(eigene Übersetzung des englischen Textes, veröffentlicht in Socialism Today, Nr. 39, Juni 1999)
Das kosovo-albanische Volk, das 90% der Bevölkerung Kosovas ausmachte, sollte das grundlegende demokratische Recht haben, selbst über seinen Status zu entscheiden: das Recht auf Selbstbestimmung. Schon vor der erzwungenen Massendeportation der Mehrheit der Kosova-Albaner*innen aus ihrer Heimat sprach sich die überwältigende Mehrheit für die Unabhängigkeit aus. Jahre von repressiver Politik des nationalistischen serbischen Regimes, insbesondere seit Milošević 1989 den Autonomiestatus Kosovas widerrechtlich aufhob, schlossen alles aus, was weniger weit ging. Jetzt wird nichts die ethnischen Albaner*innen mit der Republik Serbien versöhnen.
– Lynn Walsh schreibt.
Angesichts der gewaltsamen Unterdrückung und gewaltsamen Vertreibung haben die Kosova-Albaner*innen klar das Recht auf bewaffnete Selbstverteidigung. Sozialist*innen müssen ihr Recht unterstützen, in ihre Heimat zurückzukehren und ihre Gemeinden gegen weitere Angriffe zu verteidigen. Aber können wir die Kosova-Befreiungsarmee (UÇK) politisch unterstützen, der sich eine wachsende Zahl von Kosovar*innen, sowohl im Inland als auch in der kosovarischen Diaspora, angeschlossen hat?
Die UÇK (Ushtri Çlirimtare e Kosoves) hat sich mit der sich verändernden politischen Lage in Kosova entwickelt. Detaillierte Informationen und Dokumente sind nur begrenzt vorhanden, so dass unsere Einschätzung vorläufig sein muss. Dennoch ist mit den jetzt auftauchenden Berichten die politische Entwicklung der UÇK viel klarer geworden.
Bis 1997 war die UÇK eine winzige Organisation. Ihre Ursprünge gehen auf die politischen Unruhen in Kosova in den frühen 1980er Jahre zurück. Jugoslawiens Verfassung von 1974 gab Kosova Autonomie, aber (im Gegensatz zu den sechs Republiken) nicht den vollen Status einer Republik. Nach dem Tod Titos forderten die Student*innen in Pristina den vollen föderalen Status – mit dem verfassungsmäßigen Recht auf Lostrennung. Der stalinistische Bundesstaat ging hart gegen die Unabhängigkeitsaktivist*innen vor und verurteilte viele von ihnen zu langen Haftstrafen. Später gingen viele von ihnen ins Exil und schlossen sich den albanischen „Gastarbeiter*innen“-Communities in der Schweiz, Deutschland und anderswo an. 1982 gründete eine Gruppe von ihnen die kleine Organisation (LRSHJ), die schließlich (1993) zur Volksbewegung für Kosova (LPK) wurde. Ideologisch gesehen war die LPK „maoistisch“, d. h. mit dem albanischen stalinistischen Regime von Enver Hoxha verbunden, der sich während der chinesisch-sowjetischen Spaltung auf die Seite Chinas gegen die sowjetische Führung stellte. Wie bei anderen stalinistisch geführten nationalistischen Bewegungen standen nationale Forderungen – nach einem unabhängigen Kosova und einem Großalbanien (das alle Albaner*innen in Kosova, Westmazedonien, Ostmontenegro und Albanien selbst vereinigt) – im Vordergrund, obwohl damals zweifellos vorgesehen war, dass der vereinigte Staat das albanische Modell übernehmen sollte.
Nach dem Zerbrechen Jugoslawiens spielte die LPK bei einer Reihe von Geheimtreffen 1992/93 in Skopje und Pristina eine Schlüsselrolle bei der Gründung der UÇK. Verbindungen zu kosovo-albanischen Mafias, die im Drogenhandel und auf dem Schwarzmarkt in Westeuropa tätig waren, stellten eine Geldquelle dar, ebenso wie Verbindungen zu nationalistischen Clanchef*innen in Kosova. UÇK-Aktivist*innen in Kosova verübten sporadische Angriffe auf die serbische Polizei und andere Beamt*innen, hatten aber nur wenig Einfluss auf die politische Lage.
Bis nach dem Ende von 1995 wurde die kosovo-albanische Politik von der Demokratischen Liga von Kosova (LDK) unter der Führung von Ibrahim Rugova dominiert. Rugova war ein Pazifist, der sich nach dem Zerfall des alten Jugoslawien für die Unabhängigkeit einsetzte, aber für eine Gandhi-artige Politik des passiven Widerstands plädierte. 1992, als in Bosnien Hunderttausende vertrieben und viele Hunderte im Rahmen der barbarischen „ethnischen Säuberungen“ ermordet wurden, argumentierte Rugova: „Wir hätten keine Chance, uns der serbischen Armee zu widersetzen. In Wirklichkeit warten die Serben nur auf einen Vorwand, um die albanische Bevölkerung anzugreifen und sie auszurotten. Wir glauben, dass es besser ist, nichts zu tun und am Leben zu bleiben, als massakriert zu werden“. Entsetzt über die brutalen Kriege in Kroatien und Bosnien, war die Mehrheit der Kosovar*innen geneigt, Rugovas Politik zu unterstützen. Ohnehin hatten im Gegensatz zu den Kroat*innen, Serb*innen und bosnischen Muslim*innen die kosovarischen Nationalist*innen ohne Zugang zum Meer damals keinen Zugang zu Waffen.
Nach Miloševićs verfassungswidriger Aufhebung des autonomen Status von Kosova im Jahr 1989 organisierte die LDK ein inoffizielles Referendum, das 1991 mit überwältigender Mehrheit die Ausrufung der „Republik“ Kosova mit eigenem Parlament und eigener Exilregierung befürwortete. Rugova wurde in „illegalen“ Wahlen im Mai 1992 mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt (der Großteil der serbischen Minderheit nahm nicht teil).
Die LDK richtete parallele Institutionen ein – eine Schattenverwaltung, Universitäten, Schulen, Kliniken -, um zu beweisen, dass Kosova aus eigener Kraft funktionieren konnte. Entscheidend für diese Strategie war Rugovas Glaube, dass die USA und die europäischen Mächte, beeindruckt von der friedlichen Haltung der Kosovar*innen, zur Unterstützung eines unabhängigen Kosova eingreifen würden.
Dieser Traum wurde 1995 durch das Abkommen von Dayton zerstört, das Bosnien-Herzegowina eine von den USA unterstützte Regelung auferlegte. Trotz Milošević‘ Unterstützung für die brutalen „ethnischen Säuberungen“ durch serbische Paramilitärs in Bosnien belohnte ihn die Europäische Union mit der Anerkennung der jugoslawischen Rumpf-Föderation (Serbien und Montenegro). Die serbische Republik wurde als autonome Einheit innerhalb Bosniens anerkannt. Aber Kosova wurde nicht einmal erwähnt.
Besonders die jüngere Generation (über 70% der Kosovar*innen sind unter 30 Jahre alt) wandte sich gegen den Pazifismus der LDK. Abgesehen von Dayton wuchs das Gefühl, dass die Politik der parallelen Institutionen nur die Apartheid-Politik verstärkte, die das serbische Regime in Kosova durch die Entlassung ethnischer Albaner*innen aus dem öffentlichen und privaten Sektor aufzuzwingen versuchte. Obendrein mussten, während die Kosovar*innen weiterhin Steuern an die serbische Regierung zahlen mussten, die parallelen Institutionen durch eine 3%ige Abgabe auf die Einkommen der kosovarischen Exilant*innen (über 600.000 in Westeuropa und etwa 300.000 in den USA und Kanada) finanziert werden.
1997 wandte sich der altgediente liberal-demokratische Nationalist Adem Demaçi (28 Jahre lang als politischer Gefangener des jugoslawischen Staates inhaftiert) gegen Rugovas Politik. Er rief dazu auf, dass Rugovas Regierung in Pristina zusammentrete und einen aktiven Kampf gegen die serbischen Behörden führe. Die Chefin der Sozialdemokratischen Partei, Luljeta Pula-Beqiri, griff Rugova ebenfalls öffentlich an. Die Ausrufung der Kosova-Republik sei ein Schritt nach vorn gewesen, aber Rugovas „gesamte Politik beruhte darauf, auf eine internationale Intervention zu warten, die nie eintrat. Die acht Jahre seit 1990 sind auf tragische Weise vergeudet worden“.
Rugova in den Hintergrund gedrängt
Die politischen Gezeiten haben sich gegen Rugova und die LDK und für die UÇK gewendet. Gleichzeitig eröffnete sich 1997 eine neue Waffenquelle. Als das Regime von Sali Berisha in Albanien nach dem Zusammenbruch der Schneeballsysteme gestürzt wurde, wurden die staatlichen Waffenlager geplündert und eine Flut von billigen Waffen auf den Markt gebracht. In Westeuropa verstärkte die LPK ihre Kampagne, um die Kosovar*innen davon zu überzeugen, ihre freiwillige Einkommenssteuer von 3% von Rugovas Exilregierung an die UÇK zu verlagern. Dies wurde über den Das-Vaterland-ruft-Fonds organisiert, der Mittel für den Kauf von Waffen und die Ausbildung durch westliche und kroatische Militärs bereitstellte. Innerhalb Kosovas begann die UÇK, ein stärkeres Untergrundnetzwerk aufzubauen und Angriffe auf serbische Sicherheitskräfte zu verüben.
In den Jahren 1996-97 begann die UÇK, die Unterstützung von Clanchef*innen in Kosova zu rekrutieren, darunter den einflussreichen Adem Jashari aus Prekaz in der zentralen Drenica-Region. Diese traditionellen Chef*innen waren durch und durch Nationalist*innen, viele von ihnen Söhne und Enkel der faschistischen Milizen der Bali Kombëtar, die im Zweiten Weltkrieg mit den italienischen Faschist*innen für ein Großalbanien gekämpft und mit der deutschen SS gegen Titos Partisanen kollaboriert hatten. Sie trafen sich mit den ehemaligen stalinistischen Nationalist*innen mit dem gemeinsamen Ziel, jetzt die Unabhängigkeit und später ein Großalbanien zu erreichen.
Jakup Krasniqi, ein führender UÇK-Vertreter, sagte: „Ich glaube nicht, dass wir eine Ideologie haben. In der Tat haben wir keine Zeit für solche Dinge, selbst wenn wir daran interessiert wären, denn wir haben unsere Hauptaufgabe zu erfüllen, nämlich die Befreiung“. In Wirklichkeit haben Befreiungsbewegungen jedoch immer einen politischen Inhalt. Ohne ein Programm, das bewusst die Interessen der ausgebeuteten Klassen zum Ausdruck bringt, geraten nationale Bewegungen unweigerlich unter den politischen Einfluss anderer gesellschaftlicher Kräfte. Historisch wurden sie von Teilen der Großgrundbesitzer*innen und Kapitalist*innen dominiert, die ihre eigene nationale Arena suchten, in der sie Arbeiter*innen und Bäuer*innen ausbeuten konnten.
In der Nachkriegszeit übernahmen aufgrund der tiefen Krise des Kapitalismus in der „Dritten Welt“ die führenden Vertreter*innen vieler nationaler Befreiungsbewegungen die Methoden und das Modell der herrschenden Bürokratie der stalinistischen Staaten als Alternative zum Kapitalismus. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und anderer stalinistischer Staaten ist das Modell der zentralen Planwirtschaft unter einer herrschenden Bürokratie keine Option mehr für Befreiungsbewegungen. Die internationale Lage hat ebenso wie das Kräfteverhältnis in Kosova den Einfluss der prokapitalistischen Nationalist*innen auf Kosten der ehemaligen Stalinist*innen in der UÇK gestärkt. Auch wenn Guerillabewegungen immer von den am meisten ausgebeuteten Schichten unterstützt werden, besteht immer die Gefahr einer Militarisierung und Bürokratisierung ihrer Führung, wenn die Guerillakräfte nicht mit demokratischen Organisationen des Massenkampfes verbunden sind.
Maskierte und uniformierte UÇK-Kämpfer*innen traten erstmals bei einem Massenbegräbnis von Opfern der serbischen Sicherheitskräfte im November 1997 öffentlich in Erscheinung. Es bildeten sich Dorfmilizen, die den Namen der UÇK annahmen. Als die UÇK Anfang 1998 eine Offensive startete, gab es in Wirklichkeit bereits die Anfänge eines Volksaufstandes. Dieser erhielt durch den Angriff serbischer Militärs und Paramilitärs auf die zentrale Region Drenica Ende Februar 1998 einen massiven Schub. Die serbischen Streitkräfte ermordeten 80 Mitglieder von Jasharis Großfamilie und führten einen schweren Angriff auf Prekaz durch, bei dem mehrere hundert Menschen starben und etwa 20.000 aus der Stadt flohen. Dieses Massaker löste den Beginn eines Volksaufstandes aus, und die UÇK wuchs innerhalb weniger Wochen von etwa 300 auf rund 30.000 Mitglieder an.
Aus dem Ausland strömten mehr Geld und Freiwillige, darunter auch ethnische Albaner*innen, die 1991/92 in den kroatischen Milizen gekämpft hatten. Eine große Schicht von Rugovas Demokratischer Liga des Kosova schwenkte zur UÇK über. Die UÇK ernannte Adem Demaçi und seine Parlamentarische Partei von Kosova zu ihrem politischen Sprachrohr. „Die Politiker haben die Kontrolle über die Situation völlig verloren“, sagte ein Politiker: „Die jungen Leute warten nur darauf, dass sie die Waffen bekommen, die sie zum Kämpfen brauchen“.
Zu diesem Zeitpunkt gab es eindeutig das Potenzial für einen Massenkampf, der demokratische Organisationen von Arbeiter*innen, Bäuer*innen, armen Händler*innen und Intellektuellen mit demokratischen, bewaffneten Milizen verband. Die UÇK-Führung verfolgte jedoch eine vorwiegend „militärische“ Strategie. Die UÇK-Kräfte übernahmen die Kontrolle über Gebiete, die massiv von ethnischen Albaner*innen bewohnt waren, und zwangen die serbischen Truppen zum Rückzug. Nach fünf Monaten kontrollierte die UÇK etwa ein Drittel der Provinz, verbot jedoch alle politischen Parteien in den befreiten Dörfern und griff (Berichten zufolge) physisch die serbische, die Roma- und die Goran-Minderheit (islamisierte Mazedonier*innen) an, um sie zu vertreiben.
Anfänglich waren die serbischen Streitkräfte gezwungen, den Rückzug anzutreten. Jedoch schon nach kurzer Zeit begann das serbische Regime eine Gegenoffensive und begann, die Kontrolle über die befreiten Dörfer zurückzuerlangen. Die UÇK war nicht stark genug, um die befreiten Gebiete zu verteidigen. Die serbischen Streitkräfte begannen, systematisch die zuvor in Bosnien angewandte Taktik der „ethnischen Säuberung“ anzuwenden, indem sie militärische Terrortaktiken, die Folterung mutmaßlicher Aktivist*innen und Morde einsetzten, um Dorfbewohner*innen zu vertreiben, die der Sympathie für die UÇK verdächtigt wurden. Im Laufe des Jahres 1998 wurden mindestens 800 Menschen von serbischen Streitkräften getötet und etwa 150.000 aus ihren Häusern vertrieben.
Die US-Führung war wegen der Entwicklung eines kosovo-albanischen Massenbefreiungskampfes alarmiert. Bei einem Besuch in Pristina im Februar 1998 verurteilte der US-Sonderbeauftragte für den Balkan, Robert Gelbard, die UÇK als „ohne jeden Zweifel eine terroristische Gruppe“ – was Milošević zweifelsohne ermutigte, in die Offensive zu gehen. Gleichzeitig versuchten die USA, eine formbarere kosovarische Kampftruppe unter ihrer Kontrolle aufzubauen. Nominell unter der Führung von „Präsident“ Rugova wurden die Streitkräfte der Republik Kosova (FARK) gegründet, mit Mitteln des saudi-arabischen Regime und militärischer Unterstützung des türkischen Regimes. Im September jedoch ermordete die UÇK Ahmet Krasniqi, den designierten Chef der FARK, in Tirana. Seitdem hat man nichts mehr von dieser geplanten Truppe gehört.
Im Oktober 1998 intervenierte der US-Sondergesandte Richard Holbrooke und überredete Milošević, einen Waffenstillstand zu akzeptieren. Die serbischen Streitkräfte zogen sich teilweise aus Kosova zurück, doch die UÇK verstärkte im Gegenzug ihre Operationen. Gut versorgt mit Waffen, die über Albanien und Mazedonien kamen, nahm die UÇK von den Serb*innen aufgegebene Stellungen ein. Milošević drohte, die Kontrolle über Kosova zu verlieren, und erneuerte die serbische Offensive.
Das Massaker von Račak [Reçak] am 15. Januar 1999 war in Wirklichkeit nur ein abstoßendes Beispiel für eine Reihe von Grausamkeiten, die von serbischen Streitkräften verübt wurden – aber es wurde von den USA als Rechtfertigung dafür genommen, Milošević und den führenden kosovarischen Vertreter*innen ein Ultimatum zu stellen, an Gesprächen auf der Grundlage einer nicht verhandelbaren Zehn-Punkte-Erklärung von Grundsätzen teilzunehmen. Milošević wurde mit militärischen Repressalien für den Fall gedroht, dass er dem nicht nachkäme.
Der US-Plan wurde Ende 1998 von dem US-Botschafter in Mazedonien, Christopher Hill, ausgearbeitet. Die Grenzen Jugoslawiens sollten unverändert bleiben, um keinen Präzedenzfall für die Infragestellung anderer Grenzen (insbesondere derjenigen Mazedoniens) zu schaffen. Innerhalb dieser Grenzen würde Kosova jedoch eine „substantielle Autonomie“ zugestanden, die ihm in der Praxis die meisten internen Eigenschaften eines Staates verleihen würde. Die Umsetzung würde durch die Besetzung von Kosova durch Nato-Truppen gewährleistet werden. Im November/Dezember nahmen US-Diplomat*innen zum ersten Mal direkte Gespräche mit der UÇK-Führung auf (in einer Reihe von Treffen in der Schweiz, in Kosova und in den USA). Es gab offensichtlich eine abgestimmte Kampagne, die UÇK zur Unterstützung des US-Friedensplans zu bewegen, der dann bei den Gesprächen in Rambouillet beiden Seiten vorgelegt wurde.
Die UÇK in Rambouillet
Die Einzelheiten einiger entscheidender Aspekte der Rambouillet-Verhandlungen bleiben im Dunkeln. Die vollen Einzelheiten der Memoranden über die „militärische Umsetzung“ bleiben geheim. Außerdem wurden sowohl dem serbischen Regime als auch der kosovarischen Delegation, die sich bei den „Annäherungsgesprächen“ in Rambouillet nie von Angesicht zu Angesicht getroffen haben, zweifellos verschiedene Versprechen gemacht. Entgegen vielen Berichten stimmte die kosovarische Delegation, die von führenden UÇK-Vertreter*innen dominiert wurde (während Rugova an den Rand gedrängt war), zunächst dem Interimsabkommen für Frieden und Selbstverwaltung zu (das 24 „nicht verhandelbare Grundsätze/Grundelemente“ enthielt). Die Kosovar*innen schienen es auf der Grundlage zu akzeptieren, dass das Interimsabkommen, wenn es von beiden Seiten akzeptiert würde, drei Jahre lang gelten würde – bis das Volk über seinen künftigen Status entscheiden würde. Die Kosovar*innen gingen davon aus, dass das ein Referendum in Kosova bedeuten würde, auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wurde. Sie akzeptierten, dass die Entmilitarisierung der UÇK ihre Umwandlung in eine zivile (bewaffnete) Polizeitruppe beinhalten würde. Und sie begrüßten den Vorschlag für eine 30.000 Mann starke Nato-Truppe, die die Einhaltung des Abkommens sicherstellen soll.
Die kosovarische Delegation gab „konstruktive“ Kommentare zu dem Entwurf ab und versuchte, die Details zu ihren Gunsten auszufüllen. Die serbische/jugoslawische Delegation versuchte jedoch, die Gespräche zu behindern, und drohte im letzten Moment mit einem Rückzug. Trotz der serbischen Taktik flog Holbrooke einige Tage vor Ablauf der Frist nach Belgrad, um Milošević zu treffen – und kehrte anschließend nach Rambouillet zurück, um die „nicht verhandelbaren“ Punkte zugunsten Serbiens zu revidieren, indem er die serbische Souveränität über Kosova ausdrücklich präzisierte und Referenden zum „Willen des Volkes“ strich.
Die Kosova-Delegation lehnte diese Änderung ab, doch unter starkem Druck der USA – einschließlich des persönlichen Eingreifens von Außenministerin Madeleine Albright – stimmten alle Delegationsmitglieder bis auf eines zu, die Grundsätze zu unterzeichnen. Hashim Thaçi, der Geheimdienstchef der UÇK, verweigerte die Unterschrift – und zwang die USA, eine dreiwöchige Vertagung zu akzeptieren, um der Delegation die Durchführung von Konsultationen in Kosova zu ermöglichen. Ob dies darauf zurückzuführen war, dass Thaçi das Abkommen grundsätzlich ablehnte oder Zeit haben wollte, um andere führenden UÇK-Vertreter*innen mit ins Boot zu holen, ist nicht klar.
Aus den nachfolgenden Ereignissen kann abgeleitet werden, dass es in dieser Periode einen intensiven Kampf innerhalb der UÇK-Führung gab. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass die USA der UÇK verstärkte militärische Unterstützung versprachen, sofern sie den US-Plan unterzeichneten. Der militärische Flügel der UÇK-Führung hatte klar die Nase vorn. Offensichtlich rechnete sie sich aus, dass die Zusammenarbeit mit der Nato die einzige Möglichkeit sei, sich in Kosova wieder als effektive Kraft zu etablieren. Zweifellos glauben die führenden UÇK-Vertreter*innen, dass eine dreijährige Autonomie unter dem Schutz der Nato ein Sprungbrett in die Unabhängigkeit oder sogar in ein Großalbanien zu einem späteres Zeitpunkt sein werde. Indem die führenden UÇK-Vertreter*innen die Nato enthusiastisch umarmten, haben sie jedoch einen unabhängigen Massenkampf der Kosovar*innen zur Befreiung des Landes praktisch ausgeschlossen.
Die Propaganda der UÇK hat sich geändert. Vor Rambouillet verkündete die „Stimme von Kosova“, die frühere Zeitung der wichtigsten UÇK-Fraktion, der LPK, auf ihrem Titelblatt noch „Es lebe der Marxismus-Leninismus“ und warb für Bücher von Enver Hoxha und anderen albanischen „Maoisten“. Diese alten stalinistischen Ornamente wurden jedoch in der Ausgabe vom 25. April gestrichen, die die Schlagzeile „Nato, danke“ trug. Die UÇK-Führung prangerte zunehmend „Partei- oder politische Interessen“ an und griff die Gruppierung von Adem Demaçi vehement an. Demaçi ist zwar ein radikaler bürgerlicher Demokrat, lehnte aber die Kapitulation der UÇK-Führung in der Autonomiefrage ab und verurteilte die Zusammenarbeit mit den USA und der Nato. „Beide Völker (Serben und Albaner)“, so Demaçi, „müssen gegen den Imperialismus vorgehen“. Er bekräftigte seine Idee einer neuen Föderation von Balkanien, die auf einem Appell an die antinationalistischen Serb*innen beruht, eine neue Föderation zu bilden, in der Serbien, Montenegro und Kosova gleichberechtigt sind und die Rechte aller Minderheiten anerkannt werden. Gegen die militaristischen Methoden der UÇK rief zu einer Kombination aus politischem und militärischem Kampf auf.
Als die „Friedensgespräche“ am 15. März in Paris wieder aufgenommen wurden, unterzeichnete die Kosova-Delegation das Interimsabkommen. Serbien akzeptierte (mit Unterstützung des russischen Vertreters in der Kontaktgruppe) zumindest auf dem Papier die Autonomie Kosovas, wies aber den Vorschlag für eine Nato-Implementierungstruppe zurück. Am 23. März stimmte das Parlament in Belgrad für die Ablehnung des Interimsabkommens. Am folgenden Tag begannen die US-Luftangriffe, was eine massive Eskalation der gewaltsamen Vertreibung der kosovo-albanischen Bevölkerung aus ihren Städten und Dörfern provozierte.
Schwimmen mit den NATO-Haien
„Die Bevölkerung ist ein Meer“, sagte Mao Zedong, ‚in dem die Guerilla wie ein Fisch schwimmt‘. Eines der Ziele Miloševićs bei der Vertreibung der Kosova-Albaner*innen war es, der UÇK ihre Unterstützungsbasis zu entziehen. Innerhalb weniger Wochen nach dem 24. März hatten die serbischen Streitkräfte weit über eine Million Kosovar*innen vertrieben, von denen 500.000 in Kosova Schutz suchten. Eine Zeit lang behielt die UÇK die Kontrolle über einige Gebiete, griff serbische Truppen an und versuchte, die Kosovar*innen zu schützen, die in den Bergen Schutz suchten oder über die Grenzen zu fliehen versuchten. Doch die UÇK-Kräfte konnten dem serbischen Ansturm nicht standhalten, der sechs oder sieben Wochen lang von den Nato-Bombardements kaum beeinträchtigt schien. Die UÇK verfügte eindeutig weder über die Waffen noch über den Nachschub, um es mit den serbischen Truppen aufzunehmen und die vertriebenen Kosovar*innen zu versorgen, denen es an Unterkünften, Lebensmitteln und Medikamenten fehlte. Nach Angaben der Militärzeitschrift Jane’s Defence Weekly hatte die UÇK Mitte Mai nur noch etwa 4.000 Kämpfer*innen in Kosova, die in drei kleinen Gebieten zusammengepfercht waren. Die meisten Angehörigen ihrer etwa 20.000 Mann starken Truppe war nach Albanien geflohen, um sich neu zu formieren. („Independent“, 14. Mai)
Es gibt immer mehr Beweise dafür, dass die USA die UÇK in zunehmendem Maße verdeckt unterstützen, um ihr bei der Umgruppierung und Ausbildung ihrer Kräfte zu helfen. Seit Beginn der Bombardierung durch die Nato drängten einige Strateg*innen des US-Establishments auf „eine bewusste Entscheidung des Westens, die UÇK zu bewaffnen“, wie es Zbigniew Brzezinski, Carters ehemaliger nationaler Sicherheitsberater, formulierte. („Guardian“, 31. März) Andere Kommentator*innen drängen auf den Ausbau der UÇK zu einer „Stellvertreter-Truppe“ für die Nato. Bis vor kurzem bezeichnete die Nato-Führung die UÇK als „schattenhaft“, „nicht vertrauenswürdig“ usw. Die Westmächte waren dagegen, die UÇK offiziell anzuerkennen, zum einen, weil diese für die Unabhängigkeit eintrat, die sie ablehnten, und zum anderen, um den gefährlichen Präzedenzfall der Unterstützung einer angeblich linken Befreiungsarmee zu vermeiden. Aufgrund des Mangels an eigenen Bodentruppen in Kosova haben die USA ihre Politik jedoch geändert, wenn auch nicht offen. UÇK-Kämpfer*innen wurden von US-Hubschraubern nach Albanien ausgeflogen. „Es gibt Anzeichen dafür, dass die jüngste UÇK-Offensive im Südwesten des Kosovo aus der Luft unterstützt wird“, schreibt Michael Smith, ein Korrespondent des rechten „Daily Telegraph“ „bei der UÇK“: „Es ist noch nicht zu spät, der UÇK die volle Unterstützung zukommen zu lassen, die sie verdient, und damit denen den Sieg aus dem Rachen zu ziehen, wo es sonst zu einer sehr peinlichen Niederlage zu werden droht.“ („Daily Telegraph“, 18. Mai)
Offiziell ist laut Sprecher Jamie Shea die Position, dass „die Nato keinen direkten Kontakt mit der UÇK hat“. („Independent“, 15. Mai) „Das ist eine totale Lüge“, kommentiert Robert Fisk: „Die Nato steht mit der UÇK in Verbindung, hält Sicherheits- und Geheimdiensttreffen mit ihren Befehlshaber*innen ab und unterhält Funkkontakt mit den UÇK-Leuten in Kosovo. Nato-Offizielle (einschließlich James Shea) kündigen regelmäßig UÇK-Operationen mit Billigung an“. („Independent“, 15. Mai)
Ein weiterer Hinweis auf die militärische Aufrüstung der UÇK war die (von der UÇK offiziell bestätigte) Ankündigung, dass ein ehemaliger Brigadegeneral der kroatischen Armee, Agim Çeku, zu ihrem neuen Chef ernannt wurde. („Independent“, 14. Mai) Çeku, ein Kosova-Albaner, war einer der wichtigsten Planer der „Operation Sturm“, bei der kroatische Streitkräfte mit deutscher Unterstützung über 200.000 Serb*innen aus der kroatischen Krajina vertrieben.
Die gegenwärtige UÇK-Führung ist klar in eine enge Zusammenarbeit mit den USA eingetreten. Jetzt, da die meisten Kosova-Albaner*innen vertrieben wurden, ist die UÇK ein Fisch auf dem Trockenen – obwohl sie unter den Geflüchteten in den Lagern enormes Prestige und Unterstützung genießt. Anstatt eine politische Basis unter den Kosova-Albaner*innen aufzubauen, hat die UÇK jedoch ihre Zukunft an die Nato gebunden. Aber mit ihrer überwältigenden wirtschaftlichen und militärischen Macht werden die westlichen Mächte, allen voran die USA, die Bedingungen für jede Zusammenarbeit festlegen.
Wenn Nato-Truppen Kosova oder zumindest einen Teil von Kosova besetzen, werden sie ein Nato-Protektorat errichten. Wie jetzt in Bosnien wird jeder Aspekt des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Lebens letztlich vom Nato-Kommandeur kontrolliert werden. Es würde dem Zweck der Nato entsprechen, die UÇK in eine Polizeitruppe umzuwandeln, die im Rahmen der Nato für Recht und Ordnung sorgt. Ihre Rolle wäre in dem Szenario der Nato ähnlich wie die der repressiven Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde von Jassir Arafat, die im Auftrag der USA und des israelischen Staates das Westjordanland und den Gazastreifen kontrolliert.
Zweifellos gibt es Spannungen in den Beziehungen zwischen der UÇK und den USA. Ein führender UÇK-Sprecher, Jakup Krasniqi, äußerte sich zu den jüngsten Gesprächen der G7 mit Russland: „Nach allem, was in Kosovo geschehen ist, können wir nicht mehr über die Entwaffnung der UÇK diskutieren“. Dies ist jedoch ein zentrales Element der Vereinbarung, die am 7. Mai in Deutschland vorgestellt wurde. („International Herald Tribune“, 8. Mai) Krasniqi wies auch jeden Vorschlag zur Teilung von Kosova zurück (die zweifellos in den jüngsten Verhandlungen der Großmächte eine Rolle gespielt hat) und bestand darauf, dass die UÇK nur ein Friedensabkommen unterstützen würde, das den Einmarsch einer von der Nato geführten Militärtruppe nach Kosova vorsieht, nicht aber eine UN-Truppe, wie von Serbien und Russland vorgeschlagen.
In einem bestimmten Stadium wird es wahrscheinlich zu einem Konflikt zwischen den USA und der UÇK kommen. Es bleibt abzuwarten, ob die derzeitige UÇK-Führung die Unterstützung all derjenigen ethnischen Albaner*innen erhalten wird, die für die Befreiung ihres Landes kämpfen wollen. Spaltungen in der Organisation sind jedenfalls nicht auszuschließen, vor allem dann nicht, wenn die kosovarischen Bestrebungen mit den Realitäten eines US-dominierten Nato-Protektorats in Konflikt geraten.
Die Nato ist ein Instrument der Großmacht-Unterdrückung, nicht eine Verfechterin der Selbstbestimmung. Ein echter Befreiungskampf erfordert eine bewaffnete Bewegung, die sich auf demokratische Massenorganisationen der kosovarischen Arbeiter*innen und Bäuer*innen stützt und den politischen und bewaffneten Kampf auf der Grundlage eines Programms der sozialen Umgestaltung im Interesse der Arbeiter*innen und aller ausgebeuteten Schichten verbindet.
Quellen: Neben den Berichten der Tagespresse, insbesondere der „International Herald Tribune“ und des „Independent“ (London), stützt sich dieser Artikel auf die folgenden Quellen: Tim Judah, „KLA Is Still A Force To Be Reckoned With“, „Wall Street Journal“, 9. April 1999, und Judah, „A Short History Of Kosovo“, Prospect (London), Mai 1999; Marc Weller, „The Rambouillet Conference On Kosovo“, „International Affairs“, 75/2, 1999; Chris Hedges, „Kosovo’s Next Masters?“ „Foreign Affairs“, Mai/Juni 1999; J-A Drens und S Nouvel, „Bloodshed And Bargaining In Kosovo“, „Le Monde Diplomatique“, English edition (LMD-E), April 1998; Christophe Chiclet, „The Rise Of The Kosovar Freedom Fighters“, LMD-E, Mai 1999; P-M de La Gorce, „Behind The Rambouillet Talks“, LMD-E, Mai 1999; Jeffrey Smith, „Kosovar Rebel Upsets Western Strategy“, „International Herald Tribune“, 25. Februar 1999; „Kosovo: Inside The KLA/UÇK“, „International Viewpoint“, April 1999; Michael Karadjis, „What Is The KLA?“, „Green-Left Weekly“ (Australien), 21. April 1999.
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