Lynn Walsh: Das chinesische Rätsel

[eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant International Review, Nr. 56, März 1994, S. 26-32]

Wie können Chinas „Wirtschaftswunder“ und seit Tian’anmen auch seine anscheinende politische Stabilität erklärt werden? Lynn Walsh befasst sich mit dem chinesischen Rätsel.

China, so scheint es, ist anders. Seit 1989 erleben die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder Rezession und nur einen schwachen Wirtschaftsaufschwung. Der größte Teil der wirtschaftlich unterentwickelten Welt wurde noch tiefer in die Krise gestürzt. Die ehemals stalinistischen Staaten Russlands und Osteuropas machen den tiefsten Einbruch in modernen Zeiten durch. Doch China ist weiterhin auf dem Vormarsch. Nach einer „Pause“ (mit etwa 4% Wachstum) 1990 nach einem durchschnittlichen jährlichen BSP-Wachstum von 8,9% in den 80er Jahren hat China derzeit wieder ein Wachstum von 10 bis 13% pro Jahr aufgenommen. Politisch scheint die Führung von Deng Xiaoping und seinem Wirtschafts-Oberhaupt, Zhu Rongji, obendrein gefestigt zu sein, trotz Konflikten innerhalb der Führung nach der brutalen Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tian’anmen-Platz 1989.

China scheint mit anderen Worten den Gesetzen der politisch-wirtschaftlichen Schwerkraft zu trotzen. Dies hat viele Kommentator*innen dazu veranlasst, über ein neues „Wirtschaftswunder“ im Osten oder sogar international zu spekulieren, angeführt von einem wiedererstarkenden kapitalistischen China. Wie der Reagan-Boom in den 1980er Jahren mit Basis in den USA ist Chinas schnelles Wachstum jedoch das Ergebnis einer besonderen Konstellation – einer vorübergehenden Kombination nationaler und internationaler Faktoren –, die nicht unbegrenzt anhalten wird.

Die Wachstumsrate und das Tempo des Wandels in China sind sicherlich außergewöhnlich und in scharfem Kontrast zum Zusammenbruch in Russland und Osteuropa. Was erklärt das? Hat die Wirtschaftsplanung, die auf den verstaatlichten Industrien basiert, in China besser überlebt? Oder hat die Bürokratie einen reibungslosen Übergang zum Kapitalismus erfolgreich gemanagt? Was genau waren die Quellen des Wachstums im letzten Jahrzehnt oder so? In welchem Ausmaß hat das rasche Wirtschaftswachstum Veränderungen in der zugrunde liegenden Sozialstruktur des chinesischen Staates herbeigeführt?

Wachstum in den ländlichen Gebieten

Der soziale Charakter Chinas unterscheidet sich deutlich von dem Russlands und anderer ehemaliger stalinistischer Staaten wie Ostdeutschland, der Tschechoslowakei und Ungarn, die überwiegend urbanisierte, industrialisierte Gesellschaften sind. Zu Beginn der 80er Jahre waren 70% der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft beschäftigt (heute 60%), und die landwirtschaftliche Produktion machte etwa 30% des BIP aus (heute 23%).

Die Möglichkeit, die landwirtschaftliche Produktion anzukurbeln, eröffnete daher die Möglichkeit, die Marktkräfte schrittweise einzuführen und kapitalistische Elemente zu fördern, ohne dass es zu dem überstürzten Zusammenbruch kam, der der „Reform“ der staatlichen Industrien in Russland und Osteuropa folgte. Da das Produktionspotenzial und die Verbraucher*innennachfrage im ländlichen China zuvor von der Bürokratie (zugunsten der Entwicklung der Schwerindustrie) unterdrückt worden waren, war es möglich, durch die Festsetzung höherer Ankaufspreise für landwirtschaftliche Produkte ein rasches Wachstum der Landwirtschaft auf der Grundlage der bestehenden Kapazitäten ohne massive Neuinvestitionen zu fördern. Die gestiegenen Profite, die größtenteils (aber nicht ausschließlich) an reichere Schichten der Landwirt*innen gingen, wurden hauptsächlich in neue ländliche Industrien kanalisiert, die auf den heimischen Verbraucher*innenmarkt ausgerichtet waren.

Als Ergebnis stieg die Zahl der Unternehmen auf Gemeindeebene und darunter (eine Kategorie, die sowohl „kollektive“ Unternehmen als auch private und halbprivate Unternehmen umfasst) 1980-90 fast um das Zehnfache, im Vergleich zum Anstieg der Unternehmen oberhalb der Gemeindeebene nur um das 2,5-fache. Die Produktion der Einzelunternehmen stieg um mehr als das Tausendfache. Der Anteil der Unternehmen auf Gemeindeebene und darunter an der Gesamtproduktion stieg von 10,5% im Jahr 1980 auf 31,8% im Jahr 1990. Millionen von neuen Arbeitsplätzen wurden in den ländlichen Gebieten geschaffen. Dieser Sektor lieferte einen Hauptbeitrag zur hohen, aber eher sprunghaften Wachstumsrate der 1980er Jahre.

Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass diese Wachstumsrate in den nächsten 5-10 Jahren aufrechterhalten werden wird. Die landwirtschaftliche Produktion stößt mit ziemlicher Sicherheit an die Grenzen dessen, was ohne neue Modernisierungsinvestitionen (die eine Umleitung von Kapital aus der Industrie erfordern) erreicht werden kann, was außerdem die Entlassung von mehr als 150 Millionen überschüssigen Arbeitskräften vom Land bedeuten würde. Die Umstellung auf das System der „Haushaltsverantwortung“ und die Auflösung der Kommunen (d.h. der lokalen Räte) haben zu einem ernsthaften Rückgang der ländlichen Infrastruktur (Bewässerung, Straßen, Lagerhaltung usw.) und zu einer Verschlechterung des Bildungsniveaus geführt. Die ländliche Armut ist zweifellos zurückgegangen, offiziell von etwa 33% im Jahr 1978 auf 11,5% im Jahr 1990. Aber diese Entwicklung verlief sehr ungleichmäßig, mit den meisten Verbesserungen in den Küstengebieten, während in vielen unzugänglichen Gebieten im Landesinneren große Gebiete mit extremer Armut verblieben.

Die Korruption ist unter den Staats- und Parteifunktionär*innen weit verbreitet, während schwere Kriminalität ständig zunahm. Im Jahr 1993 wurden mehr als 200 Fälle von Unruhen auf dem Lande gemeldet. Es findet eine massive Wanderung vom Land in die Städte statt, wobei etwa 100 Millionen Menschen für befristete oder saisonale Arbeit hin und her strömen.

In ähnlicher Weise füllten die ländlichen Unternehmen (meist Leichtindustrie und Dienstleistungen), die in den 1980er Jahren wie Pilze aus dem Boden schossen, eine freie Nische. Sie versorgten den unterversorgten Verbraucher*innenmarkt, der lange Zeit zugunsten der Schwerindustrie vernachlässigt worden war. Auch dies stößt nun an seine Grenzen. Das Wachstum hing ausschließlich von den gestiegenen Investitionen ab (die größtenteils aus höheren landwirtschaftlichen Einkommen stammten), und das Produktivitätsniveau war extrem niedrig. Obendrein setzte die Nachfrage der ländlichen Industrien nach Ausrüstungsgütern und Betriebsmitteln die maroden staatlichen Industrien, die in den 80er Jahren weitgehend unreformiert waren, zunehmend unter Druck. Infolgedessen führte das beschleunigte Wachstum zu Versorgungsengpässen und einem darauffolgenden Anstieg der Inflation. Dies erreichte 1988 einen Höhepunkt, als die Regierung gezwungen war, Kürzungsmaßnahmen zu ergreifen. Derzeit versucht die Regierung erneut, das Wachstum zu bremsen, um die Inflation einzudämmen.

Nach der Vertagung des Themas für viele Jahre versucht die Führung nun, die Dezentralisierung, Privatisierung und Umstellung auf den Markt der staatlichen Industrien umzusetzen. Dabei wird sie vor vielen der Probleme stehen, die in Russland und Osteuropa erfahren wurden. Chinas traumatische „Schocktherapie“ fängt gerade erst an.

Der Zustrom von ausländischem Kapital

Der Zufluss von Kapital aus dem Ausland, der Schlüsselbestandteil von Dengs Politik der „offenen Tür“, war im letzten Jahrzehnt eine entscheidende Quelle von Wachstum. Als die Reformpolitik Anfang der 80er Jahre in Gang kam, begannen ausländische Kapitalist*innen (aus den USA, Japan und besonders die Übersee-Chines*innen aus Hongkong und Südostasien) in großem Umfang zu investieren. Die Anziehungskraft war klar: außergewöhnlich billige Arbeitskräfte, selbst nach asiatischen Standards, ohne Beschäftigungs-, Gesundheits- und Sicherheits- oder Umweltauflagen.

Das Wachstum des chinesischen Handels wurde obendrein weitgehend von den Investitionsströmen bestimmt. Der Handel wuchs massiv, legte in den 80er Jahren um durchschnittlich 9,2% pro Jahr zu, verglichen mit einem jährlichen Wachstum des Welthandels von 5,5%. Die Ausfuhren stiegen von weniger als 10 Mrd. $ im Jahre 1978 (mit einem Handelsdefizit von über 1 Mrd. $) auf 61 Mrd. $ im Jahre 1991 (mit einem Handelsüberschuss von 22 Mrd. $), was etwa 2,5% der gesamten Weltexporte ausmachte. Chinas privilegierter Zugang zum US-Markt als „meistbegünstigte Nation“ war besonders wichtig (1992 erzielte China einen Handelsüberschuss von 18 Mrd. Dollar mit den USA).

Dies steht wieder in deutlichem Gegensatz zu Russland und Osteuropa, die (mit einigen Ausnahmen wie Ostdeutschland, das vom Westen aufgesogen wurde) nicht von den zuvor versprochenen massiven westlichen Investitionen profitiert haben.

Die Gesamtsumme der tatsächlich realisierten ausländischen Kredite und des ausländischen Direktinvestitionskapitals (ADI) in China stieg von etwa 2,4 Mrd. $ pro Jahr in den Jahren 1983-85 auf etwa 10-11 Mrd. $ im Jahr 1990. Der Zufluss von Auslandskapital wird von einigen auf 20 Mrd. $ in diesem Jahr geschätzt, während sich die aufgelaufenen Auslandsschulden bei etwa 73 Mrd. $ stehen.

Ein sehr hoher Anteil des ausländischen Kapitals floss in die „offenen Küstenprovinzen“, wo der größte Teil der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung konzentriert wurde. Auf diese Provinzen, die weniger als 5% der Landfläche Chinas und 19,5% der Bevölkerung ausmachen, entfallen 40% des Bruttowertes der Industrieproduktion und 33% von Chinas BIP.

Von dem Gesamtzufluss von ausländischem Kapital in Höhe von 10,3 Mrd. $ 1990 waren 6,5 Mrd. $ Kredite und 3,7 Mrd. $ ausländische Direktinvestitionen. Von diesen ausländischen Direktinvestitionen hatten etwa 50% in Form von Beteiligungen an Joint Ventures, während weitere 18% in Unternehmen investiert wurden, die vollständig in ausländischem Besitz sind. Ein beträchtlicher Teil des ausländischen Kapitals wurde in große staatliche Unternehmen investiert, häufig auf einer Gewinnbeteiligungsbasis, die eine wichtige Stütze für den staatlichen Sektor war. Die Zentralregierung und die Provinzbehörden liehen auch ausländisches Kapital für Infrastrukturprojekte aus. In den letzten paar Jahren gab es auch zunehmend private Investitionen in Grundstücke in den Küstengebieten, was zu einem spekulativen Immobilienboom führte.

Die Grenzen der gemanagten Vermarktlichung

Bis in die Gegenwart hatte dieser massive Zustrom ausländischen Kapitals eine erstaunlich begrenzte Auswirkung auf die Gesamtstruktur der chinesischen Wirtschaft. Die mit ausländischem Kapital finanzierte Entwicklung in den Küstenzonen war weitgehend vom Rest der Wirtschaft isoliert. Kapitalgüter und einige Rohstoffe wurden in die Küstenenklaven importiert, auf der Grundlage billiger einheimischer Arbeitskräfte weiterverarbeitet und dann auf die Märkte Südostasiens, der USA usw. reexportiert. Die Führung hatte eine bewusste Politik, diese Entwicklung abzuschotten und bewusst die Strategie zu vermeiden, die viele unterentwickelte Länder in den 70er Jahren verfolgten, als ausländische Investitionen dazu genutzt wurden, die heimischen Produktionskapazitäten auszubauen, um den Bedarf an Importen aus dem Ausland zu verringern.

Diese Politik hat jedoch zwangsläufig Grenzen, die jetzt erreicht wurden. Es gibt wachsenden Druck ausländischer Investor*innen und der viel stärkeren einheimischen kapitalistischen Interessen, die sich entwickelt haben, um in den riesigen chinesischen Binnenmarkt eindringen zu dürfen. Die Dezentralisierung der Wirtschaftsleitung, die inzwischen weit fortgeschritten ist, macht es fast unmöglich, die zunehmende Interaktion der großen Küstenunternehmen mit der übrigen Wirtschaft zu verhindern. Dies wiederum wird unweigerlich die allgemeine Entwicklung der kapitalistischen Kräfte in der gesamten Wirtschaft beschleunigen.

Da die Abhängigkeit des staatlichen Sektors von ausländischem Kapital gewachsen ist, ist auch der Druck auf ausländisches Kapital gewachsen, so dass auch der Druck zur Privatisierung der staatlichen Unternehmen unerbittlich zugenommen hat. Viele der großen ausländischen Investor*innen sind nun bereit, eine Mehrheitsbeteiligung an den Unternehmen zu übernehmen, die sie als potentiell profitabel ansehen. So wird es eine Konvergenz zwischen der Ausdehnung der Großkonzerne aus den Küstengebieten und der beschleunigten Übernahme des Staatssektors durch Großkonzerne geben.

Privatisierung des Staatssektors

In den 1980er Jahren wurde der weitgehend veraltete, ineffiziente staatliche Sektor von der Führung der Bürokratie gestützt. Während sie für viele Unternehmen die Selbstfinanzierung einführte und das „System der Managementverantwortung“ einführte (womit das Wirtschaftsmanagement aus den Händen der führenden KP-Vertreter*innen genommen wurde), schob die oberste Führung eine radikale Dezentralisierung und Privatisierung immer wieder auf – aus Angst vor den politischen Folgen einer Untergrabung der Arbeitsplatzsicherheit und des Lebensstandards von Millionen von Industriearbeiter*innen und ihrer Familien. Jedoch als Ergebnis des Wachstums der weitgehend privat betriebenen ländlichen Industrien und der Großkonzerne in den Küstenzonen ging der Anteil der staatlich betriebenen Industrie stetig zurück, von 75,5% der gesamten Industrieproduktion im Jahr 1980 auf 48,5% im Jahr 1990. Das Wachstum der Produktion des staatlichen Sektors blieb weit hinter dem des kollektiven und privaten Sektors zurück, und selbst das begrenzte Wachstum der verstaatlichten Industrien wurde nur auf der Grundlage eines starken Anstiegs der Kapitalinvestitionen (die sich in hohem Maße auf ausländisches Kapital stützten) ohne nennenswerte Verbesserung der Arbeitsproduktivität erzielt. Laut einigen Schätzungen verbrauchen die Subventionen für diesen Sektor etwa 10% des BSP.

Seit der Konsolidierung ihrer Position in den Jahren 1990-92 hat die Deng-Führung jedoch eine neue Runde von Reformen eingeleitet, die auf den staatlichen Sektor abzielen. Die Regierung plant nun die „Verkonzernisierung“ von 50 bis 100 der wichtigsten staatlichen Industrien. Dies würde sie in autonome, unabhängig gemanagte Unternehmen umwandeln – als Vorbereitungsschritt zur vollständigen Privatisierung. Wie in Russland und Osteuropa wird dies einen massiven Verlust von Arbeitsplätzen, schlechtere Löhne und Arbeitsbedingungen sowie den Verlust von Wohnungen und anderen Sozialleistungen bedeuten, die bisher mit einer Beschäftigung im staatlichen Sektor verbunden waren. Bislang gibt es kein staatliches „Sicherheitsnetz“, das die verlorenen Beschäftigungsleistungen ersetzen könnte. Gleichzeitig plant die Regierung, die staatliche Bürokratie um etwa 25% oder über 2 Mio. Beschäftigte zu reduzieren. Diese drohenden Arbeitsplatzverluste werden kommen, wenn Preise ständig steigen, da die Preiskontrollen für immer mehr Grunderzeugnisse aufgehoben werden. Im vergangenen Jahr lag die Inflation offiziell bei 15,7% in den Städten und 14,5% auf dem Lande, erreichte aber im Dezember 1993 in führenden Städten einen Höchststand von 24%. „Der leichte Teil ist vorbei“, kommentierte ein Wall Street Banker („Wall Street Journal“, 24. Februar 1994). Mit dem Beginn des Abbaus des Staatssektors begibt sich die chinesische Führung in die gleichen Stromschnellen, die in letzter Zeit die Regierungen Osteuropas überrollt haben. Die Reformen haben bereits zu einem ausgeprägten „Stop-and-Go“-Zyklus geführt, und die Regierung ist derzeit bestrebt, das Wachstum von etwa 12,8% im letzten Jahr auf etwa 8-9% in diesem Jahr zu senken. Für die Arbeiter*innenklasse und die Landarbeiter*innen wird die nächste Periode eine zunehmende Polarisierung des Reichtums, verstärkte Ausbeutung, große Unsicherheit und die Aussicht auf anhaltende Unruhen bedeuten.

Sozialismus mit chinesischen Merkmalen

Deng Xiaoping hat seine Politik unter dem Slogan „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ verfolgt. Was bedeutet diese verschlüsselte Formel wirklich? „Chinesische Merkmale“ bedeutet eindeutig Vermarktlichung und kapitalistische Methoden. Schließlich hat Deng laut Jiang Zemin, dem Generalsekretär der KPCh, „entscheidend dazu beigetragen“, dass eine Betonung von Planung oder Markt kein wesentlicher Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus sei.

Was also bedeutet „Sozialismus“ in Dengs Formel? Wegen des tiefgreifenden Erbes der Revolution von 1948 [1949?], aus dem die KPCh nach wie vor ihre Legitimität bezieht, kann die Führung das Banner des Sozialismus nicht offen aufgeben. Die kürzlich überarbeitete Verfassung verkündet immer noch sozialistische Ziele. „Der wesentliche Charakter des Sozialismus“, erklärt sie, „ist, die Produktivkräfte zu befreien und zu entwickeln, Ausbeutung und Polarisierung zu beseitigen und schließlich den gemeinsamen Wohlstand zu verwirklichen“. Politische Erklärungen beziehen sich immer noch auf die „Dominanz“ des öffentlichen Sektors, aber die Definition von „öffentlichem Eigentum“ wird immer weiter gefasst, so dass jetzt auch Unternehmen in Betracht gezogen werden, an denen der Staat nur noch 20% der Anteile hält.

In Wirklichkeit bedeutet „Sozialismus“ die Aufrechterhaltung der politischen Herrschaft der KPCh. Das Kriterium des „Sozialismus“ besteht für Deng und Co. darin, dass die herrschende Elite in Form der führenden KPCh-Vertreter*innen und des Staatsapparats die Macht zusammen mit den sie begleitenden Privilegien behält.

Als die Wirtschaftsreformen 1978 gestartet wurden, gab es keine unmittelbaren Schritte zur Zerschlagung der staatlichen Industrien. Doch die Reformist*innen um Deng waren gezwungen, zu erkennen, dass die bürokratische Kommandowirtschaft in eine Sackgasse geraten war. Nach den Umwälzungen der „Kulturrevolution“ (1966-1976), die von Mao und seinen ultralinken Verbündeten innerhalb der Bürokratie initiiert worden war, gab es über ein Jahrzehnt wirtschaftlicher Stagnation. Die Reformist*innen erkannten, dass sie ohne ein verbessertes Wachstum und erhöhten Lebensstandard sozialen Unruhen und einer Bedrohung ihrer Herrschaft gegenüberstehen würden. Wachstum ließ sich jedoch nicht einfach durch das Ausüben von mehr bürokratischen Druck auf die bestehenden Wirtschaftsstrukturen erreichen. Wie in der Vergangenheit wandte sich die Führung wieder den Marktmethoden zu, allerdings in weitaus stärkerem Maße als zuvor.

Deng war immer ein loyaler Apparatschik, ein Mann der Organisation, der die Politik umsetzte, von der die Spitzenvertreter*innen glaubten, dass sie ihre Position am besten sichern würde, ein vollendeter Pragmatiker. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass Deng und Co. eine klare Vorstellung davon hatten, wohin ihre Politik sie führen würde. Wie immer handelte Deng empirisch. Sie mögen sogar Illusionen gehabt haben, ähnlich wie jene Bucharins in der Sowjetunion in den 1920er Jahren, dass der Markt im Rahmen einer zentralen Planwirtschaft unbegrenzt eingedämmt werden könnte. Doch die Vermarktlichung auf dem Lande und die Öffnung Chinas für den internationalen Handel und Kapitalinvestitionen schienen der einzige Ausweg aus der Sackgasse zu sein. Die Bürokratie würde niemals eine demokratische Beteiligung der Arbeiter*innenklasse an der Wirtschaft in Betracht ziehen.

Einmal in Gang gesetzt, hatte eine solche Politik jedoch unweigerlich eine Eigendynamik. Die Reformen führten zu einem bemerkenswerten Wachstum und erhöhten den Lebensstandard, besonders auf dem Lande. Aber die Unfähigkeit der staatlichen Industrien, die gestiegene Nachfrage des Agrarsektors und der ländlichen Industrien zu befriedigen, führte zu einem raschen Anstieg der Preise für Bedarfsgüter der Landwirtschaft (z. B. Düngemittel, Plastikfolien, Geräte) und Grundnahrungsmittel, was Ende der 1980er Jahre zu einer hohen Inflation führte. Dies heizte unweigerlich Unzufriedenheit und Opposition an.

Der Tian’anmen-Platz und seine Folgen

Die Korruptionsorgie innerhalb der Bürokratie und ein Anstieg der Kriminalität lösten eine breite Empörung aus. Die Student*innenprotestbewegung mit Massendemonstrationen gegen Korruption und Forderungen nach Demokratisierung spiegelte die Beschwerden und demokratischen Forderungen breiterer Schichten der Gesellschaft wider.

Die sich verschärfenden sozialen Spannungen erzeugten eine Spaltung innerhalb der bürokratischen Führung. Der konservative Flügel forderte einen Halt der Reformen. Sie verlangten die Umkehrung mancher Maßnahmen und die Verstärkung der zentralen Kontrolle über die Wirtschaft, und vor allem aber die Unterdrückung von Kritik und Opposition. Deng befürwortete eine Fortsetzung der Politik der Vermarktlichungspolitik. Aber er hatte das Gefühl, dass sein Schützling Zhao Ziyang zu weit ging, als er die Notwendigkeit einer politischen Liberalisierung forderte. Ermutigt durch die offensichtliche Verwirrung in der Führungsspitze gewann die Demokratiebewegung an Stärke, was zu massiven Demonstrationen und der Besetzung des Tian’anmen-Platzes führte. Diese Bewegung fiel obendrein mit der Krise in der Sowjetunion und in Osteuropa (besonders in Ostdeutschland) zusammen, die die Furcht der führenden chinesischen KP-Vertreter*innen vor einem katastrophalen Zusammenbruch ihrer Autorität weckte.

Angesichts dieser Krise ließ Deng Zhao Ziyang fallen, der daraufhin seines Amtes enthoben und eingesperrt wurde. Deng machte gemeinsame Sache mit den alternden „Veteran*innen“ der harten Linie, wie Yang Shangkun, dem Vorsitzenden der Zentralen Militärkommission, und die Führung führte die gewaltsame Unterdrückung auf dem Tian’anmen-Platz und die brutale Niederschlagung der nachfolgenden Aufstände, die durch die wichtigsten Städten Chinas fegten, durch.

Danach pausierte Dengs Reformpolitik für eine Weile. Die Führung konzentrierte sich offensichtlich auf die Stabilisierung der Lage. Aber Dengs Bündnis mit dem ultrakonservativen Flügel der Bürokratie war nur vorübergehend. Im Wesentlichen fuhr er fort, das wirtschaftliche Reformprogramm voranzutreiben, aber unter der ausschließlichen Leitung der KPCh und ohne alle Zugeständnisse an die politische Liberalisierung.

Auf dem Vierzehnten Parteitag der KPCh, abgehalten im Oktober 1992, stärkte Deng die Position der Wirtschaftsreformer*innen. Viele Mitglieder der alten Garde wurden in den Ruhestand gezwungen, während die Position der Schlüssel-Reformer gestärkt wurde (z. B. übernahm der stellvertretende Ministerpräsident Zhu Rongji, der frühere Parteichef von Shanghai, das tägliche Management der Wirtschaft). Der von Generalsekretär Jiang Zemin gegebene Parteitagsbericht hielt die Kritik an Zhao Ziyang aufrecht und warf ihm vor, die „konterrevolutionäre Rebellion“ der Student*innen im Jahr 1989 zugelassen zu haben. Deng blockierte jedoch Schritte, Zhao aus der Partei auszuschließen oder weitere Sanktionen gegen ihn anzuwenden. Er verkündete, dass die „Hauptgefahr“ nun von links komme, d.h. von den Konservativen, die gegen weitere Wirtschaftsreformen sind.

## Klassencharakter des chinesischen Staates

Erneut wurde der Drang zur Vermarktlichung beschleunigt, und es wurden Pläne für die Privatisierung der großen staatlichen Industrien, des Bankwesens usw. skizziert. Die Deng-Führung hat durch ihre Taten deutlich gemacht, dass sie bereit ist, die staatliche Planung auf der Grundlage verstaatlichter Industrien, die die Grundlage für eine moderne industrielle Wirtschaft in China bildete, aufzugeben, sofern sie die politische Kontrolle über die Gesellschaft behält.

Dieser Kurs stellt sie jedoch vor einen neuen Widerspruch. Die Dezentralisierung der wirtschaftlichen Entscheidungsfindung und das Wachstum autonomer Marktkräfte haben die wirtschaftlichen Kontrollhebel der Zentralregierung ständig ausgehöhlt. Nicht nur ist der Anteil der von staatlichen Unternehmen kontrollierten Industrie zurückgegangen, sondern auch der Anteil der Zentralregierung an den gesamten Steuereinnahmen ist von 57% im Jahr 1981 auf 38,6% im Jahr 1992 gesunken (während die Einnahmen selbst von 26,7% der Gesamtproduktion auf nur 16,6% zurückgegangen sind). Obendrein ignorieren sowohl die nachgeordneten Behörden als auch private Interessen unverhohlen die Anweisungen der Zentralregierung.

Die alten Kontrollmechanismen der Kommandowirtschaft wurden ausgehöhlt, aber das Aufgebot der in kapitalistischen Wirtschaften üblicherweise eingesetzten politischen Instrumente (wie Besteuerung, öffentliche Ausgaben, Geldmenge, gesetzliche Regelungen usw.), die ohnehin nur von begrenzter Wirksamkeit sind, sind noch rudimentär. Dies spiegelt sich in den von Jahr zu Jahr stark schwankenden Wachstumsraten und dem ausgeprägten Zyklus von Konjunktureinbrüchen und Aufschwüngen wider.

Die nächste Phase der Wirtschaftsreform wird unweigerlich große Personalkürzungen in den stark überbesetzten staatlichen Sektoren bedeuten – und ein Ende der „eisernen Reisschüssel“, der Arbeitsplatzsicherheit, der Wohnungsversorgung und der Sozialleistungen, die den Arbeiter*innen in den verstaatlichten Industrien lange Zeit geboten wurden.

Wenn Dengs derzeitige Pläne verwirklicht werden, wird es zu einer weiteren massiven Verschiebung der Eigentumsverhältnisse kommen, mit einer qualitativen Zunahme des Privatsektors. Eine solche Verschiebung würde eine qualitative Veränderung der Klassenbeziehungen innerhalb der chinesischen Gesellschaft bedeuten. Sie würde die Vollendung der kapitalistischen Konterrevolution beinhalten, die sich seit Anfang der 1980er Jahre beschleunigt hat. Sie würde die entscheidende Auflösung der verstaatlichten Industrien und der zentralisierten staatlichen Planung bedeuten, einer historisch fortschrittlichen Errungenschaft der Revolution von 1948, die von der Bürokratie verzerrt und verschleudert wurde. In Wirklichkeit ist dieser Prozess in der chinesischen Gesellschaft bereits weit fortgeschritten und wurde durch internationale Entwicklungen verstärkt.

Wie können also Chinas grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse derzeit klassifiziert werden? Ist es immer noch ein „proletarisch-bonapartistischer Staat“? Mit anderen Worten, ist es eine Gesellschaft, in der die herrschende Bürokratie (die sich auf eine privilegierte Elite stützt) einer Wirtschaft vorsteht, die von ihrem zentral geplanten, verstaatlichten Sektor beherrscht wird – das heißt, einer Form des Eigentums an den Produktivkräften, die den historischen Interessen des Proletariats entspricht. Oder ist China ein kapitalistischer Staat geworden?

Die Antwort ist gegenwärtig, dass sich China in einem Übergangsprozess zwischen den beiden befindet. Gegenwärtig lässt es sich keiner der beiden gesellschaftlichen Kategorien zuordnen.

Die durch die Revolution geschaffenen vergesellschafteten Eigentumsverhältnisse auf dem Land (mit der kollektiven Landwirtschaft) und im entscheidenden städtischen, industriellen Sektor wurden drastisch untergraben – aber noch nicht vollständig aufgelöst. Die kapitalistischen Produktionsformen entwickeln sich rasant, und die privaten Eigentumsrechte an Grund und Boden sowie an den Produktivkräften kristallisieren sich rasch heraus. Aber der Prozess ist bei weitem nicht abgeschlossen. Wie bei jeder tiefgreifenden gesellschaftlichen Umgestaltung koexistieren Elemente verschiedener Produktionssysteme. Sie sind nach wie vor in einem eigentümlichen Hybrid miteinander verwoben und werden sich möglicherweise noch einige Zeit lang nicht vollständig voneinander trennen lassen. Noch können wir nicht sagen, dass es eine entscheidende, qualitative Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse gab.

Der „proletarische Bonapartismus“ war selbst eine Übergangsformation, ein historischer Bruch mit dem Kapitalismus, aber (mangels der bewussten, demokratischen Herrschaft der Arbeiter*innenklasse) noch nicht sozialistisch. Solange diese Regime in der Lage waren, die Produktivkräfte zu entwickeln und die sozialen Bedingungen zu verbessern, entwickelten sie sich in eine historisch fortschrittliche Richtung, trotz der Verbrechen der stalinistischen Diktatoren. Obendrein wurden in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg diese Übergangsregime in der Sowjetunion, Osteuropa, Kuba und China aufgrund ihres wirtschaftlichen Fortschritts und des international vorherrschenden Kräfteverhältnisses der Klassen unerwartet verlängert und stabilisiert.

Zu Beginn der 1980er Jahre wurde jedoch klar, dass die stalinistische Bürokratie zu einem bösartigen Krebsgeschwür der Planwirtschaft geworden war. Ihre Fähigkeit, die Produktivkräfte zu entwickeln, war erschöpft, und die stalinistischen Regime zerfielen, was der kapitalistischen Restauration Tür und Tor öffnete.

Im Gefolge des Zusammenbruchs der UdSSR und Osteuropas und der sie begleitenden Verschiebung der Weltbeziehungen war es unvermeidlich, dass es in China eine ähnlichen Prozess geben würde. Unter Deng folgte die chinesische Führung dem Vorbild ihrer osteuropäischen Vettern, übernahm eine prokapitalistische Politik und förderte das Wachstum privater Geschäftsinteressen. Der Übergang ist nun deutlich in Richtung Kapitalismus.

Eine neue Phase der Konterrevolution

Die wirtschaftlichen Kräfte, die durch die Entkollektivierung der Landwirtschaft und die „offene Tür“ freigesetzt wurden, haben im letzten Jahrzehnt einen starken Schwung entwickelt. Der Zusammenbruch der stalinistischen Regime in Russland und Osteuropa konnte die von der Deng-Führung eingeschlagene Richtung nur verstärken. Der schmachvolle Zusammenbruch des „stalinistischen“ Putsches in Russland im August 1991 verstärkte die Isolierung der „Stalinist*innen“ der alten Garde innerhalb der chinesischen Bürokratie. Unter diesen Umständen kann es keine Wiederauferstehung von Maos „Stalinismus mit chinesischen Merkmalen“ geben. Obendrein verstärkt der immer stärker werdende Druck des westlichen Kapitals unweigerlich alle Kräfte innerhalb Chinas, die kapitalistische Beziehungen erzeugen.

Im letzten Jahrzehnt waren es die embryonalen Elemente des Kapitalismus, die die dynamischsten wirtschaftlichen Kräfte in der chinesischen Wirtschaft darstellten. Der Staatssektor, auf den sich die Wirtschaft bei der Herstellung von schwerindustriellen Gütern nach wie vor stützte, konnte mit der Nachfrage der aufblühenden Privatindustrie nicht Schritt halten. Technologisch veraltet und überbesetzt, musste er durch hohe staatliche Subventionen gestützt werden. Seit vielen Jahren sind es die privaten oder halbprivaten Sektoren, die die Wachstumslokomotive sind und die Richtung der Wirtschaft bestimmen, nicht der staatliche Sektor.

Es ist nicht möglich, staatliche Industrien unter bürokratischer Kontrolle zu modernisieren, wie die Erfahrungen in Osteuropa zeigen. Gleichzeitig werden die Bürokrat*innen, die ihre Privilegien schätzen und sich instinktiv für das Profitmotiv erwärmen, niemals eine demokratische Beteiligung der Arbeiter*innen am Wirtschaftsmanagement in Erwägung ziehen. Die Logik der von ihnen beschlossenen Dezentralisierung und Vermarktlichung weist daher auf die zwangsläufige Privatisierung der Staatsindustrien. Viele Industriezweige werden unter staatlicher Kontrolle bleiben, vielleicht für eine lange Zeit, und die chinesische Wirtschaft wird, wie die Russlands und Osteuropas, einen verzerrten, hybriden Charakter haben.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass es einen unerbittlich Druck der Weltbank und anderer den Imperialismus vertretender Organisationen für eine schnelle Privatisierung gibt. Es ist für die Führung schwierig, diesem Problem länger auszuweichen. Dabei läuft sie zweifellos Gefahr, ernsthafte Umwälzungen zu provozieren, da die Privatisierung auf den heftigen Widerstand von Teilen der Arbeiter*innen stoßen dürfte. Dagegen fehlt es den Arbeiter*innen (wie in Russland und Osteuropa) an unabhängigen Gewerkschaftsorganisationen und führenden Vertreter*innen mit einem Programm, das in der Lage ist, die Massenopposition gegen die Privatisierung zu mobilisieren – also für den Sturz der Bürokratie und die Errichtung einer Arbeiter*innen- und Bäuer*innendemokratie. Elemente der politischen Revolution zeigten sich im heroischen Widerstand gegen die Niederschlagung der Bewegung auf dem Tian’anmen-Platz, der breite Schichten von Arbeiter*innen, besonders junger Arbeiter*innen, umfasste. Angesichts der gegenwärtigen Weltlage ist es jedoch unwahrscheinlich, dass die chinesische Arbeiter*innenklasse zum jetzigen Zeitpunkt die konterrevolutionäre Flut, die über China hinwegfegt, umkehren kann. Das schließt natürlich nicht aus, dass die Arbeiter*innenklasse gegen die konterrevolutionären Angriffe auf ihren Lebensstandard und für die Erlangung demokratischer Rechte kämpft.

Die Realität ist, dass eine ideologisch bankrotte Führung die sozialen Errungenschaften verraten hat, die durch den epischen revolutionären Kampf der Arbeiter*innen und Bäuer*innen, der 1948 [1949?] zum Sieg führte, erreicht wurden. Vier Jahrzehnte lang begnügten sich die Bürokrat*innen damit, eine verstaatlichte Planwirtschaft zu führen – solange diese eine sichere Basis für ihre Macht und Privilegien bot. Doch als diese Basis als Ergebnis der bürokratischen Verkümmerung zu bröckeln begann, kamen die anpassungsfähigeren, führenden reformistischen Vertreter*innen zu dem Schluss, dass der Erhalt ihres Machtapparats wichtiger war als der Erhalt der Planwirtschaft – und sie begannen empirisch, eine neue wirtschaftliche Grundlage zu suchen. Dies umfasste zwangsläufig eine Zusammenarbeit mit dem ausländischen Kapital und mit allen heterogenen, entstehenden Elementen des Kapitalismus innerhalb der chinesischen Gesellschaft – den reicheren Bäuer*innen, kleinen Fabrikant*innen, Händler*innen, Geldverleiher*innen, Handelsvertreter*innen und so weiter. Gleichzeitig stärkte die Entwicklung des Marktes immer mehr die „privatunternehmerischen“ Elemente innerhalb des Apparates selbst, entweder durch Korruption oder durch zunehmende Verwicklung in die Geschäftstätigkeit.

Eine Schicht der Bürokratie ist bereits auf dem Weg, sich als Kernbestandteil einer neuen Kapitalist*innenklasse zu rekonstituieren, die noch heterogen und nur teilweise ausgebildet ist. Doch der Staat selbst wird zweifellos fortfahren, eine bedeutende Rolle spielen. Historisch hatte der chinesische Staat immer ein enormes Gewicht in der Gesellschaft, und der maoistische Staat selbst hat viele Merkmale der ehemaligen kaiserlichen Staatsbürokratie übernommen. In der nächsten Periode wird es zu einer Umstrukturierung des Staates kommen, bei der der Apparat an die Anforderungen der kapitalistischen Entwicklung angepasst wird.

Es ist aus den Äußerungen von Dengs Wirtschaftsberater*innen offensichtlich, dass die Führung nun bewusst versucht, das Nachkriegsmodell Taiwans und Südkoreas nachzuahmen, wo der Staat eine Hauptrolle bei der Förderung der Entwicklung der großen kapitalistischen Industrie spielte. Eine zutreffendere Analogie (auch wenn sie wahrscheinlich nicht herangezogen wird) wäre die restaurierte japanische Meiji-Dynastie, eine quasi-feudale Staatsbürokratie, die nach 1868 daran ging, die japanische Feudalgesellschaft durch eine Politik der „offenen Tür“ und die Förderung der Entwicklung des Kapitalismus zu modernisieren, den sie als notwendige Grundlage für ihre Steuereinnahmen und militärische Macht ansah.

Wird es der Bürokratie gelingen, einen relativ reibungslosen Übergang zum Kapitalismus zu vollziehen, während sie ihre eigene politische Kontrolle behält? Angesichts der gegenwärtigen internationalen Lage und des Kräfteverhältnisses innerhalb der chinesischen Gesellschaft (besonders der politischen Schwäche der Arbeiter*innenklasse) erscheint der konterrevolutionäre Übergang zum Kapitalismus unaufhaltsam. Die Bürokratie wird jedoch in der nächsten Periode vor beträchtlichen Problemen stehen. Die 1980er Jahre, die selbst durch die gewaltsame Unterdrückung von 1989 belastet waren, könnten sich für die führenden prokapitalistischen Vertreter*innen als relativ einfacher erweisen als die 1990er Jahre.

In China war es aufgrund des lange Zeit unterdrückten Produktionspotentials relativ leicht, ein hohes Wachstum durch verstärkte Anreize zu stimulieren. Jetzt erfordert ein anhaltendes Wachstum radikalere Veränderungen, die unweigerlich zu einer stärkeren Polarisierung der Einkommen und hoher Arbeitslosigkeit führen werden. Eine Minderheit wird die goldenen Früchte des kapitalistischen Wachstums ernten, aber die Mehrheit wird größerer Unsicherheit und Härte gegenüberstehen. Soziale Umwälzungen und politische Kämpfe sind in der nächsten Periode unvermeidlich.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert