innen hochgehalten, was weit von der Wahrheit entfernt ist. Obwohl Lenin sagte, er sei der „Liebling der ganzen Partei“, war sein Kurs unbeständig.
In den frühen Jahren der Revolution nahm Bucharin eine ultralinke Haltung ein. Nach der Niederlage in Deutschland 1923 und dem erzwungenen Rückzug der „Neuen Ökonomischen Politik“ vollzog er eine Kehrtwende. Enttäuscht vom Proletariat, wandte er sich der Bäuer*innenschaft zu. Bucharin, weit davon entfernt, gegen Stalin zu opponieren, war dessen Marionette. Als Widerspiegelung einer aufstrebende Elite entdeckte Stalin den „Sozialismus in einem Land“, Bucharin lieferte die Theorie: die Entwicklung des Sozialismus im Schneckentempo. Gleichzeitig fungierte er als Mann fürs Grobe und war der scharfzüngigste Gegner der linken Opposition um Trotzki.
Als sich Stalin 1928 gegen die Kulak*innen (reichere Bäuer*innen) und für eine Zwangskollektivierung in Verbindung mit einer autokratischen Industrialisierung aussprach, sträubte sich Bucharin.
Aber er kapitulierte. Grausam gedemütigt, diente er Stalin weiterhin als Propagandist und widersetzte sich ihm nie offen. Diese demütige Unterwürfigkeit rettete ihn nicht.
Jedoch Bucharins wirtschaftliches Denken von 1923-28 ist es, das für die Befürworter*innen der Perestroika von Interesse ist. Er befürwortete eine stärkere Abhängigkeit vom Markt, mit mehr Spielraum für reichere Bäuer*innen und kleine Unternehmen. Es wird auch behauptet, dass er die Demokratisierung befürwortete, was jedoch kaum gerechtfertigt ist.
Im gegenwärtigen Kampf innerhalb der Bürokratie ist die Rehabilitierung Bucharins als „bolschewistische“ Legitimation für Perestroika und Glasnost gedacht. Er symbolisiert eine alternative politische Linie für die Führung, ohne die Wurzeln der Bürokratie in Frage zu stellen. Es ist die Illusion eines Mittelwegs – zwischen Stalin und Trotzki.
Obwohl ein Ausschuss des Politbüros darüber nachdenkt, ist die Führung sehr zögerlich bezüglich der politischen und nicht rein juristischen Rehabilitierung Bucharins. Das Problem ist: Wo wird es enden? Wenn Bucharin, warum nicht Trotzki?
Es gibt Forderungen von oben, Trotzkis Rolle bei der Führung des Petrograder Sowjets und der Führung der Roten Armee anzuerkennen. Doch in seiner Rede zum 70. Jahrestag [der Oktoberrevolution] prangerte Gorbatschow das „antisozialistische Wesen“ Trotzkis an. Trotz der Verbrechen Stalins habe „der führende Kern der Partei mit Josef Stalin an der Spitze den Leninismus in einem ideologischen Kampf bewahrt.“
Ohne Schwanken
Im Kontrast zu Bucharin führte Trotzki von 1923 bis zu seiner Ermordung 1940 ohne Schwanken einen Kampf gegen den Stalinismus. Er entlarvt den wahren Charakter der privilegierten Kaste, die die Macht ergriffen hat.
Vor allem vertrat Trotzki ein Programm für den Sturz der Bürokratie und die Wiederherstellung der Arbeiter*innendemokratie. Es bleibt heute so gültig, wie es unter Stalin.
Gorbatschow wird vielleicht eine teilweise Anerkennung von Trotzkis Rolle zulassen müssen. Aber die Rehabilitierung seiner revolutionären Persönlichkeit und seiner Ideen ist eine Aufgabe für die Arbeiter*innenklasse.
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