Lynn Walsh: Entfesselter Kapitalismus

[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 105, November 2006] Capitalism Unleashed, von Andrew Glyn

Oxford University Press, 2006, £16.99

Seit den frühen 1980er Jahren hat der Weltkapitalismus eine Entwicklung genommen, die auf Globalisierung und neoliberaler Politik beruht. In Capitalism Unleashed analysiert Andrew Glyn diese Hinwendung zu einer fundamentalistischen freien-Markt-Politik und untersucht ihre Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Stabilität sowie auf die Verteilung des Reichtums zwischen den Superreichen und der Arbeiter*innenklasse. Besprochen von Lynn Walsh.

Capitalism Unleashed beginnt mit einer knappen Analyse der kapitalistischen Krise, die auf das Ende des langen Nachkriegsaufschwungs im Jahr 1973 folgte. Das Produktivitätswachstum verlangsamte sich, die Konzernprofite wurden zusammengedrückt, die Inflation stieg an. Die organisierten Arbeiter*innen, die durch den Aufschwung gestärkt wurden, forderten die Macht der Boss*innen an den Arbeitsplätzen heraus. Das kapitalistische System selbst wurde durch Wellen kämpferischer Arbeitskämpfe erschüttert, und führende linksreformistische Vertreter*innen schlugen radikale Maßnahmen zur Ausweitung des öffentlichen Eigentums und zur Verbesserung des „Wohlfahrtsstaates“ vor.

Nach einer Periode der Unruhe (1973-79) begann die herrschende Kapitalist*innenklasse eine Gegenoffensive gegen die Arbeiter*innenklasse. Ihr Ziel war es, sich viele der wirtschaftlichen Zugeständnisse der keynesianischen Ära zurückzuholen, die Arbeiter*innen durch höhere Arbeitslosigkeit zu disziplinieren und Gewerkschaftsrechte anzugreifen. Unter Reagan in den USA und Thatcher in Großbritannien in den 1980er Jahren lief diese Offensive unter dem Banner des „Monetarismus“. Später wurde der Monetarismus zu einem allgemeinen Programm des Fundamentalismus des freien Marktes oder „Neoliberalismus“ ausgeweitet.

Andrew Glyns ausgezeichnetes Buch knüpft an eine frühere Studie über den Nachkriegskapitalismus an (Armstrong, Glyn und Harris, Capitalism since 1945, veröffentlicht 1991). Austerity, Privatisation and Deregulation (Kürzungspolitik, Privatisierung und Deregulierung) bietet einen Überblick über die neoliberale Konterrevolution. Es schildert den dramatischen freien-Markt-Wandel in der Regierungspolitik, den Rückzug von Staatseingriffen, die wachsende Macht des Finanzkapitals und das verstärkte Streben nach kurzfristigen Profiten. Andrews Analyse stützt sich auf sehr nützliche, sorgfältig zusammengestellte Statistiken.

Ein Schwachpunkt seiner Analyse der neoliberalen Wende ist meines Erachtens die Vernachlässigung der Rolle des technologischen Wandels. Andrew verweist auf die Erschöpfung des Fordismus (S. 14), des Massenproduktionssystems, das mit großen Konzentrationen von stark organisierten Arbeiter*innen verbunden war. Aber es gibt keine Analyse der Wechselwirkung zwischen dem raschen technologischen Wandel (besonders der Informations- und Kommunikationstechnologie auf der Grundlage von Mikroprozessoren), der die globale Streuung der Produktion erleichterte, und den Veränderungen in den Managementtechniken der Unternehmen und der Regierungspolitik.

Es gibt keinen Zweifel, dass die neoliberale Konterrevolution auf der Grundlage eines intensiven ideologischen und politischen Kampfes der herrschenden Klasse durchgeführt wurde, aber es war nicht nur eine Frage des politischen Handelns (das wäre eine voluntaristische Erklärung). Die veränderte Politik beruhte auf veränderten Produktionsverhältnissen, die sich aus qualitativen Veränderungen der Produktionstechniken ergaben. Die Politik verstärkte neue Trends im Interesse der Großkonzerne. Die neoliberalen/technologischen Veränderungen der 1980er Jahre wurden natürlich in den 1990er Jahren nach dem Zusammenbruch des Stalinismus beschleunigt, nach dem die Bourgeoisie das Gefühl hatte, völlig freie Hand zu haben, um gegen die Arbeiter*innenklasse vorzugehen.

Zwei Kapitel schildern die Auswirkungen der Konterrevolution auf die Arbeiter*innenklasse. Labour’s Retreats (Der Rückzug der Arbeiter*innenbewegung) befasst sich mit den Auswirkungen neuer Technologien und politischer Veränderungen auf Löhne, Arbeitsbedingungen und Arbeitslosigkeit und besonders mit den Auswirkungen der neuen Technologien auf die ungelernten Teile der Arbeiter*innenklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern.

Welfare and Income Equality (Wohlfahrt und Einkommensgleichheit) behandelt die Zunahme der Ungleichheit (Vermögens- und Einkommensungleichheit, Lohnunterschiede usw.), besonders in den USA und anderen dem „angelsächsischen Modell“ folgenden Wirtschaften. Das Bild der Besteuerung und der Sozialausgaben ist komplex, da es von der Demografie (besonders der „Überalterung“ einiger Gesellschaften) und den Auswirkungen der Einkommensverteilung auf die Steuereinnahmen beeinflusst wird. Eine Sache ist jedoch klar. Überall führt die wohlhabende Elite, die ungern Steuern zahlt und keine staatliche Bildung, Gesundheitsfürsorge usw. benötigt, einen rücksichtslosen Kampf gegen die staatliche Versorgung der Mehrheit der Gesellschaft.

Im Mittelpunkt des Buches stehen die Kapitel Finance and Ownership (Finanzen und Eigentum), Globalisation (Globalisierung) und Growth and Stability (Wachstum und Stabilität), die die Struktur und Dynamik der heutigen kapitalistischen Weltwirtschaft analysieren.

Globalisierung und die Achse USA-China

Einer der bedeutsamsten Trends seit den 1990er Jahren ist die enorm vergrößerte Rolle des Finanzkapitals, am dramatischsten in den USA und anderen „angelsächsischen“ Wirtschaften. In den USA waren die Gesamtprofite der Finanzunternehmen in den 1970er und 1980er Jahren etwa ein Fünftel so hoch wie die Profite der Nicht-Finanzunternehmen. Im Jahr 2000 waren sie mehr als halb so groß. Diese Entwicklung spiegelt einen der Grundtrends der neoliberalen Phase wider. Auf der einen Seite gab es eine Wiederherstellung der Profitabilität (durch verstärkte Ausbeutung der Arbeiter*innen), auf der anderen Seite ein Stagnieren der weltweiten Akkumulation (mit bemerkenswerten Ausnahmen wie China). Die Profitniveaus in den großen OECD-Wirtschaften erreichte in den 1990er Jahren wieder die Spitzenwerte der 1960er Jahre. Doch das Wachstum des fixen Kapitals war nur halb so hoch wie in den 1960er Jahren. Immer mehr Profite wurden in Finanzspekulationen und nicht in produktive Investitionen gelenkt. Die mit der Spekulation verbundenen internationalen, kurzfristigen Kapitalströme sind extrem unbeständig und drohen zunehmend, die Wirtschaften zu destabilisieren.

Natürlich leiten die Finanzhäuser einen Teil ihrer Investitionen in die Produktion, die Bauwirtschaft und die Entwicklung der Infrastruktur. Aber ihr Streben nach Profitmaximierung, bei dem die Ergebnisse oft von Quartal zu Quartal beurteilt werden, setzt die Unternehmensleiter unter starken Druck, so schnell wie möglich so viel wie möglich aus ihren Mitarbeiter*innen herauszupressen. Kurzfristorientierung regiert.

Dies wird als das Streben nach dem so genannten „Shareholder Value“ verbrämt. Aber tatsächlich ist der Aktienbesitz stark konzentriert, und die Finanzinstitute (Investmentbanken, Versicherungsfirmen, Investmentfonds, Hedgefonds usw.) üben eine enorme Macht über die Konzernboss*innen und Regierungen aus. Ihr Streben nach kurzfristigen Profiten verstärkt die zugrunde liegende Polarisierung des Wohlstands in der Gesellschaft.

Spitzenkonzernmanager sind in diesen Prozess verwickelt. Sie erhalten nicht nur riesige Gehälter und Boni, sondern erzielen auch enorme Profite aus Aktienoptionen – Zuteilungen von Aktien ihrer Unternehmen, die sie an der Börse mit großen Profiten handeln können. Viele der jüngsten Unternehmensskandale in den USA und Europa wurden mit dem „Insiderhandel“ von Konzernvorständen in Verbindung gebracht, die in vielen Fällen den Kurs der Aktien ihrer Unternehmen zu ihrem eigenen Vorteil manipulierten. Kein Wunder, dass in den 500 größten US-Unternehmen das Verhältnis zwischen der Bezahlung der Vorstandsvorsitzenden und den Gehältern der Produktionsarbeiter*innen von 30 im Jahr 1970 auf 570 im Jahr 2000 gestiegen ist. (S. 58)

Die Zunahme in der internationalen wirtschaftlichem Verflechtung wird in Globalisierung analysiert, ebenso wie die entscheidende Beziehung zwischen den USA und China. Die deregulierten Finanzmärkte sind praktisch zu einem einzigen globalen Kasino geworden. Der Welthandel hat auch dramatisch zugenommen, wobei sich der Anteil der weltweiten Exporte am BIP seit 1960 auf etwa 25% des weltweiten BIP verdoppelt hat (S. 97). Andrew stellt fest, dass sowohl in den USA als auch in Europa das Verhältnis von Exporten zum BIP im Jahr 1913 erst Ende der 1960er Jahre überschritten wurde. Jedoch die Verlagerung der Produktionsstätten von Unternehmen aus den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in eine Reihe von Entwicklungsländern (besonders China) hat die Struktur der Weltwirtschaft dramatisch verändert. Mehr als die Hälfte der Weltproduktion wird heute außerhalb der alten OECD-Wirtschaften produziert (S. 153). Obendrein wird die Drohung der Verlagerung in Billiglohnländer zunehmend als Drohung gegen die Arbeiter*innen in den fortgeschrittenen Wirtschaften eingesetzt, um Löhne und Arbeitsplätze abzubauen.

Ausländische Direktinvestitionen, die zum Bau von Fabriken und zum Kauf von Unternehmen in Übersee verwendet werden, stiegen in den 1990er Jahren sprunghaft an. In jüngster Zeit haben die unbeständigeren „Portfolio-Investitionen“ (hauptsächlich über Investment- und Hedgefonds, Geschäftsbanken usw.) in die „Schwellenländer“ (Aktien, Devisen, Immobilien, Rohstoffe usw.) zugenommen. Diese Investitionsströme sind zunehmend spekulativ geworden.

Während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre strömte das Kapital sowohl in die USA als auch nach China. In die US-Märkte wurden sie durch den Anstieg der Profitabilität gezogen. Die Zuflüsse trieben den Dollar in die Höhe, was die US-Exporte drückte, und zu einem stetigen Anstieg der Importe führte. Dies hat zu einem nicht nachhaltigen Handelsdefizit geführt, das heute bei etwa 7% des BIP liegt. Dieses wird dadurch finanziert, dass die Überschussländer, vor allem China, Japan und Südkorea, US-Staatsaktien und andere Vermögenswerte aufkaufen.

Im Jahr 1980 machte China nur 0,8% der weltweiten Ausfuhren von Hersteller*innen aus. Im Jahr 2003 machte es 7,3% aus. Dieser massive Exportboom beruhte auf dem enormen Kapitalzufluss nach China sowie auf erhöhten internen Investitionen. Die neuen Industrien konnten auf riesige Reserven an Arbeitskräften zurückgreifen, die willig waren, 80 Stunden pro Woche für rund 80 Dollar im Monat zu arbeiten. Schätzungen zufolge gibt es 150 bis 300 Millionen Landarbeiter*innen, die potenziell in die Industrie gezogen werden könnten. Dies würde nicht nur das Wachstum in China weiter anregen, sondern auch die Löhne in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften weiter nach unten drücken.

China hat „das Potenzial, diesen Prozess sehr viel weiter zu treiben“ (S. 92), schreibt Andrew. Aber es gibt viele potenzielle Hindernisse für ein ununterbrochenes Wachstum. Es gibt die entscheidende Abhängigkeit vom US-Verbraucher*innenmarkt. Jede Verlangsamung des Exportwachstums wird bedeuten, dass China seine steigende Rechnung für importierte Lebensmittel, Materialien, Brennstoffe, Halbfertigprodukte, Investitionsgüter usw. nicht mehr begleichen kann. Innerhalb Chinas könnte soziale Instabilität zu einem politischen Zusammenbruch führen, der das Wirtschaftswachstum beeinträchtigen könnte. Ein Zusammenbruch auf einer der beiden Seiten der Achse USA-China hätte verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft.

Aussichten für den Kapitalismus?

Was ist Andrew Glyns Einschätzung der Weltwirtschaft unter dem neoliberalen Regime? Was sind die Aussichten für den Kapitalismus? In Growth and Stability (Wachstum und Stabilität) zeigt er auf der einen Seite, dass das zunehmende Gewicht des Finanzsektors die Unbeständigkeit gefördert hat, einschließlich einer Reihe instabiler Blasen. Die asiatische Währungskrise (gefolgt vom Zusammenbruch des russischen Rubels und dem Bankrott des US-Hedgefonds LTCM) und der weltweite Börsencrash von 2001 waren größere Erschütterungen. Auf der anderen Seite zeigt er jedoch in Bezug auf das Produktionswachstum, dass „der Zeitraum nach 1993 das stabilste Nachkriegsjahrzehnt war, in dem die Produktion sowohl der fortgeschrittenen als auch der weniger entwickelten Volkswirtschaften um etwa ein Drittel weniger schwankte als in den 1950er und 1960er Jahren“ (S. 149). Diese relative Stabilität, so kommentiert er, ist „etwas paradox“.

Die Haupterklärung, meint Andrew, ist, dass die Zentralbanken, die keine Inflationsexplosion mehr befürchten, sich in der letzten Zeit nicht gezwungen sahen, zur Kreditverknappung zu greifen. Die geschwächte Verhandlungsposition der Arbeiter*innen und die Deflation der Preise durch die Globalisierung wirkten dem Inflationsdruck entgegen, zumindest in den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Angesichts potenzieller Krisen (der Dotcom-Crash von 2001 und der Schock vom 11. September 2001) spritzten die Zentralbanken (allen voran die US-Notenbank) massiv Liquidität in die Weltwirtschaft, wodurch sie neue Blasen erzeugten. Diese fraßen sich bis zur Verbraucher*innennachfrage durch, erzeugten aber gleichzeitig einen noch höheren Schuldenberg.

Trotz dieser relativen Stabilität des Produktionswachstums ist jedoch die Pro-Kopf-Produktion seit 1990 langsamer gewachsen als selbst während der Stagflation von 1973-79. Die jährliche Pro-Kopf-Wachstumsrate der Haupt-OECD-Volkswirtschaften war bei etwa 2%, verglichen mit 4% in den 1960er und frühen 1970er Jahren. Der japanische Kapitalismus stagnierte, während Europa nur ein sehr geringes Wachstum genoss. Die Kapitalakkumulation war auch schwach. Der fixe Kapitalstock in den Industrieländern wuchs um 3,3% pro Jahr in den 90er Jahren gegenüber 5% pro Jahr in den 60er Jahren. Man kann auch hinzufügen, dass die von Andrew Glyn vorgelegten Gesamtzahlen die Tendenz haben, größere regionale und lokale Umwälzungen zu glätten (z. B. Südostasien 1997, Argentinien 2000-2003).

„Aber [fragt Andrew Glyn] stellt dies eine ,Krise‘ für den Kapitalismus in den reichen Ländern dar? Nur durch die Verwässerung der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs, der sich auf ,den Punkt im Verlauf einer Krankheit bezieht, an dem eine wichtige Entwicklung oder Veränderung stattfindet, die für die Genesung oder den Tod entscheidend ist‘ (Oxford English Dictionary)…“ (S. 151)

Obwohl es niedriger ist als in der Zeit des „goldenen Zeitalters“ von 1950-73, ist die Produktivität pro Stunde um ein Prozent bis 2,5% pro Jahr gestiegen, was dem Wachstum entspricht, das für die meisten entwickelten kapitalistischen Volkswirtschaften seit 1970 typisch ist (mit Ausnahme des goldenen Zeitalters). „Es scheint auch keine zwingenden Beweise für die Annahme zu geben, dass es in den nächsten ein oder zwei Jahrzehnten zu einer entscheidenden Abweichung des Produktivitätswachstums von den langjährigen Normen kommen wird“. (S.151)

Wie sind also die Aussichten für den Kapitalismus? Das kapitalistische System hat nicht das „Ende der Geschichte“ erreicht, sagt Andrew Glyn, und Wachstum und Stabilität sind nicht gesichert. Nichtsdestotrotz scheint seine Einschätzung zu sein, dass der Kapitalismus weitaus widerstandsfähiger ist, als viele Linke vielleicht erwartet haben.

Klar, gemäß der Wörterbuchdefinition einer Erholungs-/Todeskonstellation gibt es derzeit keine Krise in der Weltwirtschaft. Die Finanzmärkte sind (trotz einiger jüngster Erschütterungen) nach wie vor lebhaft. Das BIP-Wachstum in China ist nach wie vor rasant, während das Wachstum in den USA zwar relativ robust, aber unregelmäßig ist und in Europa und Japan zwar schwächer, aber kontinuierlich wächst. Es steht also gar nicht so schlecht um den Kapitalismus?

Aber wir müssen unter der Oberfläche nach den Kräften suchen, die den Wandel in der Zukunft vorantreiben werden. „Der Versuch, mehr oder weniger wahrscheinliche langfristige Szenarien zu entwerfen, ist nur ein Blick in eine höchst ungewisse Zukunft“, sagt Andrew. Doch sicher müssen wir über die gegenwärtige Konstellation hinausblicken und erkennen, dass das derzeitige System der politisch-wirtschaftlichen Beziehungen (das vorherrschende neoliberale Regime) nicht unbegrenzt andauern wird und in der Tat seinen eigenen Untergang vorbereitet? Sollte man nicht versuchen, jene Trends zu identifizieren, die durch ihre „erstaunlichsten Widersprüche“ (Marx) eine neue Konstellation hervorrufen werden, höchstwahrscheinlich eine von Verwerfungen und Krisen? Genaue Szenarien sind natürlich nicht möglich. Aber die Projektion aktueller Trends mit möglichen Entwicklungsvarianten ist möglich – und notwendig, wenn wir uns nicht einfach mit „Abwarten und Tee Trinken“ abfinden wollen.

Bei der Analyse der Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Krise der 1970er Jahre (S. 2) schreibt Andrew, dass „gerade der Erfolg des goldenen Zeitalters seine Grundlage untergraben zu haben scheint“. Die neoliberale Periode hat zweifellos ganz andere Merkmale als das „goldene Zeitalter“. Dennoch gibt es innere Widersprüche, die ihre Grundlage ebenso sicher untergraben und Krisen hervorrufen werden. Wirtschaftlich werden alle Bedingungen für eine Krise vorbereitet. Außerdem erzeugt die neoliberale Wirtschaftspolitik in der gesamten kapitalistischen Welt soziale Krisen, die den Zündstoff für politische Umwälzungen liefern werden.

In Capitalism Unleashed können alle Zutaten für künftige Krisen gefunden werden. Die ausgeweitete Rolle des Finanzkapitals, das kurzsichtige Suchen nach kurzfristigem Profit. Die Abhängigkeit von der Verschuldung. Die Abhängigkeit von einer Reihe von Blasen (überbewertete Aktien, Häuser, Devisenhandel, Rohstoffe, Schwellenländer usw.), um das Wachstum aufrechtzuerhalten. „Die US-Wirtschaft, und damit die Weltwirtschaft insgesamt, ist sehr anfällig für eine plötzliche Umkehr des US-Konsumbooms. (S. 137) „Die derzeitige makroökonomische Stabilität ist sehr anfällig für Finanzkrisen“ (S. 150) – und viele ähnliche Kommentare. Dennoch wird in Capitalism Unleashed aus meiner Sicht den katalytischen Elementen künftiger Krisen nicht genügend Gewicht beigemessen.

Auf einer grundlegenden Ebene wird die Verringerung des Anteils der Arbeiter*innenklasse am Reichtum den Markt für den Kapitalismus weiter einschränken (trotz des schnelleren Wachstums in Ländern wie China, Indien usw.). Obendrein hängt das globale Wachstum immer mehr von der Achse USA-China ab. Die USA bieten einen massiven, kreditangeheizten Markt für Konsumgüter, während China immer billigere Produkte liefert. Gleichzeitig finanzieren China, Japan, Südkorea, Taiwan usw. das US-Außenhandelsdefizit indem sie US-Staatsanleihen und andere US-Vermögenswerte aufkaufen.

Chinas phänomenales Produktions- und Investitionswachstum wird auch durch mehrere Blasen angetrieben: massive Kapitalzuflüsse, Überinvestitionen in industrielle Kapazitäten, ein spekulativer Immobilienboom und kolossale, schuldenfinanzierte Investitionen in Infrastrukturprojekte in den Industrieregionen. Während der US-Dollar trotz des beispiellosen Außenhandelsdefizits des US-Kapitalismus überbewertet ist, ist die chinesische Währung (Yuan oder RMB) unterbewertet (zumindest im Verhältnis zu Chinas Industrieregionen). Andrew neigt jedoch dazu, das phänomenale Wachstum und seine Auswirkungen auf die fortgeschrittenen Wirtschaften zu betonen, während er dem ungleichmäßigen, widersprüchlichen Charakter von Chinas Wachstum wenig Aufmerksamkeit schenkt. Das Regime selbst erkennt an, dass seine Stabilität durch massive Korruption und Gesetzlosigkeit sowie durch häufige Proteste bedroht sei, die in vielen Fällen fast aufständischen Charakter annehmen.

Diese Blasen und die damit verbundenen Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft sind unhaltbar, wie die meisten seriösen kapitalistischen Ökonom*innen zugeben. Einige der alarmistischsten Kommentare kommen zum Beispiel von Marktanalyst*innen wie Stephen Roach von der Investmentbank Morgan Stanley. Die einzige wirkliche Frage ist, wann es eine „Neuordnung“ der Währungen und einer Anpassung der Ungleichgewichte geben wird, und wie schnell und schmerzhaft dies geschehen wird. Eines ist sicher: Je länger die „Korrektur“ aufgeschoben wird, desto gravierender wird sie ausfallen.

Geopolitische Schocks

Capitalism Unleashed ist eine ausgezeichnete Anatomie der kapitalistischen Weltwirtschaft. Seine Hauptschwäche besteht meiner Meinung nach darin, dass es die wirtschaftlichen Trends nicht ausreichend mit den sozialen und politischen Entwicklungen verknüpft, von denen die Wirtschaft realistischerweise nicht getrennt werden kann.

Die sich verschärfenden interkapitalistischen Spannungen spiegeln die zugrunde liegende wirtschaftliche Konkurrenz wider und stellen eine Bedrohung für das neoliberale Wirtschaftsregime dar. Das stetige Wachstum der Weltwirtschaft hat – zusammen mit dem Abtreten eines rivalisierenden sozialökonomischen Blocks in Form der (stalinistischen) Sowjetunion und dem Übergang Chinas zu einer Form des Kapitalismus – keine Harmonie in den Weltbeziehungen erzeugt. Die jüngsten Konflikte im eurasischen „Krisenbogen“ haben die weltweiten Spannungen dramatisch erhöht. Es gibt ein Gerangel um die Kontrolle von Öl- und Gasreserven, Pipelines und strategischen Transportrouten. Die Doha-Runde der WTO-Verhandlungen ist festgefahren, und eine Einigung scheint zweifelhaft. Die USA und die EU haben ständig über Agrarsubventionen, Flugzeugproduktion (Airbus gegen Boeing), grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen, Regulierungsbefugnisse usw. gerungen. Bisher konnten die meisten dieser Streitigkeiten beigelegt oder verschoben werden, aber sie spiegeln die zugrundeliegenden nationalen Gegensätze wider, die im Falle eines weltweiten Wirtschaftsabschwungs wahrscheinlich noch schärfer werden werden. Die Symbiose zwischen den USA und China ist der Kern des derzeitigen globalen Wachstums, doch die Bush-Regierung hat China zu ihrem wichtigsten strategischen Rivalen erklärt und manövriert gegen China in Asien.

Diese Spannungen erinnern zusammen mit der zunehmenden Rivalität zwischen regionalen Mächten an die Lage vor dem Ersten Weltkrieg. Damals kam eine Periode beschleunigter Globalisierung und anhaltenden Wachstums der Weltwirtschaft 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu einem katastrophales Ende. Heute ist ein Weltkrieg zwischen den Hauptmächten durch den Besitz von Atomwaffen ausgeschlossen. Aber wirtschaftliche Konflikte und die Verfolgung rivalisierender Interessen durch Stellvertreter*innen, die an regionalen Kriegen und Bürger*innenkriegen beteiligt sind, werden sich wahrscheinlich vervielfachen.

Unter dem neoliberalen Regime gab es eine Verschiebung der Verteilung von Reichtum und Einkommen zugunsten der Kapitalist*innenklasse (in Umkehrung der leicht nivellierenden Trends des „goldenen Zeitalters“). Das BIP-Wachstum hebt nicht mehr „alle Boote im Hafen“. In allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und besonders in den USA und anderen Wirtschaften, die auf dem „angelsächsischen Modell“ basieren, hat das Produktionswachstum zu einer größeren Ungleichheit und in einigen Fällen zu einem absoluten Anstieg der Zahl der in Armut lebenden Menschen geführt. Gleichzeitig haben die Kürzungen von Sozialleistungen und Renten sowie die Beschneidung der Sozialausgaben, besonders im Hinblick auf die Bedürfnisse einer alternden Bevölkerung, das Wachstum der Ungleichheit verstärkt.

Es gibt Symptome einer wachsenden sozialen Krise in allen fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. In Großbritannien und Frankreich zum Beispiel wurde die Aufmerksamkeit auf städtische Unruhen gelenkt, die mit muslimischen Communities in Verbindung gebracht werden, aber im Wesentlichen in der Armut und Entfremdung der Innenstädte (Bradford usw.) und der französischen Banlieue (Ghettos in den Außenbezirken) verwurzelt sind. Die Verschärfung der Ausbeutung am Arbeitsplatz, die zunehmende Unsicherheit und die Verringerung der Beschäftigungsmöglichkeiten für den am wenigsten qualifizierten Teil der Arbeiter*innen (die in dem Buch beschrieben und quantifiziert werden) haben alle zu einer Zunahme der Entfremdung und der sozialen Spannungen und in einigen Fällen zu gewaltsamen Konflikten geführt.

Der Sozialismus: ein ernsthafter Konkurrent?

Alle Bedingungen für eine tiefe sozioökonomische Krise werden vorbereitet. Es wird keine Wiederholung vergangener Krisen sein. Sie wird zweifellos sehr verschieden von der „Krise des Kapitalismus“ von 1973-79 sein. Durch die Massenkämpfe der Arbeiter*innen herausgefordert, schien „die Stabilität des kapitalistischen Systems selbst ernsthaft bedroht“ zu sein. Damals (wie Andrew zu Recht kommentiert) „machte die anscheinende Gangbarkeit der Planwirtschaften [der Sowjetunion und ihrer Satelliten] auch eine Reihe von Vorschlägen aus den Arbeiter*innenbewegungen der reichen Länder für radikale Beschränkungen des Kapitalismus der freien Marktwirtschaft glaubwürdiger“. (S. 2)

Heute bedeutet im Unterschied dazu „der Zusammenbruch der zentralen Planung und des politischen Systems, das sie unterstützte“, dass „Forderungen nach einer stärkeren staatlichen Intervention, geschweige denn nach einer Umgestaltung in eine sozialistische Richtung, zurückgeschlagen wurden … Der Kapitalismus als System in den reichen Ländern ist derzeit nicht durch ernsthafte Konkurrent*innen bedroht“. (S. 151)

Das ist so. Der Zusammenbruch des stalinistischen Systems (zentral geplante Wirtschaften, von einer totalitären Bürokratie beherrscht) hatte verheerende Auswirkungen auf die Arbeiter*innen international. Wie Andrew sagt, schien er die Idee einer gangbaren Alternative zum kapitalistischen Markt zu zerstören. Der Zusammenbruch führte zu ideologischer Verwirrung in den Arbeiter*innenbewegungen auf der ganzen Welt. Das Verschwinden des Stalinismus als Gegengewicht zum Kapitalismus untergrub die soziale und politische Basis des Reformismus. Die kapitalistische herrschende Klasse sah nicht mehr die Notwendigkeit, der Arbeiter*innenklasse Zugeständnisse in Bezug auf Löhne, Gewerkschaftsrechte und soziale Absicherung zu machen.

Die führenden Vertreter*innen der traditionellen Arbeiter*innenparteien (Sozialdemokrat*innen, Labour und Kommunist*innen) bewegten sich rasch nach rechts und schlossen den Markt als einzig mögliches System in die Arme. Veränderungen in der Produktionsstruktur und die Globalisierung untergruben die Stärke vieler „großer Bataillone“ der Arbeiter*innenklasse in der verarbeitenden Industrie. Die Aushöhlung der traditionellen Arbeiter*innenparteien untergrub die politische Vertretung der Arbeiter*innenklasse effektiv.

Dieser Prozess wurde durch die jüngsten Ereignisse in Frankreich veranschaulicht. Der Aufschwung des Massenkampfes im März und April 2006 gegen die erneuten Angriffe der Chirac-Villepin-Regierung erinnerte in mancherlei Hinsicht an die Maiereignisse von 1968. Die mutigen Aktionen der Student*innen führten zu Zusammenstößen mit der Polizei, zu fünf Aktionstagen, von denen einer mehr als drei Millionen Teilnehmer*innen zählte. Villepin war gezwungen, einen Rückzieher zu machen und sein neues Gesetz über die Jugendarbeit zurückzunehmen.

Doch es gab auch einen scharfen Kontrast zum Mai 1968. Damals gab es eine starke ideologische Alternative zum Kapitalismus, und Millionen von Arbeiter*innen unterstützten die Idee einer sozialistischen Veränderung oder gar einer Revolution. Die jüngsten Kämpfe waren defensiv, es fehlte die Massenunterstützung für eine Alternative zum Kapitalismus. Die jüngsten Kämpfe, die sowohl in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern als auch in den neokolonialen Ländern geführt wurden, zeichnen sich dadurch aus, dass es zwar eine Massenopposition gegen die Auswirkungen des neoliberalen Kapitalismus gibt, aber ein politisches Vakuum, was eine Alternative betrifft.

Doch dass das kapitalistische System derzeit keine ideologische Herausforderung wie in den 1960er und frühen 1970er Jahren erfährt, dass es „derzeit nicht von ernsthaften Konkurrent*innen bedroht ist“, bedeutet nicht, dass es nicht mit der Aussicht auf eine tiefe soziale und wirtschaftliche Krise konfrontiert ist. Es ist wahr, dass die Schwäche der Arbeiter*innenbewegung, besonders die Schwäche des Klassenbewusstseins, es der herrschenden Klasse ermöglicht hat, die Politik des freien Marktes viel weiter voranzutreiben, als sie es sich in den frühen 1980er Jahren erträumt hatte. Aber diese extreme „Wiederbelebung der grundlegenden Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaft“ untergräbt bereits die Grundlage der globalen neoliberalen Ordnung. Die mangelnde Zurückhaltung der Bourgeoisie wird für sie mit voller Wucht nach hinten losgehen.

Es ist natürlich unmöglich, genau zu sagen, wann und wo, aber der kapitalistische Fundamentalismus wird mit Sicherheit politische Explosionen hervorrufen. Die Ereignisse in Frankreich, die revolutionäre Bewegung in Indonesien, die durch die Asienkrise 1997 ausgelöst wurde, und die jüngsten Massenkämpfe gegen die Privatisierung von Gas und Wasser in mehreren lateinamerikanischen Ländern sind Vorboten noch größerer zukünftiger Ereignisse.

Andrew Glyn zitiert den japanischen marxistischen Ökonomen Makoto Itoh mit der Bemerkung, dass „der Kapitalismus den Film der Geschichte rückwärts ablaufen zu lassen scheint, indem er den anhaltenden Trend eines Jahrhunderts ‚einschmelzen‘ lässt und zu einem älteren Stadium des Liberalismus zurückkehrt“. (S. 23)

Es ist in der Tat eine Rückkehr zu einer brutaleren Form des Kapitalismus, von dem mehr und mehr von der reformistischen Abfederung des Nachkriegsaufschwungs entfernt wird. Unter den ständigen Angriffen der Kapitalist*innenklasse und entwaffnet von ihren eigenen Massenführungen hat die Arbeiter*innenklasse zweifellos Rückschläge erlitten und ist in Bezug auf ihre Organisation und besonders ihr Klassenbewusstsein geschwächt worden. Nichtsdestotrotz bleibt das Proletariat international eine starke soziale Kraft und wird in einigen Entwicklungsländern sogar gestärkt. Unter dem Eindruck der neoliberalen Konterrevolution wird sich die Arbeiter*innenklasse neu organisieren, sich politisch wieder bewaffnen und ihre Macht als entscheidende politische Kraft wieder geltend machen. Freiheit von den bürokratischen Fesseln und dem pervertierten „Marxismus“ des Stalinismus wird ein Vorteil sein.

Sozialistische Ideen ziehen bereits viele frisch politisierte junge Menschen an, und sie werden in den nächsten paar Jahren weitere Unterstützung finden. Der Sozialismus – besonders der Marxismus – wird zu einem „ernsthaften Konkurrenten“ des Kapitalismus werden. Warum? Weil der Marxismus die einzige Ideologie ist, die in der Lage ist, die Interessen der Arbeiter*innen und anderer ausgebeuteter und unterdrückter Klassen konsequent zum Ausdruck zu bringen. Er liefert das theoretische Rüstzeug für eine grundlegende Kritik des Kapitalismus. Vor allem aber bietet er ein Programm für die Abschaffung des Kapitalismus und die Errichtung einer höheren Gesellschaftsform, die auf internationaler Solidarität, Planproduktion, sozialer Gleichheit und radikaler Demokratie auf der Grundlage der Arbeiter*innen und anderer ausgebeuteter Schichten beruht.

Raum für Reformen?

Im letzten Kapitel (Wohlfahrt und Einkommensungleichheit) fragt Andrew Glyn, „ob wir in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die unsere Regierungen umsetzen können, noch viel Auswahl haben? Nähern sich die Wirtschaften der reichen Länder unter dem Druck der Globalisierung rasch dem US-Modell mit einer zunehmend ungleichen Einkommensverteilung, minimalen Sozialstaat und langen Arbeitszeiten an? Gibt es innerhalb der Grenzen des Kapitalismus noch echte Wahlmöglichkeiten, wer was bekommt und wer was tut?“ (S. 155).

Während seine Analyse der wirtschaftlichen Trends klar ist, sind Andrews Antworten auf diese Fragen sehr tastend. Natürlich befürwortet er, den Sozialstaat zu verteidigen und für seine Verbesserung zu kämpfen. Er zeigt, dass die Wirtschaftsleistung (Produktivitätswachstum, Produktionswachstum, Beschäftigungsniveau usw.) in „sozialstaatlichen“ Volkswirtschaften (wie den nordischen Staaten) sicherlich nicht schlechter ist als in denen, die dem „angelsächsischen Modell“ unter Führung der USA folgen.

Aber er übersieht zwei entscheidende Punkte. Erstens sorgt sich die Kapitalist*innenklasse nicht um eine „gute Wirtschaftsleistung“ im Allgemeinen. Sie sind entschlossen, selbst in den nordischen Ländern, den öffentlichen Sektor zu beschneiden, eine egalitäre Steuer- und Ausgabenpolitik einzuschränken und die soziale Sphäre zu erweitern, die dem Konzern-Profitstreben offen steht. Ja, sie wollen ein Produktivitätswachstum, einen höheren BIP-Output, aber vor allem wollen sie eine gesunde „Quintessenz“ – maximale Profite.

Der zweite Punkt ist, dass die nordischen Regierungen bereits die Verteidigung des sozialdemokratischen „Sozialstaates“ zugunsten von Maßnahmen des freien Marktes aufgegeben haben. In dieser Hinsicht hinkt Andrews Analyse den jüngsten Entwicklungen hinterher.

Schweden ist ein klares Beispiel. Perssons sozialdemokratische Regierung setzte weitreichende Privatisierungsmaßnahmen und große Kürzungen im Sozialbereich, besonders bei den Renten, durch. Die dem Arbeitsmarkt auferlegten neoliberalen Bedingungen haben massive Unsicherheit unter der Arbeiter*innen geschaffen. Diese Veränderungen sind für die Niederlage der Regierung Persson bei den jüngsten Parlamentswahlen (siehe Socialism Today Nr. 104) verantwortlich. Eine Mehrheit stimmte gegen Perssons neoliberale Politik, aber in Ermangelung einer gangbaren linken Alternative stimmten die meisten für die (konservativen) Moderaten. Die neue Regierung wird die neoliberale Politik natürlich noch viel weiter treiben und mit der Zeit ebenso unpopulär werden.

Ein konkreter Vorschlag Andrews ist ein Grundeinkommen (S. 180). „Bei einem Grundeinkommensprogramm würde jede Person eine regelmäßige und bedingungslose Geldzuwendung vom Staat erhalten. Es würde … jeder erhalten, unabhängig von anderen Einkünften oder davon, ob er arbeitet oder nicht, und es könnte für all das ausgegeben werden, was der Empfänger wünscht“. (S. 181) Damit würden viele Leistungen mit Bedürftigkeitsprüfung abgeschafft und die Armutsfalle für Geringverdiener*innen beseitigt werden. Arbeitslose könnten in Teilzeit arbeiten, ohne Leistungen zu verlieren. Die Steuersätze für besser verdienende Arbeiter*innen müssten erhöht werden, um das Grundeinkommen zu finanzieren. Andrew beschreibt es als eine „Neugestaltung von Elementen des Sozialstaates in eine egalitäre Richtung“. Das Programm würde es auch einigen Arbeiter*innen ermöglichen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erreichen. Andrew erkennt an, dass es weit verbreiteten Widerstand gegen die Idee geben könnte, da Leistungen an Arbeiter*innen gezahlt würden, die sie „nicht wirklich brauchen“. „Aus Gründen der politischen Akzeptanz müsste das Grundeinkommen wahrscheinlich auf einem relativ niedrigen Niveau eingeführt werden“.

Aber „woher wird das Geld kommen?“ (S. 183) Die Großkonzerne drängen auf weitere Senkungen der Unternehmenssteuern. Die Mehrheit der Lohnabhängigen wehrt sich verständlicherweise gegen eine Erhöhung ihrer Steuerlast. Diese „grundlegende Frage“ wird im letzten Absatz von Capitalism Unleashed aufgeworfen – und unbeantwortet gelassen.

Wir sollten für die Verteidigung aller bisherigen Errungenschaften und für neue Reformen kämpfen – was in dieser Zeit nur durch Kampf erreicht werden kann. Dennoch muss anerkannt werden, dass die Ära eines stabilen, expandierenden Sozialstaates und umfassender Gewerkschafts- und Bürger*innenrechte endgültig vorbei ist. Es war um eine Phase des Kapitalismus, die in einer besonderen historischen Konstellation entstand. Sie beruhte auf Produktionsverhältnissen und einem besonderen Kräfteverhältnis der Klassen, die sich völlig verändert haben. Wir sind in einer neuen, regressiven Phase des Kapitalismus aktiv, die der Arbeiter*innenklasse nicht ohne weiteres einen größeren Anteil am Reichtum zugestehen wird. Im entfesselten Kapitalismus gibt es keinen Spielraum für dauerhafte Reformen – deshalb muss der Kampf für die Verteidigung des Lebensstandards und der Rechte mit der Notwendigkeit einer grundlegenden Neuorganisation der Gesellschaft verbunden werden.


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