[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 25. Jahrgang, Nr. 17, 14. Mai 1915, S. 101 f., Nr. 18, 28. Mai 1915, S. 109 f., Nr. 20, 25. Juni 1915, S. 125 f., Nr. 22, 23. Juli 1915, S. 142 f., Nr. 24, 20. August, S. 158 f., Nr. 26, 17. September 1915, S. 174-176]
I.
In Berlin hat am 16. und 17. April eine Konferenz von Vertretern großer Organisationen getagt, deren Hauptaufgabe es war, den Kriegerwitwen und Kriegerwaisen eine ausreichende soziale Fürsorge zu sichern, zu diesem Zwecke möglichst alle Kräfte zusammenzufassen und einheitliche Richtlinien festzulegen. Eine Aufgabe das, die wahrhaftig „des Schweißes der Edlen“ wert ist. Man vergegenwärtige sich allein die Hunderttausende von Witwen, die Hunderttausende von Waisen, in deren Dasein der Krieg in Deutschland zerstörend eingreift, indem er dem Herzen die tiefsten Wunden schlagt und den Haupternährer raubt. In den übrigen kriegsführenden Ländern das gleiche Bild schmerzlicher Lebensnöte für ein kaum übersehbares Heer von Frauen und Kindern und damit die gleiche Verpflichtung für die Gesellschaft und ihre Organe.
Hier tauchen Fragen auf von internationaler Wichtigkeit, und wie die einzelnen Staaten für die Gesetzgebung des Arbeiterschutzes und der sozialen Versicherung Anregung und Beispiel von einander empfangen haben, so werden die Nationen auch für die Entwicklung der Fürsorge für die Kriegerwitwen und Kriegerwaisen von einander lernen müssen. Ein starker Strom internationalen Kulturdrängens und Kulturlebens wird dieses besondere Gebiet sozialer Leistungen befruchten, wenngleich es heute scheinen mag, als ob des Krieges brutale Faust die Volker hinter die engen Mauern des Nationalen gebannt habe. Bescheiden und verkümmert, wie es die Zeitereignisse mit sich bringen, deutete sich die künftige internationale Entwicklung schon auf der Berliner Konferenz an. Neben Vertretern der deutschen Reichsregierung und mehrerer Bundesstaaten nahm auch ein Abgesandter der österreich-ungarischen Regierung an ihr teil.
Soweit man nach den Berichten der Tagespresse urteilen kann, ist die Tagung ein anerkennenswerter Schritt auf dem Wege gewesen, Mittel und Kräfte planmäßig in der Richtung des Ziels zu konzentrieren, den Kriegerwitwen einen ausreichenden Lebensunterhalt und einen befriedigenden Lebensinhalt zu gewahren, den Kriegerwaisen Brot, Pflege und Erziehung. Die Verhandlungen haben helles Licht darauf geworfen, dass die zu lösende Aufgabe nichts weniger als einfach ist. Vielgestaltig und viel verschlungen tritt sie vor uns hin, wie der Fürsorgeberechtigten und Fürsorgegewährenden verschiedenartige Interessen und Bedürfnisse sich darstellen auf dem Untergrund von Gesellschaftsverhältnissen, die der Ausdruck wirtschaftlicher Gegensatze sind. Überblickt man die Erscheinungen, die Berücksichtigung heischen, so schieben sich namentlich zwei Fragen von überragender Bedeutung in den Vordergrund. Das Verhältnis zwischen Berufstätigkeit und Mutterschaft der Frau und das andere zwischen Anstalts- und Familienerziehung der Kinder.
Wie man sieht, handelt es sich um Fragen von allgemeiner und weitest fassender Natur, mit denen sich auseinanderzusetzen der besondere Fall der Kriegerwitwen und Kriegerwaisen zwingt. Denn es ist einleuchtend, das die Antwort über das Maß und die Art der sozialen Fürsorge für beide Gruppen sehr verschieden ausfallen wird, je nachdem die entscheidenden Organe der Gesellschaft über die aufgezeigten Fragen denken. Wer die Mutterschaft als den „einzigen natürlichen, sittlich berechtigten Beruf des Weibes“ wertet: wer nur in der Familie die berufene Trägerin der Kindererziehung erblickt: der musste konsequenterweise auch für die materiellen Mittel und die übrigen Vorbedingungen eintreten, dass die Kriegerwitwen sich in der Hauptsache daheim als Pflegerinnen und Erzieherinnen ihren vaterlosen Kleinen widmen konnten.
Stellen wir gleich hier nebenbei fest, dass bis jetzt auch nicht ein einziger so konsequenter Verfechter des „weiblichen Naturberufs“ aus den Reihen derer seine Stimme erhoben hat, die diesen „Naturberuf“ sonst als eine ewig unverrückbare Schranke für die Berufsarbeit und das gleiche Recht der Frau betrachtet wissen wollen. Sicher und gewiss kommen Zeiten, wo wir an diese Tatsache erinnern müssen. Heute schweigt. man in den antifrauenrechtlerischen Kreisen klüglich von der Durchführung des feierlich beschworenen Grundsatzes, und das ist erklärlich. Es musste allzu tief aus den öffentlichen Mitteln geschöpft werden, es mussten zu viele einschneidende Eingriffe in die kapitalistische Wirtschaft erfolgen, wollte man für die hunderttausende Kriegerwitwen – der Mehrzahl nach besitzlose Frauen – das kleinbürgerliche Idyll der Nichts-als-Mutterschaft herauf zaubern. Schließlich würde die begonnene Praxis zu Konsequenzen drängen. Was den Hinterbliebenen der Opfer des Krieges recht ist, das musste auch mindestens den Witwen der Opfer des wirtschaftlichen Schlachtfeldes billig sein.
Welchen sozialen Idealen die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an der Berliner Konferenz auch huldigen, sie haben sich alle einmütig auf den Boden der gegebenen Zustände gestellt und von vornherein das Nebeneinander von Mutterschaft und Berufstätigkeit der Kriegerwitwen als einen festen Faktor der Fürsorge in Rechnung gebracht. Höchstens dass für die Mutter vieler schulpflichtiger Kinder fromme Wunsche nach der Sicherung des vollen Lebensunterhalts durch eine genügend hohe Rente geäußert wurden. Bezeichnend und naheliegend genug waren es vor allem Frauen, die auf den harten Zusammenprall der Pflichten hinwiesen, der dieses Nebeneinander in der kapitalistischen Ordnung unvermeidlich begleitet. So namentlich Fräulein Dr. Salomon-Berlin, Fräulein Dransfeld-Werl, eine Wortführerin der katholischen Frauenorganisationen, Fräulein Müller-Hannover, die Delegierte der evangelischen Frauenvereine, und Genossin Hanna-Berlin, die Vertreterin des Arbeiterinnensekretariats der Generalkommission der deutschen Gewerkschaften. Zumal die Ausführungen unserer Genossin zeigten klar und bestimmt die mancherlei Reformforderungen auf, die Berücksichtigung finden müssen, damit die Berufsarbeit der Kriegerwitwen nicht so gut wie vollständig die Möglichkeit verschlinge, den Mutterpflichten gerecht zu werden; damit den Kriegerwaisen trotz der mütterlichen Erwerbsarbeit einsichtige und liebevolle Pflege und Betrauung zuteil wird.
Angesichts des praktischen Zwecks der Konferenz war es dort nicht möglich, die oben hervorgehobenen bedeutsamen Grundfragen in aller Breite aufzurollen, obgleich von ihnen die zu erhebenden Reformforderungen abhängen. Allein zweifelsohne wird man sie noch heiß umstreiten, wenn es sich um den Ausbau der sozialen Fürsorgeeinrichtungen für die Kriegerwitwen und Kriegerwaisen handelt. Gegensätze, die die Atmosphäre des Kriegs nicht in ihrer vollen Scharfe zum Ausdruck kommen lässt, werden dann ungemildert in Erscheinung treten. Dabei vergesse man nicht die große allgemeine Tragweite der Fragen, um die es geht. In der Tat: Fürsorgeeinrichtungen, die jetzt unter dem Drucke der Not nur als soziales Recht für die Witwen und Waisen der Krieger zugestanden werden müssen, sind letzten Endes Maßnahmen, die im Interesse aller erwerbstätigen Frauen und ihrer Familie liegen, sind Maßnahmen, die mit der zunehmenden Berufsarbeit des weiblichen Geschlechts immer dringlicher werden. Die gesellschaftliche Fürsorge für die Kriegerwitwen und Kriegerwaisen muss der durchgreifenden Ausgestaltung des gesetzlichen Arbeiterinnenschutzes, der sozialen Versicherung, des Kinderschutzes, den kommunalen Schul- und Erziehungsinstitutionen die Bahn brechen helfen. Es sind Lebensinteressen der breitesten arbeitenden Frauenmassen, die von dem allem berührt werden. Wir wollen uns daher in einem folgenden Artikel mit den Grundverhältnissen beschäftigen, nach denen sich die Forderungen zur sozialen Fürsorge
II.
Die Frage: Kann sich, muss sich die Berufsarbeit der Frau mit der Mutterschaft vertragen? ist erst durch die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft in ihrer Breite aufgerollt, in ihrer Tiefe gezeigt worden. Erklärlich genug. Erst mit dem Aufkommen der kapitalistischen Wirtschaft und der von ihr abhängigen Gesellschaftszustände ist der Konflikt zwischen den Pflichten der Mutterschaft und der produktiven Tätigkeit der Frau zu einer sozialen Massenerscheinung geworden, und seine Folgen treten riesengroß vor die moderne Gesellschaft in wahren Heerzügen vorzeitig aufgeriebener, unbefriedigter Frauen, leiblich und seelisch verkommender Kinder, die der Mangel an Pflege und Erziehung dem Verderben preisgibt.
Nichts ist jedoch irriger als der in vielen Köpfen spukende Glaube, die Frau müsse trauernd und sehnsuchtsvoll rückwärts blicken auf die vorkapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftszustände als auf das verlorene Paradies kampfloser, vollkommener Erfüllung ihres Mutterberufs. Die also wähnen, stehen wohl meist im Banne des hohen Liedes, das Schiller dem Schalten der züchtigen Hausfrau, der Mutter der Kinder gesungen hat, die lehret die Mädchen und wehret den Knaben. Sie vergessen über dem Reiz des Bildes seine geschichtliche Bedingtheit, vergessen vor allem, das es sogar für jene versunkenen Zeiten nur einen kleinen Ausschnitt des sozialen Lebens zeigt und nur die Daseinsverhältnisse eines wohlhabenden Volksteils festgehalten hat. Unter dem begüterten Bürgerstand dehnten sich aber die großen Schichten der kleinen und armen Leute mit einer ganz oder halb proletarischen Existenz. Wer die Kulturgeschichte einigermaßen kennt, der weiß, das dort die Not dem „natürlichen Mutterberuf des Weibes“ den Boden entzog. Ja mehr noch: auch in den dünnen Schichten des Bürgertums mit gefüllten Kisten und Kasten hatte die Hausfrau eine so schwere Bürde mannigfaltiger wirtschaftlicher Pflichten zu tragen, dass Kinderpflege und Kindererziehung keineswegs als die einzige Aufgabe, als Hauptwerk und Hauptwert des Weibes betrachtet wurden. Die Anforderungen der Mutterschaft waren Pflichten unter vielen, die der Lebenskreis der Frau in sich beschloss.
Wir müssen der Versuchung widerstehen, die Entwicklung des Problems: produktive Arbeit und Mutterschaft der Frau durch die Geschichte zu verfolgen. Nur so viel darüber, wenn wir die Dinge ganz im Allgemeinen und grob zugehauen betrachten, die Abweichungen von der geraden Linie beiseite schiebend, an denen die bunte Fülle des geschichtlichen Lebens so reich ist. Die Berufstätigkeit des Weibes ist nur die neuzeitliche, der kapitalistischen Gütererzeugung entsprechende Form produktiver, Wert schaffender Arbeit. Produktive Arbeit ist aber durch der Jahrtausende Wandel nicht bloß das Los der Frau gewesen, nein auch das Mittel ihrer Erhebung, die Wurzel ihrer gesellschaftlichen Würde und Achtung. Wie wäre es auch anders möglich! Wenn in dem Dienst der Gütererzeugung nur die unvollkommenen Werkzeuge und Arbeitsmittel, die zwerghaften, eingeschnürten Produktivkräfte der vorkapitalistischen Zeiten stehen, kann die Gesellschaft gar nicht auf die produktive Tätigkeit ihrer weiblichen Glieder verzichten. Der Ertrag der menschlichen Arbeit ist dann so dürftig, dass solcher Verzicht darauf hinauslaufen musste, den Männern eine erdrückende, ja unmögliche Last wirtschaftlicher Leistungen aufzuladen. Auf bestimmten Stufen und unter manchen Formen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens ist es bekanntlich die Frau, auf deren Schultern der größte und schwerste Teil der materiellen Lebensfürsorge ruht.
Wenngleich die urwüchsige Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ihre letzte Ursache in der Mutterschaft hat, bilden doch deren Aufgaben nur ein Zwischenspiel in dem ganzen Ablauf weiblicher Pflichten. Die Mutter pflegt und erzieht ihre Kinder im Nebenbei und Zwischendrin der zahlreichen wirtschaftlichen Anforderungen. Der Stand der Dinge ändert sich nur für die Frauen von Geschlechtern, Schichten, Klassen, die durch ihre Herrschaftsstellung dem Zwang enthoben werden, durch eigene produktive Arbeit ihren Lebensunterhalt zu erwerben. Hier sind die Vorbedingungen dafür gegeben, das die Mutter ausschließlich oder wenigstens in erster Linie ihren Kindern leben konnte. Allein in der Regel ist auch hier die Frau noch lange mit Sklaven, Hörigen oder Gesinde zusammen produktiv tätig, organisiert und leitet die große Haus- und Hofwirtschaft und konzentriert ihre Kräfte keineswegs auf den Mutterberuf. Eine Tendenz setzt sich dabei in auffälliger Weise durch. Je mehr Reichtum, Macht und Herrschaft das Weib der produktiven Tätigkeit entfremden, um so rascher und vollständiger gibt es auch die Mutterpflichten aus der Hand. Man vergegenwärtige sich den winzigen Anteil, den heute die Dame der oberen Zehntausend recht häufig nicht nur an ihrem Haushalt hat, sondern auch an der Pflege und Erziehung ihrer Nachkommen. Der eine wie der andere Pflichtkreis ist an fremde bezahlte Berufstätige übergegangen.
Aber der Mittelstand der „guten alten Zeit“, so hören wir fragen, zeigt er uns nicht das Ideal treu und verständnisvoll erfüllten Mutterberufs? Wir stellen dieser Auffassung einige Tatsachen entgegen. Der Einzelhaushalt jener Tage unterschied sich sehr wesentlich von dem heutigen. Sein charakteristisches Merkmal war die produktive Arbeit. Im Rahmen des Hauses wurden die wichtigsten Guter erzeugt, deren die Familie bedurfte. Die Frau aber war die Seele, die Hand dieser Arbeit, der Universalhandwerker, der buk, briet, räucherte, einmachte und braute, der spann, färbte, nähte, strickte usw. In der Familie der Handwerker, Geschäftsleute, Bauern, Lehrer, Geistlichen usw. hing die Behaglichkeit und Wohlhabenheit, ja recht oft die Sicherheit der Existenz im hervorragenden Maß von der produktiven Arbeit des Weibes ab. Die Inanspruchnahme der Frau durch die vielseitigsten wirtschaftlichen Verrichtungen schloss es aus, das sie die Mutterschaft als ihren einzigen Beruf oder auch nur als ihren Hauptberuf aufgefasst hätte. Als Beweis dafür brauchen wir nicht einmal die Berechnungen anzuführen, die Gelehrte über den geringen Ertrag des Spinnens an Nocken und Rad und andere weibliche Arbeiten der vorkapitalistischen Zeit aufgestellt haben. Die aufreibende Tätigkeit der Kleinbäuerinnen in abgelegenen Gegenden gibt uns einen anschaulichen Begriff davon, dass die Mutterpflichten bei weitem hinter den wirtschaftlichen Aufgaben zurückstehen.
Allerdings hatte die alte Form produktiver Frauenarbeit mancherlei vor der zeitgenössischen Berufstätigkeit voraus, wenigstens soweit sie nicht ausgebeutete Arbeit war, wie die der Hörigen, der dienst- und robotpflichtigen Bäuerin usw. Sie war keine abhängige Arbeit, die sich nach fremdem Willen und Befehlen richten musste, und sie wurde innerhalb der vier Pfähle der eigenen Wirtschaft verrichtet. In der Folge wurde die Mutter durch ihre produktive Arbeit nicht vom Kinde getrennt, und sie konnte die Anforderungen der Pflege und Erziehung leichter ihrem allgemeinen Pflichtkreis eingliedern. Alles in allem war für die Entwicklung des Nachwuchses sicherlich weit weniger eine bewusste methodische Erziehung bestimmend als vielmehr das lebendige Beispiel der arbeitenden, schaffenden Mutter. In dieser Richtung wirkte der Tätigkeits- und Nachahmungstrieb der Kleinen. Cum grano salis, das nötige Körnchen Salz kritischer Unterscheidung vorausgesetzt, dürfen wir diesen Stand der Dinge als eine elementare Erziehung zur Arbeit durch die Arbeit ansprechen.
Bei dieser Erziehung aber standen der Mutter in der Familie selbst Helfer und Helferinnen zur Seite. Namentlich der Vater, dessen Berufstätigkeit sich häufig im Haus und Hof abspielte und zum erziehlichen Vorbild für die Entwicklung der Knaben wurde. Außerdem aber oft Großeltern und unverheiratete Anverwandte, die dem Familienverband eingefügt blieben! auch die „Gevattern“, Nachbarn und Freunde konnten bei der Enge der ins Auge gefassten Verhältnisse unterstützend eingreifen. Bei Lichte betrachtet war so die Erziehung der Kinder nicht bloß Mutterwerk, vielmehr die Leistung einer größeren oder kleineren Gemeinschaft. Übersehen wir dazu einen bedeutsamen Umstand nicht. Jene Zeit musste ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungsstufe entsprechend auch ihre eigenen Maßstäbe für das Erziehungsziel und die Erziehungsaufgaben der Mutter haben. In der nächsten Nummer werden wir zeigen, welche Umwälzungen in der kapitalistischen Ordnung sowohl die produktive Arbeit der Frau erfahren hat wie auch ihr Wirken als Mutter.
III.
Die Entfaltung der kapitalistischen Wirtschaftsweise geht Hand in Hand mit einer unaufhaltsamen gründlichen Umwälzung der früheren produktiven Arbeit des Weibes. Der moderne fabrikmäßige Großbetrieb mit seinen märchenhaft wirkenden Kraft-und Werkzeugmaschinen, der weit getriebenen Arbeitsteilung, der durchgreifenden Organisation; der mit ihm aufkommende Großhandel: die ausgedehnten und vervollkommneten Verkehrsmittel: all das zerstört die Grundlagen der alten wertschaffenden Frauenarbeit im Hause. Die Familie verwandelt sich aus einer naturalwirtschaftenden produktiven Gemeinschaft in eine nur noch zusammen verzehrende moralische und soziale Einheit. Ein Zweig der produktiven Hausarbeit nach dem anderen entgleitet den Händen der Mütter und Töchter; draußen in der Wirtschaft der Gesellschaft sind es Berufsarbeiter und Berufsarbeiterinnen, die alles erzeugen, wessen die Familie bedarf. Sollte man da nicht wähnen, dass damit die Zeit angebrochen sei, in der das Weib nun in erster Linie seinen Mutterpflichten leben könne?
Eindringlicher noch als die Zahlen der Statistik über die Berufsarbeit der Frau, auch der kinderreichen Mutter, lehrt ein Blick in das Leben das Irrige einer solchen Annahme. Die Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft zwingen mit unerbittlicher Strenge die breiten Frauenmassen, nach wie vor ihren Teil zur produktiven Arbeit der Gesellschaft beizutragen und schaffend ihre Existenzberechtigung im sozialen Sinne zu erweisen. Jedoch sie bewirken gleichzeitig, dass die Frauenarbeit sich den Bedingungen der triumphierenden neuen Produktionsweise anpassen muss. Die Umwälzung zeigt sich aus naheliegenden Gründen zuerst und am auffälligsten in der Industrie.
Wie mit den zwerghaften Arbeitsmitteln und den rückständigen Arbeitsmethoden des alten zünftigen Handwerks, so räumt der Kapitalismus mit den vielseitigen hausgewerblichen Verrichtungen der Frau auf, die im Allgemeinen die lilliputanischsten und verkrüppeltsten Formen des Handwerks darstellen. Er duldet nicht die Zersplitterung und Vergeudung der Zeit, der Kraft, der Mittel, wie sie unvermeidlich ist, wenn in Millionen einzelner kleiner hauswirtschaftlicher Produktionsräume die weiblichen Familienmitglieder nach Urmütterart tätig sind. Er fordert die Zusammenfassung der menschlichen und dinglichen Produktivkräfte in großen Betriebswerkstätten, ihr planmäßiges Zusammenwirken in einem Arbeitsprozess, der die von Wissenschaft und Technik gebändigten Naturgewalten in seinen Dienst nimmt. Die Frau darf nicht länger im Haushalt recht und schlecht als Universalhandwerker des Morgens Seife und des abends Gespinst produzieren. Sie muss als Berufsarbeiterin eines bestimmten Gewerbes sich in der Hauptsache auf eine Tätigkeit beschränken, die sich nicht selten in dem ewigen Einerlei einiger weniger Handgriffe an der automatisch waltenden Maschine erschöpft. Es sind nun nicht mehr die Ihrigen, die die Früchte des hausmütterlichen Fleißes unmittelbar genießen. Was die Frau schafft, wird Eigentum ihres Arbeitsherrn, des Unternehmers, und sie empfängt dafür Lohn. Ihre berufliche Tätigkeit ist gleichbedeutend mit Erwerbsarbeit, mit dem Verdienen von barem Gelde.
Der Zustrom der Frauen zum Heer der industriellen Berufsarbeiterschaft – als Massenerscheinung betrachtet – erfolgt bekanntlich unter dem Stachel der Not. Es ist ein schreiender Widerspruch und ist doch Wirklichkeit: die nämlichen wirtschaftstechnischen Fortschritte, die den Ertrag der menschlichen Arbeit verzehnfachen, verhundertfachen, verringern den Preis der Ware Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt. Der Mann allein erwirbt nicht genug für den Unterhalt der Familie, die Frau muss mitverdienen. Die modernen Arbeitsmittel und Arbeitsverfahren eröffnen die Möglichkeit, dass sie als industrielle Berufsarbeiterin dem Zwang der Not gehorcht. Das kapitalistische Profitbegehren sorgt seinerseits dafür, dass Zwang und Möglichkeit zur berufsmäßigen industriellen Frauenarbeit sich im größten Umfang durchsetzen. Frauenarbeit ist als willige, billige und verbilligende Arbeit besonders profitbringend.
Wir können die Umstände nicht einmal summarisch aufzeigen, die rasch wachsende Scharen von Berufsarbeiterinnen auch im Handel und Verkehrswesen und namentlich in der Landwirtschaft entstehen lassen. Was darüber zu sagen wäre. berührt sich in vielem mit den vorausgegangenen Ausführungen. Hier ist es in der Regel ebenfalls des Lebens Not, die die Frau auf den Weg der Berufstätigkeit stößt, einen Weg, den wirtschaftstechnische Neuerungen ihr erschließen. Denn bei den betreffenden Bevölkerungsschichten bleibt wie beim Industrieproletariat im Haushalt noch mehr als genug für die Familienmutter zu tun, der es die schmalen Mittel verwehren, hauswirtschaftliche Obliegenheiten und Kinderpflege bezahlten Hilfskräften zu übertragen. Im einzelnen Falle lässt freilich nicht selten auch innerer Drang die Frau zur Berufstätigkeit greifen, um wirtschaftliche Selbständigkeit und eine zusagende Beschäftigung zu gewinnen.
Allein wir begegnen dem berufstätigen Weibe nicht bloß dort, wo die Arbeit dem materiellen Bedarf der Gesellschaft dient. Zu den hervorstechendsten Zügen der Zeit gehört das Eindringen der Frauen in die sogenannten höheren oder liberalen Berufe. Auch dabei spielt in großen Bevölkerungskreisen die Sorge für den Lebensunterhalt eine entscheidende Rolle. Die Macht des Großkapitals erschüttert die Existenzsicherheit der Klein- und Mittelbürger und vernichtet mehr und mehr ihre wirtschaftliche Selbständigkeit. Die bürgerliche Gesellschaft erzeugt zunehmende Massen von Kopfarbeitern, ein zahlreiches geistiges Proletariat; die alte soziale Vorzugsstellung der „gebildeten und studierten Leute“ geht in die Brüche. Seit die frühere produktive Arbeit der Frau nicht mehr ihr gerüttelt Maß zum Wohlstand der Familie beiträgt, drücken deren Unterhaltskosten angesichts der hervorgehobenen Tatsachen schwer auf den Mann. Der Ausblick darauf lässt die Gründung eines eigenen Herdes hinausschieben oder auch ganz unterbleiben. Gerade in den bürgerlichen Schichten gehen die Eheschließungen stark zurück, steigt die Altersgrenze für die Verheiratung. Hier nimmt mit alledem die Zahl der Töchter zu, die lebenslang oder zeitweilig arbeitend ihr eigenes Brot essen müssen; immer mehr werden der Frauen, die sich in die Notwendigkeit versetzt sehen, einen Zuschuss zu dem Einkommen des Mannes zu erwerben.
Neben dem materiellen Muss, oft auch zusammen mit ihm, treibt aber in den bürgerlichen Kreisen auch seelisches Bedürfnis zur Berufsarbeit. Mit dem Schwinden des alten produktiven weiblichen Arbeitsgebiets zerfällt die feste Grundlage einer Betätigung im Hause, bei der die Frau ihre Begabung und Energie auswirken könnte, zerfällt die Grundlage einer selbständigen, würdigen und nützlichen Stellung. [ca. sechzehn Zeilen Zensurstreichung]
In den verschiedenen bürgerlichen Gesellschaftsschichten begegnen wir daher heute Frauen, die in Seelenpein um einen ernsten, pflichtgemäßen Lebensinhalt ringen und ihn in einer Berufstätigkeit suchen.
Kurz, auf allen Arbeitsgebieten, wo Hand und Hirn sich um die materielle und kulturelle Lebensfürsorge mühen, steht das Weib berufstätig neben dem Mann. Es sind Wesenszüge, Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion selbst, die bewirken, dass die Hausfrau der „guten alten Zeit“ zur modernen Berufstätigen wird. Deshalb setzt sich die Umwandlung mit unwiderstehlicher Gewalt durch, ohne Respekt vor früheren Einrichtungen und Satzungen, vor ererbten Pflichtmaßstäben, vor persönlichem Wünschen und einzelnen Notwendigkeiten. Wir müssten die kapitalistische Wirtschaft, das von ihr getragene bürgerliche Regime aus den Angeln heben, wollten wir diese Entwicklung aufhalten, die eine Teilerscheinung des gewaltigen weltgeschichtlichen Prozesses ist, der alle gesunden erwachsenen Glieder der Gesellschaft zur Würde produktiv Schaffender erhebt und die Ordnung der befreiten Arbeit und höchster Kulturmöglichkeit für alle vorbereitet. Die Umstände jedoch, unter denen die Frau in der kapitalistischen Gesellschaft als Berufstätige auftritt und lebt, drängen eine Frage auf: Verträgt sich die Berufstätigkeit mit der Mutterschaft und ihren Anforderungen, schließt sie sich mit ihr harmonisch zum Ringe zusammen? Denn wie immer sich die gesellschaftlichen Zustände gewandelt haben und wandeln mögen: die Mutterschaft mit ihren Segnungen und Bürden bleibt von beherrschender Bedeutung für das Leben des Weibes. Unsere Frage kann daher nur bejaht oder verneint werden, wenn wir zuvor die andere prüfen: Welche Ansprüche stellt die heutige Berufsarbeit an die Frau?
IV.
Lassen wir an unserem Auge die bunte Mannigfaltigkeit der körperlichen und geistigen Arbeiten vorüberziehen, die die Frau heute als Berufstätige leistet, so scheint es zunächst geradezu unmöglich, zu einer einheitlichen Antwort auf unsere Frage zu gelangen. Nämlich, ob die Anforderungen der Berufsarbeit sich mit dem Pflichtenkreis der Mutterschaft vertragen. Wie? Sollte das gleichförmige, mechanische Tun der Spinnereiarbeiterin, der Anlegerin und Falzerin in einer Buchdruckerei, der Stepperin in einer Schuhfabrik, der Arbeiterin einer Ziegelei oder Zuckerraffinerie ebenso die Kräfte des Leibes und Geistes in Anspruch nehmen wie etwa der Beruf einer Schauspielerin, der zuzeiten Sinne und Seele völlig in seinen Bann schlägt, wie das Wirken der Ärztin, die oft genug in einer bestimmten Stunde ihre ganze Persönlichkeit restlos einer verantwortungsschweren Aufgabe unterordnen muss?
Es ist eine Binsenwahrheit, dass die verschiedenen Gebiete, auf denen die Frau unserer Zeit beruflich tätig ist, recht verschiedene Ansprüche an die leiblichen und seelischen Kräfte stellen. Niemand wird auch bestreiten, dass es Beschäftigungen gibt, die den Menschen mehr äußerlich in Anspruch nehmen, seine Körperkräfte anspannen und verzehren, während andere Berufe ihn innerlich mit Beschlag belegen und „keine anderen Götter“ neben sich dulden. Woraus sich die selbstverständliche Schlussfolgerung ergibt, dass die verschiedenen beruflichen Wirkungsgebiete des Weibes mehr oder weniger Schwierigkeiten und Gefahren für eine möglichst vollkommene Erfüllung der Mutterschaft in sich schließen: dass manche Berufe die körperliche Eignung für die Mutterschaft, die äußeren Bedingungen ihrer Pflichtleistungen bedrohen können, andere wiederum unvereinbar scheinen mit der höchsten seelischen Hingabe an das Kind, wenn das Weib mehr als Mutter werden, wenn es wirklich Mutter sein will.
Es muss die Aufgabe einer unbefangenen, gründlichen Spezialforschung sein, gewissenhaft zu prüfen, ob und inwieweit bestimmte einzelne Berufe und Arbeiten die Persönlichkeit der Frau unter Bedingungen einfordern, die eine Gefährdung der Mutterschaft und ihrer Ansprüche mit sich bringen. Die Gesellschaft ist verpflichtet, die praktischen Reformforderungen daraus abzuleiten. Jedoch nicht Einzelnes darf über das Verhalten zu der ganzen Frage entscheiden. Dafür kann nur maßgebend sein, ob die Anforderungen der Berufstätigkeit im allgemeinen sich mit den Aufgaben der Mutterschaft zusammenstimmen lassen. Denn so interessant und beachtenswert sein mag, was sich in dieser Hinsicht für einzelne Gruppen von Frauen, ja sogar nur für einzelne weibliche Persönlichkeiten herausstellt, entscheidend kann doch nur sein, wie die Bedingungen für die breiten Massen unseres Geschlechts liegen. Wir müssen also danach trachten, das Allgemeine zu erfassen, das die verschiedensten Formen und Anforderungen der beruflichen Arbeit beherrschende Gemeinsame, das sich vielgestaltig in der Fülle der Einzelerscheinungen durchsetzt.
Schürfen wir ein klein wenig unter der Oberfläche des schier unübersehbaren, tausendfach verzweigten und sich kreuzenden Gewirrs von Ansprüchen, die die zeitgenössische Berufsarbeit der Frau an die Geschicklichkeit der Finger und den sicheren, unverwandt spähenden Blick, an die andauernde, elastische Muskelkraft stellt, an die Anspannung des prüfenden, berechnenden, kontrollierenden Geistes, an die Zusammenraffung und Einsetzung von Gefühlswerten, von Gedankenflügen und Willensenergien! Es enthüllt sich dann an der Wurzel der widerspruchsvollsten Äußerungen diese allgemeine Grundursache: Die Berufstätigkeit ist nicht ein nebensächliches Etwas im Leben des Weibes, eine Betätigung seiner Kräfte, die sich im Nebenbei und Zwischendrin mit anderen Bekundungen seines Ichs ohne weiteres konfliktlos vereinigen ließe. Sie ist eine wesentliche, beherrschende Haupttatsache und Hauptäußerung der Existenz, ja sie ist in Millionen von Fällen die Hauptäußerung schlechtweg, hinter der alles andere Leben und Weben zurücktritt, zurücktreten muss.
Man vergegenwärtige sich das Dasein irgendeiner Industriearbeiterin, die sich des Morgens erhebt, die kleine Welt um sich rasch und notdürftig ordnet, das Frühstück hastig hinunterschlingt, um pünktlich beim Pfiff der Fabrikpfeife am Tor des Betriebs zu stehen: die dann tagsüber 10 Stunden an ihren Arbeitsplatz gefesselt ist, mit Pausen, von denen infolge der Entfernung zwischen Werkstatt und Heim für Hunderttausende nicht einmal die Mittagsrast ein Aufsuchen des häuslichen Herdes gestattet: die schließlich abends müde, zermürbt an Leib und Seele den Rückweg eintritt und für alles, was die Ihrigen von ihr wünschen, für alles, was ihr eigenstes Wesen begehrt, nur noch Reste der Zeit und Kraft übrig hat, ehe das Ruhebedürfnis sie aufs Lager zwingt. Oder die Tage einer Büroangestellten, die trotz aller Abweichungen in Äußerlichkeiten und Einzelheiten doch dem Los der industriell Erwerbstätigen in der einen großen Hauptsache gleichen: der Beruf beansprucht den Löwenanteil ihrer Zeit und Kraft.
Die gleiche Tatsache tritt uns entgegen, wenn wir die Verhältnisse auf dem Gebiet der liberalen, der geistigen Berufe überschauen. Man befrage die Lehrerin an einer Gemeindeschule, für die sich an die Pflichtstunden die Durchsicht und Verbesserung der Schülerarbeiten fügen, die Vorbereitung für den Unterricht und das unumgängliche Fortbildungsstudium, vielleicht auch noch Privatstunden, wenn das Gehalt gar knapp ist und für eine alte Mutter oder eine jüngere Schwester gesorgt werden muss. Und so hoch die Kunst ihrer Natur nach über die Bedingungen des „gemeinen Lebens“ erhaben scheint: soweit sie nach Brot gehen muss, Berufsarbeit, Grundlage des Lebensunterhalts und Lebensinhalts ist, unterstehen künstlerisch tätige Frauen dem gleichen Gebot, von den verzehrenden inneren Anforderungen ihrer Betätigung zu schweigen. Anders ist es nur für die spielerischen Dilettantinnen, denen fremde Arbeit den Unterhalt sichert, und die für ihre chronische Leistungsuntüchtigkeit eine Müdigkeit des Körpers und Geistes vorlügen, die nicht die natürliche Folge eines Zuviel an Pflichten ist, sondern nur der Ausdruck des Müßiggangs, der Gefühls- und Geistesarmut und der Willensschwäche.
Fragen wir nach dem Warum, dass die Berufstätigkeit eine so überragende Stellung im Leben des Weibes einnimmt. Wir stoßen dann auf die Tatsache, dass die Berufsarbeit der Frau unmittelbar gesellschaftliche Arbeit geworden ist, gleich der des Mannes. Sicherlich: auch in der feudalen Wirtschaft und Gesellschaft hat die produktive Frauenarbeit eine große soziale Bedeutung, wie wir bereits früher aufgezeigt haben. Allein sie war nicht unmittelbar der gesellschaftlichen Produktionssphäre einverleibt. Zwischen dieser und ihr stand die Familie in ihrer Funktion als Wirtschaftseinheit, entschied unmittelbar über das Tun des Weibes, gliederte seine produktive Arbeit den übrigen Betätigungen, dem ganzen Lebenspflichtkreis ein und verschleierte mit dem allein den Zusammenhang zwischen dem Frauenwirken und der allgemeinen Wirtschaft.
Wie die Dinge in dieser Beziehung für die unfreie Arbeit von Sklavinnen, Leibeigenen und Hörigen lagen, darüber wissen wir allerdings herzlich wenig. Die Geschichte der Vergangenheit redet ja in der Hauptsache nur von den herrschenden Klassen, Kasten und Geschlechtern, sie geht rasch, beinahe achtlos an den Lebensbedingungen der Massen vorüber und ist geradezu stumm, wenn es sich um das Dasein der doppelt und dreifach Unfreien und Unterdrückten handelt: den Frauen des fronenden Volks. Wir wissen aber jedenfalls, dass die Herrschaftsgewalt auch in die persönlichsten Beziehungen, in das Familienleben der Unfreien brutal eingreifen konnte. Im frühen Mittelalter zum Beispiel vertrug sich das Christentum mit dem Recht des adligen Herrn, die Familie des Leibeigenen auseinanderzureißen Mann, Frau und Kinder getrennt zu verkaufen. So kann nur mit Einschränkungen gelten, was wir im Allgemeinen von der Rolle der Familie für die Arbeits- und Lebensgestaltung der Frauen sagen.
Immerhin dürfen wir wohl das Eine festhalten: wo die Familie ihren Herd aufrichtete und ihr abgeschlossenes, eng begrenztes Reich schuf, da regelte sich die produktive Arbeit des Weibes im Hinblick auf die Gesamtinteressen der Familie. Innerhalb dieser Gesamtinteressen nahm aber die Rücksicht auf die Nachkommenschaft einen ganz hervorragenden Platz ein. Zahlreiche, gesunde, leistungsfähige Nachkommen bedeuteten Wohlstand, Reichtum und Macht für die kleinbäuerliche und kleinbürgerliche Familie, die arbeitend emporsteigen wollte, für das adlige Geschlecht, das sich kämpfend behaupten musste. Innerhalb der kleinen Gemeinschaft und für sie hatte auch die Einzelpersönlichkeit hohen Wert. Wie hätte man da die Mutterschaft als Quelle von Kraft und Macht der Gemeinschaft nicht würdigen sollen?
Gewiss, auch bei der Einforderung des Weibes durch die mütterlichen Verpflichtungen konnten die harten Notwendigkeiten der materiellen, wirtschaftlichen Bedürfnisse nicht als belanglos beiseite geschoben werden. Diese behaupteten ihre Macht. Allein trotz alledem wurde die Mutterschaft nicht vollständig der produktiven Arbeit untergeordnet. Der Rahmen und der Zweck der Familie ermöglichten ein Nebeneinander, bei dem das Recht des Kindes auf die Mutter, die Pflege und Erziehung durch sie nicht ganz ausgelöscht ward. Das zeigt sich noch in den Verhältnissen der untersten Volksschichten. Vorschriften und Erlasse kirchlicher Behörden und Herren forderten zum Beispiel für die hörige Wöchnerin eine Rücksicht und Fürsorge, die die freie Arbeiterklasse unserer Tage für ihre Mütter zum Teil erst noch erkämpfen muss. In manchen Gegenden Deutschlands sollte zum Beispiel der hörige Bauer während des Wochenbetts seines Weibes nicht zum Steinefahren usw. gezwungen werden, damit er Mutter und Kind besser pflegen könne.
Wir mussten – leider ganz flüchtig – in die Vergangenheit zurückblicken, weil dadurch anschaulich wird, wie tief, wie einschneidend der Umschwung ist, der sich damit vollzogen hat, dass der Kapitalismus die produktive Frauenarbeit als Berufsarbeit nun der gesellschaftlichen Wirtschaft unmittelbar eingefügt hat. Die Familie ist – sagen wir – als Regulator zwischen den Ansprüchen der Berufsarbeit und der Mutterschaft jetzt vollkommen ausgeschaltet. Ihre Wünsche, ihre Bedürfnisse, ja nicht einmal ihre zwingendsten Notwendigkeiten sprechen ein entscheidendes Wort bei den Bedingungen mit, denen die Berufsarbeit des Weibes unterliegt. Diese muss den allgemeinen Gesetzen der gesellschaftlichen Wirtschaft Untertan sein. Will sie sich behaupten – und sie muss sich behaupten bei Strafe des Hungers oder der Verkümmerung und Beschmutzung der Seele –; so muss sie auf dem gesellschaftlichen Markt konkurrieren können. Die Arbeit des Weibes muss neben der des Mannes bestehen, die Arbeit der verheirateten Frau neben derjenigen der ledigen Arbeiterin. Das bedeutet in der kapitalistischen Ordnung nicht mehr und nicht weniger als die Einforderung der vollen Kraft, ja häufig des ganzen Menschen für die Berufsarbeit. Die Existenz der Berufstätigen erblüht nicht im Segen des Wortes: Arbeite, um zu leben, sie wird unter das Gebot gebeugt: Lebe, um zu arbeiten! Den Grund sollen die folgenden Darlegungen zeigen.
V.
Um es mit dürren Worten zu sagen: das Wesen der kapitalistischen Ordnung selbst und die in ihr begründeten Gesetze der Wirtschaft bewirken, dass die Berufstätigkeit im Allgemeinen die volle Kraft des Weibes einfordert, sie in zahllosen Fällen auf Kosten der Mutterschaft aufzehrt. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die unfreie, die ausgebeutete Arbeit sind Grundlagen dieser Ordnung. Der Profit, der Vorteil des Einzelnen ist eine ihrer stärksten treibenden Mächte, der erbarmungslose Kampf aller wider alle gehört zu ihren unvermeidlichen und hervorstechendsten Zügen. Etwa als das Werk der einzelnen Kapitalisten, ihrer Einsichtslosigkeit und Herzenshärte? Mitnichten, als die Folge bestimmter Wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhänge.
Gewiss, der Kapitalismus konnte sich nicht entfalten, ohne diesen wichtigen Fortschritt über Altertum und Mittelalter hinauszubringen: die Anerkennung des Rechts der Persönlichkeit auch für die Besitzlosen, ihre juristische, rechtliche Freiheit, als Person über sich zu verfügen. Das ist der Unterschied zwischen den Lohn- wie Gehaltfrondenden unserer Tage und der Sklaven, Leibeigenen und Hörigen. Allein wird es nicht durch weitschichtiges, beweiskräftiges Tatsachenmaterial erhärtet, spüren es die „freien“ Proletarier nicht an Leib und Seele, dass sie als Besitzlose trotz gleichem persönlichen Rechts mit den Besitzenden wirtschaftlich unfrei und daher auch sozial gebunden sind? In der kapitalistischen Ordnung wirkt sich eine stärkere Macht aus als der Buchstabe des Gesetzes und fesselt, was dieses löst. Das ist der Besitz an den Mitteln der Gütererzeugung, der dank der Revolutionierung dieser Mittel und des Arbeitsprozesses die gewaltigste Bedeutung und Macht erlangt hat. Die Arbeitenden sind juristisch persönlich frei, aber kraft des Besitzes, der über die Produktionsmittel verfügt, ist die Arbeit nicht frei, und da die Arbeit sich von der Person des Arbeitenden nicht trennen lässt, verfallen auch sie der Abhängigkeit, der Unfreiheit. Aus dem grundlegenden Gebiet der Wirtschaft springt dieser Tatbestand in das Reich der geistigen Betätigung hinüber. Solange die Handarbeit im Joche geht, muss auch die Kopfarbeit sich darunter beugen, solange die Erzeuger des materiell Lebensbedarfs der Gesellschaft unfrei sind, können Gelehrte und Künstler, Beamte und Lehrer usw. ebenfalls nicht als freie tätig sein.
Weil die Arbeit unfrei ist, fordert sie von der berufstätigen Frau mehr, als ihr zukommt, wird sie aus einer Dienerin des Lebens zu dessen Herrin, aus einem Mittel, alle Kräfte und Gaben des Weibes zu entfalten und zu schönster Blüte zu bringen, zu einem Hindernis eben dieser Entfaltung und Blüte, bleibt sie günstigstenfalls eine Lehrmeisterin für die einseitige Entwicklung einzelner Fähigkeiten und Geschicklichkeiten, eingeengten Wesens. Mit dem allem verwandelt sich die Berufstätigkeit aus einer Voraussetzung dafür, dass „erzogene Mütter erzogene Kinder gebären“ und in liebevoller Betreuung über sich hinausheben, in eine schwere Gefährdung der Mutterschaft, ja in ihre Verneinung. Man denke nur an die mancherlei Arten von Industriearbeiterinnen, deren Mutterschoß durch die Erwerbsarbeit krank und schwach oder gar unfruchtbar wird, an die viel zu vielen Mütter, die ihre Kleinen an Körper und Geist zugrunde gehen sehen, weil das Muss des Brotverdienens sie fern von ihnen hält. Wie das allgemeine Menschentum, so leidet die Mutterschaft des Weibes darunter not, dass die Berufstätigkeit heute ein Mehr an Zeit verschlingt, einen stärkeren Verschleiß leiblicher und geistiger Kräfte mit sich bringt, als es in einer Gesellschaft freier Arbeiter der Fall sein würde. Dieses Los lastet geradezu zermalmend auf Millionen besitzloser Frauen, die erwerben müssen und doch Mutter in der ganzen Bedeutung des Wortes sein wollen, aber es wird auch für jene berufstätigen Frauen nur gemildert, nicht aufgehoben, die zu den besitzenden Klassen gehören. Es sei denn, dass diese letzteren sich damit begnügen, Berufstätigkeit und Mutterschaft nur als eine leichte, liebenswürdige Tändelei für müßige Stunden aufzufassen.
Zum Schaden der Mutterpflicht und des Mutterglücks legt die Berufstätigkeit natürlich dort am umfassendsten und unerbittlichsten Beschlag auf die Frau, wo die Arbeit im Dienste fremden Reichtums steht und von ihm unmittelbar ausgebeutet wird. Dort entscheidet der kapitalistische Besitz als Herrscher über die Art, die Bedingungen, das Maß der Berufsarbeit, und er vermag um so gebieterischer aufzutreten, je schwächer und schutzloser ihm die Arbeiterin als Weib gegenübersteht. Ist sie doch in der Regel bedürfnisloser als der Mann, in den Dingen dieser Welt nicht so bewandert wie er, weniger aufgeklärt über ihre eigenen Interessen, schlecht oder gar nicht organisiert und minderen politischen Rechts. Diese Schwäche ist ein Unterschied zwischen den Geschlechtern, den der Kapitalist zur Steigerung seines Gewinns wohl zu würdigen weiß, im Übrigen sind ihm Mann und Frau als Objekt seines eigenen Waltens gleich, die nämliche Verwendungs- und Ertragsmöglichkeit vorausgesetzt. Eine schonungslose Ausnutzung weiblicher Arbeitskraft, die bescheideneres Profitstreben in manchem einzelnen Falle nicht verlangen würde, wird durch den eisernen Druck der Konkurrenz zwischen den Unternehmern auf dem nationalen, und internationalen Markt erzwungen.
Das Kapital muss durch die Arbeit, über die es Kommandogewalt hat, mehr Wert erhalten, als es für ihre Entlohnung aufwendet. Das ist nur durch Mehrarbeit möglich, die die Berufstätigen zu leisten haben. Der Mehrwert, der dem Kapital zu eigen fällt, wird auch erzeugt durch das Mehr an Zeit, Muskel- und Nervenkraft, durch das Mehr an Fähigkeit, Gewandtheit, Sorgsamkeit, Anspannung des Geistes und Willens, das die Arbeiterin über ihre Entlohnung hinaus an ihre Berufstätigkeit setzt und setzen muss. Dieses Mehr geht der Frau selbst und ihrem Leben und Weben am häuslichen Herd verloren. Die Proletarierin, die der Berufsarbeit geben muss, was ihrer in der kapitalistischen Ordnung ist, kann der Mutterschaft nicht geben, was ihr gebührt. Niemand kann zween Herren dienen, auch die werktätige Mutter nicht, und wenn sie schafft, bis die Hände wund sind und die Augen den Dienst versagen. Das Kapital ist aber der stärkere Herr. Im heutigen Wirtschaftsleben gehen seine Ansprüche vor denen der Mutterschaft, dafür sorgt die Not der Besitzlosen, der sie unterwerfende Zwang, schaffend den Lebensunterhalt zu gewinnen. Die erwerbenden Proletarierinnen wissen ein Lied davon zu singen, das von qualvollen, überbürdeten Tagesstunden und schlaflosen Nächten erzählt, das schwer ist von Tränen und Herzblut. Lassen wir dazu Tatsachen sprechen, die unbestreitbar sind.
Proletarische Mädchen werden mit sechzehn Jahren wirtschaftlich „großjährig“, denn sie genießen von da an nicht mehr den dürftigen gesetzlichen Schutz der jugendlichen Arbeitskräfte. Sie dürfen vom sechzehnten Jahre an unter den gleichen Bedingungen wie Erwachsene verwendet und angestrengt werden, obgleich ihr Körper noch nicht voll entwickelt ist und die weitere Bildung von Geist und Charakter Rücksicht heischte. Die Berufsarbeit frisst Kräfte auf, aus denen sich einst neues Leben erbauen sollte, beansprucht Zeit und innere Werte, die der Vorbereitung auf die Mutterschaft und ihren Pflichten dienen müssten. Denn eines Tages werden diese halben Kinder Mütter werden mit der Aufgabe. Menschen zu bilden. Bedeutet ihre Preisgabe nicht im zweifachen Sinne die Ernte im grünen Halm vernichten? Die alte Sage vom Moloch, der mit Jungfrauenfleisch gespeist sein wollte, hat einen neuen, furchtbaren Sinn bekommen! Arbeiterinnen müssen mit giftigen Stoffen umgehen, die nachweisbar nicht nur den mütterlichen Körper verseuchen, sondern auch die Leibesfrucht schädigen, wenn nicht töten. Das bestätigen die zahlreichen Tot-, Früh- und Fehlgeburten der Frauen in bestimmten Berufen, ihre schweren Entbindungen, ihre häufigen Krankheiten der Unterleibsorgane. Die Tabakarbeiterinnen sind der Gefahr ausgesetzt, dass das Nikotin die nährende Kraft ihrer Muttermilch in verderbliches Gift verwandelt. Der Fußbetrieb von Näh- und Poliermaschinen usw. zerrüttet den Organismus vieler Frauen in einem Maße, dass er unfähig zu gesunder, normaler Mutterschaft wird. Eine schier endlose Liste von beruflichen Gefahren ließe sich zusammenstellen, die stetig die erwerbende Proletarierin um lauern. Der zehnstündige Arbeitstag – oft genug durch Überzeitarbeit und fast stets durch häusliche Pflichten verlängert – steigert durch die Dauer alle schädlichen Einflüsse der Berufsarbeit und mindert den körperlichen Schatz, der im Weibe für die Mutter bewahrt werden müsste.
Die rücksichtslose Hinopferung der Mutterschaft bei der Berufsarbeit redet durch ungezählte Frauen zu uns, die gebrechlich und siech dem Alter und Tod vorzeitig entgegeneilen. Sie wird bezeugt durch das Riesenheer schwächlicher, bresthafter [gebrechlicher] Kleinen, die als einziges Erbgut die Keime zu allerhand Leiden mit auf die Welt bringen, durch die vielen Kindergräber – namentlich Säuglingsgräber! – in Industriegegenden, anklagende Denkmäler des Massensterbens proletarischer Nachkommenschaft. Erscheinungen das alles, die sicher nicht auf das Schuldkonto der unfreien kapitalistischen Berufsarbeit des Weibes allein zu setzen sind, die jedoch ebenso gewiss zum großen Teil davon nicht gestrichen werden können. Das beweisen die Veröffentlichungen der Krankenkassen für Arbeiter und Angestellte wie die Berichte der Gewerbeaufsichtsbeamten, darüber enthält die ärztliche und sozialwissenschaftliche Literatur reiches, nur allzu reiches Material.
VI.
Schlagen wir noch eine andere Seite aus dem Buche der Leiden von Millionen Frauen auf. Zur Mutterschaft gehört mehr, gehört Höheres, als dass des Weibes Schoß nur gesunde Kinder trägt und gebiert. Mutterhände sollen Kinder hegen und Pflegen, Mutterhirn und Mutterherz sollen mit Verständnis und Liebe knospendes Leben zur Blüte entfalten. Das Weib soll Schützerin und Erzieherin des nachwachsenden Geschlechts sein. Wie steht es damit, wenn die Proletarierin als Berufstätige unter die strengen Gesetze der kapitalistischen Wirtschaft fällt? Während die Frau in Fabrik und Werkstatt, in Büro, Kontor oder auf dem Felde dem Verdienst nachgeht, kann sie ihre Kinder daheim nicht betreuen, schon allein die äußerliche Trennung von ihnen schließt das aus. Das ist so klar, so offenkundig, dass wir kein Wort darüber zu verlieren brauchen. Und die Erwerbsarbeit nimmt einen großen Teil, jedenfalls den besten Teil des Tages in Anspruch. Ein ungezähltes Heer berufstätiger unbemittelter Frauen in Stadt und Land schafft ständig oder wenigstens zeitweilig weit länger als die 16 Stunden, die das Gesetz als Maximalarbeitstag für Industriearbeiterinnen festgelegt hat. Man denke an die Arbeit in landwirtschaftlichen Betrieben, an die Überstunden in Zuckerfabriken, in der Konservenindustrie während der „Kampagne“, im Konfektionsgewerbe und in vielen anderen Berufszweigen während der Saison usw. Die Pausen in der Erwerbsarbeit –wo das Gesetz solche überhaupt vorschreibt – sind im Allgemeinen viel zu kurz, als dass sie den meisten verheirateten Arbeiterinnen das mütterliche Walten im Hause gestatten würden. Die Entfernung zwischen Heim und Berufsstatt ist oft groß, und es zeigt sich die Tendenz, dass sie wächst, denn es werden ständig Proletariermassen aus den städtischen und industriellen Zentren hinausgedrängt und neue, noch an die Scholle gefesselte halb-und viertelbäuerliche Bevölkerungsschichten der Industrie eingegliedert. Angesichts dieser Tatsache vermögen sehr viele berufstätigen Frauen den Pflichten der Mutterschaft nicht einmal die Mittagspause nutzbar zu machen, auch wenn sie um die halbe Stunde verlängert wird, die verheiratete Industriearbeiterinnen nach dem Gesetz verlangen dürfen, die ihnen damit aber in Wirklichkeit noch nicht gewährleistet ist.
Und die Berufsarbeit fordert nicht bloß die Zeit der Frau ein, vielmehr im Allgemeinen auch den größten, den besten Teil ihrer leiblichen und geistigen Kräfte. Wer zählt die kummervollen Mütter, die bereits am frühen Morgen nicht genügend ausgeruht, müde an Körper und Geist an die Berufstätigkeit gehen, weil die Hetze einiger Stunden häuslicher Verrichtungen hinter ihnen liegt, weil die fortlaufende Überanstrengung von Wochen, Monaten, Jahren an den natürlichen Schatz der Kräfte zehrt? Nun legt die Berufsarbeit, die vom Kapital kommandierte, unfreie, ausgebeutete Berufsarbeit Beschlag auf die Frau und verleibt sie dem Mechanismus des Betriebs ein. Die Erwerbstätige wird zu einem Rädchen in einem Uhrwerk, über das sie keine Gewalt hat, das keine Rücksicht auf sie kennt, dem sie dienen und sich unterordnen muss. Am augenscheinlichsten und am schärfsten ausgeprägt erweist sich das dort, wo die erwerbende Proletarierin durch ihre Berufsarbeit an die Maschine gekettet ist, Teilarbeit der kleinsten und einförmigsten Art verrichtet. Es ist eine hundertfältig wissenschaftlich festgestellte Tatsache, dass Teilarbeit, dass automatische Maschinenarbeit, je weiter sie den einzelnen Handgriff vereinfacht und erleichtert, auf die Dauer die Arbeitskräfte um so intensiver aussaugt. Die einseitig angestrengte Aufmerksamkeit und Fingerfertigkeit, die einseitige Anspannung bestimmter Nerven- und Muskelgruppen und der eintönige Charakter des Tuns werden durch kein Gegengewicht gemildert, und es fehlt der Reiz des Bewusstseins eines schöpferischen Wirkens, wie die Freude, die daraus quillt. Nur zu häufig wird die Berufsarbeit zur Berufshatz, bei der die Maschine, das Zusammenwirken vieler, der niedere oder höhere Vorgesetzte zum äußersten Einsetzen der Kräfte antreibt oder vielleicht noch unbarmherziger als sie alle zusammen der von bitterer Not gezeugte Wunsch, den kargen Verdienst zu steigern.
Zu den Anforderungen der Berufstätigkeit selbst gesellen sich nicht selten noch andere Umstände, die die körperliche und geistige Kraft, Frische und Energie zermürben. Es sei der unhygienischen Bedingungen vieler Arten von Frauenarbeit gedacht, der harten und groben Worte von Vorgesetzten, der mancherlei Demütigungen, die der wirtschaftlich Mächtige sich dem Weibe gegenüber um so eher erlaubt, je schwächer es ist. Vom Mehrwertdrang, vom Profitbegehren gestachelt, reißt das Kapital bei der beruflichen Frauenarbeit die Schranken nieder, die im Hinblick darauf geboten sind, dass die Erwerbstätige ein Mensch, ein weiblicher Mensch ist und die Aufgaben der Mutterschaft erfüllen soll. Es sei denn, dass das Gesetz eingreift, oder dass die gewerkschaftliche Organisation zügelnd wirkt. Die Ursachen sind bekannt, weshalb das heute noch nicht in dem vollen erforderlichen Maße geschieht.
Und das Ergebnis von alledem? Die besten Kräfte und Säfte der Berufstätigen kommen in Faden und Gewebe, in Papier und Bijouterie, in Feldfrüchten und Molkereiprodukten kristallisiert, vergegenständlicht auf den kapitalistischen Warenmarkt und bringen ihren Eigentümern – nicht ihren Erzeugern – mehr oder weniger guten Gewinn. In das Heim aber kehrt nach Feierabend ein abgeschafftes, ruhebedürftiges Weib zurück, das nur noch Überbleibsel seiner leiblichen und geistigen Energie mitbringt. Vor der Erschöpften – in vielen Fällen müsste man sagen vor der Aufgezehrten – breitet sich nun ein neuer Wirkungskreis aus. Das Heim erwartet sie nicht als Ruhestatt, sondern als zweites Arbeitsgebiet. Hier soll sie Pflichten erfüllen, die die höchsten Anforderungen an Gemüt, Geist und Charakter stellen, und die die größte Verantwortlichkeit in sich begreifen. Sie soll Mutter sein, das nachsprossende Leben warten und bilden.
Kann die erwerbstätige Proletarierin sich dieser Aufgabe widmen, sobald sie die Schwelle des Heims überschreitet? Wer das vermeinen würde, der kennt die Verhältnisse nicht, die die kapitalistische Ordnung für die breiten werktätigen Massen schafft. Not zwingt in der erdrückenden Mehrzahl der Fälle die Proletarierinnen zur Berufsarbeit, und Not gebeut ihnen, nach Feierabend zunächst für die äußeren, die leiblichen Bedürfnisse der gesamten Familie zu sorgen. Kaum dass die Mutter danach gesehen hat, ob ältere Geschwister oder eine freundliche Nachbarin das Kleinste oder auch die Kleineren trocken und sauber gehalten haben, muss sie kochen und flicken, waschen und scheuern. Alle hauswirtschaftlichen Obliegenheiten drängen sich für sie in die „kurze Sklavenrast“ am Abend und in den frühesten Morgen zusammen und verwandeln ihren Sonntag in den häuslichen Hauptarbeitstag der ganzen Woche. Was bleibt der von der Berufsarbeit Ausgepressten im Nebenbei und Zwischendrin der vielerlei Hausgeschäfte an Zeit, an leiblicher Stärke, an Willen und Frische, an Heiterkeit und Ruhe des Gemüts für die hohen Ausgaben der Mutterschaft? Das Seltene vorausgesetzt, dass sie als junges Mädchen sich darauf vorzubereiten vermochte.
Es ist das große, das heilige Wunder der Mutterliebe und Muttertreue, dass trotz der zermalmenden Ungunst der äußeren Verhältnisse die berufstätige Proletarierin sich verzweifelt dafür wehrt, ihre Mutterpflichten zu erfüllen. Allein sie mag ihre Nachtruhe opfern, sich die Hände blutig und Augen und Seele todmüde arbeiten, sie kann, sie darf sich nicht verhehlen, dass sie als Mutter ihren Kindern nicht zu geben vermag, was ihnen an Betreuung und Erziehung gebühret. Die Mehrarbeit, die der Beruf ihr für den kapitalistischen Mehrwert abfordert, die übermäßige Beschlagnahme ihrer Person dadurch: geht nicht bloß auf Kosten der Traulichkeit des Heims, das ein geschützter, sonnenüberglänzter Garten für das junge Menschenpflänzlein sein sollte, sie geht vor allem auf Kosten der Entwicklung des Kindes selbst. Das Mehr, das der Beruf dem Weib abverlangt, muss zu einem Weniger an Pflichtleistungen der Mutterschaft werden. Nicht bloß dem Maß, dem Umfang nach, sondern auch nach dem inneren Gehalt.
Die Natur ist weder so respektvoll für das Profithängen und Profitdrängen der kapitalistischen Produktion, noch so gemütvoll für den Herzenswunsch der Mutter, ihre Pflicht möglichst vollkommen zu tun, dass sie das Kind wenigstens gleich im schulpflichtigen Alter geboren werden ließe, so dass die berufstätige Proletarierin es für einen Teil des Tages versorgt wüsste. Der proletarische Nachwuchs muss als Säugling und in den folgenden Jahren die wachende und schützende Mutterliebe gerade in der Zeit entbehren, wo der Mangel an umsichtiger und gewissenhafter Pflege nur zu leicht zum Todesurteil wird oder auch zur Ursache lebenslänglicher Kränklichkeit und Schwäche, in der Zeit, da klarblickende Betreuung an der Grundlage für die körperliche und geistige Entwicklung des Menschen baut. Vergessen wir nicht, dass das Erblühen des Geistes an die Entfaltung der leiblichen und geistigen Organe und Kräfte gebunden ist, und wie entscheidend die ersten Lebensjahre dafür sind. Jedes Stück Pflege des zarten Körpers ist gleichzeitig Unterstützung. Förderung des erwachenden Geistes, des sich regenden Charakters. Wenn das Kind später in die Schule eintritt, müsste die sorgende Mutterliebe individuell erziehend walten können, auch wenn die heutige Lernschule des kapitalistischen Klassenstaats sich unserem Ideal einer allgemeinen, einheitlichen Volkserziehungsanstalt so weit genähert hätte, als sie von ihm entfernt ist. Was täte da erst recht für die Gegenwart bitter not! In die Jahre des Schulbesuchs fällt die kritische Zeit der beginnenden Geschlechtsreife mit ihren Anfechtungen und Gefahren, die Zeit starker Nerven- und Hirnentwicklung. Und wie dringend bedürfte gerade das schulentlassene halb flügge Kind der Einsicht und Umsicht mütterlichen Geistes, der Treue und Klugheit mütterlicher Hand, die die brausenden Sinne, die gärende Seele leitet, ohne zu schulmeistern!
Man messe an diesen flüchtig umrissenen Aufgaben, was die berufstätige Proletarierin ihrem Fleisch und Blut sein, was sie ihm geben kann. Auch im günstigen Fall einer Gesundheit und Willensstärke, die den Durchschnitt erheblich überragen, bleiben für die Mutterschaft nur die Brosamen. die das Kapital vom Tische fallen lässt. Ein großes Defizit nicht erfüllter Mutterpflichten muss die Folge des Nebeneinander von Berufsarbeit und Mutterschaft sein. Dieses Zuwenig ist in die Geschichte eingetragen mit der Feststellung englischer Fabrikinspektoren und Ärzte, dass in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als die große Krise in der Baumwollindustrie die Textilarbeiterinnen ihres Brotes beraubte. die Sterblichkeit ihrer Kleinen abnahm. Trotz der gestiegenen Not in der Familie, weil die Mütter sich ihren Säuglingen wieder widmen konnten. Dieses Zuwenig wandelt an uns Tag für Tag vorüber in einem endlosen, erschreckenden Zug sterbender und verderbender Kinder, junger Burschen und Mädchen. Die mangelnde mütterliche Pflege vollendet, was die gesundheitsschädlichen Wirkungen vieler weiblicher Berufsarbeit vorbereiten: den körperlichen Ruin. Von der seelischen Verwilderung und Verelendung aber erzählen die trockenen und doch so beredten Ziffern der Statistik über die Zunahme der Vergehen und Verbrechen von Kindern und Jugendlichen. Ist es nicht beweiskräftig genug, dass während des Krieges ihre Zahl sprunghaft steigt, weil – wie allgemein anerkannt wird – trotz aller sozialen Fürsorge die Sorge für Nahrung und Notdurft mehr Mütter als sonst zum Erwerb zwingt. Tatsachen wie die angeführten müssen auch von dem stumpfen, dumpfen Sinn als erschütternde Anklagen aufgefasst werden, dass die kapitalistische Berufsarbeit des Weibes die Mutterschaft gefährdet. Allein geht nicht neben ihnen für die klar Denkenden die nicht minder furchtbare Erinnerung an die unnennbaren und unwägbaren Werte des Menschentums, die welken und sich nie zur vollen Höhe der ursprünglichen Beanlagung erheben, weil zur rechten Zeit wissende und handelnde Mutterliebe gefehlt hat?
Gibt es jedoch nicht eine Art der gewerblichen Frauenarbeit, die die geschilderten Übel und Leiden mildert, weil sie eine Verbindung von Berufstätigkeit und Mutterschaft ermöglicht, die sich dem Stande der Dinge in der vorkapitalistischen Zeit nähert? Es fehlt nicht an Leuten, die diese Frage unter Hinweis auf die Heimarbeit bejahen. Sicherlich in gutem Treuen, aber ebenso gewiss ohne klares Erfassen der Wandlung, die diese Produktionsform dadurch erfuhr, dass der moderne Kapitalismus sie in seinen Dienst genommen hat. Nur so erklärt es sich, dass eine Ausdehnung der Heimindustrie ohne weiteres als Mittel empfohlen wird, kinderreichen Kriegerwitwen zu einen: Erwerb zu verhelfen. Gestattet denn nicht die Heimarbeit der Mutter, am häuslichen Herd zu weilen und neben dem beruflichen Schaffen ihre Kleinen zu pflegen und zu überwachen und sie zu Menschen nach dem Bild ihrer Sehnsucht zu formen? „Wenn man’s so hört, fast könnt es leidlich scheinen.“ Man gehe jedoch in die Behausungen der Heimarbeiter! Das Idyll von der Mutter, die, umringt von gut gewarteten, gesunden und glücklichen Kindern ohne Überbürdung in heiterer Gemütsruhe dem Verdienst nachgeht, wird dann durch stauberfüllte Stickluft, durch die Dämpfe und Dünste der Küche und Werkstatt in einem verdunkelt, wird durch die Tränen unversorgter Kinder und fieberhaft hastender Frauen ausgelöscht.
Die Heimarbeit unserer Tage unterscheidet sich wesentlich von dem „bäuerlichen Hausfleiß“ und dem Spinnen, Weben usw. in der kleinbürgerlichen Familie der früheren Zeit. Sie steht unter der Kommandogewalt des Kapitals, und die als Heimarbeiterin berufstätige Frau kann in der Folge ihr Schaffen nicht den Anforderungen der Mutterschaft anpassen. umgekehrt, sie muss die Mutterschaft unter die Ansprüche des Erwerbs beugen. Wie die Proletarierin in Fabrik und Werkstatt, auf dem Felde und im Kontor, meist obendrein unter weit ungünstigeren Umständen als diese. Das gebietende Kapital verwandelt das Heim in ein Anhängsel, einen Zweigbetrieb der Fabrik, der von den bessernden Vorschriften der Arbeiterschutzgesetzgebung nicht erfasst wird, dem leider in der Regel auch der wohltätige Einfluss der Gewerkschaft fremd ist. Hier tritt die Mutter, die leidenschaftlich danach verlangt, ihre Kinder zu hegen und zu bilden, hinter dem armen Weibe zurück, das unter dem unerbittlichen Zwange der Not eine bestimmte Menge Arbeit fertigstellen muss, wenn es genügend Brot ins Haus bringen will. Wo soll die Zeit, die nie ermüdende Geduld zu den vielerlei kleinen Handreichungen der Pflege bei einer durch Tag- und Nachtarbeit überanstrengten Mutter herkommen, in deren Hirn die Sorge hämmert, und die nachrechnet, wie viel Dutzend Knöpfe sie heute noch aufnähen muss? Kann die Heimarbeiterin in einem gegebenen Augenblick wirklich als Erzieherin walten, wenn der Gang zum Liefern und Abholen mit einem oft mehrstündigen Zeitverlust unaufschiebbar ist? Die spielend-kameradschaftliche Anleitung des Kindes zur Arbeit durch die Mutter wird zur strengen Antreiberei, dass die zarten Fingerchen eine möglichst große Arbeitsleistung mechanisch und schnell fertig bekommen Die Heimarbeit lässt nur den trügerischen Schein eines harmonischen Nebeneinander von Mutterschaft und Berufsarbeit bestehen, in Wirklichkeit vernichtet sie die Voraussetzungen dafür gründlich, denn auch sie steht unter der Losung: Mehrwert, reicher Mehrwert!
Die Kriegerwitwen in größerem Umfang der Heimarbeit zuführen – wie sie heute ist und von Ausnahmen abgesehen – läuft auf nichts anderes hinaus, als diese Fürsorgeberechtigten der Produktionsform mit den ungünstigsten Arbeitsbedingungen zu überweisen und ihnen in der Folge die Erfüllung ihres Mutterberufs zu erschweren. Doch damit nicht genug. Ein starker Zustrom von Kriegerwitwen in die Heimindustrie wird entsprechend den Zusammenhängen der kapitalistischen Wirtschaft das sprichwörtliche Heimarbeiterelend noch verschärfen. Eine schlimme Einwirkung dieser Entwicklung auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen der Proletarier in der Fabrik- und Werkstattindustrie kann nicht ausbleiben. Die hier berufstätigen Kriegerwitwen werden auch als Mütter an diesem Fluch mitzutragen haben. Wir müssen aber damit rechnen, dass zahlreiche Kriegerwitwen gerade in der Heimindustrie sich eine Existenz suchen werden. Der täuschende Schein, als ob hier eine Versöhnung von Mutterschaft und Berufsarbeit möglich wäre, blendet noch viele. Zumal unter den Frauen des Volkes selbst, von anderen Umständen zu schweigen, die sie auf die Heimarbeit als Erwerbsquelle hinweisen. Wem die soziale Fürsorge für die Kriegerwitwen und Kriegerwaisen eine unverbrüchliche Selbstverständlichkeit ist, der muss deshalb mit höchster Energie die Forderungen zur Sanierung der Heimarbeit unterstützen, für die die organisierte Arbeiterschaft seit Jahren kämpft. Es wird so viel und so schön über die heilige Pflicht zur Dankbarkeit geredet, die die Gesellschaft den Männern schuldet, die auf dem Schlachtfeld ein vorzeitiges, blutiges Ende finden. Ein schneidender Hohn auf diese Worte wäre es, wenn die Witwen der Gefallenen mit ihren Waislein ein sorgen- und tränenschweres Brot in der ungeschützten, unsanierten Heimarbeit suchen müssten. Die Berufstätige würde dabei ebenso geopfert wie die Mutter.
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