Lynn Walsh: Westlicher Günstlingskapitalismus

[eigene Übersetzung des englischen Artikels in Socialism Today, Nr. 34, Dezember 1998 – Januar 1999, S. 2-3]

Die Insolvenz und der Beinahe-Zusammenbruch von Long Term Capital Management (LTCM), ehemals der führende Hedgefonds, brachten das weltweite Finanzsystem an den Rand der Kernschmelze. Nur die schnelle Rettung durch die Federal Reserve [US-Notenbank] in Höhe von 3,6 Milliarden Dollar wendete eine Katastrophe ab.

Während LTCM gerettet wurde, sind jedoch eine Reihe großer US-amerikanischer, europäischer und japanischer Banken und Finanzhäuser von enormen Verlusten betroffen: Eine Kettenreaktion miteinander verbundener Pleiten kann in den kommenden Monaten sicherlich nicht ausgeschlossen werden.

Erst als die New York Federal Reserve Bank (die Manhattan-Niederlassung der US-Notenbank) am 23. September ein Rettungspaket ankündigte, wurde die LTCM-Krise bekannt. Als Ergebnis von Fehkalkulationen bei seinen Wetten auf internationale Anleihen zusammen mit Verlusten in Russland und anderen „Schwellenländern” im August stand LTCM vor einem Verlust von 90%. Als Gegenleistung für die fast vollständige Kontrolle über das Unternehmen haben 15 US-amerikanische und europäische Banken und Finanzinstitute – die von der Federal Reserve zusammengetrommelt wurden – 3,6 Milliarden Dollar bereitgestellt, um einen vollständigen Zusammenbruch zu verhindern.

Für die großen Finanziers war LTCM „zu groß, um zu scheitern”. Anfang 1998 hatte es ein Kapital von 4,8 Milliarden Dollar, aber im September beliefen sich seine „Risiken” (Schulden) auf über 200 Milliarden Dollar – eine unglaubliche Verschuldungsquote von über 1 : 40. LTCM hielt Derivate mit einem Nominalwert von 1.250 Milliarden Dollar.

Wäre LTCM gezwungen gewesen, seine Vermögenswerte zu verkaufen, um seine Verluste zu decken, hätte dies die Märkte mit Anleihen, Aktien usw. überschwemmt und einen massiven Preisverfall der Vermögenswerte ausgelöst. Der von den rettenden Banken eingesetzte Aufsichtsrat wird versuchen, die Vermögenswerte von LTCM über einen längeren Zeitraum zu verkaufen, was jedoch weiterhin zu einem Preisverfall führen könnte.

So wie es war, wurde die LTCM-Krise weithin beschuldigt, einen beispiellosen Wertverlust des Dollars gegenüber dem Yen um 20% ausgelöst zu haben (da LTCM und möglicherweise andere Institutionen Dollar-Vermögenswerte verkauften, um Yen-Kredite an japanische Banken zurückzuzahlen). Eine Reihe führender Banken und Finanzhäuser meldete massive Verluste, die zum Teil auf LTCM zurückzuführen waren (zusammen mit enormen Verlusten nach dem Zahlungsausfall Russlands bei seinen Auslandskrediten). Zu den geschädigten LTCM-Investor*innen zählen die zweitgrößte Bank der Welt, die Schweizer UBS (die rund 700 Millionen Dollar verlor), Merrill Lynch (die voraussichtlich 1,4 Milliarden Dollar verlieren wird), die italienische Zentralbank (die 100 Millionen Dollar verlor) und die Dresdner Bank in Deutschland (142 Millionen Dollar).

Finanzstrateg*innen und Wirtschaftskommentator*innen waren sich schmerzlich bewusst, dass der globale Kapitalismus dieser Episode nur knapp entkommen war. Die beteiligten Summen weisen auf das Ausmaß der Krise hin. Das Rettungspaket im Umfang von 3,6 Milliarden Dollar steht beispielsweise im Kontrast zu den lediglich 200 Millionen Dollar, die von den westlichen Mächten am 7. November zur Linderung der enormen humanitären Katastrophe in Mittelamerika angeboten wurden.

Kommentator*innen begannen obendrein, einige offensichtliche Fragen zu stellen, die zuvor noch nie gestellt worden waren. Warum hatten die Finanzinstitute diesem Hedgefonds so viel Geld geliehen, einer äußerst geheimniskrämerischen Organisation, die hochspekulative Investitionen auf der Grundlage von weitgehend unbesicherten Krediten tätigte, die 20- bis 40-mal höher waren als ihre Kapitalvermögenswerte? Welche Rolle spielen Hedgefonds überhaupt – abgesehen davon, denjenigen, die in sie investieren, enorme Profite einzubringen?

Hedgefonds sind ursprünglich wesentlich Fonds, die verschiedene Eventualitäten abdecken und Sicherheit bieten, aber in Wirklichkeit sind sie zu Spekulationsfonds geworden. Eine Vielzahl von Unternehmen wird als Hedgefonds bezeichnet. Es gibt schätzungsweise rund 4.000 Fonds mit Investitionen in Höhe von rund 400 Milliarden Dollar.

Im Wesentlichen sind die Hedgefonds Investmentgesellschaften, die auf der Grundlage relativ kleiner Gruppen vermögender Investor*innen oder Finanzinstitute operieren und in der Regel eine Mindestbeteiligung von mindestens 10 Millionen Dollar verlangen. Wenn sie sich in den USA auf weniger als 99 Großinvestor*innen beschränken, unterliegen sie keinerlei Aufsicht und sind nicht zur Offenlegung ihrer Konten verpflichtet. Obwohl sie von Finanzzentren in den USA oder Europa aus operieren, sind die meisten Hedgefonds – wie LTCM mit Sitz in Connecticut – rechtlich in Steueroasen wie den Kaimaninseln registriert.

Hedgefonds hoben in den 1990er Jahren ab und nutzten ihre enormen (hauptsächlich geliehenen) Mittel, um aus der Lawine von Profiten, die durch die Globalisierung entstanden, Superprofite abzuschöpfen. Sie waren prominent im Handel mit Derivaten – ein Begriff, der eine Vielzahl von Finanzinstrumenten wie Terminverträge, Optionen, Swaps usw. umfasst, deren Wert aus den ihnen zugrunde liegenden Vermögenswerten (Immobilien, Rohstoffe oder Finanzanlagen wie Aktien, Staats- oder Unternehmensanleihen, Kredite usw.) abgeleitet ist. Die Theorie war, dass Derivate durch eine komplexe Risikostreuung das Risiko für Fondsmanager*innen praktisch eliminierten, die Kosten für Kredite für Kreditnehmer*innen senkten und die Renditen für Investor*innen erhöhten. Hedgefonds spezialisierten sich auch auf den Kauf und Verkauf von Anleihen, Aktien und Devisen zwischen verschiedenen Finanzmärkten und nutzten dabei ein enormes Geschäftsvolumen, um geringfügige Preisunterschiede auszunutzen (dies ist als Arbitrage bekannt).

Diese spekulative Strategie war Mitte der 1990er Jahre weitgehend erfolgreich (auch wenn einige Spekulant*innen dabei Verluste erlitten). Selbst nach Abzug von 2% für „Verwaltungskosten” und dem Einstreichen von 25% der Profite erzielte LTCM für seine Aktionär*innen 1995 eine Rendite von 42,8%, 1996 von 40,8% und 1997 aufgrund der Asienkrise „nur” 17,1%. Im September dieses Jahres jedoch, nachdem LTCM fälschlicherweise auf die Konvergenz der Zinssätze für Staatsanleihen der G7-Staaten gewettet hatte, erlitt das Unternehmen massive Verluste.

Solange die Geschäfte gut liefen, hatte LTCM keine Probleme, vermögende Investor*innen zu finden. Es gab eine lange Schlange von US-amerikanischen und europäischen Finanzhäusern, wobei einige ihrer Direktor*innen (z. B. von Merrill Lynch) enorme Summen ihres eigenen Geldes investierten. Zu dieser Zeit hatten sie keine Bedenken hinsichtlich der absoluten Geheimniskrämerei der Geschäfte von LTCM. Es gab keine Bilanzen, keine Details selbst zu größeren Investitionen. Man glaubte, dass der Erfolg durch die illustre Herkunft der Anteilseigner*innen garantiert sei.

Der Fonds wurde 1993 von John Meriwether gegründet, der trotz seines erzwungenen Ausscheidens bei Soloman Brothers nach einem Skandal im Zusammenhang mit dem Handel mit Anleihen als der größte Virtuose der globalen Spekulation galt. Ein weiterer Anteilseigner war zuvor Vizepräsident der Federal Reserve Bank gewesen. Zwei andere hatten für ihre ausgeklügelten Investitionsformeln den Nobelpreis für Mathematik erhalten. Sie galten als herausragende „Raketenwissenschaftler*innen”, wie die theoretischen Spekulant*innen genannt werden. Leider vergaßen sie die alte Weisheit, dass alles, was steigt, auch wieder fallen muss.

Als die Asienkrise ausbrach, begannen westliche Kapitalist*innen, die Schuld dafür dem „Günstlingskapitalismus” des Ostens zu geben, und forderten als Bedingung für Rettungskredite mehr „Transparenz”. Aber keine Einrichtung hätte undurchsichtiger sein können als LTCM, das durch eine geschlossene, geheimniskrämerische und inzestuöse Clique profitgieriger Spekulant*innen operierte. Als die „New York Times“ (23. Oktober) das Fiasko später analysierte, fasste sie es wie folgt zusammen: „Die Stars des Fonds haben nichts gesagt, die versierten Finanziers haben nichts gefragt”. Was ist das anderes als Günstlingskapitalismus? Als LTCM zusammenbrach, schritten jedoch 15 der größten Banken unter der Federführung der Federal Reserve sofort ein, um es zu retten.

LTCM ist jedoch noch nicht über den Berg. Und andere Hedgefonds, einschließlich der Soros-Gruppe, haben massive Verluste erlitten. Sie surften auf der Wall-Street-Welle der globalisierten Finanzspekulation der letzten drei oder vier Jahre, aber mit dem weltweiten Fall der Märkte, begleitet von einem starken Rückgang der Produktion und des Handels, haben Hedgefonds und Finanzhäuser unvermeidlich enorme Verluste erlitten. Es gibt bereits eine internationale Bankenkrise, da die Banken immer mehr Verluste aus Asien, Russland, Lateinamerika und aus ihren eigenen spekulativen Investitionen verzeichnen, die schief gegangen sind.

Bislang haben es die Zentralbanken, insbesondere jene der USA und Japans, geschafft, eine Systemkrise durch Rettungsaktionen oder die effektive Verstaatlichung insolventer Institutionen zu verhindern – oder zumindest zu vertagen. Die teilweise Erholung der US-amerikanischen und europäischen Börsen seit September hat den Druck vorübergehend gemildert. Die sich vertiefende Rezession in den USA wird jedoch weitere Kursstürze mit sich bringen. Alan Greenspan, Vorsitzender der US-Notenbank, sagte zur Rechtfertigung der Rettung von LTCM: „Vielen Marktteilnehmern hätte erheblicher Schaden zugefügt werden können – (was) möglicherweise die Wirtschaft vieler Nationen beeinträchtigt hätte”. Das ist wahr. Und das Schlimmste kommt noch.

Lynn Walsh


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