Lynn Walsh: Der Staat: Ein marxistisches Programm und Übergangsforderungen

[eigene Übersetzung des am 23. April 2006 auf der Website der Socialist Party geposteten Textes]

Antwort von Lynn Walsh, Vorstandsmitglied der Socialist Party, auf Michael Wainwright

Einführung

Am 29. März 2006 veröffentlichte Michael Wainwright im Jugendforum der Socialist Party eine Erklärung mit dem Titel „Re: Marxist*innen und der Staat“. Nach Durchsicht einiger unserer Materialien war Michael Wainwright zu dem Schluss gekommen, dass die Socialist Party und ihre Vorgängerin Militant eine reformistische Position zum Staat eingenommen hätten. Mehrere Mitglieder der Liste antworteten auf seine Erklärung und beantworteten einige seiner Punkte. Sehr bald jedoch schickte Michael eine etwas längere Version seiner Erklärung – zusammen mit einem Brief, in dem er aus der Socialist Party austrat. Offensichtlich hatte er sich bereits für seine Austrittsstrategie entschieden und war nicht daran interessiert, die von ihm aufgeworfenen Fragen innerhalb der Partei zu diskutieren.

Wir sind anderer Meinung als Michael, aber die von ihm aufgeworfenen Fragen sind wichtig, und wir denken, dass, wenn es politische Differenzen gibt, sie debattiert werden sollten. Michaels „ziemlich umfassender Überblick“ konzentriert sich hauptsächlich auf einige Militant-Artikel, die in den 1980er Jahren veröffentlicht wurden und sich mit unserem allgemeinen Programm und der Polizei befassen. Zufälligerweise wurden einige der Artikel, auf die er sich bezieht, zusammen mit anderen zur Frage des Staates in einer Broschüre mit dem Titel „Der Staat: A Warning to the Labour Movement“ (Der Staat: Eine Warnung an die Arbeiter*innenbewegung), die 1983 veröffentlicht wurde, zusammengestellt. Diese Broschüre ist auf der Website der Socialist Party (http://www.socialistparty.org.uk/pamphlets/state) verfügbar. Die Broschüre ist nur eine Auswahl von Artikeln über den Staat aus dieser Zeit, aber es enthält reichlich Material, um Michaels Kritik zu widerlegen. Die von Michael aufgeworfene Frage der Public and Commercial Services Union (PCS) und der Beschäftigten der Einwanderungsbehörde wird gesondert behandelt werden.

Die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft

Sicherlich, fragt Michael, ist unser Ziel „die Errichtung der Macht der Arbeiter*innenklasse … eine Revolution zur Schaffung eines Arbeiter*innenstaates“. Der bürgerliche Staat muss „zerbrochen, zerschlagen und durch einen neuen Arbeiter*innenstaat ersetzt werden“, mit der Bildung von Arbeiter*innenmilizen, lokalen Sowjets und Fabrikkomitees. Inmitten einer Revolution, wie in Russland 1917 oder Spanien 1936, könnten solche grundlegenden Ziele natürlich etwas Orientierung für die Ausarbeitung eines revolutionären Aktionsprogramms bieten. Eine Lage der Doppelherrschaft mit einem Machtkampf zwischen den Kapitalist*innen und der Arbeiter*innenklasse und der Bedrohung durch die bürgerliche Reaktion würde zweifellos die Frage nach einem Kampf um die Macht stellen. Aber selbst in einer revolutionären Lage muss ein marxistisches Programm über Allgemeinplätze wie die Zerschlagung des Staates und die Errichtung der Arbeiter*innenmacht hinausgehen. 1917 stellten Lenin und Trotzki je nach Entwicklung der Lage konkrete Forderungen auf, um die Rolle der Provisorischen Regierung zu entlarven und zu untergraben und die Position der Arbeiter*innen- und Bäuer*innensowjets zu stärken. In Bezug auf Spanien im Jahr 1936 trat Trotzki für konkrete Forderungen ein, die die Rolle der Volksfrontregierung entlarven und die Arbeiter*innenklasse auf einen Kampf zur Übernahme der Macht in ihre eigenen Hände vorbereiten sollten.

Aber das war in den 1980er Jahren (der Zeitraum, auf den sich Michael hauptsächlich bezieht) in Großbritannien (oder in anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern) eindeutig nicht der Fall. In der Nachkriegszeit waren parlamentarische Herrschaftsformen die Norm, und das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse, einschließlich ihrer politisch fortgeschrittenen Schichten, war, dass zwar durch Arbeitskämpfe Erfolge erzielt werden konnten, politische Veränderungen aber durch die Wahl von Regierungen auf der Grundlage der traditionellen Labour- oder sozialdemokratischen Parteien (oder in einigen Ländern der reformistischen Kommunistischen Parteien) erreicht werden würden. Unsere Aufgabe war es, die bürgerlichen Grenzen dieser reformistischen Parteien aufzuzeigen und die Unmöglichkeit aufzuzeigen, den Sozialismus durch allmähliche, schrittweise Veränderungen in der Wirtschaft und im Staat zu erreichen. Der politische Einfluss der reformistischen Massenparteien auf große Teile der Arbeiter*innenklasse war eine objektive Tatsache, die nur durch eine Kombination von Ereignissen – durch die Erfahrungen der Arbeiter*innen mit reformistischen Regierungen – und dem subjektiven Faktor – dem Einwirken marxistischer Ideen und Politik – untergraben werden konnte.

Durch unsere Veröffentlichungen, Versammlungen, Interventionen usw. führten wir einen politischen Kampf gegen Reformismus und Stalinismus. Theorie und Propaganda erreichen jedoch nur eine relativ kleine, politisierte Schicht, außer in außergewöhnlichen Perioden des verschärften Klassenkampfes. Um breitere Schichten zu erreichen, braucht man ein Programm, und die Hauptaufgabe in der Periode, auf die sich Michael hauptsächlich bezieht, war die Popularisierung der Idee eines sozialistischen Programms. Die wichtigsten Punkte sind die Verstaatlichung der wichtigsten Bereiche der Wirtschaft, ein Produktionsplan und die Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung der Industrie. Außerdem haben wir immer betont, dass diese Maßnahmen auf einer internationalen Grundlage ausgeweitet werden müssen.

Für sich genommen würden diese Maßnahmen zusammen natürlich nicht zu einer sozialistischen Gesellschaft führen. Aber sie wiesen auf die sozialen Grundlagen hin, auf denen die Arbeiter*innenklasse zum Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft fortschreiten kann. Unser Programm trat für die „sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft“ ein – eine popularisierte Form der „sozialistischen Revolution“. Wir verwenden diese Formulierung, um die grobe Assoziation zwischen „Revolution“ und „Gewalt“ zu vermeiden, die von den Apologet*innen des Kapitalismus immer fälschlicherweise hergestellt wird. Eine erfolgreiche sozialistische Umgestaltung kann nur auf der Grundlage der Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der Arbeiter*innenklasse, mit der Unterstützung anderer Schichten, durch die radikalsten Formen der Demokratie durchgeführt werden. Auf dieser Grundlage, vorausgesetzt, eine sozialistische Regierung ergreift entscheidende Maßnahmen auf der Grundlage der Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse, wäre es möglich, eine friedliche Veränderung der Gesellschaft zu vollziehen. Jegliche Gewaltandrohung würde nicht von einer populären sozialistischen Regierung ausgehen, sondern von Kräften, die ihr Monopol auf Reichtum, Macht und Privilegien wiederherstellen wollen, indem sie eine Reaktion gegen die demokratische Mehrheit mobilisieren.

Bis Ende der 1980er Jahre arbeiteten wir innerhalb der Labour Party wegen ihrer dominanten Stellung als Trägerin von Arbeiter*innenpolitik. Mit dem Prozess der Verbürgerlichung der Labour Party Ende der 1980er Jahre und der Entleerung ihrer Arbeiter*innenbasis wandten wir uns von der Labour Party ab und führen seitdem unabhängige Kampagnen als Militant Labour und später als Socialist Party. In der früheren Periode jedoch erwartete die Mehrheit der Arbeiter*innen, einschließlich der linken Arbeiter*innen, von den Labour-Regierungen Verbesserungen und sozialistische Veränderungen. Das war das bestehende Bewusstsein. Um dieses Bewusstsein zu untergraben, mussten die Arbeiter*innen die Erfahrungen der aufeinander folgenden Labour-Regierungen machen. In den 1970er und 1980er Jahren stellten wir daher den führenden Labour-Vertreter*innen die Frage: Wenn ihr wirklich die Interessen der Arbeiter*innen verteidigen wollt, wenn ihr behauptet, zum Sozialismus vorzuschreiten, dann führt ein Programm durch, das die wirtschaftliche Kontrolle aus den Händen des Großkapitals nimmt. Verstaatlicht die „Kommandohöhen“ der Wirtschaft und führt Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung ein. Die Idee eines Ermächtigungsgesetzes wurde vorgebracht, um das Argument der Reformist*innen zu entkräften, dass es zu kompliziert wäre und zu lange dauern würde, umfassende Verstaatlichungsmaßnahmen durch das Parlament zu bringen. Es war genau die Idee, die parlamentarischen „checks and balances“ [gegenseitige Kontrollen], die jeden radikalen Wandel verhindern sollten, kurzzuschließen.

Im Unterschied zu Michaels Behauptung haben wir uns nie auf die Idee gestützt, dass ein sozialistisches Programm (in der von uns umrissenen populären Form) unter Verwendung der bestehenden parlamentarischen Verfahren durchgesetzt werden könnte. Bezüglich der Verstaatlichung: „Ein solcher Schritt, unterstützt durch die Macht der Arbeiter*innenbewegung außerhalb des Parlaments, würde die Einführung eines sozialistischen und demokratischen Produktionsplans ermöglichen, der von Komitees aus Gewerkschaften, Vertrauensleuten, Hausfrauen und Kleinunternehmer*innen ausgearbeitet und umgesetzt werden könnte. Mit der neuen Technologie, die zur Verfügung steht… wäre es möglich, sowohl den Arbeitstag zu verkürzen als auch die Aufgaben der Arbeiter*innenklasse bei der Überwachung und Kontrolle des Staates enorm zu vereinfachen.“ (The Role of the State [Die Rolle des Staats], Peter Taaffe – in The State: A Warning to the Labour Movement [Der Staat: Eine Warnung an die Arbeiter*innenbewegung“ , S. 32) Selbst eine oberflächliche Durchsicht unseres Materials zu dieser Frage würde zeigen, dass wir davor gewarnt haben, dass die Großkonzerne unweigerlich versuchen würden, sozialistische Maßnahmen zu sabotieren, und wir haben immer auf die Notwendigkeit einer Mobilisierung der Arbeiter*innenklasse hingewiesen, um für die Massenunterstützung für alle antikapitalistischen Maßnahmen einer Labour-Regierung zu sorgen. Wir warfen die Notwendigkeit einer Umgestaltung der Staatsinstitutionen von unten nach oben auf, um sie aus den Händen der Diener*innen der herrschenden Klasse zu nehmen und sie unter die Kontrolle gewählter Vertreter*innen der Arbeiter*innenklasse zu stellen. Unser Programm stellte Forderungen an die führenden Labour-Vertreter*innen, die von den meisten politisierten Arbeiter*innen als ihre Vertreter*innen in der Regierung angesehen wurden, aber unser Ansatz basierte nicht auf einer wahlorientierten Strategie.

Die Erfahrungen in Chile in den Jahren 1970-73, um das bekannteste Beispiel zu nennen, wurden immer wieder genutzt, um die Notwendigkeit einer tiefgreifenden Umgestaltung des Staates zu verdeutlichen. Im Falle Chiles wurde durch die Wahl der Volksfrontregierung unter Allende (an der die Sozialistische Partei, die Kommunistische Partei und die bürgerliche Radikale Partei beteiligt waren) eine revolutionäre Lage herbeigeführt. Sie hatte ein radikales Programm, das zwar einige Verstaatlichungsmaßnahmen (z. B. in der Kupferindustrie) vorsah, aber weit von einem Programm der sozialistischen Umgestaltung entfernt war. Politische Entwicklungen dieser Art, bei denen linke Parteien auf der Grundlage einer Massenradikalisierung der Arbeiter*innen in die Regierung gewählt werden, sind ein typisches Szenario für die Entwicklung einer revolutionären Krise in kapitalistischen Ländern mit einer parlamentarischen Regierungsform. In einer solchen Lage müssen Marxist*innen ein Programm vertreten, das sich konkret auf die Rolle einer „sozialistischen“ (Volksfront-)Regierung und auf die notwendigen Aufgaben der Arbeiter*innenklasse bezieht. In Chile zwischen 1970-73 wären platte Aufrufe nach dem Motto „Nieder mit der Allende-Regierung“, „Zerschlagt den Staat“ und „Für eine Arbeiter*innenregierung“ völlig unzureichend gewesen.

Wir befürworteten, dass die Marxist*innen in Chile die Allende-Regierung auffordern sollten, die Wirtschaft durch die Verstaatlichung der Kupferminen und der Grundstoffindustrien entschlossen unter Kontrolle zu bringen und gleichzeitig die armen Bäuer*innen bei der Durchführung einer radikalen Landreform zu unterstützen. Wir forderten auch entschiedene Maßnahmen gegen die sich entwickelnde Konterrevolution, die von den Spitzen des Militärs, der Großgrundbesitzer und der Kapitalist*innen angeführt wird. Wir warnten davor, dass es ein fataler Fehler von Allende sei, zu versuchen, die militärische Reaktion durch die Beförderung der Militärspitzen in mächtigere Positionen und die Erhöhung der Gehälter der Offiziersklasse zu kaufen. Wir forderten Allende auf, kühne sozialistische Maßnahmen zu ergreifen, und sprachen uns für die Organisation der Arbeiter*innen von unten aus, mit der Stärkung der Fabrikkomitees und der „cordones“, d.h. der lokalen Organisationen nach Art von Sowjets. Wir befürworteten auch die Demokratisierung der Streitkräfte, indem reaktionäre Offiziere entlassen und die Kontrolle der Streitkräfte in die Hände von Komitees von Soldaten, Matrosen und Fliegern gelegt würde. Als klar war, dass die reaktionären Kräfte einen konterrevolutionären Putsch vorbereiteten, riefen wir zur Bewaffnung der Arbeiter*innenklasse auf, um sich gegen eine blutige Reaktion zu verteidigen.

Im Übrigen kam es nicht in Frage, diese Entwicklungen so zu behandelten, als seien sie eine rein chilenische Entwicklung. „Die Lehren aus Chile, die mit dem Blut von mehr als 50.000 zu Märtyrer*innen gewordenen Arbeiter*innen geschrieben wurden, sind eine Warnung für die hiesige Arbeiter*innenbewegung.“ (Der Staat…, S. 28)

Der selbe Artikel (und es gab viele andere Artikel anderswo) wies die Theorie der führenden Vertreter*innen der Kommunistischen Parteien Frankreichs, Italiens und Spaniens (die so genannte „eurokommunistische“ Strömung) zurück, die zur Rechtfertigung des Vorgehens der führenden Vertreter*innen der Sozialistischen und Kommunistischen Parteien in Chile unter der Allende-Regierung genutzt wurde. „Es wäre jedoch fatal, so zu tun, wie es die führenden Vertreter*innen der Kommunistischen Partei und die reformistische Linke der Labour Party tun, als ob die „Demokratisierung des Staates“ für sich genommen ausreichen würde, um die britische Arbeiter*innenklasse und eine Labour-Regierung vor dem Schicksal zu bewahren, das ihre chilenischen Brüder und Schwestern ereilte. Stückwerks-Reformen werden weder die Arbeiter*innenklasse noch die Mittelschicht zufrieden stellen, aber die Opposition der Kapitalist*innen anheizen – und ihnen darüber hinaus Zeit und Gelegenheit geben, einen entscheidenden Schlag gegen die Arbeiter*innenbewegung zu führen. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn versucht würde, ihren Staat zu „demokratisieren“. Die Kapitalist*innen würden dies als Signal verstehen – vor allem, wenn die Armee betroffen ist -, die Zerschlagung der Arbeiter*innenbewegung vorzubereiten.“ (Der Staat…, S. 31-32)

Und weiter: „Die Lehre von Chile, wo 1973 die Regierung der Volkseinheit von Salvador Allende gestürzt und die Arbeiter*innenbewegung durch Pinochets blutige Konterrevolution zerschlagen wurde, muss als ernste Warnung an die britische wie auch an die weltweite Arbeiter*innenbewegung verstanden werden. Chile unterstreicht die fatalen Folgen, wenn man halbherzige Maßnahmen ergreift, die eine Reaktion der herrschenden Klasse provozieren, ohne der Arbeiter*innenklasse eine entscheidende Kontrolle über Wirtschaft und Staat zu geben. Insbesondere die Lehren aus der grundlegend falschen Politik der Allende-Regierung gegenüber den bewaffneten Formationen von Menschen des Staates müssen von der britischen Arbeiter*innenbewegung aufgenommen werden.“ (Einleitung – Der Staat…, S. 9-10)

Das Beispiel Chile wurde in unserem Material wiederholt verwendet, um die Unmöglichkeit eines reformistischen „parlamentarischen Weges zum Sozialismus“ in Großbritannien oder anderswo zu demonstrieren. Die Lage in Chile 1970-73 war jedoch nicht dieselbe wie in Großbritannien in den frühen 1980er Jahren. In Chile war es notwendig, zur Bewaffnung der Arbeiter*innen aufzurufen, um sich und die vergangenen demokratischen und sozialen Errungenschaften gegen die drohende Konterrevolution zu verteidigen.

Schlägt Michael ernsthaft vor, dass wir in den 1980er Jahren – oder auch heute – in Großbritannien Arbeiter*innenmilizen und die Bewaffnung des Proletariats hätten fordern sollen? Solche Forderungen entsprechen nicht der heutigen Lage in Großbritannien oder den meisten anderen Ländern, und sie entsprechen auch nicht dem aktuellen Bewusstsein selbst der fortgeschrittenen Schichten der Arbeiter*innen.

Marxist*innen müssen die Geschichte solcher Forderungen studieren und die entscheidende Rolle, die sie unter den entsprechenden Bedingungen spielen – wenn es eine revolutionäre oder vorrevolutionäre Lage gibt, in der die Arbeiter*innenklasse von einer blutigen Reaktion bedroht ist. Aber heute die Parolen „Zerschlagung des Staates“ und „Bewaffnung der Arbeiter*innen“ zu erheben, würde die Arbeiter*innen nicht für den Sozialismus gewinnen oder sie darauf vorbereiten, eine Veränderung der Gesellschaft durchzuführen. Im Gegenteil, solche Methoden, wenn sie von Organisationen mit irgendeinem echtem Einfluss unter den Arbeiter*innen angewandt werden, würden die Arbeiter*innen entfremden und unseren Klassenfeinden in die Hände spielen.

Unsere Hauptaufgabe besteht heute darin, Unterstützung für die Idee einer sozialistischen Gesellschaft zu gewinnen, für eine sozialistische Umgestaltung, die unter der Führung der Arbeiter*innenklasse durchgeführt wird. Es geht nicht darum, unsere langfristigen Ziele aufzugeben. Aber um Massenunterstützung für den Sozialismus zu gewinnen, müssen wir unser Programm in einer populären Form präsentieren, die bei den Arbeiter*innen auf Resonanz stößt. Während wir für eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft eintreten, müssen wir für Teil- und Übergangsforderungen, für die grundlegenden Interessen und Bedürfnisse der arbeitenden Menschen kämpfen.

Die Rolle der Polizei

Michael konzentriert einen Großteil seiner Kritik auf unsere Position zur Polizei und bezieht sich dabei insbesondere auf mehrere Artikel, die 1981 im Militant veröffentlicht wurden. Er meint, dass unsere Position zur Polizei auf einer „reformistischen Methodik“ beruht und „erstarrte Illusionen“ in die Möglichkeit widerspiegelt, „einen Arbeiter*innenstaat durch Wahlaktivitäten zu errichten“. Unser Fehler bestand, laut Michael, darin, dass wir nicht unser vollständiges Programm vorgelegt haben, das auf der Idee beruht, dass der kapitalistische Staat „zerbrochen, zerschlagen und durch einen neuen Arbeiter*innenstaat ersetzt werden muss“. Stattdessen beruhte unsere Intervention bei den Ereignissen von 1981 in erster Linie auf unmittelbaren, demokratischen Forderungen an die Polizei, die in einer Übergangsform vorgebracht wurden.

Michael zitiert aus Militant-Artikeln, die erstmals 1981 zur Zeit der Unruhen in Brixton, Toxteth, Bristol und mehreren anderen britischen Städten veröffentlicht wurden. Sie wurden 1983 auch in der Militant-Broschüre „Der Staat: Eine Warnung an die Arbeiter*innen-Bewegung“ nachgedruckt.

Die drei zitierten Artikel über die Polizei waren nur ein kleiner Teil des Materials, das wir im Zusammenhang mit den Unruhen, die in Wirklichkeit Aufstände in einigen der ärmsten innerstädtischen Gebiete waren, erstellt haben. Der wirtschaftliche und soziale Verfall dieser Gebiete, verschärft durch die schwere Wirtschaftskrise nach 1980 (verstärkt durch die Politik der Thatcher-Regierung), schuf die Voraussetzungen für die Unruhen. Der Auslöser waren jedoch die aggressiven und provokativen Methoden der Polizei, und wir haben damals ständig die Verantwortung der Polizei betont (siehe den Abschnitt über „The Riots“ [Die Unruhen] in „The Rise of Militant“ [Der Aufstieg von Militant] von Peter Taaffe, S. 163-166).

Junge Menschen, sowohl Schwarze als auch Weiße, standen bei diesen Ereignissen im Vordergrund, und von Anfang an waren Anhänger*innen von Militant (der Vorgängerorganisation der Socialist Party) dabei, um die Verteidigung der Viertel gegen weitere Angriffe der Polizei zu organisieren und (im Gegensatz zu den bloßen „Unruhen“) junge Menschen für sozialistische Ideen zu gewinnen.

Wir forderten ein Ende der polizeilichen Schikanen und die Auflösung der Sonderpatrouillengruppe (Special Patrol Group), der aggressivsten Abteilung der Polizei zu dieser Zeit. Wir setzten die Rolle der Polizei in Beziehung zur sozialen Lage. Unsere Schlüsselforderungen waren: „Eine dringende Untersuchung der Arbeiter*innenbewegung, Verstärkung des Kampfes für sozialistische Lösungen für die soziale und wirtschaftliche Krise, die der Explosion zugrunde liegt, [und eine] Untersuchung bezüglich der Polizei.“ (Militant 548, 17. April 1981)

Wir betonten die Notwendigkeit, dass sich die jungen Leute der Gegend und der breiteren Gemeinschaft organisieren, um sich gegen die Schikanen der Polizei und das harte Durchgreifen in den Gebieten durch Strafverfolgung und harte Gefängnisstrafen nach den Unruhen zu verteidigen. Wir gründeten das Labour Committee for the Defence of Brixton, das eine wichtige Rolle dabei spielte, die Rolle der Polizei aufzudecken, die Angeklagten zu verteidigen und Massenversammlungen einzuberufen, auf denen unsere Politik vorgestellt wurde.

Zu unseren Politiken gehörten die Forderung nach einer gründlichen Untersuchung der Polizei (die über die von der Thatcher-Regierung eingeleitete und nur langsam vorankommende Scarman-Untersuchung hinausging) und Maßnahmen zur Einführung demokratischer Kontrollen der Polizei durch gewählte Ausschüsse unter Beteiligung von Vertreter*innen der Arbeiter*innenbewegung.

Michael betrachtet solche Forderungen als unverbesserlich reformistisch. Er sagt jedoch nirgends, welche Forderungen wir seiner Meinung nach hätten erheben sollen. Aus dem, was er schreibt, können wir nur schlussfolgern, dass er Forderungen nach folgendem Muster befürwortet hätte: Zerschlagt den Staat! Kämpft gegen die Polizei! Bildet Arbeiter*innenmilizen!

Solche Losungen könnten in einer revolutionären oder zumindest in einer unmittelbar vorrevolutionären Situation angebracht sein, wenn die Bedingungen für eine Massenbewegung der Arbeiter*innen, um die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen, reif sind. Selbst dann müssten die Losungen zum Staat viel geschickter und konkreter formuliert werden, als Michael es nahelegt. Lenin und Trotzki erklärten häufig die Notwendigkeit einer „defensiven“ Herangehensweise in dem Sinne, dass die Verantwortung für revolutionäre Aktionen (z. B. die Bildung von Arbeiter*innenmilizen oder die Auflösung kapitalistischer Einrichtungen) staatlicher Aggression oder konterrevolutionärer Gewalt durch Hilfstruppen der herrschenden Klasse (wie faschistische Banden) gegeben wird.

Würde Michael argumentieren, dass es 1981 in Großbritannien eine revolutionäre oder auch nur eine vorrevolutionäre Situation gab, zumindest in einigen der innerstädtischen Gebiete, in denen es Unruhen gab? Einige Tage lang hatten die Zusammenstöße auf den Straßen zwischen der Polizei und den Anwohner*innen, vor allem den Jugendlichen, Züge eines Aufstandes. Die Zusammenstöße betrafen jedoch nur eine Minderheit der betroffenen Communities (auch wenn es eine breite Sympathie für Maßnahmen gegen gemeinsame Missstände gab). Sie waren nicht organisiert, sondern ein spontaner Ausbruch von Wut, und das politische Bewusstsein war niedrig, auch wenn ein Teil der jungen Menschen schnell radikalisiert wurde und für sozialistische Ideen empfänglich war.

Obendrein wäre es absurd zu behaupten, dass es in Großbritannien insgesamt eine vorrevolutionäre Situation gegeben habe. Die Arbeiter*innenklasse erlitt durch die Niederlage der Labour-Regierung im Jahr 1979 einen Rückschlag. Die Regierung Wilson-Callaghan hatte eine monetaristische Wirtschaftspolitik eingeführt und Angriffe auf den Lebensstandard der Arbeiter*innen, insbesondere der schlecht bezahlten kommunalen Beschäftigten, gestartet. Dies hatte 1979 den „Winter der Unzufriedenheit“ erzeugt, einer Welle von Streiks im öffentlichen Dienst. In Ermangelung einer Massenalternative auf der Linken brachte die Niederlage der Labour Party jedoch Thatcher an die Macht, und die Angriffe auf die Rechte und den Lebensstandard der Arbeiter*innenklasse wurden verdoppelt. Es gab einen erbitterten Kampf der Druckereiarbeiter*innen bei der Times und andere hauptsächlich defensive Kämpfe. Es gab viele wichtige Arbeiter*innenkämpfe, in die wir intervenierten, aber es wäre völlig überspannt, die Lage in Großbritannien zu dieser Zeit als vorrevolutionär zu bezeichnen.

In unseren Publikationen und Diskussionen erklärten wir die marxistische Staatstheorie und unser Programm für die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft. Dies geschah damals wie heute auf der Grundlage des Abschnitts „Was ist der Staat?“ des von Michael zitierten Pakets „Was ist Marxismus?“. Viele Diskussionen basierten auf Lenins „Staat und Revolution“ und anderen marxistischen Klassikern (z. B. Engels‘ Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates).

Aber für unsere Intervention auf den Straßen von Brixton, Toxteth, Bristol usw. brauchten wir ein Programm mit unmittelbaren Forderungen, die der Lage entsprachen und in einer Übergang-Weise auf eine sozialistische Umgestaltung verwiesen. Aufrufe wie „Zerschlagt den kapitalistischen Staat! Für einen neuen Arbeiter*innenstaat“ hätten keinen Widerhall gefunden. Wir wären sehr isoliert gewesen – und hätten unter schwerer „sozialer Ächtung“ gelitten – in einer Lage, in der wir in der Tat mit einer richtigen Herangehensweise an Forderungen und Losungen fähig waren, eine Schicht von Jugendlichen für unsere Reihen zu gewinnen und eine positive Resonanz für sozialistische Ideen in einer viel breiteren Schicht zu erhalten.

Einige der Jugendlichen „an vorderster Front“ hätten die Idee einer bewaffneten Miliz durchaus begrüßt – aber nicht unbedingt aus fortschrittlichen politischen Motiven. Wäre zu diesem Zeitpunkt eine „Miliz“ entstanden, wäre sie keine demokratischen Arbeiter*innenorganisationen verantwortliche demokratische Verteidigungsorganisation gewesen. Es gab weder das für die Bildung einer Verteidigungskraft notwendige Bewusstseinsniveau noch die Organisation. Jede Forderung nach einer bewaffneten Verteidigungskraft wäre dem Bewusstsein selbst der am stärksten politisierten Teile der organisierten Arbeiter*innen weit voraus gewesen.

Demokratische Kontrolle der Polizei

Es gab jedoch weitverbreitete Verurteilung der Polizei für ihre aggressiven, paramilitärischen Methoden, die sie anwandte, insbesondere für die provokative Taktik der „anlasslosen Personenkontrollen“, die sich hauptsächlich gegen schwarze Jugendliche richtete. Gleichzeitig wollten die Menschen in Gegenden wie Brixton und Toxteth, dass etwas gegen die hohe Kriminalitätsrate, insbesondere die Gewalt- und mit Drogen verbundene Kriminalität, unternommen wird, die ihr Leben beeinträchtigt. Es gab eine breite Forderung nach Rechenschaftspflicht und Kontrolle der Polizei. Es wäre jedoch ein ernsthafter Fehler gewesen, ohne die realistische Möglichkeit alternativer Arbeiter*innenorganisationen zum Schutz der Community die Abschaffung der Polizei zu fordern.

Die Thatcher-Regierung reagierte auf die breite öffentliche Kritik an der Polizei mit der Scarman-Untersuchung. Lord Scarmans Bericht bestätigte, dass ein Teil der Polizei systematisch schwarze Jugendliche schikaniert hatte. Er empfahl Reformen in der Polizeipraxis, wollte aber natürlich sicherstellen, dass diese im Rahmen der kapitalistischen Institutionen und rechtlichen Verfahren umgesetzt wurden. Eine Zeitlang wandte die Polizei zurückhaltendere Methoden in den Innenstadtgebieten an. Die Scarman-Reformen hinderten sie jedoch nicht daran, Notstandsbefugnisse zu übernehmen und während des gigantischen Streiks 1984/85, der viele Merkmale eines Bürger*innenkriegs in den Kohlerevieren aufwies, wie eine paramilitärische Truppe gegen die Bergarbeiter*innen vorzugehen.

1981 warfen wir jedoch Forderungen nach einer Kontrolle der Polizei auf, die weit über die Vorschläge Scarmans hinausgingen. Das Schlüsselelement unserer Forderungen war die demokratische Kontrolle durch Polizeiausschüsse auf örtlich Ebene – gewählte Gremien, in denen die Arbeiter*innenklasse durch Vertreter von Gewerkschaften, Community-Organisationen usw. vertreten ist. Wir forderten, dass gewählte Polizeiausschüsse die Befugnis haben sollten, Polizeipräsident*innen und leitende Beamt*innen zu ernennen und zu entlassen, und dass sie für „operative Fragen“, d. h. für die alltägliche Polizeipolitik, zuständig sein sollten. Die Polizeiausschüsse sollten ein wirklich unabhängiges Beschwerdeverfahren gewährleisten und dafür verantwortlich sein, rassistische Elemente oder faschistische Sympathisant*innen innerhalb der Polizei auszujäten. Wir forderten die Abschaffung der Sonderpatrouillengruppe und anderer ähnlicher Einheiten sowie die Abschaffung der Sonderabteilung (Special Branch) und die Vernichtung von Polizeiakten und Computeraufzeichnungen, die nicht mit strafrechtlichen Ermittlungen zusammenhingen.

Die Polizeiausschüsse der lokalen Behörden, wie der Ausschuss des Greater London Council, waren in der Zeit vor den Unruhen recht prominent geworden. Sie spielten eine fortschrittliche Rolle, indem sie die Polizei einer stärkeren öffentlichen Kontrolle unterzogen, ihre schlimmsten Methoden aufdeckten und versuchten, einen gewissen Einfluss auf die Prioritäten oder die Politik der Polizei auszuüben. (Die jüngsten speichelleckerischen Äußerungen Ken Livingstones über den Chef der Metropolitan Police trotz der Tötung von Jean Charles de Menezes in Stockwell und der ungeheuerlichen Razzia in Forest Gate sind ein Hinweis darauf, wie weit die politische Lage in Bezug auf die Polizei und die Bürger*innenrechte seit den 1980er Jahren zurückgeworfen wurde.) Letztlich waren sie jedoch zahnlose Gremien, die keine wirksame Kontrolle über die Polizeipolitik oder die tägliche Arbeit ausüben konnten.

Unsere Forderung ging nach Gremien, die den organisierten Druck der Arbeiter*innenklasse widerspiegeln, einen Druck, der genutzt würde, die Aktivitäten der Polizei zu kontrollieren und ihren Methoden Grenzen zu setzen. Der Grad, in dem die Polizei kontrolliert werden würde, würde von dem anhaltenden organisierten Druck der Arbeiter*innenklasse durch gewählte, repräsentative Gremien abhängen. Natürlich lehnten die herrschende Klasse (und ihre politischen Vertreter, einschließlich führender Labour-Vertreter*innen) jede derartige Entwicklung entschieden ab, die sie als einen potenziellen Eingriff in die Vorrechte des bürgerlichen Staates betrachteten.

Die Polizeichef*innen, die von vielen führenden Tory- und Labour-Vertreter*innen unterstützt wurden, wandten sich gegen jegliche Schritte zur Demokratisierung der Polizeikontrolle mit dem Argument, dass eine stärkere demokratische Rechenschaftspflicht die Polizei einer „politischen Kontrolle“ unterwerfen würde: „Sie versuchen, den Mythos aufrechtzuerhalten, der für die öffentliche Akzeptanz ihrer Rolle in der Vergangenheit wichtig war, dass die Polizei ein Arm eines ,neutralen‘ Staates sei. Nach dieser Auffassung befindet sie sich ,über‘ der Politik und den Interessen der einzelnen Gruppen und ist letztlich der ebenso ,neutralen“ und ,unabhängigen‘ Justiz unterstellt.“ (Die Polizei, Lynn Walsh – in Der Staat…, S. 52)

Um auf diese Argumentationslinie einzugehen, warfen wir einen Blick auf die Geschichte der Polizei in Großbritannien, besonders auf die Entwicklung der Wachausschüsse. Im neunzehnten Jahrhundert war „die Kontrolle der Wachausschüsse [über die Polizei] absolut“. (TA Crichley, History of the Police in England and Wales) Unsere Herangehensweise ist: Bezüglich der Polizei waren die Dinge in der Vergangenheit anders, und sie können auch in der Zukunft anders sein. Es ging nicht darum, wie Michael behauptet, zu argumentieren, dass es eine „organische Entwicklung der polizeilichen Verantwortlichkeit“ gegeben habe und dass diese durch die Arbeiter*innenklasse erweitert werden sollte. Unsere Verweise machten deutlich, dass die bisherige „demokratische Rechenschaftspflicht“ der Polizei gegenüber der herrschenden Bourgeoisie bestand, und unsere Forderungen zielten darauf ab, die kapitalistische Kontrolle auf der Grundlage des Kampfes der Arbeiter*innenklasse herauszufordern.

Unsere Argumentationslinie lautete: Wenn die demokratische Kontrolle der Polizei für sie (d.h. die Bourgeoisie) gut genug war, warum wird sie dann jetzt als Tabu betrachtet? Natürlich ist das eine rhetorische Frage, wir kennen die Antwort. Aber wir können nicht davon ausgehen, dass jeder automatisch die ideologischen Argumente durchschaut, die die Bourgeoisie benutzt, um ihre Klassenrolle zu legitimieren. Michael scheint anzunehmen, dass das alles selbstverständlich ist. Es besteht keine Notwendigkeit für diese Art von Argumenten. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass solche Argumente – in Verbindung mit Aktionen – für einen Bewusstseinswandel unerlässlich sind.

„In der Vergangenheit, bevor die Arbeiter*innenklasse als unabhängige politische Kraft auftrat, bestanden die Sprecher des Großkapitals und der Mittelschicht darauf, dass die Polizei demokratisch rechenschaftspflichtig sei. Jetzt muss die Arbeiter*innenbewegung, die die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft repräsentiert, fordern, dass die demokratische Rechenschaftspflicht auf diese Kraft ausgedehnt wird, die beansprucht, zu existieren, um die Interessen der Öffentlichkeit zu schützen.“ (Der Staat…, S. 54)

Reform und Revolution

Wir haben demokratische Forderungen aufgestellt, aber Forderungen, die den Kern der Rolle der Polizei als Instrument des bürgerlichen Staates betreffen und die Notwendigkeit aufwerfen, dass die Arbeiter*innenklasse ihre eigenen Interessen in der aktuellen Schlacht um die Rolle der Polizei verteidigen muss. Haben wir (wie einige zweifellos argumentieren werden) dem aktuellen Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse nachgegeben und es versäumt, das marxistische Programm zum Staat zu verteidigen?

Was die Polizei betrifft, so haben wir unmittelbare, demokratische Forderungen gestellt, die immer Teil eines Übergangsprogramms sind. Sie entsprachen dem Bewusstsein der fortgeschrittenen Schichten der Arbeiter*innenklasse, die eine demokratische Kontrolle der Polizei wollten. Die Einrichtung demokratischer Polizeiausschüsse kann in einer zukünftigen Periode des verschärften Klassenkampfes nicht ausgeschlossen werden. Ob sie erreicht werden und wie weit sie gehen werden, wird von der Stärke des Klassenkampfes abhängen. Ein Element von demokratischer Rechenschaftspflicht bezüglich der Polizei würde helfen, günstigere Bedingungen für den Kampf der Arbeiter*innenklasse zu schaffen. Aber ein solches Element der „Arbeiter*innenkontrolle“ könnte nicht unbegrenzt andauern. Entweder würden die Arbeiter*innen zu einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft voranschreiten, oder die herrschende Klasse würde versuchen, die Elemente von demokratischer Kontrolle zu zerstören.

Das Zugeständnis gewählter Polizeiausschüsse unter dem Druck der Arbeiter*innenklasse wäre eine fortschrittliche Entwicklung. Wenn dies jedoch zu der Illusion führen würde, dass die Polizei, wie Michael es ausdrückt, „eine isolierte Einheit ist, die durch die Kontrolle der lokalen Wachausschüsse durch die Arbeiter*innenklasse aus den Klauen des bürgerlichen Staates entfernt oder herausgezogen werden kann“, wäre das eine negative Entwicklung.

Während der deutschen Revolution von 1918 (wie in dem Abschnitt über die Polizei in Der Staat: Eine Warnung an die Arbeiter*innenbewegung, S. 46-47 festgehalten) wurde die Berliner Polizei tatsächlich „aus den Fängen des kapitalistischen Staates befreit“, und die revolutionären Arbeiter*innen ernannten Emil Eichhorn, einen führenden Vertreter der Unabhängigen Sozialdemokraten, zum Polizeichef. Dies war ein positiver Schritt, so weit es ging, konnte aber nur ein sehr vorübergehender Zustand sein. Da es den Arbeiter*innen nicht gelang, die Macht durch neue proletarische Organe der Staatsmacht zu konsolidieren, unterlag die Berliner Polizei zusammen mit anderen „revolutionären“ Institutionen der blutigen Konterrevolution (für die die führenden rechten sozialdemokratischen Vertreter*innen einen politischen Deckmantel boten).

Im Hinblick auf demokratische Polizeiausschüsse (oder eine neue Form von Wachausschüsse) warnten wir deutlich vor jeder Illusion in die schrittweise Reform der Polizei oder anderer staatlicher Organe in sozialistische Institutionen:

„Wenn die Arbeiter*innenklasse die wirtschaftlichen Errungenschaften und die demokratischen Rechte, die sie den Kapitalist*innen in der Vergangenheit abgerungen hat, bewahren will, muss sie die sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft durchsetzen. Vergangene Errungenschaften können nicht auf unbestimmte Zeit innerhalb des verrotteten Rahmens eines krisengeschüttelten Kapitalismus bewahrt werden. Bei der Umgestaltung der Gesellschaft ist es utopisch zu denken, dass der bestehende Apparat des kapitalistischen Staates von der Arbeiter*innenklasse übernommen und angepasst werden könne. Bei einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft werden alle bestehenden Institutionen des Staates zerschlagen und durch neue Machtorgane unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter*innenklasse ersetzt. Gestützt auf die Perspektive der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft muss die Arbeiter*innenbewegung jedoch ein Programm vorantreiben, das eine Politik beinhaltet, die die unmittelbaren Probleme, die sich aus der Rolle der Polizei ergeben, in den Griff bekommt.“ (Der Staat…, S. 53-54)

Michael zitiert diese Passage. Aber wie (fragt er) können wir einerseits für demokratische Polizeiausschüsse eintreten, während wir andererseits davor warnen, dass die Polizei nicht zu einer arbeiter*innenfreundlichen Institution reformiert werden kann? Er sieht dies als einen „Widerspruch, der zu groß ist, um ihn zu ignorieren“.

Aber das ist nicht widersprüchlicher als die Forderung nach jeder anderen Reform im Kapitalismus. Reformen können durch Kampf errungen werden, aber wir warnen davor, dass sie im Kapitalismus keine dauerhaften Errungenschaften sein werden. Verteidigen wir im Bereich der demokratischen Rechte nicht das Recht auf ein Geschworenengerichtsverfahren, auf Prozesskostenhilfe, auf Verfahrensgarantien für Angeklagte und so weiter? Diese Rechte garantieren klar nicht wirkliche „Gerechtigkeit“, die auf juristischer Ebene unmöglich ist ohne eine tiefere soziale Gerechtigkeit, die in der kapitalistischen Gesellschaft unmöglich ist. Aber es wäre absurd zu behaupten, dass solche gesetzlichen und bürgerlichen Rechte für die Arbeiter*innenklasse keine Bedeutung haben. Solche Rechte wurden errungen, von der Bourgeoisie wieder einkassiert, für eine gewisse Zeit wiederhergestellt und so weiter. Die Forderung nach sozialen Reformen und demokratischen Rechten wird immer ein wichtiger Bestandteil unseres Übergangsprogramms bleiben. Gesetzliche und bürgerliche Rechte, wie das Wahlrecht, die politische Versammlungsfreiheit usw., schaffen günstigere Bedingungen für den Kampf der Arbeiter*innenklasse. Die Forderung nach einer demokratischen Kontrolle der Polizei unterscheidet sich im Prinzip nicht von der Forderung nach anderen demokratischen Rechten. Verstärkt die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht beispielsweise nicht die Illusion, dass ein gewähltes Parlament die Exekutive des kapitalistischen Staates kontrollieren kann?

Die Forderungen, die wir 1981 an die Polizei gestellt haben, entsprachen der damaligen Lage in Großbritannien. Seitdem hat sich die Lage natürlich in vielerlei Hinsicht geändert, insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September [2001] in den USA, die den politischen Vorwand für eine enorme Stärkung der Machtbefugnisse des Staates und ein weitgehendes Einkassieren der in der Vergangenheit zugestandenen gesetzlichen und demokratischen Rechte geliefert haben. Die Methodologie unseres Programms bleibt die gleiche, aber wir müssen natürlich den jüngsten Veränderungen Rechnung tragen. Es wäre jedoch ein fataler Fehler, ein Programm mit Übergangsforderungen in Bezug auf den Staat, die Polizei usw. aufzugeben zugunsten platter Anprangerungen des „repressiven kapitalistischen Staates“ und Forderungen nach „Arbeiter*innenmacht“. Dies ist umso wichtiger angesichts dessen, dass das Bewusstsein der Arbeiter*innenklasse in der Zeit seit dem Zusammenbruch des Stalinismus allgemein zurückgeworfen ist. Es wird viele Kämpfe geben, um frühere Errungenschaften, die in der jüngsten Zeit verloren gegangen sind, wiederzugewinnen. Wie wir es immer getan haben, werden wir unsere unmittelbaren und vorübergehenden Forderungen mit der Notwendigkeit der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft verbinden.

Ein marxistisches Programm und Übergangsforderungen

Der formale oder „logische“ Widerspruch zwischen den Forderungen nach Reformen auf der einen Seite und dem Erklären der Forderung nach einer sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft auf der anderen Seite spiegelt den sehr realen Widerspruch zwischen der objektiven Notwendigkeit des Sozialismus und der Unreife des Bewusstseins und der Organisation der Arbeiter*innenklasse wider.

Trotzki kommentierte dieser Frage während einer Diskussion über das Übergangsprogramm im Jahr 1938. Ein Thema, das damals zur Sprache kam, war das Ludlow Amendment, eine im US-Kongress eingebrachte Verfassungsänderung, die eine Volksabstimmung erfordert hätte, bevor die USA in den Krieg eintreten konnten. Die Führung der US Socialist Workers Party (der US-Sektion der Vierten Internationale) lehnte die Unterstützung des Ludlow Amendment mit der Begründung ab, dass es pazifistische und demokratische Illusionen fördern würde. Trotzki war anderer Meinung, und seine Bemerkungen sind für die Frage der demokratischen Forderungen im Allgemeinen relevant.

Dies ist ein ziemlich langer Auszug aus Trotzkis Kommentar, aber es lohnt sich, ihn vollständig zu zitieren, weil er die Frage der demokratischen Rechte beleuchtet:

„Die [SWP]-NK-Erklärung besagt, dass der Krieg nicht durch ein Referendum gestoppt werden kann. Das ist absolut richtig. Diese Behauptung ist Teil unserer allgemeinen Einstellung zum Krieg als unvermeidlicher Entwicklung des Kapitalismus, und wir können den Charakter des Kapitalismus nicht ändern oder mit demokratischen Mitteln abschaffen. Ein Referendum ist ein demokratisches Mittel, nicht mehr und nicht weniger. Indem wir die Illusionen der Demokratie zurückweisen, verzichten wir nicht auf diese Demokratie, solange wir nicht in der Lage sind, diese Demokratie durch die Errichtung eines Arbeiterstaates zu ersetzen. Im Prinzip sehe ich absolut kein Argument, das uns zwingen könnte, unsere allgemeine Einstellung zur Demokratie im Falle eines Referendums zu ändern. Aber wir sollten diese Mittel verwenden, wie wir Präsidentschaftswahlen oder die Wahlen in St. Paul [Minnesota] benutzen; Wir kämpfen energisch für unser Programm.

Wir sagen: Das Ludlow-Referendum kann, wie andere demokratische Mittel, die kriminellen Aktivitäten der 60 Familien nicht aufhalten, die unvergleichlich stärker sind als alle demokratischen Institutionen. Das bedeutet nicht, dass ich auf demokratische Institutionen oder den Kampf für das Referendum oder den Kampf um das Wahlrecht amerikanischer Bürger ab dem Alter von 18 Jahren verzichte. Ich wäre dafür, dass wir einen Kampf darum einleiten; Menschen mit achtzehn sind reif genug, um ausgebeutet zu werden und somit, um zu wählen. Aber das ist nur in Klammern.

Nun wäre es natürlich besser, wenn wir sofort die Arbeiter und die armen Bauern mobilisieren könnten, um die Demokratie zu stürzen und sie durch die Diktatur des Proletariats zu ersetzen, die die einzige Möglichkeit ist, imperialistische Kriege zu vermeiden. Aber wir können es nicht tun. Wir sehen, dass große Massen von Menschen nach demokratischen Mitteln suchen, um den Krieg zu stoppen. Es gibt zwei Seiten: Eine ist völlig fortschrittlich, das heißt, der Wille der Massen, den Krieg der Imperialisten zu stoppen, das fehlende Vertrauen in ihre eigenen Vertreter. Sie sagen: Ja, wir haben Leute ins Parlament [Kongress] geschickt, aber wir möchten sie in dieser wichtigen Frage kontrollieren, die Leben und Tod für Millionen und Abermillionen Amerikaner bedeutet. Das ist ein durch und durch fortschrittlicher Schritt. Aber damit verbinden sie Illusionen, dass sie dieses Ziel durch nur diese Maßnahme erreichen können. Wir kritisieren diese Illusion. Die NK-Erklärung ist völlig korrekt, wenn sie diese Illusion kritisiert. Wenn der Pazifismus von den Massen kommt, ist das eine fortschrittliche Tendenz mit Illusionen. Wir können die Illusionen nicht durch Entscheidungen im Voraus, sondern in gemeinsamer Aktion zerstreuen.

… Die Lage ist jetzt anders – es ist keine revolutionäre Lage. Aber die Frage kann entscheidend werden. Das Referendum ist nicht unser Programm, aber es ist ein klarer Schritt vorwärts; die Massen zeigen, dass sie ihre Vertreter in Washington kontrollieren wollen. Wir sagen: Es ist ein progressiver Schritt, dass ihr eure Vertreter kontrollieren wollt. Aber ihr habt Illusionen und wir werden sie kritisieren. Gleichzeitig helfen wir euch bei der Verwirklichung eures Programms. Der Sponsor des Programms wird euch betrügen, wie die SR [Sozialrevolutionäre] die russischen Bauern betrogen haben.“ (The Transitional Program for Socialist Revolution [Das Übergangsprogramm für die sozialistische Revolution], Pathfinder 1977, S. 114-117)

Ein bürgerlicher Polizist ist ein bürgerlicher Polizist?

Eine der Forderungen, die wir 1981 im Militant (und in der Broschüre von 1983) aufstellten, lautete: „Das Recht der Polizei auf eine unabhängige, demokratische Gewerkschaftsorganisation, um ihre Interessen als Arbeiter*innen zu vertreten.“ Nach Michaels Ansicht ist es jedoch „ein Fehler, die Polizei im Allgemeinen als ‚Arbeiter*innen in Uniform‘ zu betrachten, die wie jeder andere Arbeiter behandelt werden sollten“. Die Rolle der Polizei im Bergarbeiter*innenstreik von 1984 bestätigt seiner Meinung nach die Position unseres Pakets „Was ist Marxismus?“, dass „die Polizei zusammen mit der Armee die zentralen ‚Formationen bewaffneter Menschen‘ darstellen, die im Zentrum des Staatsapparats stehen. Sie ist die erste Verteidigungslinie gegen alles, was die öffentliche Ordnung des Kapitalismus stört.“

Wie bei anderen Themen kann Michael nur eine Seite des Problems sehen: die reaktionäre, repressive Rolle der Polizei als Instrument der staatlichen Repression. Sie spielten während des Bergarbeiter*innenstreiks 1984 zweifellos eine aggressive, repressive Rolle. Die Bergarbeiter*innen sowie andere Teile der kämpferischen Arbeiter*innen betrachteten die Polizei gewiss nicht als „irgendwelche anderen Arbeiter*innen“. Sie organisierten sich, um der Taktik der Polizei entgegenzutreten, und stellten sich ihr in massiven Auseinandersetzungen, insbesondere in der Schlacht von Orgreave. Ähnlich stellten sich die fliegenden Streikposten beim Bergarbeiter*innenstreik von 1972 der Polizei entgegen und besiegten sie in der berühmten „Schlacht von Saltley Gates“ (wo Streikposten der Bergarbeiter*innen und andere Arbeiter*innen das Kohlelager der Midlands blockierten). Die Unterstützung gewerkschaftlicher Rechte für die einfachen Angehörigen der Polizei (oder auch der Armee) trübt zu keinem Zeitpunkt unsere Analyse der Rolle von Polizei und Armee als Teil des Staatsapparats oder untergräbt die Anerkennung der Notwendigkeit, sich gegen polizeiliche oder militärische Unterdrückung zu organisieren.

Dies ist jedoch nur die eine Seite der Frage. Die andere Seite einer revolutionären Politik (die Michael mit seiner charakteristischen Schwarz-Weiß-Herangehensweise nicht sieht) ist eine Politik, politische Appelle an die einfachen Angehören der Polizei und der Armee zu machen und ihre demokratischen Rechte, einschließlich des Rechts, sich in einer Gewerkschaft zu organisieren, zu unterstützen. Alles, was die autoritäre Kontrolle des Staates über die Angehören der Polizei (und der Armee) schwächt und ihre Angehören, oder auch nur einen Teil ihrer Angehören, näher an die Arbeiter*innenbewegung heranbringt, trägt dazu bei, günstigere Kampfbedingungen für die Arbeiter*innenklasse zu schaffen.

Aber Trotzki wies diesen Ansatz zurück, ruft Michael aus! Er beweist dies durch ein Experiment. Bei der Suche in einem Internet-Trotzki-Archiv nach dem Wort „Polizist“ stieß er auf das folgende Zitat: „Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter.“ Dieses Zitat stammt aus Trotzkis Artikel „Was nun? Schicksalsfragen des deutschen Proletariats“ aus dem Jahr 1932. Nachdem Michael dieses Zitat aus dem Internet gegoogelt hat, scheint er zu glauben, dass Trotzkis Kommentar das letzte Wort zu diesem Thema sei. Falls er weitere Nachforschungen über den Kontext von Trotzkis Kommentar und die Lage in Deutschland im Jahr 1932 angestellt hat, macht sich Michael nicht die Mühe, sie mit dem hier diskutierten Thema in Verbindung zu bringen. In der Tat scheint Michael im Allgemeinen zu glauben, dass Forderungen, Losungen usw. ewig sind und dass wir sie aufrechterhalten sollten, ohne uns um die veränderten Bedingungen zu kümmern.

Die Lage in Deutschland war 1932 nicht dieselbe wie in Großbritannien 1981 oder heute. Nur ein Jahr vor Hitlers Machtübernahme fand bereits ein intensiver Kampf zwischen den Kräften der Revolution und der Konterrevolution statt. Da es der Arbeiter*innenklasse nicht gelungen war, eine erfolgreiche Revolution durchzuführen, wurde Deutschland von einer Reihe bonapartistischer Regime (unter den Kanzlern Brüning, von Papen und von Schleicher) regiert, die sich auf reaktionäre Teile des Militärs und die Faschist*innen stützten, um die Arbeiter*innenbewegung zu zerschlagen.

In der Passage, aus der der „bürgerliche Polizisten“-Satz stammt, argumentiert Trotzki gegen den „parlamentarischen Kretinismus“ der führenden sozialdemokratischen Vertreter*innen. Sie argumentierten, dass die deutsche Armee, weil sie vom Präsidenten der deutschen Republik kontrolliert werde, nicht zulassen würde, dass Hitler an die Macht komme. Trotzki wendet sich insbesondere gegen das Wunschdenken, dass die Polizei, weil sie ursprünglich aus sozialdemokratischen Arbeiter*innen rekrutiert wurde, die Machtübernahme der Faschist*innen verhindern würde: „Auch hier wird das Denken vom Sein bestimmt.“ Die „Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter. In den letzten Jahren hatten sich diese Polizisten weitaus mehr mit revolutionären Arbeitern zu schlagen als mit nationalsozialistischen Studenten. Eine solche Schule hinterlässt Spuren.“

Es gab eine vorrevolutionäre Lage in Deutschland, die (abgesehen von der Notwendigkeit einer revolutionären Partei, die politisch mit einem marxistischen Programm bewaffnet ist) die Notwendigkeit für die Arbeiter*innen mit sich brachte, sich zu bewaffnen, Arbeiter*innenmilizen zu bilden, um dem faschistischen Ansturm zu begegnen. Es war absoluter Kretinismus, an die Regierung, den Kanzler usw. zu appellieren, die Arbeiter*innenklasse vor den Faschist*innen zu schützen.

„Ich denke, dass Trotzki Recht hatte“, sagt Michael. Aber nur in einer Welt der reinen Abstraktion könnten wir die Unterschiede zwischen Deutschland 1932 und Großbritannien oder auch Frankreich oder Deutschland usw. heute ignorieren.

Es kommt für unser Material nicht in Frage, zu argumentieren, dass es ausreichen würde, der Gefahr, die der Staat für die Arbeiter*innenbewegung darstellt, zu begegnen, wenn man der Polizei oder der Armee Gewerkschaftsrechte zugestehen würde: „… es wäre fatal, so zu tun, wie es die führenden Vertreter*innen der Kommunistischen Partei und die reformistische Linke der Labour Party tun, als ob die „Demokratisierung des Staates“ für sich genommen ausreichen würde, um die britische Arbeiter*innenklasse und eine Labour-Regierung vor dem Schicksal zu bewahren, das ihre chilenischen Brüder und Schwestern ereilte.“. (Der Staat…, S. 31)

Der Staat darf nicht unantastbar bleiben, wie führende rechte Labour-Vertreter*innen immer argumentiert haben. „Im Gegenteil, Maßnahmen müssen verstärkt werden, um den Staat gegenüber der Arbeiter*innenbewegung rechenschaftspflichtig zu machen. Aber die Grenzen solcher Maßnahmen müssen von der Arbeiter*innenbewegung verstanden werden. Die Kapitalist*innen werden niemals zulassen, dass ihnen ihr Staat ,schrittweise‘ weggenommen wird. Die Erfahrung hat gezeigt, dass nur eine entschiedene Veränderung der Gesellschaft die Gefahr der Reaktion beseitigen und die ,Demokratisierung der Staatsmaschine‘ mit der Errichtung eines neuen, von den arbeitenden Menschen kontrollierten und verwalteten Staates abschließen kann.“ (Der Staat…, S. 31-32)

Die Broschüre gibt zahlreiche Beispiele der Radikalisierung von Teilen der Polizei in Großbritannien und anderswo. In Großbritannien gab es 1918 und 1919 während der Krise nach dem Ersten Weltkrieg Polizeistreiks. Zwischen 1970 und 1977 brachten eine Reihe von Gehaltskonflikten bei der Polizei sowie das allgemeine politische Klima eine Radikalisierung einiger Teile der Polizei. Auf der Konferenz des Polizeiverbandes im Jahr 1977 sagte ein junger Polizist der Metropolitan Police: „Wir sind nicht anders als andere Arbeiter*innen. Wir tragen vielleicht komische Klamotten und erledigen die Drecksarbeit der Gesellschaft für sie. Aber wir kommen aus demselben Holz wie andere Arbeiter*innen. (Buhrufe) Wir haben nur unsere Arbeitskraft zu verkaufen, nicht das Kapital.“ (Der Staat…, S. 45) Dieser Redner gehörte eindeutig zu einer kleinen Minderheit, aber die Tatsache, dass eine solche klassenbewusste Haltung von auch nur einem Delegierten geäußert werden konnte, war bezeichnend. Würde Michael dafür plädieren, dass Marxist*innen solche Tendenzen ignorieren und die Angehörigen der Polizei als „eine reaktionäre Masse“ betrachten sollten, unabhängig von den tatsächlichen Bedingungen oder der Stimmung innerhalb der Polizei?

Während der Mai-Ereignisse 1968 in Frankreich wurde die Stimmung der Polizei (im Gegensatz zur paramilitärischen Bereitschaftspolizei, der CRS) durch die massenhafte Generalstreikbewegung beeinflusst. Vertreter*innen der Polizei „ließen stillschweigend verlauten, dass Einsätze gegen Arbeiter*innen nicht nur eine schwere Vertrauenskrise in ihren Reihen, sondern auch die Möglichkeit einer faktischen Polizeimeuterei auslösen könnten“. (Beyond the Limits of the Law [Jenseits der Grenzen des Rechts], Tom Bowden) Die Logik von Michaels Position ist, dass die fortgeschrittenen Arbeiter*innen solche Entwicklungen ignorieren und über die Möglichkeit hinweggehen sollten, Teile der Polizei auf die Seite der Arbeiter*innen zu ziehen oder zumindest einen Teil der staatlichen Kräfte zu neutralisieren.

Tatsächlich äußert sich Michael nicht zu diesen und anderen Episoden, die in der Broschüre erwähnt werden, was den völlig abstrakten Charakter seiner Herangehensweise an die Frage der Polizei zeigt.

Das Kommunistische Manifest und Marx‘ Forderungen

Das Problem ist, dass Michael die marxistische Idee eines Programms nicht versteht. Er ist nur mit Erklärungen der „Grundprinzipien des Marxismus“ wirklich zufrieden. „Der bestehende bürgerliche Staat … muss zerbrochen, zerschlagen und durch einen neuen Arbeiter*innenstaat ersetzt werden.“ Alles darunter sei „Verwirrung, Verstellung und letztlich Verrat“. Michael kritisiert alle unsere unmittelbaren Forderungen als Teil einer „begrenzteren reformistischen Agenda“ oder „Elemente einer durch und durch reformistischen Strategie“.

Auffällig ist jedoch, dass Michael selbst nirgends unmittelbare Forderungen vorschlägt, die sich auf das bestehende Bewusstsein beziehen und eine Brücke zu revolutionären Zielen schlagen könnten. Marxist*innen, sagt er, sollten nicht nach Popularität streben oder Angst haben, gesellschaftlich geächtet zu werden. Es ist unsere „Verantwortung, das Glied in der Kette der revolutionären Kontinuität aufrechtzuerhalten, indem wir einen Weg zum Sozialismus entwickeln und skizzieren, bewaffnet mit den destillierten Lehren vergangener Klassenkämpfe. Wir müssen fest auf der Grundlage der Tradition stehen, die auf dem historischen Erbe von Marx, Engels, Lenin und Trotzki beruht, denn wenn wir davon abweichen, werden wir uns unweigerlich in den Empirismus und die ewige Gegenwart zurückziehen.“ Wie also, so können wir Michael fragen, wird sich unsere Partei „mit dem bestehenden Bewusstsein der Arbeiter*innen auseinandersetzen und es durchschneiden“, um es zu verändern? Er bietet uns überhaupt keine Anleitung.

Ein wichtiger Teil des historischen Erbes von Marx und Engels, Lenin und Trotzki, ist das Verständnis der Rolle eines Programms dabei, eine Brücke zwischen dem bestehenden Bewusstsein und den revolutionären Zielen zu liefern. Im Laufe ihrer Tätigkeit haben sie verschiedene Programme ausgearbeitet, einige entsprachen relativ ruhigen Perioden des Klassenkampfes, andere revolutionären Situationen. Alle von ihnen beruhten auf der Erkenntnis, dass das Massenbewusstsein der gesellschaftlichen Realität hinterherhinkt. In Zeiten sozialer Ruhe kann sich das Klassenbewusstsein, selbst in den fortgeschrittenen Schichten der Arbeiter*innen, nur sehr langsam entwickeln. Unter dem Einfluss einer sozialen Krise und eines verschärften Klassenkampfes kann es sich sehr schnell entwickeln. Aber der „subjektive Faktor“, die Beteiligung einer bewussten revolutionären Führung, insbesondere in Form einer revolutionären Massenpartei, ist ein lebensnotwendiger Katalysator in diesem Prozess. Darüber hinaus ist ein Programm, das die lebensnotwendigen politischen Aufgaben der Arbeiter*innenklasse zusammenfasst und sich gleichzeitig mit den bestehenden Verhältnissen und dem Bewusstsein auseinandersetzt, ein unverzichtbares Interventionsinstrument für eine revolutionäre Partei. Ein marxistisches Programm ist nicht nur eine Erklärung von Grundprinzipien. Je nach den Umständen muss ein Programm eine Vielzahl von theoretischen, programmatischen und unmittelbaren Aufgaben erfüllen.

Betrachten wir ein bekanntes Beispiel. Im Februar 1848 veröffentlichten Marx und Engels (unter dem Banner des Bundes der Kommunisten) das berühmteste Programm überhaupt, das Manifest der Kommunistischen Partei, kurz vor dem Ausbruch der Revolutionen, die Europa in jenem Jahr erschütterten. Das Manifest war in vielerlei Hinsicht klar eine Erklärung der grundlegenden Prinzipien und politischen Ziele. Es skizzierte brillant eine theoretische Analyse der kapitalistischen Gesellschaft und eine Perspektive für die sozialistische Umgestaltung unter der Führung des Proletariats. Aber es enthielt auch eine Reihe von demokratischen, unmittelbaren und Übergangsforderungen.

Die Kommunist*innen „kämpfen für die Erreichung der unmittelbar vorliegenden Zwecke und Interessen der Arbeiterklasse, aber sie vertreten in der gegenwärtigen Bewegung zugleich die Zukunft der Bewegung.“ (Manifest, Kapitel 4) Das Manifest (Kapitel 2) stellt zehn Forderungen auf, die ein Ende der Grundeigentums und eine Progressivsteuer, eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichen Monopol und die Ausweitung der staatlichen Industrien sowie Zentralisation des Transportwesens und unentgeltliche Kindererziehung fordern. Ziel dieser Forderungen ist, „die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie“.

„Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren …“

Zweifelsohne steckt das Manifest grundlegende Ziele ab und deutet sogar einige Merkmale einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft an. Als jedoch die revolutionäre Welle ausbrach, schrieben Marx und Engels ein anderes programmatisches Dokument, das vom Komitee des Bundes der Kommunisten im März 1848 veröffentlicht wurde. Die als Flugblatt veröffentlichten und in vielen radikalen Zeitungen in ganz Deutschland nachgedruckten „Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland“ (siehe Anhang) wurden damals viel mehr gelesen als das Manifest.

Die „Forderungen“ stellen ein unmittelbares Programm dar, eine politische Waffe für das Eingreifen des Bundes der Kommunistischen in die sich entwickelnde revolutionäre Bewegung. Die siebzehn Forderungen entsprechen der damaligen Lage, in der die relativ schwache deutsche Arbeiter*innenklasse eine Schlüsselrolle im Kampf für eine bürgerlich-demokratische Revolution spielt. Die Forderungen forderten die Einigung Deutschlands unter allgemeinem Wahlrecht und die allgemeine Volksbewaffnung. Die Forderungen 6 bis 9 zielten auf die Abschaffung des Großgrundbesitzes ab. Wie das Manifest fordern auch die Forderungen unentgeltliche Transportmittel und Progressivsteuern der Wohlhabenden. Die Forderung 10 zielt auf eine Staatsbank ab, um „ das Kreditwesen im Interesse des ganzen Volkes zu regeln“ und „die Herrschaft der großen Geldmänner“ zu untergraben. In Punkt 16 werden „Nationalwerkstätten“ gefordert, eine Übergangsforderung, die in der Praxis die Grundlagen des Kapitalismus in Frage stellen würde: „Der Staat garantiert allen Arbeitern ihre Existenz und versorgt die zur Arbeit Unfähigen.“

Anders als das Manifest fordern die Forderungen jedoch (abgesehen vom öffentlichen Eigentum an allen Transportmitteln) nicht die Ausweitung der staatlichen Industrien. Es ist nicht die Rede von der „Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse“ oder davon, „der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen“ oder „alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren…“. Das Ziel der Forderungen, das im letzten Absatz dargelegt wird, wird folgendermaßen zusammengefasst: „Es liegt im Interesse des deutschen Proletariats, des kleinen Bürger- und Bauernstandes, mit aller Energie an der Durchsetzung obiger Maßregeln zu arbeiten. Denn nur durch Verwirklichung derselben können die Millionen, die bisher in Deutschland von einer kleinen Zahl ausgebeutet wurden und die man weiter in der Unterdrückung zu erhalten suchen wird, zu ihrem Recht und zu derjenigen Macht gelangen, die ihnen, als den Hervorbringern alles Reichtums, gebührt.“

Die Forderungen waren auf die unmittelbare Aufgabe konzentriert, den Kampf für eine bürgerlich-demokratische parlamentarische Republik in Deutschland zu verstärken, indem der maximale Druck der Arbeiter*innenklasse auf die radikalen kleinbürgerlichen Demokrat*innen ausgeübt wird. Trotz ihrer Klassenbeschränkungen war die parlamentarische Republik die Regierungsform, die der Arbeiter*innenklasse die günstigsten Bedingungen für die Stärkung ihrer Kräfte und für den Kampf für den Sozialismus bieten würde.

Waren Marx und Engels, indem sie in den Forderungen ein begrenzteres Programm als im Manifest aufstellten, der Verwirrung und Verstellung schuldig? Verbreiteten sie Illusionen in die bürgerliche Demokratie? Ist das nicht die Logik von Michaels Position?

Aber natürlich haben Marx und Engels ein Forderungsprogramm vorgelegt, das der unmittelbaren Lage einer sich entfaltenden Revolution und dem Bewusstsein der radikalsten Teile der Massenbewegung entsprach. Die Forderungen bilden ein Aktionsprogramm, eine Plattform für die Intervention in einer Massenbewegung. Die Forderungen sind viel begrenzter als das Kommunistische Manifest. Das bedeutet jedoch für keine Minute, dass Marx und Engels die Ideen des Manifests aufgegeben oder den Kampf für kommunistische Ziele in die ferne Zukunft verschoben hätten. Sie hatten nicht die Idee von „Etappen“, die später von den führenden stalinistischen Vertreter*innen übernommen wurde, nach der das Proletariat die Grenzen der bürgerlich-demokratischen Revolution bis zu ihrer Vollendung akzeptieren und erst dann zu den sozialistischen Aufgaben übergehen sollte. Sie hatten auch nicht die später von den führenden sozialdemokratischen Vertreter*innen vertretene (und von Trotzki im Übergangsprogramm kritisierte) Position eines voneinander unabhängigen Maximal- und Minimalprogramms: ein Minimalprogramm von Reformen, die im Rahmen des Kapitalismus durchführbar sind, und ein Maximalprogramm des Sozialismus in fernerer Zukunft.

Im Jahr 1848 ergänzten sich die Forderungen und das Manifest gegenseitig. Im Verlauf der Revolution hören Marx und Engels nicht auf, die radikalen bürgerlichen Demokrat*innen vom Standpunkt der im Manifest dargelegten Ideen aus zu kritisieren. Sie gingen schnell von einer Position der kritischen Unterstützung der radikalen bürgerlichen Demokrat*innen zu einer Position der unerbittlichen Kritik an deren politischer Feigheit und deren Verrat gegenüber der Arbeiter*innenklasse und der armen Bäuer*innenschaft über. Vom Ausbruch der Revolution bis zu ihrem Ende traten sie für die ideologische und organisatorische Unabhängigkeit der Arbeiter*innenklasse ein. Die deutschen Arbeiter*innen, so schrieben Marx und Engels, dürfen „sich durch die heuchlerischen Phrasen der demokratischen Kleinbürger keinen Augenblick an der unabhängigen Organisation der Partei des Proletariats irremachen lassen. Ihr Schlachtruf muss sein: Die Revolution in Permanenz.“ (Ansprache des Zentralkomitees an den Bund der Kommunisten, März 1850)

Die Arbeiter*innenklasse darf nicht zulassen, dass die radikalen bürgerlichen Demokrat*innen die Macht allein im Interesse der Bourgeoisie festigen, sondern muss sich darauf vorbereiten, dass die Arbeiter*innen ihre eigenen revolutionären Arbeiter*innenregierungen (in Form von „Gemeinderäten“ oder „Arbeiterkomitees“) neben und in Opposition zu den bürgerlich-demokratischen Regierungen bilden. (Dies war der Keim der Theorie der permanenten Revolution, die später von Trotzki am Vorabend der Revolution von 1905 in Russland entwickelt wurde). Die Politik des Bundes der Kommunisten ging weit über das hinaus, was in den Forderungen vom März 1848 stand, und war konkreter als die im Manifest dargelegten. Formal gibt es viele „Unstimmigkeiten“ zwischen dem Manifest, den Forderungen und den Erklärungen von Marx und Engels in den Jahren 1848-1850. Aber die Forderungen und die Taktik – das sich entwickelnde Programm des Bundes – wurden von Marx und Engels als Reaktion auf die Ereignisse entwickelt – nicht gemäß einem abstrakten, logischen Schema, wie es Michael zu favorisieren scheint.

Eine Brücke zum bestehenden Bewusstsein

Das Kommunistische Manifest und die Forderungen stecken die Aufgaben des Proletariats in einer Zeit der bürgerlichen Revolutionen ab. Trotzkis 1938 geschriebenes „Übergangsprogramm“ steckt die Aufgaben für die Periode der „Todeskrise des Kapitalismus“ ab, mit dem Kampf um Leben und Tod zwischen Faschismus und Kommunismus und dem Herannahen eines neuen Weltkriegs. Wie das Manifest beruht auch das Übergangsprogramm auf einer konkreten theoretischen Analyse der Periode. Es beruht auf einer Perspektive.

Das Programm enthält unmittelbare Forderungen, d.h. solche nach Reformen, demokratischen Rechten, usw. Die Vierte Internationale „verteidigt unermüdlich die demokratischen Rechte der Arbeiter und ihre sozialen Errungenschaften. Aber sie führt diese Tagesarbeit aus im Rahmen einer […] revolutionären Perspektive.“ Aber die Schlüsselforderungen sind Übergangsforderungen. Zum Beispiel könnte die Forderung nach einer „gleitenden Skala der Löhne und der Arbeitszeit“ (um Vollbeschäftigung und einen existenzsichernden Lohn für alle Arbeiter*innen zu erreichen) im Rahmen des krisengeschüttelten Kapitalismus nicht vollständig umgesetzt werden. Die Forderung impliziert eine sozialistische Gesellschaft, ohne sie auszusprechen.

Bei der Diskussion des Übergangsprogramms mit US- Genoss*innen bemerkte Trotzki: „wenn wir das ganze sozialistische System darbieten, wird es dem gewöhnlichen Amerikaner als utopisch, als etwas aus Europa, erscheinen. Wir bieten es [in Form einer gleitenden Skala der Löhne und der Arbeitszeit] als eine Lösung für diese Krise an, die ihr Recht zu essen, zu trinken und in anständigen Wohnungen zu leben, sichern muss. Es ist das Programm des Sozialismus, aber in sehr populärer und einfacher Form.“

Ein Programm ist keine Zusammenstellung von Grundprinzipien. Die wesentlichen Elemente eines Programms für die sozialistische Umgestaltung müssen in einer Weise dargelegt werden, die sich auf das tatsächliche Bewusstsein der verschiedenen Schichten der Arbeiter*innen bezieht. Trotzki erkannte, dass die Art und Weise, wie ein Programm den Arbeiter*innen präsentiert wird, sehr wichtig ist. „Wir müssen die Politik mit Massenpsychologie und Pädagogik verbinden und eine Brücke zu ihrem Bewusstsein bauen.“ Trotzki konnte nie vorgeworfen werden, dass er sich davor fürchtete, sich bei der Verteidigung revolutionärer Prinzipien abzuheben, selbst wenn dies bedeutete, eine Zeit lang isoliert zu sein. Aber er hätte niemals bereitwillig die „soziale Ächtung“ akzeptiert, die Michael zu begrüßen scheint.

„… einige Forderungen“, kommentierte Trotzki in den Diskussionen über das Übergangsprogramm, erscheinen „sehr opportunistisch – weil sie der tatsächlichen Mentalität der Arbeiter angepasst sind. … andere Forderungen [erscheinen] zu revolutionär – weil sie eher die objektive Situation widerspiegeln als die tatsächliche Mentalität der Arbeiter.“

Außerdem wies Trotzki darauf hin, dass das Übergangsprogramm unvollständig sei: „Das Ende des Programms ist […] nicht vollständig, denn wir sprechen hier nicht von der sozialen Revolution, über die Machtergreifung durch den Aufstand, den Übergang der kapitalistischen Gesellschaft in die Diktatur [des Proletariats], der Diktatur in die sozialistische Gesellschaft. Es führt den Leser nur an die Türschwelle. Es ist ein Aktionsprogramm vom heutigen Tag bis zum Beginn der sozialistischen Revolution. Und vom praktischen Gesichtspunkt ist es gegenwärtig am wichtigsten, wie wir die verschiedenen Schichten des Proletariats in die Richtung der sozialen Revolution führen können.“

Mit anderen Worten, es hält vor dem an, was Michael befürwortet, einem Programm zur Zerschlagung des bürgerlichen Staates und zur Errichtung eines Arbeiter*innenstaates, einem Programm für einen Aufstand und die Machtergreifung. Um Michael zufrieden zu stellen, hätte das Übergangsprogramm eine neue, aktualisierte Fassung von Lenins Aprilthesen (Die Aufgaben des Proletariats in der gegenwärtigen Revolution) enthalten müssen. Die Thesen wurden verfasst, als die russische Revolution von ihrer bürgerlichen Phase in eine „zweite Etappe der Revolution, die die Macht in die Hände des Proletariats und der ärmsten Schichten der Bauernschaft legen muss“ überging, und forderten die Machtübernahme durch die Arbeiter*innen- und Bäuer*innensowjets, die Bildung einer Arbeiter*innenrepublik und die Kontrolle der gesellschaftlichen Produktion und Verteilung durch die Sowjets.

Es ist klar, dass das Übergangsprogramm von 1938 verfasst wurde, als es in einer Reihe von wichtigen kapitalistischen Ländern eine vorrevolutionäre Lage gab, und nicht mitten in einer sich vertiefenden Revolution. Aber verfiel Trotzki nicht in „Verwirrung“ und „Verstellung“, als er die Frage der Machtübernahme ausklammerte und sie „auf später verschob“? Das ist die Logik von Michaels Argumentation.

Michael sagt, er erkenne die Notwendigkeit an, dass unsere Forderungen „sich mit dem bestehenden Bewusstsein der Arbeiter*innen auseinandersetzen und es durchschneiden müssen, wenn wir es jemals verändern wollen“. Die Herangehensweise, die er befürwortet, ist jedoch, dass wir allgemeine theoretische Formeln, abstrakte Forderungen wie „Zerschlagt den Staat“ aufstellen sollten. Nirgendwo in seiner Kritik an unserer Position, die er (gelinde gesagt) äußerst einseitig darstellt, schlägt er unmittelbare, demokratische oder Übergangsforderungen vor, die sich „mit dem bestehenden Bewusstsein auseinandersetzen“ würden. Er erkennt nicht an, dass ein flexibles Übergangsprogramm notwendig ist, das den verschiedenen Zeiten und Situationen entspricht. Würden wir seine Herangehensweise übernehmen, wären wir zur politischen Isolation verdammt – in einer Periode, die tatsächlich immer günstiger wird, um Arbeiter*innen und Jugendliche für sozialistische Ideen zu gewinnen. Das Festhalten an abstrakten Formeln mag es Einzelpersonen oder kleinen Gruppen erlauben, die Ereignisse zu kommentieren – und doktrinäre Kritik an denjenigen zu üben, die sich an Kämpfen beteiligen. Aber die Methode, zu der Michael jetzt leider übergegangen ist, wird niemals eine Brücke zwischen dem Programm der Revolution und breiten Schichten von Arbeiter*innen und jungen Menschen schlagen. Wenn er dieser Linie folgt, wird Michael sicherlich nicht Gefahr laufen, ein Populist zu werden – aber, was noch wichtiger ist, er wird auch kein wirksamer Marxist sein.

Karl Marx/Friedrich Engels: Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland

[Geschrieben zwischen dem 21. und 29. März 1848. Gedruckt als Flugblatt um den 30. März 1848 in Paris und vor dem 10. September 1848 in Köln. Nach dem Kölner Flugblatt.]

„Proletarier aller Länder, vereinigt Euch!“

1. Ganz Deutschland wird zu einer einigen, unteilbaren Republik erklärt.

2. Jeder Deutsche, der 21 Jahre alt, ist Wähler und wählbar, vorausgesetzt, dass er keine Kriminalstrafe erlitten hat.

3. Die Volksvertreter werden besoldet, damit auch der Arbeiter im Parlament des deutschen Volkes sitzen könne.

4. Allgemeine Volksbewaffnung. Die Armeen sind in Zukunft zugleich Arbeiterarmeen, so dass das Heer nicht bloß, wie früher, verzehrt, sondern noch mehr produziert, als seine Unterhaltungskosten betragen.

Dies ist außerdem ein Mittel zur Organisation der Arbeit.

5. Die Gerechtigkeitspflege ist unentgeltlich.

6. Alle Feudallasten, alle Abgaben, Fronden, Zehnten etc., die bisher auf dem Landvolke lasteten, werden ohne irgendeine Entschädigung abgeschafft.

7. Die fürstlichen und andern feudalen Landgüter, alle Bergwerke, Gruben usw. werden in Staatseigentum umgewandelt. Auf diesen Landgütern wird der Ackerbau im Großen und mit den modernsten Hilfsmitteln der Wissenschaft zum Vorteil der Gesamtheit betrieben.

8. Die Hypotheken auf den Bauerngütern werden für Staatseigentum erklärt. Die Interessen für jene Hypotheken werden von den Bauern an den Staat gezahlt.

9. In den Gegenden, wo das Pachtwesen entwickelt ist, wird die Grundrente oder der Pachtschilling als Steuer an den Staat gezahlt.

Alle diese unter 6, 7, 8 und 9 angegebenen Maßregeln werden gefasst, um öffentliche und andere Lasten der Bauern und kleinen Pächter zu vermindern, ohne die zur Bestreitung der Staatskosten nötigen Mittel zu schmälern und ohne die Produktion selbst zu gefährden.

Der eigentliche Grundeigentümer, der weder Bauer noch Pächter ist, hat an der Produktion gar keinen Anteil. Seine Konsumtion ist daher ein bloßer Missbrauch.

10. An die Stelle aller Privatbanken tritt eine Staatsbank, deren Papier gesetzlichen Kurs hat.

Diese Maßregel macht es möglich, das Kreditwesen im Interesse des ganzen Volkes zu regeln und untergräbt damit die Herrschaft der großen Geldmänner. Indem sie nach und nach Papiergeld an die Stelle von Gold und Silber setzt, verwohlfeilert sie das unentbehrliche Instrument des bürgerlichen Verkehrs, das allgemeine Tauschmittel, und erlaubt, das Gold und Silber nach außen hin wirken zu lassen. Diese Maßregel ist schließlich notwendig, um die Interessen der konservativen Bourgeois an die Revolution zu knüpfen.

11. Alle Transportmittel: Eisenbahnen, Kanäle, Dampfschiffe, Wege, Posten etc. nimmt der Staat in seine Hand. Sie werden in Staatseigentum umgewandelt und der unbemittelten Klasse zur unentgeltlichen Verfügung gestellt.

12. In der Besoldung sämtlicher Staatsbeamten findet kein anderer Unterschied statt als der, dass diejenigen mit Familie, also mit mehr Bedürfnissen, auch ein höheres Gehalt beziehen als die übrigen.

13. Völlige Trennung der Kirche vom Staate. Die Geistlichen aller Konfessionen werden lediglich von ihrer freiwilligen Gemeinde besoldet.

14. Beschränkung des Erbrechts.

15. Einführung von starken Progressivsteuern und Abschaffung der Konsumtionssteuern.

16. Errichtung von Nationalwerkstätten. Der Staat garantiert allen Arbeitern ihre Existenz und versorgt die zur Arbeit Unfähigen.

17. Allgemeine, unentgeltliche Volkserziehung.

Es liegt im Interesse des deutschen Proletariats, des kleinen Bürger- und Bauernstandes, mit aller Energie an der Durchsetzung obiger Maßregeln zu arbeiten. Denn nur durch Verwirklichung derselben können die Millionen, die bisher in Deutschland von einer kleinen Zahl ausgebeutet wurden und die man weiter in der Unterdrückung zu erhalten suchen wird, zu ihrem Recht und zu derjenigen Macht gelangen, die ihnen, als den Hervorbringern alles Reichtums, gebührt.

Das Komitee:

Karl Marx – Karl Schapper – H. Bauer – F. Engels – J. Moll – W. Wolff


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