[Frühjahr 1934, eigene Übersetzung des französischen Textes in Œuvres 4, April 1934 – Dezember 1934, verglichen mit dem englischen Text in Writings of Leon Trotsky, Bd. 14, dort unter dem Titel „Suggestions for a French Program of Action“, „Vorschläge für ein französisches Aktionsprogramm“].
Der Nationalrat1 soll nicht ein Rat der Rechenschaftslegung, der Analyse der Vergangenheit, der allgemeinen Perspektiven sein, sondern ein Rat der Aktion und des Kampfes.
Er muss ein Aktionsprogramm ausarbeiten, das aus wesentlichen Punkten besteht, um unsere gesamte Propaganda, Agitation und Aktion zu leiten.
Da dieses Dokument nicht vorbereitet wurde, könnte sich der Nationalrat mit einer allgemeinen Diskussion über die in das Aktionsprogramm aufzunehmenden Losungen befassen und das EK (vielleicht mit Hilfe des IS) beauftragen, den endgültigen Text innerhalb einer Frist von höchstens zehn Tagen festzulegen. Das EK könnte eine etwas breitere Kommission bilden und einige Genossen von außerhalb des EK in die Ausarbeitung des Aktionsprogramms einführen.
Hier einige Vorschläge für das Programm selbst:
Die Frage der „Wirtschaft“, des „ausgeglichenen Haushalts“, ist die Frage der Kürzung von Löhnen, Renten, Arbeitslosenunterstützung usw., und das ist jetzt die brennendste Frage. Hier befinden wir uns in der Defensive, die jedoch auf präzise und energische Weise geführt werden muss.
Die herrschenden Klassen beklagen sich, dass sie keine neuen Steuern verkraften können. Sie belasten die Bauern und das Kleinbürgertum in den Städten mit Steuern und wollen die kleinen Angestellten, die Kriegsversehrten usw. aushungern. Es stellt sich die Frage: „Sind die herrschenden Klassen so arm geworden wie der arme Chiappe?“. Die herrschenden Klassen kennen die Einkommen, Löhne und Renten der kleinen Leute, die sie belasten und aushungern, sehr gut. Aber das Volk weiß überhaupt nichts über den Reichtum und das Einkommen der herrschenden Klassen. Sie verbergen sie, indem sie sich auf das „Geschäftsgeheimnis“, das „Berufsgeheimnis“ usw. berufen. All diese Geheimnisse sind nichts anderes als die Geheimnisse der Ausbeuter2, um ihre Ausbeutung besser durchführen zu können. Nieder mit den Geheimnissen der Reichen! Die Buchhaltung auf den Tisch! Bevor wir neuen Opfern zustimmen oder besser noch, sie ablehnen, wollen wir die wahren Einkünfte der Nation und ihre Verteilung sehen.
Die Stavisky-Affäre hat uns in konzentrierter Form einen winzigen Teil der „Nationalökonomie“ und ihrer Geheimnisse gezeigt. Wir wollen die gesamte Staviskerie der herrschenden Klassen kennenlernen. Nach unerhörten Anstrengungen werden uns einige Absätze von Staviskys Schecks präsentiert. Die Arbeiterklasse will mit eigenen Augen das gesamte Scheckbuch der Bourgeoisie sehen. Darin besteht das Wesen der Arbeiter- und Bauernkontrolle. Der Arbeiter muss die Möglichkeit haben, sich gründlich über alle Angelegenheiten seiner Industrie zu informieren. Die Bauern müssen mit Hilfe eines ehrlichen Bankangestellten die gesamte Buchhaltung der Banken kennen, die sie verschulden und ruinieren.
Wie auch immer der Plan zur Wiederbelebung des Wirtschaftslebens des Landes aussehen mag, die erste Voraussetzung ist absolute Klarheit über den Reichtum der Nation und seine Verteilung. Die Kriegsveteranen, die man wieder unter patriotische Parolen beugen3 will, haben das gleiche Interesse wie die Arbeiter und Bauern, die gesamte Maschinerie der Gesellschaft zu kennen, die zu Krise, Verschwendung4 und unerhörtem Betrug geführt hat. Unsere Parole lautet: „Kontrolle der Arbeiter und Bauern (einschließlich der Kriegsveteranen) über Banken, Handel und Industrie!“
Die Bourgeoisie wird dem niemals freiwillig zustimmen. Wenn ihre Geheimnisse ausgeplaudert werden, bleibt ihr, wie Stavisky, nur der Selbstmord. Aus diesem Grund hat sie ihre faschistischen Banden. Die Frage der Verteilung der nationalen Last wird ab sofort mit Waffengewalt gelöst. Das ist die Politik der Ausbeuter in Not!
Die Ausgebeuteten müssen sich verteidigen, auch um ihre mageren Löhne und Renten zu verteidigen. Sie müssen sich organisieren und sich gegen die reaktionären Banden des Kapitals bewaffnen.
Die „Humanité“ fordert seit Monaten die Entwaffnung und Auflösung der faschistischen Banden! Was für demokratische Illusionen! Wir haben gerade gesehen, wie die parlamentarische Untersuchungskommission die Losung der „Humanité“ über die Entwaffnung unterstützt hat. Man beginnt, das ist wahr, mit den Faschisten, da sie die einzigen Bewaffneten sind. Man schafft sich auf diese Weise einen demokratischen Deckmantel, um dem Proletariat nicht die Möglichkeit zu geben, sich zu verteidigen.
5Unsere Losung ist nicht die Entwaffnung der Banden des Finanzkapitals durch die Polizei des Finanzkapitals, sondern eine Arbeiter- und Bauernmiliz, d.h. die Bewaffnung des ausgebeuteten Volkes.
Man will uns mit dem Gespenst des Bürgerkriegs erschrecken. Wenn das wahre Volk sich bewaffnet, haben die Ausbeuter keine Möglichkeit, einen Bürgerkrieg zu entfachen. Im Gegenteil, wenn das Volk entwaffnet ist, werden die Ausbeuter, die in Bedrängnis sind, es durch einen Aderlass nach dem anderen beugen.
Unsere Losung lautet: „Arbeiter- und Bauernmiliz, Bewaffnung des Volkes!“.
Mit der Arbeiterkontrolle und der Miliz bleiben wir immer in der Defensive. Wir wollen nicht zulassen, dass die Gesellschaft in die Barbarei und den Zerfall zurückgeworfen wird. Aber das reicht nicht. Die Gesellschaft muss aus der Sackgasse herausgeführt werden, in der sie sich befindet, und dazu muss man die Volkswirtschaft von Grund auf neu schaffen, indem sie den Interessen des arbeitenden Volkes angepasst wird und die Privilegien der 6Oustricarden- und Staviskratengipfel geopfert werden.
Um die Wirtschaft neu zu erschaffen, braucht man eine Regierung des werktätigen Volkes, eine Arbeiter- und Bauernregierung. Es wird viel von einer starken Regierung gesprochen, und das nicht aus Zufall. Die Ausbeuter haben den Karren der Gesellschaft so tief in den Dreck gezogen, dass es einer wilden Energie und wahrhaft revolutionärer Anstrengungen bedarf, um ihn wieder herauszuziehen. Die Jakobiner haben uns vor hundertvierzig Jahren ein großartiges Beispiel gegeben. Es waren die Armen, die kleinen Leute, die Ausgebeuteten, die die Regierung der Montagne schufen, die stärkste Regierung, die Frankreich je gesehen hat, und es war diese Regierung, die Frankreich unter den tragischsten Bedingungen rettete. Außerdem hat uns die Oktoberrevolution in jüngster Zeit gezeigt, zu welchen Anstrengungen das werktätige Volk fähig ist, wenn es sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt. Die erste Voraussetzung für die Schaffung einer starken Regierung ist, dass die Arbeiter alle politischen Bindungen an die Bourgeoisie abbrechen. Der Block der Arbeiterklasse muss den Bauern und dem Kleinbürgertum in den Städten eine brüderliche Hand reichen, um gemeinsam dem Block der Ausbeuter energisch entgegenzutreten, ob sie sich nun „Regierung der nationalen Waffenruhe“, „Nationalunion“ usw. nennen.
Die Regierung, die direkt aus dem werktätigen Volk hervorgeht, muss die Kleinbauern von den Schulden befreien, die sie erdrücken, um ihnen in der Planwirtschaft einen Platz zu sichern, der eines zivilisierten Volkes würdig ist.
Die Bourgeois, die wahren Enteigner des Landes und der kleinen Leute im Allgemeinen, machen den Bauern Angst mit dem Gespenst einer gewaltsamen Enteignung durch das Proletariat. Das ist nicht wahr! Das Beispiel Sowjetrusslands, das übrigens von der bürgerlichen Presse entstellt wird, ist nicht die Regel. Frankreich hat große Vorteile: a) seine Bevölkerung ist viel zivilisierter als die Bevölkerung des zaristischen Russlands, b) das französische Proletariat kann sich auf die UdSSR stützen, c) es kann viele der Fehler vermeiden, die das russische Proletariat begangen hat, das mit der Umgestaltung der kapitalistischen Gesellschaft begonnen hat.
Was den Bauern, den Handwerker und den Kleinhändler erdrückt, ist die Konkurrenz und die Steuern. Indem die Regierung den Reichtum der Ausbeuter zugunsten des Volkes enteignet, kann sie die Steuern senken, die auf den Bauern und dem Kleinbürgertum in den Städten lasten. Durch die Ausschaltung der Konkurrenz durch die Planwirtschaft kann die Arbeiter- und Bauernregierung den kleinen Eigentümern (Bauern, Handwerkern, Händlern) die volle Freiheit lassen, über ihr Eigentum zu verfügen, und ihnen gleichzeitig staatliche Aufträge zu Preisen sichern, die ihren Lebensstandard erheblich anheben müssen.
Die Verstaatlichung der Banken, des Großgrundbesitzes, der Schlüsselindustrien und der Eisenbahnen bedeutet nicht die völlige Bürokratisierung des Wirtschaftslebens. Die staatliche Wirtschaft kann ein notwendiges Gleichgewicht mit der bäuerlichen und kleinbürgerlichen Wirtschaft schaffen, um ihr zu helfen, sie zu heben und ihr die freie Wahl ihrer Umwandlung zu überlassen. Das Proletariat kann sich gegenüber den Bauern verpflichten, dass die weitere Umgestaltung der Landwirtschaft nur mit Zustimmung der Bauern selbst erfolgen kann, und diese ehrlichen Verträge zwischen zwei Klassen müssen7 ihre Verwirklichung und gleichzeitig ihre Garantie in der Arbeiter- und Bauernregierung finden.
In dieser Perspektive erschließt sich der Sinn der Arbeiter- und Bauernkontrolle vor uns. Um die Banken, das Transportwesen und die Schlüsselindustrien sicher in ihre Hände zu nehmen, muss das arbeitende Volk zunächst durch seine gewerkschaftlichen Organisationen – Fabrik-, Bank- und Eisenbahnkomitees – das gesamte kapitalistische System durchdringen. Die Arbeiter- und Bauernkontrolle, die in ihrem ersten Stadium eine Verteidigungsmaßnahme gegen erdrückende Steuern und Lohnkürzungen ist, wird ganz natürlich zum vorbereitenden Schritt für die geplante, d.h. sozialistische Wirtschaft.
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PS. Dies sind nur zwischen Tür und Angel geschriebene Vorschläge, die nur als Ausgangspunkt für die Diskussion dienen sollen. Die Agrarfrage muss präzisiert werden. Man muss versuchen, ein Bild des Großgrundbesitzes zu geben und die Bestimmung des verstaatlichten Landes anzugeben (staatliche Farmen, Verteilung an Pächter, Produktionsgenossenschaften von Landarbeitern mit Staatskrediten usw.). Ebenso muss eine Tabelle der Verschuldung der Bauern machen und die Formel für die Befreiung der bäuerlichen Eigentümer von den Hypotheken, die sie erdrücken, angeben.
Für die Arbeiterklasse, und damit sollte man vielleicht beginnen, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Planwirtschaft den sofortigen Übergang zum 7-Stunden-Tag und für extraktive und ungesunde Industrien zum 6-Stunden-Tag sowie die Einführung eines vollendeten Systems von echten Sozialversicherungen ermöglichen wird.
Vor der Veröffentlichung des Aktionsprogramm muss man es vor den Mitgliedern der Liga und den Sympathisanten gründlich analysieren, um sie mit der Notwendigkeit einer konzertierten Kampagne zu erfüllen. Das das Aktionsprogramm enthaltende Manifest sollte kurz gefasst und in Form von Flugblättern weit verbreitet werden. Eine Sonderausgabe von „La Vérité“ (vielleicht sogar in einem größeren Format) und eine Sonderausgabe von „Octobre rouge“ sollten dieser Kampagne gewidmet werden; jeder Genosse sollte sich daran beteiligen, im vollen Bewusstsein der großen Aufgabe, die der Liga bevorsteht.
PS. Das Wesentliche ist, dass alles „schnell und hart“ erledigt wird: Maximal zehn Tage für die Ausarbeitung des endgültigen Textes. Der elfte und zwölfte Tag für die vorbereitenden Treffen und Vorstellungen in ganz Frankreich. Zur gleichen Zeit muss das Manifest in Druck gehen. In zwei Wochen muss Frankreich mehr oder weniger mit diesem Manifest „abgedeckt“ sein. Die Reden von Erwachsenen und Jugendlichen sollten es überall präsentieren.
Das 8ist unsere Sichtweise.
1In der englischen Übersetzung steht Nationale Konferenz, laut den Anmerkungen der Œuvres stand die verwendete Abkürzung CN für „Conseil National“
2In der englischen Übersetzung: „Arbeitgeber“
3In der englischen Übersetzung: „beeinflussen“
4In der englischen Übersetzung: „Verwirrung“
5Der folgende Satz ist aus der englischen Übersetzung ergänzt
6In der englischen Übersetzung: „Wucherer und Staviskys“
7In der englischen Übersetzung: „müssen“
8In der englischen Übersetzung: „sind meine Gedanken zu dem Thema“
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