Clara Zetkin: Dem Verdienst seine Krone

[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 20. Jahrgang Nr. 19, 20. Juni 1910, S. 289 f.]

Es gibt bei den Ministern und den bürgerlichen Parteien noch Verständnis für wahre Notlagen. Das ist die tröstliche Erkenntnis, die sich angesichts der Erhöhung der Zivilliste, welche der König von Preußen bezieht, wenigstens – den amtierenden Monarchen aufdrängen muss, die, ach! so bedürftig sind. In der Tat: Über Nacht hat eine hohe preußische Staatsregierung den schreienden Notstand der regierenden Hohenzollernfamilie ermittelt und nachgewiesen. Mit der Geschwindigkeit des Hexeneinmaleins haben die Gesetzgeber im Hause des GeldsackwahIrechts die Rechnung nachgeprüft, für richtig befunden und beglichen, eine nachahmenswerte Beherzigung des Grundsatzes betätigend, dass doppelt gibt, wer schnell gibt. Einzig und allein die sozialdemokratischen Abgeordneten waren hartherzig genug, durch ihr misstönendes Nein die Harmonie der einsichtsreichen Notlindernden zu stören. Diesen „Hetzern“, die nicht gelten lassen wollen, dass unten an der sozialen Stufenleiter der „wahre Reichtum“ bei 900 Mk. Jahreseinkommen und weniger mit Bedürfnislosigkeit, Zufriedenheit und Frömmigkeit beginnt, mangelt natürlich auch das Verständnis dafür, dass oben die „echte Bedürftigkeit“ bei einem Jahresgehalt von rund 15.700.000 Mk. mit den Verpflichtungen des höfischen Um und Auf zu finden ist. So verschlossen sich „die Kerls“ der Wucht der Gründe, dieses Gehalt um 3½ Millionen alljährlich aufzubessern. Gründe, für welche die Vertreter von „Besitz und Bildung“ ein so feines Gehör wie mitfühlendes Herz bekundeten.

Tiefer, leidenschaftlicher Zorn muss die vielen Millionen Habenichtse und wenig Bemittelten schütteln, wenn sie des Vorganges gedenken und die Dreistigkeit der Fordernden wie die Gewissenlosigkeit und Bedientenhaftigkeit der Bewilligenden unbefangen werten. Wurden die Ausgaben des preußischen Staates nicht um die 3½ Millionen in einer Zeit gesteigert, wo die Nachwirkung der Krise und die unausbleiblichen Folgen des Zoll- und Steuerwuchers die Pein der Ausgebeuteten verschärfen und die bittersten Entbehrungen zum tagtäglichen Lose von Hunderttausenden machen; wo der nackte Hunger ein ständiger Gast in den Familien der Tabak- und Zündhölzchenarbeiter ist, denen die räuberische „Finanzreform“ das Brot entrissen oder geschmälert hat; wo es an den Mitteln fehlt, das Elend bettelnder Kriegsveteranen zu mildern, von anderen Aufgaben der Kultur und Menschlichkeit zu schweigen? Und sind es nicht die Steuerzahler bis zu den armen Teufeln herab, die die Kasse füllen müssen, aus welcher der Krone der neue Millionensegen zufließt? Angesichts dieser Tatsachen allein schon versagen alle gequälten Versuche der Geheimräte und ihrer freiwilligen wie unfreiwilligen Helfershelfer, die Erhöhung der Zivilliste auf rund 19 Millionen zu rechtfertigen. Bloße Verlegenheitsphrasen erscheinen die Gründe, die dafür von Leuten angeführt worden sind, die jeden Pfennig Lohnaufbesserung für die Arbeiter und Arbeiterinnen, jeden Deut Aufwendung für die sozialen Reformen als den Ruin des deutschen Wirtschaftslebens mit zäher Tücke unter Gebrauch und Missbrauch aller Machtmittel bekämpfen.

Die bedeutende Teuerung der Lebenshaltung soll die Liebesgabe von 3½ Millionen jährlich an eine Familie mit vielfachem Millioneneinkommen zu einer Tat sozialer Billigkeit erhoben haben. Reden wir ein wenig von dieser Teuerung! Lastet sie nicht verheerend, aushungernd auf dem leiblichen und geistigen Bedarf der Massen, die mit Hand und Hirn für ihre Existenz fronen müssen? Wird sie nicht von jeder Arbeiterfrau empfunden, die mit 15 Mk. wöchentlichen Haushaltungsgeldes eine Familie von fünf Köpfen und mehr speisen und kleiden soll; von jeder Arbeiterin, die mit einem Wochenlohn von 12 Mk. ihre gesamten Bedürfnisse zu bestreiten gezwungen ist? An die Front, ihr Herren Befürworter des Ausgleichs zwischen Teuerungspreisen und Einkommen, wenn Proletarier in opferreichen Kämpfen Hungerlöhne abwehren wollen! Auch ohne die Erhöhung der Zivilliste brauchte die königliche Familie der Hohenzollern nicht davor zu zittern, dass den Teuerungspreisen das Gespenst des Bankrotts auf dem Fuße folgen würde. Außer der Krondotation verfügt sie über ein ungeheures Privatvermögen, und da der König von Preußen einer der größten Grundbesitzer seines Landes ist, so hat der Zoll – und Steuerwucher in seine Privatschatulle ebenfalls einen steigenden Goldstrom geleitet. Genosse Singer verwies 1901 im Reichstag darauf, dass die geforderte Zollerhöhung auf Getreide die Einnahmen des Kaisers, der keinen Brotwucher wolle, um etwa 680.400 Mk. im Jahre steigern werde. Bürgerliche Blätter haben das Privateinkommen aus den riesigen Krongütern auf 8 Millionen Mark im Jahre geschätzt. Sogar wenn es mit der kaum glaublichen Abwärtskorrektur dieser Summe auf 1.700.000 Mk. seine Richtigkeit hätte – Minister v. Rheinbaben gab sie um den Preis des sozialdemokratischen Vorwurfes einer unerhörten Misswirtschaft in den Kauf –, wären die Jahreseinnahmen der regierenden Hohenzollern mehr als ausreichend, die Teuerungsperiode zu überstehen, ohne dass etwa die fürstlichen Frauen und Kinder zu konkurrierendem Mitverdienst gezwungen würden. Zumal – auch das Organ der rheinisch-westfälischen Kapitalmagnaten gibt das zu – wenn die Krone ein wenig von jener Sparsamkeit üben wollte, die ihre Minister, auf deutsch Handlanger, gelegentlich so eindringlich den Proletariern predigen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die königliche Hofhaltung Unsummen verschlingt, die das übliche Maß fürstlichen Aufwandes bei weitem übersteigen. Da ist ein Heer von standesgemäß müßiggehenden Schranzen und Lakaien, da sind die verschwenderischen Reisen und Feste, die luxuriösen Jachten und Salonzüge, die kostspieligen marmornen Puppenalleen usw.

Von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, hat die bürgerliche Presse in dieser Beziehung kaum auf das hinzudeuten gewagt, was sich die Spießbürger „einerseits“ bewundernd, „andererseits“ empört am Stammtisch zuflüstern. Die bürgerlichen Politiker aber haben sich gar gestellt, als ob sie mit dem ersten besten Rheinbaben zusammen von dem Notstand erschüttert wären, der der königlichen Familie daraus erwächst, dass zahlreiche Prinzen und Prinzessinnen verheiratet, ausgestattet und mit Apanagen versehen werden müssen. Wie leicht und schnell pflegen die Herren nicht die Familiensorgen der Arbeiter und kleinen Leute mit einem hochmütigen Achselzucken und dem Rate zahlungsfähiger Moral abzutun: „Schafft euch keine Kinder an, wenn ihr sie nicht erhalten könnt!“ Ihrer Meinung nach kann Preußen offenbar weit weniger einige Dutzend repräsentierender Hohenzollernsprösslinge als Hunderttausende Wert schaffender Arbeiter und Arbeiterinnen entbehren.

Allerdings hatten die Jasager zur Millionenzuwendung an die Krone außer deren Bedürftigkeit noch zwei Argumente in ihrem Sack. Mit den 3½ Millionen, so versichern sie treuherzig, solle die Krone für den Edelmut entschädigt werden, mit dem sie 1820 die Domänen und Forsten gegen eine feste Jahresrente von 2½ Millionen Taler an den Staat abgetreten habe. Da seither der Wert der Domänen und Forsten und ihre Einkünfte gewaltig gestiegen seien, gelte es, durch Erhöhung dieser Rente eine Pflicht der Gerechtigkeit gegen die königliche Familie zu erfüllen. Diese Logik hat wie die besungene Selbstlosigkeit der Krone ein Loch, und obendrein ein großes. Davon abgesehen, dass die ausbedungene Rente bereits zweimal erhöht worden ist, hat die preußische Krone 1820 dem Staat nur gegeben, was des Staates war, und sich für dieses recht billige Opfer „eine feste Vorzugsrente“ gesichert, um mit der „Vossischen Zeitung“ zu reden. Wie wär’s außerdem, wenn die Bewilligungsfanatiker die Konsequenzen ihrer Auffassung ziehen und allgemein recht sein lassen wollten, was einem Königsgeschlecht billig sein soll! Hunderttausende von Bauern, von Proletariern hätten dann dem gestiegenen Werte des Grund und Bodens entsprechend Rechtsanspruch auf eine Entschädigung für den Besitz, der ihnen oder ihren Vorfahren von Junkern und Spekulanten einst billig abgefuggert worden ist.

Eine Seifenblase ist die Berufung aus die notwendigen großen Aufwendungen der Krone für die Hoftheater von Berlin, Hannover, Kassel und Wiesbaden. Sie soll die künstlerische, kulturelle Berechtigung der Liebesgabe erglänzen lassen, zerplatzt aber in der rauen Luft der Wirklichkeit. Solange die Hoftheater im Zeichen Lauffschen dramatisierten Byzantinismus und leerer szenischer Prunkstücke stehen; solange sie durch die Eintrittspreise den Massen verschlossen bleiben: sind sie nicht Pflegestätten nationaler Kultur, die besondere Unterstützung auf Kosten der Gesamtheit beanspruchen können. Sie sind Institute für die Zerstreuung der oberen Zehntausend und mögen von diesen erhalten werden. Die Einkünfte des preußischen Königshauses hätten überdies auch ohne die Erhöhung der Zivilliste dem Monarchen erlaubt, sein bekanntes leidenschaftliches Interesse für die Kunst, wie er sie versteht, ausgiebig zu betätigen.

Die Forderung der Regierung hat das gesteigerte Machtbewusstsein zum Ausdruck gebracht, das ihr, das dem persönlichen Regiment aus dem Verfall des Liberalismus erwachsen ist, wie ihn der Kampf um das preußische Wahlrecht deutlich offenbarte. Die Bewilligung quittierte darüber, dass der greisenhafte Liberalismus bis zum „unentwegten“ Fortschritt richtig eingeschätzt worden ist. Noch im Jahre 1893 hat Eugen Richter mit acht freisinnigen Abgeordneten gegen die damals beantragte Erhöhung der Krondotation gestimmt. Jetzt ist auch nicht eine einzige fortschrittliche Stimme gegen die Liebesgabe gefallen, und nicht einmal der „linkeste“ Fortschrittler hat einschneidende sachliche Kritik an ihr geübt. Parallel zu seinem Verhalten gegen den Militarismus hat sogar der äußerste Flügel des Liberalismus seine Stellung zur Monarchie nach rückwärts revidiert und sich vom schwarzrotgoldenen Republikanismus zum schwarzweißen Byzantinismus durch gemausert. Hier wie da die gleiche Rückzugsstrategie. Zuerst die Einstellung des grundsätzlichen Kampfes und die Verschanzung der „allergetreuesten“ Opposition hinter die Zweckmäßigkeitsgründe der Sparsamkeit, mit ihren Entscheidungen von Fall zu Fall, wie sie der Kleinbürger liebt, der über die Verschwendung der Mächtigen gern wettert, aber noch lieber den Titel als Hoflieferant nimmt. Dann die Räumung auch dieser Position und der übertritt mit fliegenden Fahnen in das Lager des Großkapitalismus, der heute des Militarismus so wenig entraten kann wie des starken Regiments, das in Deutschland die Monarchie allein noch zu verbürgen scheint. Neben der starken Faust aber bedürfen die herrschenden Klassen auch des kostspieligen höfischen Pomps. Je ohnmächtiger sie werden, in der stickigen, mit Verfallsprodukten geschwängerten Luft ihrer Klassenherrschaft eine großzügige Kunst, eine menschheitsumfassende Kultur zu entwickeln, um so stärker wächst ihr Drang, sich und den Ausgebeuteten vorzutäuschen, dass der höfische Luxus Kultur, dass die Amüsements des Gottesgnadentums Lebensäußerungen der Kunst seien. Die sauertöpfische kleinbürgerliche Sparsamkeit hält um so weniger stand, als es die frondenden Massen sind, die mit ihrer Arbeit die Kostenrechnung begleichen müssen. Die Losung der bürgerlichen Parteien wird immer mehr: dem Verdienst seine Krone.

Die Sozialdemokratie wird den Zusammenhang der Dinge den Massen mit allem Nachdruck zum Bewusstsein bringen. Sie nutzt die schneidigen Waffen, die ihre Feinde selbst ihr zum Kampfe gegen das persönliche Regiment, gegen die Monarchie in die Hand drücken. Ohne irgendwie nach bürgerlichem Muster die republikanische Staatsform zu überschätzen, lehrt sie das Proletariat, sie in ihrer Bedeutung für den Austrag der Klassengegensätze zu würdigen. So bereitet sie die Stunde vor, in welcher der zielklare stahlharte Wille der Arbeiterklasse allen politischen Urväterhausrat in die historische Rumpelkammer fegen wird.


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