Leo Trotzki: Brief an Jan Frankel

[26. Mai 1933, eigene Rückübersetzung der englischen Übersetzung, „Vorschläge für den Kongress“]

Lieber Jan,

der antifaschistische Kongress wird also nach Paris verlegt. Das ist ein großer Glücksfall. Wir hier hoffen, dass ihr alle Kräfte mobilisiert habt und dass kein einziges Mandat verloren geht.

Ich halte jetzt die Mobilisierung jeder Art von sympathisierenden und halb sympathisierenden Organisationen für sehr wichtig. Neben den Delegierten zum Kongress könnten Delegationen zu speziellen Fragen organisiert werden. Ich fürchte nur, dass es bereits zu spät ist. … So könnte zum Beispiel Sneevliets Organisation eine Sonderdelegation zu Rakowski, Victor Serge und anderen einerseits und Tschen Tu-hsiu andererseits entsenden. Ich fürchte, dass das Internationale Sekretariat nicht ausreichend erkennen wird, wie wichtig es für uns ist, auf einem solchen Kongress nicht allein zu sprechen und isoliert zu erscheinen, sondern zumindest in einigen spezifischen Fragen einen gewissen Rückhalt zu haben, der uns deckt. In der Frage von Victor Serge sollte zumindest eine kleine Gruppe französischer Schriftsteller mobilisiert werden. Vielleicht würden sich Monatte, Chambelland und Co. bereit erklären, in der einen oder anderen Form zur Frage von Rakowski und Victor Serge Stellung zu nehmen. Auch wenn sie sich nicht an den Arbeiten des Kongresses beteiligen, könnten sie eine Delegation zum Kongress schicken oder, als letztes Mittel, einen Brief, der dann in der Presse veröffentlicht werden könnte. Ich denke, dass es in der Frage von Rakowski und Victor Serge möglich wäre, auch an Rosmer und seine Freunde mit einem Vorschlag heranzutreten, Initiative zu zeigen. Es ist nicht nötig, dies offiziell zu tun. Schwartz [Sedow] oder jemand anderes könnte die Frage unter vier Augen ansprechen. In einer solch kritischen Lage darf nichts unter den Tisch fallen; jede zusätzliche Stimme, jeder Kontakt, jedes Dokument in Bezug auf Rakowski wird unsere Position auf dem Kongress und darüber hinaus stärken und könnte helfen, Rakowskis Schicksal zu erleichtern.

Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf folgende Angelegenheit lenken: Irgendwelche geheuerten Schurken schrieben in der „Rundschau“, dass T. über eine Beteiligung Dimitrows am Bombenanschlag auf die Sofioter Kathedrale informiert habe (oder so ähnlich). Es ist widerlich, überhaupt davon zu sprechen. Ich wollte zuerst eine polemische Notiz schreiben, aber die Abneigung gegen diesen Abschaum hat mich davon abgehalten. Dennoch bin ich der Meinung, dass der Kongress in der einen oder anderen Form genutzt werden sollte, um dieses System von üblen Verleumdungen zu brandmarken, das sich echte Spitzel zunutze machen können.

Ich habe mehrfach geschrieben, dass Terrorismus und Abenteurertum im Gefolge des Opportunismus der stalinistischen Bürokratie kommen. Der Gedanke an sich ist nicht neu. Es wurde seit langem gesagt, dass der Anarchismus die Strafe für die Sünden des Opportunismus ist. Allein die opportunistische, passive Politik in Deutschland und Bulgarien 1923 führte zu revolutionären Abenteuern in Bulgarien und Estland 1924. Für die politische Bewertung macht es absolut keinen Unterschied, wer die abenteuerlichen Aktionen geleitet hat. Nur verzweifelte Schurken könnten daraus einen verleumderischen Vorwurf der Denunziation machen und ihn mit der Verhaftung Dimitrows in Berlin in Verbindung bringen.

In dem Wunsch, mir zu schaden, schaden diese Leute in Wirklichkeit Dimitrow. Sowohl die deutschen als auch die bulgarischen Staatsanwälte werden die Verleumdungen der Stalinisten natürlich mit beiden Händen ergreifen: Seht her, werden sie sagen, T. gibt in der Presse zu, dass Dimitrow an dem Bombenanschlag auf die Sofioter Kathedrale beteiligt war. Es stimmt, so etwas habe ich nie und nirgends gesagt und konnte es auch nie sagen, denn Dimitrow hatte mit dieser Sache nichts zu tun. Aber für die Ankläger ist es nicht nötig, solche Beweise aus meinen Artikeln herauszufischen; für sie ist es ausreichend, was die Stalinisten darüber sagen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass die üble Verleumdung der Stalinisten genau darauf abzielt: dem Staatsanwalt und der Presse der Weißen Garde einen Bezug zu T. in der Angelegenheit der Explosion der Sofioter Kathedrale zuzuflüstern. Natürlich wird ein Weißgardist, wenn er diesen ganzen Müll ausnutzen will, nicht sagen: „T. hat laut den Stalinisten dies und jenes und dies und jenes zugegeben.“ Er wird einfach sagen: „T. hat dies und jenes zugegeben“, denn das wirkt viel überzeugender und nützlicher.

Wenn sich die Stalinisten auf dem Kongress überhaupt anständig verhalten, dann haben wir natürlich keine Notwendigkeit, auf dem Kongress eine so scharfe Frage aufzuwerfen. Aber es ist durchaus möglich, dass diese ganze Sache speziell für den Kongress vorbereitet wurde. Es ist notwendig, dass wir uns vorher wappnen. Vielleicht ein kleines Flugblatt vorbereiten, usw.

Es hat sich herausgestellt, dass mein Brief über die SAP bis heute nicht ins Deutsche übersetzt wurde. Vielleicht wurde er in Paris übersetzt? In diesem Fall schicke ihn schnell an Otto und an die Schweiz (für sie ist die Frage sehr wichtig, im Zusammenhang mit Schaffhausen).

Sh[achtman] ist schon seit vier Tagen hier. Jean [van Heijenoort] ist erkrankt, und Prof. Gass[in] schlug vor, dass er einige Tage im Krankenhaus bleiben solle, um eine Diagnose zu erhalten. Seit gestern Nachmittag befindet sich Jean im französischen Krankenhaus [in Istanbul],

Beste Grüße.

Ihr,

L.T.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert