Lynn Walsh: Der Weg zum Krieg

(eigene Übersetzung des englischen Textes in Socialism Today, Nr. 38, Mai 1999)

Die Nato-Mächte haben sich in den ersten Krieg des Bündnisses hinein gestümpert, meint Lynn Walsh. Die Entscheidung, Serbien zu bombardieren (auf der Grundlage von Plänen, die im letzten Jahr ausgearbeitet wurden), wurde von Clinton und den führenden US-Vertreter*innen auf der Grundlage des taktischen Kalküls getroffen, dass einige wenige Bombenangriffe ausreichen würden, um Milošević zur Unterzeichnung des Abkommens von Rambouillet zu zwingen, das Kosova Autonomie mit einer UN-Friedenstruppe einräumt.

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Unglaublicherweise wurden die anfänglichen Bombenangriffe von den führenden Nato-Vertreter*innen nicht einmal als Kriegshandlung betrachtet, sondern bloß als eine Form des bewaffneten „diplomatischen“ Drucks. Die führenden US-Vertreter*innen dachten, in Rambouillet würde sich das Szenario von Dayton wiederholen, als Milošević im August 1995 durch UN-gesponserte Bombenangriffe an den Verhandlungstisch in Dayton, Ohio, USA, gebracht wurde. Sie hatten sich verkalkuliert: Rambouillet, Frankreich, war nicht Dayton. Milošević akzeptierte Dayton, das die massiven ethnischen und territorialen Säuberungen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina weitgehend „legitimierte“, und zwar nicht in erster Linie wegen der Bombardierungen, sondern weil die serbischen Streitkräfte von den von den USA unterstützten kroatischen und bosnisch-muslimischen Kräften vor Ort zum Rückzug gezwungen worden waren. Aber der Milošević durch Dayton aufgezwungene Rückzug machte es ihm sehr viel schwerer, Rambouillet zu akzeptieren.

Es gab gemäß Dayton kein Rückkehrrecht für die 200.000 Serb*innen, die aus der kroatischen Krajina, ihrer jahrhundertelangen traditionellen Heimat, vertrieben wurden. Miloševićs Bestreben, die Republika Srpska (innerhalb Bosnien-Herzegowinas) in die jugoslawische Rumpf-Föderation einzugliedern, wurde zunichte gemacht. Zur gleichen Zeit sah sich Milošević seit Ende 1996 einer zunehmenden Wirtschaftskrise und einer wachsenden Opposition innerhalb Serbiens gegenüber. Als Erz-Verfechter eines Großserbiens, der seine nationalistische Karriere auf der Grundlage der serbischen Ansprüche auf Kosova begonnen hatte, konnte Milošević die Besetzung der Provinz durch eine Nato-Friedenstruppe nicht hinnehmen. In der Mythologie des serbischen Nationalismus gelten die christlich-orthodoxen Heiligtümer und Schlachtfelder im Norden Kosovas als die heilige Wiege der serbischen Nation.

Miloševićs Widerstand verwandelte eine „diplomatische“ Bombardierungsübung in einen großen europäischen Krieg. Die Nato-Aktion, die mit der Notwendigkeit gerechtfertigt wurde, die Kosova-Albaner*innen vor „ethnischen Säuberungen“ zu schützen, löste die größte Episode von Pogromen, ethnischen Morden und Deportationen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus. Die Mehrheit der 1,8 Millionen Albaner*innen in Kosova wurde vertrieben, und mehr als eine halbe Million Flüchtlinge flohen innerhalb von drei Wochen über die Grenze. Weitere 850.000 droht der Tod innerhalb Kosovas durch serbische Mordkommandos oder Beschuss oder durch Hunger und Entkräftung. Zusammen mit den Opfern unter der Zivilbevölkerung in Serbien und Kosova führte dies die „humanitären“ Ziele der Nato ad absurdum. Angesichts dessen änderten sich die Kriegsziele der Westmächte radikal. Der Krieg ist nicht mehr ein Krieg, um Milošević zu einer Einigung zu zwingen, sondern ein Krieg zur Verteidigung der Nato, zur Verteidigung der Macht und des Prestiges der kapitalistischen Mächte.

Die USA haben sich verkalkuliert

Dokumente der US-Regierung, die der Presse zugespielt wurden (siehe „International Herald Tribune“, 11. April 1999), vermitteln ein unglaubliches Bild von den Fehleinschätzungen der US-Führung. In einer geheimen einzeiligen Kabelnachricht drohte die Bush-Regierung Milošević erstmals in ihrer „Weihnachtswarnung“ vom 24. Dezember 1992. Im Falle eines von Serbien provozierten Konflikts in Kosova wurde Milošević mitgeteilt, dass „die USA bereit sein werden, militärische Gewalt gegen die Serben im Kosovo und in Serbien selbst einzusetzen“. Als Milošević jedoch am 26. Februar 1998 in der Nähe von Drenica eine Großoffensive gegen die Kosova-Albaner*innen in Kosova startete, vertrat Clintons Verteidigungsminister Cohen (laut den durchgesickerten Dokumenten) den Standpunkt, dass „die Weihnachtswarnung nicht zur Debatte stand. Wir waren nicht zu einer einseitigen Aktion bereit“.

Clintons Außenministerin Madeleine Albright wurde jedoch zunehmend besorgt, dass die Glaubwürdigkeit der USA durch die Ereignisse in Kosova untergraben würde. Sie begann, Clintons politische Entscheidungsträger*innen zum Handeln zu drängen. Bei einem Besuch in Rom am 7. März 1998 erklärte sie, die USA würden „nicht tatenlos zusehen, wie die serbischen Behörden im Kosovo das tun, womit sie in Bosnien nicht mehr durchkommen“. Dies wurde von einem außenpolitischer Berater als „Einsatz des amerikanischen Prestiges“ bezeichnet.

Daraufhin drängten die USA darauf, dass Milošević einen Deal akzeptierte: Autonomie für Kosova mit einer UN-Friedenstruppe. Als sie schließlich die kosovarische Führung unter Druck setzten, den Kompromiss zu akzeptieren, und Milošević sich weigerte, in Rambouillet zu unterschreiben, beschlossen die USA, zu bombardieren. Als die Bombardierung am 23. März begann, verkündete Clinton öffentlich: „Ich habe nicht die Absicht, unsere Truppen im Kosovo einzusetzen, um einen Krieg zu führen“. Militärisch verschaffte dies Milošević einen unglaublichen taktischen Vorteil. Gleichzeitig wurde der Eindruck erweckt, dass die Bombardierung eine kurze Alibiaktion sein würde, wie im August 1995. Laut den durchgesickerten Dokumenten kommentierte ein amerikanischer Entscheidungsträger: „Unsere eigenen Geheimdienstler könnten, wie Milošević es anscheinend getan hat, davon ausgegangen sein, dass wir bombardieren würden, wie wir es gerade [1998] im Irak getan haben – drei Tage lang bombardieren und dann aufhören, unabhängig davon, ob wir die Mission erfüllt haben oder nicht“.

Wie der frühere US-Außenminister (1981-82), Alexander Haig, kommentierte, war die Bombardierung als „Signalübung“ gedacht, „eine Cruise-Missile-Lightshow“. („Wall Street Journal“, 12. April 1999) Die Einschätzung der CIA, auf die sich Clinton und seine politischen Entscheidungsträger*innen stützten, war, dass Präsident Milošević entweder der Androhung von Zwang oder der ersten Runde von Luftangriffen nachgeben würde. Die CIA beriet Clinton: „Nachdem er sich ausreichend verteidigt hat, um seine Ehre zu wahren und seine Unterstützer zu beschwichtigen, wird (Milošević) schnell um Frieden bitten“. („The Guardian“, 21. April) Die CIA hat die Bestrebungen des serbischen Regimes, Kosova von dessen 1,8 Millionen ethnischen Albaner*innen zu entvölkern, nicht vorhergesehen. Wir alle kennen das Ergebnis. Die Bombardierung beschleunigt das Abschlachten und die Vertreibung der Kosovar*innen erheblich.

Die veränderten Kriegsziele der NATO

„Glaubwürdigkeit ist ein politisches Schlüssel-Ziel bei der westlichen Entscheidung, Milošević zu konfrontieren und schließlich seine Streitkräfte anzugreifen“, kommentierte die „International Herald Tribune“ (7. April). Miloševićs Widerstand erhöhte sofort den Einsatz. „Wenn amerikanische Streitkräfte in einen Kampf verwickelt sind“, erklärte Henry Kissinger, der Außenminister von Präsident Nixon in der Endphase des Vietnamkrieges, „ist der Sieg die einzige Ausstiegsstrategie“. Wenn Milošević einen Waffenstillstand zu den Bedingungen der Nato (Rückzug der serbischen Truppen, Akzeptanz von Verhandlungen über die Autonomie von Kosova und eine westliche Friedenstruppe) ablehne, „gibt es keine Alternative zur Fortsetzung und Intensivierung des Krieges, wenn nötig unter Einsatz von Bodentruppen der Nato – eine Lösung, die ich bisher leidenschaftlich abgelehnt habe, die aber in Betracht gezogen werden muss, um die Glaubwürdigkeit der Nato zu erhalten“. („Daily Telegraph“, 13. April) Diejenigen in der Linken, die argumentieren, dass es sich um einen „humanitären Krieg“ handele, in den keine „nationalen Interessen“ der USA oder des Westens involviert sind, übersehen die wahren Kriegsziele der Nato, die durch die Reaktion Miloševićs auf die anfänglichen Bombardierungen viel ernster wurden.

„Die humanitäre Begründung (des Imperialismus) war immer nur eine Maske, hinter der sich ein Wettlauf um die Kontrolle von Rohstoffen, die Sicherung strategischer Stützpunkte und die Vereitelung der Ambitionen von Rivalen in der näheren Umgebung verbarg“, kommentierte Rupert Cornwell im „Independent on Sunday“ (18. April). „Aber das ,nationale Interesse‘ im Fall des Kosovo läuft darauf hinaus, dass die Glaubwürdigkeit der Nato und ihrer Mitglieder geschützt werden muss; wenn die Verbündeten nach so vielen Drohungen, die von Präsident Milošević so spöttisch ignoriert wurden, nicht reagieren, würden sie nicht mehr ernst genommen werden“.

Der US-Kolumnist William Pfaff machte eine ähnliche Beobachtung: „Die einzige Lösung der Krise ist ein Sieg der Nato, der die Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht … Die Teilung des Kosovo wäre eine Niederlage. Enklaven innerhalb des Kosovo für die Flüchtlinge bedeuten auch eine Niederlage für die Nato. Wenn es keinen Nato-Sieg über Serbien gibt, wird es keine Nato mehr geben … Die Debatte über die Intervention ist nicht mehr ein Streit über Mittel zum Zweck. Es ist eine Debatte über das Aufgeben der Nato und des amerikanischen Anspruchs auf internationale Führung“. („New York Review of Books“, 6. April 1999)

Oder wie es der „Daily Telegraph“ (21. April) formulierte: „Was auch immer der Ausgang des ursprünglichen Krieges, des Krieges zur Verhinderung ethnischer Säuberungen, ist, hat sich die Nato jetzt so tief engagiert, dass sie in Wirklichkeit darum kämpft, ihre eigene Glaubwürdigkeit zu retten. Wenn der Krieg jetzt verloren geht oder mit einem faulen Kompromiss beendet wird, der Milošević ein ,gesäubertes‘ Territorium in einem geteilten Kosova überlässt, wird dies dem westlichen Sicherheitssystem großen Schaden zufügen und ein gefährliches Machtvakuum in der Welt hinterlassen“.

Martin Wolf in der „Financial Times““ (7. April) drückte es noch prägnanter aus: „In den Krieg einzutreten mag ein Fehler gewesen sein, ihn zu verlieren wäre eine Katastrophe“.

Die Wurzeln der Krise

Kissinger und andere Strateg*innen des Imperialismus fordern nun die Intervention von Bodentruppen, um die Glaubwürdigkeit der westlichen Mächte zu retten. Einige Linke fordern ebenfalls die Intervention von Bodentruppen, vorzugsweise unter der Schirmherrschaft der UNO, als einzige Möglichkeit, die Rückkehr der Kosovar*innen in ihre Heimat zu gewährleisten. Die Geschichte und die jüngste Bilanz des US-Imperialismus und anderer westlicher Mächte macht jedoch deutlich, dass, wann auch immer sie intervenieren, was auch immer der Vorwand ist, es darum geht, ihre globalen Interessen zu verteidigen.

Historisch gesehen haben die Interventionen der Großmächte in den Ländern der Balkanhalbinsel (die ex-jugoslawischen Staaten, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Griechenland und der europäische Teil der Türkei) wesentlich dazu beigetragen, die nationalen und sozialen Spannungen zu schüren, die immer wieder in gewaltsamen Konflikten zum Ausdruck kamen. Im 19. Jahrhundert zogen die Herrscher*innen des muslimischen Osmanischen (türkischen) Reiches, des (christlich-orthodoxen) Zarenreichs und der Westmächte (Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien) die Grenzen der Balkanstaaten immer wieder neu und nahmen dabei kaum Rücksicht auf die nationalen Bestrebungen der Balkanvölker. Der Kongress von Berlin 1878 gab Serbien, Rumänien und Bulgarien ihre Unabhängigkeit von der Türkei, aber händigte Bosnien-Herzegowina dem Österreichisch-Ungarischen Reich aus. Dies führte direkt zu den Balkankriegen von 1912-13 und zum Ersten Weltkrieg. Wie jeder weiß, war Auslöser des Krieges die Ermordung des österreichischen Erzherzogs Ferdinand in Sarajewo durch einen serbischen Studenten, der die Befreiung Bosnien-Herzegowinas von der österreichischen Herrschaft unterstützte.

Viele der Unruhen waren mit „ethnischen Säuberungen“ verbunden, die durch von den Großmächten sanktionierte Pogrome und Zwangsdeportationen ausgelöst wurden. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden 1922 eine Million Griech*innen aus ihrer angestammten Heimat in der kleinasiatischen Region der Türkei vertrieben, eine ethnische Säuberung, die von den Großmächten stillschweigend akzeptiert wurde. Die kapitalistischen Mächte, die sich für ihre eigenen Interessen einmischen, werden die Probleme der Region niemals lösen. Nur die Völker auf dem Balkan selbst können dauerhafte Lösungen finden.

Die jüngsten blutigen Konflikte auf dem Balkan sind zum Teil das Erbe des Stalinismus, eines Systems (beruhend auf dem Modell der Sowjetunion), das eine bürokratisch geplante Wirtschaft mit einer totalitären Diktatur verband. Unter der Führung Titos gelang es dem jugoslawischen stalinistischen Regime, die verschiedenen nationalen Elemente in einer föderalen Struktur auszubalancieren. Auf der Grundlage des Wirtschaftswachstums gab es die Entwicklung eines föderalen jugoslawischen Bewusstsein, insbesondere in der Arbeiter*innenklasse, das die früheren nationalen Spaltungen teilweise überwand. Leider wurden aufgrund der undemokratischen, bürokratischen Politik des Staates jahrhundertealte nationale Konflikte eher auf Eis gelegt als aufgelöst. Schon vor Titos Tod gab es wachsende Spannungen zwischen den verschiedenen Republiken, wobei die regionalen Bürokrat*innen (wie Milošević) an nationalistische Gefühle appellierten, um Unterstützung für sich selbst hochzupeitschen. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989/90 begann auch die jugoslawische Föderation zu zerbrechen. Dies wurde von den westlichen Mächten ermutigt, insbesondere vom deutschen Kapitalismus, der begierig war, seinen Einfluss auszuweiten und Märkte auf dem Balkan zu erschließen.

Als sich Slowenien und Kroatien 1992 von der Föderation abspalteten, erkannte Deutschland rasch ihren unabhängigen Status an. Das machte den Prozess des Auseinanderbrechens unumkehrbar. Insbesondere eröffnete es einen Kampf um die Kontrolle von Bosnien-Herzegowina, einem Flickenteppich verschiedener ethnischer Gruppen, der schon immer ein Gebiet war, das zwischen Serbien, Kroatien und anderen Nachbarstaaten erbittert umstritten war. Der Machtkampf löste eine Orgie von nationalistischen, ethnischen Konflikten aus. Machthungrige Bürokrat*innen, aufstrebende Kapitalist*innen, War Lords und lokale Bandenchef*innen peitschten nationalistischen Eifer und Hass auf andere ethnische Gruppen hoch, um ihre eigene Machtbasis aufzubauen. Sie erhielten vor allem aus den politisch rückständigeren ländlichen Gebieten Unterstützung. Die chauvinistischsten Elemente gewannen einen starken Einfluss und setzten sich gegen diejenigen durch, die die Idee eines demokratischen, säkularen, nicht-sektiererischen Jugoslawiens unterstützten.

Nach dem US-Sieg im Golfkrieg 1991/92 kündigte US-Präsident Bush eine „neue Weltordnung“ an, doch die westlichen Mächte waren weder durch ein Vorgehen im Rahmen der UNO noch der Nato in der Lage, Frieden und Stabilität auf dem Balkan zu gewährleisten.

In der ersten Phase des Konflikts in Bosnien-Herzegowina und Kroatien standen die USA und die europäischen Mächte an der Seite und sahen den Massakern und Gräueltaten zu, die den barbarischen Kampf um Territorien zwischen bosnischen Serb*innen, bosnischen Muslim*innen und Kroat*innen begleiteten. Serbische paramilitärische Kräfte, die von Miloševićs Truppen unterstützt wurden, „säuberten“ im Frühjahr 1992 über zwei Drittel des bosnischen Territoriums (hauptsächlich von bosnischen Muslim*innen). Zur gleichen Zeit „säuberten“ kroatische Streitkräfte serbische Minderheitengebiete in Kroatien. Was war die Haltung der USA zu dieser Zeit? Weit davon entfernt, sich über die sich entfaltende humanitäre Katastrophe Sorgen zu machen, erklärte der Außenminister von US-Präsident Bush, James Baker, nach einem Besuch in Bosnien im Juni 1991: „Das betrifft uns nicht“. Die Politik der USA bestand darin, den Konflikt „sich selbst ausbrennen“ zu lassen.

Im Herbst 1991 zerstörten serbische Truppen die kroatischen Städte Vukovar und Dubrovnik. Die weltweite öffentliche Empörung über diese und andere Gräueltaten im ehemaligen Jugoslawien setzte die USA und die westlichen Mächte zunehmend unter Druck, etwas zu unternehmen, um das schreckliche Morden und die Vertreibung der Bevölkerung zu verhindern. Unter dem Banner der Vereinten Nationen wurden UN-Friedenstruppen (hauptsächlich Nato-, aber auch einige russische Truppen) entsandt, um sogenannte „sichere Gebiete“ einzurichten. Dies hinderte die serbischen Streitkräfte nicht daran, die Kontrolle über Srebrenica, eine der UN-Schutzzonen, zu übernehmen und die bosnischen Muslim*innen zu vertreiben. Als die UN-Friedenstruppen direkt von serbischen Truppen bedroht wurden, wurden sie abgezogen und die bosnischen Muslim*innen ihrem Schicksal überlassen.

Während die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien öffentlich verkündeten, dass sie eine rein friedenserhaltende Rolle spielten, bewaffneten und trainierten sie insgeheim kroatische und bosnisch-muslimische Kräfte, um die bosnisch-serbischen Kräfte von Radovan Karadžić (die von Milošević unterstützt wurden) zurückzudrängen. Im August 1995 wurden die UN-Truppen abgezogen, und die Nato-Befehlshaber*innen unterstützten verdeckt die kroatischen Truppen, die bis zu 200.000 Serb*innen aus der Krajina vertrieben, wo die meisten von ihnen seit Jahrhunderten gelebt hatten. Mit anderen Worten: Die Westmächte gaben grünes Licht für die größte einzelne Episode von „ethnischer Säuberung“, die es bis zu den jüngsten Ereignissen in Kosova gegeben hat. Dies schürte unweigerlich das Feuer des serbischen Nationalismus und spielte Milošević weiter in die Hände.

Von Dayton nach Rambouillet… in den Krieg

Während die Krajina „gesäubert“ wurde, schickte die Nato (die seit Weihnachten 1992 mit Gewaltanwendung gegen Milošević gedroht hatte) ihre Kampfflugzeuge und Raketen zur Bombardierung der serbischen Streitkräfte. Die USA legten nun den Friedensplan vor, der Milošević und den führenden kroatischen Vertreter*innen im November 1995 in Dayton, Ohio, präsentiert wurde. Milošević akzeptierte das Abkommen (das im Dezember 1995 in Paris geschlossen wurde) nicht deshalb, weil er bombardiert worden war, sondern weil die von der Nato unterstützten kroatischen und bosnisch-muslimischen Kräfte vor Ort die serbischen paramilitärischen Kräfte zurückgedrängt hatten. Dayton brachte eine vorübergehende Atempause vom Bürger*innenkrieg, löste aber nicht die grundlegenden Probleme in Bosnien-Herzegowina – und hatte Auswirkungen auch auf Kosova. Zuvor hatten die Westmächte behauptet, sie würden eine territoriale Aufteilung Bosnien-Herzegowinas entlang ethnischer Linien niemals akzeptieren. Doch das von den USA vermittelte Dayton-Abkommen teilte Bosnien zwischen den Serb*innen und der muslimisch-kroatischen Föderation auf und „legitimierte“ damit weitgehend die ethnische Säuberung, die bereits stattgefunden hatte. Weit über eine Viertelmillion Menschen wurden während des bosnischen Bürger*innenkriegs getötet, und es gibt immer noch über 3,5 Millionen Flüchtlinge.

Selbst heute ist nur etwa ein Drittel der aus Bosnien vertriebenen Flüchtlinge in ihr Heimatgebiet zurückgekehrt. Die Wirtschaft und die sozialen Strukturen haben sich noch immer nicht von den erschütternden Auswirkungen des Bürger*innenkriegs erholt. Der zerbrechliche Frieden der neuen bosnischen Einheit wird von 32.000 UN-Truppen aufrechterhalten, zu denen auch einige russische und ukrainische Truppen gehören. In Wirklichkeit ist Bosnien-Herzegowina jedoch ein Protektorat, das von den westlichen Mächten, allen voran den USA, geführt wird.

Die Regierungen der Regionen und Städte wurden in die Hände von Verwalter*innen gelegt, die von der Weltbank und dem IWF ernannt wurden. Sie setzen systematisch die Politik der freien Marktwirtschaft durch, erzwingen die Privatisierung der noch verbliebenen Staatsbetriebe und sorgen dafür, dass die Regionalregierungen und Stadtverwaltungen die Sozialausgaben kürzen. Ganz oben auf ihrer Prioritätenliste steht die Sicherstellung, dass die zersplitterten Behörden des bosnischen Protektorats in der Lage sind, die in der ehemaligen stalinistischen jugoslawischen Föderation aufgelaufenen Schulden an die westlichen Banken zurückzuzahlen. Der verarmte, undemokratische Zustand dieses Protektorats ist eine Warnung vor dem, was sich in Kosova unter einer vom Westen aufgezwungenen „Lösung“ entwickeln wird.

Milošević wird heute von westlichen Politiker*innen als „böser“ Diktator dargestellt, der von Clinton, Robin Cook und anderen mit Hitler verglichen wird. Doch während der Friedensgespräche von Dayton wurde Milošević von westlichen Politiker*innen als „Friedensstifter“ für den Balkan aufgebaut. Das war trotz der Tatsache, dass er der prominenteste Befürworter eines Großserbiens war und seine Macht durch Aufpeitschen des serbischen Nationalismus aufgebaut hatte. Trotz seiner militärischen Unterstützung für die blutige Rolle der serbischen Paramilitärs in Bosnien konnte er in Dayton die Rolle des „akzeptablen“ Gesichts des serbischen Nationalismus spielen, indem er Radovan Karadžić und die mörderischen Chef*innen der bosnisch-serbischen paramilitärischen Kräfte in das Abkommen einbezog und ihre Einhaltung garantierte.

Dayton brachte ein Ende der Kämpfe, zumindest vorläufig. Während jedoch einige der kleinen Mörder und Gangster vor den Internationalen Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag gestellt wurden, konnte Milošević seine Aufmerksamkeit wieder auf Kosova richten.

In Kosova führte die bittere Enttäuschung darüber, dass Dayton zum Status der Provinz schwieg, zu einer wachsenden Forderung nach Unabhängigkeit von Serbien. Die Unterstützung für Ibrahim Rugova, führenden Vertreter*innen der Demokratischen Allianz von Kosova und gewählter Präsident der im Dezember 1991 ausgerufenen illegalen „Republik Kosova“, wurde durch die Tatsache untergraben, dass er von Dayton nichts für Kosova erhalten hatte. Anfang 1996 trat die Kosova-Befreiungsarmee (KLA, albanisch UÇK) in Erscheinung und verübte Anschläge auf serbische Sicherheitskräfte und Vertreter*innen der serbischen Behörden. Dies wiederum führte zu einer wachsenden Zahl systematischer, mörderischer Angriffe auf Kosovar*innen durch serbische paramilitärische Kräfte. Letztes Jahr schaffte es der US-Sondergesandte Richard Holbrooke, eine begrenzte Einstellung der von den serbischen Streitkräfte durchgeführten repressiven Offensive auszuhandeln. Dies erwies sich jedoch nur als sehr vorübergehend. Dayton war keine Lösung, es war ein Faktor in der nachfolgenden Kette von Ereignissen. Dayton führte zu Rambouillet, Rambouillet führte zum jetzigen Krieg.


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