[gründliche Bearbeitung einer Übersetzung des englischen Textes, erschienen zuerst in Militant International Review, Nr. 20, August 1980, S. 10-22, Nachdruck in Socialism Today, No. 49, August 2000]
Wie Stalins lange Hand seinen wichtigsten Widersacher niederstreckte
Anlässlich des 80. Todestags Leo Trotzkis veröffentlichen wir hier einen Text von Lynn Walsh über die Ermordung des bedeutenden russischen Marxisten. Dieser Text findet sich auch im gerade vom Manifest-Verlag veröffentlichten Sammelband “Trotzki. Trotzkismus. Vierte Internationale”
Vor sechzig Jahren dirigierte Stalin die Ermordung des im Exil lebenden und isolierten Leo Trotzki. Nicht nur persönliche Rivalität und Neid trieb Stalin an, argumentiert Lynn Walsh, sondern die Erfordernis für die herrschenden Bürokratie, die Vierte Internationale zu zerschlagen, die weiter für Internationalismus und Arbeiter*innendemokratie kämpfte.
Am 20. August 1940 traf ein tödlicher Schlag mit einem Eispickel durch Ramon Mercader, einen von Stalins Geheimpolizei GPU zur Ermordung des verbannten Revolutionärs nach Mexiko gesandten Agenten, Leo Trotzki.
Trotzkis Ermordung war nicht nur die boshafte Rache auf Seiten Stalins. Sie war der Höhepunkt des systematischen und blutigen Terrors, der sich sowohl gegen eine ganze Generation von führenden bolschewistischen Vertreter*innen, als auch gegen die zweite Generation von jungen Revolutionär*innen richtete, die bereit waren, marxistische Ideen gegen das repressive und bürokratische Regime Stalins zu verteidigen. Als die GPU 1940 zu Trotzki vordrang, hatte sie schon viele Familienmitglieder, Freund*innen und Mitarbeiter*innen Trotzkis sowie führende Vertreter*innen und Unterstützer*innen der Internationalen Linken Opposition ermordet, in den Selbstmord getrieben oder ins Arbeitslager gesperrt.
Jahrzehnte später werden viele Medien- und akademische Kommentare den Konflikt zwischen Trotzki und Stalin genauso wie 1940 in persönlichen Begriffen beschreiben. Sie stellen ihn als eine bittere Rivalität zwischen zwei ambitionierten Führungspersonen da, die um die Macht konkurrieren. Vom bürgerlichen Standpunkt ist einer so schlecht wie der andere. Die giftigste Kritik wird dabei Trotzkis „romantischer“ Idee der „Permanenten Revolution“ vorbehalten sein. Sie sei gefährlicher als die bürokratische Vorstellung des Aufbaus des „Sozialismus in einem Lande“ des „praktischen“ Stalins. Einige der Fragen, denen sich Trotzki bereits stellen musste, werden wiederbelebt. Auf den ersten Blick legitim erscheinend, zielen sie üblicherweise darauf ab, seine Rolle kleinzureden.
Warum hat Trotzki, wenn er eines der führendsten Mitglieder der Bolschewiki und der führende Vertreter der Roten Armee war, es zugelassen, dass Stalin die Macht in seinen Händen konzentrieren konnte? Warum hat Trotzki nicht selbst die Macht ergriffen? Die Erklärung, dass Trotzki „zu doktrinär“ war und deshalb von Stalin „ausmanövriert“ wurde, wird ohne Zweifel wieder herangezogen werden. Begleitend wird ausgeführt, dass Stalin die „praktischere“, „entschlossenere“ und „stärkere“ Führungsfigur war.
Trotzki selbst hat diese Fragen aufgegriffen. Er beantwortete sie auf der Grundlage seiner Analyse der politischen Degeneration des sowjetischen Arbeiter*innenstaats. Von einem marxistischen Standpunkt aus, ist es komplett oberflächlich den Konflikt, der sich nach 1923 entwickelte, als einen persönlichen Kampf zweier rivalisierender Führungsfiguren darzustellen. Stalin und Trotzki haben in ihrer unterschiedlichen Art im Konflikt stehende soziale und politische Kräfte personifiziert – Trotzki auf bewusste Weise, Stalin unbewusst. Trotzki bekämpfte Stalin mit politischen Mitteln. Stalin bekämpfte Trotzki und seine Unterstützer*innen mit staatlich unterstütztem Terrorismus. Trotzki schrieb: „Stalin geht einen Kampf auf total unterschiedliche Art an. Er zielt nicht auf die Ideen seines Gegners ab, sondern auf seinen Schädel.“ Das war eine Furcht einflößende Vorhersage.
Der Triumph der Bürokratie
Als Trotzki Stalins Rolle in seinem Tagebuch im Exil 1935 analysierte, schrieb er:
„Angesichts des andauernden Kräfteverfalls der Weltrevolution war der Sieg der Bürokratie, infolgedessen aber auch der Sieg Stalins vorherbestimmt. Der Ausgang der Entwicklung, der von politischen Gaffern und Hohlköpfen der persönlichen Stärke, zumindest aber der ungewöhnlichen Schläue Stalins zugeschrieben wird, wurzelte in Wirklichkeit tief in der Dynamik geschichtlicher Kräfte. – Die Rolle Stalins selbst war dagegen nicht mehr als der halb bewusste Ausdruck des zweiten Kapitels der Revolution, des Kapitels ihres Katzenjammers.“1
Weder Trotzki noch andere führende Bolschewiki hatte sich 1917 vorgestellt, dass die Arbeiter*innenklasse in Russland isoliert eine sozialistische Gesellschaft aufbauen könne, in einem rückständigen und kulturell primitiven Land. Sie waren überzeugt, dass die Arbeiter*innen die Macht erobern müssen, um die größtenteils unvollendeten Aufgaben der bürgerlich-demokratischen Revolution zu vollbringen, aber dabei gleichzeitig die drängenden Aufgaben der sozialistischen Revolution angehen müssen, die nur in der Zusammenarbeit mit der Arbeiter*innenklasse in den entwickelteren Ländern fortschreiten könne. Denn verglichen mit dem Kapitalismus braucht Sozialismus ein höheres Niveau an Produktion und materieller Kultur.
Die Niederlage der deutschen Revolution – zu der die Schnitzer der Stalin-Bucharin Führung beitrugen – verstärkte die Isolation des Sowjetstaates, und der erzwungene Rückzug der Neuen Ökonomischen Politik beschleunigten das Kristallisieren einer bürokratischen Kaste, die verstärkt ihr Bedürfnis nach Komfort, Verlangen nach Ruhe und Forderungen nach Privilegien über die Interessen der internationalen Revolution stellte.
Die herrschende Schicht der Bürokratie fand schnell heraus, dass Stalin „Fleisch von ihrem Fleisch“ war. Stalin spiegelte die Interessen der Bürokratie wider und begann einen Kampf gegen den „Trotzkismus“, einen ideologischen Popanz, den er erfand, um die wahren Ideen des Marxismus und Lenins, die von Trotzki und der linken Opposition hochgehalten wurden, zu entstellen und zu stigmatisieren.
Es war die Furcht der Bürokratie, das Programm der Opposition, für die Wiederherstellung von Arbeiter*innendemokratie könnte unter einer neuen Schicht von jungen Arbeiter*innen ein Echo finden und dem Kampf gegen die bürokratische Degeneration neuen Schwung geben, die Stalins blutige Verfolgungen der Opposition motivierte. Ihre Ideen waren „die Quelle größter Befürchtungen Stalins: dieser Barbar fürchtet die Ideen, da er ihre Sprengkraft und seine Schwäche ihnen gegenüber gut kennt.“2
Schon im Voraus beantwortete Trotzki die falsche Idee, der Konflikt sei in irgendeiner Art und Weise das Ergebnis eines „Missverständnisses“ oder komme von der Unwilligkeit, Kompromisse zu schließen. Trotzki bezog sich dabei auf einen Besuch eines „sympathisierenden“ Ingenieurs, als er in Alma Ata 1928 in der Verbannung war. Wahrscheinlich wurde er geschickt, um ihm „den Puls [zu] fühlen“ und fragte, ob er denn nicht glaube, dass es irgendwelche Schritte gäbe, um zu einer Einigung mit Stalin zu kommen.
„Ich antwortete ihm sinngemäß, dass von einer Aussöhnung unter den gegebenen Verhältnissen nicht die Rede sein könnte; nicht deshalb, weil ich eine Aussöhnung nicht wollte, sondern deshalb, weil Stalin nicht in der Lage wäre, Frieden mit mir zu schließen, er sei gezwungen, den Weg, der ihm von den Bürokraten vorgezeichnet worden sei, bis zu Ende zu gehen.
– Womit kann denn das enden? – Es wird mit einer blutfeuchten Affäre enden, sagte ich, mit nichts anderem kann Stalin die Sache abschließen. – Mein Besucher zuckte zusammen, offensichtlich hatte er eine solche Antwort nicht erwartet, und verabschiedete sich sehr bald.“3
Ab 1923 kämpfte Trotzki innerhalb der Russischen Kommunistischen Partei. In einer Serie von Artikeln – veröffentlicht als „Der Neue Kurs“ –, begann er vor den Gefahren einer nach-revolutionären Reaktion zu warnen. Die Isolierung der Revolution in einem rückständigen Land führte zum beginnenden Wachstum einer Bürokratie in der Bolschewistischen Partei und dem Staat. Trotzki begann damit, gegen das willkürliche Verhalten der Parteibürokratie zu protestieren, die sich unter Stalin herauskristallisierte. Kurz bevor er starb, hatte sich Lenin mit Trotzki auf einen Block in der Partei geeinigt, um die Bürokratie zu bekämpfen.
Als Trotzki und eine Gruppe von linken Oppositionellen begannen, einen Kampf für die Wiederbelebung der Arbeiter*innendemokratie zu führen, war das Politbüro gezwungen, die Redefreiheit und das Recht zur Kritik in der Kommunistischen Partei wiederherzustellen. Aber Stalin und seine Verbündeten stellten sicher, dass dies ein toter Buchstabe blieb.
Nach nur vier Jahren – am 7. November 1927, dem zehnten Geburtstag der Oktoberrevolution – sah sich Trotzki gezwungen, den Kreml zu verlassen und bei oppositionellen Freunden Zuflucht zu suchen. Trotzki und Sinowjew, der erste Vorsitzende der Kommunistischen Internationale, wurden von der Partei ausgeschlossen. Am nächsten Tag, tötete sich der enge Freund Trotzkis und Oppositionelle Adolph Joffe, um gegen die diktatorischen Aktionen von Stalins Führung zu protestieren. Er war einer der ersten Genoss*innen, Freund*innen und Familienmitglieder, die von Stalins Regime in den Tod getrieben oder umgebracht wurden, das durch systematische und rücksichtslose Repression gegen seine Gegner*innen einen Graben aus Blut zwischen richtiger Arbeiter*innendemokratie und seinen eigenen bürokratischen, totalitaristischen Methoden öffnete.
Im Januar 1928 wurde Trotzki, der unter dem Zarismus bereits zwei Mal verbannt wurde, in sein letztes ausländisches Exil gezwungen. Erst wurde er nach Alma-Ata in Kasachstan nahe der chinesischen Grenze deportiert und dann in die Türkei, wo er auf der Insel Prinkipo, am Marmarameer nähe Istanbul, seinen Wohnsitz nahm.
Im Versuch Trotzkis literarische und politische Arbeit zu paralysieren, griff Stalin seinen kleinen „Apparat“ an, der aus fünf oder sechs engen Mitarbeiter*innen bestand:
„Glasmann trieb man zum Selbstmord, Butow ist in einem GPU-Gefängnis gestorben, Bljumkin wurde erschossen, Sermuks und Posnanski mussten in die Verbannung gehen. Stalin konnte nicht voraussehen, dass ich auch ohne ein »Sekretariat« in der Lage sein würde, auf literarischem Gebiet systematische Arbeit zu leisten, die ihrerseits zur Schaffung eines neuen »Apparats« beitragen kann. In bestimmten Fragen zeichnen sich sogar sehr kluge Bürokraten durch die unglaublichste Borniertheit aus!“4
Alle diese Revolutionäre haben wichtige Rollen gespielt, insbesondere als Mitglieder vom militärischen Sekretariat Trotzkis oder im bewaffneten Zug während des Bürgerkriegs.
Im Exil: Aufbau der Internationalen Linken Opposition
Warum hat Stalin, der so einen großen Teil der Ressourcen der Geheimpolizei – bekannt unter verschiedenen Abkürzungen: Tscheka, GPU, NKWD, MVD und KGB – darauf verwendete, Trotzkis Ermordung zu planen und durchzuführen, seinem Gegner überhaupt erlaubt, ins Exil zu gehen?
Trotzki hat im Januar 1932 in einem offenen Brief an das Politbüro öffentlich die Warnung ausgesprochen, dass Stalin einen Anschlag auf sein Leben vorbereiten werde. Er schrieb:
„Die Frage einer terroristischen Abrechnung mit dem Verfasser dieses Briefes wurde von Stalin schon vor Turkul gestellt: in den Jahren 1924/1925 wog Stalin bei einer Besprechung im kleinen Kreis die Argumente dafür und dagegen ab. Die Argumente dafür waren klar und offensichtlich. Das Hauptargument dagegen war: es gibt zu viele selbstlose junge Trotzkisten, die mit terroristischen Gegenakten antworten könnten.“5
Trotzki war über diese Diskussionen von Sinowjew und Kamenew informiert worden, die kurzzeitig ein „herrschendes Triumvirat“ mit Stalin gebildet hatten, aber später – vorübergehend – in Opposition zu Stalin gegangen waren.
Aber, fuhr Trotzki fort, „Stalin kam zu dem Schluss, dass die Verbannung Trotzkis ins Ausland ein Fehler war … Entgegen seinen Erwartungen stellte es sich heraus, dass Ideen eine eigene Kraft haben, ohne Apparat und ohne Mittel. Die Komintern ist ein gigantisches Bauwerk, theoretisch und politisch völlig ausgehöhlt. Die Zukunft des revolutionären Marxismus, das heißt auch des Leninismus, ist jetzt untrennbar mit den internationalen Kadern der Linken Opposition verbunden. Keine Fälschung wird helfen. Die wichtigsten Arbeiten der Opposition erschienen, erscheinen oder werden in allen Sprachen erscheinen. Noch sind sie wenige, aber es gibt unerschütterliche Kader in allen Ländern. Stalin versteht sehr gut, welche Gefahr für ihn persönlich, für seine falsche ,Autorität’, für seine bonapartistische Mächtigkeit – in der Ideen-Unversöhnlichkeit und dem beharrlichen Wachstum der Internationalen Linken Opposition liegt.“6
In der frühen Periode seines türkischen Exils, schrieb Trotzki seine monumentale Geschichte der Russischen Revolution und auch seine brillante Autobiographie „Mein Leben“. Durch umfangreiche Korrespondenz mit Oppositionellen in anderen Ländern und besonders durch das Bulletin der Opposition – herausgegeben ab dem Herbst 1929 –, begann Trotzki den Kern der internationalen Opposition von wahren Bolschewiki zusammenzuziehen. Aber Trotzkis Vorhersage, dass Stalin mit Hilfe der GPU versuchen werde, alle und alles wütend zu verfolgen und zu zerstören, was gegen ihn arbeitet, sollte sich bald bestätigen.
Zum Ende seines türkischen Exils erlitt Trotzki einen grausamen Schlag, als seine Tochter, Sinaida, krank und demoralisiert, in den Selbstmord in Berlin getrieben wurde. Ihr Mann, Platon Wolkow, ein junger oppositioneller Aktivist, wurde verhaftet und verschwand für immer. Trotzkis erste Frau, Alexandra Sokolowskaja, die ihm zuerst sozialistische Ideen nahe brachte, wurde ins Konzentrationslager geschickt, wo sie verstarb. Später wurde Trotzkis Sohn, Sergej, ein Wissenschaftler mit keinerlei politischen Interessen oder Verbindungen inhaftiert, mit dem erfundenen Vorwurf „Arbeiter zu vergiften“ – Trotzki erfuhr später, dass er im Gefängnis gestorben war. Neben seiner morbiden Furcht vor Ideen spielten „Im Rahmen der Unterdrückungspolitik Stalins […] Motive persönlicher Rache stets eine wesentliche Rolle.“7
Von Beginn an begann die GPU in Trotzkis Haushalt und die Gruppen der Linken Opposition einzudringen. Verdacht umgab eine Reihe von Leuten, die in den Oppositionsorganisationen in Europa auftauchten oder nach Prinkipo kamen, um Trotzki zu besuchen oder ihm bei der Arbeit zu helfen. Jakob Frank aus Litauen, zum Beispiel, arbeitete in Prinkipo für einige Zeit, ging aber später zum Stalinismus über. Es gab auch den Fall von Mill (Paul Okun oder Obin), der auch zu den Stalinist*innen überlief und Trotzki und seine Mitarbeiter im Unklaren ließ, ob er nur ein Wendehals oder ein GPU-Agent war.
Warum wurden solche Menschen als echte Mitarbeiter*innen akzeptiert? In einer öffentlichen Stellungnahme zu Mills Verrat, wies Trotzki, darauf hin, dass
„die Linke Opposition sich in organisatorischer Hinsicht in einer äußerst schwierigen Lage befindet. Keine revolutionäre Partei hat in der Vergangenheit unter solcher Verfolgung gearbeitet. Neben der Repression der kapitalistischen Polizei aller Länder steht die Opposition unter dem Druck der stalinistischen Bürokratie, die vor nichts Halt macht … Am schwersten hat es natürlich die russische Sektion … Es ist äußerst schwierig, einen russischen Bolschewisten-Leninisten im Ausland zu finden, selbst für rein technische Aufgaben. Dies und nur dies erklärt das Faktum, dass Mill für einige Zeit in das Administrative Sekretariat der Linken Opposition gelangen konnte. Es wurde eine Person benötigt, die Russisch sprach und in der Lage war Sekretariatsaufgaben zu übernehmen. Mill war zu seiner Zeit Mitglied der offiziellen Partei und konnte in diesem Sinne auf ein gewisses persönliches Vertrauen Anspruch erheben.“8
Rückblickend war es klar, dass der Mangel von adäquaten Sicherheitsprüfungen tragische Konsequenzen hatte. Aber die Ressourcen waren extrem begrenzt und Trotzki verstand, dass eine Furcht vor Infiltration und übertriebener Verdacht gegen jeden, der der Opposition Unterstützung anbot kontraproduktiv sein konnte. Mit seiner positiven, optimistischen Sicht auf den menschlichem Charakter, hatte Trotzki viel mehr eine Abscheu dagegen gehabt, Individuen Durchsuchungen und persönlichen Ermittlungen auszusetzen.
Sedow in Paris ermordet
Trotzki wollte dringend der Isolation Prinkipos entkommen und eine den europäischen Ereignissen nähere Basis finden. Aber die kapitalistischen Demokratien waren weit davon entfernt, Trotzki das demokratische Recht auf Asyl zu gewähren. Schließlich wurde Trotzki 1933 nach Frankreich gelassen. Die sich verschärfenden politischen Spannungen und besonders das Wachstum der nationalistischen und faschistischen Rechten brachten die Daladier Regierung bald dazu, seine Ausweisung zu befehlen. Praktisch hatte ihm bereits jede europäische Regierung Asyl verweigert. Trotzki lebte, wie er schrieb, auf einem „Planeten ohne Visum“. Nach seiner Ausweisung im Jahre 1935, fand Trotzki für eine kurze Zeit Zuflucht in Norwegen, wo er 1936 die „Verratene Revolution“ schrieb.
Kurz vor seiner Ankunft in Norwegen schlug der erste große Schauprozess in Moskau vor den Augen der Welt ein. Stalin übte intensiven Druck auf die norwegische Regierung aus, Trotzki einzuschränken, um ihm die Möglichkeit zu nehmen auf die abscheulichen Vorwürfe zu antworten, die ihm in Moskau entgegen geschleudert wurden. Um die faktische Gefangenschaft zu vermeiden, war Trotzki gezwungen eine alternative Zuflucht zu finden und akzeptierte gerne das Asylangebot von der Cárdenas-Regierung in Mexiko. Auf dem Weg rief sich Trotzki seinen offenen Brief ans Politbüro wieder in Erinnerung, in dem er Stalins „weltweite bürokratische Verleumdungskampagne“ voraussah und Anschläge auf sein Leben vorhersagte.
Die politische Säuberung in Russland war nicht auf eine Handvoll alter Bolschewiki oder linker Oppositioneller beschränkt. Für jede Führungspersönlichkeit, die zum Schauprozess erschien, wurden Hunderte oder Tausende leise eingesperrt, in den sicheren Tod in den arktischen Gefangenenlagern geschickt oder in Gefängniskellern im Schnellverfahren hingerichtet. Mindestens acht Millionen wurden im Zuge der Säuberung verhaftet und fünf oder sechs Millionen schmachteten in den Lagern – viele bis zum Tod. Zweifellos waren es die Unterstützer*innen der Linken Opposition, Anhänger*innen von Trotzkis Ideen, welche die schwerste Repression zu ertragen hatten.
Die Säuberungen in Russland standen im Zusammenhang mit Stalins direkter, konterrevolutionärer Einmischung in der Revolution und dem Bürgerkrieg, der in Spanien im Sommer 1936 ausbrach. Mittels der Agentur der bürokratischen Führung der von Moskau kontrollierten Spanischen Kommunistischen Partei, des Apparat der sowjetischen Militärberater*innen und der „Speziellen Eingreiftruppe“ der GPU weitete Stalin seinen Terror auf die Anarchist*innen, linken Aktivist*innen und insbesondere auf die Trotzkist*innen aus, die seiner Politik im Wege standen.
Währenddessen, intensivierte Stalins Geheimpolizei auch ihre Maßnahmen, um das Zentrum der Internationalen Linken Opposition, das in Paris saß und von Trotzkis Sohn Leo Sedow angeleitet wurde, zu zerstören. Sedow war für Trotzki in seiner literarischen Arbeit unersetzlich, bei der Vorbereitung und Verbreitung des Bulletins der Opposition und bei der Aufrechterhaltung des Kontakt zwischen oppositionellen Gruppen international. Aber Sedow machte auch herausragende, unabhängige Beiträge zur Arbeit der Opposition. Anfang 1938 wurde er jedoch krank mit Verdacht auf eine Blinddarmentzündung. Auf den Rat eines Mannes namens „Étienne“, der sein engster Mitarbeiter geworden war, ging Sedow in eine Klinik, von der es sich später herausstellte, dass sie von „weißen“ russischen Emigrant*innen und Russ*innen mit bekannten stalinistischen Neigungen betrieben wurde. Sedow schien sich von der Operation zu erholen, aber kurz darauf starb er mit extrem mysteriösen Symptomen. Die Beweise und die Meinung von mindestens einem Arzt deuteten auf eine Vergiftung hin. Eine weitere Untersuchung führte zur starken Vermutung, dass schon seine Krankheit durch ein ausgeklügeltes, praktisch unnachweisbares Gift verursacht wurde.
Trotzki schrieb eine bewegende Ehrung für seinen toten Sohn: „Leo Sedow – Sohn, Freund, Kämpfer“9. Er zollte Sedows Rolle in seinem Kampf für die Verteidigung der echten Ideen des Marxismus gegen die stalinistische Perversion Anerkennung. Aber er gab auch einen Hinweis auf die Tiefe des persönlichen Schlag für ihn.
„Er war ein Teil“, sprach Trotzki für sich und für Natalia: „ein junger Teil von uns beiden. Bei Hunderten von Anlässen zog es unsere Gedanken und Gefühle täglich zu ihm nach Paris. Mit unserem Jungen starb alles dahin, was in uns selbst noch Junges geblieben war.“
Schließlich wurde enthüllt, dass Leo Sedow von „Étienne“ verraten wurde, der ein weitaus heimtückischerer und rücksichtsloserer GPU Agent war, als alle vorherigen Spion*innen und Provokateur*innen, die Trotzkis Kreis eingedrungen waren. Étienne wurde später als ein gewisser Mark Zborowski entlarvt, der in den späten 1950er Jahren als die Schlüsselfigur im US-Spionage-Netzwerk der GPU enthüllt wurde. Zu dieser Zeit hatte Zborowski schon einen langen Weg aus Doppelspiel und Blut hinter sich. In seinem US-Gerichtsverfahren gab Zborowski zu, dass er Rudolf Klement (Trotzkis Sekretär, 1938 in Paris ermordet), Erwin Wolf (ein Unterstützer Trotzkis, in Spanien im Juli 1937 ermordet) und Ignaz Reiss (ein GPU-Spitzenagent, der sich von Stalins Terrormaschine abwandte und seine Unterstützung für die Vierte Internationale erklärte, in der Schweiz im September 1937 ermordet) „verpfiffen“ hatte.
Zborowski hatte Kontakt mit den Agent*innen der Speziellen GPU Eingreiftruppe in Spanien, die für die Ermordung von Erwin Wolf verantwortlich war und zu deren Reihen der berüchtigte Oberst Eitingon gehörte. Es war dieser Mann, der unter zahlreichen Pseudonymen die Mordanschläge gegen Trotzki anleiten sollte, zusammen mit seiner Mitarbeiterin und Geliebten, Caridad Mercader und ihrem Sohn, Ramon Mercader, der letztlich Trotzki ermordete.
Der Anschlag vom 24. Mai
Trotzki, Natalia Sedowa und eine Handvoll engster Mitarbeiter*innen kamen in Mexiko im Januar 1937 an. Die Regierung von General Lazaro Cárdenas war die einzige Regierung auf der Welt, die Trotzki für die letzten Jahre seines Lebens Asyl gewährte. In markantem Gegensatz zu seiner Aufnahme in anderen Ländern, bekam Trotzki einen prächtigen offiziellen Empfang und lebte dann in Coyoacán, einem Vorort von Mexiko Stadt, im von seinem Freund und Unterstützer Diego Rivera, einem bekannten mexikanischen Maler, zur Verfügung gestellten Haus.
Trotzkis Ankunft fiel jedoch mit dem zweiten Moskauer Schauprozess zusammen, dem kurz darauf ein dritter noch groteskerer Prozess folgte. „Wie hörten Radio“, erinnert sich Natalia „lasen die Post und die Moskauer Zeitungen und wir fühlten, dass Irrsinn, Absurdität, Gräuel, Betrug und Blut von allen Seiten auf uns hereinstürzte, hier in Mexiko wie in Norwegen…“10 Erneut enthüllte Trotzki die inneren Widersprüche der in diesen monströsen Komplotten verwendeten fabrizierten Beweise und in einem Strom von Artikeln entkräftete er alle Vorwürfe gegen ihn und seine Unterstützer*innen.
Es erwies sich als möglich, einen „Gegenprozess“ zu organisieren, dessen Vorsitz der liberale amerikanische Philosoph John Dewey übernahm. Diese Kommission sprach Trotzki von allen Vorwürfen frei, die gegen ihn erhoben wurden. Trotzki warnte, dass der Zweck der Prozesse sei, eine neue Terrorwelle zu rechtfertigen – die sich gegen alle richten würde, die auch nur die leiseste Gefahr für Stalins diktatorische Führung darstellen würden, seien es aktive Gegner*innen, potentielle bürokratische Rival*innen oder einfach nur peinliche Kompliz*innen der Vergangenheit. Trotzki war sich sehr bewusst, dass die Todesstrafe, die gegen ihn ausgesprochen wurde, bei weitem kein platonisches Urteil war.
Seit dem Moment seiner Ankunft begann die Mexikanische Kommunistische Partei, dessen führende Vertreter*innen loyal der Moskauer Linie folgten, für Einschränkungen zu agitieren, die Trotzki davon abhalten sollten, die Schauprozessvorwürfe zu beantworten, und die letztlich seine Ausweisung aus dem Land herbeiführen sollten. Die Zeitungen und Magazine, die von der Kommunistischen Partei und dem kommunistisch kontrollierten Gewerkschaftsverband CTM herausgegeben wurden, stießen einen Strom von verleumderischen Anschuldigungen aus, dass Trotzki einen Putsch gegen die Cárdenas-Regierung plane und angeblich mit faschistischen und reaktionären Elementen zusammenarbeite. Trotzki war sich sehr bewusst, dass die stalinistische Presse die Sprache von Menschen führte, die Dinge nicht mit ihrer Stimme sondern mit der Maschinenpistole entscheiden.
Mitten in der Nacht vom 24. Mai 1940 kam der erste direkte Anschlag auf Trotzkis Leben. Eine Gruppe von bewaffneten Eindringlingen verschaffte sich Zutritt zu Trotzkis Haus, bestrichen die Schlafzimmer mit Maschinengewehrsalven und entzündeten Brandsätze, offensichtlich darauf ausgerichtet, Trotzkis Archiv zu zerstören und den größtmöglichen Schaden anzurichten. Trotzki und Natalia entgingen nur knapp dem Tod, indem sie auf dem Boden unter dem Bett lagen. Ihr Enkel Sjewa wurde leicht durch eine Kugel verletzte. Eine große Bombe, die von den Eindringlingen hinterlassen wurde, zündete glücklicherweise nicht. Im Nachhinein fand man heraus, dass die Eindringlinge von Robert Sheldon Harte, einem der Sekretär*innen/Wächter*innen ins Haus gelassen wurden, der von einem der Eindringlinge, den er kannte und dem er vertraute, hereingelegt wurde. Sein Körper wurde später in einem Kalkbergwerk begraben gefunden.
Alle Beweise deuteten auf die mexikanischen Stalinist*innen und hinter ihnen die GPU. Durch eine detaillierte Analyse der stalinistischen Presse in den Wochen vor dem Überfall zeigte Trotzki klar, dass sie Vorkenntnis von dem bewaffneten Anschlag auf sein Leben hatten und sich darauf vorbereiteten. Die mexikanische Polizei verhaftete schnell einige der kleineren Kompliz*innen und ihre Aussagen belasteten bald führende Mitglieder der mexikanischen Kommunistischen Partei. Das Verfahren führte zu David Alfaro Siqueiros, der wie Diego Rivera ein bekannter Maler war, aber anders als Rivera ein führendes Mitglied in der Kommunistischen Partei. Siqueiros war auch in Spanien gewesen und wurde schon lange verdächtigt, Verbindungen zur GPU zu haben. Trotz des skandalösen Versuchs der Stalinist*innen, den Angriff als „sich-selbst-zugefügt“ darzustellen, angeblich von Trotzki organisiert, um die Kommunistische Partei und die Cárdenas-Regierung zu diskreditieren, verhaftete die Polizei einige der Rädelsführer*innen inklusive Siqueiros. Jedoch wurden sie auf Druck von KP und CTM im März 1941 wieder freigelassen, aufgrund eines „Mangels an Material und belastenden Beweisen“!
Siqueiros leugnete seine Rolle bei dem Angriff nicht. Tatsächliche prahlte er öffentlich damit. Aber die Führung der Kommunistischen Partei, klar peinlich berührt, weniger von dem Angriff, als von der Art und Weise wie es vermasselt wurde, versuchte, sich zu distanzieren und beschuldigte eine Bande von „unkontrollierbaren Elementen“ und „Provokateuren“.
Die stalinistische Presse schwankte dazwischen, Siqueiros auf der einen Seite als einen Held und auf der anderen als „halb-verrückten Wahnsinnigen“ darzustellen, der sogar von Trotzki bezahlt sei! Mit schamlosen „Logik“ behauptete die KP-Presse, dass der Angriff eine Provokation gegen die Kommunistische Partei und gegen den mexikanischen Staat sei – und deshalb solle Trotzki sofort ausgewiesen werden.
Jedoch gab 38 Jahre später ein führendes Mitglieder der mexikanischen Kommunistischen Partei die Wahrheit zu. In seinen Memoiren, „Mein Zeugnis“, veröffentlicht im eigenen Verlag der mexikanischen Kommunistischen Partei, widersprach Valentin Campa, ein langjähriges Mitglied der Partei, rundheraus dem offiziellen Verleugnen der Beteiligung der Partei und verriet Details der Vorbereitungen des Anschlags auf Trotzkis Leben.
Campa erinnert sich, wie er im Herbst 1938 zusammen mit Raphael Carrillo (einem Mitglied des Zentralkomitees der KP) von Herman Laborde (dem Generalsekretär der Partei) einbestellt und über eine „extrem vertrauliche und delikate Affäre“ informiert wurde. Laborde erzählte ihnen, dass sie von einem Delegierten der Komintern – in Wirklichkeit einem Repräsentanten der GPU – besucht wurden, der sie über die „Entscheidung Trotzki zu eliminieren“ informierte und sie um ihre Kooperation bat. Nach einer „eifrigen Analyse“ sagt Campa jedoch, dass sie den Vorschlag ablehnten: „Wir kamen zu der Schlussfolgerung … dass Trotzki politisch am Ende sei und sein Einfluss fast null, wir das obendrein überall in der Welt sagten. Außerdem wäre das Ergebnis seiner Eliminierung ein großer Nachteil für die mexikanische KP, die revolutionären Bewegung in Mexiko und die kommunistischen Bewegung der Welt. Wir folgerten deshalb, dass der Vorschlag zur Eliminierung Trotzkis klar ein ernster Fehler sei.“ Für ihre Opposition wurden Laborde und Campa des „sektiererischen Opportunismus“ beschuldigt, „soft gegenüber Trotzki“ zu sein. Sie wurden aus der Partei verdrängt.
Die Kampagne, die mexikanische Kommunistische Partei für die Ermordung Trotzkis vorzubereiten wurde von einer ganzen Anzahl führender Stalinist*innen durchgeführt, die alle darin erfahren waren, rücksichtslos die Anweisungen ihrer Herren in Moskau auszuführen: Siqueiros selbst, der aktiv in Spanien gewesen war und wahrscheinlich ein GPU-Agent seit 1928; Vittoria Codovila, eine argentinische Stalinistin, die in Spanien unter Eitingon operierte, wahrscheinlich involviert in die Folter und Ermordung des POUM-Vorstzenden Andres Nin; Pedro Checa, ein führender Vertreter der Spanischen Kommunistischen Partei, exiliert in Mexiko, der seinen Decknamen sogar von der sowjetischen Geheimpolizei, der Tscheka, ableitete und Carlos Contreras, alias Vittorio Vidali, der in der Speziellen Eingreiftruppe der GPU in Spanien unter dem Decknamen „General Carlos“ aktiv war. Ihre Anstrengungen koordinierte der allgegenwärtige Oberst Eitingon.
Stalin bereitet neuen Anschlag vor
Nach dem Scheitern des Versuchs durch Siqueiros und seiner Gruppe, Trotzkis Haus im Sturm zu nehmen, schrieb Campa „wurde eine dritte Alternative umgesetzt. Raymond Mercader, der unter dem Pseudonym Jacques Mornard lebte, ermordete Trotzki am Abend des 20. August, 1940.“
Trotzki sah sein Entkommen von Siqueiros Überfall als eine „Erleichterung“:
„Unsere frohen Gefühle von Erlösung“ schrieb Natalia im Nachhinein „wurden durch die Möglichkeit eines neuen Angriffs gedämpft und die Notwendigkeit sich darauf vorzubereiten.“11
Die Verteidigung von Trotzkis Haus wurde verstärkt und neue Vorkehrungen getroffen. Aber leider – tragischer Weise – wurden keine Anstrengungen unternommen, den Mann genauer zu prüfen, der schließlich der Mörder wurde, trotz der Vorbehalte, die verschiedene Mitglieder des Haushaltes gegenüber diesem merkwürdigen Charakter hatten.
Trotzki widersetzte sich einigen der zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, die ihm von seinen Sekretär*innen-Wächter*innen empfohlen wurden: eine Wache, die die gesamte Zeit bei ihm ist, zum Beispiel.
„Es war unmöglich, sein Leben komplett auf Selbstverteidigung umzustellen,“ schrieb Natalia „weil in diesem Fall das Leben allen Wert verliert.“
Nichtsdestotrotz, gab es im Hinblick auf die lebenswichtige, unverzichtbare Natur von Trotzkis Arbeit und der Unvermeidbarkeit eines neuen Anschlags auf sein Leben, zweifellos einige sehr ernste Defizite in seiner Sicherheitspolitik. Schärfere Maßnahmen hätten umgesetzt werden müssen. Kurz vor Sheldon Hartes Entführung, zum Beispiel, bemerkte Trotzki, dass er allen Arbeiter*innen, die an der Befestigung des Hauses arbeiten, freien Zugang zum und weg vom Hof gewährte. Trotzki beschwerte sich, dass es sehr nachlässig sei und fügte – ironischer Weise war dies wenige Wochen vor Hartes tragischen Tod – hinzu, „Sie könnten sich als eines der ersten Opfer deiner eigenen Nachlässigkeit erweisen.“12
Mercader traf Trotzki das erste Mal einige Tag nach Siqueiros‘ Überfall. Aber die Vorbereitungen für seinen Anschlag waren schon lange vorher getroffen worden. Durch Zborowski und andere GPU-Agent*innen, die Trotzkis Unterstützer*innen in den Vereinigten Staaten infiltriert hatten, wurde Mercader in Frankreich Sylvia Ageloff vorgestellt, einer jungen amerikanischen Trotzkistin, die nach Coyoacán ging, um für Trotzki zu arbeiten. Der GPU-Agent schaffte es Sylvia Ageloff zu verführen und sie zur ungewollten Komplizin seines Verbrechens zu machen.
Mercader hatte eine „ausgearbeitete Tarnung“, die obwohl sie viel Verdacht erregte, unglücklicherweise zu ihrem Zweck ausreichte. Mercader war der Kommunistischen Partei in Spanien beigetreten und wurde in ihren Reihen in der Periode von 1933 bis 1936 aktiv, als sie bereits eine stalinistische Partei war. Wahrscheinlich trat er durch seine Mutter, Caridad Mercader, die schon eine GPU-Agentin und mit Eitingon verbunden war, auch der GPU bei. Nach der Niederlage der Spanischen Republik, befördert durch Stalins Sabotage der Revolution, ging Mercader nach Moskau, wo er für seine zukünftige Rolle vorbereitet wurde. Nach einem Treffen mit Ageloff in Paris 1938 begleitete er sie nach Mexiko im Januar 1940 und schmeichelte sich schrittweise bei Mitgliedern von Trotzkis Haushalt ein.
Nachdem er die Akzeptanz von Trotzkis Haushalt gewonnen hatte, arrangierte Mornard ein persönliches Treffen mit Trotzki, unter dem Vorwand, einen Artikel zu diskutieren, den er geschrieben hatte und den Trotzki für peinlich banal und bar jeden Interesses hielt. Das erste Treffen, war klar eine „Generalprobe“ für die wirkliche Ermordung.
Das nächste Mal kam er am Morgen des 20. August. Trotz der Missbilligung von Natalia und Trotzkis Wachen, wurde es Mornard wieder gestattet, Trotzki allein zu sehen – „drei oder vier Minuten vergingen“ erinnert sich Natalia, „Ich war im Zimmer nebenan. Dann gab es einen furchtbar stechenden Schrei … Lew Dawidowitsch erschien, am Türrahmen lehnend. Sein Gesicht war mit Blut bedeckt, seine blauen Augen glänzten ohne Brille und seine Arme hingen lose an seiner Seite.“ Mornard hatte Trotzki einen schweren Schlag in seinen Hinterkopf versetzt, mit einem verkürztem Eispickel, der in seinem Regenmantel versteckt gewesen war. Aber der Schlag war nicht sofort tödlich. Trotzki „schrie sehr lang, unendlich lang“ wie es Mercader selbst beschrieb – und er rang mutig mit seinem Mörder, um weitere Schläge zu verhindern.
„Der Doktor sagte, dass die Verwundung nicht sehr ernst sei.“ sagte Natalia. „Lew Dawidowitsch hörte ihm ohne jede Emotion zu, als ob ihm jemand eine gewöhnliche Nachricht überbrachte. Auf sein Herz zeigend, sagte er ,Ich fühle … hier .. dass dies das Ende ist … diesmal … haben sie es geschafft.“13
Trotzki wurde ins Krankenhaus gebracht, operiert und überlebte für mehr als einen Tag bevor er im Alter von 62 Jahren am 21. August 1940 starb.
Mercader schien darauf gehofft zu haben, dass nach der milden Behandlung Siqueiros’ er vielleicht auch eine leichte Strafe bekommen würde. Aber er wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis verurteilt, die er absaß. Trotzdem hatte er sich, sogar nachdem seine Identität mit Fingerabdrücken und anderen Beweisen ausreichend festgestellt war, geweigert zuzugeben, wer er war oder wer ihm befohlen hatte, Trotzki zu ermorden. Obwohl das Verbrechen fast allgemein Stalin und der GPU zugeschrieben wurde, haben die Stalinist*innen dreist jede Verantwortung geleugnet. Es gibt jedoch genügend Beweise, dass Mercaders Mutter, die zusammen mit Eitingon aus Mexiko geflohen war, zu Stalin gebracht wurde und mit einer hohen bürokratischen Ehre für sich und ihren Sohn ausgezeichnet wurde. Mercader selbst wurde geehrt, als er nach seiner Freilassung nach Osteuropa zurückkehrte. Trotz seines Schweigens verbindet eine Kette von Beweisen, die jetzt zusammen mit dem umfangreichen Zeugnis von russischen Spion*innen, die in den USA vor Gerichten gestellt wurden, von Top-GPU-Agent*innen, die in die westlichen Länder zu verschiedenen Zeiten übergelaufen sind und den späten Memoiren von führenden Stalinist*innen selbst rekonstruiert werden kann, Mercader klar mit Stalins geheimer Terrormaschine in Moskau.
Letztlich schaffte es Stalin, den Mann umzubringen, der – neben Lenin – zweifellos der größte revolutionäre Anführer in der Geschichte war. Aber, wie Natalia Sedowa danach schrieb:
„Die Strafe wird die widerwärtigen Mörder ereilen. Während seines gesamten heroischen und schönen Lebens, glaubte Lew Dawidowitsch an die emanzipierte Menschheit der Zukunft. Während der letzten Jahre seines Lebens, wurde sein Vertrauen nicht erschüttert, sondern wurde im Gegenteil nur reifer, fester denn je. Die zukünftige Menschheit, emanzipiert von aller Unterdrückung, wird über jeden Zwang triumphieren …“14
Trotzkis andauerndes Vermächtnis
Es wurden viele Versuche unternommen, Trotzki, als eine „tragische“ Gestalt darzustellen, als ob die Perspektive der sozialistischen Revolution in den kapitalistischen Ländern und die politische Revolution in der Sowjetunion „edel“, aber hoffnungslos idealistisch wäre. Das ist die unausgesprochene Sicht in Isaac Deutschers drittem Band seiner Trotzki-Biographie „Der verstoßene Prophet“, in der er Trotzkis Anstrengungen verunglimpft, eine neue marxistische Führung zu reorganisieren und wieder zu bewaffnen und seine beharrlichen und mühsamen Anstrengungen als aussichtslos abtut.
Aber wenn es ein tragisches Element in Trotzkis Leben gab, dann liegt das daran, dass sein gesamtes Leben und seine Arbeit nach der siegreichen Russischen Revolution untrennbar mit dem revolutionären Kampf der internationalen Arbeiter*innenklasse verbunden war – in einer Periode erst von Rückzügen und dann von katastrophalen Niederlagen. Gerade weil Trotzki eine führende Rolle in der Oktoberrevolution spielte, sorgte seine Vergangenheit dafür, dass er mit dem Abebben der Revolution ins Exil und in die politische Isolation gezwungen werden würde. Aber während Feiglinge und Skeptiker*innen marxistische Perspektiven ablegten und ihren Frieden mit dem Stalinismus oder dem Kapitalismus – oder beidem – machten, kämpften Trotzki und die kleine Handvoll, die den Ideen der Opposition verbunden blieben, eine neue Generation führender Revolutionär*innen wieder zu bewaffnen für den zukünftigen Wiederaufstieg der Arbeiter*innenbewegung.
1Leo Trotzki, Tagebuch im Exil, Köln 1958, 18. Februar 1935
2a.a.O., 4. April 1935
3a.a.O., 18. Februar 1935
4a.a.O., 20. Februar 1935
5 Writings of Leo Trotsky, Pathfinder Press, Juni 1976, hier nach dem russischen Text
6 ebenda
7 Tagebuch im Exil, a.a.O., 4. April 1935
8 Writings of Leo Trotsky, hier nach dem russischen Text
9 Writings of Leo Trotsky 1937/1938
10 Victor Serge, Natalia Sedowa: Life and Death of Leon Trotsky
11 Natalia Sedowa, Father and Son
12 ebenda
13 Victor Serge, Natalia Sedowa, Life and Death of Leon Trotsky
14 Natalia Sedowa, How it Happened, November 1940).
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