Leo Trotzki: Brief an Frank Glass

[29. Januar 1934, eigene Übersetzung des russischen Textes. Korrekturen von russischen Muttersprachler*innen wären sehr willkommen]

29. Januar 1934.

Werter Genosse,

Ihr Brief vom 20. Dezember und Ihr Bericht über die Lage in China sind für uns von riesigem Interesse. Ich bemühe mich, Ihren Bericht aus diesem oder jenem Blickwinkel für unsere internationale Presse zu verwenden. Vielleicht auch für die deutsche Wochenzeitung „Die Neue Weltbühne“, deren Redaktion mit uns sympathisiert.

Darüber, dass Genosse Harold Isaacs, Redakteur des „China-Forum“, mit der Linken Opposition sympathisiert, hörte ich zwar schon von im Sommer ankommenden Amerikanern, aber erst von Ihnen erhielt ich durchaus bestimmte Mitteilungen.

So schwer es auch ist, sich aus der Ferne eine Meinung über praktische Fragen zu bilden, so glaube ich dennoch, dass Sie Recht haben, insofern Sie streben, so lange wie möglich im China-Forum zu bleiben. Bis zu welcher Grenze kann man jedoch im Bereich der Kompromisse gehen? Dies ist eine sehr delikate Frage. Wenn es bei Ihnen eine ernsthafte Hoffnung auf der Schaffung einer eigenen Basis gibt, dann scheint es mir akzeptabel zu sein, den Stalinisten sehr große Zugeständnisse zu machen, um wichtige Positionen nicht vorzeitig aufzugeben, aber wenn es keine Hoffnung auf eine eigene Basis gibt, und die Stalinisten drängen und erhöhen ihre Forderungen, dann wäre es politisch unvernünftig, am Leben festzuhalten um den Preis des Verlusts der Bedeutung des Lebens.

In einem solchen Fall könnte man vielleicht „ehrenvoll gehen“, d.h. die letzte Kampfnummer im Geiste der Linken Opp. herauszugeben. Dies sind die allgemeinsten Erwägungen, die ich von hier aus anstellen kann und deren Ankunft bei Ihnen sich wahrscheinlich als zu spät erweisen wird.

Mit Dankbarkeit nehme ich Ihren in höchstem Grade wertvollen Vorschlag an, mich auf dem Laufenden zu halten. Ich schreibe jetzt ein Buch über Lenin, in dem der Einfluss von Lenins Persönlichkeit und Ideen im Osten einen beträchtlichen Platz einnehmen wird. Vielleicht können Sie oder Ihre Freunde mir einige archivarische Fakten und Materialien zu diesem Thema zur Verfügung stellen.

Wir arbeiten jetzt ein Programm für die Vierte Internationale aus, zunächst in Form von Thesen zu einigen der wichtigsten Fragen. Es ist nicht nötig zu sagen dass die Fragen des Fernen Ostens, einschließlich der imperialistischen Gegensätze im Stillen Ozean, in unserem Programm den wichtigsten Platz einnehmen müssen. Ich betrachte Ihren Bericht über China als einen ersten Beitrag zu dieser Arbeit. Es ist überaus wünschenswert, dass Sie und Genosse Isaacs in Form von Thesen eine Charakteristik der imperialistischen Widersprüche im Fernen Osten geben. Wenn Sie Japan und die Mandschurei besuchen, wie Genosse Abern berichtet, dann ist es überaus wichtig, von Ihnen faktische Daten und eine prinzipielle Einschätzung der Lage in diesen Ländern zu erhalten.

Ohne Ihre Zustimmung werden wir Ihren Namen in keiner unserer Publikationen erwähnen, um das „China-Forum“ nicht zu beeinträchtigen.

Ich grüße Sie heiß und wünsche Ihnen jeden Erfolg.

L. D. Trotzki


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert