Leo Trotzki: Brief an Jan Frankel

[3. April 1933, eigene Rückübersetzung des englischen Textes, „Wir müssen eine Diskussion über Deutschland führen“]

Lieber Freund,

ich habe soeben Ihren Brief über den Hamburger Kandidaten und einen Brief Stois erhalten. Ich werde Ihnen morgen oder übermorgen über den Hamburger schreiben. Im Moment möchte ich über einige politische Fragen schreiben.

1. Aus Stois Brief geht hervor, dass das Sekretariat keine Diskussion über die Frage der „alten oder neuen Partei in Deutschland“ eröffnen will. Das halte ich für völlig unrichtig. Unsere offizielle Position zu dieser Frage wurde von der Vorkonferenz formuliert: eine Fraktion, aber keine Partei. Die deutsche Konferenz brachte den gleichen Geist zum Ausdruck. Wir (d.h. das Sekretariat und ich) schlagen vor, die offizielle Position der Internationalen Linken zu ändern. Wenn die gegenwärtige Lage eine offene Diskussion nicht zulässt, dann sollte die Veröffentlichung meines Artikels verboten werden, denn mein Artikel selbst würde eine Diskussion eröffnen. Wie kann man die Äußerung von Dingen verbieten, die die offizielle Position verteidigen, nachdem man bereits denjenigen das Wort erteilt hat, die die offizielle Position der Kritik unterziehen? Hier liegt eine klare Inkonsequenz vor. Die deutschen Genossen, die das vitalste Interesse an dieser Frage haben, werden sich mit vollem Recht über diesen Bürokratismus empören. Das Sekretariat selbst muss in Fragen des formalen Rechts ein Höchstmaß an Vorsicht und Loyalität an den Tag legen. Hier ist das formale Recht jedoch ganz auf der Seite der Gegner unseres Standpunktes.

Welche politischen Motive verhindern die Eröffnung der Diskussion? Ich kann sie nicht sehen. Auf der anderen Seite erfordert jede Lage eine Diskussion in unseren Reihen. Unsere alte Position ist allen bekannt. Woher kommt die neue Position? Par ordre de Mufti? Nur das EKKI handelt so. Wenn wir in den Augen aller offen sind und die Frage in einem kameradschaftlichen Ton diskutieren, kann unsere Autorität als Organisation nur wachsen, unsere eigenen Kader werden gefestigt, und unser internes Regime wird eine große Stabilität erhalten. Wenn wir uns in einem direkten Kampf befinden, ist es vielleicht noch möglich, einen Einwand gegen die Diskussion zu erheben. Aber es ist klar, dass wir in eine Periode von langsamen Vorbereitungsaufgaben eintreten. Es ist am besten, eine solche Periode mit einer ernsthaften Diskussion zu beginnen und die Ergebnisse der vorangegangenen Periode zu prüfen.

Das oben Gesagte bedeutet natürlich keineswegs, dass ich die Absicht habe, im Wesen der Frage einen Kompromiss einzugehen. Nein, nicht im Geringsten. Stois Brief bestätigt in aller Ausführlichkeit und detailliert die Notwendigkeit einer grundlegenden Wende in unseren Beziehungen zur offiziellen Partei. Wenn wir jetzt nicht eine entscheidende Wende vollziehen, werden wir uns selbst zerstören. Aber diese Wende sollte streng demokratisch erfolgen. Das ist mein Standpunkt.

Ich bestehe darauf, dass das Sekretariat selbst die Genossen auffordert, eine Diskussion zu eröffnen, wie es in Deutschland geschehen ist, nur auf internationaler Ebene. Das wird die Lage sofort verbessern, und sonst sind Proteste gegen das Sekretariat absolut unvermeidlich. In einem solchen Fall müsste ich mich öffentlich erklären, d.h. dem Sekretariat offen widersprechen. Eine Katastrophe würde daraus natürlich nicht folgen, aber es ist am besten, es möglichst zu vermeiden.

2. Neulich habe ich dem Sekretariat einen ziemlich scharf formulierten Brief wegen extremer Nachlässigkeit beim Tippen geschrieben. Ich hoffe, dass Blasco und Witte den Brief so auffassen, wie er geschrieben wurde, d.h. als Protest dagegen, dass ihre eigene Ungenauigkeit unsere Isolation in Prinkipo noch vergrößert, und ich hoffe, dass der Brief unsere freundschaftlichen Beziehungen nicht verschlechtern wird.

3. Die Frage von „Unser Wort“ sollte so bald wie möglich entschieden werden. Gestern ist ein Brief Helds eingetroffen. Er beklagt sich, dass es keine einzige Nachricht aus Berlin gebe und dass er eine ganze Ausgabe aus meinen Artikeln zusammenstellen musste. Das geht natürlich nicht. Zunächst einmal sollte man das Blatt mit guten politischen Korrespondenten, breiten Informationen und Enthüllungen vor Ort versorgen. Jetzt, wo in Deutschland selbst die Pressefreiheit ein für allemal unterdrückt wurde, kann eine Emigrantenzeitung großen Erfolg haben, und sei es nur durch viele Enthüllungen (über Verfolgungen und alle Arten von Schandtaten).

4. Es ist äußerst wichtig, Kontakt mit der SAP aufrechtzuerhalten. Vielleicht ist es jetzt schon möglich, mit ihnen eine theoretische Zeitschrift zusammenzustellen. Dies wäre für die zukünftigen Beziehungen äußerst wichtig. Das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Im Moment befinden sich alle Beziehungen noch in einem informellen Stadium. In ein oder zwei Monaten wird sich vieles herauskristallisieren und die Emigrantengruppierungen werden an Fahrt gewinnen. Deshalb ist es jetzt besonders wichtig, eine Einigung mit der SAP zu erzielen.

5. Erneut kommt der antifaschistische Kongress in den Sinn. Ich befürchte, dass das Sekretariat viel Zeit hat verstreichen lassen. Wenn der Kongress wirklich in Kopenhagen stattfinden soll, dann wäre es notwendig, den Genossen Swabeck rechtzeitig dorthin zu schicken. Er könnte dort die notwendigen Kontakte knüpfen und vielleicht auch einige Mandate an die Dänen vor Ort übermitteln: das wäre ökonomisch.

Mit besten Grüßen,

Ihr,

L.T.


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