Lynn Walsh: Die Polizei

[aus der Broschüre „Der Staat, eine Warnung für die Arbeiter*innenbewegung“, erschienen im August 1983, bearbeitete Version von Artikeln als Militant Nr. 571 und 573, Oktober 1981, weitere Beiträge in der Broschüre stammten von Ted Grant und Peter Taaffe]

1. Gewerkschaftsrechte! Die Polizei und die Arbeiter*innenbewegung

Von Lynn Walsh

Arbeiter*innen, die in den Arbeitskampf treten – insbesondere wenn sie Streikposten organisieren, ein wichtiges Gewerkschaftsrecht – sind immer wieder mit der Polizei in Konflikt geraten. Mit der neuen Anti-Gewerkschafts-Gesetzgebung der Tories wird es wahrscheinlich noch größere Kämpfe geben. Gewerkschafter*innen, die Arbeitsplätze und Lebensstandards verteidigen, drohen Gefängnisstrafen, entweder wegen Nichtzahlung von Geldstrafen oder wegen „Missachtung des Gerichts“ oder aufgrund von Zusammenstößen mit der Polizei, die versucht, die Beschränkung von Streikposten durchzusetzen oder wegen angeblicher „Obstruktion“ oder „Verstößen gegen die öffentliche Ordnung“.

Ironischerweise war jedoch eine der letzten Gruppen von potenziellen Streikenden, denen eine Haftstrafe drohte, die Polizei selbst. Dies war unter der letzten, rechten Labour-Regierung. Die Episode wurde erst viel später publik. Die „Sunday Times“ (9. August 1981) enthüllte: „Der Vorsitzende der Polizeiföderation, Jim Jardine, wurde noch 1977 mit Gefängnis bedroht, obwohl die Drohung damals geheim gehalten wurde. Es geschah, als die Polizei, verärgert über die niedrige Bezahlung, Merlyn Rees, den damaligen Innenminister, bei einem Treffen in der Westminster Hall niederbrüllte. Jim Jardine (ein diensthabender Polizeibeamter) wurde von einem hochrangigen Beamten darauf hingewiesen, dass er den Aufrufen zum Streik energisch widerstehen müsse, da er andernfalls vor Gericht gestellt würde und ihm eine Gefängnisstrafe gemäß dem Polizeigesetz von 1964 drohe (gemäß Abschnitt 53, der das ,Verursachen von Unzufriedenheit‘ verbietet).

Der Streik der Polizei wurde mit einer sofortigen 10-prozentigen Gehaltserhöhung und dem Versprechen einer Untersuchung der Gehälter abgewendet. Als die Tory-Regierung 1979 wieder ins Amt kam, kündigte Whitelaw die von der Untersuchung empfohlenen hohen Erhöhungen mit großem Tamtam an und versuchte damit eindeutig, die Loyalität der Polizei für künftige Konfrontationen mit der Arbeiter*innenbewegung zu erkaufen. Es ist jedoch klar, dass in der Zeit der polizeilichen Unzufriedenheit vor 1977 viele Polizist*innen die Polizei verließen, und zwar nicht nur wegen der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen, sondern auch aus Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie sie gegen Streiks und Demonstrationen eingesetzt wurden.

Die Episode von 1977 verweist auf den widersprüchlichen Charakter der Polizei. Obwohl die Polizei ein Arm des Staates ist – und damit einer der „Formationen bewaffneter Menschen“, die den Repressionsapparat der Kapitalist*innen bilden -, besteht sie wie die Streitkräfte aus Männern und Frauen, die mehrheitlich aus der Arbeiter*innenklasse stammen, und sie haben ihre Interessen und Forderungen als Arbeiter*innen. Die Lohnkonflikte bei der Polizei in den Jahren 1970, 1975 und 1976/77 weckten wachsende Forderungen nach einer echten gewerkschaftlichen Organisation und Aktion. Die Forderung nach dem Streikrecht wurde heftig diskutiert. In einer Reihe von Gebieten sprach sich eine Mehrheit der Konstabler*innen in Referenden für einen Streik aus. Die Inspektor*innen waren gegen einen Streik, aber die Wachtmeister*innen schwankten dazwischen. Auf der Konferenz der Polizeiföderation in Scarborough im Mai 1977 stimmte eine überwältigende Mehrheit für Streiks. Die führenden Vertreter*innen des Verbandes befürchteten zweifellos, dass einige Wachtmeister*innen einen wilden Streik beginnen würden, wenn sich die Führung nicht bewegte.

Beschwerden über die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen sowie die Frustration über die Föderation hatten unter vielen Polizistinnen und Polizisten zu einem ersten gewerkschaftlichen Bewusstsein geführt. Bei einer Minderheit hatte die betriebliche Militanz zudem eindeutig begonnen, ein allgemeineres Klassenbewusstsein zu fördern und ihre Rolle und ihr Verhältnis zur Arbeiter*innenbewegung zu hinterfragen. In Scarborough sagte ein junger Konstabler der Metropolitan Police: „Wir sind nicht anders als andere Arbeiter*innen. Wir tragen vielleicht komische Klamotten und erledigen die Drecksarbeit der Gesellschaft für sie. Aber wir kommen aus demselben Holz wie andere Arbeiter*innen. (Buhrufe) Wir haben nur unsere Arbeitskraft zu verkaufen, nicht das Kapital.“ (zitiert in Robert Reiner, The Blue-Coated Worker) Seine Rede wurde mit Buh-Rufen und „Kommunist“-Rufen usw. quittiert. Es ist klar, dass die Mehrheit der Delegierten trotz ihrer kämpferischen Haltung in Bezug auf die Gehälter immer noch eine rückständige, wenn nicht gar reaktionäre Haltung gegenüber der Arbeiter*innenbewegung und den gesellschaftlichen Fragen zum Ausdruck brachte. Aber schon die Tatsache, dass diese klassenbewusste Haltung von einem Delegierten zum Ausdruck gebracht werden konnte, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt nur eine winzige Minderheit repräsentierte, ist sehr bezeichnend.

Die einfachen Angehörigen der Polizei waren von 1970-77 von den Kämpfen der Arbeiter*innen betroffen, und viele Polizist*innen erhofften von der Arbeiter*innenbewegung einen Fortschritt. Doch die Polizei war, wie die meisten anderen Arbeiter*innen, enttäuscht, über das Versagen der Labour-Regierung bei der Umsetzung ihres Programms. Der Labour-Innenminister, Merlyn Rees, lehnte ihre Forderung nach einem Streikrecht kurzerhand ab, während er versuchte, sie stillschweigend dazu zu bewegen, die Lohnbeschränkungspolitik der Regierung zu akzeptieren. Die Bilanz der Labour-Regierung war, gelinde gesagt, kaum dazu angetan, die Polizei auf die Seite der Arbeiter*innenbewegung zu ziehen.

Die Episode von 1977 macht deutlich, dass die Arbeiter*innenbewegung eine ausgearbeitete Politik gegenüber der Polizei verfolgen muss. Die Arbeiter*innenbewegung muss sich zwar gegen den repressiven Einsatz der Polizei aussprechen, aber dennoch an die einfachen Angehörigen der Polizei appellieren. Während sie sich für eine demokratische Rechenschaftspflicht der Polizei einsetzt, muss die Bewegung auch gewerkschaftliche Rechte für die Polizei fordern, wobei die Polizeiföderation durch eine wirklich unabhängige Gewerkschaftsorganisation ersetzt werden muss. Es geht nicht nur darum, die wirtschaftlichen Interessen der Polizei zu verteidigen, sondern darauf hinzuarbeiten, dass die einfachen Angehörigen der Polizei in den Orbit der Arbeiter*innenbewegung gebracht werden.

Dies wurde von einigen Pseudomarxisten als „utopisch“ abgelehnt. Sie wollen die Polizei als „eine reaktionäre Masse“ abschreiben, als ob sie ein völlig einheitliches, unveränderliches Unterdrückungsinstrument wäre. Das ist eine völlig einseitige, falsche Sichtweise, die den Veränderungen, die durch Ereignisse hervorgerufen werden können, nicht Rechnung trägt.

Es ist zweifellos richtig, dass es in der Polizei Reaktionär*innen gibt. Es gibt klar Rassist*innen und einige faschistische Sympathisant*innen in ihren Reihen, und die demokratische Rechenschaftspflicht würde dafür sorgen, dass diese ausgemerzt werden. In den letzten Jahren haben die Bestrebungen von oben, die Polizei zu einer repressiveren Kraft zu formen, und die aggressiven Einsatztaktiken, die zunehmend von den lokalen Polizeichef*innen übernommen werden, viele der vernünftigeren Typen dazu gebracht, die Polizei zu verlassen. Die Rekrutierung und Ausbildung ist zweifellos darauf ausgerichtet, die Art von Polizei hervorzubringen, die der Staat unter den neuen Bedingungen benötigt. Aber letztlich hängen die Stimmung und das aussehen der Polizei, das Kräfteverhältnis zwischen ihrer repressiven Rolle und den eigenen Klassenansprüchen der Polizeikräfte immer noch vom Klassen- und politischen Kräfteverhältnis in der Gesellschaft ab.

Die Mai-Ereignisse 1968 in Frankreich sind ein Beispiel dafür, wie sich die Polizei unter den Bedingungen der Krise bewegen kann.

Die Massenstreikbewegung, an der sich zehn Millionen Arbeiter*innen beteiligten, wurde durch die polizeiliche Unterdrückung von Student*innendemonstrationen, insbesondere durch das brutale Vorgehen der Bereitschaftspolizei, der paramilitärischen CRS, faktisch „ausgelöst“. Ein Autor über die Polizei, Tom Bowden, kommentiert dies jedoch wie folgt: „…Während die Polizei bereit war, einen ihrer natürlichen Gegner, die Student*innen aus der Mittelschicht, brutal zu unterwerfen, war sie höchst unwillig, diejenigen, die sie als ihre Arbeiter*innengeschwister ansahen, in die Unterwerfung zu prügeln … Dementsprechend ließ sie stillschweigend verlauten, dass Einsätze gegen Arbeiter*innen nicht nur eine schwere Vertrauenskrise in ihren Reihen verursachen könnten, sondern auch die Möglichkeit einer faktischen Polizeimeuterei.“ (Tom Bowden: Beyond the Limits of the Law.) Tatsächlich erklärten die führenden Vertreter*innen einer der Polizeigewerkschaften öffentlich, dass sie nicht gegen Arbeiter*innen vorgehen würden. Die Polizei wurde neutralisiert oder, im Falle einiger Abteilungen, hinter die Arbeiter*innenbewegung gezogen, und die Regierung De Gaulle hing in der Luft.

Ein anderes Beispiel ist Deutschland am Ende des Ersten Weltkriegs. In der Krise übernahm die Arbeiter*innenbewegung die Macht in Berlin und ernannte Emil Eichhorn, einen führenden Vertreter der linken Unabhängigen Sozialdemokraten, zum Polizeipräsidenten. „Unter seinem Kommando“, schreibt einer der Biograf*innen Rosa Luxemburgs, „schien sich die Polizei in eine revolutionäre Institution zu verwandeln.“ (Peter Nettl, Rosa Luxemburg). Es war der Versuch der reaktionären Zentralregierung unter den rechten Sozialdemokraten Ebert und Noske, Eichhorn abzusetzen, der den „Spartakus“aufstand im Januar 1919 auslöste.

Auch in Großbritannien führten die Massenkämpfe der Arbeiter*innenklasse zwischen 1913 und 1919 zu einem Kampf innerhalb der Polizei für eine unabhängige Gewerkschaft. Die illegale Police and Prison Officers Union knüpfte nach und nach Verbindungen zur Arbeiter*innenbewegung, und ihre führenden Vertreter*innen forderten die Demokratisierung der Polizei. In den Jahren 1872 und 1890 hatte es Streiks bei der Metropolitan Police wegen der Bezahlung gegeben. Die wichtigsten Streiks fanden jedoch 1918 und 1919 während der Nachkriegskrise statt. Im Jahr 1918 streikten fast alle 19.000 Beschäftigten der Metropolitan Police aus Sympathie mit ihren führenden Vertreter*innen, die schikaniert wurden. Ein zweiter Streik im Jahr 1919, der zu Kämpfen mit der Armee in Merseyside führte, wurde jedoch von den Behörden gebrochen. Die Regierung machte zwar Zugeständnisse bei der Bezahlung und den Arbeitsbedingungen, ließ aber die Aktivist*innen aus dem Weg räumen und zerschlug die Gewerkschaft vollständig. Daraufhin wurde die Polizeiföderation als zahmer Ersatz für eine Gewerkschaft gegründet. Gleichzeitig wurden Schritte unternommen, um die Befugnisse der lokalen Überwachungsausschüsse zu untergraben und eine feste zentrale Kontrolle über die lokalen Polizeikräfte einzuführen.

Diese Beispiele sollten genügen, um zu zeigen, dass die Polizei keine einheitliche, reaktionäre Masse ist. Auch die Polizei ist von der Krise der Gesellschaft betroffen – und kann von der Arbeiter*innenklasse beeinflusst werden, wenn diese in Aktion tritt. Eine richtige Politik der Arbeiter*innenbewegung gegenüber der Polizei ist jedoch ein entscheidender Faktor.

2. Politik des Zwangs – und die Notwendigkeit einer demokratischen Kontrolle

Die Krawalle, die im Sommer 1981 in Brixton, Toxteth und anderen Städten ausbrachen, lenkten die Aufmerksamkeit erneut auf die Rolle der Polizei. Sie machten insbesondere das fast vollständige Fehlen einer Rechenschaftspflicht und die Notwendigkeit deutlich, dass sich die Arbeiter*innenbewegung für die Demokratisierung der Polizei einsetzt.

Die Explosion der Wut auf den Straßen entstand aus den schrecklichen Bedingungen, denen die Arbeiter*innen in den Innenstadtgebieten, insbesondere die schwarzen Arbeiter*innen und Jugendlichen, gegenüberstanden: Massenarbeitslosigkeit, verfallene Wohnungen, unzureichende Bildungs-, Gesundheits- und Sozialeinrichtungen usw. Die Zusammenstöße auf der Straße spiegelten aber auch den weit verbreiteten Unmut und die Wut auf die Polizei wider, die sich über Jahre hinweg angestaut hatten. Die Arbeiter*innenbewegung verteidigt zwar das Recht der Arbeiter*innen, ihre Gebiete gegen Angriffe zu verteidigen, kann aber Plünderungen, Brandstiftung und Benzinbomben als Protestformen nicht unterstützen. Es muss jedoch anerkannt werden, dass die Unruhen in fast allen Fällen durch provokative Polizeiaktionen ausgelöst wurden. In Brixton gab es, wie bald enthüllt wurde, die intensive Operation Swamp ’81 und eine Reihe brutaler Verhaftungen und Razzien. Auch in Toxteth löste eine Reihe von willkürlichen und brutalen Verhaftungen den Konflikt aus. Diese besonderen Vorfälle waren jedoch nur die Spitze des Eisbergs.

Im März 1979 setzte der Labour-Gemeinderat von Lambeth, der mit seiner mangelnden Kontrolle über die Polizeiarbeit in dem Gebiet völlig unzufrieden war, eine eigene Arbeitsgruppe für die Beziehungen zwischen Gemeinde und Polizei ein. Sie kam (im Januar 1980) zu dem Schluss, dass es Beweise für einen weit verbreiteten Rassismus seitens der Polizei gibt und dass sie insbesondere von Schwarzen als „Besatzungsarmee“ angesehen wird. In London und anderen Städten wächst die Wut über die Rassenvoreingenommenheit der Polizei. Die zunehmende Zahl von „Pass-Razzien“ hat die Rolle der Polizei bei der Durchsetzung rassistischer Einwanderungsgesetze verdeutlicht. Es gibt auch Wut auf rassistische Angriffe. In den letzten fünf Jahren wurden 26 Schwarze ermordet, mit nur ein oder zwei Verhaftungen wegen dieser Verbrechen. Im Gebiet von London gab es allein 1980 2.426 gewalttätige Übergriffe auf Asiat*innen. Nur sehr wenige dieser Verbrechen wurden aufgeklärt.

In Brixton und anderen Gegenden Londons gab es auch eine starke Reaktion gegen das Eingreifen der Sonderpatrouillengruppe (Special Patrol Group). Nur wenige schwarze Jugendliche oder Arbeiter*innenbewegungs-Aktivist*innen konnten die Verantwortung der SPG für die Tötung von Blair Peach nach der Anti-NF-Demonstration in Southall (23. April 1979) vergessen. Vor dem Aufruhr in Brixton hatte die Untersuchung des Brandes in Deptford die Unfähigkeit und den offensichtlichen Widerwillen der Polizei deutlich gemacht, dieses schreckliche Verbrechen ernsthaft als rassistischen Anschlag zu untersuchen. Proteste von Labour-Abgeordneten und Bürger*innenrechtsgruppen hatten auch die Aufmerksamkeit auf den Skandal der Todesfälle von Verdächtigen im Polizeigewahrsam gelenkt. Zwischen Januar 1970 und Juni 1979 starben 245 Menschen in Polizeigewahrsam, wobei die Zahl von sieben pro Jahr auf achtundvierzig pro Jahr anstieg. Es war die Weigerung des Polizeichefs von Liverpool, Kenneth Oxford, den Inhalt einer internen Untersuchung zum Tod von Jimmy Kelly offenzulegen, die zu einem Frontalzusammenstoß zwischen den Labour-Gemeinderät*innen der örtlichen Polizeibehörde und dem Polizeipräsidenten führte. Oxford drückte in arroganter Weise die Haltung der hartgesottenen Polizeichef*innen gegenüber den gewählten Polizeiausschüssen aus. Er griff einige Gemeinderät*innen für ihre „beleidigenden, falsch informierten Kommentare“ an und sagte Berichten zufolge den Mitgliedern der Polizeibehörde, sie sollten sich „aus den Angelegenheiten meiner Truppe heraushalten“. Die Gemeinderät*innen von Liverpool beschlossen, eine Arbeitsgruppe einzusetzen, die sich mit der „Rolle und Verantwortung“ der Polizeibehörde befassen sollte. Nachdem diese im Februar 1980 berichtet hatte, kommentierte Gemeinderätin Margaret Simey, ein langjähriges Mitglied der Behörde: „Ich erkenne jetzt, dass es keine Hoffnung gibt, eine große moderne Polizeibehörde auf der Grundlage von Regeln zu führen, die nicht mehr sind als ein Gentleman’s Agreement“ („Weekend World“, ITV, 23. März 1980). „Herr Oxford scheint nicht zu denken, dass der Polizeiausschuss einer angemessenen Betrachtung wert ist, und die Tory-Mehrheit scheint nicht der Meinung zu sein, dass daran etwas falsch ist“ („Observer“, 21. Oktober 1979).

Die Zusammenstöße zwischen Labour-Gemeinderät*innen und Polizeichefs in Lambeth (Brixton) und Liverpool (Toxteth) waren frühe Warnungen vor den bevorstehenden Explosionen. Der Konflikt über die Rolle der Polizeibehörden in diesen beiden Schlüsselgebieten sowie in West Yorkshire (wo es 1978 ebenfalls eine Gemeinderatsuntersuchung gab) und Lewisham (wo der Gemeinderat 1980 damit drohte, seinen Beitrag zur Metropolitan Police zurückzuhalten) unterstrich den völligen Mangel an demokratischer Rechenschaftspflicht, was die Polizei betraf.

Doch nicht immer war die Polizei den lokalen Behörden nicht rechenschaftspflichtig. Als nach der Gründung der Metropolitan Police im Jahr 1829 schrittweise Polizeikräfte in den Stadtbezirken geschaffen wurden, unterstanden sie „Wachausschüssen“, die aus Gemeinderatsmitgliedern bestanden, die die Konstabler und ihre Offiziere ernannten, ihr Gehalt festlegten und ihre Arbeit kontrollierten. Als die Grafschaftsräte in den 1880er Jahren reformiert wurden, wurden „ständige gemischte Ausschüsse“ geschaffen, die sich zur Hälfte aus Grafschaftsräten und zur Hälfte aus lokalen Magistraten zusammensetzten und ähnliche Befugnisse wie die Wachausschüsse der Stadtbezirke hatten. „Die Kontrolle der Wachausschüsse war absolut“, schreibt ein Polizeihistoriker (T. A. Crichley, History of the Police in England and Wales). „In seinen Händen lag die alleinige Befugnis, Männer aller Dienstgrade zu ernennen, zu befördern und zu bestrafen, und er hatte die Befugnis zur Suspendierung und Entlassung. Der Wachausschuss legte die Dienstvorschriften für die Polizei fest und bestimmte mit Zustimmung des Stadtrats die Gehälter.“ In einigen Stadtbezirken musste der Polizeichef dem Wachausschuss wöchentlich Bericht erstatten. Es gab jedoch ständigen Druck der Regierung, stärkere zentrale Kontrolle der Polizei zu errichten; aber dagegen gab es Widerstand der örtlichen Interessen stieß. Während des gesamten 19. Jahrhunderts war die Hauptrolle des Innenministers, dafür zu sorgen, dass alle Gebiete angemessene Polizeikräfte rekrutierten und unterhielten, was durch die Inspektoren der Konstablerschaft gewährleistet wurde.

Diese Beziehung war nicht nur das Ergebnis einer administrativen Bequemlichkeit. Es spiegelte das Kräfteverhältnis der Klassen und die sich daraus ergebenden politischen Beziehungen wider. Die Stadtbezirksräte wurden von der industriellen und kommerziellen Kapitalist*innenklasse dominiert. Sie bezahlten die Polizei über die Gemeindesteuern und bestanden daher darauf, dass sie die Polizei kontrollierten. Die industrielle Mittelklasse [Bourgeoisie] misstraute der Zentralregierung, die sie mit verschwenderischen und unnötigen Ausgaben assoziierte und von der sie befürchtete, sie würde sich im Namen der aristokratischen Oligarchie, die die Zentralregierung beherrschte, in ihre Angelegenheiten einmischen. Die besitzende Mittelklasse, die für eine parlamentarische Regierung eintrat, hielt es für selbstverständlich, dass eine Einrichtung wie die Polizei, die potenziell über enorme Macht verfügte, demokratisch kontrolliert werden sollte.

Dies war jedoch in einer Ära, bevor die Arbeiter*innenklasse eine unabhängige politische Kraft wurde. Selbst am Ende des 19. Jahrhunderts hatte nur eine kleine Minderheit der Arbeiter das Wahlrecht. Als die große Mehrheit der Männer aus der Arbeiter*innenklasse 1918 das Wahlrecht erhielt (alle Frauen 1928), änderten die besitzenden Klassen ihre Haltung. Sie sorgten sich nicht mehr wegen der aristokratischen Oligarchie, die von den Industriekapitalisten in den Schatten gestellt worden war, aber sie fürchteten sich vor der wachsenden Stärke der Arbeiter*innenbewegung. Das Ende des Ersten Weltkriegs im Jahr 1918 brachte eine massive Radikalisierung der Arbeiter*innen, die sich in gewaltigen Kämpfen und Streiks äußerte. Labour-Gemeinderäte begannen in vielen Städten gewählt zu werden, und es entstand eine Reihe von Labour-kontrollierten Gemeinderäten. Der Versuch des Staates, die Kontrolle über die Polizei aus den Händen der lokalen Behörden zu nehmen und sie zentral zu konzentrieren, wurde durch die Polizeistreiks von 1918 und 1919 noch dringlicher gemacht.

Nach den Streiks wurde der Desborough-Ausschuss eingesetzt, um die gesamte Polizeistruktur zu überarbeiten, und viele seiner Empfehlungen wurden angenommen. Eine Empfehlung lautete, dass die Befugnis zur Ernennung, Beförderung und Disziplinierung von den Wachausschüssen auf die Polizeipräsidenten übertragen werden sollte. Dies stieß jedoch im Parlament auf Widerstand, und die Befugnisse blieben bis 1964 formell in den Händen der Wachausschüsse. Allerdings wurden die Befugnisse der Polizeipräsident*innen auf die eine oder andere Weise erheblich gestärkt. Ebenso wurde der „informelle“ zentrale Einfluss des Innenministeriums (und des Schottischen Ministeriums) gestärkt, zumal die Zentralregierung nun die Hälfte der Kosten für den Unterhalt der lokalen Streitkräfte übernahm. Das Element der demokratischen Kontrolle durch die Wachausschüsse wurde langsam aber sicher abgewürgt. Die letzten Reste der Rechenschaftspflicht wurden zudem weitgehend ohne Widerstand der Arbeiter*innenbewegung, die in dieser Zeit von der rechten Führung kontrolliert wurde, abgeschafft.

Die Königliche Polizeikommission [Royal Commission on the Police] von 1960 kam zu dem Schluss, dass das Hauptproblem der polizeilichen Rechenschaftspflicht in der Kontrolle der Polizeipräsident*innen lag. Sie „sollten einer wirksameren Aufsicht unterworfen werden“, sagte der Bericht – dies sollte jedoch dadurch geschehen, dass die Polizeipräsident*innen der Zentralregierung und nicht den lokalen Wachausschüssen gegenüber rechenschaftspflichtig wurden. Die Empfehlungen der Königlichen Kommission wurden durch das Polizeigesetz von 1964 (und das Schottische Polizeigesetz von 1967) umgesetzt. Die Wachausschüsse auf Gemeindeebene und die ständigen gemischten Ausschüsse auf Grafschaftsebene wurden durch Polizeibehörden ersetzt, die sich zu zwei Dritteln aus Gemeinderatsmitgliedern und zu einem Drittel aus Magistraten zusammensetzten. Die lokalen Behörden trugen nach wie vor die Hälfte der Kosten für die Polizeikräfte, aber ihre Polizeipräsident*innen setzten mit Unterstützung des Innenministeriums schnell den Grundsatz durch, dass „operative Fragen“ nicht in den Zuständigkeitsbereich der Polizeiausschüsse fielen. In der Praxis institutionalisierte und legalisierte das Gesetz von 1964 die nach 1945 eingeführte Situation. Die neuen Polizeiausschüsse sind nicht einmal mehr Ausschüsse der Gemeinderäte, sondern unabhängige Körperschaften des öffentlichen Rechts. Dies entzieht sie faktisch der Kontrolle durch den Gemeinderat. In einigen Gemeinden, wie z. B. Liverpool, dürfen die Gemeinderatsmitglieder nicht einmal Fragen an die Polizeibehörde stellen.

In der Theorie ernennen die Polizeibehörden den Polizeipräsidenten und können ihn „im Interesse der Effizienz der Polizei“ entlassen. Diese Befugnisse sind jedoch streng der Zustimmung des Innenministers unterworfen. In der Theorie können die Polizeiausschüsse den Polizeipräsidenten zu seinen Jahresberichten befragen oder ihn um Sonderberichte bitten. In der Praxis ist dies sehr schwierig. Die meisten Jahresberichte der Polizeipräsident*innen geben nur sehr wenige Informationen über die Methoden der Polizeiarbeit, und insbesondere die umstrittensten Bereiche der Polizeiarbeit werden vermieden.

Die meisten Polizeichef*innen wehren sich vehement gegen alle Vorschläge für eine stärkere demokratische Rechenschaftspflicht mit der Begründung, die Polizei würde dadurch einer „politischen Kontrolle“ unterworfen. Sie versuchen, den Mythos aufrechtzuerhalten, der für die öffentliche Akzeptanz ihrer Rolle in der Vergangenheit wichtig war, dass die Polizei ein Arm eines „neutralen“ Staates sei. Nach dieser Auffassung befindet sie sich „über“ der Politik und den Interessen der einzelnen Gruppen und ist letztlich der ebenso „neutralen“ und „unabhängigen“ Justiz unterstellt. Die jüngsten Änderungen in der Polizeipolitik selbst widerlegen diesen liberalen Mythos.

Das Polizeigesetz und andere Gesetze der frühen 1960er Jahre haben größtenteils nur die bereits vollzogenen Veränderungen institutionalisiert. Doch es waren die stürmischen Ereignisse zu Beginn der 1970er Jahre, die ein neues Jahrzehnt der Krise einläuteten, die wirklich bedeutenden Veränderungen in der Planung und Ausbildung der Polizei brachten. Die Tory-Regierung unter Edward Heath kam 1970 ins Amt mit, zum ersten Mal in der britischen Nachkriegszeit, Arbeitslosigkeit über 1 Million. Die Tories machten sich daran, die Arbeiter*innenklasse zu bekämpfen und versuchten, die Macht der Gewerkschaften durch das Arbeitsbeziehungsgesetz von 1971 zu brechen. Aber Heaths Vorgehen gegen die Gewerkschaften rief den massiven Widerstand der organisierten Arbeiter*innen hervor, die schließlich seinen Versuch, die Gewerkschaften mit Hilfe des Gesetzes und spezieller Gerichte zu fesseln, vereitelten. Die wichtigste betriebliche Schlacht, die die Heath-Regierung erschütterte, war der Bergarbeiter*innenstreik von 1972. Die entscheidende Schlacht fand bei Saltley Gates statt, wo 30.000 Streikposten der Bergarbeiter*innen und andere Industriearbeiter*innen das Kohlelager in den Midlands blockierten. Die Polizei wurde besiegt und zum Rückzug gezwungen. Dies war nicht nur ein vernichtender Schlag für die Tory-Regierung, sondern führte den Kapitalist*innen auch die Schwäche ihres Staates vor, wenn er organisierten, mobilisierten Arbeiter*innen gegenübersteht.

Als Reaktion darauf leitete die Regierung eine sofortige Überprüfung ihrer Sicherheitspolitik ein, die sich auf alles erstreckte, von der Polizeiarbeit auf den Straßen bis hin zum Umgang mit einem Aufstand. Die Strateg*innen des Kapitals bereiteten sich auf die Möglichkeit einer Revolution vor. Raymond Carr, der Tory-Innenminister, setzte einen nationalen Sicherheitsausschuss ein, der alle Aspekte der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung überprüfen und neue „Notfallpläne“ erstellen sollte. Der Ausschuss erstattete 1975, nach der Rückkehr der Labour-Regierung, Bericht. Die Labour-Partei änderte den Namen des Gremiums in „Civil Contingencies Committee“ [Ausschuss für zivile Eventualitäten-Ausschuss], übernahm aber alle wesentlichen Empfehlungen. Diese umfassende Überprüfung führte zu einem Programm zur Ausstattung der Polizeikräfte mit moderner Technologie für die Überwachung und die Speicherung von Daten sowie mit neuer Kampfausrüstung. Die neue Ausbildung bedeutete, dass die Polizei auf Unruhen und auf Konfrontationen mit Demonstrationen, Streikposten usw. vorbereitet wurde. Es wurden weitere Spezialeinheiten gebildet, die bei Bedarf als paramilitärische Truppen agieren konnten. 1977 tauchten zum ersten Mal in Großbritannien (abgesehen von Nordirland) Schutzschilde auf den Straßen auf, als die Polizei gegen antifaschistische Demonstrant*innen vorging, die gegen einen Marsch der Nationalen Front durch Lewisham protestierten. Gleichzeitig wurden jedoch auch Pläne für den Einsatz der Armee zur Unterstützung der Polizei in Notfällen entwickelt. Gemeinsame Operationen, wie 1974 auf dem Londoner Flughafen Heathrow, wurden inszeniert, angeblich um angebliche terroristische Bedrohungen abzuwehren, aber eindeutig mit dem Ziel, die Öffentlichkeit daran zu gewöhnen, dass die Armee zusammen mit der Polizei auf den Straßen operiert. Dann, in den Jahren 1977/78, mobilisierte die Labour-Regierung tatsächlich 20.000 Soldaten, um die Brandbekämpfung zu übernehmen und den Streik der Feuerwehrleute zu brechen, die gegen die Lohnbeschränkungspolitik der Labour-Partei protestierten.

Diese Entwicklungen machen deutlich, dass das „eiserne Faust“-Denken der Andertons und McNees nicht nur Ausdruck der harten Haltung einiger reaktionärer Polizeichef*innen ist, sondern die neue Perspektive der Strateg*innen der herrschenden Klasse selbst widerspiegelt. Sie haben erkannt, dass der relative soziale Friede der Nachkriegsperiode mit dem Abflauen des Wirtschaftsbooms endete. Sie sehen, dass die kommende Periode mit dem anhaltenden katastrophalen Niedergang des britischen Kapitalismus und der unvermeidlichen Erosion des Lebensstandards eine Zeit des frontalen Konflikts mit der Arbeiter*innenklasse sein wird. Sie haben daher das alte „liberale“, „demokratische“ Gesicht der britischen herrschenden Klasse abgelegt und präsentieren stattdessen eine brutale, repressive Fratze. Diese Entwicklungen, insbesondere die Perspektive der Andertons, machen es für die Arbeiter*innenbewegung entscheidend bedeutsam, sich für die Demokratisierung der Polizei einzusetzen.

Wenn die Arbeiter*innenklasse die wirtschaftlichen Errungenschaften und die demokratischen Rechte, die sie den Kapitalist*innen in der Vergangenheit abgerungen hat, bewahren will, muss sie die sozialistische Transformation der Gesellschaft durchsetzen. Vergangene Errungenschaften können nicht auf unbestimmte Zeit innerhalb des verrotteten Rahmens eines krisengeschüttelten Kapitalismus bewahrt werden. Bei der Umgestaltung der Gesellschaft ist es utopisch zu denken, dass der bestehende Apparat des kapitalistischen Staates von der Arbeiter*innenklasse übernommen und angepasst werden könne. Bei einer grundlegenden Veränderung der Gesellschaft werden alle bestehenden Institutionen des Staates zerschlagen und durch neue Machtorgane unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiter*innenklasse ersetzt. Gestützt auf die Perspektive der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft muss die Arbeiter*innenbewegung jedoch ein Programm vorantreiben, das eine Politik beinhaltet, die die unmittelbaren Probleme, die sich aus der Rolle der Polizei ergeben, in den Griff bekommt.

Die Bewegung muss sich in etwa für folgendes einsetzen:

– Die Polizei muss in die Zuständigkeit von kommunalen Polizeiausschüssen zurückgeführt werden, mit Befugnissen ähnlich denen der ursprünglichen Wachausschüsse. Die örtlichen Polizeiausschüsse sollten die Befugnis haben, Polizeipräsident*innen und leitende Beamt*innen zu ernennen und zu entlassen. Sie sollten nicht nur für die materiellen Ressourcen der Polizei verantwortlich sein, sondern auch für „operative Fragen“, d.h. für die tägliche Polizeipolitik. Die Metropolitan Police, die derzeit nur formal dem Innenminister rechenschaftspflichtig ist, sollte auch einem demokratischen Polizeiausschuss für den Großraum London rechenschaftspflichtig gemacht werden

– Die Polizeiausschüsse sollten ein wirklich unabhängiges Beschwerdeverfahren im Rahmen eines Beschwerdeausschusses gewährleisten, der sich aus demokratisch gewählten Vertreter*innen zusammensetzt. Sie sollten sicherstellen, dass die entsprechenden Disziplinarverfahren durchgeführt werden.

– Die Polizeiausschüsse sollten sicherstellen, dass alle rassistischen Elemente oder faschistischen Sympathisant*innen innerhalb der Polizei entfernt werden.

Durch solche Polizeiausschüsse wäre die Arbeiter*innenbewegung in Gebieten, in denen Labour die Gemeinderäte kontrolliert, in der Lage, die Rolle der Polizei demokratisch zu überprüfen und zu kontrollieren. In der Vergangenheit, bevor die Arbeiter*innenklasse als unabhängige politische Kraft auftrat, bestanden die Sprecher des Großkapitals und der Mittelschicht darauf, dass die Polizei demokratisch rechenschaftspflichtig sei. Jetzt muss die Arbeiter*innenbewegung, die die überwältigende Mehrheit der Gesellschaft repräsentiert, fordern, dass die demokratische Rechenschaftspflicht auf diese Kraft ausgedehnt wird, die beansprucht, zu existieren, um die Interessen der Öffentlichkeit zu schützen.

Die Arbeiter*innenbewegung muss auch fordern:

– Die Abschaffung der Sonderpatrouillengruppe und anderer ähnlicher Einheiten.

Die Abschaffung der Sonderabteilung (Special Branch) und die Vernichtung von politischen Akten und Computeraufzeichnungen, die nicht im Zusammenhang mit strafrechtlichen Ermittlungen stehen.

– Das Recht der Polizei auf eine unabhängige, demokratische Gewerkschaftsorganisation, um ihre Interessen als Arbeiter*innen zu vertreten.

3. Verbrechensbekämpfung?

„Recht und Ordnung“ ist seit langem ein beliebter Wahlkampfslogan der Tories. Sie versuchen, jede Kritik an der Polizei als einen Versuch darzustellen, den „Kampf gegen das Verbrechen“ zu untergraben. Forderungen nach demokratischer Rechenschaftspflicht werden als „politisch motivierte“ Versuche dargestellt, die „neutrale“ und „unparteiische“ Rolle der Polizei zu untergraben. Auf dem Tory-Parteitag 1977 beispielsweise behauptete Whitelaw, es sei „Teil einer linken Mythologie“, dass „es etwas Verwerfliches, fast Unmoralisches sei, überhaupt über Verbrechensbekämpfung zu diskutieren“. Entgegen der Tory-Mythologie sind Marxist*innen jedoch nicht dagegen, dass die Polizei Maßnahmen ergreift, um Kriminelle zu fangen und die Sicherheit und das persönliche Eigentum von Menschen zu schützen. Menschen der Arbeiter*innenklasse sind natürlich besorgt über Kriminalität und besonders alarmiert über zunehmende Gewalt. Aber die Tories wollen die Aufmerksamkeit von den sozialen Wurzeln von Kriminalität ablenken, indem sie die „moralischen“ Fragen und die Abstraktionen von „Gesetz“ und „Legalität“ in den Vordergrund stellen.

Gibt es eine bessere Antwort auf die Tories als die Äußerungen des Bostoner Polizeipräsidenten, Robert Di Grazia? „Wir lassen die Öffentlichkeit nicht in das schmutzige kleine Geheimnis unserer Ära“, schrieb er: „dass diejenigen, die das Verbrechen begehen, das die Bürger*innen am meisten beunruhigt – die Gewaltkriminalität auf der Straße -, zum größten Teil das Ergebnis von Armut, Arbeitslosigkeit, zerrütteten Familienverhältnissen, schlechter Bildung, Drogenabhängigkeit und Alkoholismus und anderen sozialen Missständen sind, gegen die die Polizei wenig oder gar nichts tun kann.“ Di Grazia zieht keine radikalen Schlussfolgerungen über das Problem der Aufrechterhaltung von „Gerechtigkeit“ in einer Gesellschaft, die durch Extreme von Reichtum und Armut gespalten ist – innerhalb eines Systems, das auf der legalisierten Enteignung des Mehrwerts der Arbeiter*innen durch die Kapitalist*innenklasse beruht. Trotzdem prangert Di Grazia wortgewandt die „Politiker [an], die mit einer Rhetorik von Recht und Ordnung durchkommen, die die irrige Vorstellung verstärkt, dass die Polizei – in immer größerer Zahl und mit immer mehr technischem Klimbim – allein die Kriminalität kontrollieren kann“.

Seine Kritik trifft sicherlich auf die Regierung Thatcher zu. Die Arbeitslosigkeit, sagte Frau Thatcher nach dem Ausbruch von Brixton im April 1981, sei nicht die Ursache. Die wahre Ursache, so deutete sie an, sei der Zusammenbruch des „Respekts vor dem Gesetz“ und die Aushöhlung der „moralischen Werte“. Die Tories können nicht akzeptieren, dass ihre Wirtschaftspolitik, die auf die Jugend eine verheerende Wirkung hat, geholfen hat, die Bedingungen für Konflikte auf den Straßen zu schaffen. Wenn es einen Zusammenbruch früher akzeptierter gesellschaftlicher Verhaltensnormen und traditioneller Moralvorstellungen gegeben hat, können sie nicht erkennen, dass die schreckliche Entfremdung junger Menschen, die durch das Profitsystem hervorgerufen wurde, ein wichtiger Faktor ist. Wie die von Di Grazia kritisierten Politiker*innen befürworten auch Thatcher und Whitelaw die Aufrüstung der Polizei mit immer leistungsfähigerer Ausrüstung: Kampfausrüstung, Wasserwerfer, CS-Gas, Plastikgeschosse und zunehmend auch Schusswaffen. Sie befürworten auch härtere Strafen in den Gerichten und ein strengeres Regime in Gefängnissen und Jugendstrafanstalten.

Die Herangehensweise der Tories spiegelt das Denken der professionellen Polizeichef*innen wider. Einige haben sich zwar gegen die grobe, harte Haltung der Andertons und Oxfords ausgesprochen. John Alderson, Polizeipräsident von Devon und Cornwall (der im April 1982 in den Ruhestand ging) ist ein bemerkenswertes Beispiel. Alderson sagte nach den Unruhen: „Eines ist sicher, es ist keine Lösung, auf rohe Gewalt zurückzugreifen, um Menschen zu kontrollieren.“ Alderson, dessen liberaler Ansatz in krassem Gegensatz zu dem der meisten anderen Polizeichef*innen steht, befürwortet „Gemeinwesen-Polizeiarbeit“. Aus seiner Sicht sollte das Hauptanliegen der Polizei nicht die „Strafverfolgung“ sein, sondern das Wohlergehen des Gemeinwesens und die Verbesserung der sozialen Bedingungen, die Kriminalität begünstigen. Er erkennt, dass, wenn der Schwerpunkt nicht auf der Prävention liegt und die Polizei nicht das Vertrauen und die Unterstützung der Menschen hat, die sie eigentlich schützen soll, es keine Hoffnung auf eine wirksame „Verbrechensbekämpfung“ gibt

Aber die neue Sorte von Hardline-Polizeichef*innen wie Anderton (Manchester), McNee (Metropolitan Police) und Oxford (Merseyside), halten Aldersons Ansichten für schrullig altmodisch. Sie denken, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, dass sie mit den Realitäten einer Gesellschaft fertig werden müssen, die es sich nicht leisten kann, den Schwerpunkt auf die soziale Wohlfahrt zu legen. Anders als Alderson geht es ihnen nicht in erster Linie um die Bekämpfung von Kriminalität im herkömmlichen Sinne. Sie sind jetzt mit der Aufgabe beschäftigt, den Status quo in einer industrialisierten, kapitalistischen Gesellschaft zu verteidigen, die zunehmend von Wirtschaftskrise und Klassenkonflikten zerrissen wird. Die Polizeiarbeit auf die Unterstützung und Mitarbeit der Öffentlichkeit zu stützen, wäre unter diesen Bedingungen unrealistisch. Jede Form der demokratischen Rechenschaftspflicht wird von diesen Hardliner*innen als eine potenziell gefährliche Einschränkung ihrer Fähigkeit angesehen, brutale Gewalt anzuwenden, wann immer sie es für notwendig halten. Sie arbeiten auf der Grundlage der Annahme, dass die Polizei eine Kraft ist, die zur Aufrechterhaltung eines Autoritätsrahmens eingesetzt wird, den sie als „Recht und Ordnung“ definieren. Aus dieser Sicht ist „Gemeinwesen-Polizeiarbeit“ kaum mehr als eine PR-Maßnahme.

Die Erklärungen Andertons und der anderen machen deutlich, was sie mit der Aufrechterhaltung von „Recht und Ordnung“ wirklich meinen: nicht den Schutz der einfachen Leute vor gewalttätigen Übergriffen, Einbrüchen usw., sondern die Verteidigung der Großkonzerne, des Eigentums und des kapitalistischen Staates vor der wachsenden Bedrohung durch eine zunehmend radikalisierte und kämpferische Arbeiter*innenklasse. In der Fragestunde (BBC 1, 16. Oktober 1979) sagte Anderton: „Ich denke, dass aus polizeilicher Sichtweise meine Aufgabe in der Zukunft darin bestehen wird, dass die grundlegende Kriminalität als solche – Diebstahl, Einbruch, sogar Gewaltkriminalität – nicht das vorherrschende Merkmal der Polizei sein wird. Was mich am meisten beunruhigen wird, sind die verdeckten und letztlich offenen Versuche, die Demokratie zu stürzen, die Autorität des Staates zu untergraben und sich in der Tat in Akte der Aufwiegelung zu verwickeln, die darauf abzielen, unser parlamentarisches System und die demokratische Regierung in diesem Land zu zerstören.“

Verbrechensbekämpfung ist für Polizeipräsident*innen wie Anderton überhaupt nicht dasselbe wie das Fangen von Verbrecher*innen. Wenn man diese und andere Äußerungen Andertons hört, kann es keinen Zweifel daran geben, dass er mit „Demokratie“ in Wirklichkeit das kapitalistische System meint. In der Praxis bedeuten „Aufruhr“ und „Subversion“ jeden Versuch der Arbeiter*innen, ihre demokratischen und gewerkschaftlichen Rechte zur Verteidigung ihrer Interessen zu nutzen. So beschwerte sich beispielsweise der Verband Leitender Polizeibeamter [Association of Chief Police Officers] vor dem parlamentarischen Innenausschuss (Februar 1980): „Heutzutage wird das Demonstrationsrecht in großem Umfang ausgenutzt, und das Marschieren ist die von den Demonstrant*innen am häufigsten gewählte Form der Demonstration. Ungeachtet des friedlichen Charakters der Demonstration bringen die Teilnehmerzahlen die Stadtzentren zum Stillstand, der Geschäftsverkehr wird gestört und der öffentliche Busverkehr gerät aus dem Takt. Kurz gesagt, der normale Ablauf des täglichen Lebens wird allgemein gestört.“

Wie bereitwillig haben die Polizeichef*innen auf pauschale Verbote von Aufmärschen nach dem Gesetz über die öffentliche Ordnung von 1936 zurückgegriffen, um in Wirklichkeit antifaschistische Demonstrationen und Gegendemonstrationen zu verhindern. Bei einer Reihe von Gelegenheiten waren Anderton und McNee jedoch bereit, ein enormes Polizeiaufgebot aufzubieten, um eine Handvoll Faschist*innen durch die Straßen zu eskortieren, angeblich um ihr demokratisches Demonstrationsrecht zu verteidigen! Die Polizeichef*innen versuchen auch, durch parlamentarische Gesetzentwürfe ihre Kontrolle über Demonstrationen auszuweiten, indem sie eine Vorankündigung verlangen und versuchen, ihre eigenen „Verhaltensregeln“ für Demonstrant*innen durchzusetzen, die praktisch Gesetzeskraft haben würden.

Die Polizeichef*innen waren zurückhaltend bei der Unterstützung von Gesetzen, die unweigerlich zu einem Frontalzusammenstoß mit den gewerkschaftlichen Massenkräften führen würden. Sie haben einige Lehren aus Saltley Gates und Edward Heaths unglücklichem Gesetz über Arbeitsbeziehungen gezogen. Dennoch hat die Polizei ihre Schikanen gegen Aktivist*innen der Arbeiter*innenbewegung ständig verschärft. In einem „Feldhandbuch“, das 1977 von einem hochrangigen Londoner Polizeioffizier erstellt wurde, wurde neuen Rekrut*innen geraten, auf Leute zu achten, die „zwar nicht unehrlich im gewöhnlichen Sinne sind, aber aufgrund extremer politischer Ansichten beabsichtigen könnten, der Gemeinschaft zu schaden, die zu schützen sie geschworen haben“. Er fährt fort: „Es gibt zwar feine Unterschiede zwischen diesen Arten von Extremisten und Dieben, aber es ist schwierig, die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale herauszuarbeiten.“

Dies ist die Haltung, die zunehmend der routinemäßigen Polizeiarbeit zugrunde liegt. Offensichtlich ist den Polizeichef*innen, trotz der Tory-Demagogie für Recht und Ordnung, das bloße Fangen von Kriminellen viel weniger wichtig als der Schutz des Systems gegen jeden, der die Frechheit besitzt, ihre Interessen zu verteidigen oder ihre Ansichten zu propagieren. Die Arbeiter*innenbewegung billigt keine Gewaltverbrechen (aber sie verurteilt auch den entsetzlichen Gewaltkult, der von Wirtschaftsinteressen durch Filme, Fernsehen und andere Medien gefördert wird). Ebenso wenig kann die Bewegung, obwohl sie die sozialen Ursachen der Kriminalität versteht, Raub als „individuellen Ausweg“ aus den Problemen der Arbeiter*innen unterstützen. Wir haben keine Sympathie für bösartige kriminelle Elemente, die für die Arbeiter*innen ebenso eine Bedrohung darstellen wie für die großen Immobilieneigentümer, und deren Aktivitäten dem Staat einen Vorwand für die Verstärkung der repressiven Kräfte liefern.

Aber die Notwendigkeit, kriminelle Aktivitäten zu bekämpfen, gibt den „ Gesetzeshütern“ nicht das Recht, so zu handeln, als ob sie ein Gesetz für sich selbst wären. Verbrechensbekämpfung rechtfertigt nicht die Schikanierung und Misshandlung von Verdächtigen oder entschuldigt die Verweigerung einer angemessenen rechtlichen Verteidigung oder die Verdrehung oder Fälschung von Beweisen. Verbrechensbekämpfung rechtfertigt keine grausamen Strafen oder brutale, unmenschliche Bedingungen in Gefängnissen; und sie rechtfertigt keine Rassenvorurteile oder willkürliche und unterdrückerische Polizeiarbeit. Die Überwindung der Kriminalität bedeutet für Sozialisten im Wesentlichen die Beseitigung der sozialen Bedingungen, die Kriminalität hervorbringen. Aber innerhalb der gegenwärtigen Gesellschaft würde eine demokratische Rechenschaftspflicht der Polizei den „Kampf gegen das Verbrechen“ keineswegs unterminieren, sondern die Hindernisse beseitigen, die durch eine undemokratische, nicht rechenschaftspflichtige und zunehmend repressive Polizei geschaffen werden.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert