Leo Trotzki: Brief an das Internationale Sekretariat

[21. Februar 1934, eigene Übersetzung der französischen Fassung in Œuvres 3, November 1933 – April 1934, unter dem Titel: „Le véritable sens de la déclaration de Rakovsky“ „Der wahre Sinn von Rakowskis Erklärung“, verglichen mit der auf Trotzkis Brief beruhenden Stellungnahme des Internationalen Sekretariats, veröffentlicht in der englischen Übersetzung im US-„Militant“].

Werte Genossen!

Das Telegramm betreffend die Erklärung Rakowskis wird zweifellos einen großen Eindruck hervorrufen. Man muss seinem negativen Einfluss mit einer sofortigen Erklärung von unserer Seite begegnen. Und wie immer ist der beste Weg, zu sagen, was ist.

Rakowski hat keineswegs im Sinne von Sinowjew, Kamenew und Co. „kapituliert“.1 Er verleugnete nicht ein einziges Wort der Ideen, in deren Namen er mit uns kämpfte. Er hat keine angeblichen Fehler der Linken Opposition zugegeben. Er verkündete nicht die Richtigkeit der herrschenden Politik. Unter den Bedingungen der UdSSR, die wir alle kennen, ist dieser wesentliche Zug von Rakowskis Erklärung von außergewöhnlicher Beredsamkeit. Er unterstreicht nur die Tatsache, dass Rakowski theoretisch und politisch nichts von seiner Vergangenheit aufzugeben oder abzuschwören hat.2

Rakowski erklärt, dass er seinen Kampf einstellt und sich der Disziplin unterwirft. Das ist der einzige Inhalt seiner Erklärung. Um diese Erklärung in ihrem richtigen Wert einschätzen zu können – und natürlich verurteilen wir sie -, muss man die Situation verstehen, in der sich Rakowski befand. In der Tat hatte er den aktiven Kampf seit drei oder vier Jahren eingestellt.3 Er konnte weder mit seinen Freunden kommunizieren noch Artikel schreiben noch Literatur von der Linken Opposition erhalten und generell keine Informationen über die internationale Arbeiterbewegung erhalten. In seiner absoluten Isolation blieb er ohne jegliche Perspektive.

Rakowskis Erklärung war zwar weit davon entfernt, eine ideologische oder politische Kapitulation zu sein, aber dennoch eine Tatsache, die nicht nur höchst bedauerlich, sondern auch verurteilenswert ist. Dieses Beispiel wird von der stalinistischen Bürokratie zweifellos umfassend genutzt werden, um viele der eingesperrten und isolierten Jugendlichen wie Rakowski auf den Weg der Kapitulation zu führen, vielleicht nicht einmal4 auf die Art Rakowskis, sondern auf die Sinowjews.

Wir haben oft wiederholt, dass die Wiederherstellung der Kommunistischen Partei in der UdSSR nur auf internationalem Wege erfolgen kann. Der Fall Rakowski bestätigt dies auf negative, aber durchschlagende Weise. Die Bolschewiki-Leninisten in der UdSSR kennen aus der Prawda nur5 die nackten Tatsachen des internationalen Lebens: Hitlers Sieg, die Kriegsgefahr, jetzt die Zerschlagung des österreichischen Proletariats. Sie haben keine Möglichkeit, sich über die wahren Ursachen dieser Ereignisse zu orientieren oder die verschiedenen Formationen in der Arbeiterbewegung zu erkennen.

Um wieder eine starke internationalistische kommunistische Bewegung in der UdSSR zu schaffen, muss der Kampf für die Vierte Internationale Gestalt annehmen und zu einem mächtigen Faktor werden, den die stalinistische Bürokratie nicht länger vor den Augen der sowjetischen Arbeiter, einschließlich der Bolschewiki-Leninisten, verbergen kann. Wir registrieren die rein formale Erklärung des alten Kämpfers, der durch sein ganzes Leben seine unerschütterliche Hingabe an die revolutionäre Sache bewiesen hat, wir registrieren sie mit Schmerz und gehen zur Tagesordnung über, d.h. zum doppelt energischen Kampf für neue Parteien der neuen Internationale.

1 In der IS-Stellungnahme ist der Beginn von Trotzkis Brief umformuliert: „L’Humanité veröffentlicht am 21. Februar ein Telegramm aus Moskau, in dem mitgeteilt wird, dass Rakovsky seinen Kampf aufgibt und sich der Disziplin unterwirft. Zweifelsohne muss diese Nachricht bei allen Arbeitern einen tiefen Eindruck hinterlassen, die den alten Kämpfer kannten und ihm folgten.

Es war immer unser Motto, auszusprechen, was ist. Auch diesmal wollen wir weder beschönigen noch verheimlichen.

Das Telegramm über die Erklärung Rakowskis sagt uns jedoch, dass Rakowski nicht nach der Art von Sinowjew, Kamenew und Co. „kapituliert“ hat.

2 In der in „The Militant“ wiedergegebenen IS-Stellungnahme ist hier eingeschoben: „In einem Interview mit dem Genossen Trotzki zu diesem Thema äußerte er sich wie folgt:” und dann folgt der weitere Text als Zitat gekennzeichnet und nach dem Zitat die Unterschrift: „Internationales Sekretariat der Liga der Internationalisten-Kommunisten (Bolschewiki-Leninisten)

3 In der IS-Stellungnahme in „The Militant“: „In der Tat war er in Bedingungen versetzt, in denen er den aktiven Kampf seit drei oder vier Jahren eingestellt hat.“

4 In der IS-Stellungnahme in „The Militant“ statt „vielleicht nicht einmal“: „nicht“

5 In der IS-Stellungnahme in „The Militant“ „nicht“


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