[eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant Nr. 490, 15. Februar 1980, S. 10]
Marxist*innen konnten die Invasion der russischen Bürokratie aufgrund ihrer reaktionären Folgen auf internationaler Ebene nicht unterstützen. Aber nachdem die russischen Truppen einmarschiert waren, wäre es falsch gewesen, ihren Rückzug zu fordern.
Werter Genosse,
ich habe gerade Ted Grants Artikel über Afghanistan gelesen [Militant Nr. 486, 18. Januar]. Der Artikel liefert nützliches Material über den Hintergrund der Invasion und die Gründe, warum die russische Bürokratie intervenierte. Ich fand, dass ich mit den vorgebrachten Punkten übereinstimmte, aber einen Satz fand ich etwas verwirrend.
Ted sagt, dass die Forderung der imperialistischen Mächte, unterstützt von der Kommunistischen Partei und der Tribune-Gruppe, nach einem Abzug der russischen Truppen aus Afghanistan „utopisch“ sei. Utopisch mag es in dem Sinne sein, dass Russland die Truppen nicht wegen Getreidesanktionen, Aufrufen zum Boykott der Olympischen Spiele oder der Bewegung britischer und amerikanischer Schiffe abziehen wird. Bedeutet das jedoch, dass „Militant“ gegen den Abzug der Truppen ist, nachdem es die Invasion zu Recht verurteilt hat?
Ich kann sehen, dass, wenn die russischen Truppen abgezogen würden, das afghanische Regime von Karmal bald zusammenbrechen würde und es zu einem fast unvermeidlichen Blutbad und einer Rückkehr zu feudalem Landbesitz und Rückständigkeit kommen würde, die Afghanistan bis zum Putsch im April 1978 charakterisiert haben. Dies würde die Unterstützung dafür rechtfertigen, dass die Truppen jetzt dort sind, nachdem sie eingefallen sind. Ist das die Position, die Militant vertritt?
Dies ist eine wichtige Frage, da es erhebliche Debatten innerhalb der Arbeiter*innenbewegung über die Intervention der russischen Truppen gibt.
Mit brüderlichen Grüßen
Roy Bentley
Banbury Labour Party
Der erste Teil einer zweiteiligen Antwort von Lynn Walsh, die die Position von „Militant“ zu Afghanistan erläutert
Der Brief von Roy Bentley wirft wertvolle Punkte auf, und „Militant“ begrüßt Briefe wie diesen.
Die Invasion schuf eine neue Lage. Die Forderung nach einem Abzug der russischen Truppen, der das Risiko eines Sturzes des proletarisch-bonapartistischen Regimes in Afghanistan mit sich bringen würde, würde bedeuten, die Seite der Kräfte der Konterrevolution zu ergreifen.
Roy hat in der Tat aus Teds Artikel die richtige Schlussfolgerung gezogen. Marxist*innen konnten die Invasion Afghanistans durch die russische Bürokratie nicht unterstützen, insbesondere wegen ihrer reaktionären Folgen auf internationaler Ebene. Nachdem die russischen Truppen das Land besetzt hatten, wäre es jedoch völlig falsch gewesen, wenn Marxist*innen den Abzug der russischen Truppen gefordert hätten.
Aus dem Blickwinkel der abstrakten Logik mag diese Position „inkonsistent“ erscheinen. Aber es ist die einzige Position, die die reale Lage aus dem Blickwinkel der internationalen Arbeiter*innenklasse berücksichtigt.
Wie Ted Grant in seinem Artikel hervorhob, war die russische Intervention in Afghanistan isoliert gesehen ein fortschrittlicher Schritt. Trotz des bürokratischen, militärischen Charakters der Intervention verhinderte die sowjetische Bürokratie den Sturz eines proletarisch-bonapartistischen Regimes, das die Abschaffung des Großgrundbesitzes und des Kapitalismus vorangetrieben und begonnen hatte, radikale soziale und wirtschaftliche Reformen einzuführen.
Dies war an sich schon ein weiterer Schlag gegen den Weltimperialismus und begründete die Entwicklung historisch fortschrittlicher sozialer Verhältnisse in diesem kleinen Land.
Aber Entwicklungen in einem einzelnen Land, insbesondere in einem so kleinen, unterentwickelten Land mit einer winzigen Arbeiter*innenklasse, können nicht isoliert betrachtet werden. Wenn es sich um einen gesunden Arbeiter*innenstaat handeln würde, der eine von einer marxistischen Partei mit überwältigender Massenunterstützung angeführte Revolution politisch und sogar militärisch unterstützt, wäre das eine ganz andere Sache.
Aber die soziale Transformation in Afghanistan fand unter der Leitung einer bürokratischen Elite statt. Tatsächlich war der Grund dafür, dass das Regime Amins vor Schwierigkeiten stand und in Gefahr war, von rebellischen und konterrevolutionären Kräften gestürzt zu werden, genau die willkürliche, undemokratische Art und Weise, in der es versuchte, soziale Veränderungen durchzuführen.
Tatsächlich griff die russische Bürokratie ein, um das Regime zu mäßigen, die sozialen Veränderungen zu verlangsamen, einen Kompromiss mit den Mullahs zu machen und damit eine breitere Basis für das Regime zu schaffen.
Ein bonapartistisches Regime wie das von Amin und jetzt von Karmal geleitete kann trotz seiner sozial fortschrittlichen Züge für die Arbeiter*innen der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder oder selbst für die Arbeiter*innen und Bäuer*innen der unterentwickelten Länder der ehemaligen Kolonialwelt wenig Anziehungskraft haben.
Andererseits ist es klar, dass der Hauptgrund für die Intervention der russischen Streitkräfte überhaupt nicht sozialistischer Internationalismus war. Die sowjetische Bürokratie handelte, um ihre eigene Macht und ihr Prestige zu bewahren. Die Moskauer Führung fürchtete auch die Auswirkungen eines langwierigen Bürger*innenkriegs in Afghanistan auf die eigene muslimische Bevölkerung der Sowjetunion.
Wegen ihres militärischen, bürokratischen Charakters bot die russische Invasion der kapitalistischen Presse und dem Fernsehen der Welt eine goldene Gelegenheit, die Propaganda gegen den sogenannten „Sozialismus“ in Russland und Osteuropa zu verstärken und die monströse Bürokratie und kriminelle Politik des Stalinismus für den Versuch zu nutzen, die echten Ideen des Sozialismus unter den Arbeiter*innen weltweit zu diskreditieren. Die reaktionären internationalen Auswirkungen der Invasion überwiegen bei weitem alle unmittelbaren Gewinne in Afghanistan.
Als Leon Trotzki 1939 mit vergleichbaren Ereignissen konfrontiert wurde, machte er unmissverständlich klar, dass es für Marxist*innen zwar notwendig sei, die Errungenschaften der Planwirtschaft in Russland zu verteidigen, dass aber die internationalen Auswirkungen der Außenpolitik Moskaus weitaus wichtiger seien als irgendwelche sekundären Vorteile in diesem oder jenem Teil der Welt.
Trotzki akzeptierte beispielsweise, dass die Invasion der Sowjetunion in Ostpolen insofern fortschrittlich war, als sie trotz des militärisch-bürokratischen Charakters der Besatzung zur „Expropriation der Expropriateure” führte. Der Großgrundbesitz und der Kapitalismus wurden abgeschafft und eine verstaatlichte Planwirtschaft eingeführt.
Aber, wie Trotzki sagte, war dies nur eine Seite der Medaille: „Um Polen durch ein Militärbündnis mit Hitler besetzen zu können, täuschte der Kreml seit langer Zeit die Massen in der UdSSR und in der ganzen Welt, und tut dies auch weiterhin. Und dadurch hat er die Reihen seiner eigenen Kommunistischen Internationale völlig zerrüttet. Das politische Hauptkriterium für uns ist nicht die Umwandlung der Eigentumsverhältnisse in diesem oder jenem Gebiet, wie wichtig sie an sich auch sein mögen, sondern vielmehr die Veränderung im Bewußtsein und in der Organisation des Weltproletariats, das Wachsen seiner Fähigkeit, frühere Errungenschaften zu verteidigen und neue zu erreichen. Nur von diesem Standpunkt aus, und das ist der einzig entscheidende, bleibt die Politik Moskaus, als Ganzes genommen, völlig reaktionär und ist weiterhin das Haupthindernis auf dem Wege zur Weltrevolution. …
Die Verstaatlichung der Produktionsmittel ist, wie wir schon sagten, eine fortschrittliche Maßnahme. Aber ihre Fortschrittlichkeit ist relativ; ihr spezifisches Gewicht hängt von der Gesamtsumme aller anderen Faktoren ab. …“
(„Die UdSSR im Krieg“ in Leo Trotzki: „In Verteidigung des Marxismus“).
Die reaktionären Auswirkungen der Invasion in Afghanistan durch die russische Bürokratie sind bereits deutlich erkennbar.
Erstens hat die Afghanistan-Krise Carter und Thatcher eine willkommene Ablenkung von internen Problemen geboten, um enorme Steigerungen der Rüstungsausgaben zu rechtfertigen.
Die vergangene Bilanz des Imperialismus, insbesondere die Interventionen des US-Imperialismus in Südostasien und anderen Regionen, wurde in den Hintergrund gedrängt. Für die fortgeschrittenen Arbeiter*innen mit Kenntnis der jüngsten Geschichte ist die Heuchelei des Imperialismus offensichtlich. Aber was breitere Schichten der Arbeiter*innen und insbesondere die Mittelschicht betrifft, so ist es der Kapitalist*innenklasse gelungen, Afghanistan zu nutzen, um hysterische Propaganda gegen die stalinistischen Staaten zu schüren.
Nach seiner Niederlage in Vietnam, mit dem Wachstum der Massenopposition der Arbeiter*innenklasse gegen den schmutzigen Krieg und der Demoralisierung und dem Zerfall der amerikanischen Streitkräfte, war der US-Imperialismus eine Zeit lang nicht in der Lage, gegen revolutionäre Entwicklungen in der kolonialen und halbkolonialen Welt zu intervenieren.
Der US-Imperialismus war beispielsweise machtlos, die Abschaffung von Kapitalismus und Großgrundbesitz in Angola und Mosambik nach dem Zusammenbruch des portugiesischen Imperialismus zu verhindern. Auch in Äthiopien, wo der Derg mit Unterstützung der russischen Führung ein proletarisch-bonapartistisches Regime errichtete, konnte Amerika nicht direkt intervenieren.
Aber die Afghanistan-Krise ist zu einem neuen Zeitpunkt in den internationalen Beziehungen ausgebrochen. Die amerikanische herrschende Klasse, alarmiert durch die Ereignisse im Iran und die Bedrohung ihrer Ölversorgung im Nahen Osten, hat beschlossen, in dieser Frage klar Stellung zu beziehen. Diese Stellung wurde von internationalen Erwägungen für die USA bestimmt, nicht von der Lage in Afghanistan. Das Land wurde lange vor der Machtübernahme durch das proletarisch-bonapartistische Regime wirtschaftlich und politisch von der Sowjetunion dominiert, und die Amerikaner*innen wussten sehr wohl, dass das Amin-Regime lange vor dem Einmarsch der Panzer auf russische Hilfe angewiesen war.
In diesem Stadium kommt ein Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Russland um Afghanistan nicht in Frage. Aber die USA haben diesen Vorfall als Anlass gewählt, um der russischen Bürokratie eine direkte Warnung zu erteilen, insbesondere, sie vor einer Intervention im Iran, in Pakistan oder in anderen Gebieten des indischen Subkontinents oder des Nahen Ostens zu warnen.
Die Tatsache, dass dies das erste Mal seit der unmittelbaren Nachkriegszeit war, dass russische Streitkräfte direkt in einem Land außerhalb des stalinistischen Blocks intervenierten – die bewaffnete Unterstützung für die Befreiungsbewegung in Angola kam über kubanische Truppen –, lieferte den Vereinigten Staaten den Vorwand, den sie brauchten, um Stellung zu beziehen. Sie haben den Schock, den diese bewaffnete Invasion in der „öffentlichen Meinung” ausgelöst hat, voll ausgenutzt.
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