(eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 63, März 2002)
Der Enron-Zusammenbruch ist der größte Skandal in der Geschichte des US-Kapitalismus. Aufgedeckt wurden die systembedingten Lügen, Betrügereien und Diebstähle im Herzen der Blasenwirtschaft der 1990er Jahre. Enron ist nicht nur eine Firmenpleite, sondern ein Symptom für die strukturelle Fäulnis des Kapitalismus. Lynn Walsh analysiert die Enron-Krise und ihre Folgen.
Nach Angaben des Magazins Fortune war Enron im Jahr 2000 das siebtgrößte Unternehmen der USA, basierend auf einem angeblichen Umsatz von über 100 Mrd. Dollar. Enron meldete Profite von über 1 Milliarde Dollar. Seine Aktien stiegen auf 90 $ pro Aktie, der gesamte Börsenwert auf 70 Mrd. $.
Fortune bezeichnete es als das „innovativste Unternehmen des Landes“; es wurde weithin als „Geschäftsmodell“ für die „neue Wirtschaft“ gepriesen. Im Dezember 2001 brach das Unternehmen zusammen, der größte Konzernbankrott des US-Kapitalismus. Seine Aktien waren nur noch ein paar Cent wert, die meisten der 25.000 Beschäftigten waren arbeitslos. Amerikas „coolstes Unternehmen“ (so behauptete Enron) wurde als spekulative Hülle entlarvt, die durch betrügerische Buchführung getarnt war – ein virtuelles Unternehmen, das virtuelle Profite erzeugte. Vorläufige Untersuchungen haben enthüllt, dass die Enron-Bosse Profite ausgewiesen haben, die das Unternehmen nie wirklich gemacht hat (mindestens 1 Milliarde Dollar zwischen Juli 2000 und Oktober 2001), und dass sie beträchtliche Schulden und Verluste verschleiert haben.
Im Sommer letzten Jahres begannen eine Reihe von Enron-Führungskräften aus der zweiten Reihe, ernsthafte Vorwürfe über die Methoden des Unternehmens zu erheben. Der Vizepräsident Sherron Watkins schrieb an den Vorsitzenden von Enron, Kenneth Lay: „Ich bin unglaublich nervös, dass wir in einer Welle von Buchhaltungsskandalen implodieren werden“. Ein anderer Manager bemerkte: „Wir sind ein so betrügerisches Unternehmen“. Die Chef*innen von Enron, unterstützt von ihren angesehenen Anwält*innen und Wirtschaftsprüfer*innen, prüften die Anschuldigungen – und wischten sie beiseite. Lay und andere Chef*innen begannen jedoch schnell, ihre eigenen Enron-Aktien zu verkaufen, wobei sie zusammen über 1 Milliarde Dollar einsteckten. In einem Online-Chat erklärte Lay den Beschäftigten, dass die Aktien des Unternehmens ein „unglaubliches Schnäppchen“ seien, und forderte sie auf, „mit Ihrer Familie und Ihren Freunden positiv über Enron zu sprechen“. An der Wall Street drängte die Citigroup, die Enron umfangreiche Kredite gewährt hatte und sich der zunehmenden Schwierigkeiten des Unternehmens durchaus bewusst war, die Anleger*innen weiterhin zum Kauf von Enron-Aktien.
Während die Ratten in den Vorstandsetagen mit der Beute das sinkende Schiff verließen, mussten die Enron-Beschäftigten feststellen, dass ihre Lebens-Ersparnisse in ihren persönlichen (401k) Pensionsplänen gefangen waren, die von Enron verwaltet wurden. Von ihren Boss*innen ermutigt, hatten die meisten Beschäftigten des Unternehmens den Großteil ihrer Ersparnisse in Enron-Aktien investiert, die zu dem Zeitpunkt, als sie ihren Arbeitsplatz verloren, wertlos waren. Arbeiter*innen überall in den USA haben verloren. Über 60% der 744 Millionen Enron-Aktien befanden sich im Besitz von institutionellen Anleger*innen, zumeist Pensionsfonds und Investmentfonds, in die viele Arbeiter*innenfamilien ihre Ersparnisse investiert hatten.
Lay behauptet nun, er sei pleite. Vor einer Villa im Kolonialstil erschienen, mit einem livrierten Diener im Hintergrund, sagte Lays Frau Linda zu einem Fernsehreporter: „Außer dem Haus, in dem wir leben [im Wert von 8 Millionen Dollar], steht alles, was wir besitzen, zum Verkauf… Es ist nichts mehr da“. Ihr Mann, so sagte sie, sei betrogen worden: „Niemals, keine Sekunde lang, hätte er etwas Illegales zugelassen“. Was hat Lay also als Vorsitzender und Vorstandschef gemacht? In den drei Jahren ab 1999 erhielt Lay von Enron mehr als 200 Millionen Dollar an Gehalt und Aktienoptionen. Außerdem erhielt er von einem halben Dutzend anderer großer Unternehmen Aktien im Wert von über 10 Millionen Dollar für seine Tätigkeit als leitender Angestellter oder Direktor. Die Lays besitzen mindestens zwanzig Immobilien in Texas und Colorado im Gesamtwert von über 30 Millionen Dollar. Wenn sie jetzt pleite sind, was ist dann mit all dem passiert?
Von der Bush-Regierung gab es für die Arbeiter*innen keinen Trost. Dies war kaum überraschend. Angesichts der Millionen von Enron-Dollars, die an führende Republikaner*innen geflossen sind, und der Gefallen, die sie dem Unternehmen erwiesen haben, könnte man die Bush-Regierung durchaus als „Enron im Amt“ bezeichnen. In einem Interview mit einem Fernsehsender sagte Finanzminister Paul O’Neill, er sei vom Zusammenbruch von Enron nicht überrascht. „Unternehmen kommen und gehen. Das ist Teil der Genialität des Kapitalismus. Menschen treffen gute Entscheidungen oder schlechte Entscheidungen, und sie müssen die Konsequenzen tragen oder die Früchte ihrer Entscheidungen genießen. So funktioniert das System“. Einen Moment mal! Eine kleine Bande von Bossen, die „schlechte Entscheidungen“ getroffen haben – die einen gigantischen Betrug organisiert und gelogen und betrogen haben, um ihn zu vertuschen – sind um eine Milliarde Dollar reicher geworden (zusätzlich zu ihren kolossalen Jahresgehältern und Boni). Tausende von Arbeiter*innen, die an der Verschwörung nicht beteiligt waren, haben ihren Arbeitsplatz und ihre Lebensersparnisse verloren. Millionen von Kleinanleger*innen, die durch die gefälschten Bilanzen des Unternehmens getäuscht wurden, haben ebenfalls verloren.
Wie zeigt Enron die „Genialität des Kapitalismus“? Es handelt sich um einen Fall, in dem die Marktkräfte, die angeblich die effizienteste Form der Organisation der Gesellschaft sind, Milliarden von Dollar an Kapital in ein gesellschaftlich wertloses, spekulatives Unternehmen gelenkt haben. Die „verborgene Hand“ des Marktes entpuppt sich als ein Geflecht aus Betrug und Diebstahl. Es gibt eindeutig einzelne Täter*innen, die zur Rechenschaft gezogen werden sollten, aber sie sind Produkte des heutigen räuberischen Kapitalismus des freien Marktes. Enron ist ein Unternehmen seiner Zeit; sein Aufstieg und Fall zeigen die strukturelle, systemische Fäulnis des kapitalistischen Systems. Es ist bei weitem kein Ausnahmefall; es ist lediglich der bisher größten betrügerische Zusammenbruch. Enronitis ist eine ansteckende Krankheit, und es ist wahrscheinlich, dass es zu einer Epidemie kommt.
Vom Energiehandel zur Finanzhexerei
Enron wurde 1985 durch die Fusion zweier texanischer Gaspipeline-Unternehmen gegründet. Das Unternehmen nutzte die Privatisierung staatlicher und städtischer Versorgungsbetriebe und die Deregulierung der Energiepreise und wandelte sich unter der Leitung von Kenneth Lay zu einem Energiehändler, in den USA und auch international. Es nutzte die komplexen Finanzinstrumente, bekannt als Derivate, die zunehmend im Internet gehandelt werden. Diese Instrumente „leiten sich“ vom zugrundeliegenden Wert einer Aktie, einer Anleihe, eines Devisenbetrags, eines Barrels Öl, einer Stromeinheit oder was auch immer „ab“. Gegen Zahlung einer geringen Einlage geben sie ihrem Besitzer das Recht, die zugrunde liegenden Vermögenswerte zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem bestimmten Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Sie wurden entwickelt, um sich gegen schwankende Preise abzusichern, aber die Derivatemärkte sind selbst zu einer Quelle von Spekulationsrisiken und Volatilität geworden.
In den späten 1990er Jahren begann Enron auch mit Finanzinstrumenten zu handeln, die auf Glasfaserkabelkapazitäten, Zeitungspapier, Werbeflächen und vielem mehr basierten. In Wirklichkeit hatte sich Enron in eine Bank verwandelt, war aber nicht denselben bundesstaatlichen Aufsichts- und Meldevorschriften wie die traditionellen Banken unterworfen. Die Aktivitäten von Enron wurden durch ein im Jahr 2000 verabschiedetes Gesetz, das den Handel mit Energierohstoffen von der staatlichen Regulierung und den Offenlegungsvorschriften ausnahm, enorm erleichtert. Senator Phil Gramm, ein führender texanischer Republikaner, der von Tom DeLay (in Houston als „Mr. Enron“ bekannt) unterstützt wurde, beide Großempfänger von Enron-Wahlkampfspenden, spielte eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung des Gesetzes im Kongress. Zweifellos wurden sie von Grams Ehefrau Wendy gut beraten, die die Einsatztruppe Präsident Reagans zur Entlastung von Regulierung leitete und von 1988 bis 1993 den Vorsitz der US-Bundeskommission zum Handel mit Rohstoff-Futures innehatte. Fünf Wochen nach ihrem Ausscheiden aus dem Staatsdienst wurde sie Mitglied des Enron-Vorstands. Im Jahr 2001 erhielt sie 1,85 Millionen Dollar an Gehalt, Spesen, Aktienoptionen und Dividenden.
Damit Enron schneller wachsen, seine Profite steigern und den Aktienkurs in die Höhe treiben konnte, bildeten die Enron-Boss*innen eine Reihe von Partner*innenschaften zwischen verschiedenen Enron-Direktor*innen und Außenstehenden, die nominell unabhängig waren, aber tatsächlich von Enron-Führungskräften kontrolliert wurden. Diese „Sondereinheiten“, deren Rechtmäßigkeit zweifelhaft war, dienten einer Reihe von Zwecken. Sie waren, was Enron betraf, „nicht bilanzwirksam“ und ermöglichten es, riesige Schulden zu verbergen, die durch schnelle Investitionen entstanden waren. Durch kreative Buchführung ermöglichten sie es Enron, nicht existierende Profite auszuweisen. Sie waren in Steuerparadiesen registriert und ermöglichten so eine fast vollständige Vermeidung von US-Steuern. Sie ermöglichten es den Enron-Bossen, die riesigen Verluste zu verbergen, die sie in den späten 1990er Jahren bei zahlreichen Spekulationsgeschäften gemacht hatten (was im Widerspruch zu ihrem öffentlichen Image stand). Die zwielichtigen Partner*innenschaften, die Namen wie Condor und Raptor trugen, waren für die Enron-Boss*innen auch eine Quelle für zusätzliche Profite. Selbst als das ganze Konstrukt im letzten Jahr implodierte, kassierte Andrew Fastow, der offenbar im Zentrum des Netzes stand, noch einen Bonus von 30 Millionen Dollar von einer dieser Gebilde.
Die wundersame Quelle der Superprofite von Enron war den meisten Anleger*innen nicht klar. Aber warum sich sorgen? Der Börsenmakler Bear Stearns schwärmte im Januar 2001, dass Enron „Wege zum Geldverdienen beschreitet, die noch nie zuvor ausprobiert wurden, und bisher hat es bewiesen, dass sie funktionieren können“. Während die Profite eintrudelten, stellte niemand unangenehme Fragen. Später kommentierte eine Kolumne der „New York Times“, dass Enron „kein großes Unternehmen war, aber seine Führungskräfte sorgten dafür, dass es eine höllisch gute Aktie war“. Das Problem war, dass Enron und seine Satellitengebilde nur auf der Grundlage der hohen Preise für Enron-Aktien, die den Partner*innenschaften als Sicherheit für ihre Kredite dienten, aufrechterhalten werden konnten. Der drastische Rückgang der Aktienkurse nach dem Platzen der Dot.com-Blase und die wachsenden Zweifel der Großinvestor*innen an Enron begannen den Aktienkurs des Unternehmens im Laufe des Jahres 2001 zu drücken. Verzweifelte Versuche, das Unternehmen zu „restrukturieren“ – kreativere Buchführung, unterstützt von großen Wall-Street-Kanzleien und Großbanken – konnten den Zusammenbruch nicht verhindern. Der ganze Schmutz kam im Herbst ans Licht. Enron war gezwungen, seine gefälschten Profite „neu zu erklären“, seine verborgenen Schulden offenzulegen und massive Verluste einzugestehen. Die Boss*innen und ihre Buchhalter*innen, Arthur Andersen, begannen, Dokumente zu schreddern. Lay und Skilling behaupteten, sie seien nicht über die Partner*innenschaften informiert worden; als sie vor einen Ausschuss des Kongresses geladen wurden, machten sie von ihrem Recht auf Schweigen nach dem fünften Verfassungszusatz Gebrauch.
Als sich der Zusammenbruch entwickelte, bat Lay seine Freund*innen in Washington um eine staatliche Rettungsaktion (schließlich hatten Clinton und Greenspan 1998 den insolventen Hedgefonds Long Term Capital Management gerettet?). Bush und seine Kumpel verstanden jedoch, dass ihre lange Verstrickung mit Enron bedeutete, dass eine Rettungsaktion politisch katastrophal wäre. Sie rechneten damit, dass Enron keine so große Gefahr für das Finanzsystem darstellte wie der Zusammenbruch von LTCM. Bush behauptet, seine Weigerung, Enron zu retten, spreche seine Regierung von der Verantwortung frei. „Es gibt keinen rauchenden Colt“, sagt er. Aber es waren die vielen Gefälligkeiten, die sie Enron im Gegenzug für Geld gewährt hatten, die überhaupt erst die Voraussetzungen für den Skandal schufen.
Schmiermittel für den politischen Apparat
Wie konnte Enron so lange ungestraft davonkommen? Im rasanten Spekulationsklima der späten 1990er Jahre galt für große Unternehmen: „es ist alles erlaubt“. Solange die Hausse anhielt und die Profite sprudelten, hatten Anleger*innen, Finanzexpert*innen, Wirtschaftsprüfer*innen und staatliche Aufsichtsbehörden keine Neigung, die Praktiken der Unternehmen zu hinterfragen. Tatsächlich wurden die aufsichtsrechtlichen Anforderungen immer mehr gelockert.
Der Wirtschaftsprüfer von Enron war Arthur Andersen, einer der „Big Five“, die praktisch ein Monopol auf die 500 größten Firmenkund*innen haben. Als Berater*innen halfen sie, Enrons dubiosen Partner*innenschaften zu gründen, als Wirtschaftsprüfer*innen gaben sie ihr Gütesiegel für Enrons betrügerische Konten. Letztes Jahr kassierte Andersen von Enron 27 Mio. $ für Beratungsdienste und 25 Mio. $ für Buchprüfungen. (Es ist unwahrscheinlich, dass die Aktenvernichtung auf der Rechnung aufgeführt wurde.) Wie andere Wirtschaftsprüfungsunternehmen ist Andersen ein großer Spender sowohl für die Republikaner*innen als auch für die Demokrat*innen und hat sich stets gegen jede Verschärfung der Rechnungslegungsstandards ausgesprochen. Als vor zwei Jahren der frühere Leiter der US-Börsenaufsichtsbehörde, Arthur Levitt, vorschlug, die Regeln für Interessenkonflikte zu verschärfen und die Beratungs- und Prüfungsfunktionen zu trennen, sah er sich einer Flut von Lobbyanrufen von zehn oder elf Senator*innen gegenüber. Einige drohten damit, die Mittel für seine Behörde zu kürzen, wenn er nicht davon ablasse. „Ich war noch nie einer intensiveren und käuflicheren Lobbykampagne ausgesetzt“, erinnert er sich. (NYT, 19. Januar) Wie andere Wirtschaftsprüfer*innen verdoppelte auch Andersen damals sein Lobbying-Budget (auf 1,6 Mio. $). Die Vorschläge von Levitt wurden nicht umgesetzt. Während der letzten Präsidentschaftswahlen war Andersen mit 146.000 Dollar der fünftgrößte Spender für Bushs Wahlkampf. Der neue Leiter der Börsenaufsichtsbehörde, Harvey Pitt, ist ein Wirtschaftsanwalt, der alle der großen Fünf schon einmal vertreten hat. Unnötig zu sagen, dass er gegen jede weitere Regulierung von Wirtschaftsprüfer*innen ist.
Das Schmieren der Räder der politischen Maschinerie war ein wesentlicher Bestandteil von Enrons Erfolg. Enron begann in seiner Heimatbasis Texas und schloss eine enge Allianz mit dem rechten texanischen Zweig der Republikaner*innen. Enron unterstützte großzügig Rick Perry, der Bush als Gouverneur von Texas ablöste und Max Yzaguirre, den ehemaligen Leiter von Enron Mexiko, kurzerhand zum Chef des texanischen Programms zur Deregulierung der Elektrizität ernannte. In Washington DC hat praktisch jeder, der etwas ist, ob Republikaner*in oder Demokrat*in, Geld von Enron erhalten. In den letzten zwölf Jahren hat Enron 5,8 Mio. Dollar (4 Mio. £) für Bundeswahlen ausgegeben, 73% davon gingen an die Republikaner*innen. Es unterstützte 71 von 100 Senator*innen und 188 von 435 Mitgliedern des Repräsentant*innenhauses. Bush selbst erhielt 826.000 Dollar, wobei er seinen Enron-Paten bis vor kurzem noch jovial als „Kenny Boy“ bezeichnete. Mindestens dreißig hochrangige Beamt*innen und Botschafter*innen der Bush-Regierung besaßen Enron-Aktien, als sie im letzten Jahr in sie eintraten und sich gemäß den Regeln für Interessenkonflikte der Regierung zu einem Preis von 60-70 Dollar pro Aktie von ihnen trennten. Thomas White, ein ehemaliger Armeegeneral, der bei Enron beschäftigt war, besaß bei seiner Ernennung zum Heeresstaatssekretär Aktien im Wert von 50 Millionen Dollar. Unter anderem hat er die Treibstoffversorgung der Armee privatisiert.
Bargeldschmierung brachte immer Ergebnisse. Durch Vizepräsident Dick Cheney (ein texanischer Ölmann, der lange von Enron unterstützt wurde) und seinen Einfluss im Energie- und Handelsausschuss des Repräsentant*innenhauses (53 von 58 Mitgliedern wurden von Enron finanziert) hatte Enron großen Einfluss auf Bushs Energiepolitik. Die Enron-Boss*innen waren zweifellos erfreut über Bushs Widerstand gegen den Umweltschutz (wie gegen das Verbot von Öl-/Gasbohrungen in der Wildnis Alaskas) und die Weigerung der USA, das Kyoto-Abkommen über die globale Erwärmung zu unterzeichnen. Wäre Bushs so genanntes „Konjunkturprogramm“ nicht im Kongress blockiert worden, hätte Enron über 500 Millionen Dollar an Steuervergünstigungen erhalten. Kürzlich versuchten Bush-Beamt*innen, Enron aus einem Vertrag über den Bau eines 3-Milliarden-Dollar-Kraftwerks in Indien herauszuhelfen, den Clinton zuvor gegen eine Wahlkampfspende mit gesichert hatte. Als Enron kurz vor dem Zusammenbruch stand, appellierte Clintons ehemaliger Finanzminister Robert Rubin an Regierungsbeamt*innen, das Unternehmen zu retten. Rubin war über seinen früheren Arbeitgeber Goldman Sachs mit Enron verbunden, und seine jetzige Firma, Citigroup, ist eine der größten Gläubiger*innen von Enron. Für Enron waren die beiden Parteien der Großunternehmen schon immer wie ein Paar manipulierter Spielautomaten, die jedes Mal auszahlen, wobei die Republikaner*innen die größeren Profite geben.
Die zunehmende öffentliche Empörung über die Korruption der Politik durch die Großunternehmen könnte nun dazu führen, dass der Shays-Meehan-Gesetzentwurf zur Wahlkampffinanzierung vom Repräsentant*innenhaus verabschiedet wird. Wie das McCain-Feingold-Gesetz, das letztes Jahr vom Senat verabschiedet wurde, würde die Maßnahme Spenden von so genanntem „weichem Geld“ an Parteien (500 Mio. $ im Wahlzyklus 1999) verbieten, obwohl die derzeitige Obergrenze von 1.000 $ pro Spender*innen für „hartes Geld“ an einzelne Kandidat*innen (die sich bei den letzten Wahlen auf 380 Mio. $ beliefen) verdoppelt wird. Selbst Bush sah sich gezwungen, die Maßnahme gegen die Opposition führender Republikaner*innen im Kongress zu unterstützen. Sollte die Maßnahme jedoch verabschiedet werden, wird sie wahrscheinlich nur eine begrenzte, hauptsächlich kosmetische Wirkung haben. Wie bei früheren Reformen wird es nicht lange dauern, bis Anwält*innen und Buchhalter*innen neue Wege finden, wie das Großkapital seine politischen Handlanger finanzieren kann.
Symptom eines kranken Systems
Ernsthafte bürgerliche Strateg*innen erkennen, dass Enron nicht nur ein Konzernkrach ist, sondern eine Krise des Systems darstellt. In einer seiner regelmäßigen Kolumnen in der „New York Times“ schrieb der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman (der selbst erklären musste, dass er einer der vielen Akademiker*innen und Journalist*innen war, die auf der Gehaltsliste von Enron standen): „Das Enron-Debakel ist nicht nur die Geschichte eines Unternehmens, das gescheitert ist: Es ist die Geschichte eines Systems, das gescheitert ist“. Mit „System“ meint er jedoch den politisch-rechtlichen Rahmen – den institutionellen Überbau – und nicht das kapitalistische System selbst, das er nicht grundsätzlich in Frage stellt. „Schlüsselinstitutionen, die unser Wirtschaftssystem stützen, sind korrumpiert worden“, schreibt Krugman. Wie andere Strateg*innen hält er Reformen für dringend erforderlich, um einer politischen Reaktion gegen das System zuvorzukommen, spekulative Exzesse einzudämmen und (so hofft er) sicherzustellen, dass der Markt effizienter funktioniert.
Dies ist eine äußerst oberflächliche Analyse. Es stimmt, dass alle fortgeschrittenen kapitalistischen Länder heute von finanzieller Korruption und politischem Filz befallen sind. Dies ist jedoch kein oberflächliches, institutionelles Problem, sondern ergibt sich aus den Prozessen, die innerhalb der kapitalistischen Wirtschaft ablaufen. Das Enron-Syndrom, das immer ansteckender werden wird, steht im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Phase des internationalen Kapitalismus, der vom gierigen, parasitären Finanzkapital beherrscht wird. Die Dynamik der Wirtschaft wird zunehmend nicht mehr von der Produktion materieller Güter und der Erbringung nützlicher Dienstleistungen bestimmt, sondern vom Umrühren von Geld, um mehr Geld zu verdienen. Alles tendiert dazu, in eine Ware verwandelt zu werden, wobei „Ware“ ein Finanzinstrument bedeutet, das eine Stromeinheit, eine noch zu produzierende Nahrungspflanze, ein noch zu bauendes Bürogebäude, ein zukünftiges Währungsgeschäft, eine Schuld oder was auch immer repräsentiert – ein „Vermögenswert“, der auf den Finanzmärkten gehandelt werden kann (zunehmend eine elektronische Transaktion im Internet).
Enron ist ein Beispiel für das führende „Geschäftsmodell“ der 1980er und 1990er Jahre, der Zeit der Reaktion des ultra-freien Marktes, als die gesellschaftlichen Beschränkungen für das Funktionieren des kapitalistischen Marktes immer weiter abgebaut wurden. Was hat Enron denn nun eigentlich produziert? Vom Standpunkt der Bedürfnisse der Bevölkerung aus betrachtet, diente Enron keinem nützlichen Zweck. Seine spekulativen Aktivitäten trieben die Strom- und Gaspreise für die privaten Verbraucher*innen in die Höhe (wie die Energiekrise in Kalifornien im vergangenen Jahr zeigte). Die Geschäftsphilosophie von Enron-Chef Jeffrey Skilling war (wie das „Wall Street Journal“ berichtet), dass „ein Unternehmen nicht viele Sachwerte braucht, um zu gedeihen“. Er betonte, dass man sich des „großen Eisens“, der Anlagen und Maschinen, entledigen müsse, da diese „Barmittel binden, die im Handel profitbringender eingesetzt werden könnten“. Enron wies früher 60 Mrd. $ an „Vermögenswerten“ aus, aber es wird geschätzt, dass es jetzt nur noch etwa 10-15 Mrd. $ an Gebäuden, Anlagen und Ausrüstung gibt.
Obwohl Enron eine Neugründung war, wurden seine Chefs keineswegs als rücksichtslose Emporkömmlinge behandelt. Die texanischen Innovator*innen wurden von den etablierten Wall-Street-Banken, Wirtschaftsprüfer*innen und Anwält*innen unterstützt, die Hunderte von Millionen Dollar an Gebühren kassierten. „Ohne das finanzielle Schmiergeld der Wall Street“, gab das „Wall Street Journal“ zu, ‚wäre Enron nicht zum größten Energiehändler und siebtgrößten Unternehmen der Nation herangewachsen‘. Mit anderen Worten: Enron war das Produkt des US-Kapitalismus der 90er Jahre, einer rücksichtslosen, aggressiven Phase, die den Höhepunkt von Prozessen darstellt, die sich nach dem Ende des langen Nachkriegsaufschwungs im Jahr 1973 entwickelten und durch den Zusammenbruch der stalinistischen Staaten nach 1989 noch verstärkt wurden. In ihrem Bestreben, ihre Profitabilität wiederherzustellen, gab die Kapitalist*innenklasse ihre Unterstützung für die Sozialfürsorge (die in den USA ohnehin begrenzt war) auf und versuchte, sich die Verbesserungen des Lebensstandards und der Rechte, die der Arbeiter*innenklasse zuvor zugestanden worden waren, zurückzuholen. Der ungeheure Reichtum der Enron-Boss*innen spiegelt die tiefe Kluft der Ungleichheit wider, die durch die neoliberale Politik in der Gesellschaft entstanden ist. Die Korruption der Politiker*innen durch Enron ist nur ein extremes Beispiel für die allgemeine Korruption der Politiker*innen und des Staatsapparats durch die Großkonzerne.
Eine tiefgreifende Gegenreaktion gegen das System
„Sperrt sie ein. Alle Enron- und Arthur-Andersen-Chefs und noch einige mehr“, forderte der National-Review-Kolumnist Larry Kudlow, der selbst zugab, 50.000 Dollar Beratungshonorar von Enron erhalten zu haben. „Warum? Um das System der Unternehmensführung zu retten…“ Inzwischen gibt es mehr als ein Dutzend Kongressausschüsse, die den Enron-Zusammenbruch untersuchen. Bundesstaatsanwälte bereiten Anklagen gegen einige der Hauptschuldigen vor. Aber wenn sowohl Republikaner*innen als auch Demokrat*innen bis zum Hals in Enrons schmutzigem Geld stecken und ein ganzes Spektrum von Regierungsbeamt*innen und Journalist*innen von Enrons Großzügigkeit profitiert hat, ist es schwer zu glauben, dass sie alles aufdecken und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen werden. Zweifelsohne werden sie sich auf eine Handvoll Personen stürzen, die im Zentrum der Verschwörung stehen, und sie als Sündenböcke benutzen, deren Gerichtsverfahren und Bestrafung das System erlösen wird.
Die Verantwortlichen der Großkonzerne fürchten eindeutig die wirtschaftlichen Auswirkungen von Enron. Hunderte von größeren Unternehmen geben jetzt ihre Profite „neu an“ und korrigieren ihre zuvor aufgeblähten Bilanzen nach unten. Dies hat sich bereits negativ auf den Aktienmarkt und die Investitionen ausgewirkt. Aber noch mehr fürchten sie die unvermeidliche politische Gegenreaktion, nicht nur den Rückstoß der Wähler*innen gegen politische Korruption und finanzielle Schikanen, sondern eine viel tiefer gehende soziale Reaktion gegen die kapitalistische Gier und die Brutalität der ungezügelten Marktkräfte. Die „New York Times“ kommentierte (13. Februar) die Stimmung der führenden politischen Vertreter*innen: „Das vielleicht Schlimmste von allem, so sagten einige Senatoren, sei, dass das Enron-Debakel das Vertrauen des amerikanischen Volkes und der Menschen in der ganzen Welt in das kapitalistische System und die Investitionen, die es antreiben, untergraben könnte. ,Die Wut ist hier spürbar‘, sagte Senator John Kerry, ein Demokrat aus Massachusetts. ,Leben sind ruiniert worden, viele Leben’“.
Eine ordentliche Untersuchung würde die Entlarvung der Rolle der großen Banken und Finanzhäuser, der Unternehmensanwält*innen und Buchhalter*innen, der US-Regierung und ihrer Aufsichtsbehörden bedeuten – und der Wirtschaftspresse, die es auffällig versäumt hat, über die Realität hinter der Finanzblase zu berichten. Eine echte Anklageschrift würde das gesamte Establishment der Wall Street und von Washington DC, die gesamte Führung der Kapitalist*innenklasse umfassen. Die Einzelheiten der Anklage würden in der Tat eine systematische Untersuchung der letzten Periode des Kapitalismus des ultrafreien Marktes darstellen. Es ist klar, dass weder der Kongress noch das US-Justiz-Establishment ein solches Verfahren einleiten werden. Es ist symptomatisch, dass der ranghöchste Jurist der Regierung, Generalstaatsanwalt John Ashcroft, sich von den Ermittlungen „zurückziehen“ musste, weil sein Wahlkampf viel Geld von Enron erhalten hat. Tatsächlich hat Enron diesen obskuren juristischen Begriff, der Richter*innen oder Beamt*innen bezeichnet, die wegen des Verdachts der Befangenheit zurücktreten, in den allgemeinen Sprachgebrauch eingeführt. Nachdem Enron die Entscheidungsfindung in den Bereichen Steuersenkungen, Energiepolitik und Finanzregulierung beeinträchtigt hat, schrieb die „New York Times“ (22. Januar) in ihrem Kommentar zum großen Rücktritt, „drohen die enormen Beiträge von Enron nun, die Ermittlungen in einem der größten Skandale der amerikanischen Geschichte zu behindern“.
Volle Ermittlungen und angemessene Anklagen erfordern eine wirklich unabhängige Untersuchungskommission, die sich aus gewählten Vertreter*innen von Gewerkschaften, Community- und Kampagneorganisationen zusammensetzt – mit anderen Worten, ein Tribunal, dessen Mitglieder keinen Anteil an dem faulen System haben, das den Enron-Skandal ausgelöst hat. Nach dem Enron-Skandal stünde der US-Kapitalismus vor einer unmittelbaren, tiefen politischen Krise – wenn es eine Partei gäbe, die die arbeitenden Menschen vertritt. Eine solche Partei würde die wahre Bedeutung des Skandals deutlich machen und nicht nur einige wenige Sündenböcke aus dem Konzernbereich herausgreifen, sondern das gesamte verrottete System anklagen. Auf dieser Grundlage könnte eine radikale, antikapitalistische Massenpartei eine massive Unterstützung für eine sozialistische Alternative aufbauen. In Ermangelung einer politischen Vertretung der arbeitenden Bevölkerung wird es länger dauern, bis alle Fakten über den Enron-Skandal und seine volle Bedeutung von breiten Schichten in den USA und international aufgenommen werden. Nichtsdestotrotz werden sich Wut und Abscheu über die Gier und Korruption der Großkonzerne mit dem Bekanntwerden der Details vertiefen, und eine tief empfundene Reaktion auf die Verkommenheit des Systems wird sich in den kommenden Tagen tiefgreifend auf das politische Bewusstsein auswirken.
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