(eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant Nr. 131, 17. November 1972, S. 2)
Von Lyn [sic!] Walsh
(Ardwick) Manchester Labour Party
Mit einer in der Geschichte wohl beispiellosen Heuchelei stellte sich Nixon in seinem Wahlkampf als der Kandidat dar, der für einen „Frieden mit Ehre“ kämpfe. Er und Kissinger besaßen sogar die Unverfrorenheit, sich als friedliebende Vermittler zwischen den Kriegstreiber*innen in Hanoi und Saigon aufzuspielen. Dank der Kriegsmüdigkeit des amerikanischen Volkes, der Unfähigkeit McGoverns und der massiven Lügenmaschine, die Nixon zur Verfügung stand, gelang es Nixon, die Präsidentschaft für eine weitere Amtszeit zu erlangen.
Aber nichts kann wirklich über die Verantwortung des US-Imperialismus für mehr als zehn Jahre des blutigsten und barbarischsten Krieges hinwegtäuschen. Die mächtigen USA haben über 100 Milliarden Dollar verschwendet und das Leben von 56.000 amerikanischen Soldaten (plus 400.000 Verwundete) in einem verheerenden Krieg gegen ein Bäuer*innenland geopfert, das kaum größer ist als der Bundesstaat Florida. Die US-Kriegsmaschinerie hat Vietnam mit über 15 Millionen Tonnen Sprengstoff, zusammen mit Entlaubungsmitteln und Napalm, verwüstet, 80% davon auf dem Gebiet des „Verbündeten“ im Süden. Die Zahl der Todesopfer wird sowohl im Norden als auch im Süden auf über 1,5 Millionen geschätzt, dazu kommen noch Millionen von Verwundeten und Verstümmelten. Weitere Millionen wurden zu mittellosen Flüchtlingen gemacht – im Namen der „Freiheit“.
Die USA sind besiegt
Trotz aller gesichtswahrenden Propaganda war Nixon gezwungen, aus der Not eine Tugend zu machen. Der Entwurf des Friedensabkommens zeigt, dass die USA zwar die Bombardierung und Zerstörung Vietnams jahrelang fortsetzen könnten, es aber absolut unmöglich ist, dort einen Sieg zu erringen.
Die Einigung unterstreicht auch den Bankrott von Nixons Politik. Er reklamiert große außenpolitische Erfolge für sich. Aber vor 4 Jahren kam er mit dem Versprechen ins Amt, den Krieg schnell zu beenden. Jetzt wird in Washington behauptet, die jetzige Einigung sei nur durch neue große Zugeständnisse von Hanoi möglich geworden. Aber wie „Time“ (6/11/72) sagte: „Wie auch immer die Regierung ihr Gesicht zeigt. Nixon scheint mehr gegeben zu haben, als er bekommen hat. Er hat faktisch die Eroberung großer Teile Südvietnams durch Hanoi ratifiziert und wird den nordvietnamesischen Soldaten erlauben, dort zu bleiben, um diese Eroberungen zu erhalten. Er hat die südvietnamesische Verfassung faktisch außer Kraft gesetzt, indem er ein Verfahren zur Neufassung der Verfassung und zur Ersetzung der Regierungsform des Landes bestätigt hat. Infolgedessen ist Thiệus vorläufige Lebenszeit im Präsidentenpalast – Hanois Teil der Abmachung – ungewiss. Sicherlich hat er eine Chance, aber eine begrenzte.“
Standrechtliche Exekution
Mit anderen Worten: Seit Nixons Amtsantritt vor vier Jahren hat die „Beendigung des Krieges“ weitere 15.000 Tote gefordert, zusätzliche 57,7 Milliarden Dollar verschlungen und die Bombardierung Vietnams intensiviert. Alles, um das Gesicht zu wahren!
Jetzt wird die Einigung von Thiệu verzögert, der von den USA eingesetzten Marionette in Saigon, die nun an den Fäden zerrt, um an der Macht zu bleiben. Thiệu weiß, dass seine Chancen, nach der Übergangszeit an der Macht zu bleiben, sehr gering sind, auch wenn die Friedensbedingungen nicht seinen sofortigen Sturz vorsehen.
Thiệus mangelndes Vertrauen in seinen Rückhalt in der Bevölkerung, auf den er sich bei etwaigen Wahlen im Rahmen des Abkommens verlassen müsste, zeigt sich in der breiten Palette diktatorischer Befugnisse – von Geld- und Gefängnisstrafen bis hin zur standrechtlichen Hinrichtung auf offener Straße -, über die er verfügen zu müssen glaubt. Er hat solche Angst vor Wahlen, dass er bei den letzten Präsidentschaftswahlen alle Gegenkandidaten auf die eine oder andere Weise ausschaltete, so dass er bei ihnen natürlich ohne Gegenkandidaten antrat.
Trotz der gut organisierten „spontanen“ Demonstrationen weißgekleideter Beamter besteht Thiệus einzige Unterstützungsbasis aus einer verkommenen Klasse von Großgrundbesitzer*innen und kapitalistischen Elementen, die sich weitgehend in eine noch verkommenere Klasse von Kriegsgewinnler*innen verwandelt haben, die von Korruption, Bestechung, dem Schwarzmarkt, Drogenhandelsringen und organisierter Prostitution leben. Sie sind gegenüber den „Kriegsanstrengungen“ der USA vollständig schmarotzerhaft und lehnen daher jede Einigung ab. „Präsident eines friedlichen Landes zu sein, ist uninteressant“, wird Thiệu zitiert, „Straßen und Krankenhäuser kann jeder bauen.“ Tatsächlich ist es keiner der Marionettenregierungen leicht gefallen, Krankenhäuser, Schulen oder irgendetwas anderes zu bauen, das dem Wohl der meisten Menschen dient.
Keine Wiederholung von ’54
Nixon und Kissinger, das neue diplomatische „Genie“, versuchen den Eindruck zu erwecken, dass die Einigung den Status quo in Vietnam bewahre. Dabei werden sie sowohl von der russischen als auch von der chinesischen Bürokratie unterstützt, die, während sie dem vietnamesischen Kampf militärische Hilfe leisten, gleichzeitig den Krieg als Hebel ihrer eigenen nationalen Diplomatie einsetzen.
Beide haben versucht, ungeachtet des Konflikts in Vietnam diplomatische und Handelsvereinbarungen mit den USA zu schließen. Aber diese Einigung wird den Status quo nicht bewahren. Eine Wiederholung des Genfer Abkommens von 1954, mit dem die nordvietnamesische Regierung dazu gebracht wurde, die dauerhafte Teilung des Landes und den Aufbau amerikanischer Streitkräfte im Süden zuzulassen, wird es niemals geben. Die Lage entwickelt sich nun in eine diametral entgegengesetzte Richtung.
Die nordvietnamesische Führung hat die bittere Lektion von 1954 schmerzlich gelernt – deshalb hat sie so lange hartnäckig weitergekämpft, bis sie absolut sicher war, dass sie ihre Ziele durch eine neue Verhandlungslösung erreichen konnte.
Obwohl sich der Befreiungskampf in den letzten Jahren in eine weitgehend militärische Kampagne der regulären nordvietnamesischen Streitkräfte verwandelt hat, bezog der Kampf seine Kraft immer aus der sozialen Bewegung der Bäuer*innen gegen die Ausbeuter*innen des Großgrundbesitzes und die imperialistische Macht hinter ihrem Regime. Nach mehreren Generationen des Kampfes gegen die aufeinanderfolgenden chinesischen, japanischen, französischen und US-amerikanischen Imperialist*innen gibt es keinerlei Möglichkeit, dass die vietnamesische Bäuer*innenschaft jetzt aufgibt und das Thiệu-Regime oder einen ähnlichen Ersatz passiv akzeptiert.
Die USA versuchen, Thiệus Position während einer Übergangszeit zu bewahren, um zu vertuschen, dass es sinnlos war, ihn überhaupt zu unterstützen. Aber der Abkommensentwurf legt fest, dass die USA das Recht Vietnams auf Selbstbestimmung anerkennen, dass sie Südvietnam kein Regime aufzwingen und die Vereinigung des Landes akzeptieren werden. So wurden die USA gezwungen, sich mit den Hauptzielen der Befreiungsbewegung zu arrangieren, um sich aus dem Schlamassel zu ziehen.
Großer Schritt vorwärts
Thiệu wird ohne US-Unterstützung nicht überleben. Nach einem Abkommen käme eine erneute US-Intervention zur Unterstützung Thiệus oder eines ähnlichen Nachfolgers wegen der sozialen und politischen Folgen einer Wiederaufnahme des Krieges in den USA selbst nicht in Frage. Die Vereinigung des Landes, für die die Massen 25 Jahre und mehr gekämpft haben, könnte unter einem pro-imperialistischen kapitalistischen Regime nicht stattfinden. Sie könnte nur auf der Grundlage des in Nordvietnam bestehenden Regimes erfolgen.
Die Vereinigung Vietnams mit der Abschaffung des Großgrundbesitzes, des Kapitalismus und der ausländischen Ausbeutung wäre ein weiterer Sieg für die Kolonialvölker und ein Schlag für den US-Imperialismus von großer Bedeutung. Die Beispiele Russlands, Chinas, Kubas und einer Reihe anderer Länder, die einen ähnlichen Entwicklungsweg eingeschlagen haben, haben zwar die enormen Vorteile eine solche Entwicklung für das werktätige Volk gezeigt, doch könnte sie in einem isolierten, wirtschaftlich armen und kulturell rückständigen Land nicht zur Verwirklichung des Sozialismus führen.
In Vietnam wird die Vereinigung im Rahmen des vorgeschlagenen Abkommens, die wahrscheinlich nach einer Art Übergangsregime erfolgen wird, das Regime des Nordens sein, das wirtschaftlich fortschrittlich, politisch aber eine Diktatur ist. Die Verwirklichung einer Arbeiter*innendemokratie, die notwendigerweise eine demokratische Kontrolle durch die Arbeiter*innen und Bäuer*innen einschließt, hängt davon ab, dass die Entwicklung der Revolution mit der Bewegung der Arbeiter*innen in den fortgeschrittenen Ländern des Westens in Richtung Sozialismus und der Bewegung der Arbeiter*innen in Russland und Osteuropa zur Wiederherstellung der Arbeiter*innenkontrolle und -verwaltung der Industrie und des Staates verbunden wird.
Alle Sozialist*innen haben eine Pflicht, die soziale Revolution in Vietnam zu unterstützen, trotz aller Einschränkungen aufgrund der Bedingungen, unter denen sie stattfindet, aber gleichzeitig müssen wir im Voraus den Charakter des Regimes erklären, das aus ihr hervorgehen wird.
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