Lynn Walsh: Euro-Krise: die letzte vorübergehende Lösung

[Eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 162 Oktober 2012]

Mario Draghis Ankündigung, dass die EZB beginnen werde, unbegrenzt Anleihen der Eurozone zu kaufen, um die Schuldner*innenstaaten zu stützen, hat eine neue Welle der Europhorie ausgelöst. In Wirklichkeit ist die Intervention der EZB jedoch eine weitere vorübergehende Lösung, die bestenfalls etwas mehr Zeit verschafft. Die Probleme der Eurozone, die im Aufeinanderprallen nationaler Interessen und in den Rivalitäten der führenden kapitalistischen Vertreter*innen wurzeln, bleiben so unlösbar wie eh und je. Ein 24-stündiger Generalstreik am 24. September in Griechenland und riesige Demonstrationen in Spanien und Portugal (15. September) sind einige der Anzeichen für einen stürmischen Herbst. Lynn Walsh berichtet.

Mario Draghi wurde von den führenden Vertreter*innen der Eurozone als „Super-Mario“, als Retter der Eurozone, gefeiert. Ende Juli versprach er, die EZB werde „alles Erforderliche tun, um den Euro als stabile Währung zu erhalten“. Dies bedeutete, dass sie die Anleihen der strauchelnden Regierungen, besonders Spaniens und Italiens, aufkaufen würde, um deren Kreditkosten zu verringern. Die Zinsen für spanische und italienische Anleihen waren auf über 7% gestiegen und damit auf ein Niveau, das als „untragbar“ gilt. Die hohen Zinssätze spiegeln eine Prämie zur Deckung des „Konvertibilitätsrisikos“ wider, Finanzjargon für den Austritt aus dem Euro.

Draghi hat mehrere Monate gebraucht, um ein Paket auszuarbeiten und den internen Widerstand innerhalb der EZB, besonders des deutschen Vertreters, zu überwinden und die Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel zu gewinnen, die eine Gegenreaktion bei den Wahlen in Deutschland befürchtet. Schließlich wurden Draghis Maßnahmen vom EZB-Direktorium gebilligt, nur Jens Weidmann, der Chef der Bundesbank, war in Opposition.

Laut Draghi ist die EZB nun verpflichtet, Regierungen wie Spanien und Italien „unbegrenzte Unterstützung“ zu gewähren, die es sehr schwierig finden, auf den Finanzmärkten Kredite aufzunehmen, außer zu Strafzinssätzen. In Wirklichkeit sind die neuen Maßnahmen jedoch recht begrenzt. Die EZB wird spanische und italienische Anleihen auf dem Sekundärmarkt kaufen (es ist ihr durch ihre Verfassung verboten, direkt Anleihen von Regierungen der Eurozone zu kaufen). Obendrein wird die EZB nur kurzfristige Anleihen mit einer Laufzeit von höchstens drei Jahren kaufen. Dies bedeutet, dass die Regierungen an der kurzen Leine gehalten werden.

Eine noch drückendere Einschränkung ist das Beharren der EZB darauf, die Unterstützung nur dann zu gewähren, wenn die betreffenden Regierungen bei der Troika – der EZB, der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds – Hilfe beantragen, was bedeutet, dass sie den von der Troika auferlegten Kontroll- und Rettungsbedingungen unterworfen werden.

Die Bedingungen werden laut Draghi „streng und effektiv“ sein. Dies könnte sich für die betroffenen Regierungen als politisch schwierig erweisen. In Spanien bekam Ministerpräsident Mariano Rajoy bereits Unterstützung von der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), um die spanischen Banken zu stabilisieren, ohne strenge Bedingungen zu akzeptieren (obwohl dieser Spielraum von einigen Regierungen der Eurozone in Frage gestellt wird). Derzeit vermeidet er jegliche Andeutung, dass seine Regierung den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der die EFSF ablösen soll und nun vom deutschen Verfassungsgericht genehmigt wurde, auf dieser Grundlage um Unterstützung bitten werde.

Strenge Bedingungen werden unweigerlich zu weiteren Kürzungspaketen führen. Spanien und Italien sind bereits in der Rezession (die gesamte Eurozone stagniert) und weitere Kürzungsmaßnahmen könnten einige dieser Volkswirtschaften in einen weiteren tiefen Wirtschaftseinbruch stürzen – was zu einem Einbruch der Staatseinnahmen und einem Anstieg der Defizite (trotz Ausgabenkürzungen) führen würde.

Draghis Versprechen „unbegrenzter Unterstützung“ für anfällige Regierungen führte rasch zu einem Rückgang der Anleihezinsen. Spanische Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit fielen beispielsweise von 7,6% auf 5,7% (immer noch viel höher als die 1,5%, die Deutschland für zehnjährige Anleihen zahlt). Das EZB-Paket ist jedoch weit davon entfernt, eine dauerhafte Lösung zu sein. Es ist nur eine weitere vorübergehende Lösung für die Eurozone. Die „Financial Times“ beschreibt den Schritt als „ein kühnes Zocken“, ohne Erfolgsgarantie.

Draghis Maßnahmen werden in Verbindung mit dem neuen ständigen Rettungsschirm ESM durchgeführt, der mit einem Kapital von 500 Milliarden Euro ausgestattet sein wird. (Der größte Teil der EFSF-Mittel wurde bereits für die Rettung Griechenlands, Portugals und Irlands sowie für die Rekapitalisierung spanischer Banken verwendet – es sind nur noch etwa 120 Milliarden Euro übrig). Für die EZB wird es nach wie vor schwierig, wenn nicht gar unmöglich sein, als „Gläubigerin der letzten Instanz“ zu agieren, als vollwertige Zentralbank, vergleichbar mit der amerikanischen Federal Reserve oder der Bank of England. Die EZB kann den Regierungen nicht helfen, indem sie deren Anleihen direkt kauft. Gleichzeitig wird es dem ESM aufgrund der Einwände des deutschen Verfassungsgerichts mit ziemlicher Sicherheit verwehrt sein, sich auf der Grundlage seines Kapitals Geld zu leihen, um Regierungen der Eurozone zu unterstützen. Jegliche Rettungspakete des ESM werden, wie bei der EFSF, aus seinen eigenen Mitteln stammen müssen und auf der Grundlage von immer mehr Kürzungsmaßnahmen verteilt werden.

Deutsches Gerichtsurteil

Das deutsche Verfassungsgericht lehnte (am 12. September) einen Antrag auf eine einstweilige Verfügung ab, der die deutsche Regierung an der Ratifizierung des ESM hindern sollte. Dieser juristische Schritt wurde von rund 37.000 Kläger*innen unterstützt und laut Meinungsumfragen von 53% der Deutschen befürwortet. Ein juristisches Veto gegen die Unterstützung des ESM durch Deutschland hätte in der Eurozone eine schwere Krise explodieren lassen, trotz der jüngsten Maßnahmen der EZB.

Das Verfassungsgericht fällte jedoch ein sehr bedingtes Urteil. Es begrenzt die deutsche Beteiligung am ESM auf die derzeitigen 190 Milliarden Euro (etwa ein Drittel der Mittel). Die Regierung darf ohne die Unterstützung beider Kammern des Parlaments keine weiteren Beiträge leisten. Das Kleingedruckte des Urteils wirft darüber hinaus Fragen bezüglich der künftigen Rolle des ESM auf. Es fragt, ob es verfassungsgemäß wäre, wenn die deutsche Regierung den ESM bei der Aufnahme von Krediten auf der Grundlage seines 500-Milliarden-Euro-Kapitals unterstützen würde, um direkt Anleihen von Regierungen der Eurozone zu kaufen. Das Gericht warnt davor, dass die deutsche Regierung eine unbefristete Verpflichtung zur Unterstützung von Schuldner*innenländern eingeht.

Diese rechtlichen Vorbehalte zeigen, dass Merkels Sieg in diesem Punkt nur eine weitere vorübergehende Lösung ist. Das Gericht lehnte eine einstweilige Verfügung ab, wird sich aber in den kommenden Monaten mit dem gesamten Fall befassen. Auch wenn es unwahrscheinlich scheint, dass das Verfassungsgericht ein vollständiges Veto gegen den ESM einlegen wird, könnte es auf der Grundlage seiner Auslegung des deutschen Grundgesetzes weitere Beschränkungen auferlegen, die die Rolle des ESM stark einschränken könnten. Viele der führenden Vertreter*innen der Eurozone sowie Teile der Großindustrie hoffen, dass der ESM zumindest teilweise die Rolle eines „Gläubigers der letzten Instanz“ übernehmen könne, der wackeligen Regierungen auf der Grundlage der Vergemeinschaftung ihrer Schulden Kapital zur Verfügung stelle.

Diese Idee wird jedoch von einigen Teilen von Merkels eigener Partei sowie von der rechten Wirtschaftspresse erbittert abgelehnt. Sie sehen darin eine unerwünschte Belastung des deutschen Kapitalismus und potenziell eine schiefe Ebene hin zu einer Hyperinflation. Angesichts dieser Opposition muss Merkel sehr vorsichtig vorgehen und gerade so viel Intervention genehmigen, dass ein Zusammenbruch der Eurozone vermieden wird, aber nie entschlossen genug handeln, um die grundlegenden Probleme zu lösen. George Soros, ein starker Befürworter des Euro, forderte Merkel kürzlich heraus: „Führen“ (d.h. die fiskalische Integration der Eurozone unterstützen) oder „gehen“ (und die anderen weitermachen lassen). Ein deutscher Austritt würde jedoch das Ende oder zumindest den Anfang vom Ende vom Euro bedeuten.

Konvergenz oder Divergenz?

Die Entwicklung des Euro sollte die Konvergenz der Staaten, die die Europäische Union bilden, beschleunigen, mit einem einheitlichen Markt und einem Finanzsystem ohne Grenzen. Stattdessen ist der Euro zu einem Kriseninstrument geworden, das Divergenz und Desintegration und nicht Konvergenz bringt.

Als der Euro eingeführt wurde, waren die Kreditkosten für die Mitglieder der Eurozone mehr oder weniger gleich. Im Jahr 2009 musste der griechische Staat nur etwa zwei Prozentpunkte mehr zahlen als der deutsche Staat. Der Unterschied ist heute bei über 20 Prozentpunkten. Die günstige Kreditaufnahme war an der Wurzel vieler der aktuellen Probleme. Billige Kredite wurden genutzt, um den Immobilienboom in Ländern wie Spanien und Irland anzuheizen, und in Griechenland ermöglichten sie einen massiven Anstieg der öffentlichen Ausgaben, während das korrupte Steuersystem nicht genügend Einnahmen brachte, um die Ausgaben zu decken. Dies führte zu einer massiven Divergenz zwischen Gläubiger*innenländern (dominiert von Deutschland, dem mächtigsten Staat der Eurozone) und Schuldner*innenländern.

Während des Booms vor 2007-08 waren die Banken der am stärksten globalisierte Sektor des Kapitalismus. Jetzt haben sie sich hinter nationale Grenzen zurückgezogen. So gab es beispielsweise einen scharfen Fall der grenzüberschreitenden Kreditvergabe auf dem Interbankenmarkt (von 60% auf 40% der gesamten Kreditvergabe). Dies hat zu einer scharfen Kreditverknappung geführt, die zusätzlich zu den Kürzungsmaßnahmen die meisten Volkswirtschaften der Eurozone in die Rezession treibt.

Private Kapitalströme wurden in der einen oder anderen Form durch Barmittel der EZB ersetzt. Zum Beispiel waren die Banken in Griechenland und anderen Ländern gezwungen, sich im Rahmen des Emergency Liquidity Assistance [Notfalls-Liquiditätsaushilfe] (ELA)-Programms an ihre nationalen Zentralbanken zu wenden. Viele kaufen die Anleihen ihrer Regierungen, um sie über Wasser zu halten. Unter ELA können sich die nationalen Zentralbanken an die EZB wenden, um Kredite zu erhalten. Dies ist in der Tat für die EZB eine Art und Weise durch die Hintertür, um Kreditaufnahme der Regierungen zu finanzieren. Es wird geschätzt, dass die spanischen Banken von der EZB Kredite in Höhe von 400 Mrd. € erhielten, während Italien 360 Mrd. € erhielten. Der gesamte Nettofluss privater und öffentlicher Mittel aus Deutschland in andere Länder der Eurozone, vor allem in den Süden, beläuft sich auf rund 700 Mrd. Euro.

Anstatt die Einigung der Eurozone zu beschleunigen, verstärkte das tatsächliche Wirken des Euro die finanzielle Zersplitterung, vergrößerte die sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede und regte die wachsende Opposition gegen die EU und die Eurozone an. Merkel und andere führende Vertreter*innen der Gläubiger*innenländer lehnten gegen die Idee massiver Finanztransfers an die schwächeren „Peripherieländer“ strikt a. Doch die Transfers haben tatsächlich in großem Umfang stattgefunden. Lombard Street Research schätzt, dass sich die Finanzhilfen für die Haushalte Spaniens, Griechenlands, Portugals und Italiens im Zeitraum 2012-15 auf mindestens 1,25 Billionen Euro belaufen werden und sogar bis zu 2,4 Billionen Euro betragen könnten.

In der Öffentlichkeit verkünden die führende Vertreter*innen der Eurozone, dass die EU weiter auf eine „immer engere Union“ zumarschiere. Der Euro sei „unumkehrbar“, und sie würden ihn bis zum Ende verteidigen. Doch die fortgesetzte Wirtschaftskrise heizt die Opposition der Bevölkerung an, entfacht nationalistische Trends und stärkt separatistische Bewegungen, wie zum Beispiel in Katalonien.

Im Juni vertraten führende Vertreter*innen der Eurozone auf dem EU-Gipfel großartige Pläne hin zu einer größeren Einheit (während sie, wie üblich, nur sehr begrenzte Fortschritte bei der aktuellen Krise machten). Schritte hin zu einer größeren Einheit, besonders die Schaffung einer Fiskalunion, die eine entscheidende Kontrolle über die Haushalte der Mitgliedsregierungen hätte, würden jedoch langwierige Verhandlungen und die Zustimmung der Mehrheit der Regierungen der EU/Eurozone erfordern. In einigen Ländern wären Volksabstimmungen erforderlich, um neuen Verträgen zuzustimmen. Angesichts des Zusammenstoßes nationaler Interessen und der massiven öffentlichen Opposition gegen eine weitere Integration ist dies ein utopisches Projekt.

Unmittelbar nach Draghis Ankündigung, die EZB sei bereit, „unbegrenzt“ Staatsanleihen der Eurozone zu kaufen, und nach dem Urteil des deutschen Verfassungsgerichts forderte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, die EU solle sich zu einer „Föderation von Nationalstaaten“ entwickeln. Das Problem der „Souveränitätsteilung“ zwischen den Nationalstaaten wurde jedoch durch die Reaktion auf Barrosos Ankündigung von Plänen für eine EU-Bankenunion deutlich. Dies würde bedeuten, dass die EZB die Aufsichts- und Regulierungsbefugnisse über die 6.000 Banken in Europa übernehmen würde. Merkel antwortete, indem sie sagte, dass Deutschland die Aufsicht nur über Großbanken befürworte und die Einbeziehung kleiner und mittlerer Banken nicht akzeptieren würde. Die britische Regierung hingegen fordert die Einbeziehung aller großen und kleinen Banken, aber nur derjenigen in der Eurozone!

Spaniens sich vertiefende Krise

Das Unterstützungsangebot der EZB stellt für Rajoy in Spanien ein Dilemma dar. Die EZB wird spanische Staatsanleihen nur dann stützen, wenn die Regierung ein Rettungspaket beantragt – was strenge Auflagen, Inspektionen durch die Troika oder durch den IWF allein und neue Kürzungsmaßnahmen bedeuten würde.

Seit dem Erdrutschsieg der Volkspartei ist die Popularität der Regierung eingebrochen. Es gab eine fortgesetzte Welle von Massendemonstrationen und Streiks gegen Rajoys 65-Milliarden-Euro-Paket von Kürzungen und neuen Steuern. Obendrein steht Rajoy immer lauter werdenden Forderungen nach vergrößerter Autonomie aus Spaniens halbautonomen Regionen gegenüber, besonders aus Katalonien. Gleichzeitig fordern sie von der Zentralregierung zusätzliche Rettungspakete (zwischen 10 und 18 Mrd. €). Die stärkste Forderung kommt aus Katalonien: es gab eine massive Demonstration am 11. September mit bis zu zwei Millionen Teilnehmer*innen, die eine „Haushaltssouveränität“ als Schritt in die Unabhängigkeit forderten. Die führenden katalanischen Nationalist*innen wollen einen neuen Staat innerhalb der EU bilden, aber die Abspaltungsbewegung wird zweifellos eine Krise für die spanische herrschende Klasse provozieren.

Rajoy steht vor Regionalwahlen in Galicien und im Baskenland und könnte versuchen, eine Entscheidung über die EZB-Finanzierung bis nach den Wahlen zu verschieben. Inzwischen rutscht die Wirtschaft tiefer in die Rezession, mit Arbeitslosigkeit über 25%. In der ersten Hälfte dieses Jahres flossen rund 220 Mrd. € aus den spanischen Banken ab, was etwa einem Fünftel des BIP entspricht. Selbst mit der Unterstützung der Banken aus dem EFSF-Fonds (bis zu 100 Mrd. €) könnte die spanische Regierung in den nächsten Monaten in eine Finanzierungskrise geraten.

In der Tat wurde zwar die Unterstützung grundsätzlich vereinbart, doch erheben nun mehrere Regierungen der Eurozone (darunter Deutschland) Einwände. Diese Unterstützung, so sagen sie, muss Teil der Errichtung einer EU-Bankenunion sein – aber darüber gibt es bereits einen Konflikt. Wie so oft in der Eurozone laufen Rettungsboote, die mit Trompetenfanfaren zu Wasser gelassen werden, auf Grund, noch bevor sie den Hafen verlassen können.

In Portugal gingen inzwischen Hunderttausende von Demonstrant*innen auf die Straße (15. September), im größten Protest gegen Kürzungspolitik des Landes jemals. Die Aufwallung wurde ausgelöst durch den Schritt zur Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge für die Arbeiter*innen – bei gleichzeitiger Kürzung der Beiträge der Boss*innen um den gleichen Betrag.

Vorbereitungen für einen griechischen Ausstieg

Merkel hat kürzlich eine „Charmeoffensive“ gestartet, um die Beziehungen zu Griechenland zu reparieren, und einen ihrer Staatssekretär*innen, Hans-Joachim Fuchtel, als Abgesandten geschickt. Seine Botschaft war, dass die deutsche Regierung mit der Notlage des griechischen Volkes mitfühle. Obendrein wurde der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras nach Berlin eingeladen, wo Merkel verkündete, sie wolle, dass Griechenland im Euro bleibt: „Wir werden tun, was nötig ist, um das Problem in Griechenland zu lösen“. Gleichzeitig verkündete der Fraktionsvorsitzende von Merkels Partei, der CDU, Volker Kauder, jedoch, dass ein griechischer Austritt „kein Problem für den Euro wäre“, da ausreichende Maßnahmen ergriffen seien, um ein Übergreifen auf andere schwache Volkswirtschaften in der Eurozone zu verhindern. („International Herald Tribune“, 25. August) Obendrein gibt es keine Lockerung der deutschen Forderung nach weiteren brutalen Kürzungsmaßnahmen (derzeit verlangt die Troika weitere 13,5 Milliarden Euro an Kürzungen als Preis für das 173 Milliarden Euro schwere Rettungspaket).

In jedem Fall lässt sich die griechische Bevölkerung kaum von der deutschen Regierungspropaganda narren. Als Fuchtel in Griechenland landete, wurde er mit Plakaten konfrontiert, auf denen zu lesen war: „Fuchtel, du bist nicht erwünscht – Keine Unterwerfung“. Ein Passant kommentierte dies: „Ich sehe nicht, wie sich das von der Nazi-Besatzung und der griechischen Lakaienregierung unterscheiden soll“. („International Herald Tribune“, 10. September)

Während Merkel verkündet, dass Griechenland im Euro bleiben werde, sind führende Vertreter*innen der Großindustrie nicht überzeugt. Viele Unternehmen entwerfen detaillierte Notfallpläne um mit einem möglichen Austritt umzugehen. „Die Bank of America Merrill Lynch hat in Erwägung gezogen, Lastwagen mit Bargeld zu füllen und sie über die griechische Grenze zu schicken, damit die Kunden ihre Angestellten und Lieferanten vor Ort weiter bezahlen können, falls kein Geld mehr zu erlangen ist“. (Nelson Schwartz, Planning For Greece’s Euro Exit, Just In Case [Für Griechenlands Austritt planen, nur für den Fall], „International Herald Tribune“, 4. September) Einige Unternehmen haben ihre Computer so umprogrammiert, dass sie für den Umgang mit einer neuen griechischen Währung bereit sind. JP Morgan Chase „hat bereits neue Konten für eine Handvoll Konzerngiganten eingerichtet, die für eine neue Drachme in Griechenland oder welche Währung auch immer den Euro in anderen Ländern ablösen könnte, reserviert sind“.

Transnationale Unternehmen und ihre Berater*innen versuchen herauszufinden, was sie im Falle eines verlängerten Bankfeiertags (während dessen die Banken für einige Zeit geschlossen sein könnten) und im Falle von Kapitalkontrollen, die den Bargeldverkehr in und aus dem Land einschränken, tun sollen. Ein Vorstand der Bank of America Merrill Lynch sagte: „Jetzt … konzentriert sich die Notfallplanung auf drei Hauptszenarien – den Austritt eines einzelnen Landes, den Austritt mehrerer Länder und das Auseinanderbrechen der Eurozone als Ganzer“. Der selbe Artikel berichtet auch, dass die Zentralbanken sowie das deutsche Finanzministerium für die Möglichkeit eines griechischen Austritts planen, aber unter Bedingungen absoluter Geheimhaltung.

Auch ohne weitere Generalstreiks, Massendemonstrationen und andere Formen von Massenprotest würde das neoliberale Programm der Troika für Griechenland nicht funktionieren. Die Kürzungsmaßnahmen haben bereits einen tiefen Einbruch der Wirtschaft hervorgerufen, und noch brutalere Maßnahmen werden den Zerfall der griechischen Gesellschaft beschleunigen. Die Höhe der Schuldenrückzahlung, die dem Land aufgezwungen wird, wird sich als untragbar erweisen. In Wirklichkeit wird der Widerstand der griechischen Arbeiter*innenklasse weitergehen. Während die führenden Vertreter*innen der Regierungskoalition ein weiteres Kürzungspaket (11,5 Mrd. Euro) ausarbeiteten (11. September), streikten Lehrer*innen, Krankenhausärzt*innen und kommunale Beschäftigte im öffentlichen Dienst, und es gibt Pläne für einen 24-stündiger Generalstreik am 24. September.

Ein griechischer Austritt ist unvermeidlich, nur der Zeitpunkt ist ungewiss. Obendrein würde, obwohl Griechenland nur etwa 2% des BIP der Eurozone ausmacht, der Austritt Griechenlands fast sicher eine weitere Zersplitterung der Eurozone auslösen. Der Finanzier George Soros erkennt, dass die Krise der Eurozone die EU (und, wir können sagen, die gesamte Weltwirtschaft) gefährdet: „Wenn [der Euro] auseinanderfällt, wird Europa schlechter dastehen als bevor es begann“. („Financial Times“, 10. September)


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