Lynn Walsh: Die Zersplitterung des Irak?

[eigene Übersetzung des Artikels, veröffentlicht in Socialism Today, Nr. 94, September 2005]

Nach der zusammengestoppelten Verfassung …

Die Zersplitterung des Irak?

Das Leben unter der amerikanisch-britischen Militärbesatzung ist für die meisten Irakis eine lebende Hölle. Trotz der Entsendung von über 100.000 Soldat*innen und Ausgaben von über 300 Milliarden Dollar ist es dem US-Imperialismus nicht gelungen, den Aufstand niederzuschlagen oder die lebenswichtigen Dienstleistungen für das Volk wiederherzustellen. Angesichts der steigenden Flut von Kriegsablehnung im eigenen Land sucht das Bush-Regime verzweifelt nach einer Ausstiegsstrategie. Es hat auf die baldige Verabschiedung einer Verfassung gedrängt, die das Abgleiten in einen Bürger*innenkrieg und den Zerfall des Landes wahrscheinlich noch beschleunigen wird. Lynn Walsh schreibt.

Die Invasion durch die Streitkräfte des US-Imperialismus, Großbritanniens und anderer Mächte hat den Irak in eine lebende Hölle verwandelt. Die Diktatur Saddam Husseins war schlimm genug. Die Gegner*innen seines Regimes erlitten brutale Unterdrückung. Saddam stürzte das Land in einen achtjährigen Krieg mit dem Iran. Kurd*innen wurden mit Giftgas angegriffen, und der Schiit*innenaufstand von 1991 wurde brutal unterdrückt. Aber der Sturz Saddams war eine Aufgabe für das irakische Volk. Die militärische Besetzung durch das Bush-Regime, unterstützt von der Blair-Regierung, hat eine weitaus barbarischere Lage geschaffen.

Das Ausmaß der zivilen Opfer ist entsetzlich. Im Juli wurden über 1.000 Leichen in die Leichenhalle von Bagdad gebracht, was ihn zum „blutigsten Monat in der modernen Geschichte Bagdads“ machte. (Robert Fisk, „Independent“, 18. August)

In ihrem jüngsten Bericht schätzt die Organisation Iraq Body Count (19. Juli), dass zwischen 2003 und 2005 24.865 nicht kämpfende Zivilist*innen getötet wurden, die Hälfte davon Frauen und Kinder. Fast 40% wurden von den US-geführten Streitkräften getötet, die anderen durch kriminelle Gewalt und Aufständische. Die medizinische Fachzeitschrift The Lancet (28. Juli 2005) bezeichnet dies jedoch als „absolutes Minimum … die Zahl ist notwendigerweise eine Unterschätzung“. Letztes Jahr veröffentlichte The Lancet eine Studie, die besagte, „dass die Zahl der Todesopfer im Zusammenhang mit der Invasion und der Besetzung des Iraks höchstwahrscheinlich bei etwa 100.000 Menschen liegt, vielleicht sogar viel höher“. („The Guardian“, 28. Oktober 2005) Eine riesige Zahl von Menschen hat Verletzungen erlitten, und viele werden für ihr Leben verstümmelt sein. Selbst jetzt machen die US-amerikanisch-britischen Militärbehörden keine Anstalten, über die Toten und Verwundeten Buch zu führen. Ganze Stadtteile, wie in Falludscha, sind durch die US-Angriffstaktik in Schutt und Asche gelegt worden.

Über 15.000 Gefangene sind in Abu Ghraib und zwei weiteren Gefängnissen inhaftiert, ein viertes wird gerade gebaut. Trotz der Präsenz von 138.000 US-geführten Koalitionstruppen gibt es keine „Sicherheit“. Gewaltverbrechen und Plünderungen, Entführungen und Vergewaltigungen grassieren.

Es gibt eine wachsende Zahl von Vorfällen, bei denen die neuen Sicherheitskräfte des Iraks aggressive Methoden gegen Zivilist*innen verwenden, Verdächtige zusammentreiben und sie in der Haft misshandeln. Kürzlich traten mehr als 20 Ärzt*innen im Bagdader Yarmouk-Krankenhaus in den Streik, um gegen die Misshandlung von Patient*innen und Ärzt*innen durch irakische Soldat*innen zu protestieren. („Al Jazeera“, 19. Juli)

Die irakische Schriftstellerin Haifa Zangana, die unter Saddam inhaftiert war, fasst die Lage zusammen: „Trotz aller Rhetorik vom ,Aufbau einer neuen Demokratie‘ leiden die Irakis unter der Last und der Misshandlung durch die US-geführte Besatzung und ihre lokalen irakischen Subunternehmer. Das tägliche Leben für Irakis ist immer noch ein Kampf ums Überleben. Die Menschenrechte unter der Besatzung haben sich ebenso wie die Massenvernichtungswaffen als Trugbild erwiesen … In einem Land, das im Öl schwimmt, sind 16 Millionen Irakis zum Überleben von monatliche Lebensmittelrationen abhängig. Seit Mai haben sie keine mehr erhalten. Akute Unterernährung bei Kindern hat sich verdoppelt. Die Arbeitslosigkeit, bei 70%, hat Armut, Prostitution, Abtreibungen auf der Straße und Ehrenmorde begünstigt. Korruption und Vetternwirtschaft sind in der Übergangsregierung weit verbreitet“. (Chewing on meaningless words [Kauen auf bedeutungslosen Worten], „Guardian“, 17. August)

Die USA behaupten, dass 9 Milliarden Dollar irakischer Ölgelder für den „Wiederaufbau“ ausgegeben wurden, aber ein großer Teil davon wurde in die Sicherheit umgeleitet, ohne wirkliche Ergebnisse in Bezug auf grundlegende Dienstleistungen. Der Schwerpunkt lag auf Megaprojekten, die den Auftragnehmer*innen viel Geld einbrachten, und auf der Erzwingung von Privatisierung. Es gibt überall Korruption, sowohl bei den amerikanischen Auftragnehmer*innen als auch bei den irakischen Politiker*innen und Mittelsleuten.

Die Ölproduktion liegt immer noch unter dem Vorkriegsniveau und ist in diesem Jahr aufgrund von Sabotage zurückgegangen. Der Irak kann nicht genug raffinierten Kraftstoff produzieren, um die wachsende Zahl von Fahrzeugen zu versorgen, und die Warteschlangen ziehen sich über Meilen hin. In den meisten Gebieten gibt es nur wenige Stunden Strom am Tag, ohne Strom für Ventilatoren oder Klimaanlagen, bei Sommertemperaturen von 120 Grad Fahrenheit [etwa 50° Celsius].

Auf die Frage nach seiner Meinung über die Verfassung antwortete ein Iraki: „Von welcher Verfassung reden Sie? Wir haben die Schnauze voll von diesem Ding! Wir würden es vorziehen, zuerst unsere Probleme wie Strom, Wasser und Sicherheit zu lösen. Wie können sie sich versammeln, um die Verfassung zu verabschieden, während Irakis abgeschlachtet werden?“ („New York Times“ vom 26. August)

Militärische Sackgasse

Mit dem Einmarsch in den Irak nach der Schockmethode wollte Bush die unanfechtbare Macht des US-Imperialismus demonstrieren. Stattdessen hat dieses militärische Abenteuer die Grenzen der US-Macht entlarvt und das Prestige der USA und ihre Fähigkeit, auf der ganzen Welt zu intervenieren, untergraben. Die USA stecken in einem nicht zu gewinnenden Krieg fest, der in vielerlei Hinsicht schlimmer ist als der Vietnamkrieg.

Im Juni behauptete Vizepräsident Cheney, der Aufstand befinde sich in seinem „Todeskampf“. Gleichzeitig gab der Befehlshaber der USA im Nahen Osten, General Abizaid, zu, dass der Aufstand „insgesamt etwa gleich stark“ sei. („New York Times“, 24. Juni) In Wirklichkeit ist der Aufstand stärker als je zuvor. Zwischen August 2004 und Mai 2005 starben monatlich mehr als 800 irakische Zivilist*innen und Polizist*innen, und es gab über 2.000 Verletzte pro Monat.

„Seit die Regierung von Ministerpräsident Ibrahim al-Jaafari nach den Wahlen vom 30. Januar die Macht übernommen hat, ist klar, dass der Aufstand einen immer höheren Tribut fordert und irakische Zivilisten und Sicherheitskräfte immer schneller getötet werden. ( „New York Times“, 14. Juli)

In Wirklichkeit haben die USA die Hoffnung aufgegeben, den Aufstand mit US-Streitkräften militärisch zu besiegen, und setzen nun auf die Irakisierung – die Ausbildung und Ausrüstung irakischer Sicherheitskräfte, um den Kampf zu übernehmen. „Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, denn am Ende dieses kommenden Sommers können wir die derzeitige Präsenz nicht mehr aufrechterhalten“, sagte General a.D. Barry McCaffrey, der den Irak im Juni besuchte: „Die Sache ist die, dass die Räder abfallen“.

Der US-Imperialismus hat die Grenzen seiner militärischen Ressourcen im Hinblick auf die Bodentruppen erreicht, die für die Aufrechterhaltung einer Besatzung entscheidend sind. Trotz der Senkung der Rekrutierungsstandards verfehlen die Armee und die Marineinfanterie ihre Rekrutierungsziele, die in manchen Monaten um 40% unterschritten werden. Die Rekrutierer*innen stoßen in den High Schools auf immer mehr Widerstand, und ihre Moral sinkt. „Nach Angaben der Armee haben sich seit Oktober 2002 etwa 30 Rekrutierer unerlaubt von der Truppe entfernt“. (Michael Bronner, The recruiters‘ war [Der Krieg der Rekrutierer], Vanity Fair, September 2005)

Bis zu 35% der US-Streitkräfte im Irak sind von der Reserve und der Nationalgarde. Da sich jedoch immer mehr dieser Truppen der zweijährigen Höchstgrenze für die Einberufung nähern, geht der Vorrat an diesen Kräften zur Neige. „Bis zum nächsten Herbst werden wir unsere Fähigkeit, Brigaden der Nationalgarde als eine unserer Hauptstreitkräfte einzusetzen, ausgeschöpft haben“, kommentierte General McCaffrey. „Wir haben den Boden des Fasses erreicht“. („New York Times“, 11. Juli 2005) Der Chef der Armeereserve, Generalleutnant James Helmy, hat wiederholt davor gewarnt, dass die Reserve „schnell zu einer zerbrochenen Truppe degeneriert“.

Durch die Interventionen in Afghanistan und im Irak sind die US-Streitkräfte bis zu den äußersten Grenzen belastet worden. Selbst Rumsfeld erkennt die politische Unmöglichkeit einer Rückkehr zur Wehrpflicht nach den Erfahrungen des Vietnamkriegs, als Demoralisierung und Unzufriedenheit der eingezogenen Truppen einen großen Anteil am Zerfall der US-Streitkräfte hatten. „Es gibt nicht die geringste Chance, dass die Wehrpflicht wieder eingeführt wird“, sagte Rumsfeld vor dem Kongress. („New York Times“, 24. Juni) Eine AP-Ipsos-Umfrage ergab, dass sieben von zehn Amerikaner*innen jede Rückkehr zur Wehrpflicht ablehnen, wobei die Opposition besonders stark bei jüngeren Menschen und Frauen ist. („New York Times“, 24. Juni)

Während Bush in der Öffentlichkeit weiterhin die Trommel für den „Krieg gegen den Terrorismus“ rührt, war sein Regime gezwungen, diesen leeren Propagandaslogan, der sich als Strategie tarnt, aufzugeben. Im Juli begann die Bush-Regierung, den „Krieg gegen den Terror“ zugunsten des „globalen Kampfes gegen gewalttätigen Extremismus“ (GSAVE) herunterzuspielen. (UPI 26. Juli)

Unglaublicherweise verkündete General Meyers, Chef des Generalstabs, angesichts der Bedeutung der Krieg-gegen-den-Terrorismus-Strategie (1. August), dass er sich „schon früher gegen die Verwendung des Begriffs ‚Krieg gegen den Terrorismus‘ gewehrt hat, denn wenn man es einen Krieg nennt, denkt man, dass Menschen in Uniform die Lösung sind“.

Was ist das, wenn nicht ein Eingeständnis, dass das US-Militär nicht gewinnen kann? Ein anderer US-General, Chiarelli, warnt in einem Artikel in der Military Review, dass die USA im Irak nicht erfolgreich sein können, wenn sie nicht ein „breites Spektrum“ an Maßnahmen ergreifen, das den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Wiederaufbau umfasst. „Eine Waffe an jeder Straßenecke ist zwar optisch ansprechend, bietet aber nur eine kurzfristige Lösung“, schreibt er. Sie „ist nicht gleichbedeutend mit langfristiger Sicherheit, die auf einem demokratischen Prozess beruht“.

„Die kulturelle Wirklichkeit ist, dass unabhängig vom Ergebnis eines Kampfeinsatzes für jeden Aufständischen, der niedergeschlagen wird, das Potenzial besteht, viele weitere heranzuziehen, wenn keine kulturelle Entschärfung praktiziert wird“. („New York Times“, 22. August)

Doch für den US-Imperialismus ist es zu spät, um eine wirkliche Kontrolle im Irak wiederzuerlangen. „Die nackte Wirklichkeit“, kommentieren Samuel Berger und Brent Scowcroft, Veteranen des US-Außenpolitik-Establishments, die Bush vor einer Invasion im Irak warnten, ‚ist, dass die USA nicht die richtigen strukturellen Kapazitäten haben, um Nationen zu stabilisieren und wiederaufzubauen“. („Washington Post“, 27. Juli)

Was ist der Charakter des Aufstandes?

Der Aufstand im Irak ist in Wirklichkeit ein überwiegend sunnitischer Aufstand, der hauptsächlich im so genannten „sunnitischen Dreieck“ und in Bagdad operiert. Während er seine Unterstützung aus dem überwältigenden Hass auf die ausländische Besatzung bezieht, scheinen seine aktiven Kräfte hauptsächlich ex-baathistische Mitglieder aus Saddams ehemaligem Staatsapparat und rechte sunnitische Islamist*innen zu sein. Am bekanntesten ist die Tawhid al-Jihad, die kürzlich in Al-Qaida im Irak umbenannt wurde und von dem Jordanier al-Zarqawi angeführt wird. Obwohl es eine Zunahme ausländischer „Dschihadist*innen“ gegeben zu haben scheint, kommen die meisten islamistischen Aufständischen aus dem Land selbst. In den letzten Monaten scheinen die Islamist*innen ein stärkeres Element innerhalb des sunnitischen Aufstands geworden zu sein.

Dies ist nicht eine nationale Befreiungsbewegung nach dem Modell der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt in den 1960er und 1970er Jahren, wie in Algerien, Vietnam, Angola und anderen Ländern. Wir verteidigen vorbehaltlos das Recht des irakischen Volkes, gegen die imperialistische Besatzung zu den Waffen zu greifen. Aber wir sollten uns keine Illusionen über den Charakter und die Ziele des sunnitischen Widerstands machen. Der Aufstand bekämpft den US-Imperialismus, aber das allein gibt ihm noch keine fortschrittlichen Ziele.

In Vietnam zum Beispiel führte die Nationale Befreiungsfront einen langen und brutalen Guerillakrieg gegen den US-Imperialismus und seine Quisling-Regierungen in Südvietnam. Als Nebenprodukt des Guerillakrieges kam es zu zahlreichen Angriffen, Bombenanschlägen, Attentaten usw., die den Tod von nicht kämpfenden Zivilist*innen zur Folge hatten. Einige der Methoden der NLF, die mit dem stalinistischen Regime in Nordvietnam verbunden war, wären nicht die von der Arbeiter*innenklasse gewählten Taktiken gewesen. Aber solche in einem Guerillakrieg unvermeidlichen „Exzesse“ wurden durch den Kampf für nationale Befreiung und fortschrittlichen sozialen Wandel aufgewogen – der die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Vietnames*innen hatte. Die NLF stand für die Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam und die Abschaffung von Großgrundbesitz und Kapitalismus mit der Ausdehnung der Planwirtschaft auf den Süden.

Im Kontrast dazu steht der baathistisch-islamistische Aufstand im Irak nicht für fortschrittliche soziale Ziele. Die beiden Hauptelemente in ihm kämpfen entweder für die Wiederherstellung der baathistischen Macht oder für die Errichtung eines sunnitisch-islamischen Staates, nicht für die nationale Befreiung des irakischen Volkes. Selbst wenn es ihnen gelänge, in einer losen Föderation die Kontrolle über die zentralen Provinzen zu erlangen, würden sie wieder eine Diktatur errichten, was die fortgesetzte Unterdrückung der schiitischen Bevölkerung und der Minderheiten bedeuten würde. Sie sind weder gegen Großgrundbesitzer*innen und Kapitalist*innen noch gegen Stammesführer aufgetreten und haben nicht einmal ein Programm gegen die umfassenden, von den USA unterstützten Privatisierungen vorgelegt, die jetzt stattfinden.

Da die Sunnit*innen eine Minderheit der Bevölkerung bilden (etwa 20%) und in Bagdad in der Minderheit sind, können die Aufständischen nicht darauf hoffen, die beherrschende Stellung im Land zurückzuerobern, die sie unter Saddam genossen. Ihr Ziel ist es, das von den USA unterstützte Besatzungsregime unwirksam zu machen und die Bildung eines schiitisch/kurdisch dominierten Staates zu verhindern, in dem die Sunnit*innen eine marginalisierte Minderheit sein würden. Besonders die Islamist*innen sind durch das Ziel motiviert, die Bildung eines schiitisch dominierten Staates zu verhindern, da sie darin eine Stärkung des regionalen Einflusses des iranischen (schiitischen) Staates sehen.

Das Fehlen positiver Ziele spiegelt sich in ihrer nihilistischen Taktik wider, insbesondere im Einsatz von Selbstmordattentäter*innen und wahllosen Autobombenanschlägen, die ein horrendes Opfer unter der Zivilbevölkerung fordern. In der ersten Periode der Besatzung richteten die sunnitischen Kräfte ihr Feuer hauptsächlich gegen die US- und andere Besatzungstruppen. Als die USA jedoch eine vorsichtigere, defensivere Taktik anwandten, richteten die Aufständischen ihre Angriffe zunehmend gegen irakische Kollaborateur*innen wie Mitglieder der Irakischen Islamischen Partei und der Sunnitischen Vereinigung Muslimischer Gelehrter, die am Besatzungsregime beteiligt sind. Aber sie haben auch systematisch versucht, Ärzt*innen, Anwält*innen und andere Fachleute zu töten, um einen völligen sozialen Zusammenbruch herbeizuführen. Selbstmordattentäter*innen haben auch potenzielle Rekrut*innen der Polizei und der Armee ins Ziel genommen, die zumeist durch Arbeitslosigkeit und Armut dazu getrieben werden, in den maroden Sicherheitskräften Arbeit zu suchen.

Sunnitische Aufständische haben immer wieder schiitische Ziele, Moscheen, Geistliche, Pilger*innen, Feste und so weiter angegriffen. Das Ziel war klar, einen religiös-sektiererischen Bürger*innenkrieg zu provozieren. Führende schiitische Vertreter*innen haben versucht, Vergeltungsangriffe zu verhindern, da sie befürchten, dass ein totaler religiös-sektiererischer Bürger*innenkrieg ihre Bemühungen durchkreuzen würde, in teilweiser Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht einen verfassungsmäßigen Rahmen für einen schiitisch dominierten Irak zu schaffen, in dem sie ihre Macht konsolidieren können.

Eine wachsende Anzahl von Vergeltungsangriffen findet jedoch statt. „Die von den Selbstmordattentätern getöteten Armee- und Polizeirekruten sind meist Schiiten“, schreibt Patrick Cockburn. „Es gibt auch fast täglich Massakern an Schiiten aus der Arbeiterklasse. Jetzt haben die Schiiten begonnen, zurückzuschlagen. Die Leichen von Sunniten werden auf Mülldeponien in Bagdad gefunden. ,Mir wurde in Nadschaf von einem führenden Vertreter gesagt, dass sie mehr als tausend Sunniten getötet haben‘, sagte ein irakischer Beamter. Oft gehören die Mörder zumindest nominell zu den paramilitärischen Kräften der Regierung, einschließlich der Polizeikommandos. Diese Kommandos scheinen unter der Kontrolle bestimmter Schiiten zu operieren, die möglicherweise Mitglieder der Badr-Brigade sind, dem militärischen Arm des Obersten Rates der Islamischen Revolution im Irak (SCIRI), der mit bis zu siebzigtausend Mitgliedern die größte Miliz des Landes ist“. (Looking for someone to kill [Auf der Suche nach jemand zum Töten], „London Review of Books“, 4. August 2005)

„Seit die schiitischen Parteien im April die Regierung übernommen haben“, berichtet die „New York Times“, „hat die Zahl der Morde an Sunniten zugenommen, vor allem in gemischten Vierteln von Bagdad wie Ur. Fünfzig oder mehr Familien sind in Gebiete umgezogen, in denen Sunniten vorherrschen“ – ein eskalierender Prozess von ‚ethnischer Säuberung‘. (Killing of Sunnnis, One by One [Tötung von Sunniten, einen nach dem anderen], „New York Times“, 5. Juli)

Der durch und durch reaktionäre Charakter der sunnitisch-islamistischen Aufständischen zeigt sich in Städten wie Haditha (90.000 Einwohner*innen) im sunnitischen Dreieck (140 Meilen nordwestlich von Bagdad), das sie trotz gelegentlicher Einfälle durch US-Truppen kontrollieren. Ein Bericht von Omer Mahdi („Guardian“, 22. August) enthüllt, dass die Stadt vollständig von einer Koalition aus Ansar al-Sunna und al-Qaida im Irak kontrolliert wird, die sie wie einen „Taliban-ähnlichen Miniatur-Staat“ führen.

Alkohol und Musik sind verboten, und das Verhalten der Frauen wird streng überwacht. Auf dem städtischen Platz wird „Justiz“ im Schnellverfahren mit öffentliche Auspeitschungen, Verstümmelungen und Enthauptungen vorgenommen. Andere Städte in der Region, wie Qaim, Rawa Anna und Ramadi, scheinen auf die gleiche Weise regiert zu werden.

Dieser Bericht zeichnet ein erschreckendes Bild davon, wie ein sunnitisches aufständisches Regime im sunnitischen Dreieck aussehen könnte, wobei die reale Möglichkeit besteht, dass sich ein solches talibanähnliches regionales Regime innerhalb einer losen irakischen Föderation entwickelt. Ein Kampf um Territorium und Ressourcen zwischen sunnitischen, kurdischen und schiitischen Regionalstaaten oder Teilstaaten würde die Aussicht auf ethnische Säuberungen wie auf dem Balkan und langwierige sektiererische Konflikte eröffnen.

Die Bestrebungen von führenden schiitischen und kurdischen Vertreter*innen, getrennte Teilstaaten im Norden und Süden zu bilden und die Kontrolle über die wichtigsten Ölressourcen zu übernehmen, könnten kurzfristig die Unterstützung für den sunnitischen Aufstand erhöhen. Doch die führenden Vertreter*innen dieser Rebellion, ob ehemalige Baathist*innen oder rechte Islamist*innen, bieten den Menschen in den mehrheitlich sunnitischen Gebieten keinen wirklichen Weg vorwärts. Die Arbeiter*innen, Kleinhändler*innen, Bäuer*innen und andere ausgebeutete Schichten trugen die Hauptlast von Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg unter Saddam und tragen sie nun unter der imperialistischen Besatzung. Wenn sie in Zukunft einem Regime vom Typ der Taliban oder der Saudis unterworfen würden, würde das bedeuten, eine Form der Hölle gegen eine andere auszutauschen.

Einige führende schiitische Vertreter*innen wie Moktada al-Sadr, dessen Basis in gemischten schiitisch-sunnitischen Gebieten wie Bagdad, dem Süden und sogar in Teilen des „sunnitischen Dreiecks“ liegt, haben versucht, konfessionelle und kommunale Spaltungen zu überwinden, indem sie zu gemeinsamen Demonstrationen von Schiit*innen und Sunnit*innen aufriefen. „Schließlich sind wir ein vereintes Volk, ob wir nun Sunniten oder Schiiten, Kurden oder Araber sind“, erklärte ein prominenter Sadr-Anhänger. („Associated Press“/IHT 20. August) Ein schiitisch-sunnitischer Konflikt in Bagdad beispielsweise könnte einen Konflikt im ganzen Land auslösen, da Schiit*innen in fast allen Regionen leben.

Al-Sadrs islamische Ziele und seine Unterstützung für klerikale Herrschaft schränken jedoch die Fähigkeit seiner Bewegung, breite Schichten von Arbeiter*innen und Unterdrückten anzusprechen, stark ein. Um sich gegen die imperialistische Besatzung zu wehren, ihre Communities zu verteidigen und für Veränderungen im Interesse der arbeitenden Menschen zu kämpfen, braucht die Arbeiter*innenklasse ihre eigene demokratische Organisation. Im Unterschied zu einer Form islamischer Theokratie, in der Großgrundbesitzer*innen, Kapitalist*innen und Stammesführer*innen die Gesellschaft beherrschen würden, müssen die Arbeiter*innenorganisationen für eine sozialistische Wirtschaft und eine demokratisch-sozialistische Lösung der komplexen nationalen Probleme des Iraks kämpfen.

Bushs bestdurchdachte Pläne …

Der „Plan“ des Bush-Regimes für den Irak hatte zwei Hauptpunkte: die „Irakisierung“, d.h. die Übergabe der Sicherheit an die irakischen Streitkräfte, die neue nationale Armee, die Polizei und die Sicherheitsdienste, und die Schaffung eines neuen politischen Rahmens, legalisiert durch eine neue Verfassung und legitimiert durch ein Referendum, der einen neuen „demokratischen“ Irak schafft. Auf dieser Grundlage hofften die USA, einen stabilen, US-freundlichen Staat zu errichten und rasch mit dem Abzug der US-Truppen zu beginnen, möglicherweise im Frühjahr 2006. Doch die Dinge haben sich nicht so entwickelt, wie sie es beabsichtigten.

Von März 2003 bis Mai dieses Jahres kontrollierten die USA das Besatzungsregime direkt. Sie herrschten durch ihre Prokonsuln Jay Gardener und Paul Bremer und dann – nach der Pseudo-Übergabe der „Souveränität“ – durch die Allawi-Regierung, die sich aus reichen Exilant*innen wie Chalabi und Allawi selbst zusammensetzte und seit langem vom Pentagon und der CIA unterstützt wurde. Nach den Wahlen im Januar war es den USA jedoch nicht mehr möglich, der Regierung Jafaari jeden Aspekt ihrer Politik zu diktieren, trotz der bewaffneten „Autorität“ der imperialistischen Streitkräfte und einer 1.200 Mann starken US-Bürokratie für Diplomatie und Geheimdienst, die in der „grünen Zone“ operiert. Die Jafaari-Regierung kollaboriert zweifellos mit den USA, aber sie ist auch einem immensen Druck seitens der von ihr vertretenen Kräfte ausgesetzt.

Sie stützt sich auf ein Zweckbündnis zwischen politischen Kräften, die vor Ort starken Rückhalt haben, einschließlich mächtiger Milizen. Aufgrund der hohen Wahlbeteiligung bei den Wahlen im Januar gewannen die führenden kurdisch-nationalistischen Vertreter*innen der KDP (Demokratische Partei Kurdistans) und der DUK (Demokratische Union Kurdistans) 26% der Stimmen und 75 Sitze (von 275). Die schiitische Liste, die vom Großajahatollah Ali al-Sistani unterstützt wird, erschien mit 48% der Stimmen und 140 Sitzen als größter Block. Sie umfasst verschiedene schiitische Parteien und säkulare schiitische Gruppen wie die von Ahmed Chalabi, wird jedoch vom Obersten Rat für die Islamische Revolution im Irak (SCIRI) unter der Führung von Aziz al-Hakim und der Dawa (,Ruf‘) des irakischen Ministerpräsidenten Ibrahim Jaafari dominiert. Bush versucht, den Krieg im Irak als einen Kampf zwischen dem demokratieliebenden irakischen Volk und den bösen Kräften des Terrorismus darzustellen. In Wirklichkeit wäre die Besatzung ohne die Zusammenarbeit der USA mit den schiitischen und kurdischen Parteien, die in ihren jeweiligen Regionen eine De-facto-Herrschaft errichtet haben und immer offener ihre eigenen Ziele verfolgen, die mit dem US-Imperialismus in Konflikt geraten werden, bereits völlig unhaltbar geworden.

Kurdistan

Kurdistan hat bereits ein hohes Maß an Autonomie. Nach dem ersten Golfkrieg (1990-91) gewährte der westliche Imperialismus der kurdischen Region militärischen Schutz (die „Flugverbotszone“) als Teil seiner Strategie, das Saddam-Regime zu strangulieren. Die führenden kurdischen Nationalist*innen kollaborierten während der Invasion mit dem US-Imperialismus, und die Peschmerga-Milizen unterstützten aktiv die US-Truppen gegen die Madhi-Armee und die sunnitischen Aufständischen – „wodurch sie ein reiches Reservoir für künftige Rachefeldzüge aufbauten“, wie die „Financial Times“ (8. August) schrieb. Für die führenden kurdischen Vertreter*innen besteht die Gegenleistung in einer effektiven Autonomie innerhalb einer losen irakischen Konföderation.

Im Juni wurde die kurdische Nationalversammlung einberufen und der führenden KDP-Vertreter Masood Barzan zum Präsidenten Kurdistans gewählt. Die Regierung hat mindestens 50.000 Peschmergas in Kurdistan unter ihrer Kontrolle, weitere Kontingente bilden landesweit Einheiten der irakischen Armee. Obendrein gibt es eine Massenunterstützung für die Unabhängigkeit. Zwei Millionen Kurd*innen stimmten bei einem Referendum im Januar ab, wobei 98% die Unabhängigkeit befürworteten

Das Hauptziel der führenden kurdischen Vertreter*innen bei den Verhandlungen über die Verfassung bestand darin, eine möglichst weite Auslegung des „Föderalismus“ zu bewahren, der durch das von den USA auferlegte Übergangsverwaltungsgesetz (TAL) vorgeschrieben ist. Im gleichen Maße sind sie froh, dass der schiitische Süden ein hohes Maß an Autonomie erhält. Da die kurdische Gesellschaft, die historisch gesehen sunnitisch ist, mehrheitlich säkular ist, wollen sie keine Verfassung, die einen islamischen Staat vorschreibt. Sie könnten aber durchaus damit rechnen, dass sie mit einer lockeren Formulierung in der Verfassung leben können, die es ihnen ermöglicht, den säkularen Traditionen der Region zu folgen.

Die führenden kurdischen Vertreter*innen sind jedoch entschlossen, ihre autonome Region zu konsolidieren und zu erweitern. Ein Hauptziel ist es, die Kontrolle über Kirkuk und das wichtigste Ölfeld des Nordens zu übernehmen. Sie behaupten, dass die Stadt historisch gesehen „eine kurdische Stadt“ sei, und fordern, dass Kirkuk die Hauptstadt der kurdischen Region sein soll. Dies wird jedoch von den Turkmen*innen, Araber*innen, Assyrer*innen und Chaldäer*innen, die ebenfalls dort leben, entschieden abgelehnt. Offiziell wurde der Status von Kirkuk auf einen späteren Zeitpunkt verschoben und war nicht Teil der laufenden Verfassungsverhandlungen.

Zu Beginn dieses Jahres kam es in Kirkuk zu Demonstrationen von Turkmen*innen und Araber*innen gegen die Übernahme der Stadtverwaltung durch die kurdisch dominierte Kirkuk-Bruderschaftsliste. Der Konflikt zwischen den Araber*innen, die im Rahmen von Saddams „Arabisierungs“-Programm in die Stadt gebracht wurden, und den vertriebenen Kurd*innen, die ihr Eigentum zurückhaben wollen, ist ebenso brisant wie die Aufteilung der Ölreserven zwischen Kirkuk und der kurdischen Region. „Wir ermutigen unsere Leute, ihre Rechte friedlich einzufordern“, sagt Ali Mehdi, ein örtlicher führenden turkmenischer Vertreter. Aber wenn die Gespräche mit den Kurd*innen scheitern, „wird das der Beginn eines Bürgerkriegs sein“. („International Herald Tribune“, 12. August)

Obendrein hat der türkische Staat wiederholt gewarnt, dass er militärisch eingreifen werde, wenn die Kurd*innen Kirkuk einnehmen. Es besteht leider die schreckliche Möglichkeit, dass Kirkuk das „Sarajewo“ des Irak wird.

Die schiitischen Kräfte

Auf der schiitischen Seite sind SCIRI und Dawa die stärksten schiitischen Parteien und dominieren den Süden. Beide haben gut bewaffnete Milizen, und das Badr-Korps des SCIRI dominiert die irakische Armee im Süden. Beide stehen für eine Form des islamischen Staates und suchen, das irakische Zivilrecht durch religiöses Recht zu ersetzen, das von geistlichen Gerichten ausgeübt wird, was sich insbesondere auf den Status der Frauen auswirken würde (Heirat, Scheidung, Sorgerecht für Kinder, Eigentumsrechte, Zugang zu Bildung, Beschäftigung usw.).

In der Tat haben die schiitischen religiösen Parteien bereits die Kontrolle über die südlichen Städte übernommen und einen konservativen religiösen Kodex für Kleidung, Alkohol, Bärte usw. durchgesetzt. Die religiösen Autoritäten legen das Gesetz fest, das von der Religionspolizei im iranischem Stil durchgesetzt wird.

Anfang August sprach sich Al-Hakim für eine lose föderale Struktur aus, die einen autonomen Bundesstaat im Süden ermöglichen würde. Dieser Vorschlag hatte zweifellos die Unterstützung von Al-Sistani. Obwohl die Schiit*innen rund 60% der Bevölkerung ausmachen, erkennen die führenden Vertreter*innen des SCIRI und der Dawa an, dass sie einen zentralisierten irakischen Staat nicht beherrschen und dem gesamten Irak nicht die Art von islamischem Regime aufzwingen können, die sie bevorzugen. Angesichts der Tatsache, dass die Kurd*innen auf Autonomie bestehen (und derzeit US-Unterstützung in dieser Frage haben), haben die führenden schiitischen Vertreter*innen zweifellos gefolgert, dass sie Autonomie für sich selbst im Süden fordern sollten. Dies würde die führenden sunnitischen Vertreter*innen auf eine relativ schwache zentrale Region beschränken. Gleichzeitig hätte dies den enormen Vorteil, den südlichen Schiit*innen die entscheidende Kontrolle über die Ölfelder von Basra zu geben, die etwa 80% der irakischen Reserven ausmachen.

Die Dawa und insbesondere der SCIRI erhoffen sich Unterstützung vom Iran. Al-Sistani ist in der Tat ein Iraner. Der SCIRI hat den Iran im iranisch-irakischen Krieg unterstützt. Aziz al-Hakim befürwortet irakische Reparationen an den Iran für den iranisch-irakischen Krieg (1980-88). Der neue irakische Ölminister hat den Bau einer Pipeline von Basra zum iranischen Hafen von Abadan vorgeschlagen. Im Juli unterzeichnete der irakische Verteidigungsminister mit seinem iranischen Amtskollegen ein Abkommen über die militärische Unterstützung und Ausbildung des irakischen Militärs durch den Iran. „Niemand“, sagte der irakische Minister und bezog sich damit eindeutig auf die USA, „kann dem Irak seine Beziehungen zu anderen Ländern diktieren“.

Al-Hakims Forderung nach einer lockeren Föderation, die dem Süden Autonomie einräumen würde, wirft die Aussicht auf einen südirakischen Ministaat auf, der faktisch ein Satellit des Iran wäre. Die größte Ironie des Abenteuers des Bush-Regimes im Irak wäre eine Stärkung des regionalen Einflusses des Iran, der von Washington seit der Revolution von 1979, die die Mullahs an die Macht brachte, als Erzfeind der USA betrachtet wird.

Es gibt jedoch noch eine weitere schiitische Kraft, die zunehmend in Konflikt mit der SCIRI-Dawa-Allianz geraten ist. Moktada al-Sadr hat die Zusammenarbeit zwischen SCIRI-Dawa und der Besatzungsbehörde angegriffen und führte die Mahdi-Armee im vergangenen Jahr bei zwei Aufständen gegen die US-Truppen an. Obwohl Sadr im Januar zugestimmt hat, sich dem „politischen Prozess“ anzuschließen (und über ein Kontingent von Abgeordneten in der Nationalversammlung verfügt), haben sich die Spannungen zwischen der Mahdi-Armee und dem Badr-Korps des SCIRI während der Verfassungsverhandlungen verschärft.

Al-Sadr will auch eine islamische Republik, kritisiert jedoch das Bündnis Sistanis und al-Hakims mit dem Iran und lehnt eine lose Föderation ab, die einen autonomen Süden oder sogar einen unabhängigen südlichen Teilstaat ermöglichen würde. Seine Basis befindet sich unter den schiitischen Armen Bagdads (insbesondere im riesigen Sadr-City-Slum) und anderen Städten, auch im Süden (z. B. Basra, Nasiriya, Amara usw.). Sadr hat zu Demonstrationen aufgerufen, die Wasser, Elektrizität und Lebensmittel für die Armen forderten. Es gibt ein starkes irakisch-nationalistisches Element in seinen Forderungen, und anders als al-Hakim und andere hat er zur Einheit zwischen Schiit*innen und Sunnit*innen aufgerufen. Mit einer starken Basis in Bagdad und Umgebung ist Sadr strikt gegen eine lose Föderation, da er befürchtet, dass der Süden den Löwenanteil der Ölressourcen des Landes erhalten würde und Bagdad und die zentralen Provinzen dadurch stark verarmen würden. Die Spannungen rund um die Verfassungsverhandlungen haben zweifellos die gewaltsamen Zusammenstöße zwischen der Mahdi-Armee und dem Badr-Korps des SCIRI angeheizt, die am 24. und 25. August ausbrachen, nachdem die Badr-Miliz versucht hatte, Sadr an der Wiedereröffnung seines Büros in Nadschaf zu hindern. Die darauf folgenden Kämpfe zeigten, dass Sadr in den meisten schiitischen Städten des Landes bewaffnete Unterstützung hat.

Eine Verfassung zusammenstoppeln

Nach den langgezogenen Verhandlungen (Februar-April), die die Jafaari-Regierung hervorbrachten, übte das Bush-Regime intensiven Druck auf die neue Nationalversammlung aus, bis zum 14. August einen Verfassungsentwurf zu erzeugen, über den im Oktober in einem Referendum abgestimmt werden sollte. Dieser völlig willkürliche Zeitplan wurde von Bushs innenpolitischer Agenda mit den Zwischenwahlen zum US-Kongress in etwas mehr als einem Jahr diktiert. Bush muss in der Lage sein, „Fortschritte“ zu verkünden, mit der Andeutung (wenn nicht gar dem Versprechen) einer „Ausstiegsstrategie“ und einer Reduzierung der US-Truppen bis zum nächsten Frühjahr.

In Wirklichkeit aber waren die Chancen, einen Konsens über eine Verfassung zu erreichen, von Anfang an praktisch Null. Auf Beharren der USA wurden zusätzliche, nicht gewählte sunnitische Politiker*innen in die Verhandlungskommission aufgenommen, um eine völlige Spaltung zwischen der schiitisch-kurdischen Mehrheit und der sunnitischen Minderheit zu vermeiden. Die sunnitischen Politiker*innen, die ohnehin nur eine sehr begrenzte politische Basis zu haben scheinen und von den sunnitischen Aufständischen angeprangert werden, hatten jedoch kein Gewicht bei den Verhandlungen. Die eigentlichen Verhandlungen fanden zwischen den Schiit*innen (SCIRI-Dawa) und den führenden kurdischen Vertreter*innen statt, und die sunnitischen Verhandlungsführer*innen wurden praktisch ins Abseits gestellt. Das grundsätzlichere Problem: selbst wenn die Kommission in der Lage gewesen wäre, sich auf einen Verfassungskompromiss (noch vager und widersprüchlicher als der endgültige Entwurf) zu einigen, hätte er den eigentlichen Konflikt zwischen den streitenden Kräften im Irak in keiner Weise gelöst.

Die drei strittigsten Punkte während der ganzen Verhandlungen waren der Islam, die Stellung der Frau und der Föderalismus. Laut Artikel zwei „ist der Islam die offizielle Religion des Staates und die grundlegende Quelle der Gesetzgebung“ und „Es darf kein Gesetz erlassen werden, das den unbestrittenen Regeln des Islam widerspricht“. Ferner heißt es, dass kein Gesetz „den Grundsätzen der Demokratie“ oder „den in dieser Verfassung niedergelegten Rechten und Grundfreiheiten“ widersprechen darf. Sie garantiert die „islamische Identität der Mehrheit des irakischen Volkes“, aber auch „volle religiöse Rechte für alle Menschen und die Freiheit des Glaubens und der religiösen Praktiken (wie für Christen, Jesiden, Sabäer, Mandäer)“.

Säkulare sunnitische und schiitische Parteien, Kurd*innen und insbesondere Frauenorganisationen befürchten, dass diese Bestimmungen in der Praxis bedeuten werden, dass den Frauen islamisches Recht und islamische Sitten aufgezwungen werden. Die Bestimmung, dass 25% der Sitze in der Nationalversammlung für Frauen reserviert werden sollen, ist zwar oberflächlich betrachtet fortschrittlich, trägt aber in Wirklichkeit nicht dazu bei, die demokratischen und bürgerlichen Rechte der Frauen zu schützen. Wenn eine lockere föderale Struktur eingeführt wird, werden die dominierenden religiösen Parteien in der Praxis in der Lage sein, eine islamische Ordnung durchzusetzen. Dies könnte durch die Ernennung einer Mehrheit von islamischen Geistlichen in den neuen Obersten Gerichtshof noch verstärkt werden.

Die Verzweiflung des Bush-Regimes, eine Einigung über den Entwurf zu erzielen, war so groß, dass die US-Diplomat*innen unter der Leitung des US-Botschafters Zalmay Khalilizad intensiven Druck auf die säkularen Parteien ausübten, ihren Widerstand gegen einen islamischen irakischen Staat aufzugeben. Dies widerspricht völlig Bushs Behauptung, die er kürzlich auf seiner Crawford-Ranch wiederholte, die USA seien in den Irak einmarschiert, um die Rechte der Frauen zu fördern.

Einem Bericht zufolge „haben die USA ihren Widerstand gegen einen islamischen irakischen Staat gelockert, um eine Einigung über den Verfassungsentwurf noch vor der für heute Abend angesetzten Frist zu erreichen. Amerikanische Diplomat*innen unterstützten die religiösen Konservativen, die damit gedroht hatten, die Gespräche über die Form des neuen Irak zu torpedieren, wenn der Islam nicht die Haupt-Rechtsquelle sei. Säkulare und liberale Gruppen waren entsetzt über diesen Schritt und brandmarkten ihn als Verrat an Washingtons Versprechen, sich für gleiche Rechte in einer freien und toleranten Gesellschaft einzusetzen.

„Laut kurdischen und sunnitischen Unterhändlern schlug der US-Botschafter Zalmay Khalilzad vor, den Islam als ,primäre Quelle‘ zu bezeichnen, und unterstützte eine Formulierung, die den Geistlichen Autorität in zivilen Angelegenheiten wie Scheidung, Heirat und Erbschaft einräumt… ,Wir verstehen, dass die Amerikaner die Seite der Schiiten bezogen haben. Das ist schockierend“, sagte ein ungenannter kurdischer Unterhändler Reuters. „Sie haben hier so viel Blut und Geld ausgegeben, nur um die Schaffung eines islamistischen Staates zu unterstützen.“ (Rory Carroll & Julian Borger, US relents on Islamic law to reach Iraq deal [Die USA lenken bei islamischem Gesetz ein, um ein Irak-Abkommen zu erreichen], „The Guardian“, 22. August)

Zum Föderalismus bestätigt Kapitel fünf „die Region Kurdistan und ihre bestehende Macht als föderale Region“ und billigt „die neuen Regionen, die eingerichtet werden sollen“. Den Provinzen wird bereitwillig gestattet, sich zu Regionen zusammenzuschließen und ihre eigenen gesetzgebenden Versammlungen einzurichten. Dies ist im Zusammenhang mit den Bestimmungen zum Öl (Artikel 109-110) zu sehen. „Öl und Gas sind Eigentum des gesamten irakischen Volkes in allen Regionen und Provinzen“. Die Bundesregierung wird die Förderung aus den „aktuellen Feldern“ in Zusammenarbeit mit den Provinzregierungen verwalten und die Einnahmen entsprechend der Bevölkerungsverteilung gerecht verteilen. Jedoch wird es für „eine bestimmte Zeit“ zusätzliche „Quoten“ für „Regionen geben, die vom früheren Regime auf ungerechte Weise benachteiligt wurden“ – was sich zweifellos auf den schiitischen Süden und Kurdistan bezieht. Wie auch in anderen Fragen sind die Formulierungen zweideutig und widersprüchlich und lassen viel Spielraum für Interpretationen. Die Bezugnahme auf die derzeitigen Ölquellen wurde so interpretiert, dass die Regionalregierungen die gesamte künftige Ölförderung übernehmen können. In der Praxis wird die Verteilung des Ölreichtums durch das Kräfteverhältnis der Macht zwischen den Regionen bestimmt. Die Auswirkungen für die ressourcenarmen zentralen Provinzen und Bagdad sind jedem klar.

Die Zentralregierung, die „Bundesbehörde“, wird mit der Wahrung der nationalen Einheit des Irak beauftragt und erhält ausschließliche Befugnisse bei der Außenpolitik, internationalen Abkommen und Verteidigung. Gleichzeitig haben die regionalen Behörden „das Recht, die Umsetzung des Bundesrechts in der Region zu ändern“. Erneut wird das Kräfteverhältnis zwischen der Zentralregierung und den Regionalregierungen von der Stärke der konkurrierenden Kräfte abhängen.

In den Verhandlungen erhoben die Sunnit*innen auch Einwände gegen Klauseln, die es ehemaligen Mitgliedern der Baath-Partei verbieten, öffentliche Ämter zu bekleiden. Die endgültige Fassung verbietet nicht mehr die Baath-„Partei“, schließt aber „die saddamistische Baath-Partei und ihre Symbole, gleich unter welchem Namen“ von der Teilnahme am „multilateralen Parteiensystem“ aus. Aus sunnitisch-irakischen nationalistischen Gründen lehnen die sunnitischen Verhandlungsführer*innen den Verweis darauf ab, dass „sein arabisches Volk Teil der arabischen Welt ist“, und fordern die Charakterisierung des Irak als „arabische Nation“. Sie lehnen auch die Anerkennung von Kurdisch als zweiter Amtssprache ab. („Independent“, 27. August)

Gegen Ende der Verhandlungen protestierten führende sunnitische Politiker*innen, dass sie an der Nase herumgeführt und letztlich ignoriert worden seien. Saleh Mutlak, einer der sunnitischen Unterhändler*innen, sagte: „Ich traue den Schiiten nicht mehr. Ehrlich gesagt, traue ich auch den Amerikanern nicht“. „Wenn diese Verfassung verabschiedet wird, werden sich die Straßen erheben“. ( Iraq faces rage over draft [Irak steht Wut über den Entwurf bevor], „International Herald Tribune“, 24. August)

Verfassungskrise

Nach drei Verlängerungen der Frist zum 15. August wurde der irakische Verfassungsentwurf am 28. August der Nationalversammlung vorgelegt – ohne die Zustimmung der sunnitischen Unterhändler*innen. Trotz intensiven Drucks seitens der USA, einschließlich persönlicher Telefonanrufe Bushs bei führenden schiitischen Vertreter*innen, wurden keine wesentlichen Zugeständnisse in Bezug auf den Föderalismus gemacht, der entscheidenden Frage für die Sunnit*innen. Die von den meisten führenden schiitischen Vertreter*innen als „Triumph“ verkündete und in vielen schiitischen Gebieten auf der Straße gefeierte Verfassung enthält (nach den Worten des sunnitischen Unterhändlers Mahmoud al-Masadani) „die Saat der Teilung des Irak“. Dies war unvermeidlich, da der Verhandlungsprozess unter den Bedingungen einer militärischen Besetzung und eines beginnenden Bürger*innenkriegs stattfand. Bushs Drängen auf eine Verfassung wird das Land nun wahrscheinlich noch schneller in einen totalen Bürger*innenkrieg treiben.

Der Verfassungsentwurf wird wahrscheinlich von der Versammlung verabschiedet werden, die von der SCIRI-Dawa-Allianz und den kurdischen Parteien dominiert wird. Dies wird zweifellos zu einer Verschärfung des Aufstands führen, mit verstärkter Unterstützung der Sunnit*innen, die über eine Verfassung verärgert sind, die sie politisch zu marginalisieren scheint und sie von einem proportionalen Anteil am Ölreichtum des Landes ausschließt. Als Warnung haben die Aufständischen in der letzten Phase der Verfassungsverhandlungen einige ihrer gewagtesten und tödlichsten Anschläge im Zentrum von Bagdad verübt.

Bei dem vor dem 15. Oktober anstehenden Verfassungsreferendum haben die Sunnit*innen, die wahrscheinlich in vier Provinzen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, jedoch gute Chancen, ein Veto gegen die neue Verfassung einzulegen (die mit einer Zweidrittelmehrheit in drei beliebigen Provinzen blockiert werden kann). Es ist auch möglich, dass andere, säkulare Menschen, Frauen und Minderheiten, die über die legalisierte Vorherrschaft des Islam und die implizite Verweigerung der Menschenrechte bestürzt sind, gegen die Charta stimmen werden. Alternativ könnte es einen Massenboykott unter der sunnitischen Bevölkerung geben. Die sunnitischen Unterhändler*innen, die faktisch von der US-Besatzungsbehörde ernannt wurden, haben keine wirkliche politische Basis in der Masse der Sunnit*innen und wurden zusätzlich dadurch diskreditiert, dass es ihnen nicht gelungen ist, echte Zugeständnisse von den schiitischen Parteien zu erhalten. Während der Verhandlungen ermordeten Aufständische zwei sunnitische Mitglieder des Verhandlungskomitees und griffen auch Mitglieder sunnitischer Parteien an, die für die Registrierung der Wähler*innen für das Referendum im Oktober warben.

Wenn die Verfassung im Referendum angenommen wird, wird der Aufstand in den sunnitischen Gebieten noch intensiver werden, was die Möglichkeit eines umfassenden Bürger*innenkriegs eröffnet. Es ist nicht auszuschließen, dass die SCIRI-Dawa und die führenden kurdischen Vertreter*innen, wenn sie ihre Pläne durchkreuzt sehen, versuchen werden, ihre mächtigen Milizen einzusetzen, um den sunnitischen Aufstand zu zerschlagen. Bis jetzt haben sie sich damit zufrieden gegeben, sich zurückzulehnen und das US-Militär die Aufständischen bekämpfen zu lassen. Dies könnte sich jedoch ändern, wenn sie das Gefühl haben, dass sie in der Lage sind, eine verfassungsmäßige Aufteilung durchzusetzen, die ihren jeweiligen Ambitionen gerecht wird.

Sollte jedoch die Verfassung im Referendum abgelehnt werden, werden der SCIRI-Dawa-Block und die Kurd*innen wahrscheinlich auf die faktische Umsetzung der in der Verfassung vorgesehenen lockeren föderalen Struktur hinarbeiten. Wenn sie nicht mehr durch eine (abgelehnte) Verfassung beschränkt werden, könnten sie sogar noch weiter gehen. Sollte das Referendum scheitern, sagt Peter Galbraith, ein ehemaliger US-Diplomat und Berater der kurdischen Führung, könnten die Kurd*innen auf eine vollständige Unabhängigkeit vom Irak drängen: „Wenn diese Verfassung abgelehnt wird, wird es bei den nächsten Verhandlungen um die Teilung des Landes gehen“. (Iraqis finish draft charter [Irakis beenden Verfassungsentwurf], „Washington Post“, 29. August) Sie werden jedoch nicht auf Verhandlungen warten, sondern zunächst versuchen, „Fakten vor Ort“ zu schaffen.

Wachsende Unzufriedenheit

Es gibt eine wachsende Massen-Unzufriedenheit mit der Jafaari-Regierung, die weder die Sicherheit noch die öffentlichen Dienstleistungen verbessert hat. „Sie sind nur an ihren persönlichen Interessen interessiert und nicht am öffentlichen Interesse des Irak und seines Volkes“, sagte Haydar al-Saad, 34, ein Maler und Schiit. Es gibt eine ähnliche Skepsis gegenüber den Politiker*innen, die an den Verhandlungen über die Verfassung beteiligt sind. „Was kann ich mit einer Verfassung anfangen, wenn ich kein Wasser, kein Benzin und keinen Strom habe“, fragt eine junge Schiitin.

Die führenden politischen Vertreter*innen, die die Versammlung füllen, sind überwiegend mit den Großgrundbesitzer*innen, Kapitalist*innen, Händler*innen und Stammesführer*innen verbunden, zusammen mit wohlhabenden Exilant*innen, die während der US-Besatzung zurückgekehrt sind. Sie vertreten die Arbeiter*innen, die Armen in den Städten, die Armen auf dem Lande, ja selbst die meisten Mittelschichten nicht. Sie vertreten die Mehrheit ihrer angeblichen konfessionellen Wähler*innenschaft, ob Schiit*innen, Sunnit*innen oder andere nicht. Interessanterweise berichtete die „New York Times“ kürzlich, dass „trotz der offensichtlichen religiös-sektiererischen Spaltung zwischen den politischen Parteien des Landes und der religiös-sektiererischen Färbung eines Teils der Gewalt im Land, eine Stichprobe unter gewöhnlichen Irakis hier und in mehreren anderen Städten in dieser Woche ergab, dass die Stimmung über die Verfassung oft nicht an solche Spaltungen gebunden ist. Tatsächlich sagen viele Irakis, dass religiöse Zugehörigkeiten im Alltag kaum eine Rolle spielen: Schiiten heiraten Sunniten, Muslime kaufen neben Christen ein, alle stehen in denselben langen Schlangen, um Benzin zu bekommen, und leiden unter denselben Strom- und Wasserknappheiten“. (26. August)

Doch in den kommenden Monaten wird es angesichts der Aussicht auf zunehmende Spannungen zwischen den schiitischen, sunnitischen und kurdischen Regionen durch sektiererische und nationalistische Gruppierungen zu einer potenziell explosiven Lage in Bagdad kommen. Ungefähr ein Drittel der irakischen Bevölkerung lebt in der Hauptstadt. Sie hat riesige Armutsschichten, vielen Zuwanderer*innen aus den Provinzstädten und vom Lande, die aus allen Communities und Regionen stammen. Die Hauptstadt ist ein Zentrum der sunnitischen Aufständischen und auch der Mahdi-Armee von al-Sadr.

Doch weder die Politiker*innen noch die Milizen können Lösungen für die Arbeiter*innen und die Armen liefern. Wenn es der Hauptstadt an Ressourcen fehlt, weil der Ölreichtum in andere Regionen abgezweigt wird, wird es eine katastrophale Lage geben. Bagdad könnte wie Beirut während des libanesischen Bürger*innenkriegs in den 1970er Jahren werden – eine Brutstätte religiös-sektiererischer und Community-Rivalitäten, ein blutiges Schlachtfeld für rivalisierende Kriegsherr*innen und Milizen – und für externe imperialistische und regionale Mächte.

Der einzige Weg, ein solches Schicksal zu verhindern, ist, dass die Arbeiter*innenklasse sich organisiert und Maßnahmen ergreift, um die Interessen der arbeitenden Menschen und aller unterdrückten Schichten der Gesellschaft zu verteidigen. Zunächst einmal brauchen sie ihre eigenen demokratischen Organisationen, Verteidigungskomitees, die alle Teile der Community umfassen, um Schutz zu bieten und für lebenswichtige Dienstleistungen, Lebensmittel und Arbeitsplätze zu kämpfen.

Es gibt eine gewisse Wiederbelebung der Gewerkschaften, insbesondere bei den Ölarbeiter*innen in der Region Basra. Aber die Führung des wichtigsten Gewerkschaftsverbands, der Iraqi Federation of Trade Unions, hat bis zu einem gewissen Grad mit der Besatzungsbehörde zusammengearbeitet, und die Kämpfe der Gewerkschaften fanden hauptsächlich auf der Branchen- und wirtschaftlichen Ebene statt. Die Gewerkschaften haben keinerlei politischen Initiativen ergriffen. Es gibt jedoch eine dringende Notwendigkeit, dass die Arbeiter*innenklasse ihre eigenen politischen Massenorganisationen wieder aufbaut und ein sozialistisches Programm entwickelt. Es ist wesentlich, die Arbeiter*innen und die Landarmut mit einem Programm zu vereinen, das religiöse, kommunale und ethnische Grenzen überwindet. Eine wiederbelebte Arbeiter*innenbewegung ist erforderlich, um für die Beendigung der Besatzung und der imperialistischen Vorherrschaft in der Wirtschaft zu kämpfen, insbesondere des umfassenden Privatisierungsprogramms, das irakische Vermögenswerte in die Hände multinationaler Konzerne legt.

Ein Kampf für demokratische und gewerkschaftliche Rechte muss mit dem Kampf gegen den Kapitalismus, den Großgrundbesitz und die Stammes-Lehensgüter, die die Grundlage für unterdrückerische feudale Praktiken bilden, verbunden werden. Angesichts des explosiven Charakters der nationalen Frage im Irak ist es entscheidend, dass die Arbeiter*innenbewegung ein sozialistisches Programm zur nationalen Frage vorlegt. Dieses sollte auf dem Recht der nationalen Gruppen auf Selbstbestimmung beruhen und gleichzeitig die Rechte der Minderheiten garantieren. Ein solches Programm muss jedoch mit der Idee einer sozialistischen Planwirtschaft verknüpft werden – der einzige Weg, um einen spaltenden Kampf um knappe Ressourcen zu vermeiden.

Angesichts der gegenwärtigen Schwäche der Arbeiter*innenklasse im Irak mag eine solche Wiederbelebung von Arbeiter*innenorganisationen und sozialistischen Ideen etwas weit entfernt erscheinen. Die Solidarität der Arbeiter*innenklasse und eine sozialistische Politik bieten jedoch die einzige Möglichkeit, einen Bürger*innenkrieg und blutige ethnische Zusammenstöße zu vermeiden. Ohne eine kraftvolle Initiative der Arbeiter*innenklasse droht dem Irak ein Teufelskreis aus blutigen nationalen Konflikten, ethnischen Säuberungen usw. nach dem Vorbild des ehemaligen Jugoslawien in den frühen 1990er Jahren. Die jetzt von den Mehrheitsparteien vorgeschlagene Verfassung ist kein Rezept für Stabilität und ein harmonisches Zusammenleben der Völker und Regionen. Im Gegenteil, sie wird wahrscheinlich ein Katalysator für Desintegration und Konflikte sein, die auf die umliegenden Staaten übergreifen werden.

Das Sturmzentrum Irak

Bush hat seinen Urlaub auf seiner Ranch in Crawford mehrmals unterbrochen, um Reden zu halten, in denen er verkündete, dass die USA im Irak „Kurs halten“ werden. Hinter den Kulissen bereitet sich das Bush-Regime jedoch darauf vor, Reißaus zu nehmen. Angesichts einer wachsenden Anti-Kriegs-Stimmung, die durch den Protest von Cindy Sheehan noch verstärkt wurde, ist Bush verzweifelt bemüht, „Fortschritte“ im Irak zu demonstrieren und den Weg für eine Reduzierung der US-Truppen im nächsten Jahr – vor den Zwischenwahlen im November – zu bereiten.

Dies erklärt den enormen Druck, der auf die irakischen Unterhändler*innen ausgeübt wird, um bis zum 14. August eine Verfassung auszuarbeiten, die rechtzeitig für ein Referendum und Wahlen bis Ende des Jahres vorliegen soll. Für das Weiße Haus war der Zeitplan wichtiger als der Inhalt der Verfassung, die im Effekt demokratische Rechte und Frauenrechte der islamischen Autorität opfert. Obendrein ist es wahrscheinlich, dass durch das Auf-die-Seite-Drängen der sunnitischen Bevölkerung der Weg für eine Zersplitterung des Landes und ein Abgleiten in einen Bürger*innenkrieg geebnet wird.

Abgesehen vom Sturz Saddams, der in den 1980er Jahren der bevorzugte Verbündete des US-Imperialismus im Kampf gegen den Iran war, haben die USA keines ihrer Ziele mit dem Krieg gegen den Irak erreicht. Das primäre militärische Ziel, die sichere Kontrolle über den Irak zu erlangen, wurde nicht erreicht. US-General*innen geben freimütig zu, dass die US-amerikanischen, britischen und anderen westlichen Streitkräfte den Aufstand niemals besiegen werden. In jüngster Zeit drängten die obersten Befehlshaber*innen, einschließlich des Chefs für den Nahen Osten, Abizaid, auf einen Rückzug, da sie den Zerfall der Armee befürchten, wenn sie noch weiter belastet wird. „Wir sind der Meinung“, so der Einsatzleiter General Douglas Lute, „dass, um diese Abhängigkeit von der Koalition zu durchbrechen, man sich irgendwann einfach zurückziehen und den Irakis den Vortritt lassen muss“. Letztendlich wird das Mindestziel darin bestehen, vier ständige Basen (die derzeit gebaut werden) als Grundlage für künftige US-Interventionen in der Region zu erhalten.

Die USA haben in Bushs erklärtem „Krieg gegen den Terrorismus“ keinen vernichtenden Schlag gegen den Feind geführt. Die CIA berichtete kürzlich, dass die US-Besatzung den Irak, der nichts mit dem 11. September 2001 zu tun hatte, im Gegenteil in „ein Trainingsgelände verwandelt hat, in dem angehende Terroristen in Attentaten, Entführungen, Autobombenanschlägen und anderen Terrortechniken geschult werden … Der Irak könnte sich als effektiverer Ort für die Ausbildung von Terroristen erweisen als Afghanistan in den frühen Tagen von Al Qaida, die sich dann in andere Teile der Welt, einschließlich der USA, verstreuen könnten“. (Bob Herbert, It just gets worse [Es wird einfach schlechter], „New York Times“, 11. Juli 2005) Jetzt hat General Myers, Chef des Generalstabs, das Konzept des „Krieges gegen den Terrorismus“ verworfen, und sogar Rumsfeld hat es stillschweigend fallen gelassen.

Das Bush-Regime hat die Fantasie der neokonservativen Falken, dem irakischen Volk von außen einen demokratischen, säkularen, pro-amerikanischen Staat aufzuzwingen, nicht verwirklicht. Die Regierung von Bush und Condoleezza Rice, die in der zweiten Amtszeit in einem Nach-Vietnam-Sumpf stecken geblieben ist, hat sich einem „neuen Realismus“ verschrieben und eine Verfassung verabschiedet, die einem diktatorischen islamischen Staat oder einer Ansammlung rivalisierender Unterstaaten Tür und Tor öffnet.

Die Strateg*innen des US-Imperialismus und viele der obersten Militärs sind sich sehr wohl bewusst, dass die neue Verfassung einen offenen Bürger*innenkrieg auf die Tagesordnung setzt. So weigern sich die USA beispielsweise, trotz der zunehmenden Forderung der irakischen Armeeführung nach schweren Waffen, diese mit gepanzerten Fahrzeugen, Panzern, Hubschraubern und schwerer Artillerie zu versorgen. Ein ranghoher US-Offizier in Bagdad sagte der „New York Times“, man sei besorgt, dass die schweren Waffen am Ende gegen die US-Streitkräfte gerichtet sein oder einen „Bürgerkrieg oder einen Putsch“ nähren könnten. (29. August)

Vor der Invasion verkündete das Bush-Regime, dass die „Demokratisierung“ des Irak Teil einer umfassenden demokratischen Umgestaltung des gesamten Nahen Ostens sein würde – ein Comic-Szenario, das vor allem von Rice ausgearbeitet wurde. Als Ergebnis seiner Intervention sieht sich der Imperialismus nun jedoch mit einer weitaus instabileren und unbeständigeren Lage in der Region konfrontiert.

Das wird verschärft durch Schritte zum Auseinanderbrechen des Irak und die Konflikte zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Vorwiegend sunnitische Staaten wie Syrien und Saudi-Arabien werden nicht tatenlos zusehen, wie sunnitische Irakis von der Macht ausgeschlossen, in einer verarmten zentralen Region ghettoisiert oder von Teilen der schiitischen Mehrheit angegriffen werden. Andererseits wird der iranische Staat unweigerlich enge Beziehungen zu einem südirakischen Unterstaat unterhalten und diesen nutzen, um seinen regionalen Einfluss auszuweiten. Sollten die führenden kurdischen Vertreter*innen versuchen, sich Kirkuk einzuverleiben und einen Konflikt wie in Sarajewo heraufbeschwören, wird der türkische Staat zweifellos in irgendeiner Weise eingreifen.

Kurz gesagt, die US-Intervention im Irak hat einen Balkanisierungsprozess ausgelöst, der verheerende Auswirkungen auf den gesamten Nahen Osten haben wird. Genau aus diesem Grund hat Bush senior, der weiser war als sein Sohn, am Ende des Golfkriegs 1991 beschlossen, Bagdad nicht zu besetzen.

Der Ölpreis ist auf über 70 Dollar pro Barrel gestiegen, was nicht in geringem Umfang auf die Unruhen im Nahen Osten zurückzuführen ist. Die US-Kriegsausgaben, die ein Harvard-Ökonom auf 1,3 Billionen Dollar (an direkten und indirekten) Kosten schätzt, wenn er fünf Jahre lang andauert, werden die schuldengeplagte US-Wirtschaft zunehmend belasten.

Die USA stehen vor einer militärischen Niederlage im Irak, trotz ihrer überwältigenden Überlegenheit an Militärtechnologie und Streitkräften. Bush hat eklatant dabei versagt, das „Vietnam-Syndrom“ zu begraben, und steht nun vor dem selben Problem wie Nixon in Vietnam. Ein früher Rückzug, ohne ein stabiles, US-freundliches Regime gesichert zu haben, wäre eine Niederlage. Ein Weitermachen, um sich später unter noch schlechteren Bedingungen zurückzuziehen, würde zu einer noch schmählicheren Niederlage führen.

Der US-Imperialismus hat durch seinen abenteuerlichen Krieg gegen den Irak international bereits eine verheerende politische Niederlage erlitten. Sein Prestige bei den internationalen und regionalen Mächten ist eingebrochen, während seine Kriegsführung, die Misshandlung von Gefangenen in Guantanamo Bay und an anderen Orten, die Unterstützung der Politik des israelischen Staates durch die USA und die Missachtung demokratischer Rechte durch Bush im eigenen Land alle eine beispiellose globale Welle des Antiamerikanismus ausgelöst haben.

Kasten: Die Kosten des Krieges

2003 schätzte die Bush-Regierung die Kosten für den Irak-Krieg und seine Folgen auf 50 bis 60 Milliarden Dollar. Der Irak würde aufgrund seines Ölreichtums in der Lage sein, „einen Großteil der Last“ des Wiederaufbaus zu schultern“, behauptete Bushs Meinungsmacher Ari Fleisher.

Bislang belaufen sich die Gesamtkosten des Krieges im Irak und in Afghanistan, einschließlich der vier „Nothilfezuschläge“, auf 300 Mrd. Dollar oder 1.180 Dollar pro Person in den USA.

„Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 hat der Kongress dem Präsidenten 350 Milliarden Dollar für den Kampf gegen den Terrorismus und für den Kampf und Wiederaufbau im Irak und in Afghanistan zur Verfügung gestellt. (House readies more war spending [Parlament stellt mehr Kriegsausgaben bereit], „USA Today“, 16. Juni 2005) „Das entspricht den Kosten des Koreakrieges in heutigen Dollars, so Steve Kosiak, Direktor der Haushaltsstudien des Center for Strategic and Budgetary Assessments“.

Der Irak-Krieg kostet jetzt etwa 5 Mrd. Dollar pro Monat – ein ähnlicher Betrag (inflationsbereinigt) wie die durchschnittlichen Ausgaben für den Vietnam-Krieg zwischen 1965-75. Der Irak-Krieg könnte bis zum Ende von Bushs zweiter Amtszeit im Jahr 2008 leicht 600 Mrd. $ kosten.

„Nach Angaben des [Congressional Research] Service [Kongess-Forschungsdienstes] haben die USA 623 Milliarden Dollar für den Vietnamkonflikt ausgegeben, wobei die Zahlen inflationsbereinigt sind. Wenn der neue Dringlichkeitsantrag von Präsident Bush in Höhe von 81,9 Mrd. Dollar umgesetzt wird, werden die US-Kriegskosten seit den Anschlägen vom 11. September halb so hoch sein“. (War costs may exceed $300 billion [Kriegskosten könnten 300 Milliarden Dollar übersteigen], „Fox News“/„Associated Press“, 17. Februar 2005)

Der Haushalt des Pentagons für 2005-06 beläuft sich auf phänomenale 409 Mrd. Dollar. Die gesamten Militärausgaben, einschließlich der Ausgaben des Pentagons, des Heimatschutzes und der militärbezogenen Forschung und Entwicklung, belaufen sich jedoch auf 511 Milliarden Dollar. Einschließlich der vier „Sonderzuweisungen“ ist der Jahreshaushalt des Pentagons seit 2001 um 41% gestiegen.

Linda Bilmes, Professorin für öffentliches Rechnungswesen an der Harvard University, gibt eine noch höhere Schätzung der Ausgaben für den Irakkrieg. Zu den direkten militärischen Kosten addiert sie Schätzungen für andere Kosten, wie Invaliditäts- und Gesundheitsleistungen für zurückkehrende Truppen, die gestiegenen Ölkosten, höhere Subventionen für Staaten wie Jordanien, Pakistan und die Türkei sowie höhere Schuldenzahlungen der Bundesregierung aufgrund eines größeren Defizits. „Wenn die amerikanische Militärpräsenz in der Region weitere fünf Jahre andauert, könnten sich die Gesamtkosten des Krieges auf mehr als 1,3 Billionen Dollar belaufen, was 11.300 Dollar für jeden Haushalt in den Vereinigten Staaten bedeutet. (Waging the trillion-dollar war [Den Billionen-Dollar-Krieg führen], NYT 22 August 2005)

Kriegsausgaben in dieser Größenordnung werden unweigerlich den US-Kapitalismus belasten, der bereits mit einer noch nie dagewesenen Auslands- und Inlandsverschuldung belastet ist.

Kasten: US-Opposition wächst

Cindy Sheehans entschiedene Friedensmahnwache vor Bushs Ranch in Crawford, wo er fünf Wochen lang Urlaub macht, hat die wachsende Antikriegsstimmung in immer breiteren Teilen der US-Öffentlichkeit deutlich gemacht, auch bei vielen, die den Krieg zuvor unterstützt hatten – und die Antikriegsbewegung neu entfacht. Zwischen 50.000 und 100.000 Menschen hielten am 17. August im ganzen Land Mahnwachen mit Kerzen zur Unterstützung von Sheehan ab. Als trauernde Mutter eines im Irak getöteten Soldaten trifft Sheehan den Nerv all derer, die über die steigende Zahl von Toten und Verletzten abgestoßen sind. Über 1.860 US-Soldat*innen sind im Irak getötet worden.

Im vergangenen November konnte Bush seine Wiederwahl gewinnen, indem er die durch die Anschläge vom 11. September ausgelösten tiefen Ängste ausnutzte. Kerry und die feigen Demokrat*innen, Politiker*innen der Großkonzerne, haben sich nicht wirksam gegen den Krieg gestellt oder eine Alternative angeboten. Selbst jetzt geben sie, mit wenigen Ausnahmen, der Antikriegsstimmung keine Stimme, sondern hinken ihr hinterher.

Der Auftrieb, den Bush durch seine Wiederwahl und den scheinbaren „Erfolg“ der Wahlen im Januar im Irak erhielt, war jedoch nur von kurzer Dauer. Die öffentliche Stimmung hat sich stetig und entschieden gegen den Krieg und Bushs Kriegsführung gewandt.

Eine Reihe von Meinungsumfragen hat die wachsende Antikriegsstimmung registriert. Mehr als die Hälfte (54%) denken, dass es ein Fehler war, US-Truppen in den Irak zu schicken. Nur 28% glauben, dass es die USA sicherer machte. Nur 34% stimmen Bushs Kriegsführung zu. Seine allgemeine Zustimmungsrate ist auf unter 40% gesunken, verglichen mit 88% nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Weniger als die Hälfte (48%) glaubt, dass Bush „ehrlich“ ist. Sechsundfünfzig Prozent befürworten den Abzug eines Teils der US-Truppen; 33 Prozent sind für einen vollständigen Abzug, doppelt so viele wie 2003.

General Barry McCafferey, ein General im Ruhestand, fasste es zusammen: „Das amerikanische Volk wendet sich von diesem Krieg ab“. Nur wenige akzeptieren, dass der Krieg fortgesetzt werden soll, wie Bush behauptet, um diejenigen zu „ehren“, die bereits ihr Leben gegeben haben.

Immer mehr republikanische Politiker*innen wenden sich gegen den Krieg und fürchten um ihre Sitze bei den Zwischenwahlen im kommenden November. Sie wurden durch eine kürzliche Sonderwahl (Nachwahl) im Süden Ohios für einen Sitz im Repräsentant*innenhaus erschüttert. Der Kandidat der Demokrat*innen, Paul Hackett, ein Irak-Veteran, der als Antikriegskandidat antrat und Bush als „feigen Falken“ kritisierte, gewann fast (48%) einen Bezirk, der normalerweise zwei zu eins an die Republikaner*innen geht. Die Wahl wurde zweifellos durch den Tod von 14 Soldat*innen aus Ohio beeinflusst, die im Irak durch eine Bombe am Straßenrand in Haditha getötet wurden.

Der rechte Republikaner Newt Gingrich, ehemaliger Sprecher des Repräsentant*innenhauses, nannte dies einen „Weckruf“. „Jeder Versuch, den Irak zu erklären mit: ,Wir sind auf dem richtigen Weg und machen Fortschritte‘, ist Unsinn. Die Linke trommelt ständig, dass dies Vietnam und ein Fass ohne Boden ist. Die täglichen und wöchentlichen Verluste geben den Menschen das Gefühl, dass die Dinge nicht gut laufen“. (Bad Iraq news worries some in GOP [Schlechte Nachrichten aus dem Irak beunruhigen einige bei den Republikanern], „New York Times“, 18. August 2005) John Duncan, ein Republikaner aus Tennessee, der den Krieg ablehnte, kommentierte: „Es gibt einfach keine Begeisterung für diesen Krieg… niemand ist glücklich darüber“.

Nach seiner Wiederwahl prahlte Bush, dass er „politisches Kapital“ akkumuliert habe und beabsichtige, es auszugeben. Sein politisches Gold entpuppte sich jedoch als unedles Metall. Es ist ihm nicht gelungen, die Privatisierung der Sozialversicherung (Bundesrente) durchzusetzen, das Kernstück seines innenpolitischen Programms. Beim Irak ist er trotz seiner Beteuerungen, er werde „Kurs halten“, nun verzweifelt auf der Suche nach einer schnellen Ausstiegsstrategie.

Da eine breite Antikriegsstimmung breiter wird, lebt auch die Antikriegsbewegung wieder auf. Die führenden Vertreter*innen der wichtigsten Anti-Kriegs-Organisationen, wie United for Peace and Justice (UFPJ), die sich fälschlicherweise an den Demokrat*innen orientieren, waren durch die Wiederwahl von Bush und den „Erfolg“ der irakischen Wahlen im Januar demoralisiert. Sie organisierten die landesweiten Demonstrationen am 19. März nicht energisch, obwohl es in vielen Städten Demonstrationen gab. Es ist jetzt jedoch wahrscheinlich, dass die für den 24. September geplanten Demonstrationen große Ausmaße haben werden.

Kasten: Irakisierung

Ein Schlüsselelement von Bushs Irak-Politik ist die Übergabe der Sicherheit an neu rekrutierte irakische Sicherheitskräfte, und ein großer Teil der „Wiederaufbau“-Mittel wurde in der Tat für die Ausbildung einer neuen nationalen Armee und Polizei abgezweigt.

US-Beamt*innen behaupten, dass die irakischen Sicherheitskräfte jetzt über 77.000 Soldat*innen und 94.000 Polizist*innen haben. Der führende kurdische Vertreter Mahoud Othman glaubt jedoch, dass die tatsächliche Zahl der Armee und der Polizei nur etwa 40.000 beträgt – der Rest scheint offenbar nur seinen Sold zu beziehen oder hat nie existiert. „Die wenigen kampfbereiten Regierungsbataillone rekrutieren sich aus kurdischen oder schiitischen Milizionären und sind in den sunnitischen Gebieten verhasst. (Patrick Cockburn, Looking for someone to kill [Auf Ausschau für jemand zum Töten], „London Review of Books“, 4. August 2005)

Ein Bericht des US-Generals Peter Pace vom Juli kam zu dem Schluss, dass nur eine „kleine Anzahl“ der irakischen Streitkräfte in der Lage sei, Aufständische ohne US-Hilfe zu bekämpfen, während zwei Drittel „teilweise in der Lage seien, Aufständische mit US-Hilfe zu bekämpfen“. Aber hochrangige Pentagon-Beamt*innen sagten, dass „einige US-Truppen die irakischen Streitkräfte wahrscheinlich auf unbestimmte Zeit begleiten werden, insbesondere in feindlichen Gebieten des Landes“. („Washington Post“, 22. Juli 2005)

In Bagdad und dem sunnitischen Dreieck ist die Polizei stark von Aufständischen infiltriert, während die Armee von Kurd*innen, ehemaligen Peschmerga-Einheiten, dominiert wird. Die irakische Armee und Polizei entwickeln sich nicht zu einer nationalen Sicherheitstruppe – sie spiegeln die Spaltung in der irakischen Gesellschaft wider, ihre Loyalität gilt ihren eigenen führenden Vertreter*innen, und diese „nationalen“ Kräfte werden im Falle eines Auseinanderbrechens des Irak oder eines Bürger*innenkriegs zerbrechen.


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