Leo Trotzki: Brief an Jan Frankel

[12. April 1933, eigene Rückübersetzung des englischen Textes, „Die Aufgaben des kommenden Plenums“]

Lieber Freund,

endlich ist ein Brief von Ihnen gekommen (datiert vom 6. April). Man hat uns gesagt, Sie seien krank. Malaria? Wie steht es nun um Ihre Gesundheit? Sie sagen nichts über sich persönlich.

Vorgestern ist Otto mit den letzten Unterlagen für den Prager Kongress [gegen den Faschismus] nach Prag gefahren. Gestern erhielt ich einen Brief von Skandera mit der Nachricht, dass der Kongress verschoben wurde und an einen anderen Ort verlegt wird. Heute kam ein Telegramm von Ray[mond Molinier], Paris ist immer mindestens drei Tage zu spät. Vor etwa acht oder zehn Tagen kam ein Brief von Witte, in dem er mitteilte, dass er die Frage des Kongresses auf dem nächsten Plenum zur Diskussion stellen wolle. Wir waren umso erstaunter über diese Verzögerung, als wir alle hier Tag und Nacht mit dem Verfassen, Übersetzen, Versenden usw. der Dokumente für den Kongress beschäftigt waren.

Was die Arbeit für das kommende Plenum betrifft, so kann ich dem, was ich in letzter Zeit geschrieben habe, nichts hinzufügen: (a) eine Erklärung allgemeinen Charakters für den Kongress; (b) eine Erklärung zur Gewerkschaftsfrage; (c) eine Erklärung zur Jugendbewegung; (d) mehrere kleinere Resolutionen; (e) einen Brief über die „neue Partei“; (f) einen Artikel über das gleiche Thema; und (g) einen Artikel über Österreich, ganz zu schweigen von früheren Artikeln („Die Tragödie des deutschen Proletariats“, „Alarmsignal!“ usw.). Ich sollte auch den Artikel „Wir brauchen einen ehrlichen innerparteilichen Vertrag“ hinzufügen, der den Unterschied zwischen unserer Haltung gegenüber der KPdSU und der deutschen KP stark hervorhebt. Für Deutschland sagen wir: Die Kommunistische Partei ist tot. Aber für die UdSSR schlagen wir ein Abkommen mit dem obersten Kreis der Partei vor. Das ist die Lage im gegenwärtigen Moment!

Ich denke, dass all dieses Material als Material für die aktuellen Aufgaben des Plenums völlig ausreichend ist. Die notwendigen Thesen und Resolutionen sollten in Paris auf der Grundlage dieses Materials ausgearbeitet werden. Zu manchen Fragen kann man die Resolutionen oder Formulierungen einfach so nehmen, wie sie vorliegen. Ich persönlich kann jedenfalls nichts mehr beisteuern, weil ich mich endlich um meine persönlichen Angelegenheiten kümmern muss, die in einen ziemlich schweren Zustand geraten sind (nicht nur die wirtschaftliche Depression, sondern auch die faschistische Reaktion macht sich in der ganzen Welt bemerkbar: Es ist mir nicht gelungen, „Über Lenins Testament“ irgendwo unterzubringen).

Der Plan, Erwin [Ackerknecht] aus dem Land zu holen, ist zweifellos richtig. Im organisatorischen Bereich ist Erwin unvergleichlich weniger wertvoll als in der literarischen Arbeit. Ich unterstütze Ihre Initiative von ganzem Herzen. Zuerst hatte ich daran gedacht, Erwin zu bitten, nur für einen Monat herauszukommen, um sich zu sammeln und seine Spuren zu verwischen. Aber ich halte den Plan, ihn für eine längere Zeit umziehen zu lassen, für richtiger, d.h. ich unterstütze Ihren Plan.*

Ich halte es für absolut falsch, Geld von außen nach Deutschland zu schicken. Mit solch kleinen Beträgen kann man nichts erreichen; man sollte versuchen, dort selbst Mittel zu beschaffen. Das Geld, das im Ausland gesammelt wird, sollte vollständig für eine Zeitung verwendet werden, damit sie mit acht Seiten oder zumindest regelmäßig mit sechs Seiten erscheint. Das ist jetzt die zentrale Frage. Eine Zeitung wird jetzt nicht nur der politische Führer, sondern auch der Organisator der linken Opposition in Deutschland. Die Rolle einer Emigrantenzeitung ist absolut einzigartig: Es wäre jetzt an der Zeit, Lenins „Was tun?“ nachzulesen – wo er genau über eine Emigrantenzeitung unter den Bedingungen der illegalen Arbeit innerhalb eines Landes spricht.

Das Sekretariat sollte alle Dokumente, die wir für den Prager Kongress vorbereitet haben, durchsehen, um sie mit den einen oder anderen Korrekturen offiziell zu genehmigen. Dann können die Dokumente – nicht mehr nur als Entwürfe – in unserer internationalen Presse, auch im russischen Bjulleten, veröffentlicht werden.

Zur spanische Frage ist das Wichtigste, keine Spaltung zu erzwingen. Die Nin-Clique wird kaum die Initiative zu einer Spaltung auf sich nehmen – das wäre zu nachteilig für sie. Ihre Hoffnung wird sein, ihre „Unabhängigkeit“ (kleinbürgerliche Inkompetenz) durch Sabotage zu erhalten. Wir haben keinen Grund zur Eile. Jeder Monat, der vergeht, wird dazu beitragen, die Nin-Clique zu zerschlagen und den Einfluss des Sekretariats in Spanien zu stärken.

Ich mache Sie auf zwei spanische Genossen in Madrid aufmerksam, Arlen und M. Vela. Ich habe zwei hitzige Briefe von ihnen erhalten, in denen sie sich gegen die Losung für eine neue Partei in Deutschland aussprechen. Ihre Position ist in dieser Frage falsch, aber aus ihren Briefen geht hervor, dass es sich um ernsthafte Genossen handelt, die aufrichtig an internationalen Fragen interessiert sind und sich über das doppelzüngige Verhalten Nins und die wilden Possen Lacroix‘ empören. Ich schreibe diesen Genossen heute erneut, um sie davon abzuhalten, sich auf die Seite der Stalinisten zu schlagen. Wenn es mir gelingt, ihnen etwas beizubringen, indem ich ihre interne Position in Spanien (gegen Nin) mit unserer Position zu Deutschland und der UdSSR verbinde, wären diese beiden Genossen sehr wertvoll, weil sie sich ernsthafter für die Opposition engagieren als Lacroix, der benutzt werden kann und muss, durch den aber nichts aufgebaut werden kann. Die Entsendung von Abgesandten nach Spanien ist wegen der unzureichenden Mittel keine gute Idee, aber es ist notwendig, engere Beziehungen zu den beiden oben genannten Genossen herzustellen und sie zu ermutigen, sich aktiver gegen Nin zu stellen und mit Lacroix einen Block zu bilden. Eine solche Position wird durch die gesamte Situation diktiert. Das Plenum sollte auf keinen Fall einen endgültigen Beschluss fassen, der eine Spaltung bedeutet. Es reicht völlig aus, wenn das Plenum einen Beschluss der folgenden Art fasst:

Alle Bemühungen um eine Einigung mit der Nin-Gruppe, die jetzt die Führung innehat, sind wegen der unterschiedlichen Auffassungen gescheitert; es bleibt kein anderer Weg, als an alle Mitglieder der spanischen Sektion zu appellieren, alle Dokumente usw. usw. zu studieren und sicherzustellen, dass die spanische Sektion auf der Grundlage der Prinzipien der Internationalen Linksopposition geführt wird. Eine abwartende Haltung in organisatorischer Hinsicht, kombiniert mit einer politischen Offensive – das scheint mir die richtige Formel in Bezug auf Spanien zu sein.

Zur amerikanischen Frage. Sie schreiben von einem Plan, einen Vertreter der Minderheit aus Amerika einzuladen. Das ist wegen der Kürze der Zeit und des Mangels an Mitteln kaum praktikabel. Swabeck kann nicht auf Geld für seine Rückreise warten; wir sind auch hier in der Klemme, wie Sie wissen. Die Einberufung eines neuen Genossen aus Amerika wäre eine völlig untragbare Belastung für die Opposition, und der politische Nutzen wäre minimal. Zum Inhalt der amerikanischen Frage habe ich in meinen früheren Briefen alles gesagt, was ich zu sagen habe. Die entscheidende Frage ist das neue Zentralkomitee. Meiner Meinung nach ist ein neues Komitee erforderlich, das nicht aus neun, sondern aus fünfzehn Mitgliedern besteht, darunter fünf „fraktionslose“ Mitglieder, die sich für die Wahrung der Einheit einsetzen (der Name des griechischen Genossen Pappas wird als „fraktionslos“ erwähnt usw.).

Dass die Idee eines antifaschistischen Kongresses in den Reihen der Stalinisten nicht mit Begeisterung aufgenommen wurde, ist durchaus verständlich. Sie sind auf dem Rückzug und wissen nicht, was sie tun oder sagen sollen. Aber gerade aus diesem Grund sollten wir den Kongress so breit wie möglich nutzen und möglichst viele deutsche Emigranten, die unseren Ansichten nahe stehen, zur Teilnahme am Kongress drängen. Wir sollten den Kongress in eine Plattform für unsere Ideen verwandeln. Alle Dokumente sind ausgearbeitet, unsere Delegation wird gut bewaffnet sein. Unsere Position ist unanfechtbar; unsere Delegierten müssen diese Position nur von dieser internationalen Plattform aus entschlossen verkünden. Alle Dokumente sollen nach der Genehmigung durch das Sekretariat in drei oder vier Sprachen gedruckt werden. Wenn es uns nicht gelingt, diese Dokumente, insbesondere die Resolutionsentwürfe, vorzulesen, können sie immer noch in gedruckter Form verteilt werden.

Maslow und Ruth Fischer sollten bald in Paris sein (falls sie nicht schon angekommen sind). Kürzlich waren sie in Prag und bereiteten sich auf die Reise nach Paris vor. Maslow hat sich mit uns solidarisch erklärt, aber es scheint, dass er sich darauf vorbereitet, nichts zu tun, wie bisher. Es wäre eine sehr gute Sache, ihn und auch andere Emigranten auszuhorchen. Diese Arbeit sollte sehr ernst genommen werden.

Bitte schreiben Sie ausführlicher über sich persönlich.

Mit wärmsten Grüßen.

Ihr,

L. Trotzki

N. I. [Sedova] sendet Ihnen ihre herzlichsten Grüße.

P.S. In der Tschechoslowakei zeigt Skandera große Energie und Genauigkeit in seiner Arbeit. Auch Neurath tut anscheinend alles, was er unter den gegebenen Umständen tun kann. Von Friedmann hört man wenig.

* Da es Erwin schwer fallen wird, seinen gefährlichen Posten zu verlassen – wegen seiner Genossen – ist ein direkter Befehl des IS notwendig, der ihn zum Umzug zwingt.


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