[Nach „Die Neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie.“ – 19. 1900-1901, 1. Band, Heft 18 (30. Januar 1901), S. 565-572]
Das landwirtschaftliche Maschinenwesen ist in raschem Aufschwung begriffen. Ein Anzeichen davon gibt die Zunahme der Dampfmaschinen, Man zählte in der Landwirtschaft Preußens 1879 2.731 Dampfmaschinen mit 24.310 Pferdestärken, 1897 dagegen 12.856 mit 132.805 Pferdestärken, eine Zunahme von 470, resp. 546 Prozent.
Immerhin begegnet die Anwendung der Dampfkraft in der Landwirtschaft noch großen Schwierigkeiten, die sie nicht überall anwendbar machen. Der Dampfpflug zum Beispiel ist zu schwer, zu kostspielig, zu sehr von ebenem, kultiviertem Terrain und gelernten Arbeitern abhängig, als dass er allenthalben Eingang finden könnte.
Die Elektrizität scheint berufen, menschliche und tierische Arbeitskraft bei landwirtschaftlichen Verrichtungen zu ersetzen, die der Dampfmaschine bisher nur schwer oder gar nicht zugänglich waren, und damit die technische Revolutionierung der Landwirtschaft zu beschleunigen.
Es mehren sich die Stimmen, nicht „sozialistischer Propheten“ und „marxistischer Dogmenfanatiker“, sondern bürgerlicher Praktiker und Theoretiker, welche auf diese Rolle der Elektrizität aufmerksam machen.
Die Ausführungen zweier Autoren darüber seien hier näher betrachtet.
Einen bemerkenswerten Artikel über unser Thema veröffentlicht Otto Pringsheim im Braunschen „Archiv für soziale Gesetzgebung“ (XV. Bd., 3, Heft, S. 406 ff.).
Pringsheim führt zunächst aus, dass der moderne landwirtschaftliche Großbetrieb noch nicht auf der Höhe der industriellen Fabrik stehe, sondern erst ein Stadium erreicht habe, das mit dem der industriellen Manufaktur vergleichbar sei. Beiläufig sei bemerkt, dass der Autor in den Ausführungen darüber einen Irrtum bei mir zu konstatieren glaubt, wobei er selbst von einem Missverständnis ausgeht. Pringsheim schreibt: „Einen merkwürdigen Irrtum begeht Kautsky („Agrarfrage“), wenn er behauptet, in England seien 1000 Hektar das Maximum der Betriebsgröße. Es gibt in England Betriebe bis zu 14,000 Acres, Vergl. F. Th. König, „Die Lage der englischen Landwirtschaft, S. 80.“
Dort aber heißt es: „Im nordöstlichen Distrikt finden wir einen Pächter von 14000 Acres. Dieser Komplex ist in vier Teile geteilt und diese vier Teile wiederum bestehen aus Gütern von 400 bis 3000 Acres.“ Die Maximalgröße der Güter, der Betriebe, ist also nicht 14000, sondern 3000 Acres – 1200 Hektar. Das ist von der runden Zahl, die ich gegeben, nicht sehr verschieden Es ist mir im Moment unmöglich, die Quelle zu finden, der ich meine Angabe entnommen, das Zitat aus König beweist aber nichts gegen mich.
Doch dies nur nebenbei. Wichtiger ist es, dass Pringsheim darauf hinweist, dass die Elektrizität bestimmt ist, in der Landwirtschaft den Großbetrieb zu einem wirklich modernen, der industriellen Fabrik ebenbürtigen Betrieb zu gestalten.
„Während die David und Herz, die Oppenheimer und Weisengrün von dem nahenden Ende des landwirtschaftlichen Großbetriebs weissagten, begann eine technische Umwälzung einzutreten, die allem Anschein nach berufen ist, die Stellung des landwirtschaftlichen Großbetriebs zu befestigen und seine Entwicklung auf eine höhere Stufe zu führen. Dank dem teils in Angriff genommenen, teils geplanten Bau von elektrischen Überlandzentralen hält die Elektrotechnik ihren Einzug in die Landwirtschaft. Die universelle Verwendbarkeit der elektrischen Energie und der Zwang, die Elektrizität möglichst allseitig zu verwerten, führt dazu, alle landwirtschaftlichen Maschinen elektrisch zu betreiben. Viele Übelstände, die bisher dem Lokomobilbetrieb und Göpelbetrieb anhafteten, verschwinden, wenn der Elektromotor ihre Stelle einnimmt.“ Der Verfasser zeigt dies im Hinblick auf die Melkmaschine, die Feldbahn, die Dreschmaschine, den Pflug etc. und fährt fort: „Das bedeutet die Ersetzung der meisten Gespanne durch Elektromotoren, Das bedeutet weiter die Möglichkeit eines Maschinensystems in der Landwirtschaft. So wird die Elektrizität erst dem maschinellen Betrieb zum Siege verhelfen. Was die Dampfkraft nicht vermochte, das wird die Anwendung der Drehstromtechnik sicher bewirken, die Verwandlung der Landwirtschaft aus einer alten Manufaktur in einen modernen Großbetrieb.“
Es sind aber nicht bloß Männer der grauen Theorie, die so sprechen. Intelligente Praktiker äußern sich in derselben Weise. Der ostpreußische Rittergutsbesitzer P. Mack hat kürzlich eine Schrift herausgeben über den „Aufschwung unseres Landwirtschaftsbetriebs durch Verbilligung der Produktionskosten, eine Untersuchung über den Dienst, den Maschinentechnik und Elektrizität der Landwirtschaft bieten“.1
Nach seinen Berechnungen kostet der Pferdearbeitstag 3 Mark. Tritt an Stelle des Pferdes die Elektrizität als bewegende Kraft, dann kann dieselbe Leistung für 40 bis 75 Pfennig geliefert werden, was einer Verbilligung gegen lebende Pferdekraft um 400 bis 700 Prozent entspricht.
Aber die Praktiker sind bei solchen Berechnungen nicht stehen geblieben. Elektrische Zentralstationen auf dem flachen Lande „sind teils gebaut, teils geplant für die Kreise Soest, Samter, Liegnitz, Neuhaldensleben, Kolberg, Greifenberg, in Unterfranken, auf der Insel Rügen, in Amalienburg (Ostpreußen) usw.“ (Pringsheim). Näheres über einzelne dieser Anlagen erfährt man bei Mack, doch scheint noch keine zu funktionieren, wenigstens verlautet nichts über ihre Ergebnisse.
Weiter ist man schon auf einem Gute in Ungarn. Der „Pester Lloyd“ veröffentlichte am 22. November vor. Js. einen Artikel von Fr. Rovara über „Die Elektrizität im Dienste der Landwirtschaft“, der eine Beschreibung des Elektrizitätswerkes auf der erzherzoglich Friedrichschen Herrschaft Ungarisch-Altenburg enthält. Wir entnehmen ihm folgende Ausführungen:
„Die Elektrizität hat sich die Welt erobert, nur die Landwirte sind ihr bisher zweifelnd und achselzuckend gegenübergestanden und konnten sich, treu. ihren konservativen Prinzipien, nur schwer entschließen, dem reformatorischen Zeitgeist Rechnung zu tragen. Aber – das Eis ist gebrochen, Dem Beispiel des Eisenburger Komitats, welches die lebende Kraft der Raab bis in die entferntesten Meierhöfe führte, folgte die erste Herrschaft des Landes, Ungarisch-Altenburg. Hier, wo keine natürliche Kraft zur Verfügung stand, musste die Energie mittels einer Dampfmaschine gewonnen werden, und dass trotzdem das Resultat ein äußerst zufriedenstellendes ist, beweist, welch hohe Stufe die Technik auf diesem Gebiet erreicht hat. „Auf dem Hofe „Casimir“ befindet sich die Zentrale, von dort laufen die Leitungen aus nach sieben, in allen Richtungen der Windrose gelegenen Meierhöfen und versorgen dieselben mit elektrischer Kraft, die ihrerseits wieder zum Betrieb der landwirtschaftlichen Maschinen, Häcksler, Rübenschneider, Ölkuchenbrecher, zum Schroten und Mahlen, zum Wasserheben, zum Betrieb der Drehbänke und schließlich in einem Hofe zur Schlossbeleuchtung verwendet erscheint.“
Der Artikel gibt eine ausführliche Beschreibung der technischen Anlage, aus der wir nur die Mitteilung über den Motor hervorheben:
„Der Motor repräsentiert jenen Teil einer landwirtschaftlichen elektrischen Anlage, an welchen die meisten Anforderungen gestellt werden, weil zu dessen Bedienung und Betrieb die Intelligenz unserer Hofdiener hinreichen muss. Diesen Anforderungen entsprechen die Dreiphasenmotoren vollkommen, da ihre Konstruktion die denkbar einfachste, ihr Betrieb sicher ist; ihre Behandlung erfordert ein solches Minimum von Geschicklichkeit, dass man sie dem einfachsten Arbeiter übertragen kann,“
Die Gutsdirektion ist denn auch mit den Leistungen des Werkes vollkommen zufrieden, nach der technischen wie nach der ökonomischen Seite hin. Der Betrieb ist geräuschlos, geruchlos, zuverlässig und billig. Die Anlagekosten sind relativ gering; die ganze Anlage kostete nicht ganz 20000 Gulden. „Was nun die Rentabilität des Gesamtunternehmens anbelangt, so konnten der kurzen, seit der Einrichtung verstrichenen Zeitdauer wegen erschöpfende Berechnungen nicht durchgeführt werden, doch lassen die bisher eruierten Daten unbedingt darauf schließen, dass die elektrische Anlage in ihrer Anwendung als Motor für die landwirtschaftlichen Maschinen vielfach billiger zu stehen kommt, als die bisher gebräuchlichen Motoren.“
Von den zur Illustrierung dieses Satzes vorgeführten Beispielen sei nur eines erwähnt, das von einem der Höfe, die an das Zentralwerk Casimirer Hof angeschlossen sind, geliefert wird, dem Wittmanshof. Von diesem wird berichtet:
„Zur Förderung von 300 Hektoliter Wasser täglich aus einem 29 Meter tiefen Brunnen in ein 10 Meter hohes Reservoir und zur Bereitung von Futter für 240 Kühe, 200 Kalbinnen und 60 Zugochsen und Pferde, also zum Schroten, Rübenschneiden und Häckseln, waren im Winter zwei Paar Pferde, über den Sommer ein Paar Pferde erforderlich, welcher Stand einen Kostenaufwand von 1500 Gulden verursachte. Statt der Zugtiere arbeiten nun ein drei- und ein fünfpferdiger Motor, deren Arbeit sich mit Einrechnung sämtlicher Spesen auf 700 Gulden stellt, somit um 800 Gulden weniger als vorher. Dabei bildet einen besonderen Vorteil des elektrischen Betriebs der ungleich ruhigere Gang der Arbeitsmaschinen, die in Folge dessen weit mehr geschont werden und seltener versagen. Dieselben können auch fortwährend auf ihre höchste Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen werden, so dass sich der Betrieb gegenüber früher in der halben Zeit abwickelt, wodurch zwei Menschenkräfte erspart werden. Demzufolge steigert sich die Ersparnis beim gegenwärtigen elektrischen Betrieb auf nahezu 1000 Gulden jährlich, Nebenbei sei bemerkt, dass die elektrischen Motoren auch bedeutend weniger Schmiermaterial benötigen als die Göpel.“
Der elektrische Motor erweist sich dem tierischen wie dem Dampfmotor gegenüber also nicht nur nach der theoretischen Berechnung, sondern auch bei der Erprobung in der Wirklichkeit überlegen und er wird anwendbar in Fällen, wo der Dampfmotor versagt. Wo die elektrische Kraft nicht durch eine, namentlich bei den jetzigen Kohlenpreisen im Betrieb teure Dampfmaschine, sondern durch eine billige Wasserkraft beschafft werden kann, die auf dem flachen Lande oft leicht zu haben, müssen die finanziellen Ergebnisse des elektrischen Betriebs natürlich noch günstiger werden.
Wenn trotzdem die Elektrizität in der Landwirtschaft noch so wenig Eingang gefunden, so liegt das wohl nicht zum Geringsten daran, dass ihre Anwendung große Zentralstationen voraussetzt, die höchstens ein Latifundium wie das eben erwähnte für sich allein anlegen kann, Die elektrische Industrie war aber bisher so sehr von industriellen und städtischen Neuanlagen, namentlich für Beleuchtungs- und Transportzwecke, in Anspruch genommen, dass sie der Landwirtschaft keine Beachtung schenkte. Sowohl Pringsheim wie Mack heben das hervor.
„Dank der Überlastung und den Profitinteressen der elektrischen Gesellschaften wird die völlige Verdrängung des Pferdes aus dem wirtschaftlichen Leben nicht so bald erfolgen“ (Pringsheim).
„Dass die Elektrotechnik dazu berufen ist, in erster Linie unseren Ackerbau wieder rentabel zu machen, darüber kann ein Zweifel nach dem gewaltigen Aufschwung dieses neuen Gebiets menschlicher Forschung nicht mehr bestehen. Es fragt sich nur, auf welchem Wege die Landwirtschaft dieselbe schnellstens für sich gewinnen kann, denn vorläufig ist sie völlig von den täglich sich mehrenden Industrien, den Erfindungen für Beleuchtung und Verkehrswesen, in Anspruch genommen, so dass die Elektriker gar keine Veranlassung haben, sich auf neue Gebiete zu begeben, welche einen gleichen Gewinn nicht zu versprechen scheinen“ (Mack).
Das wurde vor wenigen Monaten geschrieben, seitdem hat sich aber bereits das Bild geändert. Auch für die Elektrotechnik scheinen die mageren Jahre begonnen zu haben; die städtischen und industriellen Bestellungen reichen nicht mehr aus, die gewaltig gewachsenen Produktivkräfte, über welche unsere Elektrizitätsgesellschaften verfügen, genügend zu beschäftigen. Sie werden gezwungen sein, neue Absatzgebiete, neue Gebiete für elektrische Anlagen zu suchen, und haben sich erst einmal einige der jetzt im Bau begriffenen ländlichen Zentralstationen bewährt, dann werden ihnen bald weitere folgen. Wie die letzten zwei Jahrzehnte gekennzeichnet wurden durch den Siegeszug der Elektrizität im Beleuchtungswesen und bei den städtischen Straßenbahnen, so werden vielleicht die nächsten zwei Jahrzehnte ihren Siegeszug auf den Gebieten der Vollbahnen und der Landwirtschaft zu verzeichnen haben.
Diese technische Umwälzung müsste aber auch tiefgehende soziale Änderungen nach sich ziehen.
Die Maschine wird, wie schon Pringsheim hervorhob, in der Landwirtschaft nun leichter Eingang finden, die Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit wird dadurch sehr gesteigert werden. Gleichzeitig wird die Kulturfläche, die direkt der Produktion von Nahrungsmitteln für den Menschen dient, enorm vergrößert, denn an Stelle von Pferden und Zugochsen, die Heu und Hafer fressen, treten immer mehr Elektromotoren, die mit Kohle oder Wasser gefüttert werden.
„Von den in Deutschland gezählten 3.104.700 über vier Jahre alten Pferden dienen der Landwirtschaft allein 2.384.000, wozu noch 456.000 Zugochsen kommen, während die gesamte Industrie, Handel und sämtliche Verkehrsanstalten Deutschlands nur 592.000 Pferde beschäftigen.
„Wenn nach fünfzig und mehr Jahren alle entbehrlichen Pferde durch elektrische Kraft ersetzt sein werden, würden nach der in Kapitel 3 aufgemachten Rechnung in Deutschland zwei Drittel der bisherigen Zahl von Arbeitstieren – 1.741.300 Stück weniger gehalten werden dürfen, was einem jährlichen Gewinn von 1.002.989.000 Mark entsprechen würde, während der Ersatz durch 870.630 elektrische Pferdestärken à 300 Mark p. a. – 261.195.000 Mark beschafft werden würde, so dass dadurch in Deutschland eine Produktionsersparnis von 741.794.800 Mark verbleiben würde.“
Ob dadurch der Druck der überseeischen Lebensmittelkonkurrenz vermindert würde, ist allerdings fraglich. Er könnte noch vermehrt werden, wenn große Gebiete der Getreideausfuhr, etwa die Vereinigten Staaten, den alten Kulturländern mit der Einführung des elektrischen Betriebs vorangingen. Es würde dabei wohl so gehen wie bei jedem technischen Fortschritt unter der kapitalistischen Produktionsweise: so lange er nicht allgemein durchgeführt worden, bringt er jenen, die sich seiner zuerst bemächtigen, reiche Extraprofite; je mehr der neue technische Fortschritt allgemein angewendet wird, desto mehr sinken die Preise der Produkte der ihm unterworfenen Produktionszweige, und das Endergebnis besteht darin, dass die Kapitalmenge gewachsen ist, deren man bedarf, um in diesen Produktionszweigen eine bestimmte Masse Profit zu erzeugen und konkurrenzfähig zu bleiben.
Es ist natürlich sehr schwer zu sagen, wie dies auf die internationale Lebensmittelkonkurrenz wirken wird, dagegen liegen die wahrscheinlichen Konsequenzen der Entwicklung innerhalb der Landwirtschaft einer Nation klarer zu Tage. Hiev bedeutet das Eindringen der Elektrotechnik in die Landwirtschaft einen erheblichen Schritt weiter in ihrer Unterwerfung unter das Kapital.
Wir haben bereits Eingangs dieses Artikels gesehen, dass Pringsheim von ihr eine Befestigung der Stellung des landwirtschaftlichen Großbetriebs erwartet. Sie wird dem Maschinenwesen erhöhte Bedeutung in der Landwirtschaft geben. Nun können wohl einzelne Maschinen in der Landwirtschaft auch vom Kleinbetrieb angewandt werden, aber bei Weitem nicht alle; und kaum eine kann der Kleinbetrieb so vorteilhaft ausnützen, wie der Großbetrieb.
Aber noch in anderer Weise muss die Elektrotechnik in der Landwirtschaft die dem kapitalistischen Betrieb günstigen Tendenzen verstärken, die dem selbständigen Kleinbetrieb günstigen schwächen. Der Besitzer der elektrischen Zentralstation wird der Herr der wichtigsten bewegenden Kräfte in der Landwirtschaft. Das bedeutet bereits ein Abhängigkeitsverhältnis der einzelnen Landwirte von der Zentralstation und ihrem Besitzer. Dieser wird aber in der Regel ein Kapitalist oder eine kapitalistische Gesellschaft sein. Unter günstigen Verhältnissen können vielleicht Großgrundbesitzer oder Großbauern die nötigen Kapitalien auftreiben, um ein Elektrizitätswerk genossenschaftlich zu errichten und zu betreiben. Für kleinbäuerliche Genossenschaften liegen die Verhältnisse viel ungünstiger. Auch kleinbäuerlichen Dorfgemeinden dürfte die Anlage und der Betrieb solcher Werke recht schwer fallen. Hier haben sie nicht den Kampf gegen einzelne Großgrundbesitzer zu bestehen, die oft kapitalschwach und landwirtschaftlich ungebildet sind, sondern gegen das Riesenkapital der elektrischen Gesellschaften, das sich die Monopolisierung der elektrischen Kraftversorgung auf dem Lande um so mehr angelegen sein lassen wird, je gesuchter sie ist.
Hand in Hand mit der wachsenden Abhängigkeit von den Lieferanten der elektrischen Kraft wird aber die Beschleunigung eines anderen Prozesses gehen, der bisher schon die moderne landwirtschaftliche Entwicklung überall auszeichnete, sowohl dort, wo der Großbetrieb, wie dort, wo der Kleinbetrieb vordrang: die Industrialisierung der Landwirtschaft.
Diese geht in zwei Formen vor sich. Auf der einen Seite wird eines der bisherigen Arbeitsgebiete des Landwirts nach dem anderen diesem entzogen und in eine besondere industrielle Tätigkeit umgewandelt, So ging es zuerst mit der Hausindustrie des Bauern für seinen Selbstgebrauch, dann mit der Verarbeitung der von ihm gewonnenen Rohprodukte, Butter und Käse werden nicht mehr auf dem Hofe des Bauern fabriziert, seine Milch wandert vielmehr in die Molkerei, Sein Wein wird nicht mehr in seinem Keller, sondern in dem des Weinhändlers trinkreif usw.
Die Entwicklung des Maschinenwesens hat nun begonnen, selbst einzelne Tätigkeiten bei der Produktion der Rohprodukte dem Landwirt, namentlich dem kleinen, abzunehmen. Früher drosch dieser sein Getreide selbst und dies war eine seiner wichtigsten Arbeiten während des Winters Jetzt besorgt diese Arbeit für ihn die Dreschmaschine, oft eine Dampfdreschmaschine, die nicht dem Landwirt gehört, und deren Besitzer mit ihr von Hof zu Hof zieht und den einzelnen Bauern ihr Getreide drischt.
Wo eine elektrische Zentrale den einzelnen Landwirten die motorische Kraft liefert, da kommt es von selbst dazu, dass sie für diese auch das Pflügen besorgt.
Die Kölner Elektrizitätsgesellschaft Helios, die den Bau einer elektrischen Zentralstation zur Abgabe von elektrischer Kraft für die Landwirtschaft im Kreise Samter in die Hand genommen hat, verpflichtet sich, wie Mack berichtet, in ihren Kontratktformularen, den Abnehmern elektrischer Kraft „den Hektar mit eigenen Pflugapparaten bei einer Tiefe von 31 bis 35 Zentimeter für 20 Mark, von 26 bis 30 Zentimeter für 18 Mark und darunter für 16 Mark pflügen zu lassen, . . . Nach einer Notiz in der elektrischen Zeitschrift vom 15. Oktober sollen bereits 67000 Morgen zum Pflügen gezeichnet sein, wozu 40 elektrische Pflüge nötig sind. Die ganze Anlage soll 5⅓ Millionen kosten und die Bauzeit 24 Monate dauern“.
Wenn die Elektrizitätsgesellschaft den Landwirten ihre Äcker mit eigenen Pflügen pflügt, wird sie ihnen wohl auch ihr Getreide mit eigenen Dreschmaschinen dreschen, es vielleicht auch mit eigenen Mähmaschinen mähen, auf eigenen Feldbahnen einführen und verfrachten.
So wird die eigentliche Ackerbauarbeit immer mehr von der großen, kapitalistischen Elektrizitätsgesellschaft besorgt und der Landwirt immer mehr bloßer Grundbesitzer werden; die Grenzen seines Besitzes aber werden kaum noch einen anderen Zweck haben als den, hie und da einer rationellen Feldbestellung im Wege zu stehen.
Es fehlt dann nur, dass die Elektrizitätsgesellschaft auch noch die Herstellung des Futters für das Vieh und dessen Melkung mit eigenen Maschinen übernimmt und die Übertragung der wesentlichsten Funktionen des Landwirts an den industriellen Großbetrieb ist vollzogen, Es tut wenig zur Sache, ob dabei das Territorium, das der einzelne Landwirt beherrscht, sich vergrößert oder verkleinert – bisher das einzige Kriterium der Zu- oder Abnahme des ländlichen Groß- und Kleinbetriebs, das unsere Verehrer der Bauernwirtschaft kennen.
Die zweite Art der Industrialisierung der Landwirtschaft geht in der Weise. vor sich, dass der Landwirt mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb einen industriellen over umgekehrt ein Industrieller mit seinem Unternehmen einen landwirtschaftlichen Betrieb verbindet, teils um die von ihm produzierten Rohstoffe selbst zu verarbeiten, oder um die ihm zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte, die er während der Ruhezeit der Landwirtschaft für diese nicht verwenden kann, anderswo zu verwerten. Das zweite Moment wird auch für die landwirtschaftlichen Elektrizitätswerke ein Antrieb werden, neben den landwirtschaftlichen Betrieben industrielle erstehen zu lassen.
„Die Rentabilität. einer elektrischen Zentrale“, sagt Mack, „hängt vor Allem von einer gleichmäßigen Abnahme der abgebbaren Kraft ab, und dafür bietet allerdings die Landwirtschaft allein keine Garantie. Die Zeit, in welcher die größte Kraft seitens der landwirtschaftlichen Betriebe gebraucht wird, ist eine verhältnismäßig kurze; das ist die Zeit des Pflügens und Dreschens, welches in vier bis fünf Monaten bewältigt werden kann. In der übrigen Zeit wird vielleicht nur der dritte oder vierte Teil der Kraft zu Beleuchtungszwecken und kleinen wirtschaftlichen Dynamos gebraucht werden. Wenn in dieser Zeit, wie in den Nächten, ein so teures Kapital fast unverzinst bleiben sollte, würde die abgebbare. Kraft zu teuer und das Unternehmen unrentabel werden; daher kann die Landwirtschaft nur dann auf eine billige Unterstützung der elektrischen Arbeit rechnen, wenn sie mit der Industrie Hand in Hand geht, und zwar mit solchen Industrien, die einen variablen Kraftverbrauch vertragen und die auch ohne Schaden für ihre Rentabilität zeitweise eingestellt werden können. Dazu würden sich vorwiegend die elektrochemischen und elektrolytischen Fabrikationen eignen, wie Herstellung von Calcium-Karbid , Chlorkalk, kaustisches Natron, kaustisches Kali, Pottasche, Natrium, Magnesium, Oxalsäure, ferner Aluminiumgewinnung und neuerdings auch. elektrolytische Verhüttung von Kupfer- und Eisenerzen. Alle diese Betriebe ließen sich gut mit dem Landwirtschaftsbetrieb im Verein von einer elektrischen Zentrale aus derart mit Kraft bespeisen, dass die Vollarbeit der ersteren in der Zeit des Pflügens und Dreschens ruht resp. eingeschränkt wird. Von einem derartigen Zusammenschluss hat man zwar noch nichts gehört; trotzdem wird die Möglichkeit von allen Sachverständigen zugegeben.“
An anderer Stelle weist Mack auf Zuckerfabriken und auf elektrische Schleppschifffahrt als Unternehmungen hin, deren Anlagen vorteilhaft zur Abgabe von Kraft an landwirtschaftliche Betriebe benützt werden könnten. Dass die Technik noch andere Kombinationen von Industrie resp. Verkehrswesen und Landwirtschaft ermöglichen wird, wenn sie sich einmal mit der Sache ernsthaft beschäftigt, unterliegt keinem Zweifel.
Drängt aber die Einführung der Elektrizität in die Landwirtschaft dahin, diese mit einer Industrie in der Art zu verbinden, dass dadurch eine stetige profitable Abgabe des gleichen Kraftquantums ermöglicht wird, so bedeutet das auch die Herbeiführung einer einigermaßen gleichmäßigen Beschäftigung der landwirtschaftlichen Arbeiter. Gerade die erste Art der Industrialisierung der Landwirtschaft, die Verwandlung einzelner ihrer Tätigkeiten in die besonderer Industriezweige, hat sehr dazu beigetragen, die Beschäftigung des Landarbeiters zu einer höchst unregelmäßigen zu machen, namentlich während der Wintermonate wurden sie in der Mehrzahl durch den Wegfall der primitiven Hausindustrie, des Dreschens mit dem Dreschflegel usw, völlig überflüssig. Die zweite Art der Industrialisierung verschafft ihnen wieder Beschäftigung während der Ruhezeit für die Landwirtschaft. Indem die Einführung der Elektrizität in die Landwirtschaft diese Art der Industrialisierung fördert, wirkt sie der Landflucht entgegen, vermehrt sie die Zahl der Arbeitskräfte, die dem landwirtschaftlichen Unternehmer zur Verfügung stehen. Andererseits erleichtert sie, wie schon bemerkt, die Anwendung der Maschinen. Sie kann so den Bedarf des Landwirts an Arbeitern verringern, während sie ihm zugleich mehr Arbeiter zur Verfügung stellt.
Dadurch muss sie der Leutenot entgegenwirken, was wieder zum Vorteil des Großbetriebs ausschlägt, der durch nichts mehr eingeengt wird, als durch den Mangel an Lohnarbeitern.
So scheint die Einführung der Elektrizität in die Landwirtschaft dem größeren Landwirt nur Vorteile zu bringen, und Mack sieht denn auch den Himmel voller Geigen.
Aber wir haben schon bemerkt, dass sie den Landwirt mit vermehrter Abhängigkeit vom Kapital und steigender Überflüssigkeit in seinem Produktionsprozess bedroht. Beim Verwertungsprozess, als Verkäufer seiner Produkte aber bedroht sie ihn mit sinkenden Preisen und wachsender Konkurrenz. Und schließlich können wir auch nicht Macks Erwartungen teilen, dass die Elektrizität der Arbeiterfrage auf dem Lande in ihren beiden Bedeutungen, die sie dort hat, ein Ende bereiten werde.
„Wo bleiben dann die Gespenster von heute“, jubelt er, „die ländliche Arbeiternot und die sozialdemokratischen Umtriebe? In dem Augenblick, in welchem die Landwirtschaft prosperiert, hört die Arbeiternot von selbst auf, weil wir dann in der Lage sein werden, gleich hohe oder höhere Löhne wie die Industrie zu zahlen, und damit würde der ungesunden sozialdemokratischen Wühlerei gleichfalls der Boden entzogen; denn in erster Linie bleibt auch die soziale Frage eine Brotfrage.“
Ganz anders urteilt Pringsheim über die Änderung der Arbeiterverhältnisse, welche die Elektrotechnik in der Landwirtschaft herbeiführen würde, und wir schließen uns ihm an:
„Die Gespannarbeit erforderte Arbeiter, die von Jugend an mit dem Vieh umzugehen verstanden. Die Einführung des elektrischen Betriebs beseitigt diese Notwendigkeit und gestattet im Notfall sogar die Verwendung von städtischen Arbeitern.
„Die verhältnismäßig einfache, aber nicht gefahrlose Bedienung der elektrischen Maschinen erfordert eine gewisse Intelligenz und schließt so rohe und nachlässige Arbeitskräfte aus, wie sie vielfach unter den heutigen Knechten vorkommen.“
„Der durch die wachsende Industrialisierung des Landes und verbesserte Verkehrsmittel gesteigerte Kontakt von Industriearbeitern und Landarbeitern muss Lebensansprüche und Lohnforderungen der letzteren notwendiger Weise steigern.
„Dieser Tendenz zur Hebung der ländlichen Arbeiterverhältnisse werden freilich scharfe Gegenströmungen begegnen. „Der Rat, durch stärkere Ausnutzung der Arbeitskräfte die Produktionskosten zu verbilligen, ist den Landwirten oft gegeben worden. Aber erst jetzt scheint die technische Möglichkeit einer Verlängerung des Arbeitstags gegeben zu sein. Die mit Ausnahme von Stallwachen der Landwirtschaft bisher unbekannte Nachtarbeit wird dank den Fortschritten der Beleuchtungstechnik sich immer mehr verbreiten.“ Pringsheim führt einige Beispiele von bereits eingeführter Nachtarbeit an und fährt dann fort:
„Ebenso wahrscheinlich wie eine Ausdehnung der Nachtarbeit ist vermehrte Einstellung von Frauen und Kindern, Wenn Bensing recht hat, dass die landwirtschaftlichen Maschinen, weil von Gespannen bewegt, Frauenarbeit und Kinderarbeit wenig zulassen, so ändert sich dieser Umstand mit der Einführung von Elektromotoren.“
Die Elektrotechnik wird also auf der einen Seite das Proletariat erhebende, auf der anderen Seite es herabdrückende Tendenzen in die Landwirtschaft einführen; die einen wie die anderen Tendenzen müssen aber dahin führen, die heute bereits schroffen sozialen Gegensätze in der Landwirtschaft zu steigern, nicht, wie Mack meint, sie abzuschwächen. Die Industrialisierung der Landwirtschaft wird aber auch eine Vermehrung der Beziehungen zwischen Stadt und Land, zwischen städtischen und ländlichen Arbeitern herbeiführen und dadurch die Verbreitung sozialistischer Erkenntnis unter den letzteren erleichtern, sowie die Widerstandskraft der Landarbeiter vermehren, die ihrer Isolierung entrissen werden.
Und gleichzeitig wird die Elektrotechnik, indem sie die ökonomische und technische Abhängigkeit der Landwirte von großen kapitalistischen Zentralgewalten vermehrt, den Großbetrieb begünstigt und die Verbindung zwischen Landwirtschaft und Großindustrie und öffentlichem Verkehrswesen fördert, zur Entwicklung der materiellen Grundlagen einer sozialistischen Produktion in der Landwirtschaft in hohem Maße beitragen.
So wird dieselbe Erscheinung, die Mack, der kühne Neuerer in der Landwirtschaft, als eine Bürgschaft der Herstellung des sozialen Friedens auf dem flachen Lande betrachtete, vielmehr erst recht dort den sozialen Krieg entfesseln, der Sozialdemokratie und dem Sozialismus die Wege ebnen.
Wir haben also alle Ursache, der Elektrotechnik auf dem Lande raschesten Erfolg zu wünschen. Ihre Siege dort werden auch die unseren sein. Wo sie zur Herrschaft kommt, dort wirkt sie besser für uns, als es das feinst ausgetüftelte Agrarprogramm vermöchte.
Die heraufziehende wirtschaftliche Depression bedroht das Proletariat mit schweren Leiden. Aber es würde diese nicht umsonst über sich ergehen lassen, wenn sie ihm zweierlei brächte: das Wiederaufflammen seiner revolutionären Tatkraft und die Umwälzung der Landwirtschaft.
1 Königsberg i. Pr, Gräfe & Unger.
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