Clara Zetkin: Die Flottenvorlage

[Gleichheit, 10. Jahrgang, Nr. 4, 14. Februar 1900, S 25 f.]

Unerwartet, wie der Dieb in der Nacht, ist die Flottenvorlage nur für die wenigen naiven Gemüter gekommen, die da wähnten, das das Flottengesetz von 1898 sowohl die Regierung wie die Volksvertretung binde und der Abschluss des Marinetaumels sei, nicht aber sein Anfang. Ihre Vorgeschichte füllt eins mehr von jenen Blattern, welche so charakteristisch für das Wesen der deutschen Reichsherrlichkeit sind und insbesondere eindringlich erzählen, wie weit wir uns den Zustanden nähern, die im Zeichen des Homerschen Verses stehen: „Einer nur soll Herr sein, Einer nur König“

Kaiserliche Reden, denen Dank unseres spezifisch deutschen Konstitutionalismus die Bedeutung bestimmender politischer Ereignisse eignet, haben die Flottenvorlage angekündigt und eingeleitet. Noch früher schon hatte der Klüngel der am Schiffs- und Kanonenbau interessierten Großindustriellen der Flottenvermehrung das Tamtam geschlagen, angeeifert von den „vertraulichen Anfragen“ Posadowskys des Liebenswürdigen, die Leistungsfähigkeit ihrer Werke betreffend, das heißt reichen Gewinn verheißend. Ein sicheres, glänzendes Geschäft in Sicht! Das dankbar-zahlungsfähige Herz der Herren ließ in der Presse und im Flottenverein Schweinburgs Begeisterung hoch emporlodern. Die Flottenvorlage beherrschte das politische Leben, beherrschte die Budgetdebatte des Reichstags, noch ehe ihr der Bundesrat zugestimmt und damit eine verfassungsmäßig gültige Existenz verliehen hatte. Nun liegt sie dem Reichstag zur Entscheidung vor.

Was bezweckt die Flottenvorlage, das Kind romantischer Weltmachtfantasterei und nüchternen, profitlüsternen Prozentpatriotismus? Reichsherrschaft soll mit Seeherrschaft gleichbedeutend sein. Deutschland soll eine Seemacht ersten Ranges werden, die es mit jeder anderen Seemacht erfolgreich aufzunehmen vermag. Eine starke Flotte soll uns den Besitz von „Plätzen an der Sonne“ sichern, wo – wie auf Prinz Heinrichs Ostasienfahrt – „das Evangelium von Seiner Majestät geheiligter Person“ verkündigt werden kann.

Und die Kostenrechnung, die dafür dem deutschen Michel präsentiert wird? Für Durchführung des Flottenplans ist bis 1916 das nette „Kapitälchen“ von 4585 Millionen veranschlagt. Rechnet man dazu noch die Ausgaben für die Schiffe, die in diesem Jahre in Bau gegeben und die 1920 vollendet werden, so erhöht sich der Betrag auf fast 6 Milliarden, nämlich auf 5921 Millionen. Ja, die nötigen Aufwendungen werden jedenfalls diese Riesensumme noch übersteigen Die Kosten für Werften, Docks, Hafenanlagen „lassen sich nicht veranschlagen“.

Welches aber sind die Umstände, die vorgeblich unabweisbar machen sollen, dass Milliarden im buchstäblichen Sinne des Wortes ins Wasser geworfen und verpulvert werden? Weder die „Begründung“ noch die „Denkschrift“ zur Flottenvorlage vermag Tatsachen, Erwägungen anzuführen, welche vor einer ernsten Prüfung standhalten. An Stelle zwingender Beweise, welche sich mit unwiderstehlicher Wucht Geltung verschaffen, stehen leichtfertig zusammengestoppelte Zahlen und seichte Allgemeinheiten, wie sie Bülows Flottenrede zierten, und wie sie als Möchtegern-Begründung jedes Flottenplans überhaupt aufmarschiere können Die großen und kleinen Schweinburgs, die ihre Schwärmerei für die Wasserzukunft Deutschlands bar gegen bar in der Presse und den Flottenvereinen feilhalten, sind außerstande, über den Mangel hinwegzutäuschen. Die Professoren, welche die Flottenvorlage als ersehnten, willkommenen Anlass verehren, ihren Byzantinismus in empfehlende Erinnerung zu bringen und billige Absolution für ihre Verurteilung der Zuchthausvorlage zu erlangen, mühen sich vergebens, die nebelhaften Ziele und die maßlosen Forderungen des Marine-Plans mit dem Schein wissenschaftlicher Grunde auszustaffieren.

Wer nicht auf den beschränkten Untertanenverstand oder auf das Profitbegehren der Kanonen -, Panzerplatten- und Werftkönige eingeschworen ist, dem ist noch immer nicht die Erkenntnis gereift, das eine starke Schlachtflotte die unerlässliche Vorbedingung für eine kräftige, gedeihliche Handelsentwicklung sei. Er halt an der „altmodischen“ Überzeugung fest, das der einheimischen Industrie die ausländischen Markte erschlossen werden durch gute, preiswerte Waren; geschickte wohlunterrichtete Agenten und Kaufleute, verständige Handelsverträge, welche die internationalen wirtschaftlichen Schranken niederreißen und nicht solche aufbauen. Und nur sozialpolitische Kinder lassen sich durch das Märchen narren von den „Segnungen“, mit denen die Flottenvermehrung in Folge der gesteigerten Tätigkeit im Schiffs- und Kanonenbau die deutsche Arbeiterklasse begnaden wurde. Die Arbeiter wissen, das die Aufwendungen für Marine- und Militärzwecke volkswirtschaftlich auf einer Stufe stehen mit den Luxusausgaben der Besitzenden. Sie wissen, dass sie die Zeche der verheißenen „Segnungen“ zu zahlen haben, und dass nur eine Handvoll Großindustrieller reichen Gewinn einsackelt. Die Promptheit aber, mit welcher ausländische Machte den deutschen Flottenplan mit der Ankündigung einer bevorstehenden Marinerüstung ihrerseits beantwortet haben, lässt die Behauptung in sich selbst zusammenbrechen, dass die Rücksicht auf die Wehrfähigkeit des Vaterlandes den Bau der neuen Geschwader gebiete. Die Durchführung des Flottenplans eröffnet das Wettrüsten zur See, auf Grund dessen die Staaten einander zwar mit größeren Mitteln, aber im alten Stärkeverhältnis gegenüberstehen Die berüchtigte „Schraube ohne Ende“ beginnt auch in dieser Hinsicht zu funktionieren und bedingt ein entsprechendes Funktionieren der Steuerschraube.

Denn daran kann kein Zweifel sein, dass betreffs Aufbringung der Mittel, welche der Flottenplan erfordert, es wiederum heißen wird: „Die Masse muss es bringen.“ Die Regierung sieht zur Deckung der Kosten im Verlaufe von 16 Jahren eine Anleihe von 769 Millionen vor, für welche die Proletarier zinsen müssen. Die übrigen erforderlichen Hunderte und Tausende von Millionen sollen durch „die ordentlichen Einnahmen für Marinezwecke“ aufgebracht werden, das heißt durch indirekte Steuern, welche die Bedürfnisse der kleinen Leute belasten. Ins Blaue hinein nehmen die Befürworter der Vorlage an, das die Einnahmen gleichen Schritt mit den künstlich ins Ungeheure gesteigerten Ausgaben halten müssen. Wie ober, wenn dies nicht der Fall ist? Wer fühlt sich genug Prophet, um eine sechzehnjährige Dauer des jetzt noch herrschenden wirtschaftlichen Aufschwungs zu verkünden und in der Folge anhaltend hohe Steuererträge? Die Regierung selbst deutet denn auch zart den Fall an, das die „ordentlichen Einnahmen“ nicht genügend groß sein können, um die Wunsche der Kolonialfexe, Weltmachtsutopisten und Kanonengewaltigen zu verwirklichen. Entweder heißt es dann nach ihr neue Einnahmequellen erschließen oder Pump auf Pump anlegen. Für das arbeitende Volk ist das gehupft wie gesprungen. Mag die längst ersehnte Erhöhung der Bier- und Branntweinsteuer eintreten; mögen noch andere Abgaben erhöht oder neue eingeführt werden; mögen Anleihen die Kosten für „die Flotte auf Pump“ beschaffen: die arbeitende Masse wird in jedem Falle die Hauptträgerin der neuen, verdruckenden Lasten sein.

Die Kreise, aus denen sich die brünstigsten Rufer nach der Flottenvermehrung rekrutieren, lassen gern dem „Plebs“ die Ehre, aus seinem schmalen Beutelchen für ihre Liebhabereien und Vorteile aufzukommen. Die paar flottenfreudigen Männlein, welche von ihrem Überfluss eine Gabe auf den Altar der Flottenvermehrung niederlegten, sind verlassene Eingänger geblieben. Weder Fürsten von Gottes Gnaden noch Fürsten von Geldsacksgnaden haben an ein Ægiropfer aus ihrem Einkommen gedacht. Niemand hat davon gehört, das Herr von Krupp auch nur eine Gedenk-Panzerplatte unentgeltlich liefern will. Die Aussichten aber, durch eine Reichssteuer auf den Besitz die Deckungsmittel für die deutsche unüberwindliche Schlachtflotte aufzubringen, sind mehr als gering. „Die Masse muss es bringen.“

Die Masse der Lasten und damit der Zwang zu härterer Fron, zu schmelzenderen Entbehrungen, ihr die Verschlechterung der Lebenshaltung, ihr aber auch noch obendrein eine Verkümmerung ihrer Rechte. Indem der Flottenplan den Bau einer bestimmten Anzahl von Schiffen gesetzlich festlegt, macht er das Budgetrecht der Volksvertretung illusorisch. Ehe noch die Schlachtflotte die deutschen Küsten und den deutschen Handel schützt, vernichtet sie mittelbar ein Recht des Volkes.

Wie die Entscheidung über die Flottenvorlage ausfallen wird, ist nicht vorauszusehen. Die ausschlaggebenden Parteien, Konservative und Zentrum, stehen sowohl dem Für wie dem Wider in der Haltung des Mochte-gern-und-kann-doch-nicht gegenüber Und an der Haltung einer großen Partei ist kein Zweifel. Die Sozialdemokratie beantwortet die Vorlage durch ihre alte Losung: „Keinen Mann, keinen Groschen.“ Ihre Stellungnahme wird nicht bloß bedingt durch die Rücksicht auf die drückenden Lasten, welche dem werktätigen Volke drohen. Vielmehr auch durch ihre grundsätzliche Auffassung von Kolonial- und Weltpolitik; durch ihren grundsätzlichen Kampf gegen die absolutistischen Überlebsel, denen der Marinismus neue Säfte zuführen soll; durch ihren grundsätzlichen Kampf gegen den Militarismus zu Lande und zu Wasser.


Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert