[Militant International Review, Nr. 43, Frühjahr 1990, S. 14-22]
Lynn Walsh argumentiert, dass der Zusammenbruch des stalinistischen Regimes in Ostdeutschland in Ermangelung einer klaren Alternative in Verbindung mit dem überwältigenden Eindruck des Wohlstands in Westdeutschland die Bewegung in Richtung der politischen Revolution, die durch die Massendemonstrationen des letzten Jahres eingeleitet wurde, untergraben hat. Was sind die Aussichten jetzt?
Am 18. März errang die CDU-dominierte konservative Allianz [für Deutschland] einen überwältigenden Sieg bei den ostdeutschen Wahlen. Das Ausmaß überraschte selbst die optimistischsten kapitalistischen Kommentator*innen. Achtundvierzig Prozent der Wähler*innen, darunter fast zwei Drittel der Arbeiter*innen, stimmten für Kohls Verbündete im Osten.
Dies war ein Votum für die Vereinigung, aber eine Vereinigung in Form eines sofortigen Anschlusses oder einer Annexion durch den westdeutschen Kapitalismus. Wie konnte es geschehen, dass entscheidende Schritte in Richtung Konterrevolution, die Ersetzung der verstaatlichten Planwirtschaft (die freilich von der stalinistischen Bürokratie grotesk entstellt wurde) durch die Vorherrschaft westlicher Banken und Monopole in freien Wahlen eine so überwältigende Zustimmung finden konnten?
Erst im letzten Jahr brachten zwischen dem 9. Oktober und dem 9. November Massendemonstrationen in Leipzig, Dresden, Ost-Berlin und anderen Städten das Honecker-Regime zu Fall. Die Bewegung wurde ausgelöst durch die Öffnung der ungarisch-österreichischen Grenze, die die erste „Öffnung“ der Mauer darstellte und eine der wichtigsten Stützen des Regimes untergrub. Gleichzeitig entzog Gorbatschow Honecker und der alte Garde der regierenden Kommunistischen Partei (SED) die Unterstützung.
Hunderttausende von Student*innen, Jugendlichen und Arbeiter*innen sangen auf den Straßen die Internationale. Es gab eine spontane Forderung nach einer Säuberung der Bürokrat*innen und einer radikalen Demokratisierung der Gesellschaft. Die Umrisse der politischen Revolution waren auf den Straßen und in den Fabriken zu erkennen.
Tragischerweise führte das Fehlen einer bewussten marxistischen Partei, die in der Lage war, der Bewegung klare Ziele zu geben, dazu, dass die Bewegung abgelenkt wurde. Nach der Öffnung der Mauer am 9. November trat der Ruf nach Vereinigung in den Vordergrund. Es handelt sich dabei nicht um einen Aufschwung des Nationalismus. Der Zusammenschluss mit dem westdeutschen Kapitalismus wurde als der beste Ausweg aus der Sackgasse des Stalinismus und als der schnellste Weg zum hohen Lebensstandard in der Bundesrepublik angesehen.
Eine so rasante Entwicklung kann nicht losgelöst von der internationalen Situation verstanden werden
Eine so rasante Entwicklung kann nicht losgelöst von der internationalen Lage verstanden werden. Es gibt eine allgemeine Krise des Stalinismus, der seine Fähigkeit zur Entwicklung der Planwirtschaft erschöpft hat. Gleichzeitig hat das Wachstum der Weltwirtschaft seit 1981 (ein verzerrter, einseitiger Boom, der sich aus dem Fett des langen Nachkriegsaufschwungs speist) die Anziehungskraft der Marktwirtschaft, d.h. des Kapitalismus, erhöht, insbesondere bei den Arbeiter*innen, die unter der grauen Austerität des Stalinismus leben.
Ostdeutschland stellt zudem einen Sonderfall unter den osteuropäischen Staaten dar: Angrenzend an die reichste kapitalistische Volkswirtschaft Europas, mit der sie bis 1945 einen einzigen Nationalstaat bildete, geriet die DDR unweigerlich unter den Druck des westdeutschen Kapitalismus, der stets den Wunsch hegte, sein Territorium im Osten zurückzufordern. Der Zusammenbruch des ostdeutschen Stalinismus und der Bankrott der reformistischen Parteien in der DDR boten den Anführer*innen des deutschen Kapitalismus eine historische Chance, die von Kohl ergriffen wurde. Von Anfang an wurden die Wahlen in Ostdeutschland zu einem Stellvertreter-Kampffeld für die westdeutschen Parteien. Die daraus resultierende große Koalition, die aus CDU, SPD und Freien Demokraten (den Stellvertretungen der westdeutschen Parteien) zusammengesetzt ist, wird es der Bonner Regierung ermöglichen, die Auflösung der DDR und die Eingliederung der wiederhergestellten östlichen Länder in die Bundesrepublik zu den Bedingungen der CDU durchzuführen.
Die Währungsunion wird voraussichtlich bis zum Ende des Sommers durchgesetzt und damit der Weg frei gemacht für den Beginn der Privatisierung von Staatsbetrieben und die Einführung des kapitalistischen Marktes. Die „Vier-plus-Zwei“-Gespräche zwischen den alliierten Mächten und den beiden deutschen Staaten, die im Mai beginnen sollen, werden den Weg für die vollständige Vereinigung ebnen.
Die triumphale Stimmung der westdeutschen Kapitalist*innen wird jedoch durch die Vorsicht seriöser Kommentator*innen gedämpft. Die „Financial Times“ beglückwünschte Kohl zu seinem „berühmten Sieg“ und warnte: „Es ist unwahrscheinlich, dass der vor ihm liegende Weg mit Rosen bestreut sein wird.“ Wahlsiege bieten keine magischen Lösungen für wirtschaftliche und soziale Probleme. Auch wenn die Mehrheit derzeit zur CDU geschwenkt ist, wird die Arbeiter*innenklasse kapitalistische Maßnahmen, die ihre Interessen bedrohen, nicht tatenlos hinnehmen. Die deutsche Einheit wird sich auch nicht als ungetrübter Segen für den Weltkapitalismus erweisen.
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Kohl wurde in Sachen Vereinigung viel schneller zum Handeln gedrängt, als er oder die Strateg*innen des Kapitals ursprünglich beabsichtigt hatten. Pöhl zum Beispiel, der Chef der Bundesbank, stellte sich die Vereinigung über fünf bis acht Jahre vor. Die Massenflucht, die sowohl die DDR als auch die Bundesrepublik zu destabilisieren drohte, zwang Kohl zum Handeln.
Im Jahr 1989 kamen über 300.000 Ostdeutsche nach Westdeutschland. Hinzu kamen weitere 300.000 aus der UdSSR und Osteuropa, hauptsächlich aus Polen. Darüber hinaus schätzte die Bonner Regierung, dass weitere 2 Millionen Ostdeutsche „auf gepackten Koffern“ saßen. Während die anfängliche Welle jugendlicher Migrant*innen in einigen Wirtschaftszweigen dringend benötigte Arbeitskräfte lieferte, drohte die Flutwelle zu explosiven sozialen Spannungen und einer politischen Gegenreaktion gegen die CDU-Regierung zu führen. Im Jahr 1990 verließen immer noch 2.000 Ostdeutsche pro Tag das Land. Bis Mitte Februar kamen weitere 100.000 hinzu.
Führende westliche Politiker*innen befürchteten, dass ein plötzlicher Zusammenbruch des DDR-Regimes zu einer weiteren Explosion wie in Rumänien führen könnte. Im britischen Parlament warnte der Tory-Minister David Howell, dass ein unkontrollierter Exodus „einen Strudel des Chaos bedeuten könnte … ein schwarzes Loch, das voller Gefahren sein könnte.“ (22. Februar)
Kohl beschloss, aus der Not eine Tugend zu machen. Im Februar legte er einen Zehn-Punkte-Plan für eine rasche Währungsunion und Vereinigung Deutschlands nach Artikel 23 des Grundgesetzes vor, der den Beitritt neuer Länder (wie 1957 des Saarlandes) zur Bundesrepublik ermöglicht.
Kohl erkannte den politischen Vorteil, sich bei den BRD-Wahlen im kommenden Dezember als „Einheitskanzler“ zu präsentieren. Gleichzeitig beginnen sich die Expansionsbestrebungen des deutschen Kapitalismus, die durch die politische Regelung der Nachkriegszeit, die der BRD die vollen politischen Früchte ihrer wirtschaftlichen Macht vorenthält, in Grenzen gehalten werden, wieder geltend zu machen. Die Vereinigung, so Karl Hahn, Chef von Volkswagen, sei „ein unvorstellbares Geschenk des Schicksals“.
Zu Beginn des Wahlkampfes schien es wahrscheinlich, dass die SPD (Ost) als größte Einzelpartei aus den Wahlen hervorgehen würde. Im weiteren Verlauf wurde die Wahl zu einer Volksabstimmung über die Frage der schnellen Vereinigung – und Kohl war entschlossen, das höchste Angebot zu machen. In Cottbus verkündete Kohl wenige Tage vor dem Urnengang: „Wir wollen, dass sie wissen, wenn die Währungsumstellung kommt, wird sie eins zu eins für sie sein.“ Damit ließ er vorsichtig offen, wie hoch die Obergrenze für eine eins-zu-eins-Umstellung sein würde. Aber wie der westdeutsche SPD-Vorsitzende Lafontaine sagte: „Sie hatten den Eindruck, dass, wenn sie Kohl wählen würden, das Geld fließen würde.“
Kohl beruhigte auch die Ostdeutschen: „Der Übergang zur Marktwirtschaft ist kein Grund zur Angst, denn Marktordnung und soziale Sicherheit sind in unserem Denken untrennbar miteinander verbunden.“ Während des gesamten Wahlkampfes betonte die CDU im Osten den sozialen Aspekt der Marktwirtschaft. „Selbst eine Partei der Rechten, die um ostdeutsche Wählerstimmen konkurriert“, kommentierte das „Wall Street Journal“ (13. März), „ist nicht bereit, die sozialistische Vergangenheit des Landes völlig aufzugeben.“
Kohl sprach auf sechs Großkundgebungen, die größer waren als die der SPD. Selbst der Redakteur der konservativen westdeutschen Zeitung „Die Welt“ war erstaunt über die bemerkenswerte Verwandlung des „manchmal stolpernden, oft strauchelnden, ständig nuschelnden“ Politikers in einen Volkshelden. Kohl mag zwar Charisma fehlen, aber „er war der Chef einer Regierung, die ihren Bürgern einen der höchsten Lebensstandards der Welt beschert hatte.“ („Financial Times“. 20. März) Angesichts des Zusammenbruchs des verrotteten stalinistischen Regimes der DDR und des Zusammenbruchs der Wirtschaft sah ein großer Teil der Wähler*innenschaft in der Vereinigung den einzigen Weg zu einem höheren Lebensstandard.
„Wir erkennen jetzt, dass die Wirtschaft der DDR wirklich verrottet ist – und alle haben uns darüber getäuscht“, sagte ein junger Kranführer („Wall Street Journal“, 19. März). Er habe CDU gewählt, „weil das die Partei ist, die die Vereinigung so schnell wie möglich verwirklichen wird“. „Was würden Sie vorziehen? Einen langen, qualvollen Tod oder ein schnelles Ende? Ich bevorzuge das Letztere“, kommentierte ein Bürokrat.
Bei Kohls Kundgebung in Magdeburg sagte ein Mann: „Wir haben 40 Jahre Sozialismus (d.h. Stalinismus) hinter uns. Wir haben genug. Helmut ist unser Mann.“ („Sunday Times“, 11. März) Zu Beginn des Wahlkampfs waren etwa 40 % der Wähler*innen unentschlossen. Die konservative Allianz (die CDU plus die Deutsche Soziale Union und der Demokratische Aufbruch) gewann die Unterstützung der meisten dieser „Wechselwähler*innen“.
Vor allem im Süden, in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt (SPD-Hochburgen vor dem Naziregime), entschieden sich die Arbeiter*innen für Kohl. In den Wahlbezirken Dresden, Erfurt, Gera, Suhl und Karl-Marx-Stadt lagen die Wahlergebnisse für die Allianz bei rund 60 Prozent, für die SPD bei unter 20 Prozent und für die PDS bei unter 15 Prozent. Einer Umfrage zufolge stimmten landesweit 58 Prozent der Arbeiter*innen für die Allianz. Nach vier Jahrzehnten eines grauen, bedrückenden, bürokratischen „Sozialismus“ haben die Arbeiter*innen ihr Urteil auf der Grundlage der miserablen praktischen Ergebnisse des Systems gefällt. Die Industriearbeiter*innen im Süden haben noch schlechtere Bedingungen erfahren als in Berlin und in den Städten des Nordens.
Was ist mit der SPD passiert? „Wir sind zweifellos die größten Verlierer dieser Wahl“, räumte Markus Meckel, der Vorsitzende der SPD (Ost), ein. Die SPD verlor jedoch mit 21,84 % der Stimmen, weil ihre Führung keine echte Alternative zur CDU bot. Seit ihrer Gründung im vergangenen Jahr hat die Sozialdemokratische Partei [SDP], obwohl sie sich von der SPD abzugrenzen versuchte, eine pro-kapitalistische Position eingenommen. Schnell wurde die Partei im Osten jedoch zur Klientin ihrer reichen westlichen Patronin und änderte ihren Namen in SPD. Sie befürwortet die Vereinigung auf kapitalistischer Grundlage, plädiert aber für einen langsameren Weg, der sich auf Artikel 146 des Grundgesetzes der BRD stützt, was eine Vereinigung auf der Grundlage einer neuen Verfassung bedeuten würde. Während Kohl also den schnellen Weg anbot, erschien die SPD als die Partei der „Wenns“ und „Abers“.
Bis vor kurzem lehnte die SPD im Westen eine Vereinigung ab. Brandt, Schmidt und andere SPD-Chef*innen haben nie eine Vereinigung auf sozialistischer Grundlage gefordert. Im Gegenteil, über viele Jahre hinweg verfolgte die Führung eine Politik der Annäherung an das stalinistische Regime, und die SPD-Führung knüpfte enge Beziehungen zu Honecker und anderen diskreditierten KP (SED)-Führer*innen. Dennoch erhielt die SPD Unterstützung von vielen, die befürchteten, dass die Vereinigung und der Markt das soziale Netz der DDR untergraben würden, obwohl ein Teil der Unterstützung an die PDS, die umbenannte Kommunistische Partei, verloren gegangen zu sein scheint.
„Das war ein Sieg für die Blockparteien“, kommentierte Willy Brandt, der ehemalige SPD-Kanzler, der auf großen Kundgebungen im Osten sprach, kläglich. Die CDU (Ost) war lange Zeit eine Handlangerin der SED in der stalinistischen „Koalitionsregierung“ gewesen. Wolfgang Schnur, der Chef des Demokratischen Aufbruchs, musste zurücktreten, nachdem seine Verbindungen zur Stasi aufgedeckt worden waren. Als Lothar de Maiziere im November letzten Jahres den CDU-Vorsitz übernahm, löste er Gerald Götting ab, der nun wegen Korruption vor Gericht steht. Doch die schmutzige Vergangenheit der konservativen Spitzenpolitiker*innen im Osten ist wie ein kleiner Fleck im Abwasser, der von der politischen Flut weggespült wird. Die Wähler*innen stimmten mit überwältigender Mehrheit auf der Grundlage der aktuellen Vorschläge der Parteien für die unmittelbare Zukunft und nicht auf der Grundlage einer Bewertung ihrer Vergangenheit ab.
Die massenhafte Abscheu gegen den Stalinismus, der die Vorstellung des Volkes vom Sozialismus vergiftet hat, bedeutete, dass die SPD unter dem litt, was Willy Brandt als „unfaire Vergleiche zwischen dem Kommunismus (d.h. dem Stalinismus) und der Sozialdemokratie“ bezeichnete. („Financial Times“, 19. März) Die konservative Allianz spielte mit weit verbreiteten Ängsten, die SPD könnte der SED-Führung ein Mittel bieten, einen Weg zurück an die Macht zu finden. Die CDU erhielt den Löwenanteil der geschätzten 20 Millionen DM, die Berichten zufolge in den Wahlkampf geflossen sind. („Wall Street Journal“, 19. März) Fast täglich produzierte ihre Propagandamaschine anonyme Flugblätter, in denen behauptet wurde, die SPD werde von ehemaligen Kommunist*innen dominiert. „Viele Kommunisten haben ihr Kleines Rotes Buch weggeworfen und sind in die SPD eingetreten, in der Hoffnung, ihre privilegierte Stellung zu retten“, sagte ein Mann mittleren Alters aus Bitterfeld. „Ich habe Angst, dass sie einfach eine Koalition mit den Kommunisten eingehen und alles wieder von vorne losgeht. Ich wähle christdemokratisch, damit das nicht passiert.“ („Sunday Times“, 11. März)
Bündnis 90, die linke Koalition aus Neuem Forum, Demokratie Jetzt und der Initiative für Frieden und Menschenrechte, erhielt nur 2,9 Prozent der Stimmen. Die Anführer*innen des Neuen Forums wurden ohne viel Federlesens von den Stellvertretungen der großen westdeutschen Parteien beiseite geschoben. Während Havel in Prag Präsident und Kuroń in Warschau Arbeitsminister ist, sind die Intellektuellen, die durch die Massendemonstrationen des letzten Jahres ins Rampenlicht gerückt waren, in die Bedeutungslosigkeit zurückgefallen.
Jan Peter, Redakteur der Leipziger „Anderen Zeitung“, erinnerte sich nostalgisch an die berauschenden Tage der Massendemonstrationen, „als wir dachten, wir könnten hier einen eigenen demokratischen, aber sozialistischen Staat haben.“ („Correspondent“, 18. Februar) Die Schriftsteller*innen, Künstler*innen und Intellektuellen, die sich in vielen Fällen mutig gegen das Honecker-Regime gestellt hatten, waren nicht in der Lage, der Bewegung eine Richtung zu geben. Ludwig Mehlhorn räumte ein: „Als die Kommunisten fielen, gab es ein Machtvakuum. Wir waren nicht in der Lage, es zu füllen, also sprangen die Westdeutschen ein“. („Independent“, 17. März) Sie riefen zu einer „alternativen“ sozialistischen Gesellschaft auf, aber sie hatten kein Verständnis für den Charakter der Bürokratie, die eine herrschende Elite ist, eine soziale Schicht, die auf materiellen Privilegien beruht.
Das Neue Forum forderte vage eine Demokratisierung. Einige glaubten, dass sie den Stalinismus durch eine „benutzerfreundliche“ Form des Sozialismus ersetzen könnten, ohne die Bürokratie zu stürzen. Viele der führenden Unterstützer*innen des Neuen Forums behaupteten zwar, den Sozialismus zu verteidigen, unterstützten aber in Wirklichkeit die Einführung des Marktes. Jetzt geben die Intellektuellen den Arbeiter*innen die Schuld für das Entgleisen der Revolution. „Es ist der Triumph des Geldes über die Ideologie“, kommentierte der ostdeutsche Schriftsteller Thomas Brasch. „Die Menschen in Ostdeutschland sind aufgestanden – und zu Woolworth gegangen“, sagte Rainer Pietsch: „Sobald die Grenze offen war, war die Revolution vorbei. Die Menschen gingen nach Westdeutschland und waren wie gebannt. Es hieß nicht mehr ,Wir sind das Volk‘, sondern ,Wir sind ein Volk‘. Die Vereinigung erschien plötzlich als die Antwort auf ihre Träume.“ Aber die Revolution nahm diese Richtung aufgrund der Schwäche des subjektiven Faktors, des politischen Bewusstseins der Arbeiter*innenklasse, und des Fehlens einer auf dem Marxismus basierenden Partei. Die Anführer*innen des Neuen Forums geben zwar den Arbeiter*innen die Schuld, gestehen aber ihren eigenen politischen Bankrott ein. Es gab keine Partei, die in der Lage gewesen wäre, das Programm der Arbeiter*innendemokratie zu vertreten, für die Perspektive der politischen Revolution zu kämpfen oder die Forderung nach der sozialistischen Vereinigung Deutschlands aufzuwerfen.
Die politische Revolution, die in den Massendemonstrationen des letzten Jahres begann, hat daher einen schweren Rückschlag erlitten. Die Arbeiter*innen und Jugendlichen erhoben sich gegen das totalitäre Regime Honeckers. Das Regime wurde gestürzt, und durch die Intervention der Arbeiter*innen von unten wurde die Stasi aufgelöst und die Korruption aufgedeckt und ausgemerzt. Die Arbeiter*innen bildeten Komitees in den Betrieben und begannen, die demokratische Kontrolle in die eigenen Hände zu nehmen.
Doch in Ermangelung einer klaren Alternative untergrub der Zusammenbruch des stalinistischen Regimes in Verbindung mit dem überwältigenden Eindruck des Wohlstands in Westdeutschland die Bewegung hin zur politischen Revolution. Die spontane Masseninitiative auf der Straße verpuffte. Mit den raschen Schritten zu Wahlen im Osten wurde die Bewegung auf die Wahlebene umgeleitet. Die Mehrheit der Arbeiter*innen, die verzweifelt nach einem Ausweg aus der stalinistischen Sackgasse suchte, wandte sich trotz der Skepsis einiger bewussterer Schichten den westdeutschen Parteien zu, in der Hoffnung, dass diese den Fortschritt in Richtung des westdeutschen Wohlstandsniveaus beschleunigen könnten.
Die Partei, die die DDR regierte und ihre „sozialistischen“ Errungenschaften verteidigte, die Kommunistische Partei, ehemals Sozialistische Einheitspartei (SED) und jetzt umbenannt in Partei des Demokratischen Sozialismus, erhielt lediglich 16,33 % der Stimmen. Das war zugegebenermaßen mehr als die vorhergesagten 12 Prozent! Ihr höchstes Ergebnis erzielte sie in Ost-Berlin, wo sie 29,97 Prozent der Stimmen erhielt und damit an zweiter Stelle hinter der SPD lag, die 34,95 Prozent der Stimmen erhielt (die CDU und ihre Verbündeten erhielten in Ost-Berlin nur 21,62 Prozent der Stimmen). Vor allem in Berlin, dem Zentrum eines gewaltigen bürokratischen Apparats, spiegelte das Votum für die PDS die Loyalität eines großen Teils der Staats- und Parteibürokratie sowie die anhaltende Unterstützung durch Intellektuelle wider, deren Positionen von der verstaatlichten Wirtschaft und den staatlichen Institutionen abhängen. Ein kleiner Teil der Arbeiter*innen hat für die PDS gestimmt, weil sie in ihr die beste Verteidigung gegen die Privatisierung der Industrie und den Abbau von Sozialleistungen sahen. Dennoch ist ein solches Votum eine monumentale Verurteilung der Bilanz der Stalinisten.
Die neue Führung unter Gysi präsentiert sich nun als bereit, die Rolle einer loyalen Opposition unter einer kapitalistischen Regierung zu spielen. Doch vierzig Jahre lang haben sie ein privilegiertes Leben auf dem Rücken der Arbeiter*innen geführt. Ihre bürokratischen Methoden diskreditieren die Idee des Sozialismus. Letztlich waren es die stalinistischen Führer*innen, die die ostdeutschen Arbeiter*innen – für den Moment – in die Hände der westdeutschen Parteien des Kapitalismus lieferten.
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Kann eine Vereinigung in irgendeiner Weise als ein Fortschritt vom Standpunkt der Arbeiter*innenklasse aus betrachtet werden? Immerhin haben Marx und Engels die deutsche Einigung unter Bismarck als einen Fortschritt begrüßt. Bismarck handelte als Bonapartist und stützte sich auf die reaktionären Junker-Grundbesitzer. Dennoch zerstörten seine Maßnahmen viele der feudalen Überbleibsel und bereiteten den Boden für die Entwicklung des Kapitalismus. Dies wiederum bedeutete das Wachstum eines Industrieproletariats, das günstigere Bedingungen für den Kampf um den Sozialismus schuf.
Die Vereinigung unter Kohl ist jedoch ein Rückschritt. Marxist*innen unterstützen das Selbstbestimmungsrecht. Aber das Selbstbestimmungsrecht kann nicht von den beteiligten konkurrierenden Klassenkräften getrennt werden. Von wem wird die Vereinigung durchgeführt? In wessen Interesse? Und welche Konsequenzen werden für die Arbeiter*innenklasse folgen? Vereinigung ist kein transzendentales Gut, das es erlaubt, diese Fragen zu ignorieren.
Leo Trotzki schrieb 1939 (mit Bezug auf die Ukraine): „Das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung ist natürlich ein demokratisches und kein sozialistisches Prinzip. Da jedoch die Prinzipien wahrer Demokratie in unserer Epoche nur vom revolutionären Proletariat unterstützt und verwirklicht werden, sind sie mit den sozialistischen Aufgaben eng verknüpft.“ (Trotzki, Writings 1939-40, S. 45)
Zuvor hatte Trotzki im Zusammenhang mit dem Saargebiet die Führung der deutschen KP scharf kritisiert, die anfangs für ein „Ja“ zur Vereinigung mit Deutschland plädierte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde dieses deutsche Gebiet dem Völkerbund unterstellt, wobei Frankreich als eine Form von Kriegsreparationen die Kontrolle über die Kohlebergwerke erhielt. Über seine Zukunft sollte in einer für 1935 angesetzten Volksabstimmung entschieden werden. Bis dahin waren jedoch die Nazis an die Macht gekommen, und die Forderung nach der Rückgabe der Saar war ein herausragendes nationalistisches Element in Hitlers demagogischem Programm.
„Sich zu Hitlerdeutschland praktisch, d.h. durch Entscheid zu bekennen“, schrieb Trotzki, „heißt theoretisch gesprochen den nationalen Mystizismus über das Klasseninteresse stellen und psychologisch eine wirklich hündische Politik treiben.“ (Writings 1933-34, S. 135)
Die heutige Bundesrepublik ist natürlich kein faschistischer Staat wie der Hitlers; die Arbeiter*innenklasse besitzt noch demokratische Rechte. Dennoch wird eine Vereinigung unter den gegenwärtigen Umständen durch eine kapitalistische Konterrevolution erfolgen, auch wenn sie eine demokratische Form annimmt, indem parlamentarische und gewerkschaftliche Rechte auf den Osten ausgedehnt werden. Sie wird dazu führen, dass die verstaatlichte Planwirtschaft Ostdeutschlands durch die Herrschaft der Großbanken und Monopole und die Anarchie des Marktes ersetzt wird. Dies wird ein historischer Rückschritt sein. Die Planwirtschaft stellt trotz des Stalinismus immer noch ein Fortschritt gegenüber dem Kapitalismus dar. Die planmäßige Produktion unter demokratischer Leitung bleibt das einzige Mittel, mit dem das Proletariat die Kontrolle über die Gesellschaft in die eigenen Hände nehmen kann.
In den vergangenen Jahren hat die Bürokratie die Errungenschaften der Planwirtschaft vergeudet. Die Vorteile des Plans gegenüber dem Marktsystem, insbesondere im Vergleich zu Westdeutschland, scheinen weitgehend zunichte gemacht worden zu sein. Eine Bewertung der aktuellen Ergebnisse der Planung, d.h. der tatsächlichen wirtschaftlichen Bilanz der Bürokratie, ist für die unter einem stalinistischen Regime lebenden Arbeiter*innen natürlich von entscheidender Bedeutung. Aber das ist nicht dasselbe wie die Bewertung des historischen Potenzials der zugrunde liegenden Eigentumsverhältnisse und Produktionsweise.
Die Vereinigung wäre nur dann fortschrittlich, wenn sie die Planwirtschaft mit der Hinzufügung von Arbeiter*innendemokratie auf ganz Deutschland ausdehnen würde. Dies würde eine Kombination aus politischer Revolution im Osten und sozialer Revolution im Westen erfordern. In der DDR würde die Bürokratie durch die demokratische Herrschaft der Arbeiter*innenklasse ersetzt werden. In der BRD wäre eine grundlegende Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse erforderlich, wobei der Kapitalismus durch eine Planwirtschaft unter demokratischer Verwaltung und Kontrolle ersetzt werden müsste. Die verbundenen Ressourcen von Ost- und Westdeutschland würden dann die Grundlage für einen beispiellosen sozialen Fortschritt bilden. Die schöpferische Kraft der Arbeiter*innenklasse würde wie nie zuvor erschlossen werden. Eine solche Transformation wäre zudem nicht auf das vereinigte Deutschland beschränkt, sondern würde sowohl auf den kapitalistischen Westen als auch auf den stalinistischen Osten übergreifen.
Deshalb stehen Marxist*innen für die sozialistische Vereinigung Deutschlands durch die Arbeiter*innenklasse. Eine Vereinigung durch die Kapitalist*innenklasse, selbst unter den jetzt bestehenden demokratischen Bedingungen, wird unweigerlich reaktionäre Folgen für das Proletariat haben.
Heute wird die Planwirtschaft der DDR nicht nur von kapitalistischen Kommentator*innen, sondern auch von den demoralisierten stalinistischen Anführ*innen als völlig negatives Phänomen dargestellt. Die Spitzenbürokrat*innen selbst haben das Vertrauen in ihre Fähigkeit verloren, die Gesellschaft auf der Grundlage der Planung zu führen. Zum Beispiel sagte der Chef von Mikroelektronik, einem der modernsten Staatsbetriebe, vor dem 18. März, dass er die Vereinigung und den Markt (Kapitalismus) dem „Chaos der Unsicherheit“ vorziehe. Nach den Ergebnissen begrüßte der Chef von Robotron, des größten Elektronikkombinats, die Mehrheit der CDU. „Wir (das Robotron-Management) glauben, dass dies das günstigste Ergebnis ist, das sich das Kombinat erhoffen konnte.“ („Financial Times“, 20. März) Für die Arbeiter*innen, so räumte der Mikroelektronik-Chef ein, würde der Markt „unvermeidliche soziale Härten“ bedeuten. Die Bürokrat*innen hingegen konnten es sich leisten, eine positivere Sichtweise einzunehmen, denn viele von ihnen hatten sich bereits Arbeitsplätze bei großen westdeutschen Unternehmen gesichert. In ihrem Bericht über die Leipziger Messe stellte die „Financial Times“ (12. März) viele „neue Masken tragende alte Gesichter“ fest.
Doch trotz der Bürokratie bedeutete der Plan für zwei oder drei Jahrzehnte sozialen Fortschritt. Bis zu den frühen 1970er Jahre wurden die Grundlagen für eine moderne, industrielle Wirtschaft gelegt. Die Industrieproduktion stieg zwischen 1950 und 1975 um das Siebenfache (um 71 % zwischen 1961-70 und um 38 % zwischen 1971-75). „Mitte der 1970er Jahre“, schreibt Martin McCauley in „The DDR since 1945“, „war die DDR eine moderne Industriegesellschaft. Die Dominanz der Industrie, der Anstieg der Fähigkeiten und Qualifikation der Arbeitskräfte, insbesondere die wachsende Zahl der Universitäts- und Fachhochschulabsolventen, kündigten eine Zukunft an, in der immer mehr vom wissenschaftlich-technischen Fortschritt zu erwarten war.“
Selbst beim Lebensstandard der Arbeiter*innen, der sich nicht mit einem einzigen Maßstab messen lässt, gab es erhebliche Fortschritte. Die Beschäftigung war für die Arbeiter*innen, einschließlich der großen Mehrheit der Frauen, garantiert. Die Mieten waren niedrig und betrugen weniger als fünf Prozent des Durchschnittseinkommens. Eine umfassende Kinderbetreuung und -erziehung wurde entwickelt, und selbst kapitalistische Kommentator*innen sind gezwungen, die Qualität und den Umfang der Sozialleistungen der DDR anzuerkennen, auch wenn sie sich in letzter Zeit verschlechtert haben.
Die Wertschätzung der Arbeiter*innen für diese Errungenschaften wurde jedoch in den letzten Jahren durch das knappe Angebot und vor allem die schlechte Qualität der Konsumgüter zunichte gemacht. Dies wurde durch den Kontrast zu dem scheinbaren Überfluss an allen modernen Konsumgütern in Westdeutschland deutlich hervorgehoben. Die materiellen Frustrationen wurden durch das Ausbleiben von Fortschritten auf dem Weg zu einer egalitären, demokratischen Gesellschaft, die von der Bürokratie ständig versprochen wurde, noch verschärft. Die Grauheit, die lähmende Konformität und die Hoffnungslosigkeit des „real existierenden Sozialismus“ führten zu einer immer stärkeren Entfremdung vom stalinistischen System.
Hintergrund des Zurückfallens im Bereich der Konsumgüter und Dienstleistungen war die Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Die Bürokratie konnte die verstaatlichte Wirtschaft nur bis zu einem gewissen Punkt vorantreiben. Sie war in der Lage, die Schwerindustrie und Massenproduktionseinheiten aufzubauen. Aber mit fortgeschrittener Technologie und anspruchsvolleren modernen Prozessen kann sie nicht umgehen. Nur die – für die Bürokrat*innen tödliche – Arbeiter*innendemokratie konnte die notwendigen Verwaltungs- und Kontrollmethoden bereitstellen.
Die Öffnung der Mauer am 9. November, die den Sirenengesang des opulenten westlichen Verbrauchermarktes mega-verstärkte, fiel mit der vollen Entlarvung der Fäulnis der Bürokratie zusammen. Die wirtschaftliche Lage war noch schlimmer, als sie zunächst erschienen war. Das Regime hatte die Krise bis zu einem gewissen Grad durch immer höhere Auslandskredite hinausgezögert, die nun etwa die Hälfte der Exporterlöse der DDR in harter Währung in kapitalistische Länder absorbieren. Die Arbeiter*innen waren fassungslos über das Ausmaß der Privilegien und der Korruption der Spitzenbürokrat*innen, die zuvor weitgehend verborgen waren. Die obersten Parteiführer*innen genossen die gleichen exklusiven Jagdschlösser, die bis 1944 von führenden Nazis genutzt wurden. Andere häuften Vermögen in harter Währung auf ausländischen Bankkonten an. Auch das groteske Ausmaß der Überwachung durch die Stasi, die zur Sicherung der Macht und der Privilegien der Bürokratie eingesetzt wurde, kam ans Licht. Fast 200.000 Menschen, d.h. mehr als jeder Hundertste in der Bevölkerung, waren angeblich entweder hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter*innen oder Spitzel*innen gegenüber ihren Nachbar*innen oder Arbeitskolleg*innen.
Die Ereignisse im Oktober und November letzten Jahres haben erschüttert, was von der Unterstützung der Arbeiter*innen für die stalinistische Fälschung des Sozialismus übrig war. Außerdem verpuffte die Angst vor dem Staat auf den Straßen, da die Jugendlichen und Arbeiter*innen zunehmend ihre eigene Macht spürten. Aber die Abwesenheit einer echten marxistischen Alternative hat eine tiefgreifende Hinwendung zur Idee der „Marktwirtschaft“ (in Wirklichkeit des Kapitalismus) als Antwort auf die Probleme der Arbeiter*innen ermöglicht. Dies beruht zweifelsohne auf tiefgreifenden Illusionen in den Kapitalismus. Doch wenn Illusionen Millionen Menschen beherrschen, werden sie zu einem materiellen Faktor in der Lage. Sie haben sich aufgrund der extremen Schwäche des subjektiven Faktors, der Abwesenheit der echten Ideen des Marxismus, durchgesetzt.
Die derzeitigen Illusionen in den Kapitalismus haben jedoch ihre materiellen Wurzeln in der gegenwärtigen internationalen Konstellation, die vorübergehend ist. Der langsame Verfall und jüngste plötzliche Zusammenbruch der stalinistischen Regime fiel mit einer scheinbaren Wiederbelebung des Kapitalismus zusammen. Der Nachkriegs-Wirtschaftsaufschwung seit 1945 hat die Bundesrepublik zur stärksten europäischen Volkswirtschaft gemacht, die mit Japan konkurriert und zu den Vereinigten Staaten aufgeschlossen hat. Der Boom seit 1981 hält noch immer an, vor allem in Westdeutschland. In den Vereinigten Staaten und Großbritannien verlangsamt sich das Wachstum, und der weltweite Boom wird sich in den nächsten Jahren erschöpfen. Die westdeutsche Wirtschaft wird nicht immun gegen die Krise sein, die sich in der Weltwirtschaft anbahnt. Dennoch scheint der westdeutsche Kapitalismus vorerst zu gedeihen. Dies hat eine mächtige Wirkung auf das Bewusstsein der ostdeutschen Arbeiter*innen.
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Die sofortige Vereinigung durch Anschluss erscheint derzeit als der schnellste Weg zu einem höheren Lebensstandard. Grundlegende Befürchtungen hinsichtlich der Arbeitslosigkeit und der sozialen Sicherheit wurden zugunsten von Kohls optimistischeren Versprechungen beiseite geschoben. Aber in den kommenden Monaten und Jahren werden die Versprechungen des Wahlkampfes auf den Prüfstand gestellt werden.
Alle seriösen Kommentator*innen, ob in West oder Ost, sind sich einig, dass Millionen von Arbeitsplätzen vernichtet werden. „Die Arbeitslosigkeit in Ostdeutschland – derzeit schätzungsweise 70.000 – wird wahrscheinlich erheblich steigen, wenn die maroden und ineffizienten Unternehmen des Landes der vollen Wucht des Wettbewerbs ausgesetzt werden.“ („Financial Times“, 20. März) Voigt, Chef des DDR-Autokonzerns IFA, warnte, dass 60 bis 70 % der Belegschaft ihren Arbeitsplatz verlieren könnten. Joachim Lezock, Chef des Kombinats Schuhe, sagte auf der Leipziger Messe voraus, dass es während des „Übergangs“ zur Wirtschaftsunion mit der BRD 4 bis 5 Millionen Arbeitslose geben werde. Er wies darauf hin, dass die staatlichen Einzelhandelsorganisationen der DDR bereits auf westdeutsche Produkte umstellten und die Kombinatsmitarbeiter*innen „regelmäßige Demonstrationen“ abhielten. („Financial Times“, 14. März)
Die Umstellung der Lohnsätze auf DM zum Kurs von eins zu eins oder auch nur eins zu zwei könnte das Einkommensniveau der ostdeutschen Arbeiter*innen erhöhen. Aber die Großkonzerne wollen im Osten investieren, um die billigen, aber relativ qualifizierten Arbeitskräfte auszubeuten: und „angesichts der relativ niedrigen Produktivität in Ostdeutschland bedeutet ein westdeutscher Lebensstandard für einige mit großer Wahrscheinlichkeit Arbeitslosigkeit für viele andere.“ („Financial Times“, 17. März) Die hohe Arbeitslosigkeit im Osten wird von den Kapitalist*innen genutzt werden, um das Lohnniveau sowohl im Osten als auch im Westen niedrig zu halten.
Kohl hat im Wahlkampf versprochen, dass die soziale Absicherung nach der Vereinigung erhalten bleiben soll. Die Bundesregierung hat Zuschüsse für Renten und Arbeitslosengeld zugesagt. Aber in welchem Umfang und für wie lange? Kurz nach der Wahl warnte Volkswagen-Chef Hahn vor „ehrgeizigen ostdeutschen Forderungen nach einer Sozialcharta, die sozialistische Ideen für garantierte Arbeit und Wohnungen, Betriebskindergärten und Kantinen schützt.“ („Wall Street Journal“, 22. März)
Der Fluchtweg in den Westen wird derweil immer mehr verschlossen. Unmittelbar nach dem ostdeutschen Wahlergebnis haben einige Städte und Bundesländer damit begonnen, die Sozialleistungen für Migrant*innen aus dem Osten einzustellen. „Wenn die Übergangslager geschlossen werden“, kündigte der Oberbürgermeister von Hannover an, „wird klar, dass die Aussiedler wie Obdachlose zu behandeln sind. Sie müssen dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen sind.“ („Wall Street Journal“, 21. März) Die Freiheitsevangelisten, die früher die Berliner Mauer anprangerten, sind jetzt durchaus bereit, administrative und wirtschaftliche „Mauern“ einzusetzen, um Arbeiter*innen zurück in den Osten zu zwingen. Bremen weist Ostdeutsche ab, während das Saarland jegliche Sozialhilfe eingestellt hat. Beschämenderweise hat sich der SPD-Vorsitzende Lafontaine an die Spitze des Chors gestellt, der Maßnahmen gegen die Abwanderung ostdeutscher Arbeiter*innen in den Westen fordert.
Wenn die kapitalistischen Realitäten sie treffen, werden die Arbeiter*innen, die die Honecker-Diktatur zu Fall gebracht haben, gezwungen sein, erneut in Aktion zu treten, um ihre Interessen zu verteidigen. Millionen von Arbeiter*innen werden ihre Unterstützung des kapitalistischen Anschlusses bereuen. Selbst die „Financial Times“ (10. März) warnte nüchtern: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitslosigkeit, Mieten, Preise und soziale Unruhen in Ostdeutschland zunehmen werden, wird die Vereinigung zunehmend unpopulär machen.“
Schon jetzt macht die Bundesregierung einen Rückzieher von Kohls Versprechen, die Ost-Mark eins zu eins in D-Mark umzutauschen. Bereits wenige Stunden nach dem Wahlergebnis warnte Bundesbankpräsident Pöhl, dass die 1:1-Umstellung auf Ersparnisse bis 2.000 Ost-Mark beschränkt sei. BRD-Finanzminister Waigel erklärte unverblümt, die 1:1-Umstellung könne nicht für Löhne und Renten gelten. „Wir dürfen den Unternehmenssektor“, sagte er („Financial Times“, 29. März), „nicht mit zu vielen Schwierigkeiten belasten, wenn er versucht, in der Marktwirtschaft einen Anfang zu machen.“
Anzeichen für einen Rückzieher bei der 1:1-Umstellung lösten im Osten wütende Massenproteste aus. Über 100.000 Menschen nahmen in Ost-Berlin und anderswo an Demonstrationen teil, zu denen die Gewerkschaften aufgerufen hatten und die mit der Eröffnungssitzung des neu gewählten Parlaments zusammenfielen. Angesichts dieses Aufruhrs und der Proteste auch der ostdeutschen Parteien gab die Bonner Regierung versöhnliche Erklärungen ab. Es scheint jetzt wahrscheinlich, dass Ersparnisse bis mindestens 4.000 Ost-Mark sowie Renten und Löhne im Verhältnis 1:1 umgerechnet werden. Die Preise werden jedoch rasch steigen, und die hohe Arbeitslosigkeit dürfte das Lohnniveau drücken. Die Schulden der öffentlichen Hand werden im Verhältnis 2:1 umgewandelt, so dass die Hälfte der Inlandsschulden der DDR erlassen werden – das senkt die Kosten der Privatisierung.
Kohl drängte den CDU-Chef im Osten, de Maiziere, eine „große Koalition“ einschließlich der Sozialdemokrat*innen zu bilden. Dies sollte „die Risiken streuen, die sich aus unpopulären Wirtschaftsmaßnahmen wie Subventionskürzungen ergeben könnten.“ („Financial Times“, 20. März) Zunächst lehnte die SPD-Spitze den vergifteten Kelch ab. Nachdem sie sich jedoch mehrere Tage lang geziert hatten, traten sie der neuen Regierung bei.
Aber bedeutet der Erfolg der CDU, dass der Osten nun eine sichere Unterstützungsbasis für die Christdemokrat*innen sein wird? Das Votum für die Vereinigung, so kommentierte die „Financial Times“ (19. März), „überschätzt mit ziemlicher Sicherheit das wahre Ausmaß der Unterstützung in Ostdeutschland für die großen konservativen Gruppierungen“. Ähnlich äußerte sich das „Wall Street Journal“ (20. März): „Es ist natürlich gut möglich, dass die Ostdeutschen, die dieses Mal für die Konservativen gestimmt haben, später wieder nach links abbiegen.“
Die Wahlen zu gewinnen, dürfte für Kohl der einfachste Schritt sein. Die westdeutschen Kapitalist*innen sind weit davon entfernt, fertige Lösungen für alle Probleme zu haben, mit denen sie jetzt konfrontiert sind. Die zugrunde liegende Unsicherheit zeigte sich in der Reaktion der Finanzmärkte auf die Wahlergebnisse. Die Börse stieg, was den Optimismus über Investitionen und Gewinne im Osten widerspiegelt. Der Anleihemarkt hingegen, der die Aussichten für die Staatsfinanzen widerspiegelt, ging zurück, was die Befürchtungen der Anleger*innen über höhere Staatsausgaben und die Gefahr einer Inflation widerspiegelt.
Vor den Wahlen waren die Banken und das Großkapital bereit, im Osten zu investieren. Ostdeutschland wird nicht nur als eigenständiges Investitionsfeld gesehen, sondern auch als Brücke zum Markt Osteuropas (140 Millionen) und der UdSSR (280 Millionen) – „eine Art Megamarkt ohnegleichen“, wie VW-Chef Hahn es ausdrückte. („Financial Times“, 23. Januar) Hahn sagte, dass die gemeinsame Entwicklung der Autoproduktion im Osten zwischen VW und der staatlichen IFA in den nächsten Jahren Investitionen in Höhe von 5 Mrd. DM erfordern würde, von denen VW den größten Teil aus seinen eigenen Barreserven und Gewinnen aufbringen würde. Ein Sprecher des Bundes Deutscher Börsen („Wall Street Journal“, 20. Februar) sagte, dass „Schätzungen zufolge in kurzer Zeit Beträge von bis zu 500 Mrd. DM (etwa 300 Mrd. $) nach Ostdeutschland fließen würden“.
Es wird jedoch noch einige Zeit dauern, bis sich das Großkapital zu rentieren beginnt. Es wird fünf Jahre dauern, bis neue Projekte, seien es Joint Ventures oder Direktinvestitionen, beginnen, „echte Gewinne zu erwirtschaften“. Hahn gab zu, dass sich die derzeitigen Projekte noch in der „Vormachbarkeitsstufe“ befänden. Echte Unternehmen würden 1993 entstehen und „vielleicht 1996 beginnen, Gewinne zu erwirtschaften.“ („Financial Times“, 15. Januar)
Doch wie wird 1996 der Zustand der Weltwirtschaft sein? Wenn der weltweite Boom anhalten würde, könnten die Kapitalist*innen reiche Gewinne einfahren. Der Boom erschöpft sich jedoch: alle Voraussetzungen für eine neue Krise werden vorbereitet. Westdeutschland wird sich trotz seines enormen Handelsüberschusses den Auswirkungen einer weltweiten Rezession nicht entziehen können. Sollte es innerhalb der nächsten fünf Jahre zu einem Abschwung kommen, könnten die westdeutschen Kapitalist*innen feststellen, dass sie enorme Investitionen getätigt haben, aber nicht in der Lage sind, die von ihnen erwarteten Gewinne zu erzielen. Anstatt den Aufschwung zu verlängern, werden die enormen Ausgaben des westdeutschen Kapitalismus im Osten also wahrscheinlich auf sie zurückfallen und die Krise weiter verschärfen.
Die Leiter*innen des westdeutschen Kapitalismus erkennen an, dass das Aufsaugen des Ostens enorme Kosten verursachen wird, insbesondere für den westdeutschen Staat. Nach Angaben des Wirtschaftsinstituts RWI in Essen belaufen sich die Gesamtkosten für die öffentlichen Haushalte in den nächsten Jahren auf 35 Mrd. DM pro Jahr. Das Bonner Arbeitsministerium schätzt, dass die sozialen Kosten (z.B. für das Garantieren von Arbeitslosengeld und Renten) 15 Mrd. DM pro Jahr sein werden.
Es gibt sehr unterschiedliche Einschätzungen für die Kosten dafür, die Infrastruktur des Ostens auf die Standards einer modernen Wirtschaft zu bringen. Das Telefonnetz, die Eisenbahn, die Straßen, die Wasser- und Energieversorgung müssen drastisch modernisiert werden. Einige Schätzungen geben für die Kosten eine Höhe von 2.000 Mrd. DM an. Die Kosten für die Beseitigung der schrecklichen Umweltverschmutzung in der DDR werden auf etwa 200 Mrd. DM geschätzt.
Der westdeutsche Kapitalismus hat immer noch enorme Reserven. Im letzten Jahr war der Handelsbilanzüberschuss 135 Mrd. DM. Das Nettoauslandsvermögen der Großkonzerne in der BRD beträgt rund 500 Mrd. DM. Ein Indiz für den Wohlstand der vergangenen Zeit ist, dass westdeutsche Bürger 45 Mrd. DM für Urlaube im Ausland ausgeben. Dennoch bleibt die Frage, ob diese Ausgaben in der nächsten Periode durch die Erträge gerechtfertigt sind. Unter günstigen wirtschaftlichen Bedingungen würde das Aufsaugen des Ostens Westdeutschland in die mächtigste europäische Wirtschaft verwandeln, die in der Weltarena mit Japan und den Vereinigten Staaten konkurriert. Im Falle eines weltweiten Abschwungs hingegen könnte der westdeutsche Kapitalismus eine enorme Belastung auf sich nehmen – ohne die Gewissheit, die erwarteten Gewinne zu ernten.
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Ein vereinigtes Deutschland wird in unbekannte Gewässer segeln, und es wird Stürme geben. Der Integrationsprozess wird komplex sein, mit vielen unbekannten Faktoren. Der Anschluss, der heute von den Kapitalist*innen mit Begeisterung begrüßt wird, wird morgen unwillkommene Instabilität und Krisen mit sich bringen. Während des Nachkriegsaufschwungs erfreute sich der westdeutsche Kapitalismus auf der Grundlage eines hohen und steigenden Lebensstandards eines relativen sozialen Friedens und politischer Stabilität. Jetzt wird die BRD einen Fremdkörper aufnehmen, eine Gesellschaft, die durch die Degeneration des Stalinismus und die unvermeidlichen Verwerfungen, die durch die kapitalistische Restauration verursacht werden, in Aufruhr geraten ist. Die Leben von Millionen von Arbeiter*innen im Osten werden auf den Kopf gestellt werden. Ungeachtet der Massenunterstützung für die CDU haben die Arbeiter*innen im Osten eine andere Erfahrung und eine andere Sichtweise. Wenn ihre geweckten Erwartungen mit der wirtschaftlichen Realität in einer kapitalistischen Ostzone kollidieren, die viel ärmer bleiben wird als der Rest Deutschlands, werden sie in den Kampf ziehen. Die Erfahrung der Massenbewegung im Oktober 1989 wird nicht vergessen sein. Dies wird von den seriösen kapitalistischen Kommentator*innen anerkannt: „…ein vereinigtes Deutschland wird ein polarisierterer, disharmonischerer und instabilerer Ort als die Bundesrepublik Deutschland sein.“ („Financial Times“, 10. März)
Eine potentiell brisante Frage ist, wie die Ansprüche ehemaliger Eigentümer*innen auf in der DDR konfisziertes, verstaatlichtes oder kollektiviertes Eigentum geregelt werden sollen. Zu diesem Eigentum gehören viele Privathäuser und kleine landwirtschaftliche Grundstücke, aber auch größeres Eigentum wie Fabriken.
Internationale Reibungen stehen bevor
In den internationalen Beziehungen wird das Entstehen eines gestärkten deutschen Kapitalismus unter Einbeziehung eines aus dem Ostblock herausgelösten Staates unweigerlich zu neuen Spannungen und Instabilität führen. Der US-Imperialismus hat seine Zustimmung zur Vereinigung signalisiert. Dies schließt jedoch intensivierte Rivalität zwischen Deutschland und den USA in der Zukunft nicht aus, insbesondere in einer Periode von verschärfen Konflikten auf der Weltbühne. Thatcher enthüllt die Ängste der schwächeren kapitalistischen Nachbarn Westdeutschlands am deutlichsten. Andere europäische Staaten befürchten, dass bis zu 20% der Kosten der Vereinigung auf sie abgewälzt werden, und zwar durch geringere Beiträge der BRD zum Haushalt der Europäischen Gemeinschaft und höhere Ausgaben für den Osten, wenn dieser de facto zu einer unterentwickelten Region der EG wird. Die EG hat kaum damit begonnen, die vielfältigen Probleme der Eingliederung Ostdeutschlands zu lösen, die zweifellos eine reiche Quelle von Bitterkeit darstellen. Es gibt auch Ängste, die sich bereits in der Drohung der Niederlande widerspiegeln, die Bindung des Gulden an die DM aufzuheben, dass die erhöhten Staatsausgaben in der BRD zu einer höheren Inflationsrate führen werden, was sich nachteilig auf das EWS und auf andere wichtige Währungen auswirken würde.
Die herrschende Bürokratie in der Sowjetunion hat die Vereinigung ebenfalls akzeptiert. Gorbatschow akzeptiert nun eine Rückkehr zum Kapitalismus in Polen und Ungarn und den Austritt der DDR aus dem Ostblock. Dies ist eine große Niederlage für das langjährige außenpolitische Ziel der russischen Bürokratie, eine osteuropäische Sicherheitszone um die UdSSR zu erhalten. In der Öffentlichkeit hat Schewardnadse gefordert, dass ein vereinigtes Deutschland „neutral“, d.h. außerhalb der Nato, sein solle. Aus Erklärungen des US-Außenministeriums geht jedoch hervor, dass der Kreml insgeheim zugestimmt hat, dass Deutschland in der Nato bleibt, sofern die Sowjetunion Truppen in der Ostzone aufrechterhalten darf – auf Kosten der BRD! Für die USA (und die anderen Konkurrent*innen Deutschlands) wird die Anwesenheit sowjetischer Truppen in einem erweiterten Deutschland eine gewisse Kontrolle über die Handlungsfreiheit und die Ambitionen des westdeutschen Kapitalismus darstellen. Um ihrer unmittelbaren Ziele willen werden Kohl und Co. dies akzeptieren, aber solche Bedingungen werden für die deutsche herrschende Klasse bald lästig werden und zu einem weiteren Zankapfel zwischen den Mächten werden.
Auch die Ostgrenzen Deutschlands zu Polen sind ein heikles Thema. In Wirklichkeit wird sich der westdeutsche Kapitalismus auf absehbare Zeit damit abfinden müssen, dass die Nachkriegsgrenzen unverändert bleiben. Während des Wahlkampfes wollte sich Kohl jedoch nicht öffentlich von der Idee einer Revision distanzieren. Ungeschickt versuchte er, das Thema mit der Weigerung der BRD zu verknüpfen, weitere Reparationszahlungen an Polen zu leisten. Damit wollte er die rechtsextremen, nationalistischen Meinungen besänftigen, die vor allem unter den deutschen Ausgewanderten aus den nach 1945 von Polen und der UdSSR besetzten deutschen Gebieten stark sind. Auch wenn die polnischen Grenzen derzeit kein großes Thema sind, werden sie in einer neuen Periode sozialer Spannungen von der extremen Rechten wieder thematisiert werden.
Die „Zwei-plus-Vier“-Gespräche zwischen den Großmächten (UdSSR, USA, Großbritannien und Frankreich) und den beiden deutschen Staaten werden zweifellos zu einem Kompromiss über die unmittelbaren Fragen der Vereinigung führen. Aber das Verhältnis eines erweiterten Deutschlands zur NATO und zum Warschauer Pakt ist mit den grundlegenden wirtschaftlichen, politischen und strategischen Beziehungen zwischen den Großmächten verknüpft. Mit der derzeitigen Entspannung scheint es, dass die Mächte ihre Differenzen durch Gespräche und Kompromisse lösen können. Doch die zugrundeliegenden Klassen- und national-kapitalistischen Gegensätze bleiben bestehen. Die Entspannung wird in Verbindung mit einem weltweiten wirtschaftlichen Abschwung und revolutionären Umwälzungen einer neuen Periode von Spannungen und Kämpfen zwischen den Mächten Platz machen. Ein vereinigtes Deutschland, auch wenn es scheinbar ein Sieg für den Kapitalismus ist, wird die Gegensätze in keiner Weise abschwächen.
Die Restauration des Kapitalismus in Ostdeutschland ist ein großer Rückschlag für das Proletariat. Aber der Preis, den ein vorübergehend triumphierender deutscher Kapitalismus zu zahlen hat, ist die Einverleibung vieler unbeständiger, entflammbarer Elemente in sein einst so solides Fundament. Es wird nicht lange dauern, bis die Selbstzufriedenheit der Kapitalist*innen durch stürmische Bewegungen der deutschen Arbeiter*innen erschüttert wird, die ihre eigene Klasseneinheit im Kampf um die Abschaffung des Kapitalismus schmieden werden. Sie werden die vom Stalinismus verschleuderten sozialen Errungenschaften zurückerobern. Sie werden eine Planwirtschaft unter Arbeiter*innendemokratie aufbauen, die die unschätzbaren Vorteile der sozialistischen Organisation der Gesellschaft aufzeigen wird.
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