L. Trotzki: An die Redaktion der „Oktober-Briefe“

[7. Oktober 1932, eigene Übersetzung des russischen Textes, abgedruckt in Бюллетень Оппозиции {Bjulleten‘ Opposizii, Bulletin in der Opposition} Nr. 32]

Werte Genossen!

Meine Berliner Freunde teilen mir Ihren Wunsch mit, von mir einen Artikel für Ihre Publikation zu bekommen. Da Sie einen Kampf dafür führen, die SAP von ihrem derzeitigen zentristischen Wege auf den Weg des Kommunismus zu bringen, bin ich, selbstverständlich, bereit, Ihnen auf jede erdenkliche Weise Beistand zu leisten.

Jetzt würde ich nur in einigen Worten die Aufmerksamkeit Ihrer Leser auf eine in höchstem Grade lehrreiche Notiz in der SAZ von 28. September lenken, unter dem Titel „Aufstand der Parteimitglieder in der KPD“. Diese Notiz teilt nicht nur sehr interessante Fakten aus dem Innenleben der KPD mit, sondern wirft auch ein grelles Licht auf die Führung der SAP selbst. Ich werde aus dieser Notiz drei Punkt herausgreifen, von welchen jeder wirklich programmatische Bedeutung hat.

1. Der Untertitel der Notiz lautet „Gegen den ultralinken Zickzackkurs der Führung“. Welche Bedeutung haben diese Worte? Ein Kurs kann ultralinks sein, aber er kann kein „ultralinker Zickzackkurs“ sein. In der Tat vollführen die Stalinisten Zickzacks zwischen Ultralinkstum und Opportunismus: gerade darin drückt sich auch der zentristische Charakter der Stalinschen Fraktion aus. Aber Seydewitz, wie auch Brandler und Thalheimer, sehen in der Stalinschen Politik nur das „Ultralinkstum“, schließen die Augen vor ihren nicht weniger eindrucksvollen opportunistischen Wendungen und Heldentaten. Zur gleichen Zeit, jedoch, entlehnt die SAZ bei der linken Opposition das Wort „Zickzack“ für die Bestimmung des Stalinschen Kurses. Man erhält einen eklektischen Unsinn.

Die Brandlerianer sprechen nur über das Ultralinkstum der Stalinisten, weil die Brandlerianer die Zickzacks auf die Seite des Opportunismus zusammen mit den Stalinisten machten und machen. Was Seydewitz und Co betrifft, haben sie überhaupt nicht den Weg der proletarischen Revolution seit den Zeiten des Weltkriegs in allen seinen Etappen durchdacht. Kritik der linken Opposition halten sie, natürlich, für Sektierertum. Umso weniger kritisch käuen sie die Weisheit Thalheimers wieder.

2. Die Notiz der SAZ legt einen Artikel aus Nr. 6 der Zeitung der innerparteilichen Opposition dar. Leider sah ich diese Publikation („Kritische Parteistimme“) nicht. Die Darstellung der SAZ ruft lebendigstes Interesse hervor. Die oppositionelle Zeitschrift unterzog sowohl die Politik der offiziellen Führung als auch das Parteiregime einer schroffen Kritik. Die SAZ berichtet weiter über einen „Brief eines Delegierten des Amsterdamer Antikriegskongresses, der die ganze Leere und Theatralik dieses Unternehmens offenbart“. Ein überaus grelles und wichtiges Symptom!

Was ist, jedoch, die Beziehung der SAZ selbst zu den Stimmen der innerparteilich-kommunistischen Opposition? Wir lesen: „das, was hier kritisiert und gefordert wird, entspricht vollständig dem, was die SAP in der ganzen Zeit ihrer eigenen Existenz in Beziehung auf die KPD sagte. Dies ist tatsächlich die beste Bestätigung der Richtigkeit unserer Politik“.

ich habe nicht die Möglichkeit die Bestätigung der SAP in allen Fragen nachzuprüfen, weil mir, wie gesagt, die „kritische Parteistimme“ nicht zur Verfügung steht. aber die eine Frage zu Amsterdam reicht wohl aus. Wo und wann charakterisierte die SAZ den Amsterdamer Kongress als leeres theatralisches Unternehmen! Doktor K. Rosenfeld vertrat die SAP auf dem Antikriegskongress. Entlarvte er da die Prinzipienlosigkeit des Blocks der Stalinisten mit bürgerlichen Radikalen, Freimaurern, pazifistischen Generalen und Hindu-Nationalisten? Stimmte er dort gegen das hochtrabende und treulose Manifest, das jede Grenzlinie zwischen Marxismus und Pazifismus ausradierte? Unterstützte er die Widersprüche der 6 Vertreter der internationalen linken Opposition? Setzte er seine Unterschriften unter unser Manifest? Keineswegs. Der Vertreter der SAP nahm seinen Platz in der Amsterdamer theatralischen Vorstellung in der Rolle eines unterwürfigen Schauspielers ein.

Auf welcher Grundlage aber schreibt die SAZ über die „Bestätigung der Richtigkeit unserer Politik“?

3. Die Notiz schließt mit den Worten: „Nur eine völlige Änderung des Kurses, eine Reform der KPD und Komintern von unten bis zur Spitze können hier helfen“. Reform? Folglich ist eine Reform möglich? Folglich sind KPD und Komintern noch nicht von der Geschichte zum Verschrotten verurteilt? Aber mit welchem Recht erklärt sich dann die SAP zur dritten Partei und schickt sich an, das Erbe von SPD und KPD zu übernehmen? Eine selbständige Partei kann nur einen Weg haben: den Weg der Liquidierung der KPD. Der Weg der Reform ist, umgekehrt, der Weg der Wiedergeburt der KPD. Zwischen diese zwei gegensätzlichen Wegen muss man wählen. Selbst das Wort „Reform“ – in Beziehung auf Partei und Komintern – entlehnt die SAZ aus der Plattform der linken Opposition. Wie und warum? Deshalb, weil innerhalb der kommunistischen Partei ein leichter frischer Wind aufzog. Die SAZ will ihre Verwandtschaft mit der innerparteilichen Opposition beweisen. Das Bestreben eine neue Gruppe zu gewinnen, ist durchaus legitim für jede politische Organisation. Aber erforderlich ist eine prinzipielle Basis. Diese Basis hat die Führung der SAP nicht. Sie handelt im Namen einer eigenständigen Partei und spricht in der gleichen Zeit über die „Reform“ der KPD. Sie vereinigt sich in der internationalen Arena mit verschiedenen hoffnunglos-zentristischen Organisationen und spricht in der gleichen Zeit über die Reform der Komintern.

Eine solch Führung ist fähig, jede beliebige Organisation in den Tod zu führen. Das wollte ich Ihnen in der ganzen erforderlichen Offenheit sagen.

L. Trotzki

Prinkipo, 7. Oktober 1932


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