(eigene Übersetzung des englischen Textes im Socialist, Nr. 270, 27. September 2002)
Ob mit oder ohne UN-Billigflagge – der US-Imperialismus scheint sich kopfüber in einen militärischen Angriff auf den Irak zu stürzen.
Die menschlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen für die Region und die ganze Welt sind unabsehbar.
Lynn Walsh, Herausgeber von Socialism Today, erklärt, warum sich die arbeitenden Menschen weltweit diesem imperialistischen Krieg widersetzen müssen.
Bush weiter auf dem Kriegspfad
Unter dem Druck im In- und Ausland ging Präsident Bush am 12. September zur UNO, um zu Maßnahmen gegen den Irak aufzurufen.
Der Einzelkämpfer hatte sich jedoch nicht zum „Multilateralismus“ bekehren lassen. Bushs Diplomatie war eine Scharade Der Präsident der unangefochtenen Hypermacht der Welt stellte praktisch ein Ultimatum: Ergreift entschlossene Maßnahmen, um Saddam Hussein loszuwerden, und die USA werden sich freuen, die Unterstützung der UNO zu akzeptieren. Wenn nicht, werden die USA im Alleingang einen militärischen Präventivschlag gegen den Irak führen.
Zur UNO zu gehen, um ihre aggressive Politik zu legitimieren, macht die Lage für die USA jedoch komplizierter. Es kann die Militäraktion verzögern. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass die Beteiligung der UNO einen Krieg abwenden wird.
Andere ständige Mitglieder des Sicherheitsrats wie Russland, China und Frankreich fürchten die Umwälzungen, die einem US-Angriff auf den Irak folgen würden. Russland und Frankreich haben beide Öl- und andere große Geschäftsinteressen im Irak auf dem Spiel. Aber selbst wenn sie ihr Veto gegen eine Militäraktion einlegen, werden die USA wahrscheinlich zu einem von ihnen gewählten Zeitpunkt vorgehen.
Abgesehen von Blair, Bushs kleinem Trommler, hoffen die führenden Vertreter*innen der großen Mächte immer noch, durch Waffeninspektion und Abrüstung von Saddams Regime einen Ausweg zu finden.
Anders als die Falken im Weißen Haus fürchten sie die explosiven Auswirkungen eines weiteren Krieges im Nahen Osten. Als das irakische Regime jedoch rasch ankündigte, dass es eine bedingungslose Waffeninspektion akzeptieren würde, taten Bush, Rumsfeld, Cheney, Rice und andere Falken dies sofort als „Trick“ ab.
Waffeninspektion
Führende US-Vertreter*innen haben wiederholt behauptet, Saddam verfüge über ein Arsenal an chemischen, biologischen und atomaren Massenvernichtungswaffen, die die Region und sogar die USA selbst bedrohen.
Dies behaupten sie, ist die Rechtfertigung für einen Präventivschlag gegen den Irak. In seiner Rede vor den Vereinten Nationen legte Bush jedoch keine neuen Belege, geschweige denn Beweise, vor, dass der Irak derzeit solche Waffen oder Raketen und Flugzeuge hat, die er einsetzen kann.
Scott Ritter, der von 1991 bis 1997 die UN-Sonderkommission für Waffeninspektionen Unscom leitete, sagt: „Im Dezember 1998 hatten wir 90 bis 95% der irakischen Massenvernichtungswaffen ausfindig gemacht. Wir haben alle Fabriken und alle Produktionsmittel zerstört. Einen Teil der Waffen konnten wir nicht ausfindig machen, aber chemische Waffen haben eine Haltbarkeit von fünf Jahren. Biologische Waffen haben eine Haltbarkeitsdauer von drei Jahren. Um heute Waffen zu haben, hätten sie die Fabriken wieder aufbauen und seit Dezember 1998 mit der Produktion dieser Waffen beginnen müssen.“
Laut Ritter ist dies angesichts der desolaten Lage der irakischen Wirtschaft nach 12 Jahren Sanktionen unwahrscheinlich. Jeder Versuch des Irak, Material für Massenvernichtungswaffen zu erwerben oder solche Waffen zu testen, so Ritter, würde durch die Überwachungsmethoden der USA aufgedeckt werden.
Bezeichnenderweise rief Bush nicht einmal zu erneuten Waffeninspektionen auf. Gleichzeitig hat die US-Führung klargemacht, dass die USA auch dann einen „Regimewechsel“ fordern, wenn die neue UN-Waffeninspektion Unimovic berichtet, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen besitzt.
Mit anderen Worten: Massenvernichtungswaffen sind für die USA nur ein Vorwand. Waffeninspektion ist für die USA irrelevant. Bush hat eine ganze Reihe von Bedingungen gestellt, die in Wirklichkeit ohne den Sturz Saddams nicht erfüllt werden können.
Die USA, so Bush vor der UNO, „haben keinen Streit mit dem irakischen Volk, das zu lange gelitten hat“. Die Heuchelei ist verblüffend. Irakis haben zweifellos unter der bösartigen Diktatur Saddam Husseins gelitten. Doch als Saddam das Land in einen achtjährigen Krieg mit dem Iran (1980-88) stürzte, unterstützten die USA sein Regime und lieferten Waffen und die Technologie für Massenvernichtungswaffen.
Seit dem Ende des Golfkriegs 1990/91 haben die USA und die westlichen Mächte unter dem Banner der UNO Sanktionen gegen den Irak verhängt, die verheerende Auswirkungen auf die Bevölkerung hatten.
Während dieser Zeit haben die USA und Großbritannien ständig Bombenangriffe gegen den Irak geflogen, um die Sanktionen und die Flugverbotszonen im Norden und Süden des Landes durchzusetzen. Diese Angriffe wurden in den letzten Monaten noch verstärkt.
Die USA haben die militärische Macht, Saddams Regime zu zerschlagen. Aber ein zweiter US-Krieg gegen den Irak würde „die Tore der Hölle öffnen“, wie der Generalsekretär der Arabischen Liga kürzlich sagte.
Tod und Zerstörung wären unvorstellbar. In einer Zeit, in der viele Krankenhäuser, Schulen, Elektrizitäts- und Wasserversorgungseinrichtungen usw. gerade erst wieder aufgebaut worden sind, würden die sozialen Verhältnisse um weitere zehn oder 20 Jahre oder mehr zurückgeworfen werden.
Laut Lawrence Lindsey, Bushs oberstem Wirtschaftsberater, würde ein US-Krieg gegen den Irak wahrscheinlich 200 Milliarden Dollar (129 Milliarden Pfund) kosten. Derzeit kämpft etwa die Hälfte der Weltbevölkerung mit einem Einkommen von weniger als 2 Dollar pro Tag ums Überleben.
Der Golfkrieg von 1990/91 kostete 50 Mrd. $ (80 Mrd. $ in aktuellen Preisen), aber Saudi-Arabien, Kuwait, Japan und andere steuerten 48 Mrd. $ bei. Es ist unwahrscheinlich, dass sie für einen zweiten Krieg zahlen werden, was den Verdacht erhärtet, dass die USA sich das irakische Öl als Reparationsleistung unter den Nagel reißen wollen.
Imperialistische Interessen
Warum sind die USA, eine mächtige Supermacht, wild entschlossen, den Irak anzugreifen, eine regionale Diktatur mit aufgebrauchtem Waffenarsenal und einer zerrütteten, halb entwickelten Wirtschaft? Die Antwort lautet: strategische Macht, wirtschaftliche Vorherrschaft und Öl.
Die neokonservativen Falken der Bush-Führung sind entschlossen, die unübertroffene militärische Macht der USA zu nutzen, um die Weltkarte im Interesse des US-Imperialismus neu zu zeichnen. Sie haben die empörte Reaktion auf die Anschläge vom 11. September als eine goldene Gelegenheit genutzt, um ihre Agenda für eine neue globale „Pax Americana“ umzusetzen. Den US-Konzernen, Banken und Finanzhäusern wird der freie Zugang zu Märkten, Ressourcen und billigen Arbeitskräften überall auf der Welt zugesichert. Regime, die dem im Weg stehen, werden bestraft oder ausgetauscht. Freunde werden bestochen und beschützt.
Bushs Pläne wurden lange vor dem 11. September und sogar vor seinem Amtsantritt im Weißen Haus ausgearbeitet. Im September 2000 beispielsweise entwarf eine rechte Denkfabrik, das Project for the New American Century ([Projekt für das Neue Amerikanische Jahrhundert] PNAC), einen Plan für Cheney (jetzt Vizepräsident), Rumsfeld (jetzt Verteidigungsminister), Wolfowitz (sein Stellvertreter) und andere Bush-Berater*innen.
Sie planten, die militärische Kontrolle über die Golfregion zu übernehmen, unabhängig davon, ob Saddam an der Macht war oder nicht: „Die Vereinigten Staaten sind seit Jahrzehnten bestrebt, eine dauerhaftere Rolle in der regionalen Sicherheit am Golf zu spielen. Während der ungelöste Konflikt mit dem Irak die unmittelbare Rechtfertigung liefert, geht die Notwendigkeit einer substanziellen amerikanischen Truppenpräsenz am Golf über die Frage des Regimes Saddam Husseins hinaus“, so der PNAC.
Die US-Streitkräfte, so der Bericht weiter, seien „die Kavallerie an der neuen amerikanischen frontier“. [Im Unterschied zum deutschen Wort Grenze ist in den USA das Wort frontier mit der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorstellung verbunden, immer weiter vorgeschoben zu werden – A.d.Ü.] Nach dem 11. September erhöhte Bush die Militärausgaben der USA in den nächsten sechs Jahren um atemberaubende 100 Milliarden Dollar. Rumsfeld, Wolfowitz und Co. enthüllten auch ihre neue Militärdoktrin, die auf offensiven, „taktischen“ Atomwaffen und der Strategie des Präventivkriegs gegen die Feinde der USA beruht.
Ein Krieg für Öl
Öl ist natürlich ein Hauptmotiv für die US-Intervention in der Golfregion. Die Kontrolle über die irakischen Reserven, die nach denen von Saudi-Arabien die zweitgrößten sind, würde den USA einen entscheidenden Einfluss auf die Welt-Ölmärkte verschaffen. Die amerikanischen Großkonzerne träumen von unbegrenzten Vorräten an billigem Öl zu einem Preis von 10 Dollar pro Barrel (verglichen mit dem derzeitigen Preis von etwa 30 Dollar pro Barrel). Schon jetzt stecken große Ölgesellschaften ihre Ansprüche auf die irakischen Ölreserven ab.
Die Falken glauben, dass sie die politische Architektur der gesamten Region neu aufbauen können, sobald sie den Irak kontrollieren und ein Handlanger*innenregime auf Seiten der USA installiert ist. Sie würden Israel/Palästina eine Regelung aufzwingen, den israelischen Staat stärken und gleichzeitig einen „palästinensischen Staat“ unterstützen, der ein von Israel dominiertes „Bantustan“ wäre.
Seit seinem Aufstieg zur industriellen Großmacht am Ende des 19. Jahrhunderts hat der US-Kapitalismus eine zunehmend imperialistische Rolle auf der Weltbühne gespielt. Die neokonservative Führung unter Bush markiert jedoch eine neue Phase des amerikanischen Imperiums. Sie sind mit den rücksichtslosesten und gierigsten Teilen der Großkonzerne, den Ölfirmen, Waffenproduzent*innen und Finanzbetrüger*innen verbunden. Sie befürworten eine noch aggressivere, räuberischere Form des Imperialismus. Die militärische Zerschlagung Saddams wäre für sie eine eindrucksvolle Demonstration, dass sie es ernst meinen.
Aber sie geben sich der Illusion hin, dass militärische Macht allein eine stabile Weltordnung sichern kann. Die Bush-Führung ist blind für die explosiven Folgen eines militärischen Angriffs auf den Irak. Einige der ausgewogeneren Vertreter*innen der herrschenden Klasse in den USA (einschließlich vieler militärischer und außenpolitischer Berater*innen von Präsident Bush senior) sind äußerst beunruhigt über die unausgewogene, kurzsichtige Politik von Bush junior.
Die USA können den Irak militärisch besiegen. Aber eine Invasion des Irak könnte in Bezug auf die Zahl der US-Opfer viel kostspieliger sein als der Golfkrieg 1990-91. Die Widerstandskraft des Regimes ist ungewiss, aber die Irakis würden ihr Heimatland gegen eine Besetzung verteidigen.
Auch die Folgen des Krieges könnten die USA vor große Probleme stellen. In Afghanistan war es relativ einfach, die Taliban zu besiegen, aber das Land ist immer noch von Kämpfen von Warlords und sozialem Zusammenbruch gezeichnet. Der Irak (der zwischen Sunnit*innen, Schiit*innen und Kurd*innen gespalten ist) könnte implodieren, und benachbarte Mächte wie der Iran und die Türkei könnten eingreifen.
Ein US-Angriff auf den Irak würde eine Explosion quer durch die arabischen und islamischen Länder auslösen. Das Überleben pro-amerikanischer Diktaturen wie Saudi-Arabien und Ägypten wäre in der Schwebe, und es bestünde die Möglichkeit, dass extreme, anti-amerikanische Führungen die Macht übernehmen.
Empörung über einen US-Angriff auf ein islamisches Land würde zusammen mit der Unterstützung Israels gegen die Palästinenser*innen viele weitere Rekrut*innen für Organisationen wie Al-Qaida hervorbringen und die terroristische Bedrohung für die USA und andere westliche Länder erhöhen. Saddam ist jetzt der US-Feind Nummer eins, aber bin Laden ist noch nicht „tot oder lebendig“ gefasst worden.
Die Kontrolle der USA über den Irak könnte billiges Öl versprechen, aber kurzfristig könnte der Krieg den Ölpreis dramatisch erhöhen. Die taumelnde Weltwirtschaft könnte in einen neuen Abschwung getrieben werden.
Wenn die USA den Irak angreifen, wird es eine Flutwelle des Widerstands geben, die umso stärker ist, je länger der Krieg und seine Folgen andauern.
Es wird Massenproteste geben, nicht nur gegen den Krieg, sondern gegen das System des imperialistischen Kapitalismus, das einen ständigen Strom von Konflikten und Kriegen produziert. Es wird ein wachsendes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer weltweiten sozialistischen Umgestaltung, für eine Gesellschaft auf der Grundlage von Arbeiter*innendemokratie und demokratischer Wirtschaftsplanung geben. Nur ein Ende der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung kann die Geißel des Krieges beseitigen.
Regime Change: „Muss nicht etwas gegen Saddam unternommen werden?
Saddams Regime ist zweifellos ein repressiver Polizeistaat. Er hat Tausende von Gegner*innen inhaftiert, gefoltert und ermordet. Das Regime, das sich auf die Sunnit*innen stützt, unterdrückt sowohl die kurdische Minderheit als auch die schiitische Mehrheit (60%). Saddam hat den enormen Ölreichtum des Landes für einen monströsen Militärapparat und Luxuspaläste für seine Günstlinge vergeudet. Der Krieg mit dem Iran und die Invasion in Kuwait haben den meisten Irakis unsägliches Leid gebracht.
Saddams Regime los zu werden ist jedoch Aufgabe des irakischen Volkes. Eine Intervention und Besetzung durch die USA würde ausschließlich den Interessen der US-Macht und ihrer wirtschaftlichen Vorherrschaft dienen.
Saddam hatte früher chemische und biologische Waffen entwickelt und arbeitete an der Entwicklung von Atomwaffen. Ob er immer noch über solche Waffen verfügt, ist unklar, aber er strebt sie zweifellos an. Seine Zerstörungskraft war vor dem Golfkrieg 1990/91 viel größer als heute.
Als er das schreckliche Giftgas gegen iranische Truppen und die Kurd*innen einsetzte, hatte er die volle Unterstützung der USA als Verbündeter gegen den Iran, damals der Feind Nr. 1 der USA. US-Militärberater*innen versorgten Saddam mit Informationen und taten Giftgas als „nur eine andere Art, Menschen zu töten“ ab.
Gegenwärtig stellen US-Luftangriffe, eine Invasion und die Folgen eines Krieges eine viel größere Bedrohung für das irakische Volk dar als Saddams eigenes Waffenarsenal.
Handlanger*innen-Regime
Wie immer predigt Bush die Wiederherstellung der Demokratie im Irak. In Wirklichkeit wollen die USA ein Marionettenregime installieren, das sich aus von Saddam desertierten Generälen und Politiker*innen wie Ahmad Chalabi, dem führenden Vertreter des Irakischen Nationalkongresses, zusammensetzt. Dies ist ein reines CIA-Geschöpf. Chalabi ist ein reicher Bankier, der in Jordanien in Abwesenheit zu 20 Jahren Gefängnis für einen Währungsbetrug von 60 Millionen Dollar verurteilt wurde. Er hat keine Vorgeschichte als Oppositioneller im Irak.
Unmittelbar nach dem Golfkrieg von 1991 gab es Aufstände der Kurd*innen im Norden und der Schiit*innen im Süden. Präsident Bush senior rief im Radio zum Sturz von Saddam auf. Doch die US-Streitkräfte sahen tatenlos zu, wie Saddam diese Aufstände niedermetzelte.
Aus Angst vor einem Auseinanderbrechen des Irak erklärte ein hochrangiger US-Beamter: „Unsere Politik zielt darauf ab, Saddam Hussein selbst loszuwerden, nicht sein Regime“. Das Letzte, was die USA wollen, ist ein revolutionärer Wandel unter Beteiligung der irakischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen.
Wenn die USA den Irak besetzen, wird das Ergebnis ein Handlanger*innenregime sein, vielleicht mit kosmetischen Wahlen. Das Land würde von Washington DC aus regiert, sein Ölreichtum von den großen US-Ölgesellschaften ausgesaugt.
„Wenn die Vereinten Nationen sich nicht um das Problem kümmern, werden es die Vereinigten Staaten tun“
Während das Weiße Haus im Sommer die Kriegstrommeln immer lauter schlug, gab es immer lautere Rufe, Bush solle über die Vereinten Nationen gehen.
Führende Vertreter*innen der europäischen Mächte, Russlands, der arabischen Regime und anderer sehen darin eine Möglichkeit, ihre Interessen vor den Folgen einer einseitigen US-Intervention zu schützen. Gleichzeitig hoffen viele Menschen aufrichtig, dass die UNO die Irak-Krise entschärfen und einen Krieg vermeiden könne. Aber ist die UNO wirklich in der Lage, internationale Konflikte zu lösen, vor allem, wenn sie die Großmächte direkt involvieren?
Die Geschichte sagt Nein. Immer wieder hat die UNO den Großmächten einen Deckmantel der „internationalen Legalität“ für ihr Handeln geliefert.
Dies hängt von der Unterstützung oder zumindest der Duldung der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates ab, die jeweils ein Vetorecht haben. Wenn es keine Einigung gibt, ist die UNO gelähmt. Insbesondere die USA ignorieren häufig UN-Resolutionen oder handeln einseitig. Im Fall von Kosova starteten die USA, Großbritannien und andere eine Militärintervention ohne die Autorität der UNO. Die Nato schob die Vereinten Nationen auf die Seite.
Der Sicherheitsrat ist kein unparteiisches Gremium, sondern lediglich ein Forum für die Großmächte. Die USA, Großbritannien, Frankreich und Russland haben alle große Anteile an der Ölindustrie im Nahen Osten. 189 Staaten gehören derzeit der UNO an, 120 haben US-Basen auf ihrem Territorium.
Die USA werfen Saddam vor, gegen zahlreiche UN-Resolutionen verstoßen zu haben, was zweifelsohne wahr ist. Doch die von der US-Militärmacht durchgesetzten UN-Sanktionen haben dem irakischen Volk Tod und Leid gebracht, was völlig gegen die eigenen humanitären Standards der UN verstößt. Die eigene UN-Organisation UNICEF berichtete im Oktober 1996, dass monatlich 4.500 Kinder an Hunger und Mangel an Medikamenten sterben.
Während die USA den Irak verurteilen, unterstützen sie weiterhin das Scharon-Regime in Israel, das eklatant gegen eine viel längere Liste von UN-Resolutionen verstößt. Als eine UN-Kommission über Menschenrechtsverletzungen durch israelische Streitkräfte im Flüchtlingslager Dschenin berichtete, ordnete Kofi Annan auf Druck der USA an, den Bericht umzuschreiben und die Kritik an den Übergriffen der israelischen Streitkräfte zu streichen.
Sabra und Shatila
Dieses Jahr jährt ist der 20. Jahrestag des schrecklichen Massakers an mindestens 1.500 palästinensischen Flüchtlingen in den libanesischen Lagern Sabra und Schatila, das von libanesischen Milizen unter der Leitung von Scharon verübt wurde. Welche Maßnahmen hat die UNO gegen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit unternommen? Die israelische Invasion im Libanon forderte über 12.000 tote Zivilist*innen, 30.000 Verwundete und 200.000 Obdachlose.
Die UNO wird oft dafür gelobt, in Konfliktsituationen den Frieden zu wahren. In der Mehrzahl der Fälle hat die UNO jedoch völlig versagt, wenn es darum ging, bedrohte Menschen zu schützen – weil die Großmächte nicht daran interessiert waren, etwas zu unternehmen.
In Ruanda wurden 1994 die französisch-belgischen UN-Friedenstruppen zu Beginn eines völkermörderischen Massakers abgezogen, das in 100 Tagen eine Million Opfer forderte. Im Oktober 1996 wurde die UN-Schutztruppe aus der von den Vereinten Nationen als „sicheres Gebiet“ bezeichneten Stadt Srebrenica in Bosnien abgezogen, so dass die bosnisch-serbischen Truppen von General Mladić 4.500 bosnische Muslim*innen ermorden konnten.
Die zynische Manipulation der UNO durch die USA zeigt sich in zwei Resolutionen des Sicherheitsrates aus dem Jahr 1975. Sie forderten, dass Marokko seine Besatzungstruppen aus der Westsahara und Indonesien seine Truppen aus Osttimor abzieht.
Der damalige US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Daniel Patrick Moynihan, prahlte später in seinen Memoiren: „Das Außenministerium wollte, dass sich die Vereinten Nationen bei allen Maßnahmen, die sie ergriffen, als völlig unwirksam erwiesen. Die Aufgabe wurde mir übertragen, und ich habe sie mit nicht unbeträchtlichem Erfolg ausgeführt.“ Osttimor wurde 1999 nach 24 Jahren von den USA unterstützter Besatzung endlich befreit. Marokkanische Truppen halten noch immer die Westsahara besetzt.
Bushs Verachtung für die Vereinten Nationen ist klar. „Wenn der UN-Sicherheitsrat sich nicht mit dem Problem befasst“, sagte er am 19. September, „dann werden es die Vereinigten Staaten und einige unserer Freunde tun“. Selbst diejenigen, die Bush zu einer multilateralen Politik drängen, sehen in den Vereinten Nationen lediglich ein Mittel zur Legitimierung des amerikanischen Vorgehens.
Die „Washington Post“, die Zeitung der politischen Elite der USA, kommentierte (19. September): „Wenn die Regierung es mit den Vereinten Nationen versucht und scheitert, wird sie viel näher dran sein als jetzt, einen starken Konsens mit wichtigen Verbündeten und der amerikanischen Öffentlichkeit über eine Militäraktion zu erreichen.“
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