[„Die Gleichheit. Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterinnen”, 15. Jahrgang, Nr. 13, 28. Juni 1905, S. 73 f.]
Der Bericht der Generalkommission über „die deutschen Gewerkschaftsorganisationen im Jahre 1904″, den Genosse Legien in Nr. 21 des „Korrespondenzblattes“ veröffentlicht hat. enthält unter der Fülle zahlenmäßigen, gewissenhaft verarbeiteten Materials wie alljährlich genaue Angaben über den weiblichen Mitgliederstand der deutschen Gewerkschaften. Das besagt aber im Grunde nichts anderes als über den Stand der gewerkschaftlichen Arbeiterinnenorganisation in Deutschland überhaupt.
Die Lokalorganisationen, welche auf dem Boden des Klassenkampfes stehen, haben keine weiblichen Mitglieder. Der gewerbliche Frauenverein in Berlin, der in innerer Fühlung mit ihnen gegründet wurde, ist eine bedeutungslose, lebens- und aktionsunfähige Schöpfung. Der Hirsch-Dunckersche Gewerkverein deutscher Frauen umschloss im Vorjahr 1160 gegen 941 Mitglieder im Jahre 1903. über die Zahl weiblicher Mitglieder in anderen Organisationen gleicher Observanz liegen uns aus neuerer Zeit keine Angaben vor, 1901 betrug sie 3392. Die der Hirsch-Dunckerei geistesverwandten frauenrechtlerischen Vereine für weibliche Handelsangestellte weisen zwar eine stattliche Mitgliederzahl auf, scheiden aber aus der Reihe der Organisationen aus, welche als Hauptaufgabe den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen verfolgen.
Das letztere gilt auch von dem christlich-frauenrechtlerischen Verein der Heimarbeiterinnen, der obendrein nur gegen 3000 Mitglieder zählt, unter denen sich noch viele bürgerliche Gönnerinnen befinden. In ihrer kürzlich erschienenen Broschüre „Arbeiterinnenfrage“ gibt Frau Gnauck-Kühne die Zahl der in christlichen, das heißt katholischen Gewerkschaften organisierten Arbeiterinnen mit 10.000 an. Leider vermissen wir in ihrem Schriftchen nähere ziffernmäßige Daten über die Verteilung der 10.000 auf die verschiedenen christlichen Organisationen. Solange sie nicht vorliegen, müssen wir billig bezweifeln – auch wenn wir vom Charakter der christlichen Vereine absehen –, ob die 10.000 insgesamt als gewerkschaftlich Organisierte im eigentlichen Sinne des Wortes angesprochen werden können.
Wir schicken diese Ausführungen voraus, weil aus ihnen hervorgeht, dass für die Mitarbeit an dem überaus nötigen und wichtigen Werk der gewerkschaftlichen Selbsthilfe von Seiten des großen Heeres weiblicher Lohntätiger in der Hauptsache nur die weiblichen Mitglieder der Gewerkschaften in Betracht kommen. Und diese machen nur einen geringen Bruchteil der gewerblichen Arbeiterinnen aus – nach der Berufs- und Gewerbezählung von 1895 nicht mehr als 5,17 Prozent gegenüber 24,08 Prozent ihrer organisierten männlichen Berufsgenossen, in Wirklichkeit aber noch weniger – ein Tatbestand, der aufs Höchste den Eifer befeuern müsste, für die gewerkschaftliche Organisierung des weiblichen Lohnproletariats zu wirken.
Nach der wertvollen Statistik der Generalkommission betrug die Zahl der weiblichen Gewerkschaftsmitglieder 1904 im Jahresdurchschnitt 48.604 gegen 40.666 im Jahre 1903. Die Verbände musterten 1.003.504 Arbeiter. Die Zunahme der weiblichen Mitglieder bleibt mit 7938, gleich 16½ Prozent, hinter derjenigen des Vorjahres zurück, wo die Gewerkschafterinnen sich um 12.448 reichlich 44 Prozent, vermehrt hatten. Gewiss: der große Unterschied in dem prozentualen Wachstum der beiden Jahre erklärt sich zum Teil dadurch, dass bei größeren Ziffern ein Schritthalten zwischen absoluter und relativer Zunahme schwieriger wird. 1902 stieg zum Beispiel die Zahl der Gewerkschafterinnen mit einem Mehr von 4519 schon um 19 Prozent. Aber auch das absolute Wachstum dos weiblichen Mitgliederstandes der Verbände ist 1904 beträchtlich geringer gewesen als 1903. Sich darüber zu täuschen, dass das Tempo der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiterinnen im Vorjahr nachgelassen hat, wäre so schädlich als zwecklos. 1904 besaßen 34 Zentralverbände gegen 28 bzw. 29 in 1903 weibliche Mitglieder. Die Verbände der Fleischer, Gastwirtsgehilfen, Hafenarbeiter, Maler und Tapezierer umschließen zum ersten Mal oder abermals nach jahrelanger Pause Arbeiterinnen, wenn auch in der geringen Zahl von 2 (Gastwirtsgehilfen) bis 32 (Tapezierer).
Was die Stärke der weiblichen Mitgliedschaft anbelangt, so steht der Textilarbeiterverband mit 13.126 Arbeiterinnen obenan. Freilich umfasst er damit erst 4,22 Prozent der weiblichen Berufsangehörigen, die amtliche Statistik zugrunde gelegt, deren Ziffern infolge der fortschreitenden Verwendung weiblicher Arbeitskräfte beträchtlich überflügelt sind. Dem Prozentsatz der organisierten weiblichen Berufsgenossen nach ist der Textilarbeiterverband erst der fünfzehnte in der Reihe, über 5000 weibliche Mitglieder zählen drei Verbände, und eine Gewerkschaft – der Fabrikarbeiterverband – reicht mit 4921 fast an diese Grenze heran. Ihm sind 8,20 Prozent der einschlägigen Arbeiterinnen angeschlossen; dem Tabakarbeiterverband mit 7761 weiblichen Organisierten 12,78 Prozent – die 125 Arbeiterinnen des Verbandes der Zigarrensortierer eingerechnet –; dem Buchbinderverband mit 5525 Arbeiterinnen 39,49 Prozent; dem Metallarbeiterverband mit 5339 Gewerkschafterinnen 20,55 Prozent. Einen weiblichen Mitgliederstand von 1000 bis 5000 weisen – vom Fabrikarbeiterverband abgesehen – vier Gewerkschaften auf: die Schuhmacher (2316), Buchdruckereihilfsarbeiter (2092), Handelsangestellte (1717) und Schneider (1072). über 500 bis 1000 Arbeiterinnen sind in vier Verbänden zusammengeschlossen, nämlich bei den Handels-, Transport- und Verkehrsarbeitern 698, den Holzarbeitern 569, den Wäschearbeitern 534, den Konditoren 505. Fünf Organisationen haben von 100 bis 500 Arbeiterinnen gewonnen: die Hutmacher 475, die Porzellanarbeiter 361, die Kürschner 215, die Gemeindebetriebsarbeiter 197 und die Zigarrensortierer 125. Die übrigen Verbände haben weniger als 100 weibliche Mitglieder.
Mehrere der angeführten Ziffern ließen schon klar hervortreten, dass die Zahl der weiblichen Mitglieder einer Gewerkschaft und der Prozentsatz ihrer organisierten weiblichen Berufsangehörigen oft weit auseinandergehen. Misst man die Zahl der weiblichen Organisierten eines Berufs an der Zahl der betreffenden weiblichen Berufsangehörigen, so rangiert der Verband der Maler mit 41,33 Prozent organisierter Arbeiterinnen an erster Stelle. Da jedoch für ihn nur eine winzige Zahl weiblicher Arbeiter in Betracht kommt, so darf von den Gewerben, in denen die Frauenarbeit eine große Rolle spielt, der Buchbinderverband den Ruhm beanspruchen, mit 39,49 Prozent relativ die meisten weiblichen Berufsangehörigen der Organisation zugeführt zu haben. Ihm reihen sich der Schuhmacherverband an mit 29,24 Prozent organisierter Berufsgenossinnen, der Hutmacherverband mit 24,29 Prozent, der Metallarbeiterverband mit 20,55 Prozent, der Buchdruckereihilfsarbeiterverband mit 19,23 Prozent, der Verband der Konditoren mit 15,30 Prozent usw. Von den Arbeiterinnen des Schneidergewerbes sind mit Einschluss der Wäschearbeiterinnen erst 1,36 Prozent organisiert gegen 24,52 Prozent der Arbeiter. Auch wenn man gebührend berücksichtigt, dass hier die Hausindustrie die Organisationstüchtigkeit herabmindert, bleibt doch der Prozentsatz weiblicher Organisierter erschreckend niedrig und muss den Verband antreiben, alle Kräfte anzuspannen, alle Mittel und Wege zu versuchen, um die Arbeiterinnen in größerer Zahl gewerkschaftlich zu sammeln. Ist es doch dem Verband der Handelsangestellten gelungen, sich 1,91 Prozent der Berufsgenossinnen anzugliedern, obgleich seinem Werben um diese in Gestalt des Standesdünkels und anderer Umstände noch Hindernisse entgegenstehen, die kaum leichter zu überwinden sind, als die organisationsschädigenden Wirkungen der Hausindustrie.
Der Verband der Handelsangestellten ist übrigens eine der beiden Gewerkschaften, die mehr weibliche als männliche Mitglieder aufweisen. Er zählt 1717 der ersteren und 1631 der letzteren. Im Verband der Buchdruckereihilfsarbeiter, der hier noch in Frage kommt, sind 2092 Arbeiterinnen und 1990 Arbeiter organisiert. Mehr als die Hälfte weiblicher Mitglieder zählen die Tabakarbeiter mit 7761 Arbeiterinnen und 11695 Arbeitern und die Buchbinder mit 5525 weiblichen und 9681 männlichen Organisierten. Der Prozentsatz der organisierten weiblichen Berufsangehörigen übersteigt in drei Gewerkschaften denjenigen der organisierten männlichen Berufsgenossen. Er stellt sich im Buchbinderverband auf 39,49 Prozent gegen 35,93 Prozent; bei den Schuhmachern auf 29,24 Prozent gegen 22,79 Prozent; bei den Konditoren auf 24,29 Prozent gegen 19,13 Prozent. Der Verband der Buchdruckereihilfsarbeiter umschließt 19,28 Prozent der weiblichen und 26,03 Prozent der männlichen Berufsangehörigen.
Am stärksten stieg die Zahl der Arbeiterinnen in dem Verbände der Tabakarbeiter, der Buchbinder und der Textilarbeiter. Die Zunahme der weiblichen Mitglieder beträgt hier 1936, 1702 und 1024. Die gestiegene Zahl der organisierten Textilarbeiterinnen ist um so bemerkenswerter, als sie von einem Rückgang des männlichen Mitgliederstandes begleitet ist, die Folge von verlorenen Kämpfen und einer Beitragserhöhung. Sieben Organisationen verzeichneten einen Zuwachs der weiblichen Mitglieder um mehr als 100: die Buchdruckereihilfsarbeiter (680), die Konditoren (339), die Handelsangestellten (317), die Handels-, Transport- und Verkehrsarbeiter (223), die Schneider (175), die Hutmacher (154) und die Holzarbeiter (122). Die Zahl der organisierten Arbeiterinnen stieg in 16 Verbänden von 1 (Portefeuiller) bis 99 (Wäschearbeiter), in vier davon um mehr als 50.
An der Zunahme des weiblichen Mitgliederstandes haben leider nicht alle Zentralverbände teilgenommen. Sieben von ihnen haben einen Verlust von insgesamt 359 organisierten Arbeiterinnen zu beklagen. 1903 büßten sechs Verbände zusammen nur 158 weibliche Mitglieder ein. Am auffallendsten ist der Rückgang der organisierten Metallarbeiterinnen, nicht nur weil er mit 229 am beträchtlichsten ist, sondern auch weil er zusammenfällt mit einer außerordentlich starken Aufwärtsbewegung des männlichen Mitgliederstandes. Dass der Schuhmacherverband 64 weibliche Mitglieder weniger als im Vorjahr zählt, überrascht nicht. Er hat auch an männlichen Mitgliedern verloren infolge der Beitragserhöhung, beziehungsweise der Einführung der Arbeitslosen- und Krankenunterstützung, welche die Streichung der säumigen Zahler bedingte. Dem Verband der Masseure kehrten mit 32 alle seine weiblichen Mitglieder den Rücken. Das seit Jahren anhaltende Sinken der weiblichen Mitgliederschaft bei den Handschuhmachern hat in dem Organ und den Zahlstellen des Verbandes eine eifrige Diskussion darüber veranlasst, was getan werden könne, um die Arbeiterinnen des Gewerbes der Organisation zuzuführen.
Die verzeichnete Abnahme der weiblichen Mitglieder in einigen Gewerkschaften und der im Vergleich zum Vorjahr geringere Zustrom der Arbeiterinnen zur Organisation sind gewiss unliebsame Züge in dem Bilde von der Entwicklung der deutschen Arbeiterinnenorganisation. Allein in seiner Gesamtheit ist das Bild nichtsdestoweniger ein erfreuliches, ein beredtes Zeugnis des wachsenden hoffnungsreichen, bewussten Lebens der Arbeiterinnen. Es lässt in uns nicht feige, faule Mutlosigkeit empor quellen, es ruft uns vielmehr auf, mehr denn je die höchste Energie und Opferfreudigkeit für die gewerkschaftliche Arbeiterinnenorganisation einzusetzen. Streben wir nach Klarheit über die Bedingungen und die Schwierigkeiten der gewerkschaftlichen Organisierung der Arbeiterinnen, denn sie erleichtert uns die Lösung unserer Aufgabe. Prüfen wir sorgfältig alle in Betracht kommenden Mittel und Wege, denn dadurch steigern wir die Möglichkeit unserer Erfolge. Zu der werbenden Agitation unter den Arbeiterinnen selbst muss die vorwärtstreibende Aktion in den Gewerkschaften treten, damit diese, damit insbesondere die einzelnen Gewerkschafter zu immer stärkerer Kraftentfaltung im Dienste des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses der Arbeiterinnen angespornt werden. Die nach jeder Richtung hin vorliegenden Aufgaben haben gerade in letzter Zeit in der „Gleichheit“ eine so ausgiebige Erörterung erfahren, dass wir uns heute mit einem summarischen Hinweis auf sie begnügen. Nun müssen vor allem Taten sprechen
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