August Bebel: Aus Norddeutschland

[Nr. 941, Korrespondenz, Die Gleichheit, Wien, II. Jahrgang, Nr. 39, 29. September 1889, S. 4 f.]

:: Aus Norddeutschland. Die Verhaftung des Ehrenmannes Geffken*) ruft uns die Ausreißerei des Schuftes Ehrenberg ins Gedächtnis. In Hamburg wird ein Mann in Haft genommen wegen eines juristisch sehr zweifelhaften Vergehens, der sich obendrein freiwillig stellte und bereit ist, Alles zu gestehen und zu vertreten. Das Karlsruher Militärgericht gibt einem Menschen wie Ehrenberg, der aus Lüge, Gemeinheit und Niederträchtigkeit zusammengesetzt ist, sich systematisch auf Leugnen und Verleumden legte, trotz der „konkludenten Handlungen“ für Hoch- und Landesverrat, die Möglichkeit, sich durch die Flucht der Prozessierung zu entziehen. Der hinter dem adeligen Ausreißer erlassene Steckbrief im „Reichsanzeiger“ ist natürlich vollständig zwecklos. Herr von Ehrenberg ist über alle Berge und taucht vielleicht irgendwo, wenn auch unter anderem Namen, als wohlbezahlter Nichtgentleman desselben Regimes auf, das ihn in Folge unwiderleglichster Beweise seiner Nichtswürdigkeit in Untersuchung zu nehmen gezwungen war, aber keine Haftzelle für ihn zu finden wusste. Ob Herr von Ehrenberg auch in Karlsruhe sein Ehrenwort gab, nicht auszureißen, und es brach, wie er es in Zürich gebrochen hatte, ist nicht bekannt: diese Zumutung hat man ihm wahrscheinlich nicht erst gemacht

Wiederum sind einige Geheimbundsprozesse in Aussicht. In Hamburg beginnt ein solcher gegen eine große Zahl Angeklagter am 9. Oktober, in Celle ist ein solcher in Vorbereitung. Dagegen musste die Stuttgarter Staatsanwaltschaft einen solchen einstellen, weil sich leider das gesuchte Beweismaterial nicht fand, obgleich sie die moralische Überzeugung von der Schuld der verdächtigen Reichsfeinde besaß.

Auch das Reichsgericht hat wieder von sich hören lassen. In Danzig wurden eine Anzahl Genossen wegen Geheimbündelei verurteilt, obgleich sie nur die Reichstagswahlagitation, ohne äußerliches Hervortreten, aber für einen sehr bekannten Arbeiterkandidaten betrieben hatten. Die Verurteilten, darunter der Kandidat selbst, legten Revision ein, aber dass Reichsgericht verwarf sie. Dagegen erkannte es den Revisionsantrag des Nürnberger Staatsanwaltes für berechtigt an, der sich darüber beklagte, das das Nürnberger Landgericht Grillenberger freisprach, weil er nach erfolgter Zustellung des Verbotes einer Schrift die auf der Post befindlichen Pakete dieser nun verbotenen Schrift nicht sofort zurückbeordert hatte. Im letzteren Falle hätte er sich zwar auch eines Vergehens schuldig gemacht, Verbreitung einer verbotenen Schrift ohne Kenntnis des Verbotes. Der Einwand, dass der Angeklagte die Pakete nicht mehr rechtzeitig zurück beordern konnte, fand keinen Glauben. Also Verdonnerung auf jeden Fall.

Unseren National-Liberalen erscheinen diese Zustände so ideal, das einer ihrer Wortführer in Karlsruhe, ein Staatsanwalt, in einer Versammlung die Mitteilung machte, seine Partei werde auf Umwandlung des Sozialistengesetzes in ein dauerndes Reichsgesetz hinarbeiten. Das ist ganz in der Ordnung. Da die Sozialdemokratie nicht zu vernichten ist, sondern stetig wächst, muss auch das Sozialistengesetz bleiben. Zwar nützt es nichts, aber man zeigt doch den guten Willen und damit sind so bescheidene Leute wie unsere National-Liberalen zufrieden.

Man liest jetzt so viel von den jubelnden Empfängen höchster und allerhöchster Persönlichkeiten auf Reisen. Wie’s gemacht wird, haben die guten Primkenauer verraten, die Tags vor der Ankunft der deutschen Kaiserin dortselbst ein „Probehurrahrufen“ – Probehurrahrufen ist doch gut – veranstalteten. Zu diesem Zweck waren das Landvolk und die Arbeiter verschiedener Fabriken aufgeboten und versammelt, die eine so glänzende Fähigkeit im Brüllen bewiesen, dass die ebenfalls probeweise vorfahrenden Pferde aus dem kaiserlichen Marstall vor Schreck ans Durchgehen sich machten, wobei eines derselben getötet, ein anderes schwer verwundet wurde. Dank Euch braven Primkenauern, das Ihr in dieser trüben Zeit so kräftig für den Humor sorgt. Ihr habt Euch um das Vaterland wohl verdient gemacht.

*) Über die wir in einem Artikel berichten. Die Red.


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