Clara Zetkin: Philisterweisheit vor dem Reichstag

[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 21. Jahrgang, Nr. 6, 19. Dezember 1910, S. 81-83]

Die Äußerungen, mit denen sich Wilhelm II. in Königsberg gegen die Bestrebungen der Frauen nach Rechtsgleichheit mit dem männlichen Geschlecht gewendet hat, sind bekannt. Sie sind der geistige Niederschlag von gesellschaftlichen Verhältnissen, die zum großen Teil bereits der Vergangenheit angehören und von der starken Faust des Kapitalismus mit jedem Tage gründlicher fortgefegt werden. In ihrem Sinne unterscheiden sie sich in nichts von den Anschauungen, wie man sie gelegentlich von ehrsamen Philistern mit um so größerer Leidenschaft verkünden hört, je weniger diese Herren daheim gegen ein höchstens heuchlerisch verbrämtes Pantoffelregiment aufzumucken wagen. Was in ihrem Falle die aus der Enge der Werkstatt oder Schulstube geborene Beschränktheit bewirkt, das ist im Falle des Deutschen Kaisers auf Rechnung der drückenden Fülle der Regierungsgeschäfte zu setzen: die vollständige Unbekanntschaft mit der Revolution, die sich in der wirtschaftlichen Tätigkeit großer Frauenmassen und damit in ihrem Fühlen und Denken vollzogen hat und weiter vollzieht, eine Revolution, die die Interessensphäre des weiblichen Geschlechts verschiebt und seinem Wollen neue, historisch bedingte Ziele steckt. In der Tat: man vergegenwärtige sich, dass die Zeit und Kraft Wilhelms II. aufs Äußerste zum Wohle des Reiches und zur Hebung seiner Kultur von Reisen und Reden beansprucht wird, von den Sorgen zur Bestellung der geeignetsten „Handlanger“, der Erfindung neuer Uniformschnüre, der Inszenierung von Prachtstücken, zur Vorbereitung von Jagden usw. Wäre es da nicht unbillig, von dem überlasteten Manne zu verlangen, sich auch noch um solche Kleinigkeiten wie die letzte offizielle Gewerbe- und Betriebsstatistik aus dem Jahre 1907 zu kümmern, die ausweist, dass von Deutschlands weiblicher Bevölkerung rund 9½ Millionen durch Berufsarbeit ihr Brot erwerben müssen. Jedoch die persönliche Meinung des Deutschen Kaisers in allen Ehren, unbestritten auch sein Recht, ihr ebenso gut öffentlichen Ausdruck zu geben, wie dies etwa der Rentier Müller in Buxtehude oder der Herr Akzisor Schulze in Kuhschnappel tut. Wir müssen aber mit „der Schwäche der menschlichen Natur“ rechnen und dürfen nicht vergessen, mit welchem Recht der Dichter sagt: „Denn aus Gemeinem ist der Mensch gemacht, und die Gewohnheit nennt er seine Amme.“ Von allzu vielen Deutschen gilt noch Heines bitteres Wort, dass ihnen nur der Schwanz zum Wedeln fehlt. Die Privatansicht des Kaisers, der dieser mit der rühmenswerten Offenheit und Geradheit seines Wesens Ausdruck verliehen hat, kann daher nur zu leicht zum Glaubenssatz des beschränkten Untertanenverstandes werden, der leider oft genug auch in Amt und Würden hockt. So ist es möglich, dass das, was auszusprechen Wilhelm II. ein zwingendes Herzensbedürfnis war, wenigstens vorübergehend die Widerstände gegen die Forderungen stärkt, welche die Frauen und vor allem die kämpfenden Proletarierinnen erheben. Es war somit eine Notwendigkeit, dass die Sozialdemokratie in ihrer parlamentarischen Abrechnung mit dem persönlichen Regiment sich auch mit der Ansicht des Deutschen Kaisers über die Pflicht und Stellung der Frauen auseinandersetzte. Wir geben die diesbezüglichen Ausführungen nach dem Stenogramm der Reichstagsverhandlungen wieder. Genosse Ledebour sagte:

„Eine der Äußerungen Wilhelms II. bezieht sich auf die Aufgaben der deutschen Frau. Kaiser Wilhelm II. glaubt nämlich, allen möglichen Männern und Frauen, Berufen und Klassen gute Lehren erteilen zu müssen, wie sie sich zu verhalten haben. Er tritt so als praeceptor Germaniae und Borussiae auf (Schulmeister der Deutschen und Preußen). Dabei dienen ihm Erzählungen aus seiner eigenen Familie wieder als leuchtende Beispiele, besonders erscheint die Königin Luise als so eine Art preußische Nationalheilige. Nach Auffassung Kaiser Wilhelms II. sollen die deutschen Frauen von ihr lernen, dass die Hauptaufgabe der deutschen Frau nicht auf dem Gebiet des Versammlungs- und Vereinswesens liegt, nicht in dem Erreichen von vermeintlichen Rechten, in denen sie es den Männern gleichtun könne, sondern in der stillen Arbeit im Hause und in der Familie. Sie solle die junge Generation erziehen vor allem zum Gehorsam und Respekt vor dem Alter, sie solle Kindern und Kindeskindern klarmachen, dass es heute nicht darauf ankommt, sich auszuleben auf Kosten anderer (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten), sein Ziel zu erreichen auf Kosten des Vaterlandes, sondern einzig und allein das Vaterland im Auge zu haben, einzig und allein alle Kräfte und Sinne für das Wohl des Vaterlandes einzusetzen. (Zurufe: Sehr richtig!) Ich höre da auf verschiedenen Seiten des Hauses ,Sehr richtig‘, sogar ein nationalliberales. Ich hätte geglaubt, meine Herren, dass die Mitglieder dieses hohen Hauses etwas mehr Kenntnis von den wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen unseres Vaterlandes haben (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), als in den verlesenen Worten zutage tritt. (Zuruf von den Nationalliberalen: Sehr richtig!) Freut mich, dass einer wenigstens unter Ihnen ist, der mir darin zustimmt. (Lachen.)

Nun, meine Herren, weshalb sind gerade in heutiger Zeit die Frauen so vielfach genötigt worden, in das öffentliche Leben hineinzugehen, nicht bloß bei uns, sondern in allen kapitalistischen Ländern? Weil sie hineingerissen werden in das Erwerbs- und Wirtschaftsleben der ganzen Nation, weil sie im täglichen Kampfe in schwerer, mühseliger Arbeit für sich selbst und für ihre Kinder ihr Brot erwerben müssen unter viel ungünstigeren Verhältnissen als die Männer, die in den Wirtschaftskampf hineingerissen sind. Deshalb müssen sie sich betätigen im öffentlichen Leben, in wirtschaftlichen Organisationen; sie können auch gar nicht umhin, sich hineinzustürzen in den politischen Kampf. Sie müssen dieselben Rechte fordern wie die Männer, um denselben Kampf führen zu können. Das ist unausbleiblich, ist absolut notwendig und ist gut. Das braucht eine Frau, die sich öffentlich betätigt, nicht zu hindern, deshalb im Hause eine gute Mutter, eine gute Hausfrau und eine gute Erzieherin ihrer Kinder zu sein. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wir, die wir inmitten dieser Frauen tätig sind, mit ihnen arbeiten, wir können das besser beurteilen als Sie und besser beurteilen als Kaiser Wilhelm II. (Zurufe), der nur durch die Höflingsbrille von dem Leben des Volkes etwas zu sehen bekommt. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten. – Oh!)

Also jene Ermahnung Kaiser Wilhelms II. muss auf das Allerentschiedenste zurückgewiesen werden. Aber ich frage Sie noch: Welchen Eindruck muss das machen auf diese Millionen erwerbender und darbender Frauen, wenn ein Mann ihnen glaubt sagen zu müssen, es komme heute nicht darauf an, „sich auszuleben aus Kosten anderer“, und wenn obendrein diese Mahnung an sie gerichtet wird von dem Träger der preußischen Krone, dem soeben erst wegen der Teuerungsverhältnisse auf Kosten der preußischen Steuerzahler – darunter vieler darbender und arbeitender Frauen, die er hier harangiert hat –, die Zivilliste um 3½ Millionen Mark erhöht worden ist –?! ( Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. ) Können Sie sich da hineinversetzen in die Seelen dieser Frauen und sich denken, welch tiefgehende Empörung diese da ergreifen muss? Haben Sie gar kein Gefühl dafür, dass auch uns diese Empörung ergreifen muss? (Zurufe.) – Ja, wundern tut es mich nicht, dass Sie diese Empörung nicht teilen; aber Sie können versichert sein: diese Empörung wird weiter wirken, und ich hoffe: Kaiser Wilhelm II. wird es noch erleben, dass die proletarischen Frauen und alle die Frauen, auch aus bürgerlichen Kreisen, die mit ihnen für diese Rechte kämpfen, noch diese Rechte erobern werden, – gegen ihn, wenn es sein muss, und gegen die herrschenden Klassen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokralen.)“

Genosse David wendete sich mit folgenden Ausführungen gegen die Ansicht Wilhelms II.: „Wir rufen zur Sammlungspolitik auch die Frauen auf. Zu dem Thema, das ja auch heute hier berührt worden ist, will ich noch eine Bemerkung machen. Als in Königsberg den Frauen der Rat gegeben wurde, sie sollten sich nicht um Politik, sondern um ihren Haushalt kümmern, da wurde ihnen eine Frau vorgeführt, die Königin Luise, die gerade wegen ihres politischen Verdienstes von ihrem Enkel so hoch gerühmt worden ist. (Zuruf rechts: Als Königin.) Ach so! (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten.) Hier wollen Sie also gleich auch unter den Frauen verschiedene Rechte etablieren. Die Königin darf sich das erlauben, die darf politische Aktionen machen. Die Damen am Hose haben es ja von jeher getan. Sie wissen es ja, meine Herren: Où est la femme? Bei allen höfisch-politischen Intrigen haben die Damen sich niemals bloß um ihren Haushalt gekümmert, und wird die Königin Luise als ein leuchtendes Vorbild wegen ihrer politischen Betätigung gepriesen, dann sage ich: ihr deutschen Frauen, auch ihr, die ihr keine Königinnen seid, nehmt euch diese politische Betätigung zum Muster, tretet auch hinaus auf den politischen Kampfplatz und werft euren Einfluss in die Waagschale, wo es gilt, das Deutsche Reich vorwärts zu bringen! Am Tage der Königsberger Rede oder einige Tage nachher war auch die Tochter des Kaisers in der ,Woche‘, die mir zufällig auf der Reise in die Hand fiel, abgebildet in der Uniform eines Kavallerieregiments, wie sie die Front. ihres Regiments abritt. Das war wohl auch eine Betätigung hausfraulicher Pflichten (Heiterkeit bei den Sozialdemokraten) und ein Fernhalten von allen Dingen, die der Frau nicht anstehen?! Es war wohl kein Schielen nach Männerrechten und Männermetiers?

Wenn doch die Herren, die das Ohr des Sprechers in Königsberg haben, ihn wenigstens auf diese krassen Inkonsequenzen hinweisen wollten, die er bei seinem Appell an die Frauen, sich zu beschränken auf die Hausfrauentätigkeit, übersehen hat. Ich hoffe, die Frauen werden sich die Königsberger Rede gemerkt haben, und wenn sich die Schlachtlinien bei den nächsten Wahlen formieren, werden sie auf unserer Seite fechten.“

Die Redner aller bürgerlichen Parteien waren durch die Situation Angesicht zu Angesicht mit der Pflicht gestellt, ihre Auffassung in der Frauenfrage zu bekennen. Und sie haben durch ihr Reden oder auch Schweigen wieder einmal erhärtet, dass die Sozialdemokratie zur Stunde in Deutschland immer noch die einzige große Partei ist, die unter allen Umständen mit Ernst und Treue für das ungeschmälerte Recht des weiblichen Geschlechts eintritt.

Der parlamentarische Zentrumsdiplomat Freiherr v. Hertling lenkte die Aufmerksamkeit von dem Kernpunkt der Sache ab. Mit theatralischer Entrüstung verteidigte er gegen Ledebour des Königs Ansicht, „wenn er als den höchsten und schönsten Beruf der Frau bezeichnet, dass sie im Hause als Gattin und Mutter der Kinder walte!“ Wie hätte auch das Zentrum offen, rückhaltlos einen festen prinzipiellen Standpunkt in der Frauenfrage vertreten können! Wohl gibt es in seinen Reihen und seiner Gefolgschaft eine Minderheit, welche die gewandelte Zeit und ihre sozialen Lehren erfasst und freie Bahn, gleiches Recht für das weibliche Geschlecht fordert, das Wahlrecht inbegriffen. Hat doch der Umschwung der gesellschaftlichen Daseinsbedingungen mit der Sorge für des Lebens Unterhalt und Inhalt für Hunderttausende gläubiger Katholikinnen eine katholische Frauenbewegung in Fluss gebracht. Aber die einsichtsvolle Minderheit ringt mit einer Mehrheit, die noch vollständig in die Fesseln des Vorurteils und des kirchlichen Dogmas geschlagen ist. Und wenn die Minderheit auch schon einflussreich genug ist, dass es klug schien, ihre Auffassung nicht direkt zu verletzen, durfte sie doch bei diesem Anlass nicht zu Worte kommen, wo sich das Zentrum vor allem als Regierungspartei und darüber hinaus als des Kaisers getreuester Lakai erweisen wollte.

Der Vertreter der Fortschrittlichen Volkspartei drückte sich um eine Stellungnahme mit der billigen Ausrede herum, die Äußerung Wilhelms II. sei „nicht von solcher Bedeutung“, dass sich der Reichstag „längere Zeit mit ihr abgeben könne“. Äußerungen, die die größere Hälfte der Bevölkerung des Deutschen Reiches angehen, und die bei dem aufgezeigten Stande der Dinge nicht ohne Einfluss auf die nächste Tagespolitik bleiben können! Aber der Redner der bürgerlichen Demokratie hieß Herr v. Payer, das erklärt alles. Dieser Führer des Fortschritts nach rückwärts in puncto Frauenfrage gehört zu den Prachtexemplaren spießbürgerlicher Auffassung, die verdienen würden, ausgestopft oder in Spiritus gesetzt zu werden als Schulbeispiel für die Logik und den weiten Blick, die die Natur angeblich zu ausschließlichen Erbstücken des männlichen Geschlechts gemacht haben soll. Es war selbstverständlich, dass dieser ebenso überzeugte als beschränkte Gegner der Frauenrechte auch nicht ein einziges Wort auf seiner redegewaltigen Zunge hatte, um die geschichtliche Berechtigung der Frauenfrage zu verfechten. Die boshafte Laune der Geschichte aber wollte es, dass die Fortschrittliche Volkspartei die Sache der Frauen vor dem persönlichen Regiment gerade in dem Augenblick im Stiche ließ, wo die „liberalen“ Frauenrechtlerinnen ihre Hoffnungen auf die Verjüngung dieser Partei durch die großen Prinzipien „echten Liberalismus“ wie Frühlingslerchen in die Lüfte tirilieren. Doch seien wir nicht zu hart gegen die Fortschrittliche Volkspartei. Hat sie wirklich inneren, treibenden Anlass, einen großen parlamentarischen Aufwand für die Frauenbewegung zu vertun, solange sie sich standhaft weigert, in ihrem Programm die volle soziale, politische Gleichberechtigung der Geschlechter anzuerkennen; solange bürgerliche Frauenrechtlerinnen für alle Fußtritte, die ihr Liebeswerben erhält, nur mit dem Gelöbnis eifrigerer Dienste quittieren; solange diese Damen selbst allerhöchste Philisterweisheit nur mit demütigem flehendem Gewinsel beantworten?

Immerhin erwies sich der nationalliberale Herr Bassermann klüger als sein linksliberaler Bruder. Er opponierte dem kaiserlichen Verdammungsurteil über die Frauenbewegung so sänftiglich, wie dies ein echter und gerechter Nationalliberaler nur tun kann. Dass die Interessen wachsender Frauenmassen über den Kochtopf und das Strümpfestricken hinausgehen, damit findet sich der wirklichkeitskundige nationalliberale Führer als mit einem Übel ab, gegen das nun einmal in dieser besten aller Welten kein Kraut gewachsen ist. Jedoch suchen wir in seinen Ausführungen vergebens einen Satz, welcher der großen geschichtlichen, kulturellen Tragweite des Umschwungs gerecht würde, der die Frauen wieder aus der häuslichen in die gesellschaftliche Produktion einführt und sie zu Gleichberechtigten der Männer, zu freien Gesellschaftsbürgerinnen erhebt. Stall einer unzweideutigen Proklamation der Frauenrechte ein freundliches Kompliment vor ihnen, vorausgesetzt, dass sie sich hübsch bescheiden auf dem Boden des „wirtschaftspolitischen“ Lebens hallen. Doch man höre Herrn Bassermann selbst:

„Ich muss ein Wort sagen über die Folgen der kaiserlichen Bemerkungen, und da möchte ich dreierlei herausgreifen. Das erste ist die Frauenfrage gewiss sympathisch berührende Äußerungen, ein Ideal darstellend, dass die Frau in erster Reihe in das Haus gehört, bestimmt ist, für das leibliche und geistige Wohl des Mannes, der Kinder zu sorgen. Aber wie steht diese Frage, wenn man die ganze wirtschaftliche Entwicklung unserer Zeit dabei ins Auge fasst? Darüber ist doch kein Zweifel: die Not des Kampfes ums Dasein treibt die Frau aus diesem Ideal hinaus. Das ist doch die Ursache, dass die Frau in die Fabrik geht, und dass über den Arbeiterstand hinaus in den Kreisen unseres Mittelstandes und unserer Beamtenschaft die Töchter genötigt sind, den häuslichen Herd zu verlassen und ihr Brot draußen im Kampfe des Tages zu verdienen. Meine Herren, das ist die andere Seite der Frage, die man auch betonen muss. Und wenn nun diese Frauen, die in das Berufsleben hinausgestellt sind, sich zu interessieren beginnen für wirtschaftspolitische Probleme, für das ganze Gebiet der sozialen Fragen, die auch in ihr eigenes Berufsleben hineinschneiden, und wenn dann darüber hinaus in unserem deutschen Frauenleben das politische Leben im Allgemeinen erwacht, so sind das natürliche Erscheinungen unserer Zeit mit all ihren schweren Kämpfen, die die starke Volksvermehrung und der schwerer gewordene Kampf ums Dasein uns auferlegt. Das ist die raue Wirklichkeit, die hier eingreift in den Frieden des häuslichen Herdes und die Frau hinausstellt in die raue Außenwelt. Wenn dann aus Anlass dieser Entwicklung Erörterungen und Kritik der kaiserlichen Rede sich anknüpfen, so möge man doch nicht meinen, dass das nur in sozialdemokratischen Kreisen geschehe. Mir sind Versammlungen deutscher Frauen bekannt, in denen liberal und konservativ gesinnte Frauen und Frauen von Männern, die auf dem Boden dieser politischen Anschauungen stehen, doch eben diese kaiserliche Rede zum Anlass weitgehender und eingehender Diskussionen und Widersprüche gemacht haben.“

Schwächlichkeit und Halbheit der liberalen Parteien, die Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts zu verteidigen, frische Forsche der Konservativen dagegen, sie zu bekämpfen, insbesondere aber die Gleichberechtigung der Proletarierinnen. Herr v. Dirksen erklärte als Wortführer der Junker: „Zunächst die Frauenfrage. Es ist von dem Herrn Abgeordneten Ledebour mit einem gewissen Aufwand von Emphase gesagt worden, die deutschen Arbeiterfrauen würden es dem Kaiser nicht vergessen, wie er sich zur Frauenfrage gestellt hat. … Seine Worte sind dem überwiegenden Teil der deutschen Nation aus der Seele gesprochen. (Sehr richtig! rechts.) Wenn der Kaiser darauf hingewiesen hat, dass die deutsche Frau in der Stille wirken und arbeiten soll, so ist damit selbstverständlich nicht gesagt, dass der aus den Erwerb angewiesenen Frau verwehrt sein soll, in die Öffentlichkeit zu treten, um Arbeit zu suchen. Wohl aber hat der Kaiser – und ich glaube, da steht die Majorität der Nation ganz ans seiner Seite – es nicht für wünschenswert erachtet, dass die Frau sich ins öffentliche Leben hineindrängt. Der Herr Abgeordnete David hat als Gegenbeispiel auf die Königin Luise hingewiesen, die sich mit Politik beschäftigt habe, und die Frage aufgeworfen, wie das mit den Ausführungen des Kaisers vereinbar sei. Auf meinen Zwischenruf „als Königin“ hatte ich die Freude, die Heiterkeit der sozialdemokratischen Partei zu ernten. Ja, meine Herren, die Rolle einer Königin in einem solchen Falle ist doch eine andere als die einer Arbeiterfrau. (Aha! bei den Sozialdemokraten.) Für die Königin war es in den damaligen traurigen Zuständen, in den jammervollen Zeiten des Niederganges Preußens eine Pflicht, an der Seite ihres Mannes zu stehen, mit an die Spitze der Nation zu treten, zu trösten und sich zu zeigen als das Muster einer deutschen Frau. Von einer Arbeiterfrau kann das nicht verlangt werden, sie wäre dazu nicht imstande und nicht berufen. Es handelt sich nicht um größere Rechte, sondern um schwerere Pflichten, die jene Königin erfüllt hat in einer Weise, die wir heute noch mit Hochachtung und Bewunderung anerkennen.“

Wie man sieht: eine untertänige Aufwärmung der irrtümlichen kaiserlichen Ansichten, verbösert durch den Grundsatz, dass auch in Betreff der Frauenbetätigung zweierlei Recht gelten müsse. Die Fürstin, die am politischen Leben teilnimmt, um ihre dynastischen Interessen zu wahren – wenn auch nur durch müßiges Schaugepränge und Ränkespiel – übt eine heilige Pflicht. Die Proletarierin, die offen für ihr Recht, für das Recht ihrer Klasse, der Menschheit kämpft, ist eine „Megäre“, die wider die heiligsten Güter ihres Volkes frevelt. Wir sind Herrn v. Dirksen für das offene Bekenntnis dankbar. Mit einem unverhüllten Feind zu kämpfen ist ersprießlicher als einen unzuverlässigen Bundesgenossen zur Seite zu haben. Und so betrachtet, können die Verhandlungen im Reichstag wie die Königsberger Kaiserworte nur klärend wirken.

Die klassenbewussten Proletarierinnen erblicken der Welt Lauf und die Vorbilder ihres eigenen Seins und Wirkens im Lichte der Geschichte. Sie lassen ihr Urteil weder durch den gefühlsseligen Überschwang achtungswerter Ahnenverehrung, noch durch die verächtliche Speichelleckerei höfischer Klitterung oder durch die herrische Geste eines überzeugten Gottesgnadentums beirren. Das Ideal, dem sie nacheifern muss von einem anderen geistigen und sittlichen Maße sein als die allerhöchstselige Urgroßmutter Wilhelms II., denn ihr Streben ist auf ein kühneres, gewaltigeres Ziel gerichtet, als irgend eine Fürstin sich je erkoren: auf den Sturz einer alten, auf den Aufbau einer neuen Welt. Darum lassen sie sich auch nicht, einer Kronenträgerin gleich, von einem Instrument des Himmels den Strickstrumpf in die Hand drücken und aus dem öffentlichen Leben verweisen. Sie kämpfen weiter in der unerschütterlichen Überzeugung, dass mit ihnen im Bunde geschichtliche Mächte sind, welche früher oder später die Fürstenkronen so unvermeidlich in die geschichtlichen Museen verbannen werden wie die Kunkel und den Spinnrocken. Philisterweisheit vermag daran nichts zu ändern.


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