Lynn Walsh: Den Kapitalismus „rocken“

[eigene Übersetzung des englischen Artikels in Socialism Today, Nr. 112, Oktober 2007]

Anfang September löste die hereinbrechende Insolvenz von Northern Rock einen klassischen Ansturm auf die Bank aus, bei der Tausende von Sparer*innen Schlange standen, um ihr Geld abzuheben. Die Szenen erinnerten an die Ereignisse in Argentinien im Jahr 2001 oder an den letzten Ansturm auf eine Bank in Großbritannien im Jahr 1886. Die Probleme dieser relativ kleinen Bank drohten eine größere Finanzkrise sowie eine politische Krise für die Regierung Brown auszulösen. Obendrein verdeutlicht dieses Ereignis die derzeitige Anfälligkeit der globalisierten Finanzmärkte.

Die Direktor*innen von Northern Rock informierten die Behörden Mitte August darüber, dass sie vor ernsthaften Problemen standen. Da sich keine große Bank finden konnten, die bereit war, sie finanziell zu retten, wandte sich Northern Rock für Notfallhilfe an die Bank of England. Der Gouverneur, Mervyn King, schloss jede Hilfe aus, wurde jedoch später vom Schatzkanzler [Finanzminister] überstimmt, der Notfallmittel für die Bank bewilligte. Als diese Nachricht am 14. September bekannt wurde, begannen jedoch Tausende von Sparer*innen, sich vor den örtlichen Filialen anzustellen, um ihr Geld abzuheben. Die Nachricht von der Notfallfinanzierung beruhigte sie keineswegs, sondern löste vielmehr ernsthafte Alarmglocken aus.

Die Direktor*innen von Northern Rock sowie die Finanzaufsichtsbehörde, das Regulierungsgremium, versicherten den Sparer*innen, dass die Bank zahlungsfähig sei und sie weiterhin Geld einzahlen und abheben könnten. In der Praxis war dies jedoch problematisch. Die Website für Online-Banking war überlastet, während persönliche Abhebungen stundenlanges Anstehen erforderten. In einer Filiale in Cheltenham sperrten zwei Kontoinhaber*innen die Bankmanagerin in ihrem Büro ein, nachdem sie ihnen verweigert hatte, eine Million Pfund von ihrem Konto abzuheben.

King zeigte sich unnachgiebig und lehnte ein wirksames Rettungspaket ab, während Schatzkanzler Alistair Darling nur vage Zusicherungen gab, dass die Einlagen der Sparer*innen sicher seien. Der Ansturm auf Northern Rock wurde als irrationale Panik und ungerechtfertigte Hysterie angeprangert.

Doch die Fakten, die über das „Geschäftsmodell” von Northern Rock bekannt wurden, rechtfertigten die Ängste der Sparer*innen mehr als genug. Der Vorstand und seine Schönfärber*innen behaupteten, sie seien von der unerwarteten und unvorhersehbaren Subprime-Hypothekenkrise in den USA getroffen worden, die zu einer Blockade der kurzfristigen Kreditmärkte geführt habe. Aber es waren die eigenen Geschäftsmethoden von Northern Rock, die es anfällig für die Subprime-Krise machten, eine Krise, die sich bereits über die vorherigen Monate entwickelt hatte.

Im Vergleich zu anderen Hypothekenverleiher*innen hat Northern Rock nur eine Handvoll Filialen. Anstatt in Filialen in Einkaufsstraßen zu investieren und eine breite Basis von Sparer*innen aufzubauen, zog es der Vorstand vor, Geld auf dem Geldmarkt zu beschaffen, auf den er sich für 75 % seiner Finanzierung stützte. Im letzten Jahr hatten sie ihre Hypothekenkredite um über 50% erhöht.

Dies war eine hochriskante Strategie, kurzfristige Kreditaufnahmen zur Finanzierung langfristiger Kreditvergaben. Als die Banken im Sommer auf die Subprime-Hypothekenkrise mit dem Zurückhalten von kurzfristigen Krediten reagierten, stand Northern Rock nicht nur einer kurzfristigen Liquiditätskrise gegenüber, sondern auch der Aussicht auf Insolvenz. Die Direktor*innen versuchten, eine Übernahme durch größere Banken auszuhandeln, aber potenzielle Käufer*innen waren nicht bereit, die zu erwartenden Verluste zu tragen.

Der Aktienkurs von Northern Rock stürzte ab und zwang die Direktor*innen, sich an die Bank of England zu wenden. Dieser erfolglose Schritt führte dazu, dass Sparer*innen innerhalb von drei Tagen rund 2 Milliarden Pfund abzogen, was die Existenzfähigkeit von Northern Rock unmittelbar gefährdete.

Die Regierung und die Bank of England waren gezwungen, eine demütigende Kehrtwende zu vollziehen. Der mögliche Zusammenbruch von Northern Rock bedrohte potenziell das gesamte Finanzsystem. Obendrein wurde klar, dass andere Banken bewusst Finanzmittel zurückhielten, um die Bank of England und die Regierung zum Handeln zu zwingen. Gleichzeitig verstärkten die anhaltenden Warteschlangen außerhalb der Filialen von Northern Rock den politischen Druck auf Brown und Darling, die bisher unterlassen hatten, entschiedene Maßnahmen zu ergreifen.

Dann, am 17. September kündigte Darling an, dass die Regierung und die Bank of England alle Spareinlagen bei Northern Rock garantieren würden. Erst diese Ankündigung beendete den Ansturm, obwohl das Vertrauen in Northern Rock bei weitem nicht wiederhergestellt ist. Es scheint unwahrscheinlich, dass Northern Rock als unabhängige Bank überleben wird, und ihr Hypothekengeschäft könnte durchaus von anderen Banken übernommen werden.

Darlings Garantie für die Sparer*innen von Northern Rock hat jedoch weitreichendere Auswirkungen. Wie kann die Regierung einer Bank Garantie geben, ohne implizit allen Sparer*innen die gleiche Garantie zu bieten? Vorher hatte Mervyn King eine Rettung von Northern Rock (oder einer anderen Bank) abgelehnt, da dies ein „moralisches Fehlverhalten“ erzeuge. Mit anderen Worten: Die Sicherheit einer letztendlichen staatlichen Garantie könnte Banken dazu ermutigen, riskante, wenn nicht sogar leichtsinnige Spekulationsgeschäfte zu tätigen, da sie in dem Wissen sicher sein könnten, dass sie nicht von Konkurs bedroht sein würden. Aber die Aussicht auf eine Implosion des gesamten Bankensystems zwang King ebenso wie Darling und Brown dazu, eine andere Melodie anzustimmen. Vergesst moralisches Fehlverhalten, das System ist in Gefahr.

Martin Wolf kommentiert in der „Financial Times“ (19. September): „Die Entscheidung, Spareinlagen zu garantieren, wirft große Fragen auf. Einlagenverbindlichkeiten werden verstaatlicht, während die Vermögenswerte des Finanzsystems, wenn auch reguliert, in privater Hand bleiben. Wenn Sie die Auswirkungen davon nicht verstehen, haben Sie nicht aufmerksam verfolgt, was im Finanzsektor geschehen ist.“

Bis zum 21. September hatte Northern Rock 3 Milliarden Pfund von der Bank of England geliehen, in Wirklichkeit öffentliche Mittel, um den Schaden zu beheben, den ihr rücksichtsloses „Geschäftsmodell“ angerichtet hatte. Aber es gibt weit verbreitete Empörung, dass der Vorstand weiterhin beabsichtigt, Zwischenausschüttungen an die Aktionär*innen, darunter auch an eine Reihe von Direktor*innen, vorzunehmen. Adam Applegarth, der Vorstandsvorsitzende, soll 13.952 Pfund erhalten, während andere zwischen 6.000 und 8.000 Pfund erhalten sollen. Es gibt Druck auf sie, auf diese Zahlungen zu verzichten, aber bisher haben sie dazu noch keine Erklärung abgegeben.

Darling schlägt nun die Einführung eines neuen Einlagengarantiesystems vor, das Spareinlagen bis zu 100.000 Pfund absichert. Dies wäre zweifellos eine Verbesserung gegenüber dem derzeitigen System, das nur Einlagen bis zu 31.000 Pfund absichert (100 % bis zu 2.000 Pfund, 90 % für den Rest). Es wäre jedoch immer noch eine Frage, ob der Staat für die Verluste der Banken die Zeche zahlen und deren Eigentümer*innen wie gewohnt weitermachen lassen würde.

Die wirkliche Lösung wäre Northern Rock zusammen mit allen anderen großen Banken und Bausparkassen zu verstaatlichen, die dann auf planmäßiger Grundlage geführt würden. Das würde die Einlagen der Sparer*innen sichern und gleichzeitig erschwingliche Hypotheken für Hauskäufer*innen ermöglichen. Die Entschädigung wäre auf der Grundlage von Bedürftigkeit, nicht für die großen Finanzinstitute oder wohlhabende Spekulant*innen, sondern für Kleinanleger*innen, die auf diese Einkünfte zum Leben angewiesen sind. Eine solche Politik bedeutet natürlich einen Bruch mit der Anarchie des kapitalistischen Marktes, besonders mit den derzeitigen fieberhaften Finanzspekulationen, und einen entschiedenen Übergang zu einer Planwirtschaft auf sozialistischer Grundlage.

Die Regierung, die Bank of England und die Finanzaufsichtsbehörde versuchen derzeit, sich gegenseitig die Schuld für die Northern-Rock-Krise zuzuschieben. Die Wahrheit ist, dass sie alle die spekulativen Praktiken der Northern-Rock-Direktor*innen ignoriert haben. Die Geschichte zeigt jedoch, dass es für kapitalistische Regierungen sinnlos ist, zu versuchen, das Finanzsystem zu regulieren, besonders in Zeiten intensiver Spekulationstätigkeit und Instabilität. Zum Beispiel war in den 1990er Jahren in den USA die Regierung gezwungen, einzugreifen, um die Spar- und Kreditinstitute (das Äquivalent zu Bausparkassen) loszukaufen (und damit faktisch zu verstaatlichen). Sie musste zwischen 150 und 200 Milliarden Dollar aufwenden, um das Schlamassel zu beseitigen, das durch Spekulationen und betrügerische Aktivitäten entstanden war.

Zuvor, in Großbritannien in den Jahren 1974-76, war die damalige Labour-Regierung gezwungen, rund 60 sogenannte Sekundärbanken zu retten, spekulative Unternehmen, die vom damaligen Immobilien- und Rohstoffboom profitieren wollten.

„Ist dies das Ende der Geschichte von Krise und Ansteckung?“, fragt Martin Wolf. „Meiner Meinung nach bei weitem nicht. Wenn wir schon solche Probleme mit dem Finanzsystem haben, wenn die Realwirtschaft gesund ist, dann zittere ich, was passieren mag, wenn sich die Lage zu verschlechtern beginnt. Das Finanzsystem sieht unsicherer aus, als ich befürchtete. Die Abwicklung der vergangenen Exzesse könnte durchaus weitere unangenehme Überraschungen bringen.“

Zweifellos wird es weitere, noch ernsthaftere Krisen innerhalb des britischen und globalen Finanzsystems geben. Die Globalisierung sorgt dafür, dass fast jedes ernsthafte Problem weltweite Auswirkungen hat. Aber kann die „Realwirtschaft“ als „gesund“ beschrieben werden, wenn sie so stark mit Schulden und Spekulationsgeschäften verknüpft ist?

Lynn Walsh


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