[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 20. Jahrgang, Nr. 8, 17. Januar 1910, S. 113-115]
Zu dem Aufschwung, den die proletarische Frauenbewegung in Deutschland genommen hat, haben die Frauenkonferenzen unstreitig beträchtlich beigetragen. Sie forderten die theoretische Erkenntnis der Genossinnen, gaben ihrer Betätigung auf den verschiedensten Gebieten grundsätzliche Richtlinien, Ziele und praktische Anregungen und spornten ihren Eifer und ihr Vertrauen an, geistig selbständig und doch in engem Zusammenhang mit der allgemeinen klassenbewussten Arbeiterbewegung zu Rat und Tat über Fragen zu kommen, welche die Interessen der proletarischen Frauenwelt besonders berühren. Sie brachten die tätigen Sozialdemokratinnen aus dem ganzen Reiche einander sachlich und persönlich näher, erhöhten dadurch die ideellen Antriebe, die für die Einzelnen aus dem Bewusstsein ihrer Solidarität mit anderen in dem einen großen Ziele emporwachsen, und steigerten so den Zusammenhalt, die Kraft, die Tüchtigkeit der Bewegung, die sie trugen. Weit über die Schar der organisierten Genossinnen hinaus übten sie Einfluss auf proletarische Frauen aus: sie rüttelten sie auf und gaben ihnen den Anstoß, Belehrung zu suchen und arbeitend, kämpfend sich dem Heere des befreiungssehnsüchtigen Proletariats zuzugesellen. So haben die Frauenkonferenzen den einzelnen Genossinnen wie der gesamten sozialdemokratischen Frauenbewegung Gewinn gebracht. Das aber nicht etwa auf Kosten der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften, im Gegenteil zu ihrem Vorteil. Der Brennpunkt, in dem alle Bestrebungen der Konferenzen zusammenliefen, war ja der Zweck, die sozialdemokratische Frauenbewegung zu rüsten, ihre Aufgaben im Emanzipationskampf des Proletariats immer erfolgreicher zu erfüllen So offensichtlich haben diese Tagungen ihre Bedeutung, ihre Nützlichkeit erwiesen, dass bei der Neuorganisation der Partei ihr ferneres Stattfinden als selbstverständlich erklärt wurde.
Bis jetzt sind die Frauenkonferenzen alle zwei Jahre zusammengetreten. Wird der alte Modus beibehalten, so wäre für dieses Jahr eine Frauenkonferenz nach Magdeburg einzuberufen, da die letzte dem Nürnberger Parteitag vorausgegangen ist. Die Partei und mit ihr in erster Linie die Genossinnen stehen daher vor der Frage: Soll in diesem Jahre eine Frauenkonferenz tagen? Unseres Dafürhaltens ist diese Frage nicht schematisch nach der seitherigen Gepflogenheit zu beantworten, sondern lediglich auf Grund einer Prüfung der Verhältnisse. Bejahung oder Verneinung hangt davon ab, ob diese das praktische Bedürfnis nach einer besonderen Tagung der Genossinnen erweisen oder nicht. Wir stehen nicht an, unter diesem Gesichtswinkel das Stattfinden einer Frauenkonferenz nachdrücklich zu befürworten.
Gewiss: die Neuorganisation der Partei hat einen Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die Genossinnen weitesten Spielraum haben für ihre Aufklärungs- und Organisierungsarbeit unter den Frauenmassen des Proletariats, für ihr Streben nach Erweiterung und Vertiefung ihrer eigenen sozialistischen Schulung. Gewiss: die verschiedenen Instanzen und Einrichtungen der Partei lassen es an Anregungen und Direktiven für das Wirken der Genossinnen nicht fehlen; sie tun ihr möglichstes, um in den verschiedensten Richtungen auch den spezifischen Fraueninteressen gerecht zu werden. Die steigende Zahl weiblicher Parteimitglieder und die zunehmende Beteiligung der Genossinnen an Arbeit und Kampf der Sozialdemokratie erweisen den Ernst und den Erfolg dessen, was in dieser Beziehung geschieht. Aber gerade der Erfolg der einschlägigen Bestrebungen ist einer der Umstände, die zu der Einberufung einer Frauenkonferenz in diesem Jahre drangen. In der Tat: mit der zunehmenden Zahl und Schulung der Genossinnen steigt ihre Verpflichtung nach allen Seiten. Nach Umfang und Wert müssen ihre Leistungen bedeutender werden. Erhöhte Beteiligung an dem inneren Leben, an allen Aktionen der Partei! Regeres, planmäßigeres Wirken, um die Massen des weiblichen Proletariats zu erwecken, der politischen und gewerkschaftlichen Organisation, dem Klassenkampf zuzuführen! Energischste Vertretung der proletarischen und weiblichen Interessen dieser Massen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens! Das sind Losungen, die den Genossinnen um so stärker, zwingender erklingen, je kraftvoller sich die sozialistische Frauenbewegung entwickelt. Damit werden dieser aber so mancherlei verantwortungsreiche Aufgaben zugewiesen, das es ausgeschlossen erscheint, sie mit der erforderlichen Gründlichkeit im Rahmen des Parteitags zu erörtern. Man vergesse nicht, wie überlastet dessen Tagesordnung jedes Jahr ist – ganz gleich, welche Einzelfragen sich jeweilig für die Partei in den Vordergrund schieben –, weil das von der Entwicklung der Frauenbewegung Gesagte erst recht von der Sozialdemokratie gilt: ihr kraftvoll blühendes Sein erweitert und vertieft ihre Aufgaben, überblickt man die politische Situation und das Leben der Partei, so braucht man wahrlich kein Prophet in Israel zu sein, um vorauszusagen, das der Parteitag zu Magdeburg ein mehr als reiches Arbeitsprogramm zu bewältigen haben wird. Es ist mithin nur ein Gebot praktischer Zweckmäßigkeit, dass eine Frauenkonferenz Vorarbeit für ihn leistet, indem sie das Material berät, das sich auf die Betätigung der Genossinnen bezieht, und es zu Anregungen und Vorschlagen verdichtet, über welches dann die Vertreter der Gesamtpartei entscheiden.
Die unabweisbare Notwendigkeit dieser Vorarbeit ist auch in anderen Verhältnissen als den bereits hervorgehobenen begründet Die Ergebnisse der Berufs- und Gewerbezahlung von 1807 stellen wie die Berichte der Gewerbeinspektion den bedeutenden und rasch anschwellenden Umfang der berufsmäßigen Frauenarbeit auf allen Gebieten fest. Diese Tatsache lost in uns mehr aus als das Gefühl tiefer, zukunftssicherer Befriedigung darüber, dass unaufhaltsam wirkende Kräfte die wirtschaftliche, die gesellschaftliche Entwicklung in der Richtung dem Ziele zu vorwärts treiben, wie dies die sozialistische Auffassung lehrt. Sie bringt uns scharf die Pflicht zum Bewusstsein, die in den Kampf für Lebensunterhalt und Lebensinhalt geschleuderten Frauenmassen aufgeklart und organisiert zur Verteidigung ihrer Interessen zu fuhren; sie nicht als bloßen Kulturdünger zerstampfen zu lassen, sie vielmehr als bewusste Mittragerinnen des geschichtlichen Werdens, des Kulturaufstiegs der arbeitenden Klassen zu sammeln. Steigende Erwerbstätigkeit des weiblichen Geschlechts bedeutet folglich für uns Verdopplung, Verzehnfachung der Bemühungen, die erwerbstätigen Proletarierinnen dem gewerkschaftlichen und politischen Kampf ihrer Klasse einzureihen. Mit dem Umfang der industriellen Frauenarbeit wachst ihr Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, wächst die Notwendigkeit des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses der Arbeiterinnen, die aus Konkurrenten der Arbeiter nur zu oft zu deren Schmutzkonkurrenten werden. Die Generalkommission der Gewerkschaften hat im „Korrespondenzblatt“ eine wertvolle statistische Bearbeitung des einschlägigen Materials veröffentlicht, das die offizielle Erhebung von 1907 ergeben hat. Sie hat damit auf die Bedeutung, die Größe der vorliegenden Aufgabe hingewiesen. Ihre Veröffentlichung zeigt den Genossinnen, dass auch auf dem Gebiet der Gewerkschaftsbewegung erhöhte Ansprüche an ihre tatkräftige, einsichtsvolle Mitarbeit herantreten.
Solche Mitarbeit anzuregen, planmäßig zu gestalten, durch die Erörterung der ihr dienenden Mittel und Wege zu befruchten, scheint uns eine wichtige Aufgabe der nächsten Frauenkonferenz. Zweierlei versteht sich dabei am Rande. Das es sich um die Mitarbeit der Genossinnen innerhalb der Gewerkschaften und gemäß der von diesen gezogenen Richtlinien handelt. Das in den betreffenden Fragen in erster Linie die Genossinnen ausgiebig zum Wort kommen, die das Schwergewicht ihrer Betätigung auf gewerkschaftlichem Gebiet haben. Eine zweckentsprechende Vorbereitung der Konferenz – die natürlich die Verständigung mit den Führern der Gewerkschaftsbewegung in sich begreift – konnte das ermöglichen. Mit der Umsetzung unserer Anregung in die Praxis wurden die bisherigen Grenzen des Wirkungsgebiets der Frauenkonferenzen erweitert. Diese Erweiterung halten wir aber nicht allein für nützlich, sondern für notwendig auch noch unter anderen Gesichtspunkten als den aufgezeigten. Sie wird Bausteine zu der breiten Grundlage jenes brüderlichen Zusammenarbeitens von unten auf beitragen, das die stolze Einheit von Partei und Gewerkschaften trägt, von der Genosse Bömelburg gesprochen hat. Sie zieht die Konsequenzen des gemeinschaftlichen Zusammenwirkens auf sozialpolitischem Gebiet, auf dem der Genossinnen gleichfalls eine stärkere Betätigung wartet.
Das Kinderschutzgesetz, die Novelle zur Gewerbeordnung mit ihrem dürftigen Mehr an Arbeiterinnenschutz, die in Aussicht stehende Reorganisation der Arbeiterversicherung, die die Ansätze zur Mutterschafts-, Witwen- und Waisenfürsorge in sich begreift, stellen die Genossinnen vor große praktische Aufgaben. Frühere Frauenkonferenzen haben unsere grundsätzliche und taktische Stellungnahme zu ihnen festgelegt. Es kann sich also nicht mehr darum handeln, die Notwendigkeit der in Betracht kommenden Reformen zu begründen und sich prinzipiell mit ihnen auseinanderzusetzen. Wohl aber ist es dringlich, dass die Frauenkonferenz die Frage erörtert, was die Genossinnen tun müssen, um die vorhandenen sozialpolitischen Gesetze der Arbeiterklasse so voll als nur möglich nutzbar zu machen und die Gesetzgebung in der Richtung der sozialdemokratischen Reformforderungen des Tages vorwärts zu peitschen. Ein Beispiel mag das beleuchten. Die aus der Initiative der Genossinnen hervorgegangenen Kinderschutzkommissionen können sich nicht darauf beschränken, die proletarischen Kleinen gegen die gesetzwidrige Ausbeutung ihrer Arbeitskraft, gegen Misshandlungen und Verwahrlosung zu schützen Sie müssen durch Nutzbarmachung der festgestellten Tatsachen, durch Anrufung der Öffentlichkeit der durchgreifenden gesellschaftlichen Fürsorge für die Kinder vorarbeiten. Dazu bedarf es einer Zentrale, welche das zuströmende Material sammelt, sichtet, verarbeitet, vor die Gesetzgeber und die breiteste Öffentlichkeit bringt, es der Agitation nutzbar macht. Von dem Wirten der Beschwerdekommissionen für Arbeiterinnen gilt das gleiche. Unseres Erachtens wäre das Frauenbüro zusammen mit der gewerkschaftlichen Frauenagitationskommission in Berlin die Instanz, der die Frauenkonferenz die diesbezügliche Aufgabe zuweisen sollte. Darin lag die Bürgschaft, dass sie in engster Fühlung mit der Partei und den Gewerkschaften gelöst wurde. Wir brauchen kein Wort zu verlieren über die praktische Tragweite einer kraftvollen Agitation unter dem weiblichen Proletariat für Mutterschafts- und Säuglingsfürsorge, für Witwen- und Waisenunterstützung, kurz für Reformforderungen, deren schwächlicher Abklatsch bald den Reichstag beschäftigen wird. Ein anderer Gegenstand drangt sich in Zusammenhang mit den sozialpolitischen Fragen den Genossinnen zur Beratung auf: die gründliche Ausnützung des aktiven und passiven Wahlrechts der Frauen zu den Ortskrankenkassen. Wohl haben bereits in einigen Städten die Genossinnen das Ihrige getan, damit die weiblichen Kassenmitglieder ihr Recht verständnisvoll ausübten. Das Frauenbüro hat in einem besonderen trefflichen Flugblatt auf die Bedeutung dieses einzigen Wahlrechts hingewiesen, das den Frauen in Deutschland eignet. Von der allgemeinen Ausübung des Rechts sind wir jedoch noch weit entfernt, und es wäre an der Frauenkonferenz, das Signal zu einer entsprechenden planmäßigen Agitation und Kleinarbeit zu geben.
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Wenden wir uns nun den politischen Ausgaben der Genossinnen zu, so zeigt sich das nämliche Bild: eine Situation, die von den verschiedensten Seiten aus zu einer gesteigerten Betätigung treibt, mehr Initiative, mehr Kraft und Planmäßigkeit des Handelns fordert. Die oben gekennzeichnete Entwicklung der Frauenarbeit beweist sinnfällig, dass Millionen Frauen dem engen, umfriedeten Bannkreis des häuslichen Lebens entrissen sind. Im Ringen um das Stück Brot, um die Existenz werden sie in das Tosen der sozialen Kampfe unserer Tage hineingerissen, ihr Empfinden und Denken wird umgewälzt In dem Nichts-als-Hausmütterchen schlägt die Staatsbürgerin langsam die Augen auf. Die Voraussetzungen reifen heran, dass das duldende, unbewusste Opfer unserer sozialen Ordnung zur bewussten, mitentscheidenden Kämpferin gegen sie werde. Das Wachstum der berufsmäßigen Frauenarbeit ist aber nur eine Begleiterscheinung des allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses. Es weist darauf hin, und andere Vorgange bestätigen es, dass im Gefolge dieses Prozesses eine Zuspitzung der Klassengegensatze und damit eine Verschärfung der Klassenkampfe einhergeht. Diese Entwicklung der Dinge greift mit brutaler Faust täglich in alle Beziehungen des proletarischen Lebens hinein und macht nicht respektvoll vor dem Arbeiterheim Halt. Sie beschleunigt und vertieft die Revolution im Bewusstsein der Frauen. So stellt der Kapitalismus mit seinem Um und Auf millionenköpfige Scharen von Arbeiterinnen und Arbeiterfrauen bereit, die von der Sozialdemokratie gesammelt, geschult und für den politischen Kampf mobilisiert werden können So pflügt er im weiblichen Proletariat ein Neuland von riesiger Ausdehnung um, das mit der sozialistischen Ideensaat bestellt werden muss. Auf den tief durchfurchten Boden hat aber in den letzten Monaten die Finanzreform mit ihrer schonungs- und schamlosen Massenausplünderung wie ein lockernder, befruchtender warmer Gewitterregen gewirkt. Es gilt für die Genossinnen, mit der äußersten Umsicht und Tatkraft diese Situation zu nutzen. Wie kaum eine seit langer Zeit trägt sie in ihrem Schoße die Möglichkeit, mit unserer Agitation große Kreise bisher noch schlummernder Frauen des werktätigen Volkes zu erfassen, ihre brütende Verzweiflung und dumpfe Gärung zu klarer sozialer Erkenntnis zu läutern, ihre Einsicht zu zielbewusstem Handeln reifen zu lassen.
Sicherlich lassen es die Genossinnen schon jetzt weder an Eifer und an Opfermut fehlen, um die Gunst der Stunde zu nutzen. Allein wir wären nicht stolz zur Partei der „Unzufriedenen“, der „Begehrlichen“ zu zählen, wenn uns genügen dürfte, was geschieht. Unsere Agitation unter den Frauen des werktätigen Volkes muss andauern, damit die Erregung des Heute nicht mit dem Morgen schon verfliegt, sie muss noch systematischer geführt werden, die verschieden gelagerten Verhältnisse und Bedürfnisse in den einzelnen Gegenden und Schichten der nichts oder wenig besitzenden Massen immer mehr berücksichtigen Ohne an grundsätzlicher Scharfe und Wucht zu verlieren, muss sie immer praktischer werden. Ein engmaschiges Netz eifrigster systematisch betriebener politischer Kleinarbeit der Genossinnen hat sie zu ergänzen. Eine zweckentsprechende Literatur kleiner Broschuren ist zu schaffen, andere Mittel noch sind ins Auge zu fassen, um durch das gedruckte Wort die Frauenmassen aufzuklaren und zu schulen.
Die angedeutete intensivste politische Arbeit der Genossinnen ist im Hinblick auf die nächsten Reichstagswahlen von besonderer Wichtigkeit. Man wende dagegen nicht ein, dass diese erst 1912 bevorstehen. Zunächst gilt von der Stimmung der Massen, was Goethe von der Begeisterung sagt: „Sie ist keine Heringsware, die sich einpökeln last viele Jahre.“ Wir wissen aus Erfahrung, dass die Massen leider nur zu rasch die Tat- und Unterlassungssünden der ausbeutenden und herrschenden Klassen vergessen. Wir müssen das Eisen ihrer Empörung schmieden, solange es heiß ist, wir müssen es durch unsere Arbeit möglichst dauernd heiß zu halten suchen. Die Erfahrung hat uns außerdem gezeigt, das die Genossinnen als Frauen, die meist einem zwiefachen Pflichtkreis gerecht werden müssen, eines größeren Zeitraums als die Genossen bedürfen, um sich für ihre Aufgaben im politischen Kampfe wohl zu rüsten. Die Frauenkonferenz muss die nächste Wahlarbeit der Genossinnen vorbereiten, muss selbst schon ein wichtiges Stuck solcher Wahlarbeit sein. Das ist um so nötiger, als wir in Deutschland, dem klassischen Reiche der halb-absolutistischen Plötzlichkeit, keine Garantie dafür haben, das dieser Reichstag eines natürlichen Todes sterben wird. Wenn die Wahlrechtsfrage in Preußen eine kraftvolle Massenbewegung in Fluss bringt, so müssen wir mehr als je mit allen Möglichkeiten rechnen.
Der Kampf für das Wahlrecht selbst aber fordert von den deutschen Genossinnen: bereit sein, und das in der weitest tragenden Bedeutung des Wortes. Der preußische Parteitag hat es mit wünschenswertester Bestimmtheit hervorgehoben, dass dieser Kampf ein Klassenkampf ist, in welchem das Proletariat alle reaktionären Mächte im ganzen Reiche gegen sich hat. Er hat erneut zum Ausdruck gebracht, das das Ringen auch der Eroberung vollen Bürgerrechts für das weibliche Geschlecht gilt. An den Genossinnen ist es nun, darüber zu beraten, wie sie die Einsicht, Energie und Opferfreudigkeit großer Frauenmassen dem Wahlrechtskampf dienstbar machen können, wie aber auch umgekehrt der Wahlrechtskampf die Forderung politischer Gleichberechtigung für die Frau ihrem Siege entgegentragen muss.
Der verfügbare Raum verbietet es, heute all die anderen Fragen zu würdigen, die infolge der Mitarbeit der Genossinnen in den Parteiorganisationen Behandlung durch eine Frauenkonferenz heischen, und deren A und O lautet: Steigerung der Leistungstüchtigkeit der sozialdemokratischen Frauenbewegung. Es sei nur noch die besondere Bedeutung zweier von ihnen stark unterstrichen. Es ist die Frage der Interessen, welche die Frauen an der Kommunalpolitik haben, und ihre Betätigung im Gemeindeleben. Der preußische Parteitag hat helles Licht auf diese Interessen geworfen und eindringlich diese Betätigung befürwortet Die glänzenden Siege, welche die Sozialdemokratie in den letzten Monaten überall bei den Gemeinderatswahlen errungen hat, macht es den Genossinnen zur Pflicht, der Frage erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken und für weitgehendes Wirken der Frau auf kommunalem Gebiet einzutreten. Die in der Vorberatung begriffene Reform des Strafrechts ruft die Genossinnen ebenfalls zum Kampfe auf den Plan. Als Arbeiterinnen und Angehörige von Arbeitern haben die Proletarierinnen dazu Forderungen zu stellen, als Glieder des weiblichen Geschlechts nicht minder. Der veröffentlichte Vorentwurf zum neuen Strafgesetz tragt nicht nur das Brandmal eines Klassenrechts der Besitzenden gegen die Nichtbesitzenden, er stampft auch über außerordentlich wichtige Interessen des weiblichen Geschlechts achtlos hinweg. Im Zusammenhang mit den Forderungen, welche die Proletarierinnen als Frauen erheben müssen, tritt ihr weiteres Verlangen in den Vordergrund: Bahn frei für die Betätigung der Frau auf allen Gebieten des Rechtswesens und der Rechtspflege. Wie bedeutsam es für die Genossinnen ist, im Interesse des weiblichen Proletariats auch in dieser Beziehung den Kampf aufzunehmen, wird ein Sachkundiger demnächst in der „Gleichheit“ darlegen.
Unser Überblick über die Aufgaben der proletarischen Frauenbewegung in der nächsten Zeit konnte keineswegs erschöpfend sein. Dennoch last er wohl unzweideutig erkennen, das für eine Frauenkonferenz in diesem Jahre nicht bloß genug, nein übergenug Arbeit vorliegt. Nicht die Frage schafft uns Verlegenheit: Gibt es Beratungsstoff für eine Tagung? wohl aber die andere: Wie soll der Reichtum an solchem bewältigt werden, damit die Verhandlungen nicht bloß vieles, sondern auch viel, das heißt Gründliches geben.
Angesichts dieser Sachlage ist es die nächste Pflicht der Genossinnen, in den Parteiorganisationen die Frage zu erörtern: Soll in diesem Jahre eine Frauenkonferenz stattfinden oder soll sie hinausgeschoben werden? Eine Antwort auf die Frage drängt, wenn die Tagung rechtzeitig und gut vorbereitet werden soll. Die Diskussion darüber anzuregen und in die Wege zu leiten – auch in den Spalten dieses Blattes – ist der Zweck unserer Ausführungen Die Frage zu entscheiden, ehe das die an ihr Meistinteressierten, die Genossinnen, ihre Meinung darüber geklärt und bekundet haben, wurde nicht nur der bisherigen Tradition der sozialdemokratischen Frauenbewegung widersprechen, sondern auch dem demokratischen Wesen unserer Partei. Wir sind überzeugt, das die notwendige Erörterung dazu beitragen wird, die proletarische Frauenbewegung für die Arbeit und den Kampf der Zukunft zu rüsten, damit sie das Maximum an Kraft und Tüchtigkeit für die Befreiung des Proletariats einzusetzen vermag.“
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