Leo Trotzki: Brief an Jan Frankel

[22. Februar 1933, eigene Rückübersetzung der englischen Übersetzung, „Was geschieht in Deutschland?“]

Lieber Freund,

seit langem wollte ich Ihnen schreiben, aber es war nicht bekannt, wo Sie sich aufhalten. Seit einigen Tagen warte ich auf einen Bericht von Ihnen aus Berlin. Inzwischen ist der letzte Brief aus Paris eingetroffen, wohin Sie offenbar eine Antwort von mir erwarten. Vorsichtshalber sende ich diesen Brief gleichzeitig nach Paris und Berlin.

Die Resolutionen der Vorkonferenz sind eingetroffen. Alles sicher in Ordnung. Die Vorkonferenz ist eine sehr wichtige Errungenschaft: Die Stalinisten können nicht beschließen, eine internationale Konferenz einzuberufen. Über die Brandlerianer gibt es nichts zu sagen: ihre internationale Organisation existiert nicht. Wir haben eine internationale Konferenz einberufen und eine Reihe von Resolutionen von herausragender Bedeutung verabschiedet. Leider haben es weder La Vérité noch die Permanente geschafft, diese Tatsache hervorzuheben. Eine besondere Notiz sollte, wie mir scheint, gedruckt werden, um dieses Versäumnis zu korrigieren.

Aus Amerika wird berichtet, dass die Liga mit dem Beginn der faschistischen Ära in Deutschland alle ihre Mitglieder militärisch mobilisiert hat, um zu versuchen, die Mitglieder der Kommunistischen Partei wachzurütteln. The Militant wird im Laufe des nächsten Monats dreimal pro Woche erscheinen. Sie begannen diese Kampagne ohne jegliche Mittel und stießen offensichtlich auf eine sofortige Reaktion der Arbeiter. Auch die Franzosen zeigen sich in der deutschen Frage sehr aktiv. Das Erstaunliche ist, dass die Deutschen selbst sich am wenigsten bewegen. Es ist schwer zu verstehen, woran das liegt: ob in Deutschland eine allgemeine Stimmung der Depression und Resignation herrscht oder ob es unserer Organisation völlig an Initiative mangelt. Ich zweifle nicht daran, dass gerade jetzt, wo unsere Autorität durch eine aktive und mutige Führung stark zunehmen würde, zumindest das Format der Permanenten erheblich vergrößert werden könnte. Das allein würde schon einen günstigen Eindruck machen, besonders nach dem Verrat der Well-Clique. In der Permanenten gibt es nicht einmal einen wirklichen Appell an alle Freunde und Sympathisanten, jetzt den Zeitungsverkauf, die Geldsammlung, die Agitation und die Organisierung zu verzehnfachen. Alle mobilisieren, nur die Deutschen nicht. Schreiben Sie mir bitte, nachdem Sie sich gut mit der Situation vertraut gemacht haben, was für diese katastrophale Trägheit verantwortlich ist: die allgemein gedrückte Stimmung des deutschen Proletariats oder die besonderen Bedingungen in unserer Organisation.

Die Vergrößerung des Formats der Permanenten ist, so scheint mir, das Minimalprogramm. Das heißt, es ist besser, das Format selbst zu vergrößern, als auf sechs Seiten zu gehen; aber das ist letztlich eine technische Frage. Es sollte ein Rundschreiben an alle lokalen Organisationen und Sympathisanten ergehen, die Zeitungsverkäufer sollten mobilisiert werden, und die Organisation sollte auf eine militärische Basis gestellt werden. Eine drastische Änderung im Charakter und im Rhythmus der Arbeit sollten stattfinden. Am besten ist es, mit der Veröffentlichung dessen zu beginnen, was die französische und die amerikanische Sektion im Zusammenhang mit der Machtübernahme Hitlers tun. Offenbar hat auch die griechische Sektion entsprechende Schritte unternommen. Die Deutschen sollten von den Beispielen der anderen Sektionen angesteckt werden; der Geist des Wettbewerbs und das Gefühl der politischen Verantwortung sollten geweckt werden.

Ich hoffe, dass ich morgen den russischen Text der deutschen Broschüre schicken kann. Es handelt sich nicht um die Broschüre über die politische Lage, die ich vor einigen Wochen begonnen habe, sondern um eine besondere Broschüre, die ich in den letzten Tagen geschrieben habe und die sich an die sozialdemokratischen Arbeiter richtet. Ich denke, dass diese Broschüre es uns ermöglichen wird, Kontakte zu linken sozialdemokratischen Elementen zu knüpfen, die der Revolution zuneigen, aber von der offiziellen Partei abgestoßen werden.

Habt ihr jemanden, der in der Lage ist, ins Russische zu übersetzen? In der nächsten Ausgabe der russischen Biulleten sollen die Beschlüsse der Vorkonferenz enthalten sein. Ich habe den Grundtext auf Russisch, aber es ist notwendig, Änderungen und Ergänzungen entsprechend dem endgültigen Text der Beschlüsse der Vorkonferenz einzufügen. Vielleicht kann diese Aufgabe in Berlin erfüllt werden.

Ich habe die Aufmerksamkeit der Berliner Genossen schon mehrfach auf die SAP gerichtet. Eine gedruckte Kritik ist nicht genug. Persönliche Kontakte sind nötig. Sie müssen gezwungen werden, zu verstehen, dass wir keine „Bestien“ sind, sondern Menschen, und dass uns nichts Menschliches fremd ist. Generell ist es notwendig, aus dem Teufelskreis auszubrechen, der seine eigene Routine und leider auch mangelnde Initiative hervorgebracht hat.

Mit warmen Grüßen.

Ihr,

L.T.


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