[eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, No 40, July/August 1999]
In „Weltwirtschaftliche Turbulenzen“, erschienen in Socialism Today Nr. 32, Oktober 1998, beschreibt Lynn Walsh kurz und bündig die wichtigsten Merkmale der gegenwärtigen internationalen Lage, wobei er sich hauptsächlich auf die Krise der Weltwirtschaft konzentriert. Einige Schlüsselaspekte des Nachkriegsaufschwungs (1950-74) wurden kurz skizziert und der gegenwärtigen Periode gegenübergestellt; und die Hauptelemente der gegenwärtigen Krise wurden analysiert. Matt Wrack hat einige der in dem Artikel angesprochenen Punkte aufgegriffen und einige theoretische Fragen von einem kritischen Standpunkt aus aufgeworfen. Wir glauben, dass die Leser*innen daran interessiert sein mögen, Matts Kritik zu prüfen und unsere Antwort zu hören, die die Gründe für einige der Kurzformulierungen erklärt, die aus Gründen der Kürze im Oktober-Artikel und unvermeidlich in anderen Socialism Today-Kommentaren zur Weltwirtschaft verwendet werden.
Matt Wrack schreibt
Lynn Walshs Erklärung der wirtschaftlichen Turbulenzen des Kapitalismus (Socialism Today, Oktober 1998) wirft eine Reihe theoretischer Fragen auf.
Lynn gibt eine Darstellung des Endes des Nachkriegsbooms, der die wachsende Stärke der Arbeiter*innenklasse hervorhebt. Diese Stärke, argumentiert Lynn, ermöglichte es den Arbeiter*innen, sich der „weitere[n] Intensivierung der Ausbeutung“ zu widersetzen und sie nutzten „ihre industrielle Stärke, um ihren Anteil am produzierten Reichtum zu erhöhen “. (S. 10) Die Kapitalist*innen waren gezwungen, erhebliche Zugeständnisse in Form von „staatlichen Sozialleistungen und einem relativ hohen Lebensstandard zu machen“. (Relativ zu was?!) Lynn argumentiert auch, dass die „technologischen Systeme“ der Nachkriegszeit an ihre Grenzen stießen, das Produktivitätswachstum sich verlangsamte und steigende Reallöhne „nicht mehr mit hohen Profiten vereinbar“ waren.
Dies ist natürlich die „Profitklemmen“-Theorie, die in Großbritannien am ehesten mit Andrew Glyn, John Harrison und anderen in Verbindung gebracht wird. (Sie stützt sich auch auf die Theorien der Regulationsschule von Aglietta, Lipietz und anderen). Das Hauptproblem bei der hier vorgestellten Version ist, dass absolut für keine der aufgestellten Behauptungen ein Beweis vorgelegt wird!
Ein Indikator für eine Umverteilung des Sozialprodukts wären die Zahlen zur Einkommensverteilung. Die Zahlen für Großbritannien stellen jede Behauptung in Frage, dass es während des Nachkriegsbooms zu einer Einkommensumverteilung gekommen sei. So ist zum Beispiel zwischen 1949 und 1979 der Einkommensanteil (nach Steuern) der unteren 50% der Bevölkerung tatsächlich gefallen! (Siehe Chris Pond, The changing distribution of income, wealth and poverty [Die sich verändernde Verteilung von Einkommen, Wohlstand und Armut], in C Hamnett, L McDowell und P Sarre, 1989, The changing social structure [die sich verändernde Sozialstruktur], London, Sage, S. 46-51). Die Hauptumverteilung fand in diesem Zeitraum zwischen den Wohlhabenden statt und nicht von den Wohlhabenden zur Arbeiter*innenklasse. In der selben Periode wurde die Einkommenssteuer auf Teile der Arbeiter*innenklasse ausgedehnt, die zuvor davon befreit waren. Die Zahlen zur Verteilung des Vermögens (im Gegensatz zum Einkommen) zeigen ein ähnliches Versagen bei der Umverteilung. (Chris Pond, ebd., S. 66-75). Lynn kritisiert zu Recht die offiziellen Statistiken zur Arbeitslosigkeit. Er sollte die gleiche Skepsis gegenüber Behauptungen über „progressive Besteuerung“ (S. 11) und Umverteilung von Vermögen und Einkommen an den Tag legen.
Einige Leute argumentieren natürlich, dass wir den so genannten „Soziallohn“ berücksichtigen müssen, wenn wir das Ausmaß der Umverteilung abschätzen wollen. Es ist jedoch gut bekannt, dass die Bessergestellten während des Booms überproportional von den „Sozialausgaben“ profitierten. Eine Studie kam bereits 1982 zu dem Schluss, dass „die öffentlichen Ausgaben für Gesundheit, Bildung, Wohnen und Verkehr systematisch die Bessergestellten begünstigen und damit zur Ungleichheit der Endeinkommen beitragen“. (Julian Le Grand, 1982, The strategy of equality [Die Strategie der Gleichheit], London, S. 137 – meine Hervorhebung)
Wenn Lynn nicht mit Belegen aufwarten kann, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass die Argumente für die so genannte „Profitklemme“ in der Tat dünn sind.
Bei der Behandlung der gegenwärtigen Krise des Kapitalismus nimmt Lynn eine völlig entgegengesetzte Sicht ein. Er argumentiert, dass das Grundproblem jetzt darin bestehe, dass Massenarbeitslosigkeit, Armut usw. „Fähigkeit der Arbeiter*innenklasse […], die von ihr […] produzierten Güter zu kaufen“, eingeschränkt haben. Lynns allgemeine Erklärung lässt sich wie folgt zusammenfassen: „So wurde starke Nachfrage mit sinkenden Profiten des Nachkriegsaufschwungs durch boomende Profite verbunden mit einer zunehmend unzureichenden Nachfrage ersetzt.“ (S. 10-11)
Lynn macht sich hier die klassische unterkonsumtionistische Sichtweise zu eigen, wonach die Krise durch die Unfähigkeit der Arbeiter*innenklasse verursacht werde, das, was sie produziert, zurückzukaufen. Lynn argumentiert, dass dies aus einem „der grundlegendsten Widersprüche des Kapitalismus [resultiert]: die Tendenz, dass die Kapitalakkumulation das Wachstum der beschäftigten Arbeitskräfte übersteigt“ (S. 10). Leider liefert Lynn keine Erklärung für diese Tendenz, warum sie entstehe oder warum sie so zentral für den Kapitalismus sei! Lynn erklärt nicht, warum diese Tendenz in den 1990er Jahren zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen führen sollte (Unterkonsumption) als in den 1960er Jahren (Profitklemme).
Das Hauptproblem sowohl bei Profitklemmen- als auch bei unterkonsumtionistischen Theorien besteht darin, dass sie die Erscheinung der Dinge mit der zugrunde liegenden Realität verwechseln. Der Profit ist per Definition die Differenz zwischen Kosten und Verkaufspreis. Daher kann jeder Rückgang der Profitabilität (für Kapitalist*innen) als durch steigende Kosten verursacht erscheinen. Die Löhne sind der offensichtliche Sündenbock. In den Köpfen der Kapitalist*innen werden Ursache und Wirkung durcheinander gebracht. Überraschend ist, wenn wir ähnliche Erklärungen von Marxist*innen hören!
Sowohl Profitklemmen- als auch unterkonsumtionistische Theorien befassen sich mit der Art und Weise, wie das Sozialprodukt verteilt wird. In der einen Sichtweise erhalten die Arbeiter*innen „zu viel“ für die Profitabilität (Profitklemme), in der anderen „zu wenig“ (Unterkonsumtion). Diese Sorge spiegelt sich in Lynns Betonung der sich verändernden Rolle der Nachfrage bei der Erzeugung von Krisen wider. Im Gegensatz dazu betonte Marx die Bedeutung der Produktion: „…der Profit des Kapitals muss da sein, bevor er verteilt werden kann, und es ist äußerst absurd, seine Entstehung aus seiner Verteilung erklären zu wollen“. (K. Marx, Grundrisse, Penguin, 1973, S. 684 [Marx-Engels-Werke, Band 42, S. 585]). Dadurch, dass wir verstehen, wie der Profit erzeugt wird, können wir sowohl Veränderungen in der Nachfrage als auch Wirtschaftskrisen erklären.
Die Marxsche Theorie erklärt, dass der Profit aus dem in der Produktion durch die Arbeit der Arbeiter*innen geschaffenen Mehrwert entsteht. Die Kapitalist*innen versuchen, die Produktivität der Arbeit durch Investitionen in arbeitssparende Technologien zu steigern. Die daraus resultierenden Produktivitätssteigerungen bedeuten, dass relativ weniger Arbeiter*innen benötigt werden, um ein bestimmtes Output zu produzieren. Da nur lebendige Arbeit Wert produziert, bedeutet dieser Prozess, dass in der kapitalistischen Produktion eine Tendenz gibt, dass weniger Wert (und damit weniger Mehrwert) im Verhältnis zu den Gesamtinvestitionen der Kapitalist*innen produziert wird. Da weniger Mehrwert produziert wird, gibt es auch weniger zu verteilen. Die Profitrate muss fallen.
Daraus ist klar, dass Marx‘ Sicht auf die Produktivität das Gegenteil von Lynns ist. Lynn sieht in einer Verlangsamung des Produktivitätswachstums etwas, was zum Fall der Profite beiträgt. Im Kontrast dazu argumentiert Marx, dass Produktivitätssteigerungen bedeuten, dass die Profite tendenziell sinken.
Die widersprüchliche Rolle von Produktivitätssteigerungen bedeutet, dass der Kapitalismus für periodische Krisen anfällig ist. Diese Prozesse sind jedoch an der Oberfläche der Gesellschaft nicht sofort sichtbar. Wenn die Profitabilität fällt und die Akkumulation sich verlangsamt, werden die Kapitalist*innen gezwungen sein, die Produktion zu drosseln, Fabriken zu schließen usw. Die Arbeiter*innen werden entlassen und verlieren ihren Lohn. Dies führt zu einem Rückgang der Nachfrage. Es erscheint jetzt, als sei die Krise durch eine unzureichende Nachfrage verursacht worden, obwohl der Prozess mit einer Entscheidung der Kapitalist*innen als Reaktion auf die fallende Profitabilität begann. Wieder werden Ursache und Wirkung verwirrt. Es ist die Aufgabe der Marxist*innen, unter die Oberflächenphänomene zu schauen, um die wirklichen Prozesse des Kapitalismus zu untersuchen.
Lynn Walsh antwortet:
Marx lieferte uns unverzichtbare theoretische Werkzeuge für die Analyse des heutigen Kapitalismus. Aber es wäre ein Fehler zu glauben, dass die Marxsche Theorie fertige Erklärungen für den Nachkriegsaufschwung oder die gegenwärtige Depressionsphase des internationalen Kapitalismus bietet. Die marxistische Theorie kann nicht schon vor einer sorgfältigen Analyse der konkreten zeitgenössischen Trends Erklärungen liefern. Im „Kapital“ und in anderen Schriften erarbeitete Marx eine theoretische Analyse der inneren Logik und der Widersprüche des kapitalistischen Systems, die er von der Realität des Kapitalismus des 19. Jahrhunderts abstrahierte. Doch selbst auf einer abstrakten theoretischen Ebene nahm Marx nicht einen einzigen Pfad der Kapitalakkumulation an und entwarf schon gar kein einfaches Modell für die kapitalistische Krise. Während er die Unvermeidbarkeit der Krise aufzeigt, schlagen Marx‘ Schriften eine Reihe von möglichen Wegen zur Krise vor.
Marx zeigt, dass der kapitalistische Zusammenbruch durch einen Überschuss an Kapital entstehen kann, entweder durch den tendenziellen Fall der Profitrate oder durch eine Überakkumulation von Kapital im Verhältnis zur beschäftigten Bevölkerung. Ein Überschuss an Kapital (der zu einer Überproduktion führen kann) führt zu einem Fall der Profitabilität („Kapital“, Band III, S. 350, S. 360-68). Obwohl er dem Kapitalüberschuss als Ursache mehr Gewicht beimisst, zeigt Marx auch, dass der Zusammenbruch unter bestimmten Bedingungen durch einen Überschuss an Waren entstehen kann. Dies kann entweder durch Ungleichgewichte zwischen verschiedenen Produktionszweigen oder durch die eingeschränkte Kaufkraft der Mehrheit der Gesellschaft bedingt sein. („Kapital“, Band III, S. 352 und S. 615) Marx weist auch auf die Möglichkeit äußerer Schocks hin, die das System in eine Krise stürzen können, bevor die inneren Mechanismen vollständig wirksam gewesen sind.
Um die gegenwärtige kapitalistische Krise zu verstehen, müssen wir diese theoretischen Werkzeuge nicht nur auf die Frage nach den unmittelbaren Ursachen der Krise anwenden, sondern auf den gesamten kapitalistischen Zyklus: Stagnation, Erholung, Aufschwung, Krach, Depression usw. (was weitgehend außerhalb des Rahmens des „Kapital“ lag). Die Analyse kann sich nicht auf den Zyklus der verarbeitenden Industrie innerhalb einer Volkswirtschaft beschränken, sondern muss die Produktion, den Handel und das Geldsystem im internationalen Maßstab einbeziehen. Der heutige Kapitalismus ist ein weitaus komplexeres internationales System als zu Marx‘ Zeiten (als der britische Kapitalismus den Weltmarkt beherrschte), und die marxistische Wirtschaftstheorie muss auf geschickte, allseitige Weise angewendet werden.
Die Verweise auf die drei Bände des „Kapital“ beziehen sich auf die Penguin-Ausgabe (1976, 1978, 1981), wobei die Kapitel sowie die Seitenzahlen angegeben werden, um den Bezug zu anderen Ausgaben zu erleichtern. Verweise auf die Theorien des Mehrwertes, die aus Marx‘ kritischen Anmerkungen zu den klassischen politischen Ökonomen (Smith, Ricardo usw.) bestehen, die vor dem „Kapital“ geschrieben, aber erst nach seinem Tod veröffentlicht wurden, beziehen sich auf die Ausgabe von Progress Publishers, Moskau (Band I und II, 1969; Band III, 1972).
Wer ist ein Unterkonsumtionist?
Eine von Matts Behauptungen ist, dass ich, indem ich auf die derzeitige Entstehung von Überkapazitäten (die eine Marktschwäche widerspiegeln) als Krisenfaktor hinweise, „die klassische unterkonsumtionistische Sichtweise“ übernehme, was unausgesprochen heißt, dass meine Analyse aus marxistischer Standpunkt offensichtlich irrig sei. Aber was bedeutet „unterkonsumtionistisch“?
Marx hat sicherlich nie die Argumente von Theoretiker*innen wie Malthus, Sismondi, Chalmers und Rodbertus akzeptiert, die in vereinfachender Weise die Unzulänglichkeiten des Marktes als chronischen Widerspruch des Kapitalismus betrachteten. Wer die Vorstellung einer unzureichenden Nachfrage nach Waren durch die Arbeiter*innenklasse als dauerhaft unüberwindbares Problem für das System akzeptiert, hat Schwierigkeiten, Zeiten dynamischer Kapitalakkumulation (wie den Aufschwung von 1950-73) zu erklären. Malthus und andere haben (unter anderem) nicht verstanden, welche Rolle die Ausweitung der Produktionsmittel bei der Schaffung einer erhöhten Nachfrage nach (Kapital-)Gütern spielt. Ihre Ideen können als „unterkonsumtionistisch“ bezeichnet werden, ebenso wie Rosa Luxemburgs irrige Idee, dass Akkumulation in einem geschlossenen kapitalistischen System (das nur aus Kapitalist*innen und Arbeiter*innen besteht) unmöglich sei und dass kapitalistisches Wachstum die ständige Ausdehnung des kapitalistischen Marktes auf neue Gebiete, wie etwa Kolonien, erfordere.
Während Marx Malthus‘ Ideen zurückwies, akzeptierte er jedoch nicht die ebenso falsche (von Ricardo übernommene) Vorstellung Says, dass das Angebot immer seine eigene Nachfrage schaffe und somit ein Marktgleichgewicht aufrechterhalten werde. Marx war weit davon entfernt, die Idee zurückzuweisen, dass es in einem bestimmten Stadium des kapitalistischen Zyklus zu einem Mangel an Gesamtnachfrage nach Waren kommen werde – ein Mangel, bei dem die Schwäche der Nachfrage der Arbeiter*innen nach Waren eine wichtige Komponente ist.
In „Kapital“, Band II, Kapitel 16, Der Umsatz des variablen Kapitals, befasst sich Marx beispielsweise mit dem Zyklus von Arbeitslosigkeit/Vollbeschäftigung, niedrigen Löhnen/erhöhten Löhnen, schwacher Nachfrage/starker Nachfrage während des kapitalistischen Zyklus von Wachstum und Konjunktureinbruch. In einer Periode schnellen Wachstums verursachen erfolgreiche Kapitalist*innen und besonders Spekulant*innen „starke konsumtive Nachfrage auf dem Markt, daneben steigen die Arbeitslöhne“. „Ein Teil der Arbeiterreservearmee wird absorbiert, deren Druck den Lohn niedriger hielt. Die Löhne steigen allgemein, selbst in den bisher gut beschäftigten Teilen des Arbeitsmarkts. Dies dauert so lange, bis der unvermeidliche Krach die Reservearmee von Arbeitern wieder freisetzt und die Löhne wieder auf ihr Minimum und darunter herabgedrückt werden.“
Bezeichnenderweise gibt es an dieser Stelle eine von Engels eingefügte Fußnote, eine kryptische Manuskriptskizze von Marx, die er später ausarbeiten wollte:
„Widerspruch in der kapitalistischen Produktionsweise: Die Arbeiter als Käufer von Ware sind wichtig für den Markt. Aber als Verkäufer ihrer Ware – der Arbeitskraft – hat die kapitalistische Gesellschaft die Tendenz, sie auf das Minimum des Preises zu beschränken.“ (Meine Hervorhebung – LW).
„Fernerer Widerspruch: Die Epochen, worin die kapitalistische Produktion alle ihre Potenzen anstrengt, erweisen sich regelmäßig als Epochen der Überproduktion; weil die Produktionspotenzen nie so weit angewandt werden können, dass dadurch mehr Wert nicht nur produziert, sondern realisiert werden kann“ (Mit anderen Worten, die Kapitalist*innen müssen die Waren an die Konsument*innen verkaufen, bevor sie den in den Waren verkörperten Wert realisieren, die Löhne und Produktionskosten decken und den Mehrwert in die Tasche stecken können – LW)
„der Verkauf der Waren, die Realisation des Warenkapitals, also auch des Mehrwerts, ist aber begrenzt, nicht durch die konsumtiven Bedürfnisse der Gesellschaft überhaupt, sondern durch die konsumtiven Bedürfnisse einer Gesellschaft, wovon die große Mehrzahl stets arm ist und stets arm bleiben muss.“ („Kapital“, Band II, Kap. 16, 391)
Mit dem Anstieg des Lebensstandards der Arbeiter*innen während des Nachkriegsaufschwungs wurde die Armut (in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, aber nicht in der Mehrheit der unterentwickelten Länder) eine Zeit lang zur relativen Armut (auch wenn eine Minderheit der Arbeiter*innen immer noch unter absoluter Armut litt). Doch in der gegenwärtigen Phase der Weltdepression werden große Teile der Arbeiter*innenklasse durch chronische Massenarbeitslosigkeit, niedrige Löhne und Kürzungen der Sozialleistungen erneut in die absolute Armut getrieben.
Es gibt viele Passagen im „Kapital“ und in den Theorien des Mehrwerts, in denen Marx die Überproduktion (Überschuss an Waren/Mangel an Nachfrage) als einen Widerspruch in der kapitalistischen Produktionsweise darstellt. Macht ihn das zu einem „Unterkonsumtionisten“?
Im Unterschied zu den plumpen „Unterkonsumtionist*innen“, die sich auf die schwache Nachfrage als chronisches Problem konzentrierten, ohne den gesamten Zyklus der Produktion und Realisierung des Mehrwerts zu verstehen, sah Marx Krisen des Warenüberschusses als in „bestimmten Perioden“ auftretend (Theorien über den Mehrwert III: 56 [Kapitel 19,12]). Es wäre ein Fehler, die Schwäche der Kaufkraft der Arbeiter*innen als Hauptursache der kapitalistischen Krise zu isolieren. Schwache Nachfrage ist ein Glied in einer Kette von Ursachen und Wirkungen, eine Krisentendenz, die in einem bestimmten Stadium des kapitalistischen Zyklus in den Vordergrund treten kann und in dieser besonderen Konstellation eine entscheidende Wirkung entfaltet.
Solche Entwicklungen können nicht als bloße „Erscheinungen“ abgetan werden. Es wäre wirklich falsch, solche Tendenzen als „Oberflächenphänomene“ zu betrachten, die von den inneren Kräften des Systems losgelöst sind, die sich, getrieben von einer komplexen Logik, im Laufe der Zeit in einer ebenso komplexen Abfolge entfalten. Nichtsdestotrotz müssen sie theoretisch als die konkreten Prozesse begriffen werden, durch die sich die grundlegenden Widersprüche des Kapitalismus herausbilden. Um die gegenwärtige Phase des Kapitalismus zu verstehen und politische Strategien zu formulieren, müssen Marxist*innen die marxistische Grundlagentheorie auf die Analyse dieser konkreten zeitgenössischen Tendenzen anwenden – die Realität, in der wir uns bewegen.
Methodologie: Ursache und Wirkung
Matt finde einen Widerspruch in meiner Analyse einer Profitkrise am Ende des Aufschwungs, aber einer Krise der Überkapazitäten/schwachen Nachfrage zum jetzigen Zeitpunkt. Er behauptet auch, dass Marx‘ Ansicht über die Auswirkungen von Produktivitätssteigerungen der meinen entgegengesetzt sei. Diese Punkte werfen Fragen der Methodologie auf.
Marx hat nicht behauptet, dass sich die innere Logik der kapitalistischen Krise gemäß einer einfachen, linearen Kette von Ursache und Wirkung entfalte. Verschiedene Faktoren haben unter verschiedenen konkreten Bedingungen verschiedene Auswirkungen. So kann zum Beispiel eine durch arbeitssparende Technologie erzielte Produktivitätssteigerung unter verschiedenen Umständen gegensätzliche Auswirkungen haben. Im „Kapital“ ist, das ist wahr, Marx‘ Betonung generell auf der Wirkung, auf die sich Matt bezieht. Investitionen in arbeitssparende Maschinen ermöglichen es den Kapitalist*innen, ihre Belegschaft zu reduzieren, was tendenziell die organische Zusammensetzung des Kapitals erhöht, d.h. es kommt zu einer Zunahme des konstanten Kapitals (Produktionsmittel), das eine Akkumulation toter Arbeitskraft darstellt, im Verhältnis zum variablen Kapital (Löhne) oder zur lebendigen Arbeitskraft. Unter sonst gleichen Bedingungen (d.h. abgesehen von den „entgegenwirkenden Faktoren“, auf die sich Marx in „Kapital“, Band III/Kapitel 14 bezieht), führt dies zu einem tendenziellen Rückgang der Profitrate. Ein Fall der Profitrate ist jedoch nicht unvereinbar mit einem kontinuierlichen Anstieg der absoluten Menge des Mehrwerts und des Kapitals im Akkumulationsprozess, wenn auch mit einer geringeren Rate. Gleichzeitig erlaubt die steigende Arbeitslosigkeit (eine Zunahme der „Reservearmee der Arbeit“), die durch die Verdrängung der Arbeiter*innen durch die Maschinen verursacht wird, den Kapitalist*innen, die Löhne zu drücken.
Investitionen in Kapitalgüter schaffen Nachfrage, aber niedrigere Löhne und steigende Arbeitslosigkeit verringern die Nachfrage der Arbeiter*innen nach Waren. In Perioden des Aufschwungs kann die wachsende Nachfrage nach Kapitalgütern einen Rückgang der Kaufkraft der Arbeiter*innen mehr als ausgleichen. Aber früher oder später erreichen die Kapitalinvestitionen ihre Grenzen (da die Kapitalist*innen aus verschiedenen Gründen keine ausreichenden Profite mehr erzielen können), und dann kann die sinkende Nachfrage nach Kapital- und Konsumgütern die Wirtschaft in einen Konjunktureinbruch stürzen. Das ist die eine Kette von Ursache und Wirkung, die mit der steigenden Produktivität verbunden ist. Marx hat jedoch einen alternativen Verlauf der Entwicklung in Zeiten des Wohlstands nicht ignoriert, bei dem steigende Produktivität mit fallender Arbeitslosigkeit und steigenden Löhnen verbunden sein kann. In Kapitel 25 [23] des „Kapital“, Band Band I, Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation, analysiert Marx Perioden des Aufschwungs, in denen die Kapitalakkumulation eine umfassende, sich ausweitende Form annimmt, die sich bei einer relativ stabilen organischen Zusammensetzung des Kapitals entwickeln kann. In solchen Perioden werden breitere Bevölkerungsschichten (Arbeitslose, Landarbeiter*innen, Frauen usw.) in die Erwerbsbevölkerung aufgenommen, wodurch sich die Reservearmee der Arbeit verringert.
Eine extensive Entwicklung ist obendrein nicht unvereinbar mit einer fortgesetzten intensiven Entwicklung, d.h. mit fortgesetzten Investitionen in arbeitssparende Technologien. In einer solchen Expansionsphase wirkt die steigende Produktivität (sowie billige Importe), wie Marx in „Kapital“ Band III/Kapitel 14 erklärt, der steigenden technischen Zusammensetzung des (konstanten/variablen) Kapitals tendenziell entgegen, indem sie die organische Zusammensetzung wertmäßig verringert. Das bedeutet, dass, während die physische Menge der Produktionsmittel (konstantes Kapital) zunimmt, der Arbeitswert pro Einheit des konstanten Kapitals durch höhere Produktivität sinkt, wodurch die organische Zusammensetzung tendenziell stabilisiert wird. In der Tat deuten während der dynamischen Phase des Nachkriegsaufschwungs die im Allgemeinen stabile Produktions-Kapital-Relation (die das Verhältnis von Gesamtprodukt/Produktion zu eingesetztem Kapital ausdrückt) und die stabile Mehrwert-Profit-Rate auf eine stabile organische Zusammensetzung des Kapitals hin.
Wenn die intensive Entwicklung mit einem extensiven Wachstum einhergeht (Ausweitung bestehender Industrien, Entstehung neuer Produktionssektoren, erhöhter Bedarf an Rohstoffen, Transportmitteln usw.), wird es eine steigende Nachfrage nach Arbeitskräften in der Wirtschaft insgesamt geben, die die Auswirkungen der arbeitssparenden Maschinen am Produktionsort überwiegen.
In Wohlstandsphasen besteht die Möglichkeit, „dass der Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandiert…“ („Kapital“, Band I/Kapitel 25 [23]/790) Unter bestimmten Bedingungen ‚fährt der Preis der Arbeit fort zu steigen, weil seine Erhöhung den Fortschritt der Akkumulation nicht stört…‘ („Kapital“, Band I/Kapitel 25/770)
Die Abhängigkeit der Arbeiter*innen vom Kapital wird eine Zeit lang „bequem und liberal“, die „goldene Kette“, die die Lohnarbeiter*innen an ihre kapitalistischen Ausbeuter bindet, lockert sich vorübergehend. Es gibt eine „quantitative Abnahme der unbezahlten Arbeit, die der Arbeiter leisten muss“, obwohl diese Verringerung „nie bis zum Punkt fortgehen [kann], wo sie das System selbst bedrohen würde“. („Kapital“, Band I/Kapitel 25 [23]/770) Beim Schreiben des „Kapitals“ lag viel von Marx‘ Konzentration auf die Analyse der zyklischen Krisen in der Mitte des 19. Jahrhunderts, die häufiger und tiefer waren als die zyklischen Rezessionen des Nachkriegsaufschwungs. Sein Ziel war es, zu erklären, warum das kapitalistische System eine enorme Reservearmee von Arbeitskräften (einen Pool von Arbeitslosen) hervorbrachte und einem großen Teil des Proletariats Armutslöhne auferlegte. Wir können Marx‘ Analyse dieser Periode nicht einfach auf eine Analyse des Nachkriegsaufschwungs des Kapitalismus (1940-73 für die USA, etwa 1950-73 für die anderen fortgeschrittenen kapitalistischen Länder) übertragen, der ein historisch beispielloses „goldenes Zeitalter“ des Kapitalismus war. Ausgehend von dem in „Kapital“, Band I/Kapitel 25 [23] dargelegten „allgemeinen Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“ müssen wir die relativ begrenzten Aussagen von Marx über die Möglichkeit von Expansionsphasen (beschleunigte Kapitalakkumulation bei allgemein steigendem Lebensstandard der Arbeiter*innen) auf die Phase des anhaltenden (aber historisch vorübergehenden) Aufschwungs nach 1945 anwenden.
Die „goldene Kette“ wurde gelockert, zumindest in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Viele Linke gaben der Illusion nach, dass der neue Nachkriegskapitalismus Wirtschaftskrisen vermeiden und Vollbeschäftigung und kontinuierliches Wachstum aufrechterhalten könne. Richtige Marxist*innen erkannten die besonderen Merkmale des Nachkriegsaufschwungs an, wiesen aber Behauptungen zurück, der Kapitalismus habe seine inneren Widersprüche überwunden, und warnten schon lange vor dem Konjunktureinbruch von 1974/75, dass der Aufschwung einer neuen Periode der Stagnation und Krise weichen würde.
Eine Verschiebung bei der Verteilung des Reichtums in der Nachkriegszeit?
Matt erkennt nicht an, dass es während des Nachkriegsaufschwungs eine Zunahme am Anteil des von der Arbeiter*innenklasse an sich genommenen Reichtums gab (was ein von der Frage einer Profitklemme gegen Ende des Booms getrenntes Thema ist). Mein Artikel hat sich nur kurz darauf bezogen, da es keinen Platz zu ihrer Erläuterung gab.
In der Nachkriegsperiode gab es eine relativen Stärkung der Arbeiter*innenklasse, sozial und wirtschaftlich, die einen größeren Anteil am Reichtum erhielt als in früheren Perioden. Dies war nicht nur eine Frage der Besteuerung und der Sozialausgaben, auch wenn diese eine Rolle spielten. Unter einem langen geschichtlichen Blickwinkel, das ist wahr, war die Verschiebung der Verteilung marginal, und es war gewiss nie die Rede davon, dass sie zu einer allmählichen Aufhebung der Klassengegensätze im Kapitalismus führen würde. Aber für eine entscheidende Periode gab es eine Verschiebung in der Verteilung des Reichtums zugunsten der Arbeiter*innenklasse und der so genannten „Mittelschicht“ (die Facharbeiter*innen, Angestellte, Freiberufler*innen und Kleinunternehmer*innen umfasste), was ein wichtiger Faktor für den Aufschwung war.
Marx entwickelte eine Theorie der politischen Ökonomie, nicht der reinen Ökonomie, da er erkannte, dass wirtschaftliche Entwicklungen nicht von politischen Faktoren getrennt werden können. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren der angloamerikanische Kapitalismus und darauf folgend der gesamte westliche Kapitalismus aus sozialen und politischen Gründen gezwungen, Zugeständnisse an die Arbeiter*innenklasse zu machen. Nach dem Krieg in Europa gab es in einer Reihe von Ländern eine Massenradikalisierung der Arbeiter*innenklasse, und die Kapitalist*innen mussten Maßnahmen ergreifen, um eine soziale Revolution zu verhindern. Sie mussten dem Einfluss der zentralen Planwirtschaften der Sowjetunion und Osteuropas entgegentreten, die trotz der grotesken Verzerrungen des Stalinismus für den westlichen Kapitalismus damals eine politische Gefahr darstellten. Die herrschende Klasse des US- und westeuropäischen Kapitalismus verfolgte eine Strategie des sozialen Kompromisses mit der Arbeiter*innenklasse, die die reformistische Politik des US- und britischen Kapitalismus während des Krieges fortsetzte. Die hohen Staatsausgaben aus dem Krieg wurden fortgesetzt und dienten nun dem Wiederaufbau einer wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur für das Großkapital, einschließlich Sozialausgaben in noch nie dagewesenem Umfang.
In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern gab es ein historisch hohes und kontinuierlich ansteigendes Niveau der Staatsausgaben (von etwa 28% des BIP in den OECD-Ländern Mitte der 1950er Jahre auf etwa 41% Mitte der 1970er Jahre). Wirtschaftlich waren die Staatsausgaben ein Schlüsselfaktor für die Aufrechterhaltung eines hohen Nachfrageniveaus, das wiederum die hohe Kapitalakkumulation unterstützte, die nicht nur von Profiten, sondern von der Aussicht auf anhaltende Profite abhängt. Die Staatsausgaben (sowohl in Form von Sachleistungen wie Gesundheitsdiensten, Bildung, Bibliotheken usw. als auch in Form von „Transferzahlungen“, d.h. Renten, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Krankengeld usw.) spielten eine Schlüsselrolle dabei, sicherzustellen, dass der Konsum in ähnlichem Maße wuchs wie die Produktion. Bevölkerungsgruppen, die im 19. Jahrhundert oder in der Zwischenkriegszeit nur über ein geringes oder gar kein Einkommen verfügten (Arbeitslose, Alleinerziehende und vor allem ältere Menschen, die in der Nachkriegszeit einen immer größeren Anteil der Bevölkerung ausmachten), wurde meist ein Mindesteinkommensniveau garantiert. In Europa stiegen die Transferzahlungen und Subventionen an die Haushalte von etwa 8% des BIP in den Jahren 1955-57 auf etwa 16% Mitte der 1970er Jahre, während der Anteil der Ausgaben für die Einkommenssicherung von 8,3% im Jahr 1962 auf 11,4% des BIP im Jahr 1972 anstieg.
Ein niedriges Arbeitslosigkeitsniveau (mit dem praktischen Verschwinden der Reservearmee von Arbeitskräften für eine Periode) stärkte die Verhandlungsmacht der Arbeiter*innenklasse. Es kam zu einer allgemeinen Stärkung der gewerkschaftlichen Organisation, zur Entwicklung nationaler Lohnverhandlungen und zur Ausbreitung der gewerkschaftlichen Organisation in den Betrieben. Die Reallöhne (nach Abzug des Anstiegs der Verbraucher*innenpreisen) der Arbeiter*innen stiegen mit einer historisch hohen Rate. In Großbritannien zum Beispiel stiegen die Reallöhne im Zeitraum 1949-59 um 2,16% pro Jahr, verglichen mit 1,68% im Zeitraum 1924-38 und einem jährlichen Rückgang von 0,11% im Zeitraum 1895-1913. In Deutschland stiegen die Reallöhne im Zeitraum 1950-59 um 4,66%, verglichen mit 1,51% im Zeitraum 1925-38 und 1,27% im Zeitraum 1895-1913. (E H Phelps Brown, A Century of Pay, 1968, S. 312).
Die Berechnung der Umverteilung
Die Frage der Verteilung zwischen den verschiedenen Vermögensklassen im weitesten Sinne (im Gegensatz zu den offiziellen Definitionen von Vermögen und Einkommen) ist komplexer, als Matt annimmt. Ein Indikator sind zum Beispiel die relativen Anteile von Profiten und Löhnen. Einer Schätzung für Großbritannien zufolge stieg der Anteil des Arbeitseinkommens am BSP von 55% in den Jahren 1910-14 auf 75% in den Jahren 1970-79, während der Anteil der Profite/des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit von 33% auf 26% zurückging (gleichzeitig sanken die Einkünfte aus Kapitalrenten und Vermögen aus dem Ausland von 19% auf 8%). (A. B. Atkinson, The Economics of Inequality, 1983, S. 201)
In einer Erläuterung zu meinem Artikel vom Oktober wurde die keynesianische Politik erklärt, dass „der Keynesianismus … höhere Sozialausgaben, die aus progressiver Besteuerung finanziert wurden“, unterstützte. „Progressiv“ wird hier im technischen, fiskalischen Sinne verwendet, d.h. im Sinne einer gestaffelten Besteuerung, die je nach Einkommensstufe einen zunehmenden Anteil einnimmt. Die Besteuerung hatte jedoch nur sehr geringe Auswirkungen auf die Verteilung des Wohlstands (definiert als marktfähiges Vermögen), da sie lediglich den Anteil der obersten Vermögensbesitzer verringerte, was in erster Linie den Gruppen der oberen Mittelschicht zugute kam. Zusammen mit den zugrunde liegenden wirtschaftlichen Trends hatte die Besteuerung eine etwas stärkere Auswirkung auf die Einkommensverteilung. Nach einer Schätzung sank das Einkommen vor Steuern der obersten 10% von 33,2% im Jahr 1949 auf 26,8% im Jahr 1973/74, während ihr Einkommen nach Steuern von 27,1% auf 23,6% zurückging. Das Einkommen vor Steuern der untersten 30% lag praktisch unverändert bei 10,3-10,9%, während ihr Einkommen nach Steuern nur geringfügig von 11,6% im Jahr 1954 auf 12,8% im Jahr 1973/4 anstieg. (Atkinson, 1983, S. 63)
In Wirklichkeit wurden die progressiven Einkommenssteuern fast vollständig durch regressive indirekte Steuern, Verkaufssteuern usw. aufgehoben, die einen größeren Anteil der unteren Einkommen einnahmen. Öffentliche Ausgaben waren jedoch viel progressiver in ihren Auswirkungen als die Steuern. Die offiziellen Statistiken zur Einkommensverteilung spiegeln jedoch nicht die Auswirkungen von Sachleistungen (kostenlose Bildung, Gesundheitsversorgung usw.) und Geldleistungen (Arbeitslosen- und Krankengeld, Kindergeld, Renten usw.) wider.
Schätzungen für die Umverteilungseffekte von Geld- und Sachleistungen für das Jahr 1977 (kurz nach dem Ende der Aufschwungphase) finden sich in H. Phelps Brown, Egalitarianism and the Generation of Inequality (1988), Kapitel 12, The Redistribution of Income [die Umverteilung des Einkommens]. Damals betrug das durchschnittliche ursprüngliche Einkommen der obersten 10% 11.079 £ pro Jahr, während das durchschnittliche Einkommen der untersten 10% 20 £ pro Jahr betrug (S. 330). Bei den obersten 60% überstiegen die Steuern die Leistungen (um £3.188 für die obersten 10% und um £336 für das Dezil 41-50%), während bei den unteren 40% die Leistungen die Steuern überstiegen (um £120 für das Dezil 31-40% und um £1.694 für die unteren 10%). Phelps Brown schätzt, dass etwa 75% des Nettobeitrags der obersten 60% für die Leistungen der untersten 40% aufgewendet wurden, während 25% in allgemeine Staatsausgaben flossen (Verteidigung, Industriesubventionen, Straßen usw., die auch die Nachfrage in der Wirtschaft anregten). Die obersten 10% gaben etwa 22% ihres ursprünglichen Einkommens an die unteren Einkommensgruppen ab, während die obersten 60% durchschnittlich 17% ihres ursprünglichen Einkommens an die unteren Einkommensgruppen abgaben.
Eine solche Umverteilung hat weder die Klassenunterschiede beseitigt noch die Armut abgeschafft. Von einer langfristigen, schrittweisen, politisch „progressiven“ Beseitigung der Klassenunterschiede war nie die Rede. Nichtsdestotrotz gab es eine gewisse Umverteilung zugunsten der Arbeiter*innenklasse, die eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung eines hohen Nachfrageniveaus und der Kapitalakkumulation während des Nachkriegsaufschwungs spielte.
In den Argumenten von Leuten wie Julian Le Grand (den Matt zur Untermauerung seines Arguments zitiert) steckt ein Körnchen Wahrheit, auch wenn er seinen Fall übertreibt (siehe Le Grand, The State of Welfare, in N Barr and J Hills, The State of Welfare: The Welfare State in Britain Since 1945, 1990). Für die obersten 60% reichten 1977 die durchschnittlichen direkten und indirekten Sachleistungen vom Äquivalent von 19,7% des ursprünglichen Einkommens für das Dezil 41-50% bis zu 8,1% für die obersten 10%, eine leicht progressive Abstufung. Für die untersten 10% betrugen sie jedoch 142% und für die untersten 10% 3.065% des ursprünglichen Einkommens. Sowohl unter Thatcher als auch unter Blair wurden die Argumente von Le Grand zur Rechtfertigung eines allgemeinen, neoliberalen Angriffs auf Sozialleistungen und Bargeldzahlungen verwendet, der sich nicht in erster Linie gegen die oberen und mittleren Schichten richtete, sondern gegen diejenigen (wie Alleinerziehende), die nahe oder unterhalb der Armutsgrenze leben.
Nach 1979, unter Thatcher, wurde die relative Nivellierung der Aufschwungphase umgekehrt, weshalb die Statistiken zur Vermögens- und Einkommensverteilung, die die späten 1970er und 1980er Jahre umfassen, eine größere Ungleichheit aufweisen als die Statistiken, die den Aufschwung selbst (1950 bis Mitte der 1970er Jahre) abdecken.
Es gibt verschiedene Phasen oder Stadien der kapitalistischen Entwicklung, und der Nachkriegsaufschwung war eine Phase nie dagewesenen Wachstums. Man muss kein Anhänger der „Regulationsschule“ sein (die nicht logisch mit einer bestimmten Krisentheorie verbunden ist), um zu erkennen, dass sich verschiedene Perioden oder Phasen des Kapitalismus innerhalb eines bestimmten politisch-sozialen Rahmens oder einer „Sozialstruktur der Akkumulation“ oder eines „Regimes“ mit einer charakteristischen Struktur der nationalen Volkswirtschaften und der internationalen Wirtschaftsbeziehungen entwickelten. Mein Artikel beruhte auf dem Gedanken, dass der „keynesianische“ Rahmen der Nachkriegszeit in der Zeit vor dem Konjunktureinbruch von 1974/75 durch seine eigenen inneren Widersprüche untergraben und (auf der Grundlage sich abzeichnender wirtschaftlicher Trends und neuer kapitalistischer Politiken) durch einen weitaus weniger stabilen Rahmen ersetzt wurde, der – schlagwortartig – auf Globalisierung und neoliberalen Politiken beruht.
Die Aufteilung des Produkts
Matt drückt seine eigene Sichtweise nicht aus, aber seine Sprache impliziert, dass er prinzipiell jede Idee ablehnt, dass die Aufteilung des Produkts des Produktionsprozesses eine Ursache für die kapitalistische Krise sein kann. Laut Matt verwechsele ich Erscheinung und Wirklichkeit. Aus dem Zusammenhang gerissen, könnte der von Matt zitierte Satz aus Marx‘ Grundrissen (Foundations of the Critique of Political Economy, Penguin, 1973) den Anschein erwecken, als würde er Matts Standpunkt bestätigen. Der Satz lautet jedoch vollständig: „Der Profit der Kapitalisten als Klasse oder der Profit des Kapitals muss da sein, bevor er verteilt werden kann, und es ist äußerst absurd, seine Entstehung aus seiner Verteilung erklären zu wollen“. (Grundrisse, S. 684 [Marx-Engels-Werke, Band 42, S. 585]) Der Kontext dieser Aussage macht es ziemlich klar, dass sie sich auf die Verteilung des Profits zwischen den Kapitalist*innen bezieht („die verschiedenen Kapitalien partizipieren an der allgemeinen Profitrate“). Marx antwortet auf die von Malthus und anderen vertretene falsche Idee, dass „das Capital circulant [zirkulierende Kapital] oder das Capital fixe [fixe Kapital] durch irgend a mysterious innate power” [eine mysteriöse innewohnende Kraft] [im Gegensatz zum Wert, der durch den Produktionsprozess geschaffen wird] jedes Mal Gewinn brächten, wenn sich seine Besitzer davon trennen. Mit anderen Worten: Marx besteht darauf, dass der Prozess der Zirkulation des Kapitals und der Realisierung des Profits streng nach dem Wertgesetz wirkt; er bezieht sich nicht auf die Verteilung des Produkts zwischen Kapitalist*innen und Arbeiter*innen.
Matt wird sicher nicht bestreiten, dass es gegen Ende des Nachkriegsaufschwungs eine Profitabilitätskrise mit tendenziell sinkenden Profitraten in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern gab? Ob vom Standpunkt der kapitalistischen Buchhaltung oder der Marxschen Werttheorie aus betrachtet, ist die Profit-/Lohnquote eine der Determinanten der Profitrate. „Die Profitrate“, sagt Marx, „wird … bestimmt durch zwei Hauptfaktoren: die Rate des Mehrwerts und die Wertzusammensetzung des Kapitals.“ („Kapital“, Band III, Kap. 3, S. 161). Die Wertzusammensetzung bezieht sich auf die organische Zusammensetzung, das Verhältnis von konstantem zu variablem Kapital. Die Rate des Mehrwerts ist „der exakte Ausdruck für den Exploitationsgrad der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den Kapitalisten“ („Kapital“, Band I, Kap. 9 [7], S. 326), drückt die „die Teilung des Werts des Produkts zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter“ aus. (Theorien des Mehrwerts II, S. 21)
Es gibt in der Tat einen Kampf, einen unvermeidlichen Kampf, zwischen Kapital und Arbeit am Ort der Produktion über die Verteilung des Produkts zwischen Profit (Mehrwert) und Lohn. Das Wesen der kapitalistischen Ausbeutung besteht darin, dass die Kapitalist*innen den Arbeiter*innen nur einen Teil des durch ihre Arbeitskraft im Produktionsprozess geschaffenen Wertes bezahlen und den Rest als Mehrwert (Profit) enteignen. Die Aufteilung des Nettoprodukts der Produktion ist daher ein grundlegender Schauplatz des Kampfes zwischen der Kapitalist*innenklasse und dem Proletariat. Ist nicht der Kampf mit den Boss*innen am Arbeitsplatz die Hauptfront des Klassenkampfes?
Die Profitrate hängt von dem jeweiligen Ausmaß der Veränderung der organischen Zusammensetzung des Kapitals und der Ausbeutungsrate ab. Die damit verbundenen Beziehungen sind komplex. Engels, der Marx‘ unvollendetes „Kapital“, Band III herausgegeben hat, fügt einem Abschnitt (S. 161-162), der sich mit dieser Frage befasst, eine Fußnote hinzu: „In dem Ms. finden sich noch sehr ausführliche Berechnungen über die Differenz zwischen Mehrwertrate und Profitrate (m´ – p´), die allerhand interessante Eigentümlichkeiten besitzt und deren Bewegung die Fälle anzeigt, wo die beiden Raten sich voneinander entfernen oder sich einander nähern. …“ Es ist jedoch klar, dass die Mehrwertrate, die in etwa dem Profitanteil entspricht, eine der Determinanten der Profitrate ist.
Am Ende des Nachkriegsaufschwungs war der gestiegene Anteil der Löhne und der gesunkene Anteil der Profite, die sogenannte „Profitklemme“, ein wichtiger Faktor für die Krise der Profitabilität. Aus der Perspektive seiner eigenen Periode hätte Marx diese scharfe, ziemlich lange anhaltende und in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern verallgemeinerte Profitklemme zweifellos als eine außergewöhnliche Entwicklung betrachtet. Aber sie entstand aus den besonderen Merkmalen des Aufschwungs, dem historisch beispiellosen Kräfteverhältnis der oben beschriebenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Faktoren.
Die Krise der Profitabilität
Was war der innere Mechanismus der steigenden Profitabilität während des Aufschwungs und der Profitkrise in der Periode, die zu dem Konjunktureinbruch 1974-75 führte? Auf dem Höhepunkt des Booms (Mitte der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre) gab es (für die Kapitalist*innen der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder) ein günstiges, stabiles Gleichgewicht zwischen hoher Kapitalakkumulation und Produktion, Profiten und Löhnen. Ein entscheidender Faktor für dieses Gleichgewicht war die historisch hohe Wachstumsrate der Produktivität. Das durchschnittliche jährliche Produktivitätswachstum für sechzehn fortgeschrittenen kapitalistischen Länder betrug 1950-73 4,5%, verglichen mit 1,6% für 1870-1913 und 1,8% für 1913-50. (A. Maddison, Phases of Capitalist Development, 1982, S. 96) Hohes Produktivitätswachstum ermöglichte gleichzeitig hohe Profite und ein hohes Reallohnniveau. Zwischen 1952-70 stieg die Produktion der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder um 4,5% pro Jahr, während der private Verbrauch um 4,2% pro Jahr zunahm. Mit anderen Worten: In dieser Zeit der außergewöhnlich schnellen Kapitalakkumulation gab es nicht das, was Marx als Anstieg des relativen Mehrwerts bezeichnet. Die „goldene Kette“ der kapitalistischen Ausbeutung wurde für eine Periode gelockert, nicht wegen rein wirtschaftlicher Faktoren, sondern aus den bereits erwähnten sozialen und politischen Gründen.
Anfang der 1960er Jahre (auf dem Höhepunkt des Booms) stiegen die Produktivitätsraten pro Stunde in der verarbeitenden Industrie in den sechs größten fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern um 5,4% pro Jahr. Zur gleichen Zeit stiegen die Produktlöhne um 5,5% pro Jahr. (Produktlöhne, deflationiert mit dem Preisindex für das gesamte BIP, messen den relativen Wert der Löhne im Verhältnis zu den gesamten von den Arbeiter*innen produzierten Waren und zeigen deren reale Kosten für die Kapitalist*innen). Reallöhne, deflationiert mit den Verbraucher*innenpreisen, stiegen um 3,6% pro Jahr. Steigende Löhne zwangen die Kapitalist*innen zu weiteren Produktivitätssteigerungen, während sie gleichzeitig (zusammen mit der Ausweitung der Beschäftigung) die Nachfrage nach Waren auf hohem Niveau hielten. Die Profitrate stieg um 2,6% pro Jahr, während der Anteil der kapitalistischen Profite um 0,7% pro Jahr zunahm.
Matt fragt, was der Beweis für eine Profitklemme nach den späten 1960er Jahren sei? Der Beweis ist meiner Meinung nach eindeutig und wird von A. Glyn, A. Hughes, A. Lipietz und A. Singh (The Rise and Fall of the Golden Age, In S. Marglin und J. Schor, The Golden Age of Capitalism, 1990), P. Armstrong, A. Glyn und J. Harrison (Capitalism Since 1945, 1991, S. 169-220) und Makoto Itoh (The World Economic Crisis and Japanese Capitalism, 1990, S. 27-59) vorgelegt und analysiert.
Es gab klar eine Stagnation der Wachstumsraten der Produktivität in der verarbeitenden Industrie in den späten 1960er Jahren in den USA und den frühen 1970er Jahren in Europa. Dies fiel mit einem zunehmenden Arbeitskräftemangel und steigenden Löhnen zusammen. Die Kapitalist*innen hatten das verfügbare Angebot an relativ billigen und formbaren Arbeiter*innen (aus ländlichen Gebieten, Frauen usw.) weitgehend aufgebraucht. Der Zustrom von Arbeitsmigrant*innen aus den weniger entwickelten europäischen Ländern und aus der Dritten Welt verlangsamte sich, da er auf soziale und politische Hindernisse stieß. Gleichzeitig hatte die Arbeiter*innenklasse aufgrund einer langen Periode niedriger Arbeitslosigkeit eine enorme Stärke und Kampfbereitschaft entwickelt. Die späten 1960er Jahre sahen eine Flut von Streiks in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, von denen der Generalstreik in Frankreich im Mai 1968 der bemerkenswerteste war. Trotz steigender Inflation kam es zu einem weiteren Anstieg der Reallöhne. In den frühen 1970er Jahren kam es auch zu einem starken Anstieg der Rohstoffpreise (Erdöl, Mineralien, landwirtschaftliche Erzeugnisse), der auf die anhaltende Nachfrage der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder und zu geringe Investitionen in diesem Sektor zurückzuführen war.
Dies war eine Krise der Überakkumulation, ein Kapitalüberschuss im Verhältnis zur beschäftigten Bevölkerung. Damals gab es keine Anzeichen für eine Abschwächung der Nachfrage. In den frühen 1970er Jahren wurden Rohstoffe im Allgemeinen in größeren Mengen und zu höheren Preisen als zuvor verkauft, wobei es bei verschiedenen Rohstoffen und Halbfabrikaten zu Engpässen kam, was die starke Nachfrage widerspiegelte.
In der Spätphase des Aufschwungs ging der Nettoprofitanteil klar zurück. Der Nettoprofitanteil (d.h. die Nettoprofite, einschließlich Kapitalrenten und Zinsen, dividiert durch die Nettowertschöpfung) ging klar zurück. Für die fortgeschrittenen kapitalistischen G7-Länder sank der Nettoprofitanteil von 24% im Jahr 1965 auf etwa 20% in den Jahren 1970-73 und auf 17% im Jahr 1974. Dies war das Ergebnis davon, dass die Produktlöhne schneller stiegen als die Produktivität. Die Produktivität stieg zwischen 1965 und 1972 um 36,9%, während die Produktlöhne um 142,9% zunahmen. (Die Reallöhne, deflationiert mit den Konsumgütern, die die Kaufkraft der Preise angeben, blieben hinter den Produktlöhnen zurück, da der Verbraucher*innenpreisindex schneller stieg als der Index für das BIP insgesamt).
Gleichzeitig sank auch die Produktions-Kapital-Relation in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern. Für die sieben großen kapitalistischen Ländern gab es zwischen dem vorherigen Höchststand und 1973 einen Fall von etwa 5-10%, während er in den USA, Europa und Japan insgesamt 10-20% betrug. Der Rückgang der Produktion (die für die lebendige Arbeitskraft steht) im Vergleich zum Kapital (der toten Arbeitskraft) deutet auf einen Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals hin, der zum Rückgang der Profitrate beitrug.
M. Itoh schreibt: „Die kombinierten Auswirkungen des Rückgangs des Profitanteils und des Produktions-Kapital-Verhältnisses, die beide im Wesentlichen auf die Überakkumulation von Kapital zurückzuführen sind, führten in den großen kapitalistischen Ländern zu einem deutlichen Rückgang der Profitraten um 20-40% in der verarbeitenden Industrie und in der Wirtschaft… es wird geschätzt, dass die Profitklemme oder der Rückgang des Profitanteils für etwa drei Viertel des etwa 20%igen Rückgangs der Gesamtprofitrate in sieben fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern in den Jahren 1968-73 verantwortlich war und dass ein Rückgang des Produktions-Kapital-Verhältnisses für das andere Viertel verantwortlich war“. (Itoh, 1990, S. 57)
Für die fortgeschrittenen kapitalistischen Hauptländer fiel die Profitrate der verarbeitenden Industrie von 24,1% im Spitzenjahr 1968 auf 19,4% im Jahr 1973, ein Rückgang um 20%. Der US-Kapitalismus erlitt einen noch stärkeren Rückgang: Die Profitrate des verarbeitenden Gewerbes fiel von 36,3% im Spitzenjahr 1965 auf 21,8% im Jahr 1973, was einem Rückgang von 40% entspricht. Der US-Profitanteil fiel von 23,6% im Jahr 1965 auf 17,4% im Jahr 1973, was einem Rückgang von 13,5% entspricht.
Ein wichtiger Faktor hinter der Profitkrise war die tendenzielle Stagnation des Produktivitätswachstums. Wären die Kapitalist*innen in der Lage gewesen, schnellere Produktivitätssteigerungen zu erzielen und gleichzeitig die Beschäftigung durch extensives Wachstum weiter zu erhöhen, hätten sie es sich leisten können, weitere Reallohnsteigerungen zuzulassen. In Wirklichkeit begann sich das Produktivitätswachstum zu verlangsamen, als das Proletariat nach dem Höhepunkt des Aufschwungs seine maximale Stärke erreichte. Aber warum verlangsamte sich die Produktivität? Sie war zum Teil das Ergebnis der Erschöpfung des produktiven Potenzials der technologischen Systeme, die die Grundlage des Nachkriegsaufschwungs in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern bildeten. Vor allem aber lag es an der Stärke der Arbeiter*innenklasse und ihrem Widerstand gegen die Intensivierung der Ausbeutung in den Fabriken. Dies spiegelte sich in der Stärkung der nationalen und betrieblichen Organisation, in der Zunahme der Kampfbereitschaft und in den aufeinander folgenden Streikwellen wider.
Die Auswirkungen der Stärke der Arbeiter*innenklasse in dieser Periode anzuerkennen hat nichts damit zu tun, der Arbeiter*innenklasse die Schuld an der Krise zu geben. Marx selbst kommentierte (im Zuge seiner Antwort auf die krude unterkonsumtionistische Idee, dass die Krise einfach durch die Erhöhung der Löhne der Arbeiter*innen abgewendet werden könnte) „… dass die Krisen jedes Mal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiterklasse realiter größeren Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält … Es scheint also, dass die kapitalistische Produktion vom guten oder bösen Willen unabhängige Bedingungen einschließt, die jene relative Prosperität der Arbeiterklasse nur momentan zulassen, und zwar immer nur als Sturmvogel einer Krise.“ („Kapital“, Band II, Kapitel 20, Abschnitt 4, S. 486 f.) „Vom guten oder bösen Willen unabhängig“ bedeutet Bedingungen, die sich als objektive Prozesse entfalten, gemäß der inneren Logik des kapitalistischen Systems, für die die Arbeiter*innenklasse nicht verantwortlich ist.
Überakkumulation
Matt bittet um eine Erklärung für die Tendenz der Kapitalakkumulation, das Wachstum der beschäftigten Arbeitskräfte zu übersteigen. Aus dieser tief verwurzelten Tendenz entstand Profitkrise. Die Profitklemme, der konjunkturelle Krisenfaktor, der am Ende des Aufschwungs in den Vordergrund trat, wurde (in Übereinstimmung mit Marx‘ Kommentar) in der vorangegangenen Periode vorbereitet. Die Krise der Profitabilität war letztlich Ausdruck der Überakkumulation, die aus der Notwendigkeit entsteht, die menschliche Arbeitskraft als Ware zu behandeln.
Die Kapitalist*innen werden von einem unerbittlichen Trieb angetrieben: „Akkumuliert, Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten“ („Kapital“, Band I, Kap. 24 [22], S. 742 [621]) Dazu brauchen sie immer mehr Arbeitskraft, die Quelle des Mehrwerts (Profits). Die daran beteiligten zyklischen Prozesse werden von Marx in „Kapital“, Band I, Kapitel 25 [23], „Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation“, behandelt. In Perioden beschleunigter, frenetischer Akkumulation, sagt Marx, „müssen große Menschenmassen plötzlich und ohne Abbruch der Produktionsleiter in anderen Sphären auf die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Übervölkerung liefert sie.“ (S. 785 [661]) Aber ein anhaltender Akkumulationsschub während des Nachkriegsaufschwungs erschöpfte die Reservearmee (die „Überschussbevölkerung“ des Kapitalismus), was zu einem Arbeitskräftemangel führte, wobei die Kapitalist*innen gezwungen waren, um zusätzliche Arbeitskräfte zu konkurrieren, was die Löhne in die Höhe trieb. Die Überakkumulation wird auch in „Kapital“, Band III, Kapitel 15, Darstellung der inneren Widersprüche des Gesetzes, behandelt, das sich mit dem zugrundeliegenden Prozess der Kapitalakkumulation ebenso befasst wie mit dem gesetzmäßigen (oder tendenziellen) Fall der Profitrate.
Der Kapitalismus behandelt die Arbeitskraft als Ware, die den Gesetzen des Marktes unterworfen ist (weshalb das grundlegende Ziel des Sozialismus ja auch die Abschaffung der Warenform der Arbeitskraft ist). Aber die Reproduktion der Bevölkerung (die Quelle der Arbeitskraft) wird zwar zweifellos von den wirtschaftlichen Bedingungen beeinflusst, ist aber ein menschlicher und sozialer Prozess und nicht Teil des Kreislaufs der Warenproduktion. Es gibt im Kapitalismus keinen ökonomischen Mechanismus, der sicherstellt, dass das Angebot an Arbeitskraft den Anforderungen der Akkumulation entspricht.
Gegen Ende des Aufschwungs stärkte die Überakkumulation im Verhältnis zur Zahl der Arbeitskräfte (verstärkt durch soziale und politische Faktoren, die sich in der Nachkriegszeit entwickelt haben) die Arbeiter*innenklasse auf Kosten der kapitalistischen Profite und trieb die Weltwirtschaft in die Krise.
Eine vollständige Analyse der gegenwärtigen weltweiten Krise des Kapitalismus muss die Interpretation der grundlegenden Widersprüche des Systems (unter Verwendung der von Marx bereitgestellten theoretischen Instrumente) mit der Erklärung der komplexen Widersprüche der heutigen internationalen Wirtschaft (z. B. in Bezug auf internationale kapitalistische Rivalitäten, Inflation/Deflation, Unbeständigkeit des Kreditsystems, Handelsungleichgewichte sowie „externe“ Schocks wie politische Umwälzungen und Kriege) verbinden.
Eine neue Periode der Krise: hohe Profite, Überproduktion
In der Endphase des Aufschwungs vorbereitet, trat die Profitkrise nach dem durch den Ölpreisanstieg von 1973 ausgelösten Konjunktureinbruch mit voller Wucht auf. Dies war der Beginn einer neuen Periode verallgemeinerter Krisen mit einem Anstieg der Inflation und dem Zusammenbruch der Nachkriegs-Wirtschaftsordnung. Angesichts dieser Krise wandte sich die Bourgeoisie der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder von der Politik und den Praktiken der Nachkriegsperiode ab hin zur Wiedergeltendmachung einer neoliberalen Freier-Markt-Politik. Sie begann eine Offensive, um die Zugeständnisse, die der Arbeiter*innenklasse während des Aufschwungs gemacht worden waren und die zu einer Stärkung der Arbeiter*innenorganisationen, einem allgemeinen Anstieg des Lebensstandards der Arbeiter*innenklasse und einer Welle industrieller Kampfbereitschaft in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren geführt hatten, wieder zurückzuerobern. Wenn die Errungenschaften der Arbeiter*innen in der Nachkriegszeit von keiner wirklichen Bedeutung waren, wie Matt unterstellt, warum waren die Kapitalist*innen dann so entschlossen, sie in den 1980er und 1990er Jahren wieder rückgängig zu machen?
Die Förderung der Vollbeschäftigung wurde zugunsten des Akzeptierens einer relativ hohen Arbeitslosigkeit aufgegeben, um die Arbeiter*innenklasse zu disziplinieren und die Löhne zu drücken. Die Staatsausgaben, besonders die Sozialausgaben, wurden gekürzt. Beginnend in den USA und in Großbritannien unter Reagan und Thatcher gab es eine Kampagne für die „Flexibilität“ der Arbeit, d.h. das Ende von nationalen Lohnverhandlungen, Prekarisierung der Arbeitskräfte und Aushöhlung der Gewerkschaftsrechte. Durch die Privatisierung staatlicher Industrien wurde die Rolle des Staates in der Wirtschaft drastisch beschnitten, was nahezu jeden Sektor für die kapitalistische Konkurrenz öffnete. Dieser Prozess begann in den frühen 1980er Jahren, wurde aber nach dem Zusammenbruch des Stalinismus nach 1989 noch viel weiter vorangetrieben, der den Gegendruck der (bürokratisch geleiteten) Planwirtschaften entfernte, den ursprünglichen Druck auf den westlichen Kapitalismus, in der Nachkriegszeit eine reformistische Politik zu übernehmen. Da spekulative Investitionen zunehmend dominant wurden, wurden die Finanzmärkte dereguliert.
In den späten 1980er Jahren hatte der neoliberale Angriff auf die Arbeiter*innenklasse die Profitniveaus der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder erfolgreich wieder auf das Spitzenniveau des Nachkriegsaufschwungs gebracht. Der Wiederanstieg des Profits wurde jedoch nicht von einem Investitionsboom begleitet. Das Wachstum des Nettokapitalstocks (das ungefähre Äquivalent des konstanten Kapitals) war viel langsamer als während des Nachkriegsaufschwungs. Dementsprechend war die Nachfrage nach den vom Kapitalgütersektor geschaffenen Waren relativ schwächer als während des „goldenen Zeitalters“. Höhere Profitniveaus kamen nicht in erster Linie von höherer Produktivität, sondern hauptsächlich von einer intensivierten Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse (durch intensivere Managementregime, längere Arbeitszeiten, niedrigere Löhne usw.). Große Teile der Arbeiter*innen ltten unter niedrigeren Löhnen, geringeren Sozialleistungen, längeren Arbeitszeiten und einem verringerten „Soziallohn“ (aufgrund von staatlichen Kürzungen bei Sozialausgaben). Gleichzeitig ist in den meisten fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern eine chronische Massenarbeitslosigkeit entstanden.
Mein Argument ist, dass, da der Konsum der Arbeiter*innen ein wichtiger Bestandteil der Gesamtnachfrage nach Waren ist (und langfristig die Nachfrage nach Kapitalgütern bestimmt) und dass die von den Kapitalist*innen in den 1980er und 1990er Jahren ergriffenen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Profite wiederum den kapitalistischen Markt beschnitten haben. Massive Kürzungen der Staatsausgaben haben auch den Markt beschnitten. Das Auftreten ernsthafter Überkapazitäten auf internationaler Ebene in wichtigen Branchen wie Autos, Mikrochips, Textilien, Stahl usw. (die, wenn sie genutzt würden, zu einer massiven Überproduktion von Waren führen würden) spiegelt die derzeitige Nachfrageschwäche auf globaler Ebene wider. Nun beginnen die Überkapazitäten (unter den Bedingungen einer intensiven internationalen Konkurrenz zwischen riesigen Konzernen) die Profitabilität zu untergraben. So beginnen die neoliberalen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Profitabilität (Erhöhung der Profite zu Lasten der Löhne) also wiederum die Profite aus einer anderen Richtung (d.h. durch das schwache Nachfragewachstum) zu untergraben.
Matt schreibt mir die Ansicht zu, „als sei die Krise durch eine unzureichende Nachfrage verursacht worden, obwohl der Prozess mit einer Entscheidung der Kapitalist*innen als Reaktion auf die fallende Profitabilität begann.“ Dies ist eine sehr vereinfachende Umformulierung. Unter dem Eindruck der sich gegen Ende des Aufschwungs verschärfenden Krise (Kampfbereitschaft der Arbeiter*innenklasse, ein Rückgang der Profitabilität, Beschleunigung der Inflation, Anstieg der Rohstoffpreise, Unbeständigkeit des Weltgeldsystems usw.) suchte die Bourgeoisie der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder einen Ausweg. Zunächst bewegte sie sich empirisch, indem sie sich auf neue wirtschaftliche und soziale Trends stützte, die sich abzeichneten (Abwendung von der arbeitsintensiven und energie- bzw. materialintensiven Produktion in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, Anstieg der Finanzspekulationen, Hinwendung zur Globalisierung nach dem Zusammenbruch des Nachkriegsgeldsystems, wachsende Rebellion der Facharbeiter*innen und der Mittelschicht gegen die zunehmende Steuerbelastung usw.), und versuchte zunehmend, diese zu verstärken.
Der Prozess begann nicht mit „einer Entscheidung“. Schrittweise (und in unterschiedlichem Ausmaß in den verschiedenen Ländern) wiesen die führenden bürgerlichen Vertreter*innen die keynesianische Politik zurück und übernahmen die Politik des freien Marktes (unter verschiedenen Etiketten, Monetarismus, Neoliberalismus usw.). Wer würde zum Beispiel leugnen, dass Thatcher und Reagan innerhalb der Führung der herrschenden Klasse einen politischen Kampf um eine neue Strategie führten? Die Politik der Reagan-Regierung 1981, die Geldmenge zu verknappen und die Zinssätze in die Höhe zu treiben, hatte international einen entscheidenden Einfluss darauf, die kapitalistischen Regierungen in Richtung einer neoliberalen Politik zu drängen. Die rücksichtslose Zerschlagung des Fluglotsenstreiks durch Reagan war ebenfalls richtungsweisend für eine internationale Offensive gegen die Arbeiter*innenorganisationen.
Die von den führenden bürgerlichen Vertreter*innen in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren entwickelten Ideen und Politiken spiegeln den Druck dieser Konstellation wider. Ihre ideologische Kampagne zur Unterstützung der neoliberalen Politik wurde durch den Zusammenbruch des Stalinismus und den anschließenden Rechtsruck der führenden westlichen sozialdemokratischen Vertreter*innen enorm begünstigt. Unterstützt durch die Macht des kapitalistischen Staates, beschleunigte die neue Politik die sich abzeichnenden sozialen und wirtschaftlichen Trends.
Kurzfristig hatte die Bourgeoisie ein paar Erfolge bei der Wiederherstellung der Profitabilität und dem Drängen der Arbeiter*innenklasse in die Defensive. Ihre Politik beruht jedoch auf einer äußerst engstirnigen, kurzsichtigen Rationalität, die eher ihre Klasseninteressen widerspiegelt als ein objektives Verständnis der Lage, vor der sie stehen. Die Logik ihres Systems treibt sie in einen neuen Widerspruch. Die bürgerliche Vernunft der 1980er und 1990er Jahre wird durch die Entfaltung von Prozessen (zunehmende Polarisierung der Gesellschaft, verstärkte Herrschaft des Weltmarkts über die nationalen Volkswirtschaften), die durch die von ihnen verfolgte Politik beschleunigt wurden, in Unsinn verwandelt.
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