[eigene Übersetzung des englischen Textes in Militant International Review, Nr. 57, Mai/Juni 1994, S. 15-21]
Was ist aus den grandiosen Maastricht-Plänen für einen kapitalistischen Euro-Staat geworden? Lynn Walsh schreibt.
Für die meisten Menschen, die am 9. Juni zur Wahl gehen, wird es bei den Europawahlen nicht in erster Linie um die Europäische Union (EU) oder ihre Zukunft gehen. In den zwölf Ländern wird die Abstimmung ein Referendum über die Politik der nationalen Regierungen sein. Besonders in Großbritannien wird das Ergebnis wahrscheinlich ein massives Misstrauensvotum gegen die Regierungspartei sein, ein Vorzeichen für eine Niederlage bei den darauf folgenden Parlamentswahlen. Nichtsdestotrotz werden auch Europafragen getestet werden – und es gibt kaum eine Regierung in Europa, die nicht eine zunehmende Flut von Anti-EU-Stimmung fürchtet.
In ganz Europa gibt es eine unbestimmte, aber sich verstärkende Stimmung, dass die EU (zumindest teilweise) für die wirtschaftliche Stagnation, die steigende Arbeitslosigkeit und die Kürzungen der Regierung bei den Sozialausgaben verantwortlich sei. Zweifellos gibt es in dieser Stimmung einen engen, nationalistischen Strang, der von ultrarechten und rassistischen Parteien rücksichtslos ausgenutzt wird, um von den kapitalistischen Wurzeln der aktuellen Probleme abzulenken. Aber es gibt auch ein weit verbreitetes Bewusstsein dafür, dass die EU das Europa der Großkonzerne und der Staatsbürokratie ist, nicht das Europa der arbeitenden Menschen.
In einem Zeitalter der globalen Wirtschaft und Kommunikation sind die nationalen Wirtschaften veraltete Gebilde. Aber Europa – der Gemeinsame Markt, die EWG, die EG und jetzt die EU – hat nicht das versprochene Wunder von Wirtschaftswachstum und Wohlstand geliefert. Im Gegenteil, seit den 1970er Jahren verzeichnete Europa ein langsameres Wachstum und litt unter einer höheren Arbeitslosigkeit als die Vereinigten Staaten oder Japan.
Obendrein scheint die Einheit so schwer zu erreichen wie eh und je. Kaum war die Tinte auf dem Vertrag von Maastricht trocken, brachen neue Streitigkeiten zwischen den nationalen Regierungen aus – zum Beispiel über das GATT und die Reform der astronomisch teuren und verschwenderischen Gemeinsamen Agrarpolitik (für deren Beibehaltung Frankreich kämpft, während Deutschland, Großbritannien und andere eine Kürzung der Agrarsubventionen fordern).
Die britische Tory-Regierung hat trotz ihres Ausstiegs aus dem Sozialkapitel und der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) kürzlich einen neuen Streit über die Verteilung der Stimmen zwischen den Staaten in einer erweiterten EU (nach dem Beitritt von Norwegen, Schweden, Finnland und Österreich) ausgelöst. Unter dem Druck der Tory-Euroskeptiker*innen begann der britische Außenminister Hurd, Zweifel an der Erhöhung der „Sperrminorität“ von 23 auf 27 zu äußern, die er zuvor auf dem Lissabonner Gipfel gebilligt hatte. Nach mehrtägigem Ringen auf einer Dringlichkeitssitzung der Außenminister in Brüssel akzeptierte Hurd schließlich 27 – sehr zum Ärger der Euroskeptiker.
In unmittelbaren praktischen Begriffen werden die Wahlen zum Europäischen Parlament, unabhängig vom genauen Ergebnis, jedoch wenig Unterschied machen. Das Europäische Parlament ist praktisch machtlos, die entscheidende Macht liegt beim Ministerrat. Dieser ist ein zwischenstaatliches Gremium, in dem die nationalen Regierungen trotz „qualifizierter Mehrheitsentscheidungen“ in Fragen des „Binnenmarktes“ in entscheidenden Fragen ein Vetorecht behalten. Trotz der Euro-Rhetorik einiger führender kapitalistischer Vertreter*innen ist die EU kein supranationales, föderales Organ. Das würde die Unterordnung der Mitgliedstaaten unter eine zentrale europäische Behörde bedeuten, was in der EU nicht die Realität ist.
Der Ministerrat entscheidet über die Politik, und die politischen Entscheidungen werden von der Europäischen Kommission, der ständigen Bürokratie des Rates, in Gesetzesvorschläge und Verwaltungsmaßnahmen umgesetzt. Das Europäische Parlament ist ein beratendes Organ. Es hat das Recht, konsultiert zu werden und Rechtsvorschriften zu ändern. Der Jahreshaushalt der EU muss, das ist wahr, vom Parlament ratifiziert werden. Aber seine Befugnis, den Haushalt zu ändern oder zu blockieren, ist in der Praxis sehr begrenzt, da die Einnahmen der EU von der Bereitschaft der nationalen Regierungen abhängen, Steuern zu erheben und finanzielle Beiträge zu leisten.
Das Europaparlament hat keinerlei Befugnisse in der Außen- und Sicherheitspolitik, die in die Zuständigkeit der Minister*innen fällt, die die nationalen Regierungen vertreten. In Wirklichkeit sind es die Großmächte Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die in diesem Bereich das entscheidende Wort haben. Das Europäische Parlament ist die teuerste Schwatzbude der Welt.
Maastricht – Illusionen aus der Boomzeit
Diese Runde der Europawahlen sollten den Maastricht-Maßnahmen demokratische Legitimität verleihen und einen weiteren Schritt in Richtung einer größeren europäischen Einheit darstellen. Schließlich werden sie nur dazu beitragen, den illusorischen Charakter von Plänen zur Überwindung nationaler Unterschiede und zur Einigung Europas auf der Grundlage des kapitalistischen Eigentums an der Produktion und der Anarchie des Marktes zu verdeutlichen.
Was ist aus den grandiosen Plänen geworden, die aus dem Maastrichter Gipfel im Dezember 1991 hervorgingen? Nach der europäischen Vision Jacques Delors‘ sollte es bis 1992 nicht nur einen „Binnenmarkt“ geben, sondern auch rasche Fortschritte auf dem Weg zu einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) mit einer einheitlichen Euro-Währung und einer Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, wobei Delors sogar die Idee eines föderalen europäischen Superstaates mit einer eigenen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik vertrat. Sogar einige auf der Linken begannen die Idee zu akzeptieren, dass es eine weitreichende und dauerhafte Integration der Wirtschaften über die nationalen Grenzen hinweg geben könnte, aus der in Zukunft ein kapitalistischer Euro-Staat hervorgehen würde.
Abgesehen vom Binnenmarkt ist diese Vision jedoch jetzt verpufft. Die „Erweiterung“ der EU durch den Beitritt Schwedens, Norwegens, Finnlands und Österreichs wird wahrscheinlich nicht mit einer weiteren „Vertiefung“ einhergehen. Mehr Mitglieder werden mehr Unterschiede bedeuten.
Was ist schief gelaufen für die kapitalistischen Europhilen? Ihre Stunde ist vorbei! Die ehrgeizigen föderalistischen Pläne waren das Ergebnis einer besonderen Kombination von Faktoren, die in den späten 1980er Jahren zwischen den Cockfield-Vorschlägen für den Binnenmarkt von 1985 und dem Maastrichter Gipfel von 1991 auftraten. Die neue Konstellation folgte auf ein Jahrzehnt wirtschaftlicher Stagnation, das von den Konjunktureinbrüchen von 1974-75 und 1979-81 geprägt war. Die „Erweiterung“ dieser Periode mit dem Beitritt Großbritanniens, Dänemarks und Irlands im Jahr 1973 wurde von einer Lähmung innerhalb der EG begleitet, mit jährlichen Streitigkeiten über den Haushalt der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und häufigem Gebrauch des Vetorechts durch die eine oder andere Regierung, um neue Initiativen zu blockieren.
Eine Überprüfung der Faktoren, die Ende der 1980er Jahre auftraten, zeigt, dass sie vorübergehend waren:
(1) Es gab einen kurzen Schub beschleunigten Wachstums (durchschnittlich etwa 3% pro Jahr, 1985-90), mit einem vorübergehenden Fall der Arbeitslosigkeit. Dies wurde durch die niedrigen Weltölpreise nach 1986, den spekulativen Tory-Boom in Großbritannien 1985-88 (der die Nachfrage nach Importen um 30% ansteigen ließ) und den „Vereinigungs“-Boom in Deutschland 1988-90 (der die Importnachfrage um 20% ansteigen ließ) stimuliert. Es gibt immer mehr Raum für die Zusammenarbeit zwischen konkurrierenden nationalen kapitalistischen Staaten in Zeiten des Wirtschaftswachstums. Dies hat jedoch einer tiefen Rezession Platz gemacht, zuerst in Großbritannien und jetzt in Deutschland und Frankreich.
(2) Den vom US-Kapitalismus unter Reagan gesetzten Trends folgend, kam es zu einer weltweiten Beschleunigung der Liberalisierung und Deregulierung des „freien Marktes“. Der wachsende Anteil der Dienstleistungen in den fortgeschrittenen kapitalistischen Wirtschaften und der zunehmende grenzüberschreitende Handel mit Dienstleistungen, vor allem im Finanz- und Versicherungswesen usw. (erleichtert durch die fortgeschrittene Kommunikationstechnologie), verstärkten den Druck, die staatliche Regulierung abzubauen, die Steuersysteme zu harmonisieren und den internationalen Zugang zu den Binnenmärkten zu ermöglichen. Die großen europäischen multinationalen Unternehmen waren bestrebt, ihre „Heimatbasis“ zu erweitern, um größere Skaleneffekte zu erzielen und mit den US- und japanischen Konzernen konkurrieren zu können. Für die Großkonzerne war der „Binnenmarkt“ längst überfällig – in der Theorie hätte er im Rahmen der Römischen Verträge in den 1960er und 1970er Jahren erreicht werden müssen.
(3) Die „Globalisierung“ des Finanzkapitals und die massiven Schwankungen des Dollar-Yen-Wechselkurses bestärkten Deutschland, Frankreich und die Benelux-Länder in ihrer Entschlossenheit, den Europäischen Wechselkursmechanismus (WKM) als Hafen der Stabilität in einem Meer schwankender Wechselkurse zu stärken. Nach der Neuausrichtung des WKM im Januar 1987 gab es fünf Jahre relativer Stabilität für den WKM. Zu Beginn der ersten Stufe der WWU im Juli 1990 herrschte die weit verbreitete Meinung vor, dass das stabile „Paritätsnetz“ der EU-Währungen zu einer dauerhaften Einrichtung geworden sei – eine Illusion, die durch die europäische Währungskrise, die auf die Ablehnung des Maastrichter Vertrags durch die Dänen im Juni 1992 folgte, zerschmettert wurde.
(4) Nachdem die Regierung der Sozialistischen Partei unter Mitterrand 1983 ihr Reformprogramm aufgegeben und sich der Politik des „freien Marktes“ zugewandt hatte, kam es zu einer Stärkung des deutsch-französischen Bündnisses. Eine feste französisch-deutsche Achse war die Voraussetzung für jede Stärkung der EG. Die Vertreter*innen des französischen Kapitalismus glaubten, dass Frankreich durch eine Stärkung der EG-Strukturen einen entscheidenden politischen Einfluss in Europa ausüben könnte, trotz der größeren wirtschaftlichen Stärke Deutschlands, dessen politischer Einfluss durch die Regelung nach dem Zweiten Weltkrieg begrenzt war. Mit dem Zusammenbruch der stalinistischen Regime in Osteuropa hat sich die Aufmerksamkeit des deutschen Kapitalismus jedoch von der „Vertiefung“ innerhalb der EU auf die „Erweiterung“ verlagert, insbesondere um Deutschlands östliche Nachbarn hineinzuziehen. Diese und andere Entwicklungen haben Spannungen im deutsch-französischen Bündnis erzeugt.
(5) Die günstige Konstellation gab der EG-Kommission einen außergewöhnlichen Spielraum zum manövrieren, den Präsident Delors geschickt ausnutzte. Im Zusammenhang mit den Vorschlägen für den „Binnenmarkt“ wurde im Ministerrat die Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit eingeführt, wodurch die zuvor durch nationale Vetos verursachte Blockade aufgehoben wurde. In Verbindung mit den Vorschlägen von 1992, die rasch umgesetzt wurden, legte die Kommission „föderalistische“ Vorschläge für eine Währungsunion und Schritte hin zu einer politischen Union vor. Die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung der EG-Wirtschaften scheint bei einigen kapitalistischen Politiker*innen, die eine Zeit lang naiv glaubten, die EG-Strukturen könnten die nationalen Interessen rivalisierender kapitalistischer Wirtschaften dauerhaft überwinden, eine romantische, utopische Denkweise hervorgerufen zu haben. Selbst Thatcher, die die Euro-Liberalisierung begrüßte, aber den Föderalismus ablehnte, scheint die Tragweite der Pläne der Kommission unterschätzt zu haben – zumindest bis zum dänischen Referendum, das den Beginn des Zerfalls des Maastricht-Projekts einleitete.
Diagnose der Wirtschaft: ,Euro-Sklerose‘
Während das kurzzeitigen Wirtschaftswachstum der späten 1980er Jahre eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den EG-Staaten erlaubte, hat das Wiederaufkommen der Krise seit 1990 die Spannungen zwischen den Nationalstaaten verschärft. Es hat auch zentrifugale Kräfte innerhalb der Nationalstaaten freigesetzt – Nationalismus, Regionalismus, sprachlicher Partikularismus – und fremdenfeindliche und rassistische Strömungen stimuliert, die der Idee der „europäischen Einheit“ diametral entgegenstehen.
Diese Probleme spiegeln den begrenzten und einseitigen Charakter des Booms der 1980er Jahre in Europa wider. Während der ganzen Periode 1979-1989 betrug das BIP-Wachstum für Westeuropa insgesamt durchschnittlich nur 2,2% pro Jahr. Ein Hauptfaktor hinter diesem langsamen Wachstum war die Politik des deutschen Kapitalismus. Deutschland ist die dominierende EU-Wirtschaft und war bis vor kurzem die wohlhabendste. Verfolgt von der Angst vor einer erneuten Inflation verfolgten die deutschen Kapitalist*innen jedoch eine äußerst restriktive Geld- und Haushaltspolitik. Durch seine dominante wirtschaftliche Stellung und insbesondere durch den WKM zwang der deutsche Kapitalismus seinen europäischen Nachbarn seine Politik des langsamen Wachstums auf. Der WKM wirkte wie eine Zwangsjacke für die EG-Mitglieder.
Trotz der Erholung der Gewinne der Großunternehmen, die fast auf das Niveau der 1960er Jahre zurückgekehrt sind, kam es zu einem steilen, zehnjährigen Rückgang der Investitionen, mit nur einer geringfügigen Erholung nach 1985. Dieses Versäumnis, die Kapazitäten zu erweitern, hat in Verbindung mit den Auswirkungen arbeitssparender Technologie zu einem langfristigen Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit geführt. Die Arbeitslosigkeit war in den EG-Staaten höher als in den westeuropäischen Nicht-EU-Staaten. In der EU stieg der prozentuale Anteil der Arbeitslosen an der Erwerbsbevölkerung von 2,8% in den Jahren 1954-73 auf 4,8% in den Jahren 1974-79 und 9,6% in den Jahren 1980-89. Die vergleichbaren Zahlen für die Nicht-EU-Staaten (Österreich, Finnland, Norwegen, Schweden und die Schweiz) lagen bei 1,6%, 1,8% und 2,7%. Die Arbeitslosenzahlen für die EU wurden teilweise durch die hohe Arbeitslosigkeit in den ärmeren südeuropäischen Staaten in die Höhe getrieben: Spanien, Portugal und Griechenland. Dennoch führte die vom deutschen Kapitalismus erzwungene Politik des langsamen Wachstums zweifellos zu einer höheren Arbeitslosigkeit in Deutschland, Frankreich und anderen „Kernländern“.
Während des Wachstumsspurts in den 1980er Jahren waren die Investitionen auf die wohlhabendsten Gebiete konzentriert, während die älteren, schwerindustriellen Regionen und die überwiegend landwirtschaftlich geprägten Regionen weiter schrumpften. Die zehn ärmsten Regionen (von 180) haben ein Pro-Kopf-BIP von weniger als einem Viertel der reichsten Regionen, wie Hamburg, London und die Lombardei. Obendrein gibt es selbst in den reicheren Ländern eine hohe Jugendarbeitslosigkeit in den städtischen Gebieten. Seit dem Beginn des Konjunktureinbruchs in Deutschland und Frankreich nach 1993 ist die Arbeitslosigkeit in diesen beiden Ländern auf über vier Millionen angestiegen, was die Quote in der EU auf über 11% treibt.
Ein großer Teil dieser Arbeitslosigkeit ist strukturell, d.h. dauerhaft und nicht konjunkturell, d.h. es ist nicht nur eine vorübergehende Arbeitslosigkeit, verursacht durch die derzeitige Rezession. Eine tiefe Rezession und ein sehr langsamer Aufschwung verschärfen jedoch die Probleme der Massenarbeitslosigkeit und des regionalen Niedergangs. Für Westeuropa wird für den Zeitraum 1989-95 eine Wachstumsrate von nur 1,2% prognostiziert, d.h. weniger als die 1,5% pro Jahr in der Zeit der „Großen Depression“ 1929-38.
Die Grenzen des Nationalstaates
In der EU sind widersprüchliche Kräfte am Werk: Einige drängen auf eine stärkere wirtschaftliche Verbindung, andere tendieren dazu, nationale Unterschiede und andere Kräfte der Desintegration zu betonen.
Die Durchdringung des Handels, vor allem mit Industrieerzeugnissen, aber zunehmend auch mit Dienstleistungen, hat weiter zugenommen. Über 70% des Handels der großen EU-Länder findet heute innerhalb Europas statt. Über ihre Tochtergesellschaften und Partner*innen operieren die meisten großen multinationalen Unternehmen heute auf einer Gesamt-EU (oder Gesamt-EU-EFTA)-Basis. Finanzkapital fließt frei über die Binnengrenzen der EU.
Dieser Prozess der zunehmenden wirtschaftlichen Durchdringung wird sich ungeachtet der politischen und institutionellen Regelungen fortsetzen und zwangsläufig Druck auf die nationalen Regierungen ausüben, ihre Bemühungen zur Harmonisierung ihrer Märkte fortzusetzen. Dieser Trend ergibt sich aus der inneren Logik des heutigen Kapitalismus – und er ist unumkehrbar, es sei denn, es kommt zu einem massiven Einbruch und einer Hinwendung der kapitalistischen Großmächte zu einer Politik der Verlagerung der Probleme auf den Nachbarn, die sich zu einem späteren Zeitpunkt entwickeln wird. Dies würde einen katastrophalen wirtschaftlichen Zusammenbruch und eine soziale Krise provozieren.
Ein Teil des britischen Kapitalismus, der beispielsweise von den Tory-„Euroskeptiker*innen“ vertreten wird, befürchtet, dass die Konkurrenz innerhalb der EU den Niedergang der schwachen britischen Wirtschaft beschleunigen wird – eine durchaus berechtigte Furcht. Die vernünftigeren Vertreter*innen des britischen Kapitals erkennen, dass ein Austritt Großbritanniens zum jetzigen Zeitpunkt, da die nordischen und osteuropäischen Staaten auf einen EU-Beitritt drängen, zu einem noch schnelleren Niedergang des britischen Kapitalismus führen würde.
Diesen „vereinigenden Trends“ wirken jedoch mächtige desintegrierende Tendenzen entgegen. Ihnen allen liegt die historische Realität zugrunde, dass der Kapitalismus auf der Grundlage von Nationalstaaten organisiert ist, die die grundlegende Einheit des kapitalistischen Systems bleiben. Die Tatsache, dass die EU-Staaten keine Zahlen mehr über ihren Handel mit ihren EU-Partner*innen veröffentlichen, bedeutet nicht, dass die Wirtschaften nicht in Bezug auf Kapazität und Produktivität zurückfallen oder dass sie keine Handels- oder Kapitaldefizite mit ihren EU-Nachbar*innen mehr haben können.
Während die Kapitalist*innen im Allgemeinen das Gefühl haben, dass sie von der EU-Beteiligung gewinnen, werden sie weiterhin eine weitere Integration und Zusammenarbeit unterstützen. Doch wenn ihre Interessen durch die Konkurrenz mit mächtigeren EU-Konkurrenten ernsthaft untergraben werden, wird sich die Haltung von Teilen der Großkonzerne ändern. Dies spiegelt sich in der Opposition einiger kapitalistischer Parteien in Frankreich, Deutschland und der britischen Tory-Euroskeptiker*innen gegen den Maastrichter Vertrag wider.
Angesichts der überwältigenden Dominanz des Weltmarktes und der extremen internationalen Arbeitsteilung kann es keinen „Kapitalismus in einem Land“ geben. Doch auch wenn der Kapitalismus seine nationalen Grenzen durch internationale Investitionen und internationalen Handel teilweise überwinden kann, so kann die Kapitalist*innenklasse die durch ihre nationalen Wurzeln auferlegten Grenzen letztlich nicht überwinden. Die territoriale Grundlage des Privateigentums, die lange historische Entwicklung der bürgerlichen Klassen mit ihrer eigenen nationalen Kultur und Sprache und die organische Verbindung des Kapitalismus mit den nationalen Staatsapparaten schließen eine Planung im internationalen Maßstab aus, die heute eine Voraussetzung für Fortschritte in der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Produktion ist. Kurzum, der Nationalstaat bleibt ein Hemmschuh für den gesellschaftlichen Fortschritt.
Kapitalistische Regierungen müssen versuchen, die Staatsfinanzen im weiteren Sinne auszugleichen. Wenn große Teile der Bevölkerung unter einem Sinken im Lebensstandard leiden – verstärkt durch die Konkurrenz innerhalb der EU -, sehen sich die führenden kapitalistischen Vertreter*innen mit wachsender sozialer Instabilität und politischen Umwälzungen konfrontiert. Der Beginn einer solchen Bewegung spiegelte sich in dem dänischen Referendum wider. Eine Mehrheit lehnte die Politik aller großen Parteien in Dänemark ab und wies Vorschläge zurück, die sie mit wachsender Arbeitslosigkeit, Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und anderen Maßnahmen zur Erreichung der „Konvergenzbedingungen“ für die Teilnahme an der WWU identifizierten.
Das dänische Votum erzwang die Änderung des Vertrags, den Beginn der Rückabwicklung der grandiosen Pläne für die wirtschaftliche und politische Union. Seitdem ist der Widerstand gegen die EU sogar in Deutschland und Frankreich gewachsen, wo kapitalistische Politiker*innen zuvor von einer massiven Unterstützung der Idee der europäischen Integration ausgegangen waren.
Die ungleiche Entwicklung innerhalb der Nationalstaaten mit schrumpfenden Regionen, die von Arbeitslosigkeit und Armut geplagt sind, hat eine Tendenz zur nationalen Zersetzung hervorgerufen. In Großbritannien hat dies das Nationalgefühl in Schottland und Wales geweckt und liegt dem Konflikt in Nordirland zugrunde. Ironischerweise hat die Idee eines föderalen Europas trotz der regionalen Feindseligkeit gegenüber der Zentralgewalt das Feuer nur noch weiter angeheizt. Warum sollten Schottland, die Lombardei und Katalonien nicht auf einer Stufe mit Dänemark, Irland und Portugal stehen?
William Rees-Mogg („The Times“, 11. April 1994) prangert die Torheit eines föderalen Europas an, wie es von einigen Politiker*innen befürwortet wird: „In einem solchen Europa könnte es leicht sage und schreibe 60 Staaten geben … Die im 19. Jahrhundert zusammengeschlossenen Nationen, insbesondere Belgien, Deutschland und Italien, würden in ihre getrennten Regionen zerfallen. Die Arbeit von Bismarck und Cavour wäre zunichte gemacht … Spanien ohne Barcelona und die katalanische Industrie wäre bankrott“.
Rees-Mogg tröstet sich mit dem Gedanken, dass „wie bei allem, was mit Maastricht zu tun hat, man sehen kann, dass dies etwas ist, was nicht passieren kann“. Gewiss, kapitalistische Staaten, die nicht sicher sein können, ihre eigene nationale Einheit auf der Grundlage von Harmonie und Wohlstand zu bewahren, haben nicht die Fähigkeit, die Einheit Europas zu sichern. Aber auf der anderen Seite wird die Verteidigung der nationalen Souveränität gegen die Übergriffe der EU eine Tendenz zur inneren Desintegration nicht verhindern.
Das Ende des „sozialen“ Marktes
Welchen Grad der Integration wurde durch die europäischen Kapitalist*innen tatsächlich erreicht? Wie sind die Aussichten für die EU?
Die EU ist kein einziges, einheitliches Projekt. Es gibt verschiedene Elemente, die verschiedene Trends innerhalb des Kapitalismus und die unterschiedlichen Ziele der nationalen Kapitale und sogar Fraktionen innerhalb der nationalen Kapitalist*innenklassen widerspiegeln.
Innerhalb des Maastricht-Pakets von 1992 gibt es zwei große Projekte, die miteinander verwoben, aber letztlich widersprüchlich sind:
(1) Es gibt das neoliberale Laissez-faire-Projekt zur Verwirklichung eines „Binnenmarktes“ durch Liberalisierung und Deregulierung, wobei die EU als „Zirkusdirektor“ fungiert;
(2) Und es gibt das föderalistische Projekt für ein „soziales“ Europa, in dem eine supranationale EU-Regierung auf der Grundlage des Binnenmarktes das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen in der gesamten EU fördern würde.
1. Der neoliberale Binnenmarkt
Vor „1992“ waren die Zölle auf vernachlässigbare Niveaus gesenkt worden. Die Maßnahmen im Rahmen des „Binnenmarktes“ zielten auf die Beseitigung nichttarifärer Hemmnisse für den freien Handel ab: Abschaffung „technischer Hemmnisse“ (Qualitätsstandards usw.), Harmonisierung der Steuer- und Versicherungsgesetze und Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens für ausländische Anbieter.
Viele dieser Maßnahmen werden jetzt umgesetzt. Doch einige Regierungen verschleppen es noch. Nur etwa die Hälfte der 230 Binnenmarktmaßnahmen wurden in allen 12 Staaten umgesetzt, und in einigen werden sie nicht konsequent durchgesetzt. Die Steuerharmonisierung liegt noch in weiter Ferne, obwohl den multinationalen Konzernen große Zugeständnisse gemacht wurden.
Die Pläne für die WWU sind auch mit dem neoliberalen Projekt verbunden. Großunternehmen, lautet das Argument, können nicht wirklich frei investieren, produzieren und über die Grenzen hinweg Handel treiben, wenn sie sich nicht der Stabilität der Wechselkurse und der Zinssätze sicher sein können. Eine solche Stabilität erfordert jedoch eine „Konvergenz“ der Geld-, Haushalts- und anderen Wirtschaftspolitiken. Und die Logik einer solchen Koordinierung ist die Einführung einer einheitlichen Währung, die von einer europäischen Zentralbank reguliert wird – die WWU. Selbst wenn all diese Schritte unternommen werden könnten, stünde das Projekt jedoch immer noch vor einem grundlegenden Widerspruch. Eine intensive profitorientierte Konkurrenz zwischen den großen multinationalen Konzernen in einem freien Markt würde unweigerlich die Polarisierung des Wohlstands beschleunigen.
Investitionen und Wachstum konzentrieren sich unweigerlich auf die wohlhabenderen Gebiete und verschärfen den Niedergang der ärmeren Regionen. Armut und Arbeitslosigkeit heizen unweigerlich Proteste von Regionen und nationalen Minderheiten gegen die zerstörerischen sozialen Auswirkungen des zentralisierten europäischen Marktes an. Angesichts der Massenproteste versuchen die nationalen Regierungen früher oder später, die Auswirkungen des ungehinderten Marktes abzumildern – indem sie erneut zu protektionistischen Maßnahmen greifen.
Der Zusammenbruch des Wechselkursmechanismus in der Währungskrise 1992-93 war selbst das Ergebnis der zunehmenden Divergenz zwischen den Wirtschaften, die sich mit dem Einsetzen der Rezession erweiterte. Die Bindung des Pfunds an den unhaltbaren Kurs von 2,95 DM zwang die Tory-Regierung, inmitten eines tiefen Konjunktureinbruchs die hohen Zinssätze beizubehalten, was die Arbeitslosigkeit erhöhte und einen Aufschwung hinauszögerte. Das dänische Referendum warf Zweifel am gesamten WWU-Projekt auf, und der massive Zustrom von spekulativem „heißem Geld“ gegen das „überbewertete“ Pfund und die italienische Lira brachte das gesamte EWS-Gebäude zum Einsturz.
Großbritannien und Italien bleiben außerhalb des EWS, während sich die teilnehmenden Währungen auf die breitere Schwankungsbreite von 15% geeinigt haben. Kein einziger EU-Staat erfüllt derzeit alle vier WWU-Kriterien. Die deutsche Staatsverschuldung wird 1995 das Konvergenzziel der WWU von 60% des BIP wegen der Subventionen für die ehemalige DDR überschreiten. Während Griechenland mit einer Staatsverschuldung von 114% des BIP als „hoffnungsloser Fall“ gilt, wird dieser Wert von Italien (116%) und Belgien (138%) übertroffen.
In ganz Europa gibt es jetzt kapitalistische Parteien, die den WWU-Plan als ernste Bedrohung der nationalen Souveränität anprangern. Dies schließt nun Deutschland und Frankreich ein, wo die führenden kapitalistischen Vertreter*innen früher mit überwältigender Mehrheit für die Währungsunion eintraten.
2. Das „soziale“ Europa
Das andere Projekt, für das der französische Sozialdemokrat Jacques Delors eintrat, umfasste den „Binnenmarkt“ und die WWU, verknüpfte sie jedoch mit Plänen für eine föderale Euro-Regierung, die das „Sozialkapitel“ umsetzen und regionale Subventionen zum Ausgleich des ungleichen Wachstums verwalten sollte.
Unter dem Sozialkapitel sollte es eine „Harmonisierung nach oben“ geben, bei der die günstigsten Beschäftigungsbedingungen und Sozialleistungen von den reicheren Wirtschaften (Deutschland, Frankreich, Belgien usw.) auf die ärmeren Wirtschaften (Großbritannien, Spanien usw.) übertragen würden. Als die Maastricht-Pläne formuliert wurden, befürwortete die Großunternehmen in Deutschland, Frankreich usw. die Angleichung. Sie sahen nicht ein, warum sie gezwungen sein sollten, mit den Boss*innen in anderen Ländern zu konkurrieren, die mit viel niedrigeren Beschäftigungskosten und Sozialabgaben auskamen. Doch in Großbritannien waren sich Major und seine europaskeptischen Gegner*innen in ihrer erbitterten Feindseligkeit gegenüber dem Sozialkapitel einig, und Major sicherte eine Ausnahmeregelung, so dass die britischen Boss*innen Armutslöhne zahlen und auf Schutzvorschriften verzichten konnten.
Mit dem Wirtschaftsabschwung in Deutschland und Frankreich hat sich die Haltung der Großunternehmen jedoch geändert. Die Boss*innen geben nun der „rigiden Arbeitsvorschriften“ die Schuld an der Krise und fordern „Flexibilität“: die Abschaffung Flächentarifverträge zugunsten von Betriebsvereinbarungen, flexible Arbeitszeiten, Kürzungen von Prämien, Urlaub und Renten sowie die Einschränkung von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften und anderen Schutzbestimmungen.
Mit anderen Worten: Die Euro-Bosse geben den „sozialen Markt“ bzw. den „Sozialstaat“ auf, der sich unter dem Druck der Arbeiter*innenbewegung während des Nachkriegsaufschwungs entwickelt hat, und gehen nun den Reagan-Thatcher-Weg: Niedriglöhne, Teilzeit- und Gelegenheitsarbeit, minimaler Arbeiter*innenschutz, minimale Beschäftigungs- und Sozialleistungen. Die Kapitalist*innen in Deutschland, Frankreich, Belgien und auch in den künftigen Mitgliedsstaaten, die einst für ihre Sozialleistungen berühmt waren (Schweden, Norwegen usw.), wenden sich jetzt der gleichen Krisenpolitik zu, die die Kapitalist*innen in den USA und Großbritannien in den 80er Jahren übernommen haben. Ungeachtet der im Maastrichter Vertrag verkörperten Versprechungen wird die sozialdemokratische Vision eines vereinten Europas von Delors aufgegeben. Zusätzlich zu hoher Arbeitslosigkeit (inzwischen über 11% der Erwerbsbevölkerung) werden den Arbeiter*innen in Europa Niedriglöhne, Unsicherheit und Armut geboten.
Die Subventionen für die ärmeren Regionen im Rahmen der „Strukturfonds“ werden zunehmend zusammengepresst. Auf dem Gipfel von Edinburgh 1992 wurde vereinbart, diese Regionalfonds bis zum Jahr 2000 real um 35% zu erhöhen. Selbst wenn dies erreicht würde, wären das immer noch weniger als 0,5% der gesamten EU-Produktion von Waren und Dienstleistungen. Der deutsche Kapitalismus ist obendrein nicht mehr bereit, zusätzliche Mittel für eine ambitionierte Regionalpolitik bereitzustellen. Die Polarisierung zwischen den reichen und armen Regionen wird sich fortsetzen, parallel zur wachsenden Polarisierung zwischen den Klassen in allen EU-Staaten.
Für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa
Der Maastrichter Vertrag ist heute „weniger ein Monument der europäischen Einheit als ein peinlicher weißer Elefant“, schreibt eine Kommentatorin in der „Times“ (Janet Bush, 5. Januar 1994). Das soll nicht heißen, dass die EU vor dem Auseinanderbrechen stehe. Ein Europa der autarken kapitalistischen Staaten wäre nicht gangbar. Von der Logik des Marktes getrieben, werden die europäischen Wirtschaften zweifellos weitere Schritte in Richtung eines integrierten Binnenmarktes unternehmen. Aber es wird auch ein häufiges Zurückgreifen auf nationale Schutzmaßnahmen geben.
Die Maastricht-Pläne liegen in Trümmern und werden zweifellos bis zum EU-Gipfel 1996 zerfetzt sein. Dies soll wieder nicht heißen, dass es keine künftigen Versuche geben wird, das WWS aufzumöbeln oder die politische Zusammenarbeit zu stärken. Aber der Kapitalismus, der Wachstum, Wohlstand und demokratische Rechte innerhalb der Nationalstaaten nicht mehr gewährleisten kann, wird nicht in der Lage sein, eine harmonische Integration der europäischen Wirtschaft oder eine dauerhafte Zusammenarbeit auf föderaler Ebene zu erreichen. Bei einem weiteren wirtschaftlichen Aufschwung von 20 oder 30 Jahren könnte die europäische Integration weiter voranschreiten. Aber in einer Periode der wirtschaftlichen Depression und wachsender sozialer Krise stehen Spaltungen und Konflikte zwischen den europäischen Staaten in Aussicht – die schließlich in einer Krise ausbrechen werden.
Die Einigung Europas liegt jenseits der historischen Möglichkeiten der Kapitalist*innenklasse. Die Aufgabe muss von der Arbeiter*innenklasse übernommen werden, die in Opposition zum Europa der Großunternehmen und seiner unterdrückerischen Staatsmaschinen die Fahne der Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa hochhalten muss. Dies wird auf der Grundlage einer sozialistischen Planwirtschaft und der Arbeiter*innendemokratie vollbracht werden, die es der Gesellschaft ermöglichen wird, weit über die beengten Verhältnisse des Kapitalismus hinauszuwachsen.
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