Lynn Walsh: Aufstand in Albanien

[eigene Übersetzung der Broschüre des Komitees für eine Arbeiter*inneninternationale, 1997]

Vorwort

Der Originaltext dieser Broschüre wurde am 25. März 1997 fertiggestellt und als Erklärung des Internationalen Sekretariats der CWl herausgegeben. Er wird hier mit geringfügigen Änderungen veröffentlicht, die neue Informationen und jüngste Entwicklungen berücksichtigen. Das neue Nachwort wurde am 14. April 1997 fertiggestellt.

Unser Ziel ist es, eine aktuelle Analyse der Ursprünge und des Verlaufs des albanischen Aufstands zu liefern, besonders des äußerst widersprüchlichen Charakters dieser poststalinistischen Massenbewegung. Die komplexen Probleme, die sich aus der nationalen Frage in Kosova/Kosovo, Mazedonien, Griechenland und im gesamten südlichen Balkan ergeben, sind aufgrund von Zeit- und Platzmangel leider außerhalb des Rahmens dieser Broschüre, obwohl sie höchstwahrscheinlich in naher Zukunft ganz oben auf der Balkan-Agenda stehen werden.

Ich möchte den Genossen des IS für ihre Kommentare und Vorschläge zum Entwurf danken; Manny für das schnelle und sorgfältige Abtippen; Dennis für das Design und Layout und besonders unseren Druckereigenoss*innen für die Produktion einer weiteren Publikation in einer Zeit, in der der Wahlkampf der Socialist Party, der britischen Sektion der CWl, ihnen enorme Druckanforderungen beschert hat.

L. W.

Einleitung

Das Schicksal Präsident Berishas steht auf dem Spiel. Der Zusammenbruch der betrügerischen Pyramidenfinanzsysteme im Januar, der die Ersparnisse von Millionen Albaner*innen vernichtete, löste eine Massenbewegung gegen sein zunehmend repressives Regime aus. Berishas Versuch, den Protest mit Waffengewalt niederzuschlagen, rief einen spontanen Massenaufstand hervor, bei dem die meisten Menschen im Süden und später auch in Teilen von Tirana Waffen aus den Arsenalen sich aneigneten und die Armee und Sicherheitskräfte zurückschlugen. Die Polizei löste sich auf und die Armee brach zusammen. In der zweiten Märzwoche war der größte Teil des Südens, etwa ein Drittel des Landes, von den Aufständischen kontrolliert.

Berisha war gezwungen, am 11. März eine Koalition mit den parlamentarischen Oppositionsführer*innen zu bilden, mit dem Sozialisten Bashkim Fino als Ministerpräsidenten. Der Präsident versprach Neuwahlen im Juni und bot den Rebell*innen Amnestie an, vorausgesetzt sie gäben ihre Waffen ab. Die Frist lief am 20. März ab, es blieb eine Pattsituation im Land. Mit einiger Unterstützung im Norden scheint Berisha teilweise militärische Kontrolle über Tirana zurückgewonnen zu haben, hat aber nicht die Macht, in den Süden einzumarschieren. Die Aufständischen kontrollieren den Süden und haben massive Waffenbestände in ihren Händen, es scheinen ihnen jedoch ein ausreichendes gemeinsames Ziel oder eine ausreichende organisatorische Koordination zu fehlen, um auf Tirana vorzustoßen. Gleichzeitig wüten schwer bewaffnete Gangster*innen und lokale Kriegsherr*innen. Erneut versuchen Zehntausende Albaner*innen, nach Italien oder Griechenland zu fliehen. In der letzten Märzwoche kamen über 10.000 albanische Geflüchtete in Italien an. Die westlichen kapitalistischen Mächte, die Berisha als führenden Vertreter unterstützt hatten, der das alte kommunistische (d.h. stalinistische) System wegfegen würde, sind nun in Verwirrung. Großbritannien und Deutschland weigern sich, ihre eigenen Streitkräfte in eine Intervention einzubeziehen, und drängen Italien, die Hauptrolle zu übernehmen (siehe Nachwort).

Die absolut verarmten und grausam unterdrückten Arbeiter*innen, Bäuer*innen und Jugendlichen stellten die überwältigende Mehrheit der Kräfte im albanischen Aufstand. Die Energie und Entschlossenheit, mit der sie zu den Waffen griffen und sich den Kräften der Diktatur entgegenstellten, wird Arbeiter*innen überall inspirieren und allen kapitalistischen Herrscher*innen Angst einflößen. Die Arbeiter*innenklasse spielte jedoch keine unabhängige, führende politische Rolle in dieser Bewegung. Da es ihnen an Klassenführung und Organisation mangelt, waren die aufständischen Arbeiter*innen in dieser Phase nicht in der Lage, der Bewegung klare antikapitalistische Ziele oder eine strategische Ausrichtung zu geben. „Die Albaner wissen genau, was sie nicht wollen – Berisha –, aber sie wissen nicht genau, was sie wollen“, kommentierte ein Beobachter. („The Independent“, 21. März)

Dies spiegelt das extreme ideologische Vakuum wider, das nach dem Zusammenbruch des Stalinismus und der Zersplitterung und Desorientierung der internationalen Linken entstanden ist. In dieser Lage sind zwangsläufig andere Kräfte in den Vordergrund getreten. Hochrangige ehemalige Offizier*innen der ehemaligen stalinistischen Streitkräfte scheinen die Führung der Komitees in den südlichen Städten übernommen zu haben. „Einige Rebellenführer“, so Berichte, „haben damit gedroht, im Süden eine eigene Regierung auszurufen.“ („Financial Times“, 21. März) Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass eine solche Regierung, sollte sie gebildet werden können, in irgendeiner Weise eine Alternative zum kapitalistischen Chaos und zur korrupten bürgerlichen Politik bieten würde. In Wirklichkeit scheint die Lage ziemlich anarchisch zu sein. Die Wirtschaft ist zerfallen. Die begrenzte Erholung im Jahr 1996, die auf den katastrophalen Rückgang der Industrieproduktion um 90% zwischen 1990 und 1994 folgte, wurde vollständig zunichte gemacht. Waffen sind die einzige Währung. Lokale Kriegsherr*innen und Mafiosi konkurrieren rücksichtslos um Territorium und Beute.

Berisha verlässt sich auf seine wackelige Koalition, um ihn bis zu den Neuwahlen im Juni zu tragen. Der kürzlich freigelassene Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Fatos Nano, sagte, Berisha solle „beiseite treten, aber nicht zurücktreten“, mit anderen Worten, bis zu den Wahlen nur als nomineller Präsident fungieren. Aber die führenden Rebell*innen im Süden haben Berishas Verhandlungangebote bisher ignoriert. Der sozialistische Ministerpräsident Bashkim Fino sagte seinen für März geplanten Besuch in Gjirokaster ab, wo er mit einem der wichtigsten führenden Rebellen, General Agim Gozhita, verhandeln wollte. Erst am 3. April besuchte Fino Gjirokaster, für ein Treffen mit dem italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi und um führende Rebell*innen zu treffen, denen er mitteilte, dass die verhassten Shik (Geheimpolizei) aufgelöst worden sei.

Berisha hat auch die europäischen Mächte aufgefordert, eine multinationale Friedenstruppe zu entsenden. Die EU schickte Nahrungsmittelhilfe und eine kleine Gruppe von „Berater*innen”. Während sie fürchten, dass eine weitere Flut albanischer Geflüchteter nach Italien, Deutschland usw. fliehen und Konflikte in Kosova, in Mazedonien und Griechenland auslösen könnten, sind der Europarat (das westeuropäische Sicherheitsbündnis) und die NATO derzeit sehr zurückhaltend, Truppen zu entsenden, die in einen Albtraumkonflikt verwickelt werden könnten. Auf die Frage, warum keine Truppen entsandt würden, antwortete Bundeskanzler Kohl: „Um es ganz offen zu sagen: Wenn Sie sagen, wir sollten Truppen entsenden, dann müssten Sie den Soldaten sagen, was sie dort tun sollen. Und wenn ich Ihnen diese Frage stelle, die ich nicht beantworten kann, dann können Sie meine Antwort sehen.” („Financial Times“, 15. März)

In der Folge wurde am 14. April eine sogenannte multinationale Schutzmacht unter der Führung Italiens (mit etwa 2.500 Soldat*innen), unterstützt von Frankreich (mit etwa 1.000 Soldat*innen) und mit kleineren Kontingenten aus Griechenland, der Türkei, Spanien und Rumänien, nach Albanien entsandt (siehe Nachwort).

Der Zusammenbruch des albanischen Stalinismus

Von 1992 bis vor kurzem gaben die westlichen kapitalistischen Mächte Berisha jede Unterstützung und verschlossen die Augen vor seinen diktatorischen Methoden und der sein Regime durchdringenden Korruption. Die kapitalistische Demokratische Partei unter der Führung von Berisha war ein idealer politischer Rammbock, um den alten Staatsapparat zu pulverisieren und die staatlich kontrollierte Wirtschaft zu zerschmettern. Obwohl sie durch den Zusammenbruch der anderen stalinistischen Regime, besonders durch den blutigen Sturz Ceaușescus, zutiefst erschüttert waren, klammerten sich die führenden Vertreter*innen der Albanischen Partei der Arbeit (der Kommunistischen Partei) unter Ramiz Alia hartnäckig an die Macht, auch wenn sie gezwungen waren, einige wirtschaftliche und politische Reformen zuzulassen. Eine Zeit lang konnten sie sich auf die Trägheit der ländlichen Bevölkerung, besonders im Süden, stützen. Albanien war der wirtschaftlich rückständigste und isolierteste aller europäischen stalinistischen Staaten. Hoxhas repressive, autarke Politik hatte ein extrem klaustrophobisches politisches und kulturelles Klima geschaffen. Der Zusammenbruch des Stalinismus schien in Albanien länger zu dauern, und die westlichen Mächte waren begierig, den Prozess zu beschleunigen. Berishas Demokratische Partei war ihr Instrument.

Die stalinistische Umgestaltung

In der Endphase des Zweiten Weltkriegs wurde Albanien durch die Partisan*innenmassenbewegung unter Führung der Kommunistischen Partei Albaniens von den sich zurückziehenden Nazi-Truppen befreit. Es gab keine sowjetischen Streitkräfte in Albanien. Die soziale Umgestaltung mit einer radikalen Landreform, der Verstaatlichung von Handel und Industrie und der Bildung eines totalitären Staatsapparats nach dem stalinistischen Vorbild wurde von einheimischen Kräften durchgeführt. Die albanische Kommunistische Partei wurde von der jugoslawischen Kommunistischen Partei unterstützt, aber Titos Forderung, Albanien in die jugoslawische Föderation einzugliedern, führte zu einem Bruch zwischen Hoxha und Tito. Als sich die sowjetisch-jugoslawische Spaltung entwickelte, schloss sich Hoxha Stalin an und erhielt Hilfe von der UdSSR. Als Chruschtschow die „Entstalinisierung“ begann und eine Annäherung an den kapitalistischen Westen und Jugoslawien anstrebte, verbündete sich Hoxha mit Mao Zedong und begann zunehmend, das maoistische Modell nachzuahmen. Hoxha stand an der Spitze eines brutal repressiven totalitären Regimes, das selbst von den anderen stalinistischen Staaten fast vollständig isoliert war.

Angesichts der früheren wirtschaftlichen Rückständigkeit des Landes erzeugte die staatlich kontrollierte Entwicklung von Elektrizität, Industrie und Bodenschätzen in den 1950er und 1960er Jahren bedeutende wirtschaftliche Fortschritte. Die radikale Landreform mit der Aufteilung der Ländereien unter den Bäuer*innen gab dem Regime eine starke Basis. Zwischen Mitte der 1950er und Mitte der 1960er Jahre hob das Regime die Alphabetisierungsrate, die Gesundheit, die Bildung und den allgemeinen Lebensstandard. Ende der 1950er Jahre führte jedoch die bürokratische Kollektivierung des Landes in staatlich kontrollierte „Genossenschaften” zu einer ernsthaften Störung der Landwirtschaft und hinterließ später ein Erbe von Nahrungsmittelknappheit. Obendrein führten die bürokratische wirtschaftliche Kommandostruktur und die Technologie der 1950er Jahre in den wichtigsten Industriezweigen dazu, dass diese in den 1970er Jahren zunehmend veralteten. Der Bruch mit China, als Beijing Beziehungen zum US-Imperialismus und zum jugoslawischen Regime aufnahm, führte zur Einstellung der chinesischen Hilfe für Albanien 1978, was zu einer deutlichen wirtschaftlichen Verlangsamung und zu wachsenden sozialen Problemen führte. In den Jahren 1990-91 war Albanien noch ein überwiegend landwirtschaftliches Land mit einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 850 Dollar, das auf dem selben Niveau wie viele afrikanische Länder lag.

Der Zusammenbruch des Hoxha-Regimes

Hoxha behielt bis zu seinem Tod 1985 totale persönliche Macht. 1981 hatte er seinen wichtigsten Handlanger und Sicherheitschef Mehmet Shehu entmachtet, der für eine Hinwendung zum Westen um Hilfe plädiert zu haben scheint. Nach Hoxhas Tod übernahm Ramiz Alia die Macht und machte vorsichtige Schritte in Richtung Dezentralisierung und Liberalisierung. Die Ereignisse in Osteuropa nach 1989 und besonders der plötzliche, gewaltsame Sturz Ceaușescus in Rumänien zwangen die PdAA jedoch zu echten Veränderungen. Im November 1989 lockerte das Regime den politischen Druck, milderte die kulturellen Kontrollen und versprach wirtschaftliche Reformen und höhere Standards.

Im Frühjahr 1990 kam es zu einer massiven Welle von Streiks und Demonstrationen. Es gab einer tiefe Wirtschaftskrise und kein Zeichen von der versprochenen Prosperität. Das Regime setzte Sicherheitskräfte ein, um Massendemonstrationen gewaltsam aufzulösen, und die Sigurimi (Geheimpolizei) verstärkte ihre repressiven Maßnahmen gegen alle Gegner*innen des Regimes. Die PdAA-Führung versprach weitere Reformen, darunter Prämien für Arbeiter*innen, eine stärkere Dezentralisierung des Wirtschaftsmanagements und mehr Lebensmittel und Konsumgüter. Die Religionsfreiheit wurde zugestanden, und Alia versprach eine Auswahl zwischen Kandidat*innen bei künftigen Wahlen. Dennoch lehnte Alia weiterhin die Idee eines Mehrparteiensystems ab und behauptete, es sei für Albanien nicht geeignet.

Massendemonstrationen setzten sich im Sommer 1990 fort, die PdAA-Hardliner*innen wurden aus der Parteiführung entfernt, aber Alias halbherzige Zugeständnisse verstärkten die Protestbewegung nur noch. Tausende begannen, das Land in Richtung Italien oder Griechenland zu verlassen, eine Flucht, die im Massenexodus von Januar bis März 1991 gipfelte. Die Massenprotestbewegung gegen das Regime intensivierte sich im Dezember 1990, und am 11. Dezember sah sich Alia gezwungen, die Legalisierung von Parteien für die bevorstehenden Wahlen zuzugestehen. Die Regierung ordnete die Entfernung von Stalins Statue von Tiranas Hauptplatz an.

Berishas Krisenregime

Dr. Sali Berisha, ein Herzspezialist, war früher Mitglied der stalinistischen PdAA und Leibarzt einiger der Spitzenvertreter*innen der Partei. 1990 befürwortete er Markt und bürgerliche Demokratie. In den letzten Tagen des alten Regimes trat Berisha als prominenter führender Vertreter der Demokratischen Partei hervor, die sich rasch zur Hauptoppositionspartei gegen die herrschende PdAA entwickelte. Die DP wurde im Dezember 1990 gegründet, als eine Welle von Streiks und Massendemonstrationen Hoxhas Nachfolger Ramiz Alia zwang, politische Parteien zu legalisieren. Sie wurde massiv vom EU-Ministerrat (mit einem Zuschuss von 160.000 Dollar und einem Darlehen von 50.000 Dollar) und anderen westeuropäischen Organisationen finanziert.

Die führenden Vertreter*innen der DP versprachen, Albanien aus der rückständigen Autarkie des Hoxha-Stalinismus heraus und nach Europa zu führen, was, so behaupteten sie, eine rasche Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung erzeugen würde. Berisha versprach einen schnellen Übergang zu einer westlichen Demokratie und Marktwirtschaft durch die Privatisierung staatlicher Industriebetriebe und Kollektivfarmen. Die westlichen Kapitalmächte sahen die Demokratische Partei klar als den politischen Rammbock, um das alte Regime zu pulverisieren und Albanien für die „Marktkräfte” zu öffnen. Westliche Unternehmen waren begierig darauf, die reichen Chrom- und Ölvorkommen des Landes sowie seine billigen Arbeitskräfte auszubeuten.

Das Jahr 1991 begann mit einer Reihe von Streiks von Berg-, Hafen- und Transportarbeiter*innen, zusammen mit massiven Demonstrationen von Student*innen und Arbeiter*innen, die Demokratisierung forderten. Die Produktion brach ein, die Industrieproduktion ging um 60 Prozent zurück und das BIP fiel unter das Niveau von 1976. Es gab akute Nahrungsmittelengpässe. Die DP und andere Oppositionsparteien boten an, einen Lohnstopp und ein Streikverbot zu unterstützen, wenn die Wahlen auf Mai verschoben würden, um ihnen mehr Zeit zur Vorbereitung zu geben. Student*innenstreiks und Demonstrationen gingen weiter, und eine riesige Menschenmenge riss Hoxhas Statue auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana nieder. Alias Regierung kämpfte, um feste Kontrolle über Regierung, Wirtschaft und Medien zu behalten, musste jedoch fast täglich Reformen zugestehen. Sie legalisierte das Privateigentum an Autos und Motorrädern und beendete das Verbot von Bärten, die zuvor offiziell als „fremdartige Erscheinung” betrachtet wurden.

Als Ende März 1991 die ersten Parlamentswahlen stattfanden, schaffte es die DP jedoch nicht, eine Mehrheit zu erringen, sondern erhielt nur 40 Prozent der Stimmen. Die DP gewann in den meisten Städten eine Mehrheit (und besiegte beispielsweise Alia in seinem Wahlkreis Tirana), aber die PdAA behielt im Süden eine stärkere Unterstützung, besonders unter der überwiegend ländlichen Bevölkerung von Kleinbäuer*innen und Landarbeiter*innen. Bei den Wahlen versprach Alia in dem Versuch, an der Macht zu bleiben, ebenfalls Demokratie, Privatisierung und Wohlstand. Unter den Bäuer*innen gab es die weit verbreitete Angst, dass die von Berisha geforderte Auflösung der Kollektivfarmen die Rückkehr der 1945 enteigneten Großgrundbesitzer*innen zur Folge haben würde, und einige ehemalige Großgrundbesitzer*innen versuchten bereits, sich Land anzueignen.

Nanos Regierung durch Streiks erschüttert

Nach dem Sieg der PdAA wurde Alia (der als Erster Sekretär der PdAA zurückgetreten war) vom Parlament zum Präsidenten gewählt und ernannte Fatos Nano zum Ministerpräsidenten. In mehreren Städten kam es jedoch zu Massendemonstrationen, die gegen die Niederlage der DP protestierten. In der nördlichen Stadt Shkodër plünderten und brannten Tausende das Hauptquartier der PdAA nieder, und das Rathaus wurde verwüstet. Drei Randalierer*innen wurden von der Polizei erschossen, was eine neue Welle von Protesten in Tirana und anderen Städten hervorrief, die Neuwahlen und die strafrechtliche Verfolgung der für die Morde in Shkodër Verantwortlichen forderten.

Alias neue Regierung leitete umfangreiche Privatisierungen ein und legalisierte kommerzielle und finanzielle Aktivitäten privater Unternehmen. Die Wirtschaft geriet weiter in eine Lähmung. Die Flucht aus dem Land nahm wieder an Tempo zu, wobei Zehntausende versuchten, nach Italien oder Griechenland zu entkommen.

Nanos Regierung wurde durch Massendemonstrationen und Streiks erschüttert. Die kürzlich gegründete Dachorganisation Vereinigung der Unabhängigen Gewerkschaften [Bashkimi i Sindikatave të Pavarura të Shqipërisë] (BSPSH) rief für den 16. Mai zu einem Generalstreik auf. Sie forderten eine 50-prozentige Erhöhung der Löhne und Renten, einen Sechs-Stunden-Tag (und keine Nachtschichten) für Frauen sowie Maßnahmen gegen die Verantwortlichen für die Morde von Shkodër. Eine zwischen der Regierung und den Verhandlungsführer*innen der BSPSH vereinbarte Einigung wurde von den Arbeiter*innen abgelehnt, und bis zu 350.000 Arbeiter*innen (von insgesamt etwa 750.000) beteiligten sich Ende Mai an Streikmaßnahmen. Bergleute in Valias traten in einen Hungerstreik unter Tage, der breite Sympathie hervorrief.

Am 29. Mai demonstrierten Zehntausende auf dem Skanderbeg-Platz, um die Hungerstreikenden zu unterstützen und den Sturz der Regierung zu fordern. Protestierende griffen die Polizei mit Flaschen, Steinen und Molotowcocktails an. Alia gab zu, dass die Forderungen der Streikenden berechtigt seien, aber von der Regierung nicht erfüllt werden könnten. Am 12. Juni entließ Alia Nanos Regierung, ernannte eine „Regierung der nationalen Stabilität” und versprach Neuwahlen für 1992. Der neuen Regierung mit Yili Bufi von der PdAA als Ministerpräsidenten gehörten erstmals neun Minister*innen an, die nicht der PdAA angehörten, darunter sieben Minister*innen der DP, deren Vorsitzender Gramoz Pashko stellvertretender Ministerpräsident wurde. Der Generalstreik wurde mit Zugeständnissen beendet. Bufi begann, die öffentlichen Ausgaben zu kürzen, die Privatisierung der Industrie und des Gesundheitswesens zu beschleunigen und viele Preiskontrollen abzuschaffen. Die Regierung bat den Westen um internationale Wirtschaftshilfe.

Zu dieser Zeit änderte die PdAA auf ihrem 10. Parteitag ihren Namen in Sozialistische Partei Albaniens, mit Fatos Nano als Vorsitzendem. Wie andere ehemalige stalinistische Parteien in Osteuropa verfolgte auch die neue Sozialistische Partei eine reformistische Politik und erklärte sich für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsreformen – mit anderen Worten für den Markt und die bürgerliche Demokratie. Gleichzeitig gab es erstmals öffentlich Kritik an Hoxhas „Personenkult”, und neun ehemalige Mitglieder des Politbüros wurden aus der Partei ausgeschlossen.

Die Koalitionsregierung unter Bufi stabilisierte die Lage jedoch bei weitem nicht, sondern brachte noch größere Unruhen. Die Verabschiedung eines Gesetzes zur Privatisierung von Land Ende Juni löste gewalttätige Konflikte auf dem Land aus. Bäuer*innenfamilien erhielten offiziell das Recht, bis zu einem Hektar Genossenschaftsland privat zu nutzen, aber einige Bäuer*innen eigneten sich Land auf der Grundlage der vor der Kollektivierung bestehenden Grenzen an, während andere völlig ohne Land blieben. Die Abschaffung der Volksräte (örtliche Verwaltungsorgane) führte zu einem völligen Verwaltungschaos. Während die auf dem Land verbliebenen Bäuer*innen ihre Lebensmittel horteten, flohen Zehntausende enteignete Bäuer*innen nach Tirana (etwa 30.000 im Jahr 1991), während andere versuchten, Italien zu erreichen. Trotz der Nahrungsmittelnothilfe der G-24-Regierungen gab es akute Engpässe, die in mehreren Gebieten Unruhen hervorriefen, bei denen Menschenmengen Lebensmittelverarbeitungsbetriebe, Restaurants, Lebensmittelgeschäfte usw. plünderten. Im September rief die DP im Bündnis mit den kleinen Sozialdemokratischen und Republikanischen Parteien sowie den Unabhängigen Gewerkschaften (BSPSH) zu Massenkundgebungen in Tirana, Vlorë und Shkodër auf und forderte ein Ende der „kommunistischen” Kontrolle über die Medien, ein Ende der „stalinistischen Zensur” sowie die Entlassung ehemaliger „Führungskader” der PdAA und den Prozess gegen sie. Im Dezember forderte Berisha die DP auf, mit der Koalitionsregierung zu brechen. Er stellte diese Forderung, während Gramoz Pashko, Mitbegründer und stellvertretender Ministerpräsident der DP, zu Gesprächen mit dem IWF in London war. Nichtsdestotrotz verließen sieben Minister der DP die Regierung, und die DP spaltete sich, wobei Pashko sich abspaltete und die Demokratische Allianz gründete.

Berishas Konterrevolution

Alia bildete eine weitere Übergangsregierung, die sofort von massiven Demonstrationen erschüttert wurde, zu denen der BSPSH mit der Forderung nach weiteren Lohnerhöhungen aufrief. Die Sozialistische Partei war nicht mehr fähig, die Regierung zu kontrollieren, und Alia rief für den 22. März 1992 Neuwahlen aus.

Diesmal errang die DP einen entscheidenden Wahlsieg und erhielt 62 Prozent der Stimmen, gegenüber 25 Prozent für die Sozialistische Partei Albaniens (die ehemalige PdAA). Berisha nutzte jeden erdenklichen demagogischen Trick, um sich den Sieg zu sichern. Er peitschte den Nationalismus hoch und verkündete, dass „die DP nicht aufhören werde zu kämpfen, bis der große Traum von der Vereinigung der albanischen Nation wahr geworden sei“. Selber ein Gege, betonte Berisha die Forderung nach einer Vereinigung mit Kosova („Kosovo“ auf Serbisch) mit seiner Geg*innen-Bevölkerung. Das alte stalinistische Regime bezog seine Hauptunterstützung aus der Tosk*innen-Bevölkerung im Süden und räumte der Frage Kosovas keine hohe Priorität ein. Später milderte Berisha seine Forderungen nach einem Großalbanien, um die Unterstützung seiner westlichen Geldgeber*innen zu behalten. Berisha versicherte dem Volk, dass es eine Flut von Nahrungsmittelhilfen und ausländischen Investitionen in Albanien geben würde, wenn nur die ex-kommunistischen Politiker*innen aus der Regierung entfernt würden. Er versprach auch, dass Visa für Arbeiter*innen, die in Griechenland, Italien und anderen europäischen Ländern Arbeit suchen, leicht erhältlich sein würden.

Sobald er sich im Präsident*innenenpalast eingerichtet hatte, exhumierte Berisha die Leiche Hoxhas aus dem Märtyrer*innenfriedhof in Tirana und ordnete an, die sterblichen Überreste auf einem unbekannten Friedhof in einem Vorort zu begraben. Dies symbolisierte die von Berisha ausgelöste Konterrevolution. Er förderte die reaktionärsten Kräfte in der albanischen Gesellschaft. Emigrierte Großgrundbesitzer*innen und Kapitalist*innen strömten zurück ins Land, besonders die Nachkommen von Exilant*innen, die während des Zweiten Weltkriegs die nationalistische Balli Kombëtar (Gegenkönig Zog) oder die monarchistische Legaliteti unterstützt hatten, im Gegensatz zu den kommunistisch geführten Partisan*innen. Sie konnten es kaum erwarten, sich die Fabriken und Ländereien zu krallen, die sie 50 Jahre zuvor verloren hatten, und schnappten sich gleichzeitig Privatisierungsangebote zu Schnäppchenpreisen. Während sie die Notwendigkeit von Demokratie und Wohlstand proklamierten, strebten die zurückgekehrten Emigrant*innen nach politischer Rache und persönlichem Gewinn. Es gab auch eine Invasion von Missionar*innen und Geistlichen, die von verschiedenen Ländern (darunter Iran, Ägypten, Saudi-Arabien, Griechenland, den Vereinigten Staaten und der Vatikan) großzügig finanziert wurden. Unnötig zu sagen, dass ihre spirituellen Kampagnen um die Herzen und Köpfe des albanischen Volkes eng mit weltlichen Strategien zur Wiederbelebung des Profitmotivs verbunden waren.

Der von Berisha proklamierte Traum vom demokratischen Wohlstand ging nicht in Erfüllung. Wirtschaft und Gesellschaft zerfielen. Die veralteten Fabriken aus der Hoxha-Ära wurden größtenteils dem Verfall preisgegeben. Andere wurden für die Leichtindustrie oder die Montage importierter Komponenten genutzt, wobei die Arbeiter*innen 3 Dollar pro Tag erhielten. Begünstigte Klient*innen plünderten Staatsvermögen und bekamen das Import-Export-Geschäft in den Würgegriff, als Gegenleistung für die Zahlung von Tribut an ihre Minister*innen-Gönner*innen in der Regierung. Die „New York Times“ berichtete, dass Albanien die Sanktionen gegen Serbien brach, indem es Öl und Gas an das benachbarte Montenegro lieferte. Ein großer Teil der Hilfe westlicher Regierungen blähte die Konten der DP-Minister*innen, während ein Teil an die Polizei und die Sicherheitskräfte geleitet wurde, die mit neuen Fahrzeugen, Walkie-Talkies und neuen Waffen ausgestattet wurden.

Die landwirtschaftliche Produktion brach mit der unkontrollierten Beschlagnahmung von staatlichem Genossenschaftsland und -eigentum ein. Während ehemalige Bürokrat*innen und ehemalige Grundbesitzer*innen ihre Ansprüche absteckten, zerstörten die Bäuer*innen genossenschaftliche Gebäude und nahmen Materialien, Vieh und Geräte für ihre eigenen Kleinbetriebe an sich. Unternehmer*innen und Gangster*innen wurden ununterscheidbar. Es überrascht nicht, dass es zu einer Eskalation der sozialen Unruhen und Gewaltverbrechen kam. Unzählige Menschen verließen das Land und zogen nach Tirana, wo sie in Notbehelfs-Slums rund um die Hauptstadt hausten.

Tausende versuchten, aus dem Land zu fliehen, besonders nach der Abschaffung der Arbeitslosenunterstützung für Staatsbeschäftigte. Viele gingen nach Italien und landeten in elenden Geflüchtetenlagern. Über eine Viertelmillion Albaner*innen gingen nach Griechenland, um dort auf Baustellen und in der Schattenwirtschaft zu arbeiten. Sie schickten jährlich 500 Millionen Dollar nach Hause, was viele Familien vor der völligen Not bewahrte. Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger und alle Arten sozialer Not verschärften sich.

Die Unterstützung der Bevölkerung für die Demokratische Partei begann abzuebben. Bei den Kommunalwahlen im August 1992 sank die Unterstützung für die DP auf etwa 40 Prozent, während die Sozialistische Partei Zugewinne verzeichnete. Dies veranlasste Berisha, den ersten gewählten Präsidenten des Landes seit Ahmed Zogu in den Jahren 1925-28, zunehmend zu autoritären Methoden zu greifen. Berisha verhaftete Alia und andere führende ehemalige Stalinist*innen und warf sie ins Gefängnis, angeklagt der Verbrechen der Unterdrückung und Korruption. Viele wurden später zu langen Haftstrafen verurteilt. Stalinistische und „enveristische“ Parteien wurden verboten, und gemäß seinem „Völkermordgesetz“ durften ehemalige Minister*innen der KP bis zum Jahr 2000 kein Regierungsamt bekleiden. Berisha begann auch mit der schrittweisen Säuberung seiner eigenen Demokratischen Partei, von der sich sieben führende Vertreter*innen im November 1992 abspalteten, um die Demokratische Allianz zu gründen. Seine konterrevolutionäre Kampagne zur Wiederherstellung des Kapitalismus wurde unter dem Banner der liberalen Demokratie durchgeführt. Aber in Wirklichkeit setzte Berisha viele der polizeistaatlichen Methoden Hoxhas fort und borgte auch Elemente von seinem bonapartistischen Vorgänger Zogu, der seine Wahlprobleme 1928 durch die Proklamation seiner selbst zum König Zog I. gelöst hatte.

Eine neue Diktatur

1994 legte Berisha eine neue Verfassung vor. Um das Parlament zu umgehen, schlug Berisha die verfassungsmäßige Wiedergeburt eines Einparteienstaates vor, mit sich selbst als Exekutivpräsidenten, der außerordentliche Macht in seinen Händen konzentrierte. Er forderte die Befugnis, das Parlament aufzulösen und Dekrete zu erlassen. Er schlug vor, den Vorsitz des Hohen Justizrates zu übernehmen und die Autorität über die Justiz auszuüben. Als sogar das von der DP dominierte Parlament sich gegen diesen versuchten Verfassungsputsch stellte, wandte sich Berisha der traditionellen Taktik von Bonapartist*innen zu, dem Plebiszit. Im November 1994 hielt er ein Referendum ab, um die Zustimmung der Bevölkerung zu seiner Verfassung zu sichern. Alle Oppositionsparteien lehnten das Referendum ab. Die Sozialistische Partei (mit einem Drittel der Sitze im Parlament) und die Partei der griechischen Minderheit riefen zu einer Nein-Stimme auf. Die Sozialdemokratische Partei (7 Sitze), die Demokratische Allianz (6) und die Rechtsdemokratische Partei (2) riefen zu einem Boykott auf.

Obwohl Berisha das albanische Fernsehen voll ausnutzte, die Wahl manipulierte und die Geheimpolizei einsetzte, um die Opposition einzuschüchtern, erlitt er eine demütigende Niederlage. Sein Verfassungsvorschlag wurde von 54 Prozent der Wähler*innen abgelehnt, gegenüber 42 Prozent die dafür stimmten. Schätzungsweise 25 Prozent der Wahlberechtigten boykottierten die Wahl. Dies war eine überwältigende Ablehnung jeder Rückkehr zu einem diktatorischen Regime. Die Oppositionsparteien riefen zu vorgezogenen Neuwahlen auf.

Trotz dieses Rückschlags fuhr Berisha fort, seine persönliche Macht zu stärken. Anfang 1995 entfernte er Eduard Selami, den Vorsitzenden der DP, und säuberte die Partei von anderen Kritiker*innen. Berishas Politik lautete: „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich.“ Etwa zur gleichen Zeit wurde die Demokratische Partei von einem Skandal erschüttert, der die Verwicklung des Verteidigungsministers Zhulali in den Verkauf und Transport von Waffen nach Bosnien oder Mazedonien aufdeckte, die schließlich in die Hände der serbischen Streitkräfte gelangten.

Berishas Säuberung erstreckte sich auch auf die Oppositionsparteien. Fatos Nano, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, wurde wegen Korruptionsvorwürfen zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Ein führender Vertreter der Demokratischen Allianz wurde bei einer öffentlichen Kundgebung von Polizeibeamt*innen in Zivil erschossen. Richter*innen und Staatsanwält*innen, die aus der Reihe tanzten, wurden entlassen, während Pressejournalist*innen entlassen, zusammengeschlagen oder aufgrund erfundener Korruptionsvorwürfe inhaftiert wurden. Berisha stärkte systematisch die Polizeikräfte und besonders die Shik, deren Personal zum Großteil aus seinem eigenen Clan aus der nördlichen Region Tropoja stammte. In Wirklichkeit war Berishas Politik ein schrittweiser Prozess der Einführung von Kriegsrecht.

Meinungsumfragen deuteten auf eine wachsende Unterstützung für die Sozialist*innen und Sozialdemokrat*innen hin, obwohl ein wachsender Teil der Wähler*innenschaft Feindseligkeit gegenüber allen politischen Parteien und ihren führenden Vertreter*innen zum Ausdruck brachte, die völlig versagt hatten, Lösungen für die wachsenden Probleme der Wasserknappheit, Stromausfälle, in die Höhe schießende Arbeitslosigkeit, akute Nahrungsmittelknappheit und Armut zu finden. Dennoch errang die Demokratische Partei in der ersten Runde der neuen Parlamentswahlen im Mai 1996 einen erdrutschartigen Sieg. Noch während der ersten Wahlrunde prangerten die Oppositionsparteien die Wahl als Betrug an und riefen zu einem Boykott auf. Westliche Beobachter*innen wie die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), die bei früheren Wahlen grobe Wahlmanipulationen und Einschüchterungen mehr oder weniger ignoriert hatten, zögerten noch, den betrügerischen Charakter der Wahlen anzuprangern. Zwei Tage nach der Wahl griff die Polizei jedoch eine Demonstration der Opposition auf dem Skanderbeg-Platz in Tirana brutal an, vor den Augen zahlreicher Beobachter*innen der OSZE, des Europarats und des Europäischen Parlaments. Die westlichen Mächte konnten ihre Politik des „Wegschauens“ nicht länger aufrechterhalten. Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE berichtete bald darauf, dass die Regierung die Wahlverfahren schwerwiegend verletzt habe und dass eine Reihe von Vorfällen „die Glaubwürdigkeit des demokratischen Prozesses ernsthaft in Frage stellten”. Die OSZE rief zu einem All-Parteien-Dialog zur Vorzubereitung von Neuwahlen auf.

Berisha verkündete dreist einen „erdrückenden Sieg über die Rote Front”. Unter dem Druck der westlichen Mächte sah sich Berisha jedoch im Juni gezwungen, in mehreren Wahlkreisen Wiederholungswahlen abzuhalten. Die Sozialistische Partei, die Sozialdemokrat*innen und die Demokratische Allianz boykottierten weiterhin die Wahlfarce und riefen zu landesweiten Kundgebungen gegen „die Wiederherstellung einer neuen Diktatur in Albanien” auf. Die Beteiligung an den Kundgebungen war jedoch sehr gering, was zum Teil auf Einschüchterungen durch die Sicherheitskräfte zurückzuführen war, aber auch auf das mangelnde Vertrauen der Bevölkerung in die Wirksamkeit der Oppositionsparteien. Mit Unterstützung des Europäischen Parlaments forderten die Oppositionsparteien Neuwahlen innerhalb von 18 Monaten, doch Berisha schloss Neuwahlen vor Ablauf der Frist im Jahr 2000 aus. Die Sozialistische Partei boykottierte das wieder einberufene Parlament. Brüssel setzte die Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen zwischen Albanien und der EU aus, während die US-Regierung sich weigerte, das neue Parlament anzuerkennen.

Berisha war entschlossen, wie gewohnt weiterzumachen. Trotz seiner Kritik an den Wahlverfahren forderte der Europarat die Sozialist*innen und ihre Verbündeten auf, ihren Boykott aufzugeben und am Parlament teilzunehmen. Der Rat unterstützte die Schritte der Sozialistischen Partei, der Sozialdemokrat*innen und der Demokratischen Allianz, einen Runden Tisch zur Wahlreform einzurichten. Der Rat schien durch Berishas Ernennung einer ständigen Wahlkommission beruhigt zu sein, obwohl ihr Nestor Thereska vorsaß, der die Manipulation der Wahlen im Mai und Juni vorangetrieben hatte. Die Diplomat*innen der EU-Staaten drängten die Sozialistische Partei und die Sozialdemokrat*innen ebenfalls, an den Kommunalwahlen teilzunehmen, die Mitte Oktober 1996 stattfinden sollten. Sie zogen die „Stabilität” Berishas immer noch der möglichen Rückkehr der Ex-Stalinist*innen an die Macht vor.

Die Kommunalwahlen am 20. Oktober stärkten tatsächlich den politischen Zugriff der DP auf das Land. Die DP gewann 58 Bürgermeister*innenämter und die Kontrolle über 267 Kommunen (Gemeinderäte), während die Sozialistische Partei vier Bürgermeister*innenämter und 15 Kommunen gewann. Die Botschaften der wichtigsten EU-Staaten gaben schnell Erklärungen ab, in denen sie die „freien und fairen” Wahlen begrüßten. Wieder einmal verschloss der Westen die Augen vor einer Vielzahl von Unregelmäßigkeiten, darunter Wahlmanipulationen und Einschüchterungen von Oppositionskandidat*innen. Zu dieser Zeit war die größte Oppositionspartei, die Sozialist*innen (deren Vorsitzender Fatos Nano im Gefängnis saß), von einer internen Krise zerrissen, einem Fraktionskampf zwischen Hardliner*innen und Reformer*innen. Der zweitgrößten Oppositionspartei, dem Zentrumsblock, bestehend aus der Demokratischen Allianz und den Sozialdemokrat*innen, mangelte es völlig an Ressourcen – oder jeder politischen Alternative. Auf jeden Fall gab es Anzeichen dafür, dass ein großer Teil der Bevölkerung sich von allen etablierten politischen Parteien völlig entfremdet hatte.

Die westlichen Mächte unterstützen Berisha

Ein wichtiger Faktor für den entscheidenden Sieg der DP bei den Kommunalwahlen waren die Pyramideninvestitionsprogramme. Die führenden Vertreter*innen der Demokratischen Partei förderten diese Systeme, und ihre rasche Verbreitung sowie die fantastischen Zinsen, die den Investor*innen gezahlt wurden, gaben die Illusion von wirtschaftlichem Erfolg. Die DP drohte, dass die Pyramidensysteme zusammenbrechen würden, wenn sie die Wahl verlieren würde. Tausende von Menschen hatten alles verkauft, was sie besaßen, um in eines oder mehrere dieser Programme zu investieren, und waren nun für ihr Einkommen davon abhängig. „Eine Stimme gegen die DP war eine Stimme gegen die eigene Nahrungsversorgung“, bemerkte ein Kommentator.

Was auch immer ihre Bedenken waren, die westlichen Mächte waren bereit, mit Berishas Regime zu leben, trotz seines korrupten Bestrebens, eine Einparteien-Diktatur zu errichten. Berisha seinerseits zog den maximalen politischen Vorteil aus der von Europa gelieferten Unterstützung. Erst als der katastrophale Zusammenbruch der Pyramiden zu einer Volksrevolte führte, änderten die westlichen Mächte ihre Melodie.

Warum haben die westlichen Mächte so lange weggeschaut, obwohl schon lange klar war, dass Berisha auf eine tiefe politische und wirtschaftliche Krise zusteuerte? „Herr Berisha“, gab der Leitartikel des „Guardian“ (4. März) zu, „wurde von den europäischen Nationen und den USA milde behandelt … Er wurde wegen seiner Qualifikation als Antikommunist nachsichtig behandelt.“ Der Herausgeber des rechtsgerichteten „Wall Street Journal“ räumte ein, dass „die Regierung von Herrn Berisha eindeutig ihre Mängel hat“, aber „die möglichen Alternativen sehen viel schlechter aus“. Die größte Gefahr für die Wall-Street-Finanziers ist nicht Diktatur und Korruption, sondern „dass die falsche Vorstellung der Albaner vom Kapitalismus und ihre anschließende Enttäuschung über das, was sie für Kapitalismus halten, zu politischen Gewinnen für genau jene Kräfte führen wird, die Albanien zurück auf den Weg der wirtschaftlichen Verwahrlosung bringen würden … Die Gefahr ist, dass wir eine Konterrevolution von links erleben könnten.“ (WSJ, 4. März)

Der andere Grund, warum Berisha „der Kritik entging“, ist, dass er, sobald er an der Macht war,„es vermied, den Geist des pan-albanischen Nationalismus zu schüren, der leicht zu Aufständen im serbischen Kosovo und unter der albanischen Minderheit in Mazedonien führen könnte“. („Guardian“, 4. März) „Diplomat*innen, die sich um die Stabilität in dieser unruhigen Balkanregion sorgen, schätzen, was sie als sein [Berishas] wachsendes Verständnis für die Notwendigkeit einer vorsichtigen Diplomatie ansehen.“ („Financial Times“, 21. Juli 1994)

Als er 1992 um Unterstützung für die Wahlen warb, verkündete Berisha: „Unsere Brüder, in ihren Gebieten im ehemaligen Jugoslawien und wo auch immer sie sich befinden: Die DPA wird nicht aufhören zu kämpfen, bis ihr großer Traum von der Vereinigung der albanischen Nation wahr wird.“ Während des Krieges in Bosnien trösteten sich die westlichen Mächte jedoch mit der Tatsache, dass Berisha an der Macht lediglich Öl und Waffen an die Serb*innen schmuggelte. Dies war ein eklatanter Bruch der UN-Sanktionen, aber immer noch besser, als wenn Berisha die Kosovar*innen aktiv unterstützt hätte. Berisha genoss alle Vorteile der westlichen Unterstützung und lernte schnell, die richtigen Melodien zu singen: „Alles, was wir anstreben, ist ein demokratischer Raum für Albaner*innen, wo immer sie sind. Das bedeutet demokratische Institutionen und Wahlen. Eine Lösung kann nicht durch eine gewaltsame Änderung der Grenzen erreicht werden.“ („Financial Times“, 21. Juli 1994)

Doch die Politik der kapitalistischen Mächte, die Augen zu verschließen, ist nun für sie nach hinten los gegangen. Die Krise in Albanien droht auf Griechenland, Mazedonien und Kosova überzugreifen – angeheizt durch die Flut von Waffen, die aus den albanischen Waffenlagern entnommen wurden. Italien, Griechenland, Deutschland und andere EU-Staaten stehen erneut der Aussicht auf die Ankunft einer Masse hungernder, mittelloser Albaner*innen gegenüber, die vor den Konflikten und Leiden zu Hause flieht.

Der Aufstieg und Fall der Pyramiden

Der Aufstieg und plötzliche Zusammenbruch der Pyramidenfinanzsysteme war kein isoliertes Phänomen, nicht lediglich das Werk einer Handvoll unternehmungslustiger Gauner*innen. Die Pyramiden waren das natürliche Produkt einer von Gangster*innen dominierten Wirtschaft, die einen Nährboden für einen gigantischen Betrug bot, der die Verzweiflung von Millionen verarmter Albaner*innen ausbeutete. Auch war sich die DP-Regierung dessen bewusst. Berishas Minister ermutigten die Systeme öffentlich und schöpften einen Teil der Profite ab, um ihre betrügerischen Wahlkampagnen zu finanzieren. Berisha lobte die Pyramiden als „Schwalben des Kapitalismus”. Jetzt beharrt er darauf, dass „die Hauptverantwortung bei denen liegt, die Geld in die Systeme investiert haben” („Wall Street Journal“, 4. April).

Bis 1996 wurde Albanien als „Musterschüler“ des IWF betrachtet. Berisha wurde zugeschrieben, die Inflation von über 400 Prozent auf nur sechs Prozent gesenkt und eine jährliche Wachstumsrate von rund zehn Prozent erreicht zu haben. „Der Zustand des gegenwärtigen Albaniens“, kommentierte die „Financial Times“ (21. Juli 1994), „ist weit entfernt von den verzweifelten Tagen von 1990 …“ Sie malten ein Bild von „gut gefüllten Märkten, geschäftigen Feldern, belebten Straßen und neuen Cafés”, das „die Behauptung des Präsidenten eines stark gestiegen Lebensstandards nach Jahrzehnten von Hunger und Armut”, untermauerte. Berisha zeigte keine Bescheidenheit, als er den Kredit dafür beanspruchte: „Die Schocktherapie ist eine bittere Pille, aber sie ist eine brillante Erfindung. Wir waren bereit, unsere Popularität zu opfern, indem wir die Reformen vorantrieben.”

Laut Emma Bonino, EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe, „beliefen sich die europäischen Investitionen in Albanien seit 1992 auf insgesamt etwa 600 Millionen Dollar [365 Millionen Pfund], die höchste Pro-Kopf-Hilfe, die jemals einem Land gewährt wurde. Weniger als ein Drittel davon floss in die Förderung ziviler Institutionen.“ („The Guardian“, 2. April) Der Rest floss in die Stärkung des Polizeiapparats des Regimes und in die florierenden Geschäfte von Berishas Günstlingen.

Erst 1996 änderten der IWF und die US-Regierung ihre Haltung gegenüber Berishas Politik. Alarmiert durch das rasante Wachstum der Pyramidensysteme, setzte der IWF seine Kreditlinien für Albanien aus, und die US-Regierung weigerte sich, das aus den manipulierten Wahlen vom Mai/Juni 1996 hervorgegangene Parlament anzuerkennen. Die USA begannen, Berisha dafür zu kritisieren, dass er „vom demokratischen Weg abgekommen“ sei, und bemängelten besonders die Verwicklung von Minister*innen in den florierenden internationalen Drogenhandel des Landes.

Dennoch drängten mehrere europäische Regierungen, besonders Italien und Deutschland, weiterhin aktiv auf eine finanzielle Unterstützung des Berisha-Regimes durch die EU ein. Die deutsche Regierung war eine wichtige diplomatische und militärische Unterstützerin Berishas, mit dem Ziel, Albanien gegenüber Serbien aufzubauen. „Deutsche Berater der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bonn waren Schlüssel-Architekten von Berishas Wiederwahlstrategie im vergangenen Jahr, und der deutsche Metallgigant Preussag hat Albaniens Chromminen, seinen industriellen Schlüssel-Vermögenswert, aufgekauft.“ („The Times“, 6. März 1997) Deutschland hat auch albanische Offizier*innen ausgebildet.

Der Gangster*innenstaat

Es gibt nicht den Schatten eines Zweifels, dass die westeuropäischen Regierungen voll darüber informiert waren, was in Albanien vorging. Als die Krise ausbrach, veröffentlichte die Londoner Tageszeitung „The Independent“ Berichte, die sich auf „frustrierte Geheimdienstquellen stützten, die vergeblich vor etwas gewarnt hatten, was faktisch ein Gangsterstaat war …“ (14. Februar 1997) „Geheime Dokumente kursierten in den letzten zwei Jahren in westlichen Hauptstädten, die Beweise für die geheime Absprache und aktive Beteiligung von Mitgliedern der regierenden Demokratischen Partei am Drogenhandel, illegalen Waffenhandel und, bis zum Ende des Krieges in Bosnien, an groß angelegten Verstößen gegen Sanktionen durch Ölverkäufe an Serbien und Montenegro enthielten.“

„Albanien hat sich in einen repressiven Einparteienstaat verwandelt, in dem Korruption auf allen Ebenen weit verbreitet ist und eine weitgehend gangsterbasierte Wirtschaft unter der strengen klientelistischen Kontrolle der Regierungspartei steht. Drogenbarone aus dem Kosovo … agieren in Albanien ungestraft, und ein Großteil des Transports von Heroin und anderen Drogen durch Albanien, von Mazedonien und Griechenland auf dem Weg nach Italien, wird vermutlich von den Shik, der Staatssicherheitspolizei, organisiert …“ „The Independent“ gab Beweise für die Schlüsselrolle von Shqiponja, einem Unternehmen, das offen mit der regierenden Demokratischen Partei verbunden ist und am Handel mit Waffen, Drogen und anderen Schmuggelwaren beteiligt ist. Berishas früherer Innenminister Agron Musaraj wurde kurz vor den Parlamentswahlen im Mai 1996 nach Druck der US-Regierung wegen seiner Verwicklung in den Drogenhandel aus seiner Position gezwungen. Der Verteidigungsminister, Safet Zhulali, war in den Schmuggel von Waffen und anderen Schmuggelwaren verwickelt. Westliche Geheimdienste berichteten auch über die umfangreichen Schmuggelaktivitäten des größten albanischen Unternehmens, Vefa Holdings, der größten in die Pyramidensysteme verwickelten Firma. Vefa Holdings war immer eng mit der Regierung Berisha verbunden und finanzierte großzügig die Wahlkämpfe der DP. Ihr Vorsitzender, Vehbi Alinuchj, wurde öffentlich von Berishas ehemaligem Ministerpräsident*innen Meksi unterstützt. Man glaubt von Vefa allgemein, in Waffen- und Drogenschmuggel verwickelt zu sein, und gegen sie läuft in Italien eine Untersuchung wegen mutmaßlicher Verbindungen zu Mafiaorganisationen in Sizilien, Kalabrien und Apulien. Einer der italienischen Haupt-Anti-Mafia-Staatsanwälte, Luigi Vigna, hat die Beteiligung italienischer organisierter Verbrecher*innensyndikate an albanischen Pyramidensystemen bestätigt.

Der Pyramidenbetrug

Die Pyramidenfinanzsysteme boten ein ideales Mittel, um dreckiges Drogengeld zu waschen. Beim Fehlen von Sparkassen fanden es die Pyramidensysteme leicht, die Ersparnisse vieler tausend armer Albaner*innen anzuziehen, indem sie unwiderstehliche Zinssätze von 10 bis 25 Prozent pro Monat anboten. Menschen verkauften ihre Häuser, ihr Vieh und ihren Besitz, um in die Systeme zu investieren. Wirtschaftsmigrant*innen, die in Griechenland und Italien arbeiteten, hoben auch Geld von ihren Bankkonten ab, um es in die Pyramidensysteme zu transferieren. Die Wirtschaft des ärmsten Landes Europas wurde zu einer gigantischen Lotterie, wobei ein großer Teil der Bevölkerung von Träumen von unglaublichen Profiten und Zinssätzen lebte. Es wird geschätzt, dass mindestens 1,5 Milliarden Dollar in mehr als zehn Systeme investiert wurden, vielleicht sogar 2 Milliarden Dollar. Etwa 800 Millionen Dollar wurden in verschiedene Tochtergesellschaften von Vefa investiert.

Es gab zehn große Pyramidensysteme, von denen sechs zusammenbrachen oder geschlossen wurden, während vier weitere am Rande des Bankrotts stehen. Die ersten Pyramiden starteten 1994 und zielten hauptsächlich darauf ab, schnell Kapital für eine Reihe schnell wachsender kapitalistischer Unternehmen zu beschaffen, die den Einzelhandelsmarkt, besonders den Handel mit elektrischen Haushaltsgeräten, ausbeuteten. Sie versprachen Zinssätze zwischen 80 und 120 Prozent pro Jahr, die, wie sie behaupteten, aus den enormen Profiten, die sie zu dieser Zeit machten, bezahlt werden konnten. Im Jahr 1995 schränkte jedoch die Reduzierung der Hilfe aus dem Westen den Verbraucher*innenmarkt ein, und gleichzeitig drückte die Einführung neuer Steuern für Privatunternehmen die Profite der Unternehmen. Ende 1995, am Rande des Bankrotts, starteten die Pyramidensysteme große Werbekampagnen, um mehr Investor*innen anzulocken. Es entwickelte sich ein Konkurrenz zwischen den hybriden Pyramidensystemen (halb Pyramide, halb Unternehmen) und den reinen Pyramidensystemen, wobei dubiose „gemeinnützige” Stiftungen den Einlegern Zinsen von nicht weniger als 300 Prozent anboten. Dies war eindeutig nicht nachhaltig.

Die Profitabilität von Pyramidensystemen hängt – sofern sie nicht über andere Finanzierungsquellen verfügen – von einer kontinuierlich wachsenden Zahl von Investor*innen ab. „Alles, was das (Pyramiden-)System tut”, kommentierte John Kay („Financial Times“, 14. Februar 1997), „ist, Geld von denen, die spät dem Club beitreten, an diejenigen umzuverteilen, die früh beigetreten sind, und es wird nichts produziert, außer reichen Ernten für diejenigen, die es organisieren.” Das gesamte System hängt davon ab, schnell genug neue Investor*innen anzuziehen, um die hohen Zinsen auszuzahlen. Finanziell waren mehrere Pyramiden bis zum Sommer 1996 bankrott. Aber dank der Unterstützung durch das Regime Berishas trotzten sie weiterhin den Gesetzen der wirtschaftlichen Schwerkraft. Die Demokratische Partei beanspruchte die Verantwortung für den durch die Systeme geschaffenen illusorischen Wohlstand für sich und trat bei den Wahlen im Mai 1996 unter dem Slogan „Mit uns gewinnen alle“ an.

Der Zusammenbruch

Im Januar 1997 konnte der Tag der Abrechnung jedoch nicht länger hinausgezögert werden. Am 15. Januar brach die erste Pyramide zusammen und löste einen Krawall aus. Dies war der erste Dominostein, der fiel, und innerhalb einer Woche brachen zwei oder drei weitere Systeme zusammen. Die Blase war geplatzt. Tirana, Lushnja, Berat, Vlorë und andere Städte wurden in blutige Schlachtfelder verwandelt, als Demonstrant*innen mit der Bereitschaftspolizei zusammenstießen. Regierungsgebäude wurden niedergebrannt oder geplündert. Eines der Hauptzentren des Protestes war Vlorë, die „Pyramidenhauptstadt“, wo die meisten dieser Systeme ihren Ursprung hatten.

Die Regierung versuchte, einen Volksaufstand zu verhindern, indem sie einige der Investmentgesellschaften schloss und deren Kapital einfror. Einige ihrer Boss*innen wurden verhaftet, und etwa 300 Millionen Dollar wurden an die Investor*innen zurückgezahlt. Aber das war ein winziger Bruchteil dessen, was die Menschen verloren hatten. Der Sturm der Wut begann gerade erst. Der Vefa-Konzern senkte seine Zinssätze von acht Prozent auf fünf Prozent pro Monat und dann auf nur noch drei Prozent, um sein Kapital zu schützen – eine katastrophale Einkommenskürzung für Tausende von armen Investor*innen in seine Programme. Die Stimmung der Bevölkerung gab sofort der Regierung die Schuld, die diese Programme gefördert und einen Teil der Profite genommen hatte, um Stimmen bei den Parlamentswahlen zu kaufen.

Es gab klar keinen Weg, auf dem die Regierung die Hauptforderung der Bevölkerung erfüllen konnte: die Rückzahlung ihrer Ersparnisse, die etwa der Hälfte des BIP des Landes entsprachen. Der größte Teil des in die Programme investierten Geldes war bereits verschwunden, auf ausländische Bankkonten abgezweigt oder für Yachten, Hubschrauber und andere Luxusgüter für Millionär*innen verschwendet worden. Ein Pyramidenunternehmen, Gjallica, gab eine Million Dollar für einen Miss-Europa-Konkurrenz in Tirana aus. Vefa Holdings gab 450.000 Dollar für eine Werbung auf dem Fernsehsender Eurosport aus, und Zhaferi gab 400.000 Dollar für einen argentinischen Fußballstar aus, der die lokale Mannschaft von Lushnja trainieren sollte.

Eine politische Explosion

Die Finanzkrise wurde unweigerlich zu einer politischen Krise. Da Berisha jedoch keine politischen Antworten hatte, reagierte er mit einer militärischen Lösung. Er erlangte vom DP-dominierten Parlament außerordentliche Befugnisse, um militärische Gewalt zu verwenden, um staatliche Gebäude zu schützen und die Kommunikation zu sichern. In Wirklichkeit war dies eine de facto-Ausrufung des Ausnahmezustands. Ministerpräsident Meksi verurteilte die „rote Bande”, die angeblich für die gewalttätigen Proteste verantwortlich war. Das oppositionelle Forum für Demokratie, ein breiter Zusammenschluss von zehn Parteien, darunter die Sozialistische Partei, forderte den Rücktritt der Regierung, eine Übergangsregierung und Neuwahlen zum Parlament. Aus dem Gefängnis heraus gab der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Fatos Nano, folgende Erklärung ab: „Die sogenannte Investoren-Krise ist nur die Kehrseite der Medaille des großen Wahlbetrugs vom 26. Mai”. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Skënder Gjinushi, sagte: „Das Geld des Volkes wurde für den Kauf von Stimmen ausgegeben.” Keine der Oppositionsparteien hatte jedoch eine klare Politik in Bezug auf die Pyramidensysteme. Sie verurteilten die Regierung, konnten aber den Tausenden, die ihr Geld zurückforderten, keine Lösung anbieten. Diese kleinen, ineffektiven parlamentarischen Gruppierungen wurden von der Flutwelle der Massenproteste völlig überrollt.

Aufstand

Wütende Demonstrationen, bei denen die Rückzahlung der Gelder aus den Pyramidensystemen und der Rücktritt von Berisha gefordert wurden, führten zu Zusammenstößen zwischen den Protestierenden und der Polizei. Brutale Angriffe der Polizei und von Shik-Schlägern führten zu wütender Vergeltung. Die Polizei, besonders die Shik, bekam ihre eigene Medizin zu kosten, und Polizeistationen, Rathäuser und andere öffentliche Gebäude wurden von den Demonstrant*innen geplündert und in Brand gesteckt. Mitte Februar gab es massive Demonstrationen in Vlorë, Gjirokaster, Tirana und anderen Städten. Mit einer klaren politischen Leitung und einem Minimum an Organisation hätte diese Massenbewegung das Regime klar innerhalb weniger Tage hinwegfegen können. Weder die ex-stalinistische Sozialistische Partei noch die liberal-bürgerlichen Oppositionsparteien boten irgendeine klare Führung. Unter Verwendung von Teilen der Armee, der Polizei und der Geheimpolizei versuchte Berisha, die Repression gegen die Massenbewegung zu verschärfen, die daraufhin zu einem landesweiten Aufstand eskalierte.

Berishas Versuch, die „rote Rebellion zu zerschlagen”, provozierte praktisch einen Massenaufstand, der sein Regime vollständig untergrub. Am 3. März feuerte Berisha seinen Ministerpräsidenten Meksi. Dies war keineswegs ein Rückzug, sondern ging mit der Ausrufung des Ausnahmezustands einher, der in Wirklichkeit ein drakonisches Kriegsrecht verhängte. Der Präsident befahl dem Parlament, ihn für eine weitere fünfjährige Amtszeit wiederzuwählen. Berisha säuberte die Führungsspitzen der Armee, der Polizei und der Nationalgarde und übertrug General Bashkim Gazidede, dem Chef der verhassten Shik, die Verantwortung für alle Sicherheitskräfte. Als Zugabe verdreifachte er die Bezüge von Armee und Polizei. Berisha machte sich daran, den Massenprotest mit Panzern und Kampfflugzeugen niederzuschlagen. Friedliche Proteste gegen den Pyramidenbetrug wurden von den Shik brutal niedergeschlagen. Am Tag, nachdem das Kriegsrecht verhängt worden war, wurden die Büros der führenden Oppositionszeitung Koha Jone niedergebrannt, offenbar von Schläger*innen, die für die Shik arbeiteten. Aber den Streitkräften stand ein sich rasch bewaffnendes Volk gegenüber. Die uniformierte Polizei schmolz dahin. Viele hatten ihre eigenen Ersparnisse durch den Zusammenbruch der Pyramiden verloren und waren nicht bereit, Berisha zu verteidigen. Als Militäreinheiten und die Shik in die südlichen Städte vorrückten, um die Proteste zu unterdrücken, stürmten die Menschen die örtlichen Militärarsenale und verteidigten sich gegen die staatlichen Streitkräfte.

Der Zusammenbruch von Berishas eigener Machtbasis zeigte sich in der Flucht des ehemaligen Verteidigungsministers des Präsidenten, Safet Zhulali, aus dem Land. Obendrein zeigten Berichte, dass Berishas zwei Kinder und seine Palastgefolgschaft im italienischen Hafen von Bari angekommen waren, dass Berisha selbst alles andere als zuversichtlich war, an der Macht zu bleiben.

Bewaffneter Widerstand im Süden

Am 8. März versuchten Berishas Spezialeinheiten, die Kontrolle über Gjirokaster zu übernehmen, in der Hoffnung, es als Basis für die Rückeroberung anderer Rebell*innenhochburgen wie Delvine und Sarande zu nutzen. Die Ankunft der Spezialeinheiten in der Polizeistation der Stadt, so berichtete die „Times“ (10. März), „veranlasste Scharen von Albanern, auf die Straßen rund um das Gebäude zu strömen, während andere Gruppen die örtliche Kaserne umzingelten, den Aufbewahrungsort des Waffenarsenals. Die Lage geriet schnell außer Kontrolle, als sichtbar wurde, dass Präsident Berishas Männer nicht die Unterstützung der Polizei hatten, die sie daraufhin mit automatischen Waffen bedrohten.“

Auch der Kommandant der örtlichen Garnison war nicht bereit, Berishas Truppen zu unterstützen:

„Seine Truppe war in den letzten drei Wochen durch Desertionen von mehr als tausend Mann auf etwa 200 Mann geschrumpft. Eine kurze Salve von Schüssen der Soldaten über die Köpfe der umzingelnden Menge von Stadtbewohnern hinweg, die unter dem Ruf „Nieder mit dem Diktator Berisha“ immer aggressiver wurden, verschärfte die Lage. Der Kommandant befahl seinen Männern, ihre Waffen an die Bevölkerung zu übergeben, und die Menge strömte herein, brach die Türen des Waffenlagers auf, erbeutete die Waffen und eilte dann zusammen mit den desertierten Soldaten zurück zur Polizeistation.“ („The Times“, 10. März)

Ähnliche Ereignisse geschahen in Städten und Dörfern im gesamten Süden. In Delvine, auf halbem Weg zwischen Sarande und Gjirokaster, mobilisierte die Bevölkerung gegen die Panzer und Truppen der Regierung, die geschickt worden waren, um sie niederzumachen. Bewaffnete Aufständische stießen außerhalb von Delvine mit Berishas Truppen zusammen, während „Tausende von Frauen und Kindern, bewaffnet mit Kalaschnikows und Slogans gegen Präsident Berisha skandierend, demonstrierten … [Sie] trugen Maschinengewehre und Maschinenpistolen und riefen ‚Wir wollen Demokratie‘ und ‚Nieder mit dem Diktator Berisha‘.“ („The Times“, 6. März)

Im gesamten Süden wurden die unter Hoxha aufgebauten Militärarsenale geplündert, und die Aufständischen eigneten sich Panzer und schwere Artillerie an und übernahmen die Kontrolle über Militärflugplätze und U-Boot-Basen. Die gesamte Bevölkerung schien bewaffnet zu sein, Männer und Frauen, alte Menschen und kleine Kinder. „Die Menschen bewaffnen sich zur Selbstverteidigung“, kommentierte einer der führenden Oppositionellen, „weil sie Angst vor dem haben, was morgen passieren wird.“ („The Guardian“, 15. März)

Die Menschen rächten sich besonders an den Shik, die für ihre brutalen Methoden berüchtigt waren. Die Gefängnisse wurden geleert, Geschäfte und Lagerhäuser geplündert, um an Lebensmittel zu kommen. Lebensmittel und Waffen wurden zu Grundbedürfnissen. „Die Regierung hat das Volk bestohlen“, sagte ein Lehrer in Durres, „und die Leute stehlen nun ihre Sachen zurück.“

Berisha macht einen Kompromiss mit den führenden Oppositionellen

Am 9. März führte Berisha Gespräche mit führenden Oppositionellen und kündigte an, dass es Neuwahlen im Juni geben werde. Er versprach eine Amnestie für Rebell*innen im Süden, vorausgesetzt, sie würden ihre Waffen abgeben. Zu diesem Zeitpunkt war Berisha jedoch praktisch machtlos, seine Dekrete durchzusetzen. Ein Sprecher des oppositionellen Demokratischen Forums, Blendi Gonxhja, sagte: „Die Vereinbarung ist sehr gut. Ob sie eingehalten wird oder nicht, ist etwas anderes. Wir sind sehr besorgt, ob dies im Süden akzeptiert wird.“ („The Times“, 10. März) In Fratar, einem Dorf im Süden, gab ein bewaffneter 14-Jähriger die Antwort: „Unsere führenden Vertreter sind Akademiker aus den Bergen. Wir sind 5.000, die hier kämpfen werden.“ Er sagte dem Journalisten: „Wenn Sie schreiben, sagen Sie nicht, dass wir Rebellen sind. Wir sind das albanische Volk.“

Der von Berisha ernannte neue Ministerpräsident war Bashkim Fino, ehemaliger sozialistischer Bürgermeister von Gjirokaster. Fino rief zu Gesprächen mit den Rebell*innen auf. Er erzürnte die Aufständischen mit der Aussage, Berisha solle vorerst an der Macht bleiben. Ein führender Vertreter der oppositionellen Demokratischen Allianz, Perikli Teta, ehemaliger Verteidigungsminister, fasste die Lage zusammen: „Wir politischen Parteien machen bla, bla, bla, aber wir sind nicht wirklich repräsentativ für die Rebellen.“ Ein junger Mann mit einer Sturmhaube brachte die Forderungen der Bevölkerung sehr deutlich zum Ausdruck: „Erstens: Berisha kaputt! Zweitens: Geld zurück!“

Nationales Rettungskomitee

Mitte März war der größte Teil des Südens, etwa ein Drittel des Landes, in den Händen der Aufständischen. In vielen Städten wurden Komitees gegründet, um den Aufstand zu organisieren. Viele davon werden Berichten zufolge von hochrangigen Armeeoffizieren geleitet, die entweder seit dem Sturz Alias in den Ruhestand versetzt wurden oder seit Beginn der Rebellion aus den Streitkräften Berishas desertierten. Um den 11. März herum trafen sich acht der Rebell*innen-Stadtkomitees in Gjirokaster und bildeten ein „Nationales Komitee zur Rettung des Volkes“, aber die lokalen Komitees scheinen keine einheitlichen Gremien mit klaren Zielen und organisierter Unterstützung zu sein. Abgesehen von der allgemeinen Forderung nach der Entfernung Berishas und der Rückgabe des Pyramidengeldes scheint jede Stadt ihre eigenen Milizen und ihre eigene Agenda zu haben. Oberst Jusuf Gepani, ein Mitglied des Komitees von Gjirokaster, sagte: „Wir verwalten die Waffen unter dem Kommando des Komitees von Gjirokaster. Was wir damit machen, liegt beim Volk.” Aber der bewaffnete Kampf läuft den politischen und wirtschaftlichen Zielen voraus. Ein Mitglied des Serande-Komitees, Professor Ilirian Alikaj, beklagte, dass „die Gangster und Kriminellen übernehmen“. Er sagte Reporter*innen, er sei sich nicht sicher, wie viele andere Personen dem Komitee angehörten, wer sie seien und was die Politik des Komitees sei.

Einige Komitees haben versucht, die rücksichtslose Verwendung von Waffen (die Berichten zufolge zu vielen Unfällen und Selbstverletzungen geführt hat) und die Ausbreitung bewaffneter Kriminalität unter Kontrolle zu bringen. Aber niemand ist bereit, sich von seinen neu erworbenen Waffen zu trennen. Die meisten Menschen sehen sie als Verteidigung gegen das Regime oder als Garantie, um in den kommenden Monaten Nahrungsmittel zu erlangen. Zweifellos gab es eine Zunahme der Gangster*innenkriminalität, mit dem Aufkommen bewaffneter Banden und lokaler Kriegsherr*innen, deren Hauptmotiv der schnelle Erwerb von territorialer Macht und Profiten ist.

Der Norden

Die Ereignisse im Norden des Landes sind nicht so klar. Berisha konnte sich zweifellos auf eine gewisse Unterstützung durch die Geg*innen stützen, und es gab Berichte über bewaffnete Mobilisierungen zur Verteidigung des Präsidenten. Es gab jedoch auch Berichte über wachsende Opposition gegen das Regime. Frühere Vorhersagen einiger westlicher Kommentator*innen über einen möglichen Nord-Süd- Konflikt zwischen Geg*innen und Tosk*innen, oder sogar einen ethnischen Bürger*innenkrieg haben sich nicht bewahrheitet.

Geg*innen und Tosk*innen, deren Regionen traditionell durch den Fluss Shkumbin getrennt sind, unterscheiden sich durch unterschiedliche Dialekte der albanischen Sprache. Aber die Ursache für Konflikte in der Vergangenheit lag in unterschiedlichen sozialen Strukturen, Traditionen und politischen Loyalitäten. Während des Widerstandskampfes gegen die Nazi-Besatzung im Krieg und in der Zeit des Umbruchs nach dem Krieg fand die Kommunistische Partei ihre Hauptunterstützung bei den Tosk*innen im Süden, vorwiegend armen Bäuer*innen und Landarbeiter*innen auf den Großgrundbesitzen. In der Folge rekrutierte Hoxha die Spitzenkräfte seines Regimes aus den Reihen der Tosk*innen, untergrub die nördliche Elite und begünstigte generell den Süden.

Die Geg*innen-Region des bergigen Norden Albaniens – die ethnisch bis nach Kosova und Westmazedonien reicht – wurde historisch von Stammesführer*innen beherrscht, die über eine Klan-Sozialstruktur herrschten. Während der Kämpfe der Kriegsjahre unterstützten diese Stammesführer*innen hauptsächlich rechtsgerichtete Nationalist*innen und monarchistische Politiker*innen. Viele waren feindlich zum stalinistischen Regime und hielten Verbindungen zu konterrevolutionären Emigrant*innenpolitiker*innen aufrecht. Anders als die früheren führenden stalinistischen Vertreter*innen ist Berisha ein Gege und hat seine Prätorianer*innengarde und politischen Handlanger*innen hauptsächlich aus den Reihen der Geg*innen-Clanmitglieder rekrutiert.

Es gibt jedoch ein großes Zwischengebiet zwischen den beiden Regionen, das die Hauptstadt Tirana umfasst. Die Stadt macht heute etwa ein Viertel der Bevölkerung des Landes aus, und die toskisch-gegischen Beziehungen waren bisher kein Thema.

Das Misstrauen der Südalbaner*innen gegenüber dem Norden hängt zweifellos mit dem Hass auf den Shik zusammen, die sich größtenteils aus von Berisha handverlesenen Nordalbaner*innen zusammensetzen. Dennoch wurden Berishas Vorschläge bei dem von ihm 1994 inszenierten Referendum, um seine neue bonapartistische Verfassung zu legitimieren, im ganzen Land mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Bei den Wahlen im Mai 1996 verlor die Demokratische Partei Shkodër, die größte Stadt im Norden. Dennoch hat Berisha wahrscheinlich immer noch starke Unterstützungspunkte unter den Nordalbaner*innen.

„Sobald er als Präsident im Jahr 1992 installiert war“, berichtete „The Independent“ (6. März), „brachte Berisha Tausende von Dorfbewohnern aus dem Norden, um ihnen Arbeitsplätze in Ministerien und bei den Sicherheitskräften, der Polizei und der Geheimpolizei Shik zu geben.“ Zum ersten Mal seit 1945 verschob Berishas Regime das Gleichgewicht der herrschenden Elite wieder zugunsten der Geg*innen. Obendrein stammen viele der Gangster*innen-Unternehmer*innen, die in letzter Zeit zu Wohlstand gekommen sind, aus den Mafia-Familien des Nordens.

Am 12. März wurde berichtet, dass „in Tropojë, Berishas Heimatstadt im Norden, Aufständische eine Kaserne geplündert und Waffen beschlagnahmt hatten“. („The Guardian“) Die Zeitung spekulierte, „es könnte sich um Regierungsanhänger gehandelt haben, die eine bevorstehende Machtübernahme durch die Rebellen befürchteten“. Am 10. März hatte „The Guardian“ jedoch berichtet: „Beamte in Shkodër, der Hauptstadt der nördlichen Region, schätzten gestern, dass die Popularität des Präsidenten um bis zu 80 Prozent gesunken ist, seit die landesweiten Proteste gegen die von der Regierung unterstützten Investitionsprogramme in der vergangenen Woche in Gewalt eskalierten. Obwohl die meisten Bewohner des nördlichen Hochlands zu arm waren, um in die betrügerischen Pyramidensysteme zu investieren, ist der Norden nun unruhig wegen der zunehmend repressiven Natur des Regimes. Herr Berishas Verdreifachung der Größe der Geheimpolizei Shik und die weit verbreitete Korruption unter Beamten werden ihm zum Vorwurf gemacht.“

Am 22. März berichtete „The Economist“: „Die wichtigste Stadt im Norden, Shkodër, wird von einer lokalen Regierung aus Monarchisten und Rechten regiert, die offenbar wenig bis gar keine Loyalität gegenüber Tirana zeigen.“ Die „Times“ (24. März) berichtete jedoch, dass Berisha unter den Nordalbaner*innen, die heute in den nördlichen Vororten von Tirana leben, starke Unterstützung genieße. „Für uns ist er eine Legende“, sagt ein pensionierter Armeeoffizier. „Er hat den Strick von fünfzig Jahren Kommunismus von unseren Hälsen geschnitten.“ Der Bericht fährt fort: „Es gibt 22.000 Menschen in diesen weitläufigen Vororten, die den nördlichen Rand von Tirana bedecken, Menschen, die durch bittere Armut und ein katastrophales Staudammprojekt, das von Enver Hoxha inspiriert war, aus ihren Häusern nahe der serbischen Grenze vertrieben wurden … Das Dorf Tropojë von Präsident Berisha liegt in ihrem Kerngebiet.“

Am 20. März gab eine geheimnisvolle Gruppe, die sich „Komitee für nationale Rettung“ nennt, eine Erklärung ab, in der sie erklärte, dass Berisha ein „Faktor für nationales, politisches und soziales Gleichgewicht“ im Land sei. Laut der „Financial Times“ (21. März) behaupteten sie, „Tausende bewaffnete Mitglieder“ zu haben und sie würden „alle ihre Kräfte einsetzen, um Gruppen herauszufordern, die von den historischen Feinden Albaniens bezahlt werden“, wodurch sie andeuteten, dass die südlichen Komitees von den Griech*innen unterstützt würden.

Weit davon entfernt, ein „Gleichgewicht“ zu erreichen, hat Berisha das Land jedoch in eine politische Sackgasse geführt. Bis zum 21. März gelang es ihm, die teilweise Kontrolle über Tirana wiederherzustellen. Der Präsident „verschanzt sich in seinem Präsidentenpalast, der angeblich zum Schutz mit Panzern in Unterständen gesichert ist. Was von seiner Macht übrig geblieben ist, beruht auf den Shik, seiner Geheimpolizei …” („The Economist“, 22. März) Die Sicherheitskräfte haben in Tirana eine Ausgangssperre von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang verhängt, bei der bei Sichtkontakt geschossen wird. Politisch versucht Berisha, seine Position durch eine wackelige Koalition mit der Opposition zu halten, aber Berichten zufolge sieht er sich der Opposition von DP-Rival*innen gegenüber, die ihn nun als Belastung betrachten. Sein Ultimatum an die Rebell*innen im Süden lief am 20. März aus, ohne dass die Rebell*innenkomitees darauf reagiert hätten. Berisha hat nicht die Macht, Truppen in den Süden zu schicken, um den Aufstand niederzuschlagen. Aber obwohl sie schwer bewaffnet sind und die Unterstützung ehemaliger stalinistischer Armeeoffizier*innen haben, scheinen die südlichen Kräfte nicht über die Einheit oder Organisation zu verfügen, die notwendig wäre, um auf Tirana vorzustoßen.

Gegen Berisha, für?

Die Bewegung im Süden war ein spontaner Massenaufstand gegen Berishas Diktatur und den Pyramidenschwindel. Dem Aufstand mangelten organisierte Form und kohärente Ziele. Die Oppositionsparteien schienen irrelevant zu sein. „Die Oppositionsparteien können tun, was sie wollen, aber die Wünsche des Volkes sind andere“, kommentierte Oberst Xhevat Kocin, Sprecher des Komitees von Sarande: „Dies ist keine Revolte, die mit den Oppositionsparteien in Verbindung steht, sondern eine Volksrevolution aus Gründen, die nichts mit deren politischen Programmen zu tun haben.“ Als die Bevölkerung in Elban [Elbasan?], einer Industriestadt in der Nähe von Tirana, zu den Waffen griff, kommentierte ein Arbeiter: „Ich glaube nicht, dass die Menschen hier irgendeine politische Partei wollen. Wir sind gegen Berisha, weil er uns unser Geld genommen hat.“ („The Independent“, 14. März) In Bejar, nahe der griechischen Grenze, sagte ein Arbeiter, der durch den Zusammenbruch des Pyramidensystems Einkommen von fünf Jahren verloren hatte: „Berisha ist für uns tot … Berisha ist zu 100 Prozent mit der Mafia verbunden.“ Auf die Frage, wen er sich an der Macht wünsche, antwortete er jedoch: „Ich weiß es nicht. Ich möchte nur einen führenden Vertreter mit einem freien Geist, keinen Diktator.“ („The Observer“, 9. März)

Die Agenda der Bevölkerung ist alles andere als klar. Sie wissen, wogegen sie sind, aber sie sind keineswegs klar bezüglich einer Alternative. Es gibt eine tiefe Quelle bitterer Beschwerden, aber diese sind noch lange nicht zu irgendetwas formuliert worden, was einem Programm mit Forderungen ähneln würde. Die führenden Parteivertreter*innen, die sich im Forum für Demokratie versammelt haben, haben keine Richtung vorgegeben: „Ihre führenden Vertreter in Tirana“, so die „Financial Times“, „haben sich sorgfältig von den gewalttätigen Aufständen im Süden des Landes distanziert.“ Die Hauptforderung des Forums war eine Übergangsregierung aus neutralen Technokrat*innen, um Neuwahlen vorzubereiten.

Als Fatos Nano, der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, aus dem Gefängnis befreit wurde, soll er zu „der friedlichen Vereinigung aller Albaner, der Rückgabe der in den letzten zehn Tagen gestohlenen Waffen und der Unterstützung der neuen Regierung der nationalen Versöhnung“ aufgerufen haben. („The Times“, 18. März) Seine „staatsmännische“ Rede richtete sich eindeutig eher an die westlichen Mächte als an das albanische Volk.

Als einer der prominenten führenden Vertreter*innen des ehemaligen stalinistischen Regimes bis 1991 fürchtet Nano zweifellos den Volksaufstand ebenso sehr wie Berisha und andere Elitepolitiker*innen. Nano wird wahrscheinlich durchaus bereit sein, mit den westlichen Mächten zusammenzuarbeiten, um Recht und Ordnung in Albanien wiederherzustellen, vorausgesetzt, Berisha geht und die führende Vertreter*innen der Sozialistischen Partei erhalten einen Anteil an der Macht und Zugang zum neuen bürgerlichen Reichtum. Obwohl Nano früher als ein stalinistischer Hardliner galt, akzeptiert er nun den Verzicht auf jedes Lippenbekenntnis zum Marxismus und hat die Marktwirtschaft in die Arme geschlossen. Derzeit ist er durch Berishas „Völkermordgesetz“ von 1993 von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, das allen Personen, die vor 1991 mit der stalinistischen Regierung in Verbindung standen, bis zum Jahr 2000 die Kandidatur für ein Amt verbietet. Aber dies könnte leicht geändert werden.

Westliche Mächte in Verwirrung

Vor dem Aufstand waren die westlichen Mächte gegen jede Rückkehr ehemaliger führender stalinistischer Vertreter*innen an die Macht. Aber Berishas Regime endete in einer Katastrophe. Jetzt, da der staatliche Sektor der Wirtschaft demontiert und der alte stalinistische Staatsapparat weg ist, könnten sie bereit sein, sich führenden Vertreter*innen wie Nano zuzuwenden, als einzige wirksame Alternative zu einem völlig diskreditierten Berisha. Die US-Regierung hat Berisha aufgefordert zu gehen. Die EU-Mächte, besonders der deutsche Kapitalismus, zögern. „Wir wissen nicht, wer den Aufstand anführt“, sagte ein Diplomat: „Das ist die größte Schwierigkeit: Niemand weiß genau, mit wem man über die Wiederherstellung der Ordnung sprechen soll.“

Es scheint unwahrscheinlich, dass Berisha an der Macht bleiben wird. Aber der Imperialismus würde einen geordneten Übergang bevorzugen. Er sucht nach Kräften, mit denen er zusammenarbeiten kann. Höchstwahrscheinlich werden sie versuchen, eine neue Regierung auf der Grundlage einer Koalition der Oppositionsparteien zu bilden, die derzeit am Forum für Demokratie beteiligt sind. Aber sie müssen noch eine gemeinsame Politik formulieren.

Der Charakter des albanischen Aufstands

Wie sollten wir die albanischen Ereignisse charakterisieren? Es gab eindeutig einen spontanen, elementaren Massenaufstand. Es ist ein überwältigender Volksaufstand gegen eine Militär- und Polizeidiktatur, die sich hinter dem Banner des „Übergangs zur Demokratie“ zu verstecken versuchte, und gegen von der Regierung geförderte Betrügereien und organisierte Kriminalität, die unter dem Label des „freien Marktes“ operierten.

Im Westen prangern kapitalistische Politiker*innen und Medien selbstgerecht „Mob-Herrschaft”, den Zusammenbruch von Recht und Ordnung, Anarchie, Gangster*innentum, Kriminalität und so weiter an. Doch bis vor kurzem haben westliche Regierungen Berisha enthusiastisch mit Oscars für den freien Markt ausgezeichnet und seinem Regime erhebliche materielle Unterstützung gewährt. Die multinationalen Unternehmen hatten keine moralischen Skrupel, das ärmste Volk Europas für Öl, Mineralien und billige Arbeitskräfte auszubeuten. Zwar war es der Zusammenbruch der Pyramiden, der den Aufstand auslöste, doch die Wurzeln des Aufstands erwuchsen aus der brutalen Ausbeutung und Unterdrückung der albanischen Arbeiter*innen, Bäuer*innen, Landarbeiter*innen und Kleinhändler*innen sowohl unter dem Stalinismus als auch während des schmerzhaften Umschwenkens zum Markt. Die Hauptsorge der EU-Regierungen, besonders Italiens, Deutschlands und Griechenlands, war es, den Exodus verzweifelter, hungernder Albaner*innen zu stoppen, die im Ausland Zuflucht und Nahrung suchten.

Hinter der Verurteilung der Kapitalist*innen für den „Mob”, der als satanische Horde von Randalierer*innen und Plünderer*innen dargestellt wird, ist die tiefe Angst jeder herrschenden Klasse vor der Energie, Initiative und Macht der Massen, sobald diese in Bewegung geraten, besonders wenn sie bewaffnet sind. Albaner*innen wehrten sich gegen Berishas brutale Sicherheitskräfte, besonders die verhassten Shik, eigneten sich Waffen an und zerstörten damit faktisch die Macht einer schwer bewaffneten Diktatur. Berishas Regime hängt in der Luft über einem Abgrund. Die sich herausbildenden Kapitalist*innen, die sich bemühen, ihren Reichtum durch kriminelle Akkumulation zu mehren, haben heftige Dresche gekriegt. Kapitalistische Herrscher*innen überall zittern bei dem Gedanken, dass eine große Masse von arbeitenden Menschen – so lange nur passive, ausgebeutete Untertan*innen, bloße Ware – in Aktion treten, sich bewaffnen und die Staatsmacht besiegen könnte. Aus diesem Grund ist der albanische Aufstand eine sehr bedeutende, beeindruckende Bewegung, die die Arbeiter*innen international inspirieren wird.

Widersprüchliche Trends

Aber es wäre völlig falsch, diese Ereignisse als eine revolutionäre Bewegung entlang klassischer proletarischer Linien der revolutionären Bewegungen in Russland im Oktober 1917 oder in Spanien 1936-37 zu sehen. Es würde die realen, widersprüchlichen Merkmale der albanischen Ereignisse ignorieren.

Arbeiter*innen, junge Menschen und arme Bäuer*innen bilden zweifellos die überwiegende Mehrheit der Aufständischen. In Bezug auf seine vorherrschende soziale Zusammensetzung ist es in erster Linie ein Arbeiter*innen- und Bäuer*innenaufstand. Den proletarischen und plebejischen Schichten der Bevölkerung fehlt jedoch Organisation und ein zusammenhängendes Arbeiter*innenklassenbewusstsein völlig. Wie in anderen ehemaligen stalinistischen Staaten wissen die Arbeiter*innen sehr genau, wogegen sie sind – gegen die Berisha-Diktatur, die ihnen ihre Ersparnisse gestohlen hat. Aber sie sehen keine Alternative. Unter dem extrem repressiven, autarken stalinistischen Regime Hoxhas und Alias wurden der Arbeiter*innenklasse alle unabhängigen, demokratischen Organisationen, einschließlich Gewerkschaften, verwehrt. Sie wurden in Bezug auf Informationen und Ideen ausgehungert. Mit dem Zerfall des Stalinismus und dem Übergang zu einer primitiven Form der kapitalistischen Wirtschaft gab es eine Tendenz zur sozialen Desintegration der Arbeiter*innenklasse, begleitet von extremer ideologischer Verwirrung und politischer Desorientierung.

Die neu gegründete unabhängige Gewerkschaftsvereinigung BSPSH, die beispielsweise eine prominente Rolle in der Streikbewegung von 1990-91 spielte, forderte zwar sofortige wirtschaftliche Verbesserungen für die Arbeiter*innen, unterstützte aber den Übergang zum Markt und zu liberal-bürgerlichen parlamentarischen Formen. Politisch war die BSPSH in der Massenbewegung gegen die Regierung Alia in den Jahren 1991-92 mit der bürgerlichen Demokratischen Partei verbunden. Dieser Desorientierung der Arbeiter*innen, die mehrheitlich marktfreundliche, bürgerlich-demokratische Ideen als Alternative zum Stalinismus akzeptierten, haben keine Organisation, keine Ideen und keine Politik, die den Interessen der Arbeiter*innenklasse entsprachen, auch nur im Geringsten entgegengewirkt. Mit anderen Worten: Der „subjektive Faktor“, der für den Fortschritt einer revolutionären Bewegung unerlässlich ist, fehlt völlig. Beim Fehlen einer unabhängigen Klassenorganisation und Klassenideen ist es den Kräften der Arbeiter*innenklasse nicht möglich, eigene klare Ziele zu entwickeln oder wirksame Strategien zu formulieren, zumindest nicht in einer kurzen Zeitspanne. Derzeit gibt es keine Anzeichen für die Entstehung demokratisch organisierter Komitees, die der Mobilisierung der Arbeiter*innen und anderer Schichten eine Richtung geben könnten.

Ein ideologisches Vakuum

Der Zusammenbruch des Stalinismus hat ein enormes ideologisches Vakuum eröffnet, und nicht nur in den ehemaligen stalinistischen Staaten. Die Zersplitterung und Desorientierung der Linken in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern bedeutet, dass es derzeit keine echten marxistischen Kräfte gibt, die über genügend Einfluss verfügen, um einen wirklichen Einfluss auf die Arbeiter*innenbewegung in den ehemaligen stalinistischen Staaten auszuüben.

In dieser Lage ist es unvermeidlich, dass verschiedene andere Kräfte in den Vordergrund kommen werden. In den Rebell*innenkomitees der südlichen Städte spielen hochrangige Militärs (entweder im Ruhestand oder aus Berishas Streitkräften desertiert) eine prominente Rolle. In dieser Phase sind sie mit dem Volk gegen die Diktatur. Später werden viele von ihnen zweifellos bereit sein, unter den richtigen politischen Bedingungen mit einer neu zusammengesetzten nationalen Regierung zusammenzuarbeiten oder sich ihr anzuschließen, die wahrscheinlich einige der führenden Vertreter*innen der Parteien des Demokratischen Forums, möglicherweise einschließlich der Sozialistischen Partei, umfassen wird und die von den westlichen Mächten unterstützt wird. Als Kommentar zu der derzeitigen Gesetzlosigkeit sagte Oberst Kocin, der Vorsitzende des Komitees von Sarande: „Jedes Land hat seine Diebe. Unsere sind zufällig bewaffnet, aber morgen werden sie sich dem Gesetz stellen müssen.“ Schon jetzt freut sich Kocin auf die Zeit, in der die Ordnung wiederhergestellt sein wird, und es sind nicht nur die Dieb*innen, die die derzeit unzufriedenen Offizier*innen zu bekämpfen versuchen werden. Die führenden Militärs werden versuchen, die Macht des Volkes einzuschränken und die Waffen von der Bevölkerung einzuziehen, auch wenn sich dies wahrscheinlich als sehr schwierig erweisen wird.

Diese Offizier*innen sind Rebell*innen gegen Berisha, keine Revolutionär*innen. Einige Mitglieder der Militärkaste des ehemaligen Regimes hegen vielleicht die Illusion einer Rückkehr zu einem stalinistischen Staat, aber in Wirklichkeit ist dies aufgrund des Erbes des Zusammenbruchs der stalinistischen Wirtschaften und der neuen internationalen Kräfteverhältnisse ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist, dass die meisten von ihnen den Übergang zur Marktwirtschaft akzeptieren, aber ein für sie „akzeptableres“ bürgerliches Regime anstreben. In Zukunft werden die meisten von ihnen daran arbeiten, ein stabiles Regime auf der Grundlage der Marktwirtschaft wiederherzustellen. Einige der Offizier*innen könnten persönliche bonapartistische Ambitionen haben, besonders auf regionaler Ebene.

Gleichzeitig bietet ein Massenaufstand ohne bewusste, organisierte Führung durch die Arbeiter*innenklasse zwangsläufig viel Spielraum für eine Vielzahl von Gangster*innen, Betrüger*innen und Schwarzmarkthändler*innen. In Albanien gibt es keinen Mangel an Gangster*innen-Unternehmer*innen, die seit 1990 florieren. Es gibt auch brutalisierte, deklassierte Lumpenelemente, die durch die sozialen Unruhen nach oben gebracht wurden und sich einer Orgie wahlloser Zerstörung und gewalttätiger krimineller Übergriffe auf unschuldige Menschen hingegeben haben. Es gibt keine klassenbewussten, disziplinierten Milizen, um sie in Schach zu halten. Wie in Russland, den anderen GUS-Republiken, Bosnien, Serbien, Kroatien usw. werden wahrscheinlich bewaffnete Mafia-Banden florieren. Einige der ehemaligen Militäroffiziere könnten ebenfalls da hinein gezogen werden, da lokale Kriegsherr*innen auftauchen, die jeweils versuchen, ihr eigenes lokales Lehen zu etablieren.

So feindselig sie auch gegenüber einer Zentralregierung sein mögen, haben diese Rebell*innenführer*innen keine fortschrittlichen Ziele. Im Gegenteil, die Lehre der letzten Jahre in Osteuropa ist, dass viele von ihnen versuchen werden, alle möglichen lokalen, ethnischen, religiösen oder nationalen Beschwerden und Vorurteile für ihre eigenen Zwecke zu schüren und zu manipulieren. Wenn das Land mit Waffen überschwemmt ist, schafft dies ein erschreckendes Konfliktpotenzial.

Die „Mad Max“-Phase der Unruhen

Dies ist keine klassische proletarische Revolution, sondern die „Mad Max“-Phase der poststalinistischen Unruhen. Der Massenaufstand in Albanien hat, wie einige der Bewegungen in anderen ehemaligen stalinistischen Staaten, viele Merkmale einer proletarischen Revolution. Aber angesichts des ideologischen Vakuums wird auch die albanische Bewegung von konterrevolutionären Kräften für bürgerliche Zwecke ausgenutzt werden. Obendrein hat der albanische Aufstand auch Merkmale vorkapitalistischer Jacquerien, bäuerlich-plebejischer Aufstände und Guerillakriege gegen absolutistische monarchistische Staaten, die oft sozialen Protest gegen feudale Ausbeutung mit blinder Rache und Bandit*innentum verbanden. Es stimmt, sie spielten letztlich eine historisch fortschrittliche Rolle bei der Beschleunigung der Zerstörung der feudalen Ordnung. Aber erst als Kräfte mit viel klareren politischen Zielen den Massenbewegungen eine Richtung gaben, konnte die soziale und politische Umgestaltung vollzogen werden.

Auf dem Balkan von heute wirft die Flut von Waffen aus Albaniens Arsenalen die schreckliche Aussicht auf verschärfte nationale und ethnische Konflikte über die Grenzen Albaniens, Mazedoniens und Griechenlands hinweg auf. Die Ereignisse in Albanien könnten auch einen Aufstand in Kosova auslösen, das die Unabhängigkeit von der von Serbien dominierten Jugoslawischen Rumpf-Föderation fordert. Die Weigerung von Miloševićs Regime, den Kosovar*innen das Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen, könnte zu einem blutigen Konflikt führen. Chauvinistische Gangster*innen werden zweifellos Waffen an rechte nationalistische Organisationen unter den albanischen Minderheiten liefern, mit vorhersehbaren Gegenmaßnahmen durch Griech*innen, Mazedonier*innen, Serb*innen usw. Spannungen brodeln bereits in diesen Gebieten. Der Ausbruch eines weiteren bewaffneten Konflikts vom Ausmaß des Bosnienkonflikts wäre ein schwerer Rückschlag für die Arbeiter*innen des Südbalkan. Nur eine Bewegung der Arbeiter*innenklasse mit einem Programm von sozialistischer Opposition gegen die kapitalistische Konsolidierung und von Unterstützung der internationalistischen Einheit über die bestehenden Grenzen hinweg könnte die gegenwärtigen nationalistischen Konflikte überwinden. Leider ist es Wunschdenken zu glauben, dass es derzeit eine solche Bewegung gibt.

Wiederaufkommen der Arbeiter*innenklasse

Mit der Zeit werden die die Arbeiter*innen in den ehemaligen stalinistischen Staaten beginnen, sich wieder als soziale Klasse formieren. Durch die Kämpfe, die sich entwickeln werden, werden die Arbeiter*innen unabhängige, klassenkämpferische Gewerkschaften, neue politische Parteien aufbauen und beginnen, ein Bewusstsein für ihre eigenen Klasseninteressen und ihre potenzielle Macht als soziale Kraft zu entwickeln. Dieser Prozess entwickelt sich bereits in manchen ehemaligen stalinistischen Staaten wie der Tschechischen Republik, Polen und einigen GUS-Staaten: Aber er ist in einem frühen Stadium. Im Moment gibt es keine Anzeichen dafür, dass dieser Prozess in Albanien begonnen hat, und leider ist es angesichts des Fehlens klassenbewusster sozialistischer Organisationen unwahrscheinlich, dass er sich während des aktuellen Aufstands kristallisieren wird. In diesem Stadium hat die Arbeiter*innenklasse in Albanien nicht den sozialen Zusammenhalt oder die unabhängige politische Fähigkeit, um eine führende Rolle im Aufstand zu spielen. Es würde eine Organisation oder zumindest eine Führungsschicht mit klaren Zielen und kühnen Taktiken erfordern, um der äußerst vielfältigen, spontanen Bewegung klare antikapitalistische, sozialistische Ziele zu geben. Das ist Zukunftsmusik, zu der sich einige der politisch bewussteren Arbeiter*innen und Jugendlichen, die jetzt auf den Straßen kämpfen, hinzuwenden beginnen werden.

Ein Aufstand kann nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden, besonders ohne führende Vertreter*innen und Organisationen, die klare politische Ziele vorgeben können. Wenn Berisha versucht, Gewalt zu verwenden, um an der Macht zu bleiben, mag es zu einer weiteren Welle von Aufständen geben. Auf jeden Fall könnten der Widerstand gegen die Staatsgewalt, Episoden von bewaffneten Aufständen und gesellschaftliches Bandit*innentum noch einige Zeit andauern, besonders angesichts des Überflusses an Waffen. Aber bei einer solch anarchischen Bewegung mit vielen verschiedenen sozialen und politischen Strömungen sowie regionalen Unterschieden wird es zwangsläufig zu einem Rückgang kommen. Kräfte, die eine Rückkehr zu Stabilität und sozialem Frieden anbieten, werden Unterstützung oder zumindest Akzeptanz von Schichten erhalten, die vom Konflikt am stärksten betroffen sind.

Die Rolle des Imperialismus

Der US-Imperialismus und die großen europäischen kapitalistischen Mächte werden begierig sein, eine neue Partei der Ordnung in Albanien zu unterstützen. Was die Mächte erschreckt, ist weniger der Ausbruch von Massenprotestbewegungen und sozialem Chaos, wie es in anderen ehemaligen stalinistischen Staaten geschehen ist, sondern die Tatsache, dass die Mehrheit der albanischen Bevölkerung nun bewaffnet ist. Ihre Hauptprioritäten werden sein, den Aufstand zu beenden, eine neue Flut von Albaner*innen in den Westen zu verhindern und die Eskalation eines bewaffneten Konflikts rund um die Grenzen Albaniens zu verhindern. Sozialist*innen lehnen jede militärische Intervention des Westens entschieden ab, selbst wenn sie als humanitäre Operation getarnt ist. Die imperialistischen Mächte werden nur eingreifen, um ihre eigenen Interessen zu wahren. Sie werden ein Bündnis mit den kapitalistischen Politiker*innen und Wirtschaftselementen suchen, die sie als ihre effektivsten und zuverlässigsten Verbündeten einschätzen. Aber die US- und europäischen Regierungen werden schnell massive Lebensmittelhilfen und medizinische Unterstützung schicken müssen, um eine humanitäre Katastrophe von schrecklichem Ausmaß zu verhindern.

Im Moment sind die westlichen Mächte äußerst vorsichtig. Ihre Politik, Berisha zu unterstützen und bei seinen korrupten, diktatorischen Methoden wegzusehen, ist ihnen um die Ohren geflogen. Sie sind zögerlich, Streitkräfte einzusetzen, die sich in einem blutigen Sumpf festfahren könnten. Ihre Diplomat*innen und Militärberater*innen sondieren zweifellos verschiedene Kräfte im Land. Bislang scheinen die US- und EU-Regierungen noch keine einheitliche Vorgehensweise ausgearbeitet oder vereinbart zu haben.

Ihre bevorzugte Option wäre wahrscheinlich, eine neue Koalitionsregierung zusammenzubringen, unter Beteiligung der führenden Vertreter*innen der Hauptoppositionsparteien und möglicherweise einschließlich einiger der militärischen Vertreter*innen der Rebellion im Süden. Nun, da der ehemalige stalinistische Apparat und die staatseigenen Industrie zerschlagen sind, könnten die westlichen Mächte bereit sein, sich an die führende Vertreter*innen der Sozialistischen Partei, besonders an Fatos Nano, zu wenden, um sich das an Autorität zunutze zu machen, was sie noch unter den Arbeiter*innen und Bäuer*innen haben. Nano akzeptiert den Übergang zur Marktwirtschaft, und als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, rief er die Massen dazu auf, ihre Waffen abzugeben und auf Neuwahlen zu warten. Wenn ein wiederaufgebautes kapitalistisches Regime durch Neuwahlen legitimiert werden könnte, wäre das für sie umso besser. Aber eine solche Strategie wird für den Imperialismus in den kommenden Monaten äußerst schwierig durchzuführen sein. Was auch immer seine Strategie ist, der Imperialismus wird erhebliche wirtschaftliche Ressourcen bereitstellen müssen, um zu versuchen, das Land zu stabilisieren. Als Ergebnis seiner Investitionen in Berishas politisches Pyramidensystem wird er mit einer riesigen Rechnung konfrontiert sein.

Die verschiedenen Kräfte, die vor Ort ihre Macht errichtet haben, werden diese nicht leicht aufgeben. Zunächst einmal wird es unmöglich sein, alle an sich genommenen Waffen einzusammeln. Ein Kommentator der Opposition schlug vor, dass eine neue Regierung sie zurückkaufen müsse. Wenn eine solche Politik verfolgt würde, könnten zwar einige der Waffen zurückbekommen werden, aber ein Großteil der an sich genommenen Waffen würde seinen Weg zu ethnischen Gruppen oder Gangster*innen in den Nachbarstaaten finden oder auf dem internationalen Schwarzmarkt verkauft werden. Selbst wenn sich die Dinge in Albanien beruhigen, werden viele Menschen ihre Waffen einfach für zukünftige Eventualitäten vergraben.

Einige der Strateg*innen des Imperialismus warnen, dass Albanien denselben Weg wie Somalia gehen könnte, wo mächtige regionale Kriegsherr*innen es mit ihren schwer bewaffneten Milizen ausfechten, die Bevölkerung um Geld und Lebensmittel ausbeuten und schreckliche Zerstörung auf sie herab prasseln lassen. In Somalia war selbst die Macht des US-Imperialismus machtlos, den Konflikt zu beenden. Die US-Streitkräfte waren darauf reduziert, einen Kriegsherrn gegen den anderen auszuspielen, und mussten sich schließlich herausziehen, ohne einen stabilen Einfluss im Land zu sichern.

Aber es ist noch zu früh für sichere Vorhersagen selbst über die unmittelbare Zukunft Albaniens, geschweige denn für Schlussfolgerungen über den weiteren Verlauf der Ereignisse. Wir müssen die Ereignisse verfolgen, während sie sich entwickeln. Aber eines ist klar: Die Einführung der kapitalistischen Marktwirtschaft und die Fassade der parlamentarischen „Demokratie” waren für das Volk Albaniens eine Katastrophe. Sozialist*innen überall werden den heroischen bewaffneten Widerstand der Arbeiter*innen und Jugendlichen gegen die Ausbeutung durch Gangster*innen und die militärische Unterdrückung begrüßen. Wir freuen uns auf die Entwicklung organisierter, klassenbewusster proletarischer Kräfte in Albanien, wie in allen ehemaligen stalinistischen Staaten, die für echte sozialistische Wirtschaftssysteme und Arbeiter*innendemokratie kämpfen werden.

Nachwort

Berisha harrt immer noch im Präsident*innenenpalast aus (14. April 1997), hat aber nur noch sehr begrenzte Macht im Land. Unglaublicherweise gibt Berisha einer Verschwörung zwischen der ex-stalinistischen sozialistischen Opposition und der Mafia, die die Unzufriedenheit über den Zusammenbruch der Pyramidensysteme ausbeuten wolle, um selbst die Macht zu ergreifen, die Schuld für die Krise. „Wir tolerierten mehr, als notwendig war“, räumte er gegenüber der rechtsgerichteten Zeitung „Wall Street Journal“ (4. April) ein, beharrte aber darauf, dass „die Hauptverantwortung bei denen liege, die Geld in die Systeme investierten. Das muss unsere Gesellschaft unbedingt begreifen. Wenn wir anderen die Schuld für unsere Fehler geben, werden wir keine Zukunft haben. So ist der Kapitalismus nun einmal. Morgen wird es in Tirana eine Börse geben: Es wird Gewinner und Verlierer geben. Wir müssen diese Dinge lernen.“

„Die schweigende Mehrheit unterstützt uns“, behauptet Berisha. Aber Realität ist, dass die Regierungsmacht, so wie sie ist, weitgehend an die Koalition unter der Führung von Bashkim Fino übergegangen ist. Am 1. April machte Fino seinen ersten Besuch in Gjirokaster seit dem Aufstand, um den italienischen Ministerpräsidenten Prodi und „legale Vertreter*innen der örtlichen Macht und öffentlichen Ordnung” zu treffen. Seine wichtigsten Gespräche waren jedoch mit den führenden Rebell*innen der Komitees für öffentliche Rettung, die seit Anfang März den Süden dominierten.

Laut dem „Wall Street Journal“ (4. April) hat die Sozialistische Partei „ihre Allianz mit diesen Rebellen (deren Existenz sie bisher geleugnet hatte) öffentlich formalisiert, als sie und andere Oppositionsparteien eine formelle Vereinbarung zwischen sich und den Rebellenbanden ausarbeiteten und veröffentlichten. Es gab die wichtigsten Forderungen der Rebellen nach dem Rücktritt des Präsidenten und der Auflösung des gewählten Parlaments wider.“ Keine Regierung könnte jedoch überleben, ohne Neuwahlen zu versprechen, die die Möglichkeit eröffnen, Berisha zu entfernen.

Fino kündigte auch die Auflösung der Geheimpolizei Shik an. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass Fino den führenden Rebell*innen sagte, Berisha habe den Rücktritt des Shik-Chefs Bashkim Gazidede und seines Stellvertreters Bujar Rama akzeptiert und die Finanzierung der Behörde eingestellt. „Seit gestern gibt es in Albanien keine Shik mehr. Wir werden einen neuen Geheimdienst aufbauen, und von nun an ist jeder, der sich als Shik-Beamter bezeichnet, ein Lügner.“ („The Guardian“, 2. April).

Die Politik der führenden Vertreter*innen der Sozialistischen Partei ist, Berisha bis zu den Neuwahlen im Amt zu belassen, bei denen sie zweifellos hoffen, eine Mehrheit zu gewinnen und eine von der Sozialistischen Partei dominierte Koalition zu bilden. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sie irgendeine politische Alternative zu Berishas kapitalistischer Politik anbieten. „Ich bin der Ministerpräsident einer Regierung der nationalen Versöhnung, die allen Parteien und allen Menschen in Albanien gehört“, verkündete Fino (25. März).

Als der Vorsitzende der Sozialistischen Partei, Fatos Nano, am 17. März aus dem Gefängnis entlassen wurde, nahm er eine ähnliche Position ein. „Ich denke, Berisha sollte beiseite treten, nicht zurücktreten“, sagte Nano auf einer Pressekonferenz. „Ich bin geneigt, ihm als albanischem Staatsbürger die Hand zu geben, nicht als Präsidenten.“ („Financial Times“, 18. März) Übrigens berichtete „The Guardian“ (18. März), dass der gesetzestreue Nano, als die Gefangenen von der Menge aus dem Gefängnis in Tirana befreit wurden, darauf wartete, dass der Gefängnisdirektor ihn offiziell freiließ. Später wurden Nano und fünfzig weitere Insass*innen offiziell begnadigt.

Die Taktik der Sozialistischen Partei scheint mit der aktuellen Politik der westlichen Mächte übereinzustimmen. Da sie die Entfernung von Präsident*innen durch einen Volksaufstand nur ungern akzeptieren, streben die westlichen Mächte eine legale, parlamentarische Ablösung Berishas durch Neuwahlen an. Laut Andrew Gumbel, der in „The Independent“ (17. April) schreibt, wurde Berisha „weitgehend aus dem diplomatischen Kreislauf herausgehalten“. Stattdessen „ist Herr Fino der Ansprechpartner der internationalen Gemeinschaft, und die Regierung von Herrn Fino ist die Institution, an deren Unterstützung sie arbeitet. Die insgeheime Rechnung der Regierung in Rom ist, dass der Präsident immer unbedeutender werden wird, bis er nach den Wahlen still und leise verschwinden wird.“ Gumbel fügt jedoch hinzu: „Angesichts von Herrn Berishas bisherigen Verhalten ist das vielleicht eine optimistische Prognose.“

Finos eigene Macht ist streng begrenzt, wie eine kürzliche Episode zeigte. Am 5. April hinderte eine Gruppe schwer bewaffneter Männer Fino und andere Minister*innen daran, Shkodër, die wichtigste Stadt im Norden, zu besuchen. Bewaffnete Männer fingen Finos Gruppe in Bushat, etwa 60 km nördlich von Tirana, ab, zündeten Granaten und zwangen sie, nach Tirana zurückzukehren. „Wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt“, berichtete „The Independent“ (7. April). „Aber die Reise nach Shkodër musste abgesagt werden, und es musste die bittere Schlussfolgerung gezogen werden, dass selbst die Spitzenvertreter der Regierung der Nationalen Einheit, die angeblich von allen unterstützt wird, sich nicht nach Belieben frei im Land bewegen können. Die Tatsache, dass die Bewaffneten angeblich im Auftrag von Sali Berisha handelten, dem Mann, der Fino vor drei Wochen unter erheblichem Druck ernannt hatte, verstärkte nur noch das Gefühl von einem Land in schwelendem Chaos.“ Jede Idee, dass die durch den Aufstand freigesetzten sozialen und politischen Kräfte reibungslos wieder in parlamentarische Bahnen gelenkt werden können, wird sich wahrscheinlich als illusorisch erweisen. Der Schlüsselfaktor ist, dass die Mehrheit der Bevölkerung nun bewaffnet ist.

Intervention durch die westlichen Mächte

Eines der Schlüsselziele der europäischen Interventionsstreitkräfte wird zweifellos sein, die Entwaffnung des Volkes zu fördern. Ihr unmittelbares Ziel wird es zweifellos sein, die sichere Ankunft und Verteilung von lebenswichtigen Nahrungsmitteln und medizinischen Hilfsgütern zu gewährleisten. Sie werden versuchen, Häfen, Straßen, den Flughafen von Tirana usw. zu sichern, um der Wirtschaft zu ermöglichen, wieder in Gang zu kommen. Dies ist wesentlich, um die Geflüchtetenflut einzudämmen, die Italiens Hauptsorge ist. Um eine stabilere kapitalistische Regierung zu sichern, werden die westlichen Mächte jedoch gezwungen sein, zumindest einen Teil der aus den Regierungsarsenalen an sich genommenen Waffen zurückzubekommen.

Eine Intervention ist für den Imperialismus voller Schwierigkeiten. Während die westlichen Mächte in ihrer Unterstützung für Berishas Regime fast einmütig waren, zögerten sie größtenteils sehr, sich zu einer Intervention zu verpflichten. Die britische und die deutsche Regierung schlossen den Einsatz ihrer Streitkräfte aus. Auf dem Höhepunkt des Aufstands Mitte März schlossen westliche Regierungen offiziell den Einsatz einer „Friedensmission” aus. „Das wäre eine Entsendung von Truppen ins Vakuum”, sagte ein NATO-Vertreter, der nicht genannt werden wollte. („Wall Street Journal“, 17. März) Als die Bewegung jedoch nachließ, übten die europäischen Mächte und die USA zunehmend Druck auf die italienische Regierung aus, die Führung bei der Entsendung einer Interventionsstreitmacht zu übernehmen. Anfang April wurde beschlossen, dass eine von Italien geführte multinationale Schutzmacht mit 5.000 bis 6.000 Soldat*innen Mitte April nach Albanien gehen sollte, bestehend aus etwa 2.500 Soldat*innen aus Italien, 1.000 aus Frankreich und kleineren Kontingenten aus Spanien, Griechenland, der Türkei und Rumänien.

Dies ist eine ungewöhnliche Operation. Obwohl sie die formelle oder stillschweigende Zustimmung der Vereinten Nationen, der NATO, der Europäischen Union, des Europarats, der OSZE usw. hat, ist diese Intervention eine Koalition von Ländern, die außerhalb des Schirms einer internationalen Organisation handeln. In Wirklichkeit trägt der italienische Staat die Hauptverantwortung für die Intervention, was in Italien bereits eine politische Krise hervorgerufen hat.

Prodis parlamentarische Krise

Die von Prodi geführte „Mitte-Links”-Oliven-Koalition konnte keine Mehrheit ihrer parlamentarischen Unterstützer*innen für die Ermächtigungsgesetzgebung für die Interventionstruppe gewinnen. Die linke Rifondazione Comunista (PRC – Partei der kommunistischen Wiedergründung), von der die Mehrheit der Prodi-Regierung abhängt, machte deutlich, dass sie nicht für das Gesetz stimmen werde. Prodi konnte das Interventionsgesetz nur durch das Parlament bringen, indem er die Unterstützung der rechten Freiheitsallianz unter der Führung Berlusconis akzeptierte. Abgesehen von Albanien erhöht dies die Wahrscheinlichkeit, dass Prodi in der nächsten Periode eine Einigung mit der Freiheitsallianz erzielen wird, um die bisher aufgrund des Widerstands der PRC abgelehnten Haushaltskürzungen durchzusetzen.

Während die Demokratische Partei der Linken (PDS), die ehemalige Kommunistische Partei, Prodis Interventionsgesetzentwurf unterstützte, lehnte sie [die PRC] ihn zu Recht mit der Begründung ab, dass die Intervention eine gefährliche Ausweitung der neokolonialen Rolle Italiens in Albanien darstelle. Rifondazione argumentierte, dass die Interventionsstreitmacht Präsident Berisha an der Macht halten würde.

Die neokolonialen Ambitionen des italienischen Kapitalismus wurden durch einen Leitartikel im „Wall Street Journal“ (8. April) bestätigt. „Es gibt viel zu bewundern an Herrn Prodis Entschlossenheit, ein führungsloses Europa nicht als unfähig gegenüber der Albanienkrise anzusehen, wie es es in der Bosnienkrise war. Er wollte seit langem eine größere internationale Rolle für Italien haben und sieht Albanien, ein Land, mit dem Italien lange, oft turbulente Beziehungen unterhält, als wichtigen Test für Italiens Bereitschaft, eine führende Rolle zu übernehmen.“ Diese lange, turbulente Rolle umfasst zwei Besetzungen Albaniens, während des Ersten Weltkriegs und erneut während des Zweiten Weltkriegs, als Mussolini das Land in Vorbereitung auf die Besetzung durch Hitlers Nazi-Truppen unterwarf. Die PRC hat Recht, vor den Gefahren von Angriffen auf die von der italienischen Regierung entsandten Truppen zu warnen. Es gibt offensichtlich tief verwurzelte, historische Ressentiments unter den Albaner*innen gegenüber den vergangenen imperialistischen Besetzungen Italiens.

Es gibt auch Wut über die jüngste Behandlung albanischer Geflüchteter in Italien, besonders über den Tod von mehr als 80 Menschen, die am 28. März in der Adria ertrunken sind. Bei diesem Vorfall wurde ein stark überladenes Motorboot (das wahrscheinlich von Profiteur*innen gestohlen worden war, um Geflüchtete zu überhöhten Preisen zu befördern) von einem italienischen Kriegsschiff gerammt – aus Sicht der meisten Albaner*innen ganz bewusst. Die meisten der Ertrunkenen waren Frauen und kleine Kinder. Die Trauer und Wut in Albanien wurde durch die bösartigen, chauvinistischen Kommentare von Irene Pivetti, der ehemaligen Sprecherin des italienischen Abgeordnetenhauses, noch verstärkt. Geflüchtete, die über die Adria kommen, sollten „zurück ins Meer geworfen werden“, verkündete sie. Pivetti behauptete, sie wolle die schutzbedürftigen Frauen und Kinder verteidigen, die von Kriminellen als Deckmantel benutzt würden, um Wirtschaftsmigrant*innen und Drogen nach Italien zu schmuggeln. Man solle ihnen Suppe geben, befürwortete sie großzügig, aber nur in Albanien. Wenn sie nach Italien kämen, sollten sie alle zurückgeschickt werden.

Diese und andere Kommentare von reaktionären Politiker*innen und Zeitungen empörten die Albaner*innen. „Ich warne italienische Soldaten, nicht nach Vlorë zu kommen, sonst werden sie getötet“, sagte eine junge Frau, die an einer Kundgebung von etwa 7.000 zum Betrauern der Toten teilnahm. („The Guardian“, 31. März)

Als Antwort auf den Einwand der PRC, dass die italienische Interventionsstreitmacht Berisha stützen würde, versicherte Prodis stellvertretender Außenminister Piero Fassino den Abgeordneten der PRC privat: „Es ist ganz klar, dass Berisha gehen muss. Zumindest für uns … Das Problem ist, wie man über Berisha hinauskommt, aber wenn wir das sagen würden … würde die albanische Regierung der nationalen Einheit zusammenbrechen.“ („Wall Street Journal“, 9. April) Höchstwahrscheinlich ist dies die tatsächliche Politik der italienischen Regierung. Presseberichte über Fassinos Äußerungen lösten jedoch eine wütende Reaktion von Berisha aus, und Prodi (und Fassino selbst) sahen sich gezwungen, jegliche Absicht, Berisha zu stürzen, zurückzuweisen.

„Wir gehen nicht nach Albanien, um uns in die inneren Angelegenheiten dieses Landes einzumischen oder parteipolitische Interessen zu fördern oder zu schützen“, sagte Prodi. „Wir werden Hilfe verteilen und den Albanern helfen, wieder ein normales Leben aufzubauen.“ („The Independent“, 3. April) Solche Aussagen sind, wie immer in solchen Lagen, völlig unaufrichtig. Kapitalistische Staaten starten solche Interventionen immer in erster Linie, um ihre eigenen Interessen zu schützen und ihre wirtschaftlichen und strategischen Ziele voranzutreiben. „Humanitäre“ Hilfe – Lebensmittel, Medikamente, Wiederherstellung der Kommunikationswege usw. – ist natürlich notwendig, um den Zustrom von Geflüchteten in den Westen zu stoppen. Aber die wahren Ziele der sogenannten Multinationalen Schutztruppe gehen weit darüber hinaus.

Fassino sagte auch, dass die Zielen der Intervention auch die „Unterstützung der albanischen Regierung bei der Wiedererlangung der Kontrolle über die Brennpunkte auf ihrem Territorium und der Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit der staatlichen Institutionen“ gehören würde. Welcher albanischen Regierung? In Wirklichkeit bedeutet dies, dass daran gearbeitet wird, eine Regierung zu installieren, die von den westlichen Mächten als zuverlässig und fähig angesehen wird, einen Anschein von Stabilität zu gewährleisten. „Die Kontrolle über Brennpunkte zurückgewinnen”? Das bedeutet eindeutig, die Macht der Rebell*innenkräfte zu untergraben – und zu versuchen, die Bevölkerung zu entwaffnen.

Die Schutzmacht könnte durchaus versuchen, Lebensmittel und Medikamente gegen Waffen einzutauschen, wodurch wahrscheinlich einige Waffen aus den ärmeren, wehrlosesten Teilen der Bevölkerung zurückgewonnen würden. Diese Politik wird von einigen der liberalen bürgerlichen Parteien Albaniens befürwortet, die bereits versuchen, „Brot gegen Kugeln” zu tauschen. Eine solche Politik dürfte jedoch kaum dazu führen, dass viele Waffen von Kriegsherr*innen und Gangster*innen zurückgewonnen werden. Es besteht unvermeidlich ein hohes Konfliktpotenzial zwischen der Schutzmacht und verschiedenen bewaffneten Teilen der albanischen Bevölkerung.

Selbst die Überwachung der Neuwahlen durch die Schutzmacht kann kaum als neutral angesehen werden. So wie die westeuropäischen Mächte bis vor kurzem Berisha unterstützten, werden sie nun ihre ausgewählten politischen Vertreter*innen unterstützen. Derzeit scheinen sie kaum eine andere Wahl zu haben, als sich auf die führende Vertreter*innen der Sozialistischen Partei zu stützen, die nun willige Instrumente des westlichen kapitalistischen Einflusses sind, in Zusammenarbeit mit den kleineren parlamentarischen Cliquen liberaler bürgerlicher Politiker*innen.

Aus diesen Gründen sollten Sozialist*innen eine militärische Intervention Italiens, Frankreichs und anderer kapitalistischer Mächte entschieden ablehnen. Trotz ihrer behaupteten „humanitären” Ziele dient die Schutzmacht dazu, die Interessen des Imperialismus zu schützen, nicht die Interessen des albanischen Volkes. Die westlichen kapitalistischen Staaten sollten Albanien sicherlich Lebensmitteln, Medikamenten und wirtschaftlichen Ressourcen liefern, um beim Aufbau des Landes zu helfen. Durch ihre Politik der rücksichtslosen Ausbeutung des primitiven Marktes, der sich nach 1990 in diesem Land öffnete, und durch ihre uneingeschränkte Unterstützung für Berisha tragen die kapitalistischen Mächte eine schwere Verantwortung für das Leiden des albanischen Volkes. Aber die Hilfe muss den Albaner*innen, besonders den verarmten Arbeiter*innen und Bäuer*innen, übergeben werden, denen es ermöglicht werden muss, ihre eigenen Probleme zu lösen. Führende westliche Vertreter*innen argumentieren, dass Hilfe, die einfach nach Albanien geschickt wird, von Kriminellen und Schwarzmarkthändler*innen geplündert wird. Bei früheren Hilfsaktionen der UNO oder der EU, beispielsweise in Bosnien oder Somalia, verhinderte die Präsenz multinationaler Streitkräfte jedoch nicht, dass der Löwenanteil der Hilfe von korrupten Regierungsbeamt*innen und Gangster*innen (oft ununterscheidbare Gruppen) abgezweigt wurde. Die einzigen externen Organisationen, die der Mehrheit der Albaner*innen wirklich in großem Umfang helfen könnten, wären Arbeiter*innenorganisationen im Westen, besonders die Gewerkschaften. Leider gibt es kaum oder gar keine Aussicht darauf, dass die führenden Vertreter*innen der Arbeiter*innenbewegung, die überwiegend die Wirtschafts- und Außenpolitik der Kapitalist*innen akzeptieren, eine solche internationale Hilfe organisieren.

14. April 97


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