Lynn Walsh: Die stagnierende US-Wirtschaft

(eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today Nr. 68, September 2002)

Erschüttert von großen Konkursen und Skandalen, die mit einem Börsencrash zusammenkamen, steht der US-Kapitalismus nun vor einer Phase der Stagnation. Jüngste Daten zeigen die Hohlheit der versprochenen Erholung und die Aushöhlung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter*innen. Der Abschwung in den USA wird tiefgreifende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben. Lynn Walsh analysiert die Trends.

Es hat keine Erholung der US-Wirtschaft gegeben. Die Rezession des letzten Jahres war in Wirklichkeit tiefer und länger, als es zunächst schien. Schwache Anzeichen einer Erholung Ende letzten Jahres wurden durch den größten Börsencrash seit dem Einbruch von 1973 zunichte gemacht.

Ausgelöst wurde der Kurssturz durch eine Reihe von nach-Enron-Wirtschaftsskandalen, in die einige der größten Unternehmen und Finanzinstitute wie Global Crossing, WorldCom und Merrill Lynch verwickelt waren. Der Talfahrt lag jedoch ein Einbruch der Unternehmensprofite und der Kapitalinvestitionen zugrunde. In Aussicht steht eine zweite Rezession, den so genannten „Double Dip“, oder einer längeren Stagnationsphase, die mit der ein Jahrzehnt langen Malaise in Japan vergleichbar ist. Dies würde eine tiefgreifende Auswirkung auf die gesamte Weltwirtschaft haben. Das weltweite Wachstum in den 90er Jahren hing entscheidend von der Nachfrage der USA nach Importen sowohl aus fortgeschrittenen als auch aus unterentwickelten Ländern ab. Streicht man dies weg, könnte die gesamte Weltwirtschaft in einen schweren Abschwung geraten.

In einer dramatischen politischen Kehrtwende waren die USA bereits gezwungen, umfangreiche IWF-Hilfen für Brasilien und Uruguay zu bewilligen, um einen wirtschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern und die US-Banken zu retten, die diesen Ländern umfangreiche Kredite gewährt haben. Diese Handlungen, so kommentierte „USA Today“ (7. August), sind „langfristige Versicherungspolicen zur Eindämmung ausländischer Krisen, die auf die USA übergreifen könnten“.

Weder Bush noch Greenspan haben – abgesehen von weiteren Steuersenkungen für die Hyperreichen – ein Konzept zur Ankurbelung der US-Wirtschaft. Das Wirtschaftsforum des Präsidenten in Waco, praktischerweise in der Nähe seiner texanischen Ranch, hat nur die Leere der republikanischen Rechten offenbart. Die Reihe von massiven Firmenpleiten und kriminellen Skandalen entlarvt die Fäulnis des „Geschäftsmodells“ der 1990er Jahre und erschüttert die Vorstellung von der Perfektion des Marktes. Greenspans Satz von der „ansteckenden Gier“ bringt das System auf den Punkt.

Die jüngsten Daten offenbaren die strukturelle Schwäche des US-Kapitalismus, die Anfälligkeit seiner internationalen Position und zeigen, dass der Abschwung begonnen hat, Arbeitsplätze und den Lebensstandard der Arbeiter*innen ernsthaft zu beeinträchtigen.

Die Aktienblase platzt

In den neun Wochen von Mitte Mai bis Mitte Juli fielen sowohl der Dow als auch der S&P 500 um über 20%, der stärkste Neunwochenfall seit 1974, als sich während einer schweren Rezession, die weitaus schlimmer war als der jüngste Abschwung, ein Bärenmarkt entwickelte. Der Zusammenbruch der Aktien wurde durch den Ausbruch von Unternehmensskandalen ausgelöst, die große Konzerne und Finanzhäuser betrafen. Sie untergruben zweifellos das Vertrauen in die Bilanzen der großen Unternehmen. Die Skandale legten die zugrundeliegende Fäulnis grundlegend bloß, die tiefgreifende Erosion der Produktionskapazitäten, auf denen der gewaltige Überbau des spekulativen Finanzkapitals in den späten 1990er Jahren entstanden war. Der Zusammenbruch der Aktienkurse bedeutete die teilweise Vernichtung des fiktiven Reichtums, der durch die Blase entstanden war. Der S&P 500 und der Dow liegen fast 50% unter ihrem Höchststand aus dem Jahr 2000, und die Nasdaq-Aktien sind sogar noch stärker gefallen, so dass insgesamt etwa 7 Billionen Dollar an Portfoliovermögen vernichtet wurden.

Seit Mitte Juli gab es ein paar Börsenerholungen, aber die Märkte bleiben extrem volatil. Es gibt noch Optimist*innen in Hülle und Fülle, die behaupten, die Talsohle sei erreicht und es werde nun einen „Aufschwung“ geben. Da es jedoch keine Anzeichen für eine Erholung der Unternehmensprofite gibt, sind die Aktienkurse weiterhin überbewertet. Das durchschnittliche Kurs-Gewinn(Profit)-Verhältnis liegt derzeit bei etwa 16 : 1 für die Profite vor dem Einbruch bzw. bei 20 : 1 für die aktuellen Profite. Dies ist ein deutlicher Rückgang gegenüber dem Spitzenwert von 35 : 1 im Jahr 2000, liegt aber immer noch über dem langfristigen historischen Durchschnitt von 14,5 : 1.

Die Erholungen wurde zum Teil dadurch angetrieben, dass die großen Konzerne ihre eigenen Aktien zurückkauften, um ihre Aktienkurse in die Höhe zu treiben. Ein nachhaltiger Anstieg der Aktienkurse wäre nur auf der Grundlage eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums, insbesondere einer stetigen Wiederherstellung der Profitabilität, möglich. Dies erscheint in der nächsten Periode sehr unwahrscheinlich.

Der Zusammenbruch der Aktienkurse hat den „Vermögenseffekt“ der Börse, d.h. die Übertragung eines Teils der Kapitalprofite in die Konsumausgaben, insbesondere der wohlhabenderen Schichten, weitgehend zunichte gemacht. Mehr als die Hälfte der US-Familien besitzt heute Aktien, aber die Hälfte der Aktienbesitzer*innen hat ein Vermögen von weniger als 25.000 Dollar (nach dem Wert vor dem Kurseinbruch). Das Fallen der Steuerzahlungen für das vergangene Jahr deutet auf einen Verlust an persönlichem Einkommen von 200 Milliarden Dollar oder mehr hin, vor allem bei den Wohlhabenden – und der Rückgang wird 2002 sicherlich noch größer sein. Der Wegfall des Börsen-Vermögenseffekts ist in gewissem Maße durch den Vermögenseffekt der Immobilienblase ersetzt worden, der wahrscheinlich nur vorübergehend ist.

Länger und tiefer

Der Abschwung in den USA im vergangenen Jahr wurde von vielen Kommentator*innen als „kurze, flache Rezession“ abgetan. Jüngste Überarbeitungen der Daten durch die US-Regierung zeigen jedoch, dass die Rezession länger und tiefer war, als es schien. Die US-Wirtschaft schrumpfte in den ersten drei Quartalen des Jahres 2001 und geriet noch vor dem 11. September eindeutig in eine Rezession. Gegen Ende des Jahres erholte sie sich und wuchs im ersten Quartal 2002 um 5% (auf das Jahr hochgerechnet), verlangsamte sich aber im zweiten Quartal auf nur noch 1,1%. Dies ist praktisch eine Stagnation.

Auch die Produktivitätszahlen wurden nach unten korrigiert. Anstelle von 3,3% im Jahr 2000 und 1,9% im Jahr 2001 betrug das tatsächliche Wachstum 2,9% bzw. 1,1%. Der Trend der letzten Jahre liegt bei etwa 2%, besser als die 1,1% von 1970-80, aber immer noch deutlich unter dem durchschnittlichen Wachstum von 3,3% während des Aufschwungs von 1950-73. Das ist kaum eine „Produktivitätsrevolution“, trotz der Entwicklung der Mikroelektronik und anderer Technologien. Auch die Konzernprofite und -investitionen stagnieren. Nach fünf Quartalsrückgängen in Folge stiegen die Profite im zweiten Quartal laut Standard and Poor auf 29,7% (im Vergleich zu 2001). Nach Angaben der Analyst*innen von Thompson First Call stiegen die Profite jedoch nur um 0,9%, was wahrscheinlich realistischer ist. („New York Times“, 11. August)

Nach einem enormen Investitionsschub bei Maschinen, Computern, Software und Gebäuden in den späten 80er Jahren sind die Unternehmensinvestitionen (die etwa 10% des BIP ausmachen) eingebrochen. Die Investitionen sind in sechs aufeinanderfolgenden Quartalen gefallen, aber es gibt immer noch massive Überkapazitäten als Ergebnis früherer Überinvestitionen. Im zweiten Quartal 2002 stiegen die Investitionen in Ausrüstungen und Software auf das Jahr hochgerechnet um 2,9%, während die Investitionen in Gebäude um rund 14% zurückgingen, so dass die Unternehmensinvestitionen insgesamt negativ blieben. Risikokapitalgeber*innen, Finanzhäuser, die in den 90er Jahren eine Schlüsselrolle bei der Finanzierung neu gegründeter Technologieunternehmen spielten, bevor die Firmen durch Börsengänge Mittel an die Börse brachten, haben vor kurzem wegen des Mangels an Unternehmensgründungen Gelder an die Investor*innen zurückgegeben. Sieben Risikokapital-Fonds gaben im zweiten Quartal 2,7 Mrd. $ an die Anleger*innen zurück. Etwa 30 Risikokapitalfonds verfügen noch immer über rund 100 Mrd. $ an nicht investiertem Kapital und erwarten, dass sie bis Ende dieses Jahres nur rund 20 Mrd. $ investieren werden. („USA Today“, 6. August)

Verbraucher*innenausgaben

Auch der Dienstleistungssektor, der 80% der US-Wirtschaft ausmacht, verlangsamt sich, was weitgehend auf den Rückgang der Verbraucher*innenausgaben zurückzuführen ist, die den Abschwung seit dem Jahr 2000 abgefedert haben.

Die Verbraucher*innenausgaben stiegen im zweiten Quartal nur noch um 1,9 %, gegenüber 3,1 % im ersten Quartal und 6% am Ende des letzten Jahres. Die Autokäufe waren lebhaft, vor allem wegen gesunkener Preise und günstiger Kredite. Die Käufe von langlebigen Gütern, wie Haushaltsgeräten, sind zurückgegangen. Der Gesamtwert der im zweiten Quartal verkauften Waren und Dienstleistungen ging sogar leicht zurück. Das leichte Wachstum der Wirtschaft ist ausschließlich darauf zurückzuführen, dass die Großhändler*innen ihre Lagerbestände aufrechterhalten haben, nachdem sie diese über ein Jahr lang abgebaut hatten.

Um ein schnelleres Gesamtwachstum zu erreichen, müssten die Verbraucher*innen ihre Ausgaben in den kommenden Monaten erhöhen. Dem steht jedoch eine Reihe von Dingen entgegen. Aus Sorge um die Sicherheit des Arbeitsplatzes und um Einkommenseinbußen sowie aus Verärgerung über die Korruption in Unternehmen und in der Politik neigen die Verbraucher*innen nun dazu, weniger für Luxusgüter auszugeben und größere Anschaffungen aufzuschieben. Unter dem Druck des Zusammendrückens von Arbeitsplätzen und Löhnen, der Schuldenlast, dem Wegfall des Börsenwohlstandseffekts und der allgemeinen Unsicherheit über die Zukunftsaussichten verlangsamen sich die Verbraucher*innenausgaben. Das Platzen der derzeitigen Immobilienblase könnte zudem die Verbraucher*innenausgaben weiter belasten.

Die Haushaltsverschuldung ist weiter angestiegen, und das Verhältnis zwischen den Schulden (ohne Hypotheken) und dem verfügbaren Einkommen hat mit 21,9% ein Rekordhoch erreicht, mehr als drei Punkte über den Spitzenwerten der 80er Jahre. Die Zunahme des Autoleasings, das in der Schuldenstatistik nicht erfasst wird, in Wirklichkeit aber einer Verschuldung gleichkommt, erhöht die Verschuldung der Verbraucher*innen um weitere 2%.

Während der Wohlstandseffekt der Börsenblase mit dem Einbruch der Aktienkurse verblasste, trug das Aufblähen des Immobilienmarktes in den Jahren 2000/01 dazu bei, die Ausgaben in der gesamten Wirtschaft zu stützen. Die steigenden Immobilienpreise haben den Wohnungsbau angekurbelt, während viele Hausbesitzer (durch zusätzliche Hypothekenschulden und Refinanzierung) ihr gestiegenes Eigenkapital in Konsumausgaben umwandelten. Die Refinanzierung von Wohnungskredite gaben 2001 etwa 100 Mrd. $ den Haushaltseinkommen zurück, und könnten in diesem Jahr weitere 50 Mrd. $ hinzufügen. Seit 1995 sind die Immobilienpreise um 30% stärker gestiegen als die Preise im Allgemeinen. Der Hauptgrund dafür ist, dass immer mehr Menschen ein Haus nicht nur als Wohnraum, sondern auch als Investition für die Zukunft betrachten. Die über der Inflation liegenden Hauspreise haben das Vermögen der 73 Millionen Hausbesitzer*innen in den USA um zusätzliche 2,6 Billionen Dollar oder durchschnittlich 35.000 Dollar erhöht. (Dean Baker, The Run-Up in Home Prices: Is It Real or Is It Another Bubble? [Der Anstieg in Immobilienpreisen: Ist er real oder ist er eine weitere Blase?] CEPR, August 2002)

Die Immobilienblase kann nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden. Zusammengedrückte Einkommen und die wachsende Schuldenlast werden die Preise ab einem bestimmten Punkt sinken lassen. Ein bescheidener Rückgang von 11% würde das Vermögen im Immobiliensektor um 1,3 Billionen Dollar verringern. Ein scharfer Fall um 22% würde einen Verlust von 2,6 Billionen Dollar bedeuten. Ein solcher Fall würde einen Rückgang im Wohnungsbau in Höhe von 0,6 bis 1,3% des BIP bedeuten. Die Umkehrung des Wohlstandseffekts der Immobilienblase, der den Verbraucher*innen wahrscheinlich einen größeren Auftrieb gegeben hat als der Wohlstandseffekt an der Börse, würde die Verbraucher*innenausgaben wahrscheinlich um 80 bis 160 Mrd. Dollar verringern.

Arbeiter*innen im Schraubstock

Die Arbeiter*innen sind bereits im Schraubstock der Rezession, und die meisten sind weit davon entfernt, eine „Erholung“ zu erleben. Wie immer haben die Arbeiter*innen die Hauptlast der Konjunkturabschwächung in Form von erhöhter Arbeitslosigkeit, Lohneinbußen und intensiviertem Arbeitsaufwand getragen. Zwischen März 2001 und April 2002 gingen 1,8 Millionen Arbeitsplätze verloren, und nur 94.000 sind seitdem wieder geschaffen worden. Offiziellen Angaben zufolge verharrt die Arbeitslosigkeit bei etwa 5,9% (bei einer Gesamtzahl von 130,8 Millionen Erwerbspersonen), doch wenn die Wirtschaft nicht um etwa 3% wächst, werden Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung mit Sicherheit zunehmen. Die größten Arbeitsplatzverluste gab es in der verarbeitenden Industrie, im Baugewerbe und im „Zeitarbeits“sektor. Den Arbeiter*innen wurde mehr unfreiwillige Teilzeitarbeit auferlegt, und die Wochenarbeitszeit wurde auf 34 Stunden reduziert, die kürzeste seit 1964. Dies hat bei vielen Arbeiter*innen die Einkommen drastisch reduziert. (Labor Data Raises Questions on Recovery of the Economy [Arbeitsdaten werfen Fragen zur Erholung der Wirtschaft auf], „New York Times“, 3. August)

Die Daten des Arbeitsministeriums zeigen, dass die Löhne von 100 Millionen Arbeiter*innen seit über einem Jahr stagnieren. Auf dem Höhepunkt des Booms Ende 2000 stiegen die Entgelte der Beschäftigten im privaten Sektor um 5% (auf das Jahr hochgerechnet, inflationsbereinigt), was den Entgelten der Arbeiter*innen 4,2 Billionen Dollar hinzufügte. Im darauffolgenden Jahr büßten die Arbeiter*innen insgesamt 94 Mrd. $ an Entgelten ein, von denen in diesem Jahr bisher nur 9 Mrd. $ zurückerstattet wurden. Die verlorenen Löhne und Gehälter genügten, um das BIP-Wachstum um mindestens ein Prozent zu schmälern. Offensichtlich ziehen die Boss*innen angesichts stark steigender Kosten für die von den Unternehmen finanzierte Krankenversicherung den Großteil der zusätzlichen Kosten von den Gehaltsschecks der Arbeiter*innen ab. (Stagnant Wages Pose Added Risk to Weak Economy [Stagnierende Löhne stellen ein zusätzliches Risiko für die schwache Wirtschaft dar], „New York Times“, 11. August)

Das Produktivitätswachstum wurde dadurch aufrechterhalten, dass die Boss*innen aus den Arbeiter*innen mehr Arbeit herauspressten. Im ersten Quartal 2002 gab es einen Produktionsanstieg, während die Boss*innen die Zahl der Beschäftigten und der Arbeitsstunden reduzierten, was zu einem Produktivitätswachstum von 8,6% (auf das Jahr hochgerechnet) führte. Im zweiten Quartal stiegen Waren und Dienstleistungen nur noch um 0,3%, während die Produktivität um 1,1% zunahm.

Fall des Dollars?

Während die Börsenblase geplatzt ist (und die Immobilienblase sich immer noch aufbläht), scheint die Dollarblase auf dem Weg nach unten zu sein. Auf dem Höhepunkt des Booms in den 1980er Jahren war der Dollar um mindestens 20% überbewertet, hochgetrieben durch den massiven Zustrom von Kapital in die USA auf der Suche nach leichten Gewinnen. Die ausländischen Investitionen in US-Aktien und -Anleihen stiegen von 278 Mrd. Dollar im Jahr 1998 auf 522 Mrd. Dollar im Jahr 2001. Die ausländischen Direktinvestitionen in den USA (für den Erwerb oder die Gründung von Unternehmen) stiegen im Jahr 2000 auf 301 Mrd. Dollar. Die weltweite Nachfrage nach Dollars, um diese Investitionen zu tätigen, führte unweigerlich zu einer Aufwertung des Dollars.

Als Ergebnis wurden in Dollar gekaufte Importe (insbesondere aus südostasiatischen Volkswirtschaften, die nach 1997 abgewertet hatten) außerordentlich billig, und US-Verbraucher*innen kauften wachsende Mengen an Autos, Computern, Elektrogeräten usw. Aus dem gleichen Grunde machte der hohe Dollar die US-Exporte auf den Weltmärkten relativ teuer. Die US-Importe stiegen viel schneller als die US-Exporte.

Dieses Ungleichgewicht führte 2001 zu einem kumulierten Leistungsbilanzdefizit in Höhe von 23% des BIP (und wird bis 2006 schätzungsweise auf 40% des BIP ansteigen, wenn die jährlichen Defizite weiterhin mit der gleichen Rate wachsen). Das Leistungsbilanzdefizit beläuft sich derzeit auf etwa 400 Mrd. $ (die Differenz zwischen dem, was die USA dem Ausland für Waren, Dienstleistungen, Zinsen und Dividenden schulden, und dem, was Ausländer*innen den USA schulden. Um dieses Defizit zu finanzieren, sind Zuflüsse in die USA in Höhe von 400 Mrd. Dollar erforderlich).

Trotz der wachsenden Auslandsverschuldung sieht die Bush-Regierung nach eigenen Angaben kein Problem mit dem „Super-Dollar“. Der verringerte Kapitalzufluss aus dem Ausland hat jedoch begonnen, den Dollar in eine Abwärtsspirale zu treiben. Seit Januar ist der Dollar gegenüber dem Yen und dem Euro um etwa 12% gefallen. (Dies wirkt sich natürlich auf die Exporte der Eurozone und Japans aus, und die japanische Zentralbank hat versucht, den Dollar zu stützen, um einen starken Anstieg des Kurses des Yen zu verhindern). Gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartner*innen der USA ist der Dollar jedoch nur um 7% gefallen, gegenüber den Währungen aller Handelspartner sogar nur um 3%. Bislang hat dies keine Auswirkungen in Form der Reduzierung des Handelsdefizits gehabt. In den kommenden Monaten wird der Dollar jedoch mit ziemlicher Sicherheit deutlich an Wert verlieren, da die Auslandsinvestitionen in den USA stark zurückgehen werden.

„Der einzige Ort, der den Investoren der Welt immer sicher erscheint – Amerika – verliert langsam seinen Nimbus der Unbesiegbarkeit“, schrieb ein Kommentator. (Haven No More [Kein Hafen mehr], „New York Times“, 17. Juli) Der 11. September, Unternehmensskandale und der Einbruch der Profite hatten alle eine Wirkung. Ausländische Direktinvestitionen, Investitionen von Unternehmen in ausländischem Besitz und ausländische Investitionen in Aktien und Anleihen sind alle stark zurückgegangen. „Der Nettozufluss in das Land fiel im ersten Quartal um 83%“, berichtete die „New York Times“ (21. August), „oder 16,4 Mrd. Dollar, verglichen mit den Zahlen des Vorjahreszeitraums. Allein die Schweiz investierte im ersten Quartal 2001 11,1 Milliarden Dollar in den USA, im ersten Quartal dieses Jahres zog sie Kapital im Wert von 154 Millionen Dollar ab“. (Weaker Dollar Yet to Spur Export Boom [Schwächerer Dollar muss Exportboom noch ankurbeln], „New York Times“, 21. August)

Ein kontrollierter Rückgang des Dollars könnte mit der Zeit die US-Exporte ankurbeln, die Importe eindämmen und das Handelsdefizit verringern. Dies könnte jedoch verheerende Auswirkungen auf das Wachstum der gesamten Weltwirtschaft haben, die stark von der US-Importnachfrage abhängig war. Noch verheerender wäre jedoch ein unkontrollierter Zusammenbruch des Dollars, der die US-Wirtschaft und die Weltwirtschaft treffen würde. Goldman Sachs beispielsweise schätzt, dass der Dollar gegenüber den Währungen der Handelspartner*innen der USA um „erstaunliche“ 43% fallen müsste, um das derzeitige Haushaltsdefizit um die Hälfte zu reduzieren (von 400 Mrd. $ auf 200 Mrd. $ pro Jahr). Ein solcher Fall würde zweifellos eine tiefe und lang anhaltende Rezession in den USA auslösen. Um ausländisches Kapital anzuziehen, müssten die USA die Zinssätze stark anheben, um den Wertverlust der auf Dollar lautenden Anleihen auszugleichen. Aufgrund der Abhängigkeit der USA von einer Reihe ausländischer Importe (viele Produkte wie z. B. Fernsehgeräte werden nicht mehr in den USA hergestellt) und von Öl würden die US-Inlandspreise in die Höhe schnellen. Die US-Kapitalist*innen müssten viele Jahre lang investieren, um die industrielle Kapazität der USA so weit auszubauen, dass die Handelsbilanz wieder ausgeglichen wird.

Eine deutliche Verringerung des US-Handelsdefizits würde die Länder, die von Exporten in die USA abhängig sind, schwer treffen. Viele würden zweifellos mit einer Abwertung ihrer eigenen Währungen (um ihre Ausfuhren weiter zu verbilligen) und/oder mit der Errichtung von Zollschranken gegen US-Einfuhren reagieren. US-Finanzminister Paul O’Neill tut das Leistungsbilanzdefizit leichtfertig als „bedeutungsloses Konzept“ ab. „The Economist“ kommentierte, dass die Folgen eines sinkenden Dollars „einem Finanzminister, der weiß, wovon er spricht“, schlaflose Nächte bereiten würden.

Ein Anstieg der Ölpreise im Falle eines US-Schlags gegen den Irak sowie zusätzliche Kriegsausgaben (während sich der Bundeshaushalt vor allem aufgrund von Bushs Steuersenkungen für Reiche und allgemein sinkenden Einnahmen stark ins Defizit bewegt) wären zusätzliche negative wirtschaftliche Kräfte. Der US-Kapitalismus ist mit enormen Überkapazitäten und Schuldenbergen belastet, und der blutleere Zustand der Weltwirtschaft bietet keinen einfachen Ausweg. Die USA können sich nicht länger auf ihren Status als „sicherer Hafen“ und das Versprechen von Superprofiten verlassen, um Kapital aus allen Ecken der Welt abzuschöpfen. Wird es ein „Double Dip“ geben? Das Profil der gegenwärtigen Rezession ist wirklich zweitrangig im Vergleich zu der Aussicht auf eine anhaltende Deflation und Stagnation, mit der der US- und der Weltkapitalismus jetzt konfrontiert ist. Kein Wunder, dass Marx die (kapitalistische) Ökonomie als die „trostlose Wissenschaft“ bezeichnete.


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