Lynn Walsh: Eurozone – Rettungspaket in letzter Minute

Das Paket macht wenig oder nichts, um den untragbaren Schuldenberg zu verringern oder Wirtschaftswachstum anzuregen

[Neuübersetzung des englischen Artikel auf der Website des CWI, 1. August 2011]

Das von den führenden Vertreter*innen der Eurozone am 21. Juli in letzter Minute geschnürte Rettungspaket hat eine sofortige Schuldenkrise Griechenlands abgewendet. Ein Zahlungsausfall Griechenlands hätte eine europäische Finanzkrise mit weltweiten Auswirkungen ausgelöst. Das Paket lindert jedoch lediglich das Geldfluss-Problem der griechischen Regierung. Zur Verkleinerung des untragbaren Schuldenbergs oder zur Anregung von Wirtschaftswachstum trägt diese Maßnahme wenig oder nichts bei. Während die führenden Vertreter*innen der Eurozone an den Strand oder in die Berge fahren, leiden die Arbeiter*innen in Griechenland weiterhin unter dem Joch unerträglicher Kürzungsmaßnahmen.

Dieses Paket stellt weitere 109 Mrd. Euro (156,6 Milliarden $, 96 Milliarden £) an Notkrediten für Griechenland für 2010 bis 2014 bereit (nach dem 110-Milliarden-Euro-Paket des letzten Jahres). Gleichzeitig verringerte die Vereinbarung die Zinssätze für diese Kredite auf 3,5% (von zuvor 4-5% oder höher). Die Laufzeiten der Kredite wurden auch von sieben Jahren auf ein Minimum von 15 Jahren verlängert. Diese Maßnahme, die auch für Portugal und Irland gilt, wird die Liquiditätslage verbessern, obwohl sie den Schuldenberg nur geringfügig verringert.

Die Vereinbarung vom 21. Juli wird die griechischen Schulden Schätzungen zufolge um etwas mehr als 20% reduzieren. Das bedeutet, dass die Staatsverschuldung ihren Höchststand bei 148% statt bei 172% erreichen wird. Mit anderen Worten: Die Staatsverschuldung wird auf längere Sicht untragbar bleiben.

Das Paket umfasst auch eine sogenannte Beteiligung des privaten Sektors in Form eines freiwilligen „Schuldenschnitt” für die Banken, die griechische Staatsanleihen halten. (Ein „Schuldenschnitt” bedeutet eine Reduzierung des Nennwerts von Anleihen und/oder eine Verzögerung der Rückzahlung.)

Dies wird zwar nur einen marginalen Unterschied für die Schuldenlage bedeuten, ist aber ein politischer Sieg für Angela Merkel, die es als Feigenblatt präsentieren kann, wenn sie im deutschen Bundestag parlamentarische Unterstützung für das Paket sucht. Die Vereinbarung umfasst auch die Erweiterung der Befugnisse der EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität, die zu Beginn der Schuldenkrise letztes Jahr geschaffen wurde). Mit der Unterstützung der Regierungen der Eurozone wird die EFSF griechische Staatsanleihen garantieren. Allerdings gibt es derzeit keine Aufstockung der der EFSF zur Verfügung stehenden Mittel (derzeit 440 Mrd. Euro).

Die Vereinbarung umfasst auch Erlöse in Höhe von 28 Mrd. Euro aus der Privatisierung staatlicher Unternehmen und Grundstücke, von denen viele Kommentator*innen glauben, dass sie unerreichbar sind. Darüber hinaus wird die regelmäßige Auszahlung von Eurozonen-Geldern an Griechenland weiterhin von der Umsetzung der drakonischen Kürzungsmaßnahmen in Griechenland abhängig sein. Nach den aktuellen Plänen muss die griechische Regierung von 2015 bis 2020 einen jährlichen Haushaltsüberschuss von rund 5% des BIP erzielen, um die Staatsverschuldung auf 120% des BIP zu senken. Doch „eine offensichtliche Gefahr ist, dass die schwache und wettbewerbsunfähige Wirtschaft Griechenlands nicht in der Lage ist, zum Wachstum zurückzukehren, was es Athen unmöglich machen wird, seine Haushaltsziele zu erreichen”. (Ralph Atkins, „Financial Times“, 27. Juli)

Der ursprüngliche Entwurf der Erklärung vom 21. Juli nahm Bezug auf einen „Marshallplan“ für den Wiederaufbau der hoch verschuldeten Länder der Eurozone. Jedoch gibt es im Paket nichts, was dem massiven, von den USA finanzierten Marshallplan von 1948-51 ähnelt, und dieser Verweis wurde aus dem endgültigen Kommuniqué gestrichen. Zusätzlich zu anderen Maßnahmen sieht das Abkommen die Möglichkeit weiterer EU-Strukturfonds in Höhe von 17 Mrd. Euro für Griechenland vor (die zweifellos der Zustimmung der EU-Regierungen bedürfen).

Schuldenschnitt“ für den privaten Sektor?

Jean-Claude Trichet, der Chef der Europäischen Zentralbank, hat entschieden eine Beteiligung des privaten Sektors abgelehnt, da dies von den Finanzmärkten als teilweiser Zahlungsausfall angesehen würde. Obendrein glaubte die Mehrheit der EZB-Direktor*innen, dass dies einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen könnte, und Forderungen nach ähnlichen Schuldenschnitten in Irland und Portugal und sogar in Spanien und Italien kommen würden. Merkel war jedoch entschlossen, einen Beitrag des privaten Sektors sicherzustellen, der für sie notwendig war, um die Zustimmung des deutschen Parlaments zu erhalten. Die öffentliche Meinung in Deutschland lehnt die Rettung „verschwenderischer” südeuropäischer Länder wie Griechenland entschieden ab, obwohl ein großer Teil der griechischen Schulden von deutschen Banken gehalten wird, die somit zu den Hauptnutznießer*innen des neuen Rettungspakets gehören werden.

Der „Schuldenschnitt”, also die Reduzierung des Nennwerts griechischer Staatsanleihen, wird nur 20% betragen, was besser ist als die bereits auf dem Sekundärmarkt für Anleihen erfolgte Reduzierung um 40%. Die Laufzeiten werden verlängert, sodass die Anleihegläubiger*innen länger auf die Rückzahlung ihres Geldes warten müssen. Der Deal hat jedoch den großen Vorteil für die Anleihegläubiger*innen, dass die Anleihen nun von den Regierungen der Eurozone (über die EFSF) garantiert werden.

Die Anleihegläubiger*innen des Privatsektors (hauptsächlich große Banken und Versicherungsgesellschaften) werden zwischen 2011 und 2014 rund 37 Mrd. Euro zum Griechenland-Paket beitragen. Ihre Verluste aus dem Deal werden jedoch tatsächlich rund 54 Mrd. Euro sein (wobei 16,8 Mrd. Euro in einen Versicherungsfonds zur Garantie griechischer Staatsanleihen eingezahlt werden). Die 37 Mrd. Euro, die tatsächlich an die griechische Regierung gezahlt werden, sind im Vergleich zur Gesamtverschuldung von 350 Mrd. Euro winzig.

Die führenden EU-Vertreter*innen behaupten, dass rund 90% der Anleihegläubiger*innen zustimmen werden, sich an diesem Deal zu beteiligen, aber das scheint bei weitem nicht sicher zu sein. Die großen institutionellen Anleihegläubiger*innen scheinen gespalten zu sein. Einige haben den Deal als Garantie gegen einen Zahlungsausfall der griechischen Regierung begrüßt, bei dem sie ihr gesamtes Geld verlieren würden. Andere sind klar skeptisch hinsichtlich der Wirksamkeit des Deals und befürchten weitere Abschreibungen auf den Wert griechischer Staatsanleihen. Sie befürchten auch eine „Ansteckung”, die Ausweitung der Finanzkrise auf Portugal und Irland sowie die viel größeren Spanien und Italien.

Die EFSF stellt 20 Mrd. Euro für die Rekapitalisierung wackeliger griechischer Banken bereit. Inzwischen appelliert der griechische Finanzminister an wohlhabende Griech*innen, die geschätzt 15 Milliarden Euro zurückzuführen, die ins Ausland gebracht wurden, seit die Krise im letzten Jahr ausbrach.

Die Rolle der EZB

Trichet verlor die Schlacht, die Beteiligung des privaten Sektors – d.h. den Schuldenschnitt für Anleihegläubiger*innen – aus dem neuen Notfallpaket auszuschließen. Die EZB gewann jedoch die Schlacht, die Verantwortung für Interventionen an die Regierungen der Eurozone und die EFSF zu übertragen. Als im Mai 2010 die Staatsschuldenkrise ausbrach, begann die EZB Staatsanleihen zu kaufen, um einen Zusammenbruch des Anleihemarktes zu verhindern. Dies hat dazu geführt, dass die EZB Milliarden Euro an Anleihen von wackeligen Regierungen wie Griechenland, Irland und Portugal angehäuft hat. Die EZB hat auch Milliarden Euro in Staatsanleihen als Sicherheiten für Kredite an die griechische Regierung und andere hoch verschuldete Regierungen akzeptiert.

Ein Schuldenschnitt bedeutet daher Verluste für die EZB selbst, und ein vollständiger Zahlungsausfall könnte eine schwere Krise für die EZB auslösen. Trichet möchte griechische und andere Staatsanleihen an die EFSF verkaufen, sich aus der Verantwortung für Rettungsmaßnahmen zurückziehen und sich auf die Geldpolitik der Eurozone konzentrieren. Jedoch hat nur die EZB, die die Befugnisse zur Schaffung neuer Kredite hat, die Macht, die europäischen Finanzmärkte im Falle einer schweren Krise in genügend großem Ausmaß zu stützen.

Eine größere Rolle für die EFSF?

Die Vereinbarung vom 21. Juli weitet die Rolle der EFSF aus. Er wird Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt kaufen dürfen (um den Preis der Anleihen zu stützen). Er wird auch Anleihen von der EZB kaufen können, eine Konzession an Trichet.

Er wird die Machtbefugnisse haben, präventiv einzugreifen und den Regierungen der Eurozone Notfallmittel zur Verfügung zu stellen, um einen Zusammenbruch ihrer Anleihen zu verhindern. Die EFSF wird auch in der Lage sein einzugreifen, um angeschlagene Banken zu rekapitalisieren, und wird tatsächlich dafür verantwortlich sein, 20 Milliarden Euro für in Schwierigkeiten geratene Banken bereitzustellen, die derzeit griechische Anleihen halten. Die für die EFSF vorgesehene Rolle würde, wenn sie tatsächlich entwickelt würde, der des Internationalen Währungsfonds auf internationaler Ebene ähneln. Dieser Schritt wurde als „bedeutender Schritt in Richtung einer Europäisierung der Staatsschulden” begrüßt. Auf der Grundlage ihrer erweiterten Rolle hätte die EFSF mehr Machtbefugnisse zur Überwachung der Haushalte und der Steuerpolitik der Regierungen der Eurozone, was ein Schritt (zumindest auf dem Papier) in Richtung einer wirtschaftlichen Föderalisierung in der Eurozone wäre.

Jedoch stellt die Vereinbarung vom 21. Juli keine zusätzlichen Mittel für die EFSF bereit (die bei 440 Mrd. Euro bleibt). In Wirklichkeit gibt es immer noch starke Begrenzungen ihrer Befugnisse. Zum Beispiel wird die EFSF nur mit Zustimmung der EZB Staatsanleihen kaufen dürfen. Interventionen zur Rekapitalisierung von Banken und zur Stützung der Staatsfinanzen werden die Zustimmung der EZB und aller nationalen Regierungen erfordern. Mit anderen Worten könnte jede Regierung ein Veto gegen eine solche Intervention einlegen.

Die Staatsverschuldung Italiens und Spaniens beläuft sich beispielsweise zusammen auf rund 2.200 Mrd. Euro. Wie könnte die EFSF mit ihren derzeitigen Mitteln eine so riesige Verschuldung garantieren? Nicolas Sarkozys Behauptung, dass der Deal vom 21. Juli eine bedeutende Veränderung darstelle – die auf einen „Quantensprung” in der Föderalisierung hindeutet –, ist klar verfrüht.

Aussichten?

Das neue Paket hat einen sofortigen Zusammenbruch der griechischen Staatsfinanzen verhindert. Jedoch die fortgesetzte Erzwingung drastischer Kürzungsmaßnahmen verlängert einen Konjunktureinbruch in der griechischen Wirtschaft. Ohne Wachstum gibt es keinen Weg, auf dem Griechenland seiner Schuldenkrise entkommen kann. Gideon Rachman kommentiert in der „Financial Times“ (25. Juli): „Während die Angst vor einem plötzlichen Zusammenbruch vorerst zurückgegangen ist, ist aber die Gefahr eines langsamen Zusammendrückens, das die griechische Wirtschaft zerquetscht und soziale und politische Unruhen verursacht, nach wie vor sehr real.” Die Zukunft des Landes verspreche „Blut, Schweiß und Tränengas”, sagt er.

Kasten: Es gibt nur wenige ernstzunehmende kapitalistische Kommentator*innen, wenn überhaupt, die glauben, dass der jüngste Deal die griechische Schuldenkrise wirklich lösen wird, geschweige denn die europaweite Schuldenkrise. Die folgenden Kommentare sind typisch:

Sebastian Mallaby (FT, 22. Juli): „Der Deal brachte eine neue Rettungsaktion für Griechenland, aber keinen glaubwürdigen Plan, um die Ansteckung des Rests der Eurozone zu verhindern.“

Elga Bartsch (Morgan Stanley, 26. Juli): Das Paket vom 21. Juli ist „eher ein Schritt vorwärts als die endgültige Lösung für die Staatsschuldenkrise im Euroraum“. „… Langfristig erwarten wir, dass die Entschlossenheit der politischen Entscheidungsträger erneut von den Märkten in Frage gestellt wird.“ Mit anderen Worten: Der Deal wird durch die Spekulationsaktivitäten großer Investor*innen untergraben werden.

Wolfgang Münchau (FT, 24. Juli): „Noch bevor die Tinte auf diesem zweiten Paket getrocknet ist, winkt bereits ein drittes Griechenland-Paket.“ „Das zweite Kreditpaket für Griechenland wird fein sein, solange wir uns im Klaren sind, dass es ein drittes geben muss.“ Wenn die führenden Vertreter*innen der Eurozone aus ihren Ferien zurückkehren, „werden sie immer noch den Euro haben – und sie werden immer noch die Krise haben“.

Tony Barber (FT, 22. Juli): „Natürlich wird dies nicht Europas Staatsschulden- und Bankenkrise beenden. Es mag nur eine Frage von Monaten sein, bevor Europas Finanzfeuerwehrleute wieder zu ihren Schläuchen greifen.“


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